Jeden Tag Solidarität

Peter Nowak über die Kündigung eines Gewerkschaftssekretärs

Ein Solidaritätsaufruf für gekündigte GewerkschafterInnen ist in diesen Tagen wahrlich nicht selten. Der vielfach unterzeichnete Offene Brief gegen die Entlassung von Veit Wilhelmy ist dennoch etwas Besonderes. Denn der Adressat ist der Vorstand der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU).

Wilhelmy war seit Jahren im Rhein-Main-Gebiet als Sekretär im Bereich Gebäudereinigung aktiv. Dass der IG-BAU-Vorstand Wilhelmy gleich viermal fristlos gekündigt hat, liegt nicht an dessen Erfolglosigkeit in der Mitgliederwerbung oder an mangelnder Interessenvertretung der KollegInnen. Ganz im Gegenteil. Die Eintritte waren in seiner Branche hoch. Vorgeworfen wird ihm, dass er in einem Betrieb, der zur DGB-Schwester IG BCE gehört hat, Mitglieder geworben hat. Es ist kein Geheimnis, dass es zwischen den DGB-Gewerkschaften heftige Konkurrenz um die Mitglieder gibt. Dass deswegen Gewerkschaftsmitglieder gekündigt wurden, ist hingegen nicht bekannt.

Als weiterer Kündigungsgrund führte sein Arbeitgeber gegen Wilhelmy an, er habe einen Unternehmer wegen Behinderung einer Betriebsratswahl angezeigt, ohne sich zuvor um die Vollmacht des Bundesvorstands gekümmert zu haben. Aber: Aktive Gewerkschafter an der Basis würden sich sicher mehr Sekretäre wünschen, die auch mal unbürokratisch handeln. Beim Vorwurf, Wilhelmy habe eine Kollegin zu vergünstigten Bedingungen in die Gewerkschaft aufgenommen, fragt man sich, wie viel Entscheidungsfreiheit den Sekretären überhaupt gelassen wird. Doch Wilhelmy ist auch seit Jahren über gewerkschaftliche Kreise hinaus als Initiator des Wiesbadener Appells bekannt geworden, der das Recht auf politische Streiks in Deutschland forderte. Im Jahr 2009 hatte Wilhelmy auf dem Gewerkschaftstag der IG BAU gegen den Willen des Vorstandes einen Antrag für ein umfangreiches Streikrecht erfolgreich durchgesetzt. Er berief sich dabei auf den UN-Sozialpakt, den Deutschland bereits 1970 ratifiziert hat. Dass der aktive Sekretär beim Vorstand schon länger in Ungnade gefallen ist, scheint also wahrscheinlich – trotz gegenteiliger Beteuerungen.

Schließlich wurden auch in der Vergangenheit SekretärInnen von DGB-Gewerkschaften gekündigt, die sich besonders für die Rechte der Kollegen einsetzten und dafür auch bereit waren, Konflikte mit Unternehmen und der Politik in Kauf zu nehmen. Ein Beispiel ist im Jahr 2007 die Kündigung des thüringischen ver.di-Sekretärs Angelo Lucifero, der auch über Gewerkschaftskreise hinaus für sein antifaschistisches Engagement bekannt war. In dem Aufruf für Wilhelmy, der im Internet zum Unterzeichnen zu finden ist, geht es um ein hohes gewerkschaftliches Gut, die Solidarität. Daran müssen auch die Gewerkschaftsvorstände gelegentlich erinnert werden, die den Begriff oft nur für die Rede zum 1. Mai gebrauchen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/958646.jeden-tag-solidaritaet.html

Peter Nowak