„Der Abschied von der subkulturellen Identität ist notwendig“

Über die möglichen Perspektiven von Hausbesetzungen heute - ein Gespräch mit Armin Kuhn

In den letzten Wochen wird in Berlin wieder über Hausbesetzungen[1] als Aktionsform zur Verhinderung von Vertreibungen von Mietern diskutiert[2]. Allerdings wird es ein Revival der alten Berliner Besetzerbewegung kaum geben, meint Armin Kuhn[3].

Der Politologe hat kürzlich im Dampfbootverlag das Buch…

Vom Häuserkampf zur neoliberalen Stadt[4] herausgegeben. Telepolis sprach mit Kuhn über die Berliner Besetzungsbewegungen der späten 1970er und frühen 1990er Jahre und die möglichen Perspektiven von Hausbesetzungen heute.

Sie haben die Besetzungsbewegung in Westberlin der 1970er Jahre und nach dem Mauerfall in Ostberlin verglichen. Wo sehen Sie die größten Unterschiede?

Armin Kuhn: Der größte Unterschied liegt in dem Zeitpunkt, an dem sie auftragen. Die Besetzungsbewegung der 1980er war ein Kind der städtischen Krise. In den wenigen Monaten, in denen massenhaft Häuser besetzt wurden, war klar, dass es mit der Flächensanierung und mit der Vision von einer zentralstaatlich gesteuerten, funktionalen und autogerecht durchgeplanten Stadt so nicht weitergehen kann.

Es war eine Übergangssituation, in der alles möglich schien und vieles auch möglich war. Die Besetzungsbewegungen haben ihren Teil dazu beigetragen, mit der behutsamen Stadterneuerung ein progressives städtisches Leitbild, soziale Ausgleichsmechanismen und Beteiligungsmöglichkeiten durchzusetzen. Anfang der 1990er Jahre war diese Überganssituation längst vorbei.

Die Weichen in eine wettbewerbsorientierte Richtung, auf wirtschaftliches Wachstum, internationale Konkurrenzfähigkeit und Privatinitiative waren längst gestellt. Das Leitbild einer neoliberalen Stadt hatte sich durchgesetzt, auch wenn die Institutionen der behutsamen Stadterneuerung noch eine Weile vor den übelsten Auswirkungen geschützt haben.

Die Ablehnung von „Staatsknete“ – Berührungspunkte mit neoliberalen Ideen?

Stadtbau und andere Sanierungsträger wurden lange Zeit auch in der Besetzungsbewegung eher als Gegner denn als Bündnispartner gesehen. War diese Positionierung falsch?

Armin Kuhn: Das stimmt so nicht. Viele der Sanierungsträger, Mieterberatungen, Planer und Entscheidungsträger der behutsamen Stadterneuerung stammen selbst aus der Besetzungsbewegung. Die radikaleren Strömungen waren dagegen immer skeptisch gegenüber einer stadtpolitischen Engführung der Hausbesetzungen und haben die Institutionalisierung abgelehnt. Ihnen ging es ja um viel mehr als um den Erhalt der Häuser oder um Verbesserungen im Lebensumfeld. Diese Positionierung war daher nicht falsch.

Allerdings hat der Blick auf die behutsame Stadterneuerung als Verrat an den Zielen der Besetzungen oder auch als Vereinnahmungsmaschine, die letztlich zum Untergang der Bewegung geführt habe, blind dafür gemacht, dass die Hausbesetzungsbewegung der 1980er Jahre wichtige Erfolge erzielt haben. Ohne die Legalisierungen von damals hätten heutige Bewegungen kaum die Ressourcen, die zur Organsierung wichtig sind. Und ohne die institutionellen Absicherungen und – vielleicht noch wichtiger, den symbolischen Konsens der behutsamen Stadterneuerung hätten ökonomische Aufwertung und Verdrängung viel früher eingesetzt und wären viel schneller verlaufen. Dafür genügt ein kurzer Blick auf viele westeuropäische oder US-amerikanische Städte.

Wieso hat die ihrem Selbstverständnis nach antikapitalistische Besetzungsbewegung einen Beitrag zur neoliberalen Stadt geleistet, wie ihre These in dem Buch lautet?

Armin Kuhn: Es war ausgerechnet die berechtigte Ablehnung des alten Modell Deutschlands sozialdemokratischer Prägung, die die Besetzungsbewegungen auch über Berlin hinaus prägte, aus der sich Berührungspunkte mit neoliberalen Vorstellungen ergaben. Die Ablehnung von „Staatsknete“, die Vorstellung alles selbst machen zu wollen und sich aus einer lähmenden wohlfahrtsstaatlichen Umklammerung zu lösen, hatte schon Anfang der 80er Jahre ein Flügel der Berliner Union um den damaligen Sozialsenator Ulf Fink gelobt. Die Hausbesetzer würden nicht den Sozialstaat anrufen, sondern Geld sammeln und gemeinsam anpacken, wenn es gelte die Häuser winterfest zu machen und das Dach neu zu decken.

Die andere Seite des CDU-Senats war die repressive Lummer-Politik, der mit massivem Polizeiaufgebot viele Häuser räumen ließ. Der „harte Hund“ Lummer und der Integrator Fink konnten unter der Oberaufsicht des damaligen Regierenden Bürgermeisters Weizsäcker die Besetzungsbewegung für eine neue Form des städtischen Regierens nutzen. Dabei konnten Teile der Besetzungsbewegung auch viele ihrer Forderungen durchsetzen: Nicht nur über 100 legalisierte Häuser, sondern auch mehr als 36.000 Wohnungen, die im Rahmen der behutsamen Stadterneuerung saniert wurden.

Doch schon im progressiven Modell der behutsamen Stadterneuerung waren Beteiligungsinstrumente als befriedende Konfliktlösungen, die Aktivierung von Eigeninitiative und Eigenverantwortung und der langsame Rückzug des Staates in einer Rolle des Moderators scheinbar gleichwertiger Interessen angelegt, die spätestens in den 1990er Jahren den Weg zur neoliberalen Umgestaltung der Stadt ebneten.

Welche anderen Vorstellungen können der neoliberalen Stadt entgegengesetzt werden?

Aktuell wird in Berlin wieder über neue Hausbesetzungen diskutiert. Können die was von der Besetzungsbewegung lernen?

Armin Kuhn: Besetzungen und besetzte Häuser waren immer mehr als bloß physische Aneignungen von Raum. Die Besetzungen früher Bewegungen standen für etwas: Für eine ganz andere Vorstellung von Stadt, Stadt als gelebte Vielfalt, nicht als normierte und staatlich durchgeplante Landschaft; Stadt als Raum der Teilhabe, die alle ihre Bewohner einschließt und diese zur Gestaltung ihrer eigenen Lebensumstände ermächtigt. Die Hausbesetzungen der 1980er Jahre haben dieses Versprechen verkörpert und gelebt, die Hausbesetzungen der 1990er auch, nur dass Teile dieses Versprechens schon in das neoliberale Modell von Stadt eingegangen sind.

Wenn heute über Besetzungen diskutiert wird, geht es vor allem darum um Fragen wie: Welche Vorstellungen von Stadt können aktuelle Bewegungen der krisenhaften neoliberalen Stadt entgegen setzen? Und welche Rolle kann die praktische Aneignung von Raum für solche Vorstellungen spielen?

Halten Sie ein Revival der Besetzerbewegung wieder für möglich?

Armin Kuhn: Ein Wiederaufleben der Besetzungsbewegungen, wie wir sie aus den 1980er und 1990er Jahren kennen, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Die Identifikation mit der Aktion der Besetzung, mit der Aneignung und Sicherung von besetzten – oder zum Teil auch legalisierten – Freiräumen, hat ja gerade dazu geführt, dass Besetzungsbewegungen in radikale Nischen abgedriftet sind. Das ist an sich nicht unbedingt schlecht, wird aber dann problematisch, wenn die eigenen politischen Ansprüche über die Wände der eigenen Häuser hinausreichen.

In der neoliberalen Stadt sind Freiräume kein ernsthaftes Problem. Besetzte Häuser reihen sich ein in einen Mainstream der Subkulturen, in eine harmlose kulturelle Vielfalt, die im Sinne lebendiger Urbanität sogar gewünscht sein kann für eine Aufwertung von Stadtteilen. Das heißt nicht, dass Freiräume angepasst oder überflüssig sind, aber politische Sprengkraft wie vor 30-40 Jahren werden Besetzungsbewegungen heute nicht entfalten können.

 Ist es nicht auch ein Vorteil, dass die Mieterbewegung weniger subkulturell ist?

Armin Kuhn: Ja, das ist ein Vorteil und eine sehr spannende Entwicklung in aktuellen stadtpolitischen Kämpfen. Viele Initiativen haben erkannt, dass ein Zusammenfinden auf der Grundlage subkultureller Gemeinsamkeiten kaum ein Weg sein kann, um diejenigen zu erreichen, die am meisten von Verdrängung und gesellschaftlicher Marginalisierung in der Stadt betroffen sind. Nur, die Organisierung in subkulturell geprägten Szenen war auch lange ein Erfolgsmodell.

Sie hat das Selbstverständnis derjenigen geprägt, die seit den 1970er Jahren immer wieder das vorherrschende Stadtentwicklungsmodell in Frage stellen, von den ganz frühen Kämpfen gegen Yuppisierung über NOlympia in den 1990ern, Mediaspree oder die Stadtteilinitiativen in den 2000ern. Die Frage ist: Was tritt an die Stelle der subkulturellen Identität? Schaffen es aktuelle stadtpolitische Bewegungen neue, durchlässigere Identitäten zu schaffen, die auf der Vielfalt des städtischen Lebens selbst beruhen?

http://www.heise.de/tp/artikel/44/44090/1.html

Anhang

Links

[1] http://zwangsraeumungverhindern.blogsport.de/2015/02/02/besetzen-statt-raeumen-das-macht-sinn

[1] http://www.tagesspiegel.de/berlin/einfach-abgeraeumt-brunnenstrasse-183-und-yorckstrasse-59/3790566.html

[1] http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mainzer_strasse_besetzt.jpg

[1] http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Koepi_berlin.jpg

[2] http://besetzenstattraeumen.blogsport.de

[2] http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Yorck59.jpg

[2] http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en

[2] http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5/deed.en

[3] http://www.academia.edu/3415155/Armin_Kuhn_Zwischen_gesellschaftlicher_Intervention_und_radikaler_Nischenpolitik._H%C3%A4userk%C3%A4mpfe_in_Berlin_und_Barcelona_am_%C3%9Cbergang_zur_neoliberalen_Stadt

[3] http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5/deed.en

[4] http://www.dampfboot-verlag.de/shop/artikel/vom-haeuserkampf-zur-neoliberalen-stadt