Care statt Cash

Das Bundesverfassungsgericht hält an der Diskriminierung häuslicher Care-Arbeit fest. Die Care-Revolution-Bewegung macht dagegen mobil

„Die geringeren Geldleistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung bei häuslicher Pflege durch Familienangehörige gegenüber den Geldleistungen beim Einsatz bezahlter Pflegekräfte verstoßen nicht gegen das Grundgesetz.“ Das ist der Kernsatz eines am Donnerstag veröffentlichten Beschlusses [1]
des Bundesverfassungsgerichts.

Geklagt hatten die Ehefrau und die Tochter eines Mannes, der während seiner schweren Krankheit von den beiden Familienangehörigen bis zu dessen Tod zu Hause gepflegt wurde. Sie mussten sich mit einem Pflegegeld der Stufe III in Höhe von 665 Euro begnügen. Bezahlte Pflegekräfte hätten mit 1.432 Euro mehr als doppelt so viel Geld bekommen.Durch mehrere gerichtliche Instanzen versuchten die beiden Frauen unter Hinweis auf den grundgesetzlichen Gleichheitssatz erfolglos den Differenzbetrag zwischen dem Pflegegeld und der höheren Pflegesachleistung einzuklagen. Nun sind sie auch beim Bundesverfassungsgericht gescheitert.

Berufung auf familiäre Beistandspflicht

Das Gericht argumentiert dabei mit Familienwerten sowie dem Ehrenamt, die eine geringere Vergütung der häuslichen Pflege möglich machen. „Während der Zweck der sachgerechten Pflege im Fall der Pflegesachleistung nur bei ausreichender Vergütung der Pflegekräfte durch die Pflegekasse
sichergestellt ist, liegt der Konzeption des Pflegegeldes der Gedanke zugrunde, dass familiäre, nachbarschaftliche oder ehrenamtliche Pflege unentgeltlich erbracht wird. Der Gesetzgeber darf davon ausgehen, dass die Entscheidung zur familiären Pflege nicht abhängig ist von der Höhe der Vergütung, die eine professionelle Pflegekraft für diese Leistung erhält. Die gegenseitige Beistandspflicht von Familienangehörigen rechtfertigt es, das Pflegegeld in vergleichsweise niedrigerer Höhe zu gewähren.“

Mit dem Urteil werden Kritikerinnen wie Claudia Pinl bestätigt [2], die seit Jahren konstatieren, dass die Propagierung von Familienwerten und demunentgeltlichen Ehrenamt zur Begleitmusik zur Schleifung des Sozialstaates im Wirtschaftsliberalismus gehört. Besonders in den Ländern der europäischen Peripherie wie Spanien und Griechenland kollabierten öffentliche Sozialsysteme wie Bildungs- und Gesundheitswesen. Die sozialen Arbeiten wurden weitgehend in die Familien zurückverlagert, wo traditionell Frauen besonders betroffen sind. Aber auch in Deutschland propagieren Gesundheitsforscher [3] wie Fritz Beske [4] ein extrem verschlanktes Gesundheitssystem [5], das sich einkommensschwache Menschen nicht mehr leisten können.

Neben drastischen Leistungseinschränkungen für die große Mehrheit der Bevölkerung propagieren Konservative wie Beske den Vorrang der ambulanten vor der stationären medizinischen Versorgung. Da kommt der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts gerade recht, der die finanzielle Abwertung der häuslichen Care-Arbeit noch einmal bestätigt. Mit dem Verweis auf die familiären Beistandspflichten wird verdeutlicht, dass es sich hier durchaus um ein Zwangsverhältnis handelt.

Auftrieb für Care-Revolution-Debatte?

Der Beschluss dürfte einer Debatte über die Krise der sozialen Reproduktion Auftrieb geben, wie sie seit einigen Jahren in feministischen Kreisen (http://www.feministisches-institut.de/aktionskonferenz/), aber auch in zunehmend größeren Teilen sozialer Initiativen geführt wird. Mitte März hat in Berlin ein gutbesuchter Kongress [6] stattgefunden, der der neuen Bewegung großen Auftrieb gegeben hat.

„In einem kapitalistischen System spielen menschliche Bedürfnisse jedoch nur insofern eine Rolle, als sie für die Herstellung einer flexiblen, kompetenten, leistungsstarken, gut einsetzbaren Arbeitskraft von Bedeutung sind. Sorgearbeit wird gering geschätzt und finanziell kaum unterstützt. Dies gilt insbesondere in der derzeitigen Krise sozialer Reproduktion, die wir als einen zugespitzten Widerspruch zwischen Profitmaximierung und Reproduktion der Arbeitskraft verstehen“, lautete eine der Thesen im Einladungspapier. In einer auf der Konferenz verabschiedeten Resolution [7] wurde die Sorgearbeit als „unsichtbare Seite der kapitalistischen Ökonomie“ bezeichnet.

„Der größte Teil der Sorgearbeit wird weiterhin unbezahlt geleistet – bleibt gesellschaftlich unsichtbar. Wegen der mangelhaften öffentlichen Versorgung wird Sorgearbeit wieder in die Haushalte verschoben. Ihre zwischenmenschliche Qualität muss sich aber auch hier gegen zeitlichen und finanziellen Druck sowie Überforderung behaupten. Damit wird sie zur Doppelt‐ und Dreifachbelastung.

Wer für wen sorgt, wie gut jemand für sich und andere sorgen kann, und wer wie viel Lohn und Anerkennung für geleistete Sorgearbeit erhält – all das ist entlang von Herrschaftsverhältnissen organisiert: Beispielsweise wird auf Grund patriarchaler Verhältnisse bezahlte wie unbezahlte Sorgearbeit noch immer eher Frauen zugewiesen, geht ihnen angeblich quasi ’natürlich‘ von der Hand. Dadurch werden Fachkompetenzen abgewertet, das Geleistete als Selbstverständlichkeit missachtet.“

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hat diese Einschätzung einmal mehr bestätigt. In Zukunft wird sich zeigen, ob es gelingt, die Care-Revolution-Bewegung mit gewerkschaftlichen Kämpfen zusammenzubringen. Dass es zumindest auf theoretischer Ebene gelingen kann, zeigt ein von dem Schweizer Denknetz [8] herausgegebener Band unter dem Titel „Care statt Cash“ [9]. Dort werden sowohl die wichtigsten Positionen [10] der Care-Revolution-Debatte und Schweizer Gewerkschaften vorgestellt und diskutiert.

http://www.heise.de/tp/news/Care-statt-Cash-2173608.html

Peter Nowak

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