Beginn des Organisierungsprozesses

Stadtpolitische Gruppen diskutierten über das Recht auf günstigen Wohnraum und akute Verdrängungsgefahren
Der Kongress »Wem gehört die Stadt?« lotete die Perspektiven von Mieterprotesten und Widerstand gegen Zwangsräumungen aus – selbstkritische Töne inklusive.

Im Mathematikgebäude der Technischen Universität Berlin sah es am Wochenende aus wie in den Hochzeiten des politischen Aktivismus. Zahlreiche Plakate und Transparente mit politischen Slogans waren aufgehängt. »Recht auf Stadt« und »Keine Verdrängung von Hartz-IV-Empfängern an den Stadtrand« war dort unter anderem zu lesen.

Und genau um diese Themen drehte sich ein dreitägiger Ratschlag, zu dem Mieterinitiativen und stadtpolitische Gruppen aufgerufen hatten. Der Kreis der Beteiligten reichte von der Initiative »A 100 stoppen«, die sich gegen den Autobahnbau wendet, über die in der außerparlamentarischen Linken verankerten Gruppen »andere zustände ermöglichen« (aze), Avanti und FelS bis zum Berliner Energietisch und den Palisadenpanthern. Die Seniorengruppe hatte in den letzten beiden Jahren mit zahlreichen Aktionen verhindert, dass für sie die Mieten in einer Seniorenwohnanlage in Friedrichshain unbezahlbar wurden. Dass sie sich auch nach ihrem Erfolg im letzten Jahr weiter als Teil der Mieterbewegung sehen, machte ein Mitglied der Palisadenpanther in seinem Kurzbeitrag bei der Vorstellungsrunde am ersten Tag des Ratschlags deutlich.

Viel Applaus erhielten auch die Delegierten des Bündnisses »Zwangsräumung verhindern«. Gleich zweimal mobilisierte es in der letzten Woche gegen eine Zwangsräumung. Beide Male wurden die Proteste mit einem großen Polizeiaufgebot beendet. Doch weitere Proteste sind nicht nur in Berlin in Vorbereitung. Am 12. April wird in Kreuzberg mit einer Demonstration an die Rentnerin Rosemarie F. erinnert, die im letzten Jahr zwei Tage nach einer Zwangsräumung verstarb. Am 16. April will sich das Berliner Bündnis in Köln an den Protesten gegen eine Zwangsräumung in der Rheinmetropole beteiligen. Der erste Räumungsversuch dort war gescheitert, nachdem sich zahlreiche Menschen dem Gerichtsvollzieher in den Weg gestellt hatten.

Dass sich der Protest bundesweit ausweitet, sehen die Aktivisten als Erfolg. Auf dem Ratschlag gab es aber auch viele selbstkritische Töne. Die berlinweite Vernetzung lasse noch zu wünschen übrig. Eine lange beworbene Demonstration im letzten Jahr habe zu wenig Ausstrahlung gehabt, meinten einige Redner. Zudem würden Anlaufpunkte für von Räumung bedrohte Mieter fehlen. In Kreuzberg hat die von Mietern errichtete Protesthütte diese Funktion übernommen. In anderen Stadtteilen könnten Mieterläden diese Rolle einnehmen.

Einige Teilnehmer vermissten die Berliner Mietergemeinschaft auf dem Ratschlag. Schließlich hatte diese Organisation im April 2011 unter den Titel »Vorsicht Wohnungsnot« eine Konferenz organisiert, die den Auftakt der Berliner Mieterproteste bildete. Fast drei Jahre später ist die Aufbruchsstimmung verflogen. Doch die Aktivisten haben auch gezeigt, dass die alltägliche Kleinarbeit eine wichtige Rolle spielt. Das kann die Erstellung eines Blogs ebenso sein wie die Beratung und Begleitung der von Räumung Betroffenen zu Hausbesitzern und Ämtern. »Der Ratschlag war der Beginn unseres Organisierungsprozesses«, brachte ein Mitglied des Vorbereitungskreises auf den Punkt.

Dass die Teilnehmerzahl hinter den Erwartungen der Organisatoren zurückblieb, ist für viele ein Ansporn, noch mehr Öffentlichkeitsarbeit außerhalb linker Kreise zu leisten.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/929364.beginn-des-organisierungsprozesses.html

Peter Nowak


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