Die 89er Bewegung in der DDR geht auf Distanz, viele, die vordergründig mit Pegida nichts zu tun haben wollen, verschaffen der Bewegung Zulauf
Am letzten Montag präsentierte sich die Pegida-Bewegung wie in den Vorwochen. Während es in Dresden weiteren Zulauf gab, gelang es der Bewegung in anderen Städten auch dieses Mal nicht, über das rechte Spektrum hinaus Anhänger zu gewinnen. Doch innenpolitisch beherrscht Pegida noch immer die Debatte. Sowohl die Anhänger und Gegner der Pegida nutzten die nachrichtenarme Zeit noch einmal, um auf sich aufmerksam zu machen.
„Reisefreudige Afrikaner“ statt arme Opfer
Dass Pegida Menschen ermutigt zu sagen, was sie über Migration schon immer dachten, zeigte ein Interview [1] des in Görlitz als Retter des dortigen Kaufhauses gefeierten Investors und Mediziners Winfried Stöcker. Nachdem er zunächst ein Willkommenskonzert für Geflüchtete im von ihm finanzierten Görlitzer Kaufhaus verboten hatte, begründete er diese Entscheidung mit einer Mixtur aus Pegida-Argumenten. Er wolle keinen Missbrauch des Asylrechts unterstützen und die Flüchtlinge hätten nicht das Recht, sich in Deutschland festzusetzen, erklärte er.
Die Reaktionen auf diese Aussagen machten allerdings deutlich, dass es viel einfacher ist, Migranten praktisch im Mittelmeer ertrinken zu lassen, als zu äußern, dass sie den Transfer erst gar nicht antreten sollen. Selbst der Aufsichtsrat des Görlitzer Kaufhauses [2] distanzierte sich von ihrem lange Zeit gefeierten Investor. Während ihm die NPD für sein Statement gratulierte, wurde Stöcker sonst überall heftig kritisiert [3].
Nachdem erste Anzeigen wegen Volksverhetzung gegen Stöcker bei der Justiz eingegangen sind, schwächte [4]er seine Aussagen ab und betonte, kein Rassist zu sein, sondern nur auf die seiner Meinung nach problematischen demographischen Entwicklungen in Deutschland aufmerksam gemacht zu haben. Zudem habe er in dem inkriminierten Interview aus Zeitmangel seinen Standpunkt zur Flüchtlingspolitik verkürzt wiedergegeben. Stöcker kann sich nun wie Sarrazin und viele vor und nach ihm als missverstandener Aufklärer gerieren.
Am Fall Stöcker zeigt sich aber auch, wie einfach es sich manche seiner Kritiker machen. Sie erklären Stöcker zum Rechtsaußen, um die größtmögliche Distanz zu ihm herzustellen. Dabei dürfte vieles, was Stöcker in dem Interview vertrat, nicht nur bei den Pegida-Demonstranten, sondern bis weit in die vielbemühte Mitte der Gesellschaft Konsens sein. Vor allem aber fällt bei Stöcker auf, dass er Geflüchtete eben nicht als arme Opfer darstellt, die praktisch durch Not oder politische Verfolgung zu der gefahrvollen Flucht über das Mittelmeer gezwungen sind und denen wir einen Opferstatut zusprechen. Wenn er die Menschen, die den Transfer über das Mittelmeer wagen, als „reiselustige Afrikaner“ bezeichnet, dann nimmt er sie ernster als manche, die in den Menschen vor allem hilfebedürftige Opfer sehen.
Tatsächlich ist der Transfer über das Mittelmeer für die überwiegende Mehrheit der Beteiligten das
Ergebnis einer langen Entscheidung, die sie mit Verwandten, Nachbarn und Freunden getroffen haben. Es gibt in Afrika durchaus Diskussionen über diesen gefährlichen Transfer nach Europa. Viele fragen sich, ob es nicht sinnvoller wäre, im eigenen Land ein selbstbestimmtes Leben aufzubauen, statt in Europa entrechtet zu werden. Unter dem Slogan „Autonomie der Migration“ [5] wenden sich auch viele Organisationen der Geflüchteten und antirassistische Gruppen gegen die Lesart von den armen Flüchtlingen, die man nur als arme Opfer unterstützen will. Es fragt sich, ob viele derjenigen, die nun Refugees willkommen heißen, auch reisefreudige Afrikaner, die sich hier ein besseres Leben erhoffen, so offen aufnehmen würden. Doch solche Diskussionen kommen nach dem Stöcker-Interview erst gar nicht auf, wenn man nur schnell genug in den Empörungsmodus verfällt oder den Rechtsweg bestreitet.
Die 89er Bewegung in der DDR äußert sich zu Pegida
Auch der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Friedrich Schorlemer ist empört über Pegida. Ihm missfällt vor allem, dass die Pegida-Demonstranten Slogans des Herbstes 1989 skandieren. „Der Freiheitsruf ‚Wir sind das Volk‘ habe sich 1989 gegen die Mächtigen gerichtet. Heute würde er von politisch Enttäuschten und Verblödeten nachgebrüllt und in seinem Sinn verkehrt“, monierte [6] Schorlemer im Deutschlandfunk.
Er versäumt es dabei aber, kritisch zu reflektieren, dass bereits im Herbst 1989 aus der Parole „Wir sind das Volk“ bei vielen „Wir sind ein Volk“ wurde, was sich in Angriffen gegen Geflüchtete niederschlug. Schon damals haben viele das Fazit gezogen, dass jedes Berufen auf das Konstrukt Volk, ob im Plural oder Singular, emanzipatorischen Bestrebungen entgegensteht.
Schorlemer reagierte mit seiner Absage an Pegida auf einen Artikel [7] in der Zeit, in der der angebliche Missbrauch der Montagsdemonstrationen durch die Rechtspopulisten moniert wurde. Unter den Titel „Weihnachtsgruß von Neunundachtzigern 25 Jahre nach dem Mauerfall“ erklärten auch die linken DDR-Oppositionellen Bernd Gehrke, Thomas Klein und Reinhart Schult eine entschiedene Absage an die Rechtspopulisten ohne jeden Volksbezug. In klaren Worten und ohne einen Bezug auf ein angeblich besseres Deutschland widersprechen sie der Pegida-Ideologie:
„Wir sind das Volk ruft ihr
Freiheit Toleranz Welt offen meinte das ’89
Visa frei bis Hawaii war die Devise
Und: Die Mauer muss weg
Ihr aber wollt:
Visa frei nur für uns
Die Mauer muss weg nur für uns
Die Mauer muss her am Mittelmeer
25 Jahre nach Mauerfall“
Es wird auch ohne viele Verrenkungen und jedes „Ja, aber“ den Pegida-Verstehern aller Parteien Paroli geboten:
„Auf euer Abendland haben wir ’89 gepfiffen
Darauf pfeifen wir auch heute
Unsere Solidarität den Flüchtlingen.“
Ein Wintermärchen für Pegida
Schorlemer sah allerdings auch durch die Pegida die Weihnachtsbotschaft in Verruf missbraucht und klassifizierte sie als dumm. Damit nimmt er aber die Positionen der Pegida nicht ernst und verharmlost sie sogar noch. Dass die Organisatoren von Pegida durchaus strategisch denken, zeigt gerade das am letzten Montag aufgeführte Weihnachtssingen, das von Schorlemmer besonders kritisiert wurde. Es ist nämlich ein Versuch der Kooperation mit christlichen Kulturkämpfern, die ihre Religionspraktiken von modernen Diskussionen rein halten wollen.
Die wochenlange Debatte in Holland [8], ob der schwarz angemalte Nikolaus-Gehilfe „Zwarte Piet“ rassistisch ist, zeigte die Brisanz des Themas, aber auch die Aktionsmöglichkeiten von
rechtspopulistischen Bewegungen. In Frankreich geriert sich der rechte Front National als Verteidiger der Weihnachtskrippen in Rathäusern [9], die der von der Französischen Revolution verfügten Trennung von Kirche und Staat widersprechen.
In Deutschland wird versucht, eine solche Diskussion künstlich zu erzeugen. Dabei hat Bild
eine Vorreiterrolle übernommen. Wenn das Boulevardblatt polemisch fragt [10]: „Sind das christliche Erbe, unsere Kultur, unser Selbstverständnis, unser Wertekanon, auf das Treiben einer „Religionsgemeinschaft“ geschrumpft?“, argumentiert die Zeitung wie Pegida. Die Taz hat gezeigt [11], dass die ganze rechtspopulistisch unterfütterte Aufregung ein Wintermärchen ist. Kurz vor Weihnachten lieferte Bild dann eine Fortsetzung dieses Weihnachtsmärchens für Pegida.
Bild machte mit der Schlagzeile auf: „Muslimische Lieder im Weihnachts-Gottesdienst“ [12]und behauptete, hierbei handele es sich um die Forderung von Politikern und vom Zentralrat der Muslime. Bild sprach moderat von einem Versöhnungsvorschlag. Der Pegida-Versteher kann daraus schließen, dass „uns“ jetzt sogar noch die Weihnachtskultur genommen werden soll. Der CSU-Politiker Wolfgang Bosbach fungierte als parlamentarischer Arm dieses Unverständnisses und erklärte: Weihnachten ist kein Hochamt für Multikulti [13].
Der Grünen-Politiker Omid Nouripour, der nach den Bild-Artikel mit rassistischen Beschimpfungen bedacht wurde, stellte [14] mittlerweile richtig, dass nicht er muslimische Weihnachtslieder im Weihnachts-Gottesdienst gefordert hat, sondern von einer Bild-Reporterin zu einer Erklärung in dieser Sache animiert wurde.
„Am letzten Dienstag rief mich eine Journalistin der BILD-Zeitung an und fragte mich, ob ich bereit wäre die Forderung zu erheben, als Zeichen des friedlichen Zusammenlebens in Kirchen zu Weihnachtszeit ein islamisches Lied gesungen werden soll. Der Kontext sei die übliche „gute Nachrichten“-Ausgabe der BILD-Zeitung vor Weihnachten. Meine Antwort war, dass die Forderung nur dann Sinn mache, wenn dann auch Weihnachtslieder in der Moschee gesungen werden würden. Das ist alles.“
So hat Bild auf seine Weise mit dazu beigetragen, dass Pegida nicht die Unterstützung ausgeht. „Vom Untergang des Abendlandes kann Bild ein Lied singen“, heißt [15] es treffend auf Bildblog.
Trotzdem würde sich das Blatt wahrscheinlich problemlos in einen Aufstand der Anständigen anschließen, den Ex-Bundeskanzler Schröder kürzlich gegen Pegida forderte [16].
Die Debatten der letzten Tage zeigen, dass viele, die vordergründig mit Pegida nichts zu tun haben wollen, ihnen Zulauf verschaffen, andere mit Pegida um den Volksbegriff streiten oder noch einen deutschen Volksauflauf unter dem Label „Aufstand der Anständigen“ initiieren wollen. Dabei machen die DDR-Oppositionellen deutlich, dass einige Klarstellungen ohne Wenn-und-aber-Ausflüchte ausreichen, um Pegida Paroli zu bieten.
http://www.heise.de/tp/news/Aufstand-der-Anstaendigen-oder-vom-Eiertanz-um-Pegida-2506501.html
Peter Nowak
Links:
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