Entzivilisierung in Zeiten von Ebola

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Tour de France mit Renault

Das Renault-Werk in Boulogne-Billancourt war einst die Hochburg der Arbeiterbewegung in Frankreich. Heute erinnert man sich dort wehmütig der alten Zeiten.

»Hier war schon morgens vor Schichtbeginn die Hölle los«, sagt Emmanuelle Dupuy. Sie steht auf dem Vorplatz der Fabrik in Boulogne-Billancourt in unmittelbarer Nähe von Paris. Heutzutage kann man aufgrund der dichten Verkehrsverbindungen zur französischen Hauptstadt so dicht, dass man gar nicht mehr erkennen, dass es sich um einen eigenen Ort handelt. Auf den ersten Blick wirkt der Ort mit seinen umweltgerecht gebauten Bungalows, für die viel Glas und Holz verwendet wurde, wie einer jener Orte der Medien- und Kommunikationsindustrie, die in den vergangenen Jahrzehnten am Rande vieler Großstädte der Welt aus dem Boden geschossen sind.

Doch Billancourt war einst das Herz des fordistischen Frankreich. Hier hatte das Renault-Stammwerk seinen Sitz. Vor Schichtbeginn versammelten sich hier jeden Morgen Tausende Beschäftige auf dem Platz. Dupuy war eine von ihnen: »Hier waren überall kleine Cafés, wo wir uns morgens um sechs Uhr erst einmal einen café calva, einen Kaffee mit viel Rum, genehmigten, bevor wir durch das Tor schritten, hinter dem das Fabriksystem mit Fließband und Stechuhr regierte«, erinnert sie sich. »Das war eher Rum mit Kaffee«, berichtigt Robert Kosmann seine frühere Kollegin lachend. Die beiden ehemaligen Renault-Beschäftigten sind längst pensioniert. Heute sind sie nach Billancourt gekommen, weil sie einer Gruppe von Basisgewerkschaftern aus Deutschland etwas von der Zeit vermitteln wollen, als hier noch der Renault vom Band lief.

»Tour de France« nennt sich diese alljährliche einwöchige Erkundungsfahrt ins Paris der sozialen Revolten und Arbeitskämpfe. »Unsere Besuche begannen in den neunziger Jahren«, sagt der Basisgewerkschafter Willi Hajek, der die sozialen Bewegungen Frankreichs gut kennt. 1995 begeisterte der große Streik der Eisenbahner in Frankreich auch in Deutschland viele Gewerkschafter. Schließlich warteten die französischen Kollegen nicht, bis ihnen ein Gewerkschaftsvorstand das Signal zum Kampf gab. Sie gründeten Streikkomitees und entschieden dort gemeinsam über den Ablauf und die Dauer ihres Arbeitskampfes. Damals fragten sich auch manche Gewerkschafter hierzulande, wann sie auch in Deutschland endlich französisch reden lernen, erst einmal mit den eigenen Gewerkschaftsvorständen, die selbstorganisierte Kämpfe behindern, und dann mit den Bossen, wenn es um den Kampf um höhere Löhne und Arbeitszeitverkürzung geht. »Kämpfen wie in Frankreich«, lautete damals eine häufige Parole.

Ohne Zeitzeugen wie Emmanuelle Dupuy und Robert Kosmann wäre von der langen Geschichte von Renault nur das legendäre Tor zu sehen, durch das alle Arbeiter schreiten mussten. Neben einer Werbetafel, auf der die modernsten Lofts und Workspaces für die Arbeit im Internetzeitalter beworben werden, wirkt es wie ein Museumsstück aus einer längst vergangenen Epoche. Und doch bestimmte es jahrzehntelang für Dupuy, Kosmann und viele Tausende Menschen den Alltag. Hinter dem Tor begann für sie nicht nur die Welt der Fließbänder und Stechuhren, die den Takt der Arbeit bestimmten. Für sie war die Fabrik auch verbunden mit aktiven Betriebszellen der Gewerkschaft, die mit roten Fahnen durch das Tor marschierten, wenn sie wieder einmal einen Arbeitskampf beschlossen hatten. Das kam bei Renault sehr häufig vor. Schließlich trug das Werk lange Zeit den Beinamen »rote Festung«. Für die einen war es ein Kompliment, für die anderen eine Drohung.

Auf vielen Fotos sieht man die Arbeiterkollektive, die sich auf dem Vorplatz versammelt hatten. Oft begann der Ausstand mit einer lauten Demonstration über das Fabrikgelände. Kampfparolen wurden gerufen und die noch unentschlossenen Kollegen aufgefordert, sich dem Streik anzuschließen. Am Ende einer solchen Demonstration gab es nur wenige, die sich dem Arbeitskampf verweigerten. Schließlich spielten in der Fabrik nicht nur zu Streikzeiten politische und gewerkschaftliche Themen eine wichtige Rolle.

Lange Zeit war das Renault-Werk eine Hochburg der CGT, der der Kommunistischen Partei Frankreichs nahestehenden Gewerkschaft. Zahlreiche Arbeiter engagierten sich in den Betriebszellen von CGT und FCP. Das war die Welt der kommunistischen Gewerkschafter, deren Tod der Filmemacher Chris Marker in seinem berühmten Film »Rot liegt in der Luft« eine Sequenz gewidmet hat. Für diese Generation aktiver Arbeiter war das Engagement in der Gewerkschaft und in Parteibetriebszellen ein wichtiger Teil ihres Lebens. Die Fabrik wurde als Gesellschaft im Miniaturformat verstanden.

In den siebziger Jahren, als der Film von Chris Marker die linke Öffentlichkeit beschäftigte, war dieser Arbeitertypus auch bei Renault bereits in die Minderheit geraten. Die durch den gesellschaftlichen Aufbruch von 1968 sozialisierte Arbeitergeneration war nicht mehr davon überzeugt, dass sich im Betrieb die Gesellschaft im Kleinen abbildet, und sie stellte sich auch die Frage, ob sie in einer Gesellschaft leben will, die wie eine Fabrik organisiert ist. Sie hinterfragte das linke Arbeitsethos und die Hierarchien in den Gewerkschaften. Für diese Menschen war der Feminismus kein Nebenwiderspruch mehr und Ökologie kein Mittelstandsproblem. Sie organisierten sich in linken Gruppen wie der Gauche Prolétarienne, der proletarischen Linken, die nach dem Mai 1968 auch bei Renault Anhänger fand. Schnell geriet diese junge Betriebslinke mit der CGT in Konflikt, die ihre Hegemonie im Werk von links bedroht sah.

Im Film »Reprise« von Hervé Le Roux steht eine junge Arbeiterin im Mittelpunkt, die sich am Ende eines Streiks weigert, die Arbeit wiederaufzunehmen und sich wieder dem Takt der Stechuhr zu unterwerfen. Auf der einen Seite stehen Mitglieder der CGT, die sie zum Betreten der Fabrik bewegen wollen, auf der anderen Seite bestärken Mitglieder verschiedener linker Oppositionsgruppen die Frau in ihren Entschluss, nicht zur Arbeit zurückzukehren. Diese Auseinandersetzung spielte sich vor den Toren der Fabrik Wonder in Saint-Ouen ab. Aber sie steht für ein Muster, das sich in den siebziger Jahren vor vielen Fabrikstandorten wiederholte, auch vor dem Eingang von Renault.

Die beiden Kollegen können sich an viele solcher Situationen erinnern. »Hier standen die CGT-Redner, die die Arbeiter aufforderten, sich nicht von ultralinken Provokateuren beeinflussen zu lassen«, erinnert sich Dupuy an Auseinandersetzung über das Ende eines Arbeitskampfes bei Renault und zeigt auf den großen Platz. »Auf der anderen Seite standen die Redner von verschiedenen linken Gruppen, die an die Kollegen appellierten, sich nicht von den Reformisten der CGT in die Irre führen zu lassen und den Kampf mit einem eigenen Komitee fortzusetzen.« Die Auseinandersetzung wurde per Megaphon und mit großer Lautstärke ausgetragen. Einige Übereifrige auf beiden Seiten sparten dabei auch nicht mit Schimpfwörtern und Verbalinjurien in die Richtung der jeweils anderen Seite.

Gelegentlich blieb es nicht dabei. Der Ordnerdienst der CGT war dafür bekannt, dass er Kritiker der Vorstandslinie auch mit Gewalt von Aktionen abhielt. Aber auch die linken Konkurrenten, oft maoistischer Provenienz, gingen körperlichen Auseinandersetzungen nicht aus dem Weg, wenn es gegen die verhassten »Sozialimperialisten« ging. Ein Großteil der Arbeiter stand zwischen den verfeindeten Fronten und sah sich das Schauspiel kommentarlos an, erinnern sich die beiden Gewerkschafter. Solche Episoden scheinen heute ebenso aus einer anderen Epoche zu stammen wie das Renault-Tor. Dupuy und Kosmann müssen darüber lachen, wenn sie verwundert feststellen, wie überzeugt doch alle Beteiligten waren, die Gesellschaft auf ihrer Seite zu haben.

Heute ist die rote Arbeiterfestung Renault geschleift. Die Betriebsgebäude sind längst abgerissen. Neben dem Tor sind als steinerne Zeugnisse noch einige Verwaltungsgebäude sowie Büsten der Firmengründer in Billancourt zu finden. Das Renault-Museum, das Zeugnisse der Firma von der Gründung 1898 bis zur Gegenwart dokumentiert, hat sein Domizil in einem modernen gläsernen Gebäude, das perfekt zum neuen Billancourt als Standort der Medien- und Kommunikationsbranche passt. Die Tafeln geben einen ausführlichen Einblick in die technische, aber auch die soziale und gesellschaftliche Entwicklung dieses Automobilkonzerns. Natürlich wird die Firmengeschichte zur Eloge auf den Firmengründer und seiner Familie.

Der Weihnachtsabend 1898 war für Louis Renault ein unerwarteter Erfolg. Gleich zwölf seiner »Autochen« sollte er den betuchten Kunden liefern. »Natürlich fängt Louis umgehend mit der Produktion an, und selbstverständlich steht es außer Frage, dass die Brüder nun ein eigenes Unternehmen gründen werden«, heißt es da. Hatte er nicht mindestens einen Monteur dabei?, möchte man da im Sinne von Bertolt Brechts »lesendem Arbeiter« fragen.

Dass schließlich auch die gewerkschaftlichen und sozialen Kämpfe in der Ausstellung ihren Platz finden, kann sich die Geschichtskommission der ehemaligen Renault-Beschäftigten zugute halten. Dupuy und Kosmann sind dort seit Jahren tätig. Erst dort haben sie sich kennengelernt. Sie arbeiteten nicht nur in verschiedenen Abteilungen, sie waren auch in unterschiedlichen Gruppen der radikalen Linken organisiert, Dupuy in einer trotzkistischen Gruppe und Kosmann in der Gauche Proletarienne. Doch diese Unterschiede spielen heute für die beiden keine Rolle mehr. In der Geschichtskommission arbeiten auch Kolleginnen und Kollegen mit, die der CGT und anderen Gewerkschaften angehörten. Sie wollen verhindern, dass die Geschichte von Renault in dem Museum als eine Erzählung wagemutiger Unternehmerpersönlichkeiten und bahnbrechender technischer Erfindungen präsentiert wird. Ein Gang durch die umfangreiche Ausstellung zeigt, dass ihnen das an vielen Stellen gelungen ist. Auf mehreren Tafeln wird ausführlich die große Streikbewegung von 1936 gezeigt, als die Arbeiter während der Volksfrontregierung durch spontane Massenstreiks große soziale Errungenschaften wie bezahlten Urlaub erkämpften. Auch die Auseinandersetzung bei Renault nach dem Aufbruch von 1968 wird in Bild und Text ausführlich dokumentiert.

Doch für Dupuy und Kosmann ist klar, damit die Kämpfe bei Renault und in anderen Fabriken nicht nur im Geschichtsmuseum landen, braucht es Organisationen und politische Zusammenschlüsse, die sich auch mit der Frage befassen, was davon heute noch aktuell ist. Daher war Kosmann viele Jahre Koordinator der Solidaires Industrie. Noch heute ist er oft in dem kleinen Gewerkschaftsbüro. In den Räumen sitzen Männer und Frauen unterschiedlichen Alters, die die heutigen Klassenkämpfe in Frankreich koordinieren. Pakete mit Plakaten und Flugblättern sind in dem engen Gang gestapelt. Auch in den Büros liegt Propagandamaterial in großen Mengen. Gerade holt ein junger Mann einen Stapel Plakate ab, auf denen für eine Demonstration gegen die Privatisierung der französischen Bahn mobilisiert wird. Sie beginnt mit großem Lärm an der Bastille, dem traditionellen Versammlungsort von Linken und Gewerkschaftern. Man staunt über die vielen Böller, die dort von Gewerkschaftern gezündet werden. Die Basisgewerkschaft Sud Rail ist mit einem großen Transparent vertreten, auf dem zum unbefristeten Generalstreik aufgerufen wird. Der Slogan »grève reconductible« wird auf dem Weg durch die Pariser Innenstadt ständig skandiert. Manche Passanten stimmen mit ein und heben die Faust zum Gruß. Aber es gibt auch viele, die kaum einen Blick auf die Arbeiterdemonstranten werfen und schnell in den Einkaufszentren verschwinden. Übersehen und überhört werden kann die Demonstration nicht. Immer wieder werden Böller geworfen und die Leuchtfackeln vieler Demonstrationsteilnehmer erzeugen viel roten Nebel.

Neben den sozialen Protesten gehört für viele Gewerkschafter antifaschistische Arbeit nicht erst seit dem Erfolg des Front National bei der Europawahl auf die politische Tagesordnung. Sebastian von Sud Rail breitet ein aktuelles Flugblatt aus, das er mit seinen Kollegen an den Arbeitsplätzen, aber auch in den Briefkästen der Stadtteile verteilt, in denen viele Arbeiter und Menschen mit geringem Einkommen wohnen. Gerade in diesen Bezirken haben die Rechtspopulisten bei den Wahlen viele Stimmen gewonnen. Im Flugblatt wird unter den Stichworten Ungleichheit, Antisemitismus, Sexismus, Homophobie, hysterischer Sicherheitsdiskurs, Nationalismus und Rassismus die Gefahr der Rechten aufgezeigt und für einen offensiven gewerkschaftlichen Antifaschismus geworben. Der Aufstieg der Ultrarechten, ebenso wie die staatlichen Angriffe auf erkämpfte Errungenschaften, etwa die 35-Stunden-Woche, machen aber auch deutlich, dass die Zeiten für eine offensive Gewerkschaftspolitik auch in Frankreich schwieriger geworden sind. Die Parole »Sprechen wir mit den Bossen Französisch« wird heute auch kämpferischen Gewerkschaftern in Deutschland nicht mehr so leicht über die Lippen gehen wie vor 20 Jahren. Aber die Tour de France machte auch deutlich, dass die Tradition des kämpferischen, aufständischen Frankreichs heute nicht nur im Renault-Museum ausgestellt ist.

http://jungle-world.com/artikel/2014/33/50398.html

Peter Nowak

Ein Camp gegen das Kriegstraining

Protestwoche am Truppenübungsplatz startet

Am Sonntag hat die Protestwoche von Kriegsgegnern am Gefechtsübungszentrum (GÜZ) bei Magdeburg begonnen. Etwa 400 Antimilitaristen aus der gesamten Republik und dem europäischen Ausland werden dazu erwartet, bis Sonntagnachmittag waren bereits rund 40 Aktivisten angereist. Zum dritten Mal findet das Aktionscamp in der sachsen-anhaltischen Altmark, auf einer Wiese in der Nähe der kleinen Ortschaft Potzehne statt. Der modernste Truppenübungsplatz Europas, auf dem sich Soldaten, nicht nur aus Deutschland, auf ihre Auslandseinsätze vorbereiten, ist nur wenige Kilometer entfernt. Auf dem vom Rüstungskonzern Rheinmetall betriebenen Areal wurden zu Übungszwecken afghanische und kosovarische Orte nachgebaut. Erst Anfang August hatte Rheinmetall von der Bundeswehr den Zuschlag bekommen, das GÜZ bis 2018 weiter zu betreiben – der Wert des Auftrags liegt nach eigenen Angaben bei rund 70 Millionen Euro.

Einen Erfolg haben aber auch die Kriegsgegner schon erzielt: Das GÜZ ist mittlerweile bundesweit bekannt. Vor allem wegen der derzeit im Bau befindlichen Übungsgroßstadt Schnöggersburg, in der zwischen Hochhäusern und U-Bahn-Stationen der Häuserkampf in urbanen Ballungsräumen trainiert werden soll.

Für LINKE-Vize Tobias Pflüger ist das GÜZ ein wichtiger Baustein der deutschen und europäischen Militärpolitik. »Es ist für viele Soldaten die letzte Station vor dem Auslandseinsatz«, so Pflüger. »War start’s here« – Krieg beginnt hier – ist deshalb das Motto des antimilitaristischen Camps. Eine Woche lang stehen Arbeitsgruppen zu Themen wie Militär und Rüstung, der Umsetzung der Zivilklausel an den Hochschulen bis hin zu zivilen Lösungen im Afghanistankonflikt auf dem Programm. Aus der Ukraine reisen Linke an, die in Opposition zur Regierung in Kiew stehen. Sie werden über die schwierigen Bedingungen berichten, unter denen sie ihre politische Arbeit leisten. Höhepunkt des Camps soll der Aktionstag am Sonnabend werden. Aktivisten wollen zuvor das Gelände für mehrere Tage gewaltfrei besetzen.

Militär und Polizei bereiten sich unterdessen auf einen Großeinsatz zur Abwehr der Antimilitaristen vor. Für das GÜZ erklärte Oberst Ludger Terbrüggen, dass man während des Camps »mit einer verstärkten Militanz« rechne. In der Aktionswoche werde es keine Gefechtsübungen geben.

In der strukturschwachen Region, in der viele Bewohner auf Jobs durch das GÜZ hoffen, finden die Aktivisten ebenfalls kaum Zuspruch. »Die Soldaten werden ausgebildet für ihren Job. Und wir alle wollen doch, dass sie heil und gesund wieder nach Hause kommen«, verteidigte eine Kommentatorin der »Altmark-Zeitung« die Übungen. Solche Töne bestärken die Camporganisatoren in ihrem Widerstand. »Wir wollen deutlich machen, dass es kein ruhiges Hinterland für Bundeswehrsoldaten gibt«, so eine Sprecherin.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/942736.ein-camp-gegen-das-kriegstraining.html

Peter Nowak

Kleine Verfassungsschutzkunde

Stipendiaten der Hans-Böckler-Stiftung kritisieren, es gebe dort zu wenig Distanz zum Verfassungsschutz.

von Peter Nowak

Spätestens seit der Selbstenttarnung des NSU im November 2011 ist der Verfassungsschutz (VS) in Erklärungsnöten. Wie konnten Neonazis über Jahre rassistische Morde verüben während der VS davon nichts mitbekommen haben will? Auch in gewerkschaftlichen Kreisen ist seitdem die Distanz zu den Diensten gewachsen. So hat sich die DGB-Jugend auf ihrer Konferenz im Herbst 2013 eindeutig positioniert. »Die Gewerkschaftsjugend lehnt jegliche Bildungsarbeit des Verfassungsschutzes ab und spricht sich eindeutig gegen jedes Engagement des Geheimdienstes in diesem Themenfeld aus«, lautete der Kernsatz des mit großer Mehrheit angenommenen Antrags »Bildungsarbeit ohne Verfassungsschutz«. Doch mit der Umsetzung dieses Beschlusses gibt es auch gewerkschaftsintern Probleme.

In einer Protesterklärung, die der Jungle World vorliegt, monieren Stipendiaten der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung (HBS), dass man dort Distanz zum VS vermissen lasse. Der Abteilungsleiter der Studienförderung der HBS habe im Februar vorgeschlagen, für ein Seminar über »rechte Strukturen« einen Referenten einzuladen, der Stipendiat der HBS war und nun beim Verfassungsschutz in Niedersachsen arbeitet. Dieses Ansinnen führte zu Protesten bei Stipendiaten. Der Verfassungsschutz habe keinen Bildungsauftrag und seinem eingeschränkten Demokratieverständnis dürfe kein Platz gegeben werden, lautete die Begründung.

Sehr zurückhaltend reagierte das siebenköpfige Leitungskollektiv der Promovierenden der Stiftung auf Nachfrage. Es wolle »zum jetzigen Zeitpunkt keine offiziellen Statements zum Thema Hans-Böckler-Stiftung und Verfassungsschutz abgeben«, hieß es in einem Schreiben an die Jungle World. »Solange keine konkreten Pläne durch die Veröffentlichung eines Seminarprogramms bekannt sind, dreht es sich unserer Ansicht nach um Spekulationen und Stiftungsinterna, die wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht diskutieren können«, so die defensive Begründung der Promovierenden. Die kritischen Stipendiaten halten diese abwartende Haltung für falsch. Schließlich ist eine Kooperation mit dem Verfassungsschutz leichter zu verhindern, wenn eine öffentliche Debatte entsteht, bevor das Programm druckfertig ist, heißt es in der Protesterklärung der VS-kritischen Stipendiaten. Im Mai suchten sie das Gespräch mit der Abteilung Studienförderung. Ihr Versuch, innerhalb der Stiftung eine kritische Diskussion zum Umgang mit dem Verfassungsschutz anzustoßen, stieß schnell an Grenzen. Die Kritiker wurden darauf verwiesen, dass die IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) beim Thema Rechtsextremismus mit dem Verfassungsschutz kooperiere.

Auch das Leitungskollektiv der Stipendiaten verweist auf diese Gewerkschaft. »Die bessere Ansprechpartnerin zu dem ganzen Thema wäre unseres Erachtens zurzeit die IG BCE, die öffentlich mit dem Verfassungsschutz Ausstellungen und Bildungsveranstaltungen organisiert.« Bei der Eröffnung der Wanderausstellung »Gemeinsam gegen Rechtsextremismus« im Foyer der Hauptverwaltung der IG BCE am 7.  November 2013 in Hannover betonte Ralf Sikorski, Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstands, dass »die Gewerkschaften stets die Bekämpfung rechtsextremer Politik und Auffassungen, aber auch die inhaltliche Auseinandersetzung mit ihren Formen und Methoden vorangetrieben haben«. Die Kooperation mit dem Verfassungsschutz wird bei Sikorski zur antifaschistischen Praxis: »Dies ist eine gute Gelegenheit zu zeigen, dass Prävention und Sensibilisierung gegenüber den sich wandelnden Erscheinungsformen des Rechtsextremismus hochaktuell ist und bleibt. Das ist zugleich ein gemeinsames Anliegen aller demokratischen Kräfte.« Auch der Pressesprecher der IG BCE, Michael Denecke, scheint die Beschlüsse der DGB-Jugend nicht wahrgenommen haben. Auf die schriftliche Anfrage der Jungle World, wie die IG BCE mit den gewerkschaftlichen Stimmen umgehe, die ein Ende der Kooperation mit dem VS fordern, reagiert er mit der Gegenfrage: »Welche Stimmen meinen Sie?«

http://jungle-world.com/artikel/2014/33/50396.html

Peter Nowak

Die Toten beim Angriff auf das Gewerkschaftshaus von Odessa

Wer schwimmt schon im Geld?

Gibt es ein Recht aufs Schwimmen? Der Protest gegen hohe Eintrittspreise für Schwimmbäder hat eine lange Tradition. Besonders erfolgreich  war er aber nicht.

»Schwimmen, nicht nur für Reiche. Die Gesamtschule Ruhr freut sich auf die Wiedereröffnung des städtischen Schwimmbads.« Was sich nach einer guten Nachricht für viele Menschen anhört, die sich im Sommer wegen geringen Einkommens einen Urlaub nicht leisten können, ist eine Wunschvorstellung. Die Schlagzeile findet sich in Bald, einer Bild-Satire, die vom Bündnis Umfairteilen herausgegeben wird. Zu den moderaten Forderungen des Bündnisses gehört eine Reichensteuer. Das Geld, das der Fiskus dadurch einnähme, soll nach den Vorstellungen von Umfairteilen in Projekte zur öffentlichen Daseinsvorsorge fließen. Dazu gehören neben dem öffentlichen Nahverkehr, Schulen und Bibliotheken auch Schwimmbäder. Tatsächlich gibt es in vielen Städten und Kommunen heftige politische Auseinandersetzungen um moderate Eintrittspreise.

So protestierte im November 2013 eine Senioreninitiative morgens um sechs Uhr vor einer Schwimmhalle in Prenzlauer Berg in Berlin gegen die Erhöhung der Eintrittspreise der Berliner Bäderbetriebe zum 1. Januar 2014 von 4,50 Euro auf 5,50 Euro. Es war die zweite Ticketerhöhung innerhalb eines Jahrs. Die Senioren, die sich sonst immer um diese Uhrzeit zum Frühschwimmen treffen, bildeten eine Menschenkette und sammelten Unterschriften.

Die Aktion erregte Aufmerksamkeit in den Medien, weil eine Bevölkerungsgruppe protestierte, die nicht mit sozialen Protesten in Verbindung gebracht wird. Doch dieses Bild ändert sich. In den vergangenen Jahren hatte die Mieterinitiative Palisadenpanther in Berlin-Friedrichshain erfolgreich dafür gekämpft, dass die Miete für ihr Seniorenheim so moderat steigt, dass sie dort ihren Lebensabend verbringen können. In Berlin-Pankow besetzten Senioren für mehrere Wochen eine Seniorenbegegnungsstätte in der Stillen Straße und verhinderten so die Schließung. Ein Grund für die stärkere Widerstandsbereitschaft älterer Menschen ist die Armut im Alter. Die Zeiten, in denen der christdemokratische Arbeitsminister Norbert Blüm verkünden konnte, die Renten seien sicher, gehören der Vergangenheit an. Für viele Menschen ist nur die Altersarmut sicher. Viele bessern sich mit Jobs im Niedriglohnsektor ihre karge Rente auf. Dass sich Senioren für moderate Eintrittspreise in Bädern engagieren, ist kein Zufall. Für viele Senioren mit niedriger oder mittlerer Rente kommen kostspielige Urlaube nicht in Frage. Die Bäder sind für sie die Freizeitalternative. Bei vielen gehört das regelmäßige Schwimmen zum Fitnessprogramm. Wenn sie sich den Bäderbesuch finanziell nicht mehr leisten können, fällt nicht nur eine Freizeitbeschäftigung weg, auch die Gesundheit kann dadurch beeinträchtigt werden. Daher ist es nur zu berechtigt, einen möglichst günstigen oder kostenlosen Bäderbesuch ebenso als Teil der allgemeinen Daseinsvorsorge anzusehen, wie den Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr.

Für die Durchsetzung beider Forderungen kämpften im vergangenen Jahrzehnt immer wieder temporäre Bündnisse, die sich allerdings schnell wieder aufgelöst haben. Vor mehr als zehn Jahren hatten Teile der außerparlamentarischen Linken in Berlin den Kampf gegen hohe Bäderpreise auf ihre Transparente geschrieben. Unter dem Motto »Sonne, Strand und Widerstand« wollte das Bündnis »Berlin umsonst!« im Sommer 2003 den Protest gegen den sozialen Kahlschlag an ungewöhnlichen Orten sichtbar machen. Neben den teuren Tickets für den öffentlichen Nahverkehr stand die Preispolitik der städtischen Schwimmbäder im Mittelpunkt der Kritik. Die Reaktionen der Badegäste nach der ersten Aktion wurden von den Aktivisten von »Berlin umsonst!« als sehr ermutigend eingeschätzt. Dafür dürfte auch der große Unmut gesorgt haben, den die Bäderbetriebe durch die mehrmalige Erhöhung der Eintrittspreise für die Freibäder bei der Bevölkerung erregt hatten. Gerade in einem Stadtteil wie Kreuzberg, wo viele einkommensschwache Menschen wohnen, konnten sich viele das Ticket nicht mehr leisten. Tatsächlich ging die Zahl der Schwimmbadbesucher nach den Preiserhöhungen zurück. Daher war es nur zu verständlich, dass sich neben politischen Aktivisten auch zahlreiche kinderreiche Familien an den Kundgebungen beteiligten, die »Berlin umsonst!« vor den Eingängen von Schwimmbädern veranstaltete. Einige Menschen gelangten in dem Durcheinander ohne Ticket auf das Freibadgelände. An mehreren Wochenenden im Sommer 2003 wurde dann ein großes Polizeiaufgebot um den Eingang des Kreuzberger Prinzenbads postiert. Die Kampagne »Berlin umsonst!« hatte ein doppeltes Ziels. Einerseits sollten Menschen angesprochen werden, die bisher keine Berührungspunkte mit linker Politik hatten. Anderseits sollte in der Linken die soziale Frage wieder stärker eine Rolle spielen. Es war die Zeit, als die länderübergreifenden globalisierungskritischen Proteste an ihre Grenzen gestoßen waren und größere Teile der postautonomen Linken den sozialen Widerstand vor Ort neu entdeckten.

Damals gab es lebhafte Debatten über die Frage, inwiefern das Proletariat vom Prekariat als Subjekt sozialer Kämpfe abgelöst worden sei. Die Euro-Mayday-Bewegung, in der sich Prekäre aller Länder organisieren sollten, hatte über Italien und Spanien auch in Deutschland Fuß gefasst. Damals stellten sich linke Gruppen die Frage, wie es gelingen könne, soziale Proteste jenseits von Events im Alltag zu verankern. Die Kampagne »Berlin umsonst!« war dabei ein wichtiger Praxistest. Anfangs schien die Aktion erfolgreich zu sein. Die Parole »Berlin umsonst!« tauchte auf zahlreichen Transparenten und Flugblättern auf. Auch in anderen Städten fand das Konzept Nachahmer.

Sogar im Kulturbetrieb war das Thema angekommen. Das Berliner Grips-Theater inszenierte unter dem Titel »Baden gehen« ein Theaterstück, in dem Erwerbslose ein im Zuge der Hauptstadtpleite stillgelegtes Freibad stürmen und in Eigenregie wieder eröffnen. Dabei hat sich die sozial engagierte Theatergruppe um Volker Ludwig von den Pressemeldungen über die Proteste gegen hohe Eintrittspreise im Prinzenbad inspirieren lassen. Doch der kurze Sommer der Berliner Sozialproteste war bereits im August 2003 zu Ende. Im Anschluss gab es nur noch Unterstützung für einige Aktivisten, die nach der Kampagne mit Gerichtsprozessen konfrontiert waren. Als sich im Sommer 2004 für die linke Szene überraschend die Montagsdemonstrationen gegen die »Agenda 2010« für einige Wochen in der ganzen Republik ausbreiteten, stießen die Forderungen der Kampagne »Berlin umsonst!« dort auf Verwunderung und Skepsis. Die meisten Demonstranten forderten mehr Geld für sich statt Gratisdienstleitungen.

Die Berliner Gruppe »Für eine linke Strömung« (Fels), die die Kampagne »Berlin umsonst!« wesentlich mit vorangetrieben hatte, zog in der Zeitschrift Arranca ein ernüchterndes Fazit: »Die Sozialproteste haben unseren Ansatz dem ersten richtigen Realitätstest ausgesetzt, und den haben wir schlecht bestanden.« Wo solidarische Kämpfe scheitern, greifen die Menschen zu individuellen Lösungen. Wer heute »Berlin umsonst!« in eine Suchmaschine eingibt, landet schnell auf einer Homepage gleichen Namens, die über Schnäppchen vor allem im Berliner Kulturbetrieb informiert. Man erfährt dort einiges über Gratistage in Galerien und günstige Tickets für Theateraufführungen. Aus dem Bäderbereich findet sich kein Eintrag.

http://jungle-world.com/artikel/2014/33/50388.html

Peter Nowak

Stolz auf Rawumsti – immer noch

Die Waffentechnik hat sich weiter entwickelt – die Konversionsdebatte nicht

Bis heute hat die IG Metall keine Antwort, wie ihr Einsatz für Frieden mit Interessenvertretung der Rüstungsarbeiter zusammenpasst. Im Gegensatz zu früher kümmert sich auch kaum noch jemand darum.

»Die Granaten wo wir drehen, sind in aller Welt begehrt. Wenn sie mit rawumsti platzen, ist so mancher sehr versehrt.« Diese Zeilen stammen aus dem Lied »35 Stunden sind genug« der deutschen Rüstungsarbeiter, mit dem der Satiriker Horst Tomayer 1986 die Haltung jener Gewerkschafter ironisierte, die stolz darauf verweisen, dass die Waffen, die sie produzierten, deutsche Wertarbeit sind. Fast 30 Jahre später hat sich die Waffentechnik weiter entwickelt. Nicht mehr Granaten, sondern Drohnen sind begehrtes Rüstungsgut. Die Debatte innerhalb der Gewerkschaften ist dagegen nicht von der Stelle gekommen.

Nachdem Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen die Entwicklung einer europäischen Drohne angekündigt hatte, sprach der zweite Bevollmächtigte der IG Metall Ingolstadt, Bernhard Stiedl, von einem »Lichtblick«. Ein solches Programm »würde am Airbusstandort Manching 1500 Arbeitsplätze sichern«. Stiedl hatte in den vergangenen Jahren wiederholt vor militärischer Abrüstung mit dem Verweis auf Arbeitsplätze gewarnt. Doch in der IG Metall steht er damit nicht allein. Anfang Juni warnten Betriebsratsvorsitzende von mehr als 20 Rüstungsfirmen, darunter zahlreiche Gewerkschaftsmitglieder, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel in einem Brief, Rüstungsexporte einzuschränken, wie es im SPD-Programm steht. Rüstungsausfuhren könnten zwar kein Allheilmittel sein, aber ohne den Export sei die Industrie nicht überlebensfähig, hieß es in dem Schreiben.

Doch es gab in der Gewerkschaft auch Gegenstimmen. So betonte IG-Metall-Vorstandsmitglied Jürgen Kerner: »Waffengeschäfte dürfen nie vor Menschenrechte gehen.« Noch deutlicher wurde die beim IG-Metall-Bezirk Mitte für Tarif- und Betriebspolitik zuständige Sekretärin Katinka Poensgen. Sie kritisierte den Verweis auf die Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie als »Totschlagargument«. Es könne nicht Aufgabe einer Gewerkschaft sein, wegen des Erhalts »einiger weniger Arbeitsplätze in der Waffenindustrie, die Zerstörung des ganzen Erdballs zu riskieren«. Poensgen sieht sich mit ihrer Rüstungskritik in Übereinstimmung mit der Satzung. Demnach sind Ziele und Aufgaben der IG Metall neben der Demokratisierung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft auch der Einsatz für Frieden, Abrüstung und Völkerverständigung. Poensgen nimmt auch Bezug auf eine Debatte, die vor vier Jahrzehnten wesentlich weiter war als heute. Damals beschäftigten sich Arbeitskreise mit der Frage und unterbreiteten Vorschläge, wie in der Rüstungsindustrie eine Umwandlung in nichtmilitärische Produktion bewerkstelligt werden kann, ohne Arbeitsplätze zu gefährden.

Auftrieb erhielt die Debatte damals durch die Beschäftigten des britischen Luftfahrtunternehmens Lucas Aerospace, das zu über 50 Prozent von Rüstung lebte. Mitte der 70er Jahre sollte dort rationalisiert werden, die Schließung von Tochterfirmen stand an. Doch statt für mehr Rüstungsaufträge zu demonstrieren, machte sich die Belegschaft Gedanken über friedliche und nützliche Produkte. Die Techniker um den Ingenieur Mike Cooley entwickelten Alternativen – medizinische Apparate, innovative Energiequellen, Transport- und Bremssysteme, maritime Anlagen. Das Beispiel wirkte über Großbritannien hinaus.

In Deutschland war der Arbeitskreis »Alternative Produktion« der IG Metall Bremen besonders aktiv, der sich für eine Rüstungskonversion bei Airbus und dem damals noch existierenden Luft- und Raumfahrtunternehmen VFW einsetzte. Ende 2003 wurde der Arbeitskreis auf einstimmigen Beschluss der IG-Metall-Vertrauenskörperleitung aufgelöst. Der einstige Bestseller des Sozialdemokraten Freimut Duve »Produkte für das Leben statt Waffen für den Tod«, der mehrmals neu aufgelegt wurde, ist heute nur noch antiquarisch zu erhalten. Es beschäftigt sich kaum noch jemand mit dem Thema.

In der IG Metall war niemand für eine Stellungnahme zu erreichen. IG-Metall-Sekretär Stiedl, der sich für eine starke Rüstungsproduktion in Deutschland einsetzt, verwies auf den Vorstand. Dort bemühte sich die Pressestelle, den einzigen für diese Frage zuständigen Kollegen zu erreichen. Doch der ist im Urlaub.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/942478.stolz-auf-rawumsti-immer-noch.html

Peter Nowak

»Ein Streik steht, wenn man ihn selber macht«

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung wirft einen genauen Blick auf neue Formen des Arbeitskampfes.

Kaum organisierte Arbeiter streiken plötzlich, innovative Arbeitskämpfe auch in Branchen mit überwiegend prekär Beschäftigten – zwei Publikationen stellen die neuen Entwicklungen vor.

»Jede Zeit, jede konkrete gesellschaftliche Konstellation entwickelt ihre eigene Artikulation von Gegenwehr und ihre eigenen Streikformen. Ein genauer Blick auf Streiks in Deutschland zeigt interessante Trends und Entwicklungen«, schreibt Fanny Zeise, Referentin für Arbeit, Produktion und Gewerkschaften bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, im Vorwort zu »Erneuerung durch Streik«. Beschäftigte, die vorher kaum organisiert waren, beginnen zu streiken. Gewerkschaftsaktive entwickelten neue Formen der Gegenwehr, auch in den Bereichen mit hohem Anteil prekärer Beschäftigung. Diese neuen Entwicklungen haben das Potenzial, die Gewerkschaften zu erneuern.

Unter dem Titel »Erneuerung durch Streik« hatte die Stiftung im vergangenen Jahr bereits eine Konferenz veranstaltet, die auf großes Interesse stieß. Im Oktober soll eine Nachfolgekonferenz in Hannover erneut Hunderte Gewerkschaftsaktive und Wissenschaftler zu einem Erfahrungsaustausch zusammen bringen.

Die Broschüre löst den versprochenen »genauen Blick« ein: Tiefgründig werden auf den 40 Seiten fünf Arbeitskämpfe analysiert, die in den letzten Jahren in Deutschland für Aufmerksamkeit sorgten. Mehr als neun Monate streikten die Beschäftigten des Verpackungsherstellers Neupack. Trotz der engagierten Kollegen und Solidarität von linken Gruppen konnte das eigentliche Ziel, ein Tarifvertrag, nicht erreicht werden. Lediglich eine Betriebsvereinbarung war das Ergebnis. Immerhin wurden Tätigkeitsbeschreibungen für die Belegschaft durchgesetzt.

Erfolgreicher war der Streik beim Öffentlichen Personennahverkehr 2011 in Baden Württemberg. Ein großer Teil der gewerkschaftlichen Forderungen konnte durchgesetzt werden. Bei der Mitgliederentwicklung gehört der Fachbereich Verkehr von ver.di Baden Württemberg seit dem Streik zur Spitze. »Die beste Mitgliederwerbung ist eine aktive und kämpferische Tarifpolitik«, lautet das Fazit von Wolfgang Hoepfner. Auch der 126-tägige Ausstand beim Callcenter S-Direkt in Halle endete mit einem Erfolg. Rabea Hoffmann, neben Zeise Herausgeberin der Broschüre, nennt die Ausdauer der Belegschaft und die demokratische Streikkultur als die Hauptgründe für den Ausgang. »Ein Streik steht, wenn man ihn selber macht«, zitiert sie den Betriebsratsvorsitzenden Thomas Bittner.

Die beiden letzten Arbeitskämpfe, die in der Broschüre genauer betrachtet werden, wurden im Reproduktionssektor geführt, wo Streiks besonders schwer umzusetzen sind. Berichtet wird vom Arbeitskampf beim »Club Behinderter und ihrer Freunde« in Frankfurt am Main, der 2012 für Tariflöhne geführt wurde sowie vom Erzieherinnenstreik aus dem Jahr 2009. Neben den Fallbeispielen erörtert der Soziologe Klaus Dörre mit einem kurzen Text die These, dass die neuen Streikerfahrungen die Gewerkschaften als Ganzes erneuerten.

Eine weitere Publikation der Luxemburg-Stiftung widmet sich ausschließlich dem Arbeitskampf der Pflegekräfte an der Berliner Charité von 2011. Sie forderten höhere Löhne und eine Mindestbesetzung in der Klinik. Die Studie untersucht, welche Rolle die Frauen in dem Streik gespielt haben und ob er Einfluss auf die patriarchale Rollenverteilung in der Klinik hatte.

Fanny Zeise, Rabea Hoffmann (Hg.): Erneuerung durch Streik – die eigene Stärke nutzen; Sophia Zender: Streiken bis das Patriarchat kommt. Der Arbeitskampf der Pflegekräfte an der Berliner Charité. Die Broschüren können in der Rubrik Publikationen auf www.rosalux.de heruntergeladen werden.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/942477.ein-streik-steht-wenn-man-ihn-selber-macht.html

Peter Nowak

Campen gegen Kriegstraining

FRIEDEN In Sachsen-Anhalt entsteht Europas größtes Militärübungszentrum. Kriegsgegner protestieren

BERLIN taz | Nichts deutet im kleinen Letzlingen in der Altmark (Sachsen-Anhalt) darauf hin, dass nur wenige Kilometer entfernt eine Großstadt mit U-Bahn-Stationen und Hochhäusern entsteht. Doch in der Metropole wird kein Mensch wohnen. Die Stadt soll bis 2017 das Zentrum von Europas größtem Gefechtsübungsplatz werden, auf dem sich Bundeswehrsoldaten für Auslandseinsätze vorbereiten. Schon heute wurden dafür afghanische und kosovarische Orte in der Heide nachgebaut.

Nicht ohne Widerstand: Seit zwei Jahren organisieren AntimilitaristInnen nahe der Geisterstadt ein einwöchiges Protestcamp. Ab Sonntag ist es wieder so weit. Mehr als 300 BesucherInnen erwarte sie, sagt Martina aus dem Vorbereitungsteam, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will. „Nicht nur aus Deutschland, auch aus dem europäischen Ausland.“

Neben Workshops rufen die Kriegsgegner auch zu einem „Aktionstag“: Am 23. August soll der Truppenübungsplatz besetzt werden – „gewaltfrei“, wie die VeranstalterInnen betonen.

Bereits in Vorjahren gab es im Umfeld des Camps zahlreiche Aktionen. 2013 gerieten in der 60 Kilometer entfernten Bundeswehrkaserne Havelberg 16 Fahrzeuge in Brand. Es entstand ein Millionenschaden. Das Camp beteuerte, nichts damit zu tun zu haben. Intern wurde heftig diskutiert: Gewaltfreie lehnten die Aktion strikt ab, andere zeigten Verständnis. Könnten doch zerstörte Bundesfahrzeuge keinen Schaden mehr anrichten.

In der Region, in der viele auf Arbeitsplätze durch das Militärzentrum hoffen, finden die Kriegsgegner nur wenig Zuspruch. „Die Soldaten werden ausgebildet für ihren Job“, schreibt eine Kommentatorin der Altmark-Zeitung. „Und wir alle wollen doch, dass sie heil und gesund wieder nach Hause kommen.“ Ein Sprecher des Gefechtszentrums sagte, man rechne während des Camps „mit einer verstärkten Militanz“. In der Aktionswoche werde es keine Übungen geben.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=in&dig=2014%2F08%2F15%2Fa0057&cHash=fa311e2dd3442b8d17fca096086b5fd0

Peter Nowak

Demo für Gewerkschaft der JVA Tegel

Am Donnerstag wird vor dem Amtssitz des Berliner Justizsenators in der Salzburger Straße 21 – 25 eine Kundgebung für Gewerkschaftsrechte organisiert, auf der die Betroffenen selbst nicht anwesend sein können. Es handelt sich um Häftlinge der JVA Tegel, die im Mai eine Gefangenengewerkschaft gegründet haben (»nd« berichtete). Mittlerweile haben sich weitere Gewerkschaftsgruppen in der JVA Berlin-Plötzensee, Willich, Aschaffenburg und Burg gegründet. Vor wenigen Tagen kam zudem unter Titel Outbreak (Ausbruch) eine Ausgabe der Zeitung der Gefangenengewerkschaft heraus. Die beiden Forderungen der Gefangenengewerkschaft, ein Mindestlohn für die Arbeit auch im Gefängnis und die Einbeziehung in die Rentenversicherung, stoßen bei den Gefangenen auf Zustimmung. Gar nicht erfreut über die gewerkschaftliche Organisierung im Knast ist hingegen der Berliner Justizsenator Thomas Heilmann (CDU). Sein Sprecher erklärte als Antwort auf eine Kleine Anfrage des Berliner Linkenvorsitzenden Klaus Lederer: »Der Senat beabsichtigt nicht, Insassen der Justizvollzugsanstalten entsprechend einem gesetzlichen Mindestlohn zu vergüten«. Deren Arbeit und Entlohnung sei nicht mit der Tätigkeit auf dem freien Arbeitsmarkt vergleichbar, lautet die Begründung.

»Wir wollen die Forderungen der Gefangenen unterstützen«, heißt es in dem Aufruf zur Solidaritätskundgebung am Donnerstag. Auch der Erwerbslosenausschuss der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Berlin stellt sich hinter die Gefangenengewerkschaft. In einer Solidaritätserklärung heißt es: »Immerhin handelt es sich bei euren Tätigkeiten um ArbeiDemo für Gewerkschaft der JVA Tegelt, die dem ›freien Markt‹ entzogen wurde, um sie kostengünstig in den Gefängnissen ausführen zu lassen.«
http://www.neues-deutschland.de/artikel/942340.demo-fuer-gewerkschaft-der-jva-tegel.html

Peter Nowak

Gegen das Arbeitnehmerpatriarchat

Über eine etwas verkürzte Geschichte der DGB-Frauen von Sibylle Plogstedt
„Trotz aller gesellschaftlichen Fortschritte: Der Internationale Frauentag hat seine Existenzberechtigung nicht verloren“, hieß es in einer Erklärung des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg zum 8. März 2013. Das war nicht immer so. 1980 wollte der DGB-Bundesvorstand verhindern, dass sich gewerkschaftliche Frauen an den Aktionen zum 8.März beteiligen. Schließlich werde der in der DDR gefeiert und Clara Zetkin, die als wichtige Initiatorin gilt, war nach 1919 Mitglied der Kommunistischen Partei, lautete die Begründung. Nachdem örtliche gewerkschaftliche Initiativen die Vorstandsanweisung ignorierten und die Zahl der BesucherInnen gewachsen war, beschloss der DGB, eigene Aktionen zum 8. März zu organisieren. Dabei war man aber bemüht, eine neue Geschichte dieses Tages zu kreieren. Ein historisches Gutachten machte darauf aufmerksam, dass der Anlass für den Internationalen Frauentag ein Streik von Textilarbeiterinnen in den USA gewesen ist. Zetkins Rolle in der Durchsetzung des 8. März’ als Kampftag der proletarischen Frauenbewegung wurde einfach ausgeblendet. Diese heute weitgehend vergessenen Querelen um den 8. März im DGB finden sich dankenswerterweise in dem von Sibylle Plogstedt verfassten Buch „Wir haben Geschichte geschrieben“ wieder. Die Autorin war als undogmatische Linke in der außerparlamentarischen Bewegung aktiv und Mitbegründerin der Frauenzeitung Courage. Die hatte, anders als die heute bekanntere Emma, schon früh Kontakte auch zu Frauen in der Gewerkschaftsbewegung gesucht.
Kein Geld für Geschichte
Mit ihrer Geschichte der Frauen im DGB leistet Plogstedt Pionierarbeit. Dabei hatten die DGB-Frauenausschüsse bereits 1980 den Beschluss gefasst, ihre eigene Geschichte aufzuschreiben. Allerdings verfügte die Frauenabteilung über keinen eigenen Etat. Diese Episode ist durchaus symptomatisch für den Umgang des DGB-Apparates mit der eigenständigen Organisation der Frauen, wie Plogstedt im Detail nachweist. Sie geht chronologisch vor und beschreibt die Geschichte der gewerkschaftlichen Frauen von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zum Jahr 1990. Dieses Jahr ist tatsächlich auch für die DGB-Frauen eine Zäsur. Erstmals stehen sie nicht mehr unter der Ägide einer CDU-Frau. Die Ära von Maria Weber war beendet. Dass für mehr als vier Jahrzehnte ein CDU-Mitglied für dieses Amt zuständig war, ist keineswegs der Wille der DGB-Frauen gewesen. Vielmehr zeigt Plogstedt, wie die sich anfangs dagegen wehrten. Doch der männlich geprägte DGB-Vorstand wollte zwei „Minderheiten“ auf einem Posten unterbringen: Frauen und CDU/CSU-Mitglieder mussten in den Führungsgremien einer Einheitsgewerkschaft, wie sie die DGB-Spitze verstand, berücksichtigt werden. Die dagegen aufbegehrenden Frauen wurden vom zuständigen Sekretär brüsk zurückgewiesen. „Frauen durften nur im Rahmen der allgemeinen Konferenzen des DGB entscheiden, aber die Bundesfrauenkonferenz selbst war dort nicht antragsberechtigt“ (S. 95), beschreibt Plogstedt das Dilemma. Die Erwartungen des männlichen DGB-Vorstands formulierte Kollege Karl auf der ersten Frauenkonferenz des DGB: „Ich bitte Sie Ihre Anträge und Wünsche so zu formulieren und zu adressieren, dass über ihre Konferenz nachträglich nicht ungünstig beurteilt wird“ (S. 95). Folge dieser bürokratischen Eingriffe: „Beim zweiten DGB-Kongress verstummten die Frauen“ (S. 103). Viele in der unmittelbaren Nachkriegszeit aktive DGB-Frauen meldeten sich bei den Gewerkschaftskongressen kaum noch zu Wort. Der Konflikt innerhalb der DGB-Frauengremien spitzte sich erst Mitte der 60er Jahre wieder zu. Während dort eine Mehrheit für eine Reform des Abtreibungsrechts votierte, lehnte es die Katholikin Maria Weber aus Gewissensgründen ab, den Beschluss nach Außen zu vertreten.
Abqualifizierung linker GewerkschafterInnen
Plogstedt hat eine Organisationsgeschichte der Frauen im DGB geschrieben, die man ohne historisches Vorwissen lesen kann. Man entdeckt dort manche lange vergessene Episode der DGB-Geschichte und stößt auf manche zu Unrecht vergessene Diskussion. So wird an Claudia Pinls 1977 erschienene Schrift „Das Arbeitnehmerpatriarchat“ erinnert, die präzise die antifeministischen Strömungen in den männlichen DGB-Funktionärsetagen beschrieb. Manche Gewerkschafterin bemerkte schon launig, dass das Ausmaß des gewerkschaftlichen Antifeminismus größer sei als die Abwehr gegenüber Frauen in bürgerlichen Organisationen. Es ist Plogstedts Verdienst, in ihrem Buch an diese Debatten zu erinnern. Allerdings sollten auch die kritischen Punkte in ihrem Buch nicht vergessen werden.
Mit der Konzentration auf die Organisationsgeschichte kommt die gewerkschaftliche Basisbewegung, die immer auch von vielen aktiven Frauen getragen wurde, deutlich  zu kurz. So wird beispielswiese Fasia Jansen, die im Ruhrgebiet jahrzehntelang viele gewerkschaftliche Kämpfe begleitet hat, darunter die Streiks für die 35-Stunden-Woche, wird in dem Buch gar nicht erwähnt.
Immerhin wird in einem kleinen Kapitel auf die Streiks der Heinze- und Pierburg-Frauen für gleiche Löhne für gleichwertige Arbeit hingewiesen.
Könnte die Konzentration auf die gewerkschaftliche Organisationsgeschichte vielleicht auch damit zu tun haben, dass in den Streikbewegungen auch KommunistInnen oder LinkssozialistInnen aktiv waren? Denn die werden im Buch entweder gar nicht oder nur negativ erwähnt. Das zeigte sich an Plogstedts Darstellung Kaltstellens  der Gewerkschaftssekretärin Karin Roth. Die spätere SPD-Spitzenfunktionärin Anke Fuchs brachte die Gründe gut auf den Punkt: „Karin Roth wollte zu meiner Zeit bei mir eingestellt werden. Die war mir aber zu links. Die habe ich nicht genommen“ (S. 376). Plogstedt teilt die Ansicht von Fuchs und anderen Roth-KritikerInnen: „Roth zählte damals zu den Hoffnungsträgerinnen der traditionellen Linken in der IG-Metall. Kaum jemand war so umstritten wie sie“ (S. 376). Der Terminus traditionelle   Linke war damals zu einem Kampfbegriff geworden, mit den GewerkschaftsmitgliederInnen bezeichnet wurden, die für eine klassenkämpferische Gewerkschaftspolitik   eintraten und dabei auch zu  Bündnisse mit Gruppierungen links von der SPD bereit waren.  Dazu gehörte Karin Roth, die  seit 1972 SPD-Mitglied war,    in den 80er Jahren aber noch enge Kontakte auch zu linken Initiativen außerhalb der SPD hatte. Erst in den 90er Jahren trat  auch Karin Roth  den  Marsch  durch  sozialdemokratische Organisationen  an, war für   einige Jahre  Senatorin in Hamburg und danach Staatssekretärin in der rot-grünen Bundesregierung.
Plogstedt zeigt in ihrer Geschichte der DGB-Frauen auch, welch eingeschränktes Verständnis von Einheitsgewerkschaft in der Funktionärsetage von Anfang an dominierte. Während in der Gestalt von Maria Weber die christdemokratische und christsoziale Komponente auf der Führungsebene in einer Person vertreten war, galten LinksozialistInnen oder gar KommunistInnen als Kräfte von außen, die die Gewerkschaften vereinnahmen wollten und daher bekämpft werden müssen. Dass sie genauso Teil der Einheitsgewerkschaft DGB sein könnten wie Sozial- und ChristdemokratInnen, kam der DGB-Führung gar nicht in den Sinn und Plogstedt teilt diese Lesart weitgehend. So hat Plogstedt neben der Geschichte der DGB-Frauen auch eine Geschichte des DGB-Apparates geschrieben, die man kritisch lesen sollte.

express-Ausgabe 7-8/2014

http://www.express-afp.info/newsletter.html
Peter Nowak
Sibylle Plogstedt, Wir haben Geschichte geschrieben, Zur Arbeit der DGB-Frauen (1945- 1990), Psychosozial-Verlag, Gießen 2013, 519 Seiten, 19,90 Euro, ISBN: 978-3-83792318-6

Zurück Hilfskonvoi als versteckte Intervention?

Die aktuelle Diskussion über den russischen Konvoi in die Ostukraine zeigt, dass man an Russland kritisiert, was in Deutschland, USA und Frankreich kaum beachtet wird

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.deutschlandfunk.de/russland-schickt-hilfskonvoi-mit-280-lastwagen-in-ost.353.de.html?drn%3Anews_id=389629

[2]

http://www.icrc.org/eng/resources/documents/news-release/2014/08-08-ukraine-humanitarian-situation-deteriorates-east.htm

[3]

http://www.caritas-international.de/wasunsbewegt/stellungnahmen/waskannhumanitaerehilfeleisten

[4]

http://www.medico.de/presse/pressemitteilungen/sicherheitspolitik-beeinflusst-zunehmend-humanitaere-hilfe-und-entwicklungszusammenarbeit/3033/

[5]

http://www.medico.de/presse/pressemitteilungen/sicherheitspolitik-beeinflusst-zunehmend-humanitaere-hilfe-und-entwicklungszusammenarbeit/3033/

[6]

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=me&dig=2014%2F08%2F04%2Fa0091&cHash=76ec30284b8a93d48a8789b298194272

[7]

http://www.heise.de/tp/artikel/42/42485/1.html

[8]

https://www.uni-leipzig.de/~gwzo/index.php?Itemid=383

[9]

http://www.nzz.ch/meinung/debatte/wie-man-moskaus-einfluss-eindaemmen-koennte-1.18354038

[10]

http://www.werner-schulz-europa.eu/presseartikel/1914-interview-taz-bosporus-dicht-machen.html

[11]

http://transform-network.net/de/blog/blog-2014/news/detail/Blog/eastern-ukraine.html

Kill Billy in Italy

Aktionstage gegen IKEA – Arbeitskampf internationalisieren
Ein Abfall-Eimer für 14,99 findet sich auf der Homepage von IKEA-Piacenza. Doch der Begleittext zeigt, dass es sich nicht um     die reguläre IKEA-Homepage handelt. „Gewerkschaftliche Rechte haben bei uns ein neues Zuhause gefunden“, heißt es dort. Auf einer Facebook-Seite ist die Botschaft schon auf dem ersten Blick vernehmbar. Badikea wird das Firmenlogo umdefiniert. Es handelt sich dabei um zwei von vielen   Internetauftritten, die eine neue  internationale IKEA-Kampagne in Solidarität mit einem bisher hierzulande weitgehend unbekannten Arbeitskampf von italienischen LogisitkarbeiterInnen initiierte.
Seit 2011 kämpfen in Italien die meist migrantischen ArbeiterInnen in der Logistikbranche für reguläre Arbeitsbedingungen. In vielen großen Unternehmen ist es ihnen gelungen, durch entschlossenes, militantes Vorgehen die Einhaltung der nationalen Standards zu erzwingen und sich gegen die VorarbeiterInnen, die Leiharbeitsfirmen, die Polizei und die großen Gewerkschaften und die Medien durchzusetzen.   Sie sind auch deshalb erfolgreich, weil große Teile der radikalen Linken, sowie eine kleine Basisgewerkschaft sich mit ihnen solidarisieren und ihre Aktionen unterstützen.  Der Arbeitskampf hat die bisher rechtlosen ArbeiterInnen mobilisiert.
„Vor zwei Jahren hatte unsere Gewerkschaft in Rom drei Mitglieder.  Heute sind es dreitausend“, erklärt Karim Facchino. Er ist Lagerarbeiter und Mitglied der italienischen Basisgewerkschaft S.I.  Cobas. Der   rasante Mitgliederzuwachs  der Basisgewerkschaft ist auch eine Folge der Selbstorganisation der Beschäftigten. „Wir haben  keine bezahlten Funktionäre, nur einen Koordinator, doch sein Platz ist nicht am Schreibtisch eines Büros sondern auf der Straße und vor der Fabrik“, betonte  Facchino. Er war im Mai 2014 Teilnehmer einer Delegation italienischer GewerkschafterInnen und UnterstützerInnen  aus der außerparlamentarischen italienischen  Linken, die hierzulande erstmals über den erbittert geführten Arbeitskampf informierte, der  fast 4  Jahre  andauerte.
Repression von IKEA und Polizei
Träger der Auseinandersetzung waren schlecht bezahlte Lagerarbeiter großer Warenhäuser, die oft aus vielen europäischen, arabischen und nordafrikanischen Staaten angeworben worden waren. Sie sind oft  nicht direkt bei den Warenhäusern sondern bei Subunternehmen angestellt.   „Die Bosse haben gedacht, wir können uns nicht wehren, doch da haben sie sich getäuscht“, so Facchino, der in  Marokko geboren wurde. Die Beschäftigten fordern die Verkürzung der Arbeitszeiten und höhere Löhne. Ein zentrales Mittel im Arbeitskampf waren Blockaden, wenn Waren angeliefert worden sind. Die Polizei ging oft mit brutaler Gewalt gegen die Beschäftigten vor. Die Bilder von  ArbeiterInnen,  die von de Polizei blutig geschlagen wurden, sorgten in ganz Italien für Empörung. Dadurch wurde die Unterstützung für die Forderungen der Beschäftigten größer.
Doch vor allem IKEA schient entschlossen, den Streik der Beschäftigten mit Repression zu beantworten. Im   Juni 2014 wurden 26  Beschäftigte  des IKEA Lagers  in Piacenza entlassen, alle sind Mitglied  der  S.I. Cobas.   Die Entlassungen wurden von verstärkter Polizeirepression ergänzt. So wurde mehreren an den Blockaden  beteiligten  ArbeiterInnen verboten, die Stadt zu betreten, in der sich das   Unternehmen befindet. Damit soll den Beschäftigten verunmöglicht werde, ihren Kampf weiterzuführen. In einigen Fällen bedeutet dieses Stadtverbot auch, dass die Beschäftigten nicht mehr legal ihre Wohnungen betreten können. Diese Repressionsstrategie von Unternehmen und Polizei wollen die Beschäftigten mit einer Ausweitung der Solidarität begegnen. Im Mittelpunkt steht dabei der IKEA-Konzern.  Bereits  am  26. Juni gab es den ersten IKEA-Aktionstag  mit kleinen Aktionen vor Filialen in Hamburg und Berlin.   Der zweite IKEA-Aktionstag am 26.Juli wird bereits von weiteren Städten unterstützt. Die Aktion ist ausbaufähig. Schließlich  ist IKEA als international  agierender Konzern durchaus  ökonomisch getroffen werden, wenn den KundInnen die Arbeitsbedingungen  in den italienischen Logistikzentren nicht mehr gleichgültig sind.

aus Express:

Ausgabe: Heft 07-08/2014

http://www.labournet.de/express/
Peter Nowak

Wenn auf privatisierten Plätzen die Grundrechte nicht mehr gelten

„Kritische Begleitung des Prozesses“

15 Jahre »Bologna-Prozess« – das nahm der Freie Zusammenschluss von Studierendenschaften zum Anlass, am vergangenen Wochenende in Bonn eine Bologna-Konferenz zu veranstalten, an der sich Studierendenvertreter, Hochschulmitarbeiter und Gewerkschafter beteiligten. Katharina Mahrt ist Mitglied des Vorstands des Freien Zusammenschlusses von Studierendenschaften und hat mit der Jungle World über die Konferenz gesprochen.

Small Talk von Peter Nowak

Es gab bereits in den Jahren 2009 und 2011 Bologna-Konferenzen. War das nicht genug?

In den Jahren 2009 und 2011 fanden zwei Bologna-Konferenzen statt, die wesentlich vom Ministerium für Bildung und Forschung organisiert wurden. Sie waren eine Folge der Bildungsproteste 2009 und sollten den Dialog zwischen Studierenden, Hochschulmitarbeitern und Politikern über die weitere Umsetzung des »Bologna-Prozesses« fördern. Es gab aber damals von vielen Studierenden die Kritik, dass auf diesen Konferenzen vor allem der Bachelor als Erfolgsmodell dargestellt wurde.

Was ist der Unterschied zu den Konferenzen des Freien Zusammenschlusses von Studierendenschaften?

Seit zwei Jahren organisiert der Freie Zusammenschluss von Studierendenschaften eine eigene Bologna-Konferenz. Dort stehen die aktuellen Umsetzungsprobleme des »Bologna-Prozesses« im Mittelpunkt.

Jahrelang protestierten Studierende gegen den »Bologna-Prozess«. Hat sich Ihre Organisation mittlerweile mit ihm arrangiert?

Keineswegs. Die auf der Konferenz veröffentlichten Ergebnisse einer Online-Umfrage des Freien Zusammenschlusses unter 3 000 Studierenden zeigen, dass zur Zufriedenheit kein Grund besteht und eine kritische Begleitung der Umsetzung des »Bologna-Prozesses« weiterhin notwendig ist. Viele Befragte benennen die Überfrachtung der Lehrpläne und mangelnde finanzielle Ausstattung als Hindernisse für ihr Studium. Zudem sind die Hürden für ein Auslandsstudium noch immer zu hoch.

Gibt es neben der kritischen Begleitung auch noch Studierende, die den »Bologna-Prozess« insgesamt ablehnen?

Mittlerweile kennen mehrere Generationen von Studierenden nur noch den »Bologna-Prozess«. Da spielen diese Diskussionen keine große Rolle mehr.

http://jungle-world.com/artikel/2014/32/50364.html

Peter Nowak