Der Streit um die Kohl-Interviews zeigt, dass „Birne“ und sein System auch heute noch funktionieren
Geschichte als Historie von sogenannten großen Männern, die von Günstlingen, Neidern und Verrätern umgeben sind und am Ende ihres Lebens abrechnen – eigentlich hatte man geglaubt, eine solche Geschichtsbetrachtung gehörte endgültig der Vergangenheit an. Wer aber dieser Tage das mediale Gezerre um die sogenannten geheimen Kohlinterviews verfolgt (Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle [1]), fühlt sich in eine lange zurückliegende Zeit zurückversetzt. Selbst die zur Hexe stilisierte Frau, die den „großen Mann“ für ihre Zwecke vereinnahmen soll, darf bei dieser Kohl-Saga nicht fehlen.
Kampf um die Bewertung der Kohl-Ära
Dabei geht es neben der persönlichen Eitelkeit des langjährigen Kohl-Vertrauten Heribert Schwan [2] ) auch um einen Machtkampf im Lager der Konservativen. Da gibt es die sogenannten Altkonservativen, die den Zeiten nachtrauen, als die Union Schwule und Lesben offen bekämpfte, Altnazis hingegen nicht ausschloss, sondern höchstens aufs Altenteil schickte, wie einst langjährigen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg Filbinger.
Diese Altkonservativen sahen den Feind bald auch in den eigenen Reihen. Da wären selbstbewusste konservative Frauen wie Rita Süssmuth, Konservative wie Heiner Geissler, die auch mal linke Schriften gelesen haben, oder wie Norbert Blüm verbal auch mal den Sozialen raushängen lassen. Dass es sich hier um Politiker handelte, die schon aus eigenen Karrieregründen an dem Stuhl des ewigen Kanzlers sägten, hat die Abneigung der Altkonservativen gegen den Feind im Innern der Partei noch befördert. Auch Kohl hat nie im Zweifel gelassen, was er von seinen innerparteilichen Gegnern denkt und dafür gesorgt, dass sie in der Partei nichts mehr zu sagen haben.
Dass in den Kohl-Interviews noch einmal unverfälscht der Zorn des Patriarchen im O-Ton zu hören ist und ein solches Buch ein Verkaufserfolg wird, zeigt nur, dass die Altkonservativen, die von der
schönen Zeit der Kohl-Ära träumen, durchaus noch eine Rolle spielen. Der Wahlerfolg der AfD ist ein weiteres Indiz und macht auch deutlich, dass solche altkonservativen Vorstellungen auch bei einer Generation anzutreffen sind, die die Kohl-Ära persönlich gar nicht mehr kennen.
Merkel-Bashing für Kohlfans
Neben Kohls alten Parteifeinden ist da noch die Frau aus dem Osten, die viele Karrierewünsche mancher Jungkonservativer der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts über den Haufen warf. Nun schickt sich diese Frau womöglich noch an, länger im Kanzleramt zu bleiben als Kohl. Die Halbzeit hat sie schon geschafft. Daher greifen immer mal altkonservative Kohlfans in die Tasten, um Merkel auf dem Buchmarkt zu bashen. Inhaltich sind diese Bücher in der Regel zu Recht schnell vergessen.
Vor zwei Jahren machte die als Literaturwissenschaftlerin und Politikberaterin firmierende Isolde Höhler mit ihrem Buch „Die Patin“ [3] Schlagzeilen und demontierte [4] eher sich selbst als ihr Hassobjekt.
Auch der noch immer bekennende Kohl-Fan Heribert Schwan tut zurzeit alles, um hier Höhler noch zu überbieten. Da fällt schon unangenehm auf, wie sehr sich Schwan selber in den Mittelpunkt stellt und nicht verstehen kann, dass Kohl mit ihm gebrochen hat. Das kann er sich nur mit dem geheimnisvollen Wirken von Kohls aktueller Lebenspartnerin erklären. Sie nimmt in Schwans Denke die Rolle der intriganten Frau ein. Einige Zeit vorher hätte man sie als Hexe klassifiziert und behandelt. Hier wird auch ein Familien- und Frauenbild deutlich, das diese Altkonservativen weiter pflegen und wahrscheinlich mit dem Objekt ihrer Begierde teilen. Schließlich war es ihnen höchstens ein Schulterzucken wert, dass nach dem Selbstmord der Mutter die Kohl-Söhne zumindest mit dem privaten System Kohl abrechneten [5], aber auch dabei nur Skandälchen lieferten.
Das Buch von Heribert Schwan taugt selbst dazu nicht. Denn niemandem ist unbekannt, wie Kohl über seine inner-und außerparteilichen Gegner dachte, genau dafür lieben sie ihn und deswegen wollen sie es nochmal lesen. Die Zeiten, wo es noch eine kleine außenpolitische Affäre auslöste, dass der noch amtierende Kanzler Kohl Gorbatschow 1986 mit dem NS-Propagandisten Goebbels verglich [6], sind vorbei. Das wurde von der Mehrheit seiner Wähler genauso goutiert, wie die von Kohl eingefädelte Ehrung von SS-Angehörigen auf einen Friedhof bei Bitburg, worüber sich jüdische Linke in den USA [7], nicht aber die Kohlgegner in Deutschland empörten. Wenn man in Schwans Buch einige unfreundliche Zeilen über den ehemaligen sowjetischen Staatschef liest, von Bitburg findet man dort natürlich kein Wort, zuckt man heute nur mit den Schultern.
Birne und sein System
Die Insidergespräche können bei den Teilen der Bevölkerung, die schon vor 20 Jahren Kohl als Birne verspotteten, Aha-Erlebnisse vermitteln. Das System Kohl war tatsächlich so banal, bräsig und dumpf, wie sie es damals schon ahnten.
Der Fehler der Kohl-Gegner war nur, dass sie nicht berücksichtigten, dass auch ein Großteil der Wählerinnen und Wähler in Deutschland sich darin wiedererkannten und daher die Ära Kohl durch Wahlen auf 16 Jahre ausdehnten. Jetzt rennen sie in die Buchläden, um die neuesten Worte des alten Patriarchen Schwarz auf Weiß zu lesen.
http://www.heise.de/tp/news/Oggersheimer-Geschichtslektionen-2413180.html
Peter Nowak
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