»Neuer Widerstand wäre dringend nötig«

Eva Willig ist Rentnerin und seit Jahren in der Erwerbslosenbewegung aktiv. Über zehn Jahre Protest gegen die Agenda-2010-Politik, Zwangsräumungen und geplante Schikanen gegen Erwerbslose sprach mit ihr Peter Nowak.

Erwerbslosenaktivistin Eva Willig über zehn Jahre Proteste gegen die Agenda-2010-Politik und neue Zumutungen

Vor zehn Jahren begann in Magdeburg die Montagsdemobewegung gegen die Agenda 2010. Waren Sie damals davon überrascht?

Ich war vor allem erfreut, dass die Menschen aufgewacht sind und sich gewehrt haben. Sie haben damals erkannt, dass die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe Armut per Gesetz bedeutet und sie sollten leider Recht behalten.

Hat es vor den Montagsdemonstrationen keine Erwerbslosenbewegung gegeben?

Doch die gab es, 1982 gab es den ersten bundesweiten Erwerbslosenkongress. Ich bin bereits seit Mitte der 1980er Jahre in der Erwerbslosenbewegung aktiv. Zunächst engagierte ich mich in der Gewerkschaft ÖTV, ab Anfang der 1990er Jahre in unabhängigen Erwerbslosengruppen. Die Aktionen fanden oft wenig öffentliche Beachtung. Die Montagsdemonstrationen erregten dagegen Aufmerksamkeit, weil innerhalb kurzer Zeit Massen auf die Straße gegangen sind.

Warum hatte die Bewegung bereits nach wenigen Wochen stark an Schwung verloren hatte?

Dafür gibt es sicher sehr viele Gründe. Ich sehe eine zentrale Ursache darin, dass es in der Öffentlichkeit früh gelungen ist, die Diskussion von der gesetzlich gewollten Verarmung großer Teile der Bevölkerung zum angeblichen Missbrauch von Hartz IV zu lenken. Ich erinnere nur an die Kampagne gegen den Florida-Rolf, der Hartz IV bezogen hat und im Ausland gelebt haben soll. Die Boulevardpresse und viele Politiker griffen die Themen auf und hatten damit großen gesellschaftlichen Einfluss.

Sehr viele der Betroffenen haben sich auch zurückgezogen.

Viele Erwerbslose müssen unter Hartz IV um das tägliche Überleben kämpfen und haben wenig Zeit und Kraft zum Widerstand. Sie können sich oft auch die Tickets nicht leisten, um zu Veranstaltungen zu fahren. Dass ich mich nach so vielen Jahren noch immer wehre, liegt auch daran, dass ich meinen Protest auch mit kulturellen Mitteln wie Theater, Musik und Kabarett ausgedrückt habe. Widerstand muss auch Spaß machen, sonst verbittert man.

Hat die Montagsdemobewegung also keine Spuren hinterlassen?

Auch nach dem Ende der Massendemonstration engagierten sich in vielen Städten Menschen, die sich durch die Proteste politisiert hatten auf unterschiedliche Weise. Die zahlreichen Klagen vor den Sozialgerichten gehören dazu. Andere begleiten unter dem Motto »Keine/r muss allein zum Amt« Erwerbslose bei ihren Terminen. Ich habe in Berlin das Notruftelefon gegen Zwangsumzüge nach Hartz IV mitbegründet und mehrere Jahre betreut. Dort berieten wir Erwerbslose, die vom Jobcenter erfahren hatten, dass ihre Mietkosten teilweise nicht mehr übernommen wurden.

Sehen Sie darin eine Vorläuferorganisation der heutigen Kampagne gegen Zwangsräumungen?

Ich sehe da auf jeden Fall einen Zusammenhang. Viele der von Zwangsräumungen betroffenen Menschen sind in diese Situation gekommen, weil die Jobcenter die Mietkosten ganz oder teilweise nicht übernommen haben. Zudem müssen Wohngeldempfänger oft über mehrere Monate auf das Geld warten, das ihnen zusteht, weil die Ämter überlastet sind und mit der Bearbeitung der Anträge nicht nachkommen. Die Piratenfraktion in der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln will Ende August einen Antrag einbringen, der die Wohnungsämter zur Zahlung eines Säumniszuschlags an Wohngeldempfänger verpflichten soll, wenn sie die Anträge nicht in einem bestimmten Zeitraum bearbeiten.

Sehen Sie auch wieder Anzeichen für größere Erwerbslosenproteste?

Neuer Widerstand wäre dringend nötig. Schließlich sind unter dem unverfänglichen Motto Verwaltungsvereinfachung neue Verschärfungen gegen Erwerbslose in Planung. So soll künftig noch schneller sanktioniert werden. Ab Mitte September sind dagegen bundesweite Proteste in verschiedenen Städten dagegen geplant. Am 2. Oktober soll es einen bundesweiten Aktionstag geben.

Interview: Peter Nowak


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