„Wir werden nicht vergessen und vergeben“

Die Rede des palästinensischen Präsidenten vor der UN zeigt die Hoffnungslosigkeit für einen Friedensprozess

Reden von palästinensischen Führungspersonen vor der UN-Vollversammlung sorgen seit langem für weltweite Aufmerksamkeit. So inszenierte sich Jassir Arafat 1974 [1]vor der UN als Freiheitskämpfer und brachte sogar eine Waffe mit in den Plenarsaal. Für einen großen Teil der antiimperialistischen Gruppierungen jener Zeit waren Arafat und die PLO nach dieser Rede zu Sympathieträgern geworden. Für Israel und seine Unterstützer war sie ein weiterer Beleg, dass mit diesen Gruppen und ihrem Personal kein Frieden möglich ist.

40 Jahre später sorgt wieder die Rede einer palästinensischen Führungsperson vor der UN-Vollversammlung für Aufregung. Mahmud Abbas, dessen Amtszeit als palästinensischer Präsident eigentlich schon längst abgelaufen ist und der intern durch den Konflikt mit der Hamas geschwächt ist, ging explizit auf Arafats UN-Auftritt ein und richtete scharfe Vorwürfe gegen Israel.

Die israelische Armee habe im Gazakrieg schwere Kriegsverbrechen begangen, erklärte Abbas.“Wir werden nicht vergessen und wir werden nicht vergeben“, rief Abbas. Er kündigte an, die Verantwortlichen wegen Kriegsverbrechen verfolgen zu lassen. Propagandistisch war seine Erklärung, dass die Stunde der Unabhängigkeit für Palästina begonnen habe. Allerdings blieb es bei diesen Bekenntnissen. Konkrete Schritte oder Termine unterblieben – und das hatte seinen Grund. Abbas hat gar keine Möglichkeiten, diesen Vorsatz in die Tat umzusetzen.

Weltpolitische Ereignisse isolierten Palästina

Im Unterschied zu 1974, als Arafat von einen großen Teil der UN-Vertreter hofiert wurde, hat die Veränderung der weltpolitischen Lage die Unterstützung für die palästinensische Sache schrumpfen lassen. Schon mit dem Ende des nominalsozialistischen Lagers brachen viele Unterstützer weg. Dann sorgte der zweite Golfkrieg dafür, dass auch im arabischen Lager die Gegner der PLO stärker wurden, weil Arafat damals auf Saddam Hussein setzte. Mit den Umbrüchen in den arabischen Ländern, die als Arabischer Frühling bekannt wurden, verstärkten sich die innerarabischen Differenzen.

So führte der Aufstand in Syrien, der sich in zu einem Bürgerkriegentwickelte, in dem die Regionalmächte Iran und Saudi-Arabien um die Hegemonie kämpften, dazu, dass ehemalige Unterstützer bestimmter palästinensischen Fraktionen zu Gegnern wurden.Besonders die Hamas bekam das zu spüren, weil sie sich den islamistischen Gegnern gegen das Baath-Regime annäherte. Der Aufstieg des IS überlagert nun zeitweise den Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, aber er ist nur zeitweise stillgelegt. Die palästinensische Sache gerät damit nur noch mehr in den Hintergrund.

Wenig Kooperationspartner in Israel

Auch die innenpolitische Entwicklung in Israel wirkt sich zuungunsten Palästinas aus. Während noch in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts auch linkszionistische Kreise auf einen Frieden mit Palästina hinarbeiteten, eine Zwei-Staaten-Lösung anvisierten und dafür Gesprächspartner im
palästinensischen Lager suchten, sind solche Positionen in der israelischen Gesellschaft weitgehend marginalisiert. Dazu trugen demografische Veränderungen bei, die noch dem Arbeiterzionismus nahestehende Einwanderer aus Europa gegenüber Zuwanderern aus Osteuropa, besonders aus Russland, in die Minderheit geraten ließen. Diese sehen die Priorität in einer Politik der Stärke und einen möglichen Friedensvertrag mit den Palästinensern nicht als vordringlich an.

Der gegenwärtige israelische Außenminister Avidgor Liebermann ist ein Protagonist dieser Strömungen, die damit argumentieren, dass es auf palästinensischer Seite keine Partner für ein Friedensabkommen gäbe. Sie sehen sich durch die Rede von Abbas vor der UN-Versammlung bestätigt. Liebermann warf Abbas vor, „falsche Anschuldigungen“ in seiner Rede vorgebracht zu haben und sprach sogar von „diplomatischen Terrorismus“. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu klassifizierte die Abbas-Rede ähnlich.

Auch US-Politiker schlossen sich dem Urteil an. Die Sprecherin des US-Außenministeriums monierte, die Rede von Abbas habe „provozierende Äußerungen“ enthalten, sei kontraproduktiv und untergrabe die „Anstrengungen zur Schaffung einer positiven Atmosphäre“. Doch diese
Klassifizierungen sind ebenso propagandistisch und berechnend wie auf anderer Ebene die Abbas-Rede. Mit der Kritik an der Abbas-Rede versucht die Obama-Administration, die Kluft zu überwinden, die sich zwischen ihr und der israelischen Regierung in den letzten Monaten aufgetan hat. Lange waren die Beziehungen zwischen beiden Staaten nicht so schlecht wie aktuell. Mit der gemeinsamen Kritik an der Abbas-Rede werden die Gegensätze nur scheinbar überbrückt.

Tatsächlich richtete sich die Abbas-Rede an die palästinensische Bevölkerung, was schon der Bezug auf den Arafat-Auftritt 1974 zeigt, der in palästinensischen Kreisen mystifiziert wird. Abbas will sich gegenüber der islamistischen Hamas und anderen Gruppierungen als starker Vertreter der palästinensischen Sache profilieren. Wenn er schon keine ökonomische und politische Macht hat, um wirkliche Veränderungen durchzusetzen, muss die Beschwörung einer gemeinsamen nationalen Zukunft diese Leerstelle füllen. So funktionieren alle Projektionen auf Nationen und insofern ist Abbas da nicht besonders originell.

Vertrauen zwischen Israel konnte er mit seiner Rede schon deshalb nicht zerstören, weil es das seit dem Scheitern des Osloer Friedensprozesses nicht mehr gibt. Wer dafür dieVerantwortung trägt, ist seitdem ein großer Streitpunkt, nicht nur zwischen Israel und Palästina, sondern auch zwischen israelsolidarischen und propalästinensischen Gruppierungen in aller Welt, besonders auch in Deutschland.

Symptom der Sprachlosigkeit

Die Marginalisierung des israelischen Friedenslagers hat seine Ursache nicht zuletzt darin, dass zwischen Israel und Palästina völlig unterschiedliche Vorstellungen über die Ergebnisse des Osloer Prozesses bestanden. Auch viele israelische Friedensaktivisten wussten keine Antwort mehr auf die Frage, wie es noch zu einem Übereinkommen kommen könne. Als dann der islamistische Terror immer massiver wurde, mit dem die israelische Zivilgesellschaft bereits in den 90er Jahren konfrontiert war, wurde das Friedenslager noch weiter dezimiert.

Die Abbas-Rede und die Reaktionen aus Israel sind denn auch eher die Beschreibung eines Zustands der Sprachlosigkeit zwischen beiden Lagern. Viele Israelis sehen das Projekt eines Friedensvertrags zumindest für die nächste Generation als nicht auf der Tagesordnung stehend. Das sehen auch viele Palästinenser ähnlich, was den Zulauf zu den verschiedenen islamistischen Gruppierungen erklärt, die die Zukunft in einen imaginären Jenseits versprechen. Insofern markieren die Rede von Abbas und die Reaktionen aus den Israel den Status Quo.

Wie es zu einem Friedensprozess kommen könnte, der vielleicht nicht zu zwei Staaten führt, aber zu einem Gemeinwesen, in dem alle Menschen mit gleichen Rechten leben können, ist eine Frage an die Zukunft.Sicher aber ist wohl, dass die Protagonisten nicht die Politiker beider Lager sein werden, sondern die Initiativen und Gruppierungen, die bereitsheute über die nationalen und ethischen Grenzen hinweg eine Kooperation leben und praktizieren.

http://www.heise.de/tp/news/Wir-werden-nicht-vergessen-und-vergeben-2404836.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.wrmea.org/1994-november-december/plo-chairman-yasser-arafat-s-first-appearance-at-the-united-nations.html