Keine Beerdigung

Neues vom Kommunismus? Peter Nowak stellt zwei neue Studien vor

Kommunismus wird in der Öffentlichkeit noch immer weitgehend mit Stalinismus und dessen Verbrechen gleichgesetzt. Nur wenig bekannt ist von der vielfältigen Opposi­tion, die es bereits in den 20er Jahren im Umfeld der KPD gegen die Politik der Stalinisierung gab. In den letzten Jahren haben junge HistorikerInnen begonnen, sich mit den dissidenten Strömungen der kommunistischen Geschichte zu beschäftigen. Erst nach der Öffnung der Archive in den nominalsozialistischen Ländern wurden viele Quellen zugänglich. So konnten die vergessenen Spuren einer dissidenten Geschichte des Kommunismus wieder aufgenommen werden – zwei Publikationen geben einen Eindruck von dieser verdienstvollen Forschungsarbeit.

Der Historiker Marcel Bois stellt im Klartext-Verlag auf knapp 600 Seiten relevante Strömungen der Kommunistischen Opposi­tion in der Weimarer Republik vor. Um eine erste Gesamtdarstellung der kommunistischen Opposition, wie auf der Rückseite des Buches angekündigt, handelt es sich allerdings nicht. Schließlich wird auf die räte- und linkskommunistischen Strömungen in der Kommunistischen Internationale, die bereits 1919 oder nach der Niederschlagung des Aufstands von Kronstadt mit der Politik der Komintern gebrochen haben, ebenso wenig eingegangen wie auf die bordigistische Strömung, die Mitte der 20er Jahre in Opposition zur Politik der sowjetischen Machthaber geriet. In verschiedenen Länden, auch in Deutschland, bildeten sich Gruppen, die die Kritik des italienischen KP-Vorsitzenden Amadeo Bordiga an der Entwicklung der Kommunistischen Internationale teilten und für einen strikt antiparlamentarischen Kurs eintraten. Bois erwähnt diese Strömung nur in einer Fußnote. Diese Feststellung ist wichtig, weil so verhindert wird, dass vorschnell neue Schließungen in der Forschung der dissidenten kommunistischen Strömungen erfolgen und kleinere, weniger bekannte Gruppen unerwähnt bleiben. Bois ist es allerdings nicht zum Vorwurf zu machen, dass er nicht sämtliche Facetten der kommunistischen Dissidenz berücksichtigt. Werden doch bei seiner Arbeit die großen Schwierigkeiten deutlich, das Phänomen des Linkskommunismus begrifflich zu fassen. Bois macht deutlich, dass das Gemeinsame dieser Strömung gar nicht so einfach zu benennen ist. Selbst die Ablehnung der Stalinisierung kann als kleinster gemeinsamer Nenner erst in der zweiten Hälfte der 20er Jahre geltend gemacht werden. Zuvor haben einige der späteren linkskommunistischen Akteure wie Werner Scholem in Stalin einen Bündnispartner und in Trotzki einen Exponent der Rechten in der kommunistischen Bewegung gesehen.

Zudem wurde ein gemeinsames Vorgehen der Opposition dadurch erschwert, dass einige führende Linkskommunisten wie Scholem oder Ruth Fischer die Vorzüge einer innerparteilichen Demokratie erst entdeckten, als sie in Opposition zur Parteitagsmehrheit gerieten. Als Exponenten der Parteiführung haben sie noch selber ausgiebig Gebrauch von administrativen Maßnahmen gegen vermeintliche Oppositionelle gemacht.

Bis zum Ende der Weimarer Republik spielten diese und andere Widersprüche in der linken Opposition eine wichtige Rolle und erschwerten eine Kooperation. So wollten einige Oppositionelle auf keinen Fall in eine Nähe zu Trotzki gebracht werden. Andere verweigerten Unterschriften unter Aufrufe, unter denen Ruth Fischer oder Werner Scholem standen. Das sind nur einige der von Bois detailliert beschriebenen Widersprüche, die ein gemeinsames Auftreten der kommunistischen Opposition erschwerten. Grund dafür waren neben inhaltlich-politischen Differenzen auch persönliche Animositäten.

Diese internen Probleme wurden von der KPD-Führung natürlich weidlich ausgenutzt. So wurden oppositionelle Kommunisten mit wenig innerparteilichem Rückhalt, wie die Gruppe um den besonders sektiererisch auftretenden Iwan Katz, schnell ausgeschlossen. Wesentlich bekannter war die Gruppe »Entschiedene Linke«, die maßgeblich von Karl Korsch mitbegründet wurde, dessen Texte zur marxistischen Philosophie in den 60er Jahren für die Neue Linke bedeutsam werden sollten. Sein Wirken als marxistischer Politiker nach seinem Parteiausschluss 1926 wird von Bois nachgezeichnet.

Echte Pionierarbeit leistet Bois mit seiner Darstellung der »Weddinger Opposition«, eine vor allem aus dem Arbeiterradikalismus gespeisten linken Parteiflügel, der über den Berliner Stadtteil hinaus landesweit aktiv wurde. Ihr gelang es noch bis Anfang der 30er Jahre, in der KPD aktiv zu bleiben. Die Parteiführung ging mit der gut verankerten Strömung vorsichtiger um als mit marginalen Oppositionsgruppen. Bois zeigt allerdings auch, dass vor allem in den frühen 30er Jahren manche oppositionellen Kommunisten wieder die Nähe zur KPD suchten. Die Gefahr des Nationalsozialismus ließen für manche die Differenzen in den Hintergrund treten.

Doch gerade Trotzki erregte zu dieser Zeit auch über das kommunistische Milieu hinaus Beachtung, weil er für eine Aktionseinheit von SPD und KPD eintrat und den NS viel gründlicher als die KPD-Führung analysierte. Anders als diese sah er in den verschiedenen Faschismen kein Werkzeug des Großkapitals, sondern eine eigenständige Bewegung des abstiegsbedrohten Mittelstands, die von Teilen der Eliten und der Wirtschaft allerdings für ihre Zwecke benutzt wurde. Auch mit seinen frühen Warnungen vor den Gefahren des NS für die Arbeiterbewegung und alle demokratischen Bewegungen sollte Trotzki wesentlich realitätsnäher sein als die KPD-Führung mit ihrem Zweckoptimismus, die ein Hitlerregime für eine kurze Zwischenstation auf dem Weg zur Revolution erklärte. Davon unabhängig kamen auch die als Rechtsabweichler aus der KPD ausgeschlossenen Kommunisten Heinrich Brandler und August Thalheimer zu einer ähnlich realistischen Einschätzung des NS wie Trotzki. Alte Feindschaften aus den 20er Jahren verhinderten allerdings eine Kooperation dieser unterschiedlichen kommunistischen Dissidenten. Auch hier zeigte sich wieder die Unfähigkeit selbst der schlaueren Köpfe der kommunistischen Opposition, auf der Basis eines Minimalkonsenses zu kooperieren.

Umso wichtiger waren die wenigen Menschen, die sich nicht an kleinlichen innerorganisatorischen Streitereien beteiligten, wie die Publizisten Alexandra Ramm und Franz Pfemfert. Wie Bois nachweist, haben sie einen großen Anteil an der Veröffentlichung von Texten dissidenter Kommunisten und sorgten dafür, dass der exilierte Trotzki in Deutschland seine Positionen bekannt machen konnte.

Der große Vorzug von Bois’ Arbeit besteht darin, dass er keine Heldengeschichte der linken Opposition schreibt, sondern detailliert zeigt, dass sie oft nicht weniger autoritär auf abweichende Meinungen reagierte als die stalinistische Mehrheitsströmung. Daher bleibt Bois bei der Frage vorsichtig, ob die dissidenten Kommunisten, hätten sie sich durchgesetzt, eine Alternative gewesen wären: »Möglicherweise wäre tatsächlich ein unabhängiger deutscher Kommunismus entstanden, der nicht jeden Schwenk aus Moskau mitgemacht hätte. Doch denkbar ist, dass … die Entdemokratisierung der Partei fortgesetzt worden wäre.« (S. 529) Kritisch anzumerken bleibt dagegen, dass Linkskommunisten wie Werner Scholem einen Kommunismus ohne nationale Vorzeichen anstrebten, deshalb auch gegen das Konzept vom »Sozialismus in einem Land« auftraten. Ein spezifisch deutscher Kommunismus hätte ihm ferngelegen – auch hätte eine erfolgreiche Revolution in Deutschland die weitere Entwicklung der Sowjetunion nicht unberührt gelassen.

Rollentausch – die Bremer Linksradikalen

Anders als der Spartakusbund orientierten die Bremer Linkradikalen schon 1915 auf eine eigenständige Organisierung außerhalb der SPD. Diese Strömung, die in der frühen KPD eine wichtige Rolle spielen sollte, ist heute (jenseits der Publikationen von Hans Manfred Bock) weitgehend vergessen. Einen ihrer Exponenten, den Lehrer Johann Knief, hat der Historiker Gerhard Engel in seiner im Dietz-Verlag erschienenen Biographie dem Vergessen entrissen. Hier wird uns die Gedankenwelt eines Linksradikalen vor 120 Jahren nahegebracht, und es wird der Kampf gegen die »reformorientierten« Kräfte in der Sozialdemokratie verdeutlicht, die bereits lange vor dem ersten Weltkrieg Kurs auf eine Mitgestaltung des imperialistischen Deutschlands nahmen. Die Bewilligung der Kriegskredite durch die SPD 1914 ist dann nur der Schlusspunkt einer längeren Entwicklung.

Die Bremer Linksradikalen setzten sich auf dem Gründungsparteitag der KPD mit ihrer antiparlamentarischen Linie durch. Mehrheitlich stimmten die Delegierten gegen die Beteiligung an den ersten Wahlen zum Reichstag der Weimarer Republik. Zu den strikten Gegnern dieser Linie gehörten damals noch Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg sowie eben Johann Knief, der damit in Widerspruch zu der von ihm repräsentierten Strömung geriet.

Knief starb bereits im Frühjahr 1919 kurz nach der Niederschlagung der Bremer Räte­republik. Obwohl es nach seinem Tod in Bremen einen großen Trauermarsch von ArbeiterInnen gab, wurde er bald vergessen. Weil das Geld für die Beerdigung fehlte, stand die Urne bis 1926 im Büro der Bremer KPD. Wegen seiner schweren Erkrankung und des frühen Tods konnten die Widersprüche nicht mehr ausdiskutiert werden. Mit dem Buch erinnert Engel nicht nur an Knief, sondern an eine wichtige linke Strömung, die bald zur ersten Opposition in der frisch gegründeten KPD gehörte.

Literaturliste

  • Marcel Bois: »Kommunisten gegen Hitler und Stalin. Die linke Opposition der KPD in der Weimarer Republik«, Essen 2014, 613 Seiten, 39,95 Euro, ISBN 978 3-8375-1282-3
  • Gerhard Engel: »Johann Knief – ein unvollendetes Leben« (Geschichte des Kommunismus und Linkssozialismus, Bd. XV), Berlin 2011, 467 Seiten. 29,90 Euro, ISBN: 978-3-320-02249-5

express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit http://www.labournet.de/express/