Wer schwimmt schon im Geld?

Gibt es ein Recht aufs Schwimmen? Der Protest gegen hohe Eintrittspreise für Schwimmbäder hat eine lange Tradition. Besonders erfolgreich  war er aber nicht.

»Schwimmen, nicht nur für Reiche. Die Gesamtschule Ruhr freut sich auf die Wiedereröffnung des städtischen Schwimmbads.« Was sich nach einer guten Nachricht für viele Menschen anhört, die sich im Sommer wegen geringen Einkommens einen Urlaub nicht leisten können, ist eine Wunschvorstellung. Die Schlagzeile findet sich in Bald, einer Bild-Satire, die vom Bündnis Umfairteilen herausgegeben wird. Zu den moderaten Forderungen des Bündnisses gehört eine Reichensteuer. Das Geld, das der Fiskus dadurch einnähme, soll nach den Vorstellungen von Umfairteilen in Projekte zur öffentlichen Daseinsvorsorge fließen. Dazu gehören neben dem öffentlichen Nahverkehr, Schulen und Bibliotheken auch Schwimmbäder. Tatsächlich gibt es in vielen Städten und Kommunen heftige politische Auseinandersetzungen um moderate Eintrittspreise.

So protestierte im November 2013 eine Senioreninitiative morgens um sechs Uhr vor einer Schwimmhalle in Prenzlauer Berg in Berlin gegen die Erhöhung der Eintrittspreise der Berliner Bäderbetriebe zum 1. Januar 2014 von 4,50 Euro auf 5,50 Euro. Es war die zweite Ticketerhöhung innerhalb eines Jahrs. Die Senioren, die sich sonst immer um diese Uhrzeit zum Frühschwimmen treffen, bildeten eine Menschenkette und sammelten Unterschriften.

Die Aktion erregte Aufmerksamkeit in den Medien, weil eine Bevölkerungsgruppe protestierte, die nicht mit sozialen Protesten in Verbindung gebracht wird. Doch dieses Bild ändert sich. In den vergangenen Jahren hatte die Mieterinitiative Palisadenpanther in Berlin-Friedrichshain erfolgreich dafür gekämpft, dass die Miete für ihr Seniorenheim so moderat steigt, dass sie dort ihren Lebensabend verbringen können. In Berlin-Pankow besetzten Senioren für mehrere Wochen eine Seniorenbegegnungsstätte in der Stillen Straße und verhinderten so die Schließung. Ein Grund für die stärkere Widerstandsbereitschaft älterer Menschen ist die Armut im Alter. Die Zeiten, in denen der christdemokratische Arbeitsminister Norbert Blüm verkünden konnte, die Renten seien sicher, gehören der Vergangenheit an. Für viele Menschen ist nur die Altersarmut sicher. Viele bessern sich mit Jobs im Niedriglohnsektor ihre karge Rente auf. Dass sich Senioren für moderate Eintrittspreise in Bädern engagieren, ist kein Zufall. Für viele Senioren mit niedriger oder mittlerer Rente kommen kostspielige Urlaube nicht in Frage. Die Bäder sind für sie die Freizeitalternative. Bei vielen gehört das regelmäßige Schwimmen zum Fitnessprogramm. Wenn sie sich den Bäderbesuch finanziell nicht mehr leisten können, fällt nicht nur eine Freizeitbeschäftigung weg, auch die Gesundheit kann dadurch beeinträchtigt werden. Daher ist es nur zu berechtigt, einen möglichst günstigen oder kostenlosen Bäderbesuch ebenso als Teil der allgemeinen Daseinsvorsorge anzusehen, wie den Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr.

Für die Durchsetzung beider Forderungen kämpften im vergangenen Jahrzehnt immer wieder temporäre Bündnisse, die sich allerdings schnell wieder aufgelöst haben. Vor mehr als zehn Jahren hatten Teile der außerparlamentarischen Linken in Berlin den Kampf gegen hohe Bäderpreise auf ihre Transparente geschrieben. Unter dem Motto »Sonne, Strand und Widerstand« wollte das Bündnis »Berlin umsonst!« im Sommer 2003 den Protest gegen den sozialen Kahlschlag an ungewöhnlichen Orten sichtbar machen. Neben den teuren Tickets für den öffentlichen Nahverkehr stand die Preispolitik der städtischen Schwimmbäder im Mittelpunkt der Kritik. Die Reaktionen der Badegäste nach der ersten Aktion wurden von den Aktivisten von »Berlin umsonst!« als sehr ermutigend eingeschätzt. Dafür dürfte auch der große Unmut gesorgt haben, den die Bäderbetriebe durch die mehrmalige Erhöhung der Eintrittspreise für die Freibäder bei der Bevölkerung erregt hatten. Gerade in einem Stadtteil wie Kreuzberg, wo viele einkommensschwache Menschen wohnen, konnten sich viele das Ticket nicht mehr leisten. Tatsächlich ging die Zahl der Schwimmbadbesucher nach den Preiserhöhungen zurück. Daher war es nur zu verständlich, dass sich neben politischen Aktivisten auch zahlreiche kinderreiche Familien an den Kundgebungen beteiligten, die »Berlin umsonst!« vor den Eingängen von Schwimmbädern veranstaltete. Einige Menschen gelangten in dem Durcheinander ohne Ticket auf das Freibadgelände. An mehreren Wochenenden im Sommer 2003 wurde dann ein großes Polizeiaufgebot um den Eingang des Kreuzberger Prinzenbads postiert. Die Kampagne »Berlin umsonst!« hatte ein doppeltes Ziels. Einerseits sollten Menschen angesprochen werden, die bisher keine Berührungspunkte mit linker Politik hatten. Anderseits sollte in der Linken die soziale Frage wieder stärker eine Rolle spielen. Es war die Zeit, als die länderübergreifenden globalisierungskritischen Proteste an ihre Grenzen gestoßen waren und größere Teile der postautonomen Linken den sozialen Widerstand vor Ort neu entdeckten.

Damals gab es lebhafte Debatten über die Frage, inwiefern das Proletariat vom Prekariat als Subjekt sozialer Kämpfe abgelöst worden sei. Die Euro-Mayday-Bewegung, in der sich Prekäre aller Länder organisieren sollten, hatte über Italien und Spanien auch in Deutschland Fuß gefasst. Damals stellten sich linke Gruppen die Frage, wie es gelingen könne, soziale Proteste jenseits von Events im Alltag zu verankern. Die Kampagne »Berlin umsonst!« war dabei ein wichtiger Praxistest. Anfangs schien die Aktion erfolgreich zu sein. Die Parole »Berlin umsonst!« tauchte auf zahlreichen Transparenten und Flugblättern auf. Auch in anderen Städten fand das Konzept Nachahmer.

Sogar im Kulturbetrieb war das Thema angekommen. Das Berliner Grips-Theater inszenierte unter dem Titel »Baden gehen« ein Theaterstück, in dem Erwerbslose ein im Zuge der Hauptstadtpleite stillgelegtes Freibad stürmen und in Eigenregie wieder eröffnen. Dabei hat sich die sozial engagierte Theatergruppe um Volker Ludwig von den Pressemeldungen über die Proteste gegen hohe Eintrittspreise im Prinzenbad inspirieren lassen. Doch der kurze Sommer der Berliner Sozialproteste war bereits im August 2003 zu Ende. Im Anschluss gab es nur noch Unterstützung für einige Aktivisten, die nach der Kampagne mit Gerichtsprozessen konfrontiert waren. Als sich im Sommer 2004 für die linke Szene überraschend die Montagsdemonstrationen gegen die »Agenda 2010« für einige Wochen in der ganzen Republik ausbreiteten, stießen die Forderungen der Kampagne »Berlin umsonst!« dort auf Verwunderung und Skepsis. Die meisten Demonstranten forderten mehr Geld für sich statt Gratisdienstleitungen.

Die Berliner Gruppe »Für eine linke Strömung« (Fels), die die Kampagne »Berlin umsonst!« wesentlich mit vorangetrieben hatte, zog in der Zeitschrift Arranca ein ernüchterndes Fazit: »Die Sozialproteste haben unseren Ansatz dem ersten richtigen Realitätstest ausgesetzt, und den haben wir schlecht bestanden.« Wo solidarische Kämpfe scheitern, greifen die Menschen zu individuellen Lösungen. Wer heute »Berlin umsonst!« in eine Suchmaschine eingibt, landet schnell auf einer Homepage gleichen Namens, die über Schnäppchen vor allem im Berliner Kulturbetrieb informiert. Man erfährt dort einiges über Gratistage in Galerien und günstige Tickets für Theateraufführungen. Aus dem Bäderbereich findet sich kein Eintrag.

http://jungle-world.com/artikel/2014/33/50388.html

Peter Nowak


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