Wattestäbchen sind gefährlich

Das Bundeskriminalamt hat mehr als eine Million DNA-Profile in einer Datenbank gespeichert. Die meisten dieser Daten werden nicht bei Schwerverbrechen, sondern bei Diebstahldelikten oder Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz gesammelt.

»Während Max Schrems mit dem Ruf ›Kämpf um deine Daten‹ Facebook und anderen Giganten zumindest Nadelstiche versetzt, sind die DNA-Datenbanken im letzten Jahrzehnt weltweit gewachsen.« Zu dem ernüchternden Fazit, dass die DNA-Sammelwut in der Debatte um Überwachung kaum eine Rolle spielt, gelangen Susanne Schultz und Uta Wagenmann vom »Gen-ethischen Netzwerk«. Vor kurzem haben sie das Buch »Identität auf Vorrat – Zur Kritik der DNA-Sammelwut« herausgegeben, das sich mit der polizeilichen DNA-Vorratsdatenspeicherung in Deutschland und anderen Ländern beschäftigt.

Die Publikation macht deutlich, dass es genügend Gründe für eine größere Aufmerksamkeit gäbe. Was als »Kopfgeburt« des damaligen deutschen Innenministers Otto Schily (SPD), der sich für die Ausweitung der DNA-Analysen einsetzte, begann, hat sich zu einem internationalen Netz von Datenbanken entwickelt. Mittlerweile seien EU-weit die DNA-Profile von knapp zehn Millionen Menschen gespeichert, berichtet der Politikwissenschaftler Eric Töpfer vom Deutschen Institut für Menschenrechte. Hierzulande hat das Bundeskriminalamt über eine Million DNA-Profile in einer Datenbank gespeichert. Doch eine ähnliche Bewegung, wie sie gegen die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung entstand, ist gegen diese DNA-Datenbanken nicht in Sicht.

In den achtziger Jahren existierte noch eine gentechnikkritische Bewegung, die sich bereits über DNA-Tests Gedanken machte, bevor diese technisch ausgereift waren. Sie war vor allem in feministischen Kreisen beheimatet und bestand überwiegend aus Wissenschaftlerinnen und Medizinerinnen. Das »Gen-ethische Netzwerk« steht in dieser Tradition. Wenn man sich fragt, warum die DNA-Sammelwut mittlerweile kaum noch hinterfragt wird, muss man auf die Akzeptanz von Gentechnik zu sprechen kommen, die in den vergangenen Jahren gewachsen ist. Immer häu-figer wird ihr zugetraut, dass sie gesellschaftliche Probleme lösen kann. Deshalb kann sich eine Propaganda Gehör verschaffen, die DNA-Tests als Waffe gegen Verbrechen wie Vergewaltigung und Mord anpreist. In den USA kooperiert die Firma »Gordon Thomas Honeywell Governmental Affairs« bei ihrer Lobbyarbeit für die DNA-Industrie mit Opfern von schweren Verbrechen. Zu den Sponsoren des Lobbyunternehmens gehört die Firma »Life Technologies«, die ein führender Anbieter ist. Erfolgreich kann Lobbyarbeit jedoch nur sein, wenn es in Teilen der Gesellschaft Denkmuster gibt, an die sie anknüpfen kann. Dazu zählt der Wunsch, Verhaltensweisen, die als gesellschaftlich störend empfunden werden, mit moderner Technologie zu bekämpfen oder einzuschränken. Diese Vorstellung, die der wissenschaftlichen und technischen Revolution vorausging, wurde populärer, als sich mit der Entwicklung der Gentechnologie die wissenschaftlichen Möglichkeiten boten, solche Dystopien Wirklichkeit werden zu lassen.

Wenn, wie das »Gen-ethische Netzwerk« beklagt, DNA-Analysen in der Bundesrepublik längst nicht nur bei Schwerverbrechen, sondern in hohem Maß auch bei Kleinkriminalität wie Diebstahlsdelikten angewendet werden, dürfte dieses Vorgehen bei dem Teil der Bevölkerung, der sich eine wissenschaftliche Bekämpfung gesellschaftlicher Probleme wünscht, wohl kaum auf Ablehnung stoßen. Eine kritischere Haltung zur DNA-Datensammelwut setzt eine Problematisierung solcher Vorstellungen voraus. Wenn Schultz und Wangenmann feststellen, dass die DNA von Unterprivilegierten und Angehörigen rassistisch diskriminierter Gruppen überdurchschnittlich häufig erfasst wird, korrespondiert das mit einer weitverbreiteten sozialchauvinistischen Haltung, die diese Gruppen schnell in die Nähe von Kriminalität rückt. Hier ist wahrscheinlich der Grund zu suchen, warum die DNA-Sammelwut auch bei Überwachungskritikern kaum Thema ist. Dabei resultiert daraus eine diskriminierende Strafverfolgungspraxis.

http://jungle-world.com/artikel/2015/01/51164.html

Peter Nowak

Peter Nowak