Alternativen für Friedensfreunde

Die sogenannten Montagsmahnwachen haben in der traditionellen Friedensbewegung für Verstimmung gesorgt. Bei einer Konferenz in Hannover schien das keine Rolle mehr zu spielen.

»Viele Menschen wollen gegen Kriege aktiv werden«, erklärte Susanne Grabenhorst kürzlich in einem Interview mit dem Neuen Deutschland. Die Vorsitzende der deutschen Sektion der Internationalen Ärzte zur Verhinderung des Atomkriegs (IPPNW) war Mitorganisatorin einer Aktionskonferenz der Friedensbewegung in Deutschland, die am zweiten Oktoberwochenende in Hannover tagte. Doch die Proteste, auf die man sich dort geeinigt hat, hören sich eher bescheiden an. Im Rahmen einer dezentralen Aktionswoche, die vom 9. bis zum 14. Dezember stattfinden soll, sind Demonstrationen in Berlin, Hamburg, München, Leipzig und Düsseldorf geplant. Der Charakter der Aktionen dürfte traditionell ausfallen und im Flaggezeigen bestehen. »Der Tag der Menschenrechte am 10. Dezember soll ein ›Friedensfahnentag‹ werden, an dem ›Peace-Fahnen‹ in den Regenbogenfarben und andere Friedensfahnen das Bild prägen«, konkretisiert Grabenhorst, wie eine solche dezentrale Aktion aussehen soll.

Über Kontroversen auf der Konferenz erfährt man in ihrem Interview hingegen nichts. Dabei müsste es genügend Anlass für Streit gegeben haben. Interessant wäre zu erfahren, wie die versammelten Friedensfreunde den Ukraine-Konflikt beurteilt haben. Es wäre beunruhigend, wenn es bei diesem Thema auf der Konferenz nicht zu Kontroversen gekommen wäre. Schließlich wird zurzeit darüber in Internetforen und in Medien verschiedener linker Spektren heftig gestritten. Der Sozialwissenschaftler Mathias Wörsching wurde bereits angegriffen, weil er in einem Debattenbeitrag für das Magazin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) vor » linken Illusionen über den Putinschen Bonapartismus« gewarnt und sich für einen »Antimilitarismus auf der Höhe der Zeit« ausgesprochen hatte. »Der Platz antifaschistisch und antimilitaristisch denkender Menschen ist nicht an der Seite Russlands, der USA oder eines anderen geopolitischen Spielers und auch nicht an der Seite ukrainischer oder russischer Nationalisten. Unser Platz ist bei den linken und antifaschistischen Bewegungen in der Ukraine und Russland, so sehr diese auch an den Rand gedrängt sein mögen«, bezieht Wörsching eine Position, die sich inhaltlich von einer bestimmten Fraktion der Friedensfreunde abgrenzt. Es geht um die Montagsmahnwachen für den Frieden und gegen die Fed, die über Monate neben naiv unpolitischen Menschen auch Verschwörungstheoretiker jeglicher Couleur angezogen haben.

Noch im Frühsommer gingen Vertreter der traditionellen Friedensbewegung wie Peter Strutynski auf Distanz zu diesen Mahnwachen. Dafür wurden sie auf den Webseiten der Initiatoren in typisch neurechter Diktion als Hetzer beschimpft, die »Informationsjauche« ausschütten würden. Mittlerweile scheint die antifaschistische Firewall nicht mehr zu funktionieren. »Es waren Protagonisten der Mahnwachen aus etlichen Städten dabei, darunter Dortmund, Berlin, Düsseldorf, München, Hamburg. Dass die Mahnwachen ein gleichberechtigter Teil der Friedensbewegung sind, war so klar, dass darüber nicht mehr diskutiert wurde«, sagte Andreas Grünwald vom Hamburger Forum für Frieden und Völkerverständigung über die Konferenz in Hannover.

Die Kritik an den rechten und verschwörungstheoretischen Inhalten der Friedenswachen bezeichnet Grünwald »teilweise als richtige Hetze« und übernimmt sogar die Wortwahl der Angriffe von Protagonisten der Montagsmahnwachen, die sich gegen Strutynski und andere Kritiker aus den Reihen der Friedensbewegung gerichtet hatten. Dennoch lobte Grünwald »die sachliche und respektvolle Debatte in Hannover«. Für den Hamburger ist klar, dass die Friedensbewegung »viele Schichten bis in das konservative Milieu« erreichen müsse und sich nicht als ausschließlich linke Bewegung verstehen dürfe. Das war die deutsche Friedensbewegung ohnehin nie. Linke Kritiker wie der Publizist Wolfgang Pohrt klassifizierten sie Ende der achtziger Jahre als »deutschnationale Erweckungsbewegung«, die Massen als potentielle Opfer der Großmächte halluzinierte. Derzeit muss man die Frage stellen, ob eine Friedensbewegung, wie sie Grünwald vorschwebt, überhaupt noch eine Plattform für Linke sein kann. Schließlich gibt es schon längst Alternativen.

Seit einiger Zeit hat sich eine neue Antimilitarismusbewegung herausgebildet, die sich in Wortwahl und Aktionsformen von der deutschen Friedensbewegung unterscheidet. Sie richtet nicht Appelle an UN und Großmächte und sieht im Schwenken der Peace-Fahne nicht die wichtigste Aktionsform. Stattdessen widmet sie sich den verschiedenen Orten in Deutschland, an denen Kriege vorbereitet werden, die aber oft nicht im öffentlichen Bewusstsein stehen. So werden seit einigen Jahren von der Kampagne »Bundeswehr wegtreten aus dem Jobcenter« in mehreren Städten Werbeveranstaltungen gestört, bei denen jungen Menschen der Beruf des Soldaten oder der Soldatin nahegebracht werden soll. Eine feste Größe im Engagement dieser neuen Antimilitarismusbewegung ist das Gefechtsübungszentrum GÜZ in der Altmark in der Nähe von Magdeburg. Dort trainiert die Bundeswehr die Bekämpfung von Aufständen.

Nur wenige Kilometer vom kleinen Städtchen Letzlingen wird derzeit eine Großstadt mit Hochhäusern und U-Bahn-Stationen aufgebaut. 2017 soll der »urbane Ballungsraum Schnöggersburg« fertiggestellt worden sein. Wohnen wird dort kein Mensch. Schnöggersburg soll das Zentrum von Europas größtem Gefechtsübungszentrum werden, Bundeswehrsoldaten sollen sich dort auf Auslandseinsätze vorbereiten und für den Krieg im urbanen Raum trainieren. Dafür wurden auch afghanische und kosovarische Orte in der Heide nachgebaut. Für Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) ist das GÜZ ein wichtiger Baustein der deutschen und europäischen Militärpolitik. »Hier werden die Bundeswehrsoldaten unmittelbar auf laufende Militär­einsätze, darunter auch alle zukünftigen Interventionskriege, vorbereitet. Das GÜZ ist für viele Soldaten die letzte Station vor dem Auslands­ein­satz«, erklärt Pflüger. Doch auch die Zerschlagung von Protesten wird im GÜZ geprobt. Dreimal organisierten Antimilitaristen aus verschiedenen europäischen Ländern in der Nähe des GÜZ im Sommer ein antimilitaristisches Camp. Ein Vorbereitungstreffen für das Camp im kommenden Jahr soll am 22. November in Magdeburg stattfinden.

Auch über solche Protestcamps hinaus ist die neue Antimilitarismusbewegung nicht untätig. So protestierte sie mit einer Fahrraddemons­tra­tion gegen die von der Deutschen Gesellschaft für Militärtechnik in Berlin organisierte »International Urban Operations Conference«, ein Lobbytreffen von deutscher Politik und Rüstungsindustrie. Das Motto der Antimilitarismusbewegung »War start’s here« wurde auch bei einer Demonstration, die Ende September im nordrhein-westfälischen Kalkar stattfand, verwendet. Die Stadt war lange ein wichtiges Ziel der Anti-AKW-Bewegung, weil dort ein Standort für einen Schnellen Brüter geplant war. 1985 wurde das Atomkraftwerk Kalkar fertig gestellt, aber nie in Betrieb genommen. Mittlerweile werden von einer Einrichtung der Nato in einer Kaserne am Stadtrand von Kalkar internationale Drohneneinsätze koordiniert. Bei der Vorbereitung der Demonstration in Kalkar kam es übrigens zur Kooperation von Aktivisten der alten Friedens- und der neuen Antimilitarismusbewegung.

http://jungle-world.com/artikel/2014/43/50770.html

Peter Nowak