Seit Wochen wird einer weitgehend passiven Öffentlichkeit das Schauspiel der Koalitionsrunden geboten. Doch das Interesse lässt nach
Heute werden sich die Funkwagen der Medien vor dem Willi-Brand-Haus in Berlin gruppieren. Denn in der SPD-Zentrale findet die Koalitionsrunde zwischen SPD und Union statt, die bereits im Vorfeld als „die entscheidende“ ausgegeben wurde. Nun muss man mit solchen Bewertungen vorsichtig sein, sollen sie doch vor allem Aufmerksamkeit bei einer Bevölkerung erzeugen, für die eine Fernsehserie oft mehr Unterhaltungswert hat als die laufenden Koalitionsgespräche.
So wurde denn aus Unionskreisen die Bedeutung dieses Abends schon mit der Bemerkung relativiert, es könne auch noch nachverhandelt werden. Das brachte wiederum Manuela Schwesig auf die Palme, die als Teil der SPD-Verhandlungsdelegation bereits mehrfach für Medienaufmerksamkeit gesorgt hat.
Damit bringen die Gespräche auch etwas für die eigene Karriere und damit zahlen sich die Mammutrunden wenigstens für die Beteiligten an den Verhandlungen individuell aus. Schwesig sprach sich gegen eine Nachspielzeit bei den Verhandlungen mit dem Argument aus, dass die Bevölkerung doch nicht länger auf die Probe gestellt werden soll.
Entmündigung durch Wahlen?
Es wird damit aber auch ein interessantes Rollenverständnis offenbar, das ungemein deutlich jenen Zustand beschreibt, der neuerdings in der Politikwissenschaft als Postdemokratie beschrieben wird. Linke Parlamentskritiker hatten schon viel früher von Entmündigung durch Wahlen gesprochen.
Nach dem 22. September, kaum hatten die großen Parteien vom Verweigerungs- in den Verhandlungsmodus umgestellt, wurden regelmäßig kurze Informationsbröckchen in die Bevölkerung geworfen. Da ging es dann vor allem darum, welcher Politiker mal laut geworden ist und sogar mit dem Abbruch der Gespräche gedroht haben soll. Über die politischen Differenzen, die dahinter steckten, erfuhr die Öffentlichkeit dagegen weniger.
Es blieb interessierten Lobbygruppen vorbehalten, sich zu dieser oder jener gerade verhandelten Maßnahme zu positionieren, sei es, indem die Rettung der Energiewende angesprochen wurde oder im Engagement zur Verhinderung der Vorratsdatenspeicherung. Doch selbst diese Maßnahme, zu deren Verhinderung noch im September Tausende auf die Straße gegangen sind, erzeugt in großen Teilen der Bevölkerung eher Schulterzucken.
Dass in den Koalitionsverhandlungen vielleicht über Fragen verhandelt werden, die große Teile der Bevölkerung betreffen, schließlich geht es bei den zurzeit noch strittigen Punkte um Fragen wie die Homoehe, den Doppelpass, aber auch den Mindestlohn, wird kaum registriert. Das ist von den Parteien auch nicht vorgesehen.
SPD-Grundwert Kohle
Diese Erfahrung musste eine Umweltinitiative machen, die in der SPD-Zeitung Vorwärts eine bezahlte Anzeige schalten wollte, in der sie die SPD-Basis dazu aufrief, sich gegen die Renaissance der Kohle als Energieträger zu positionieren. Die Zeitung lehnte den Abdruck der Anzeige mit dem Argument ab, sie würden sozialdemokratischen Grundwerten widersprechen. Was die Frage provoziert, wo denn mehr über den sozialdemokratischen Grundwert Kohle zu erfahren war.
Der Vorgang macht einmal mehr deutlich, dass die anvisierte SPD-Mitgliederbefragung wenig mit Demokratie zu tun hat, wenn man während der laufenden Koalitionsgespräche selbst in der parteinahen Zeitung bloß keine inhaltlichen Diskussionen führen will. Tatsächlich setzt die SPD-Mitgliederbefragung nur den I-Punkt auf in der Postdemokratie.
Dann entscheiden die aktiven SPD-Mitglieder, die an der Befragung teilnehmen, über die künftige Regierung. Das wurde in den letzten Tagen auch in Unionskreisen schon lautstark beklagt. Selbst ein Mitgliederentscheid der CDU/CSU wurde schon ins Spiel gebracht. Doch auch diese ganze Debatte hat etwas Heuchlerisches. Denn natürlich haben schon immer kleine Minderheiten über die Zusammensetzung der Regierungskoalition entschieden.
Als mit dem Lambsdorff-Papier Anfang der 1980er Jahre der Wechsel der FDP von der SPD zur Union in die Wege geleitet wurde, hatten die Lobbygruppen der Wirtschaft ihre Vorarbeit geleistet, die FDP-Basis wurde nicht direkt gefragt, natürlich auch nicht die der anderen Parteien.
Zustimmung zur großen Koalition schwindet
So gesehen ist der gegenwärtige vollständige Ausschluss der Bevölkerung aus den Koalitionsvereinbarungen nur die Fortsetzung einer lange geübten Praxis, die man als deutsche Lesart des Parlamentarismus bezeichnen kann. Eines wird die SPD-Mitgliederbefragung allerdings erreichen, die Aufmerksamkeit von Teilen der Bevölkerung auf die Pläne der zukünftigen Regierung wird wachsen.
Das hat schon einer genutzt, der immer an erster Stelle dabei ist, wenn es gilt Einspruch anzumelden, ohne große Konsequenzen eingehen zu müssen. Günther Grass, der vor den Wahlen noch mit Verve gegen die Linkspartei polemisiert hat, ruft jetzt dazu auf, gegen den Koalitionsvertrag zu stimmen.
Dass es bei dieser ganzen Frage weniger um Inhalte geht, sondern um Abrechnungen zwischen verschiedenen Politikern wurde schon längst deutlich. An der Frage, ob die SPD-Basis die Verhandlungen annimmt und wie hoch die etwaige Zustimmung sein wird, entscheidet sich in erster Linie die politische Karriere einer Andrea Nahles und eines Sigmar Gabriel. Nun könnte man einwenden, dass es doch konkrete politische Konsequenzen hat, wenn es beispielsweise einen gesetzlichen Mindestlohn gibt.
Doch genau an diesem Beispiel zeigt sich auch wieder das Funktionieren der Postdemokratie. Die Betroffenen kommen höchstens als Ziffer in einer Statistik vor und werden als Beispiele für die verschiedenen Positionen pro und kontra Mindestlohn angeführt. Derweil wird in der Koalitionsrunde schon über die Ausnahmen von der Regel verhandelt.
So will die Union Langzeiterwerbslose nicht in den Genuss eines Mindestlohns kommen lassen. Dabei handelt es sich um eine Gruppe, die ihn besonders benötigen würde. Derweil hat der frischgewählte IG-Metall-Vorsitzende Detlef Wetzel noch einmal bekräftigt, dass seine Organisation einen Mindestlohn von 8,50 Euro in der Stunde fordert, aber auch schon Ausnahmeregelungen ins Gespräch gebracht.
Dafür hat er weder ein Mandat seiner Basis, noch gehört die IG-Metall zu den Mitgliedern der Koalitionsrunde. Doch vielleicht hat sich Wetzel zu so viel Kompromissbereitschaft durch Merkels Bemerkung in ihrer Rede auf dem Gewerkschaftstag animiert gesehen, wo sie die IG-Metall an den Rang eines inoffiziellen Teilnehmers der Koalitionsrunde hob.
Ganz gleichgültig scheint die gerne als Walhlvolk gefragten Bevölkerung das große Theater um den Koalitionsvertrag nun doch nicht zu sein. Laut Umfragen schwindet die Zustimmung in der Bevölkerung für die große Koalition, die nun erstmals unter 50 Prozent liegt.
Ergänzung: Koalitionsvertrag
Wer Genaueres zu Inhalten der Koalitionsverhandlungen wissen möchte, kann dies nun mit einem Blick in den 171 Seiten starken Koalitionsvertragsentwurf zwischen CDU, CSU und SPD für die 18. Legislaturperiode tun. Es ist der dritte Entwurf und gibt den Stand vom 26.11.2013 um 0 Uhr 20 wieder.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/155390
Peter Nowak
Links
[1]
http://www.zeit.de/news/2013-11/25/d-dobrindt-schliesst-verlaengerung-von-koalitionsverhandlungen-nicht-aus-25004405
[2]
http://www.rp-online.de/politik/deutschland/schwesig-pokert-hoch-bei-der-homo-ehe-aid-1.3811192
[3]
http://energiewende-demo.de/start/start/
[4]
http://digitalcourage.de/
[5]
http://www.vorratsdatenspeicherung.de/
[6]
http://www.sfv.de
[7]
http://www.vorwaerts.de/
[8]
http://www.sfv.de/artikel/anzeige_fuer_spd-vorwaerts.htm
[9]
http://admin.fnst.org/uploads/644/Lambsdorffpapier-2.pdf
[10]
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/guenter-grass-spd-sollte-auf-grosse-koalition-verzichten-a-935229.html
[11]
http://www.igmetall.de/
[12]
http://www.faz.net/aktuell/politik/bundestagswahl/koalitionsverhandlungen-grosses-theater-12667516.html
[13]
https://www.documentcloud.org/documents/842077-koalitionsvertrag-2013-3a-entwurf.html
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