Viele Gesichter

Gespräche mit Anarchisten

Anarchisten werden oft mit Chaoten oder Gewalttätern gleich gesetzt. Bernd Drücke, Redakteur der Zeitschrift »Graswurzelrevolution«, versucht, diesem Zerrbild entgegen zu wirken. In dem von ihm herausgegebenen Interviewband »Anarchismus Hoch 2« kommen 16 Menschen zu Wort, die sich als Anarchisten verstehen und unterschiedlicher nicht sein könnten. Schon das Buchcover soll dem Klischee vom Anarchisten, der im Untergrund agiert, entgegenwirken. Porträts aller Gesprächspartner sind dort abgebildet – der emeritierte Politikprofessor Wolf-Dieter Narr findet sich dort ebenso wie der Arzt Michael Wilk, der durch die Anti-Startbahnbewegung Ende der 1980er Jahre politisiert wurde, oder die französische Kletteraktivistin Cécile Lecomte. Sie sprechen über Anarchie und Anarchismus, Soziale Bewegungen, Utopien und Zukunft. Es sind Gespräche für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft.

Manche dürfte verwundern, dass sich der Liedermacher Konstantin Wecker in dem Buch zum Anarchismus bekennt. Zuweilen hätte man sich mehr kritische Nachfragen gewünscht, etwa wie der Comiczeichner Gerhard Seyfried die Gestaltung eines Wahlplakats für den Grünenpolitiker Christian Ströbele mit seinem Anarchismusverständnis vereinbaren kann. Wann mündet die anarchistische Offenheit in Beliebigkeit?

Desillusioniert äußert sich der DDR-Oppositionelle Wolfgang Rüddenklau, sehr informativ ist das Gespräch mit dem russischen Anarchismusforscher Vadim Damier. Dass ein Bekenntnis zum Anarchismus auch heute noch mit Repression verbunden ist, zeigt das Einreiseverbot in die USA, das gegen den Österreicher Gabriel Kuhn verhängt wurde, Autor des Standardwerks über den neuen Anarchismus in den USA. Auch Drücke wurde Opfer staatlicher Repressalien. Sein Lehrauftrag an der Universität Münster wurde nicht verlängert, weil er die Unterstützung der Grünen für den Jugoslawienkrieg kritisiert hatte.

Bernd Drücke (Hg.): Anarchismus Hoch 2. Karin Kramer Verlag, 240 Seiten, 18 Euro.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/934965.viele-gesichter.html

Peter Nowak


Kommentare sind geschlossen.