Zu blond für ein Romakind?

Eine neue Hetzkampagne gegen Roma in verschiedenen europäischen Ländern macht deutlich, wie schnell gegen eine gesellschaftliche Minderheit eine Hetzkampagne losgetreten werden kann

Der Anlass war eine Razzia in einem griechischen Roma-Lager, bei der der Polizei ein blondes Mädchen auffiel. Weil es nach dem Äußeren nicht zum Bild eines Romakindes passte, wurde es von der Polizei einem Heim übergeben. Nachdem ein DNA-Test deutlich gemacht hatte, dass die Romafamilie, bei der das Kind aufwuchs, nicht die Eltern des Mädchens waren, begannen wilde Spekulationen, die Roma hätten das Kind entführt.

Die Bildzeitung machte vor einigen Tagen mit der Schlagzeile auf: „Polizei rettet Mädchen vor Gypsi-Bande“. Differenzierter las sich ein Bericht über die Angelegenheit im Spiegel. Nicht nur in der Überschrift wurde von einer mutmaßlichen Entführung gesprochen. Im Text kam auch die Anwältin der Romafamilie zu Wort:

„Die Anwältin des Paares, Marietta Palavra, erklärte, die Familie habe das Kind aus einem Heim zu sich geholt, als es erst wenige Tage alt war. Dort sei es von einem ausländischen Fremden abgegeben worden, der gesagt haben soll, dass er den Säugling nicht weiterversorgen könne. Nur weil die verdächtige Frau falsche Papiere vorgelegt hätte, mache sie das noch nicht zu einer Kidnapperin, sagte Palavra. „Das Paar hat das Mädchen geliebt, als sei es sein eigenes Kind.“ Das Mädchen war in Athen registriert; die angeblichen Eltern hatten von den Behörden in der griechischen Hauptstadt eine Geburtsurkunde für das Kind erhalten.“ Die griechische Polizei wies auf unklare Angaben des Paares hin.

Wenige Tage später zeigte sich, dass die Mär über ein von Roma entführtes Kind eine rassistische Projektion gewesen sind: „Die leiblichen Eltern des bei einem Roma-Paar in Griechenland entdeckten blonden Mädchens Maria sind gefunden. DNA-Tests hätten bestätigt, dass ein am Donnerstag befragtes bulgarisches Roma-Paar Maria gezeugt habe, sagte der Stabschef des bulgarischen Innenministeriums, Swetlosar Lasarow, am Freitag in Sofia. Die griechische Polizei meldete derweil die Festnahme eines weiteren Paares, das widerrechtlich ein Roma-Baby erworben haben soll.

Bei den Eltern von Maria handelt es sich nach Behördenangaben um Sascha Rusewa und ihren Mann Atanas Rusew. Am Donnerstag waren beiden in der zentralbulgarischen Stadt Gurkowo von der Polizei befragt worden. Rusewa soll in der Befragung angegeben haben, vor einigen Jahren ihre sieben Monate alte Tochter bei ihren damaligen Arbeitgebern in Griechenland zurückgelassen zu haben. Nach eigenen Angaben handelte sie aus schierer Not und mangels gültiger Papiere und wollte ihr Kind eines Tages zurückholen.“

So wird klar, dass hier nicht ein Kind von einer „Gypsi-Familie“ gerettet wurde, sondern vielmehr ihren Pflegeeltern brutal entrissen und an die Öffentlichkeit gezerrt worden ist. Es mag wohl sein, dass bei der Unterbringung des Kindes manche Regel des Adoptionsrechtes verletzt wurde. Doch in einer Gesellschaft, die es zulässt, dass Romamütter aus blanker Not ihr Kind zurücklassen, hat wohl kaum ein Recht, auf irgendwelche Formalien in dieser Richtung zu bestehen. Wenn Verhältnisse geschaffen würden, in denen auch Sinti und Roma ein menschenwürdiges Auskommen hätten, wäre schon viel gewonnen.

Wenn vom Aussehen auf die Herkunft geschlossen wird

Dass nun aber ausgerechnet die Pflegeeltern, die das Kind wohl ohne staatliche Unterstützung aufgenommen haben, als Kindesentführer an den Pranger gestellt werden, ist eine Infamie, die nur auf einen Boden gedeihen kann, wo Roma sowie jedes Verbrechen zugetraut wird . Zumal wird nicht nur bei der griechischen Polizei, sondern auch in vielen deutschen Medien davon ausgegangen, dass Roma keine blonden Kinder haben können. Diese Annahme ist aus wissenschaftlicher Sicht nicht haltbar, im konkreten Fall einfach falsch, denn die Eltern waren Roma. Die Grundlage dieser Behauptung ist ein Rassismus, der aus dem Aussehen auf die Herkunft der Menschen schließen will.

Diese Weltsicht teilt die griechische Polizei mit vielen Rechtsaußengruppen in unterschiedlichen Ländern. So führte die falsche Behauptung vom blonden entführten Mädchen zu rassistischen Angriffen auf Roma in verschiedenen europäischen Ländern. Im serbischen Novi Sad versuchten Rechte einen Roma-Vater sein Kind auf offener Straße wegzunehmen, weil es nach ihrem rassistischen Weltbild zu blond war.

In Irland hatte die Polizei nach einer anonymen Denunziation zwei Romakinder vorübergehend ihren Familien entrissen und in Heime eingeliefert, weil sie für deren Rassenvorstellungen zu blond waren. In beiden Fällen konnte eindeutig nachgewiesen werden, dass die von den Romaeltern vorgelegten Papiere authentisch waren. Es fragt sich aber, ob hier nur von einer Blamage der Polizei und nicht von manifestem staatlichen Rassismus gerettet werden muss.

Uraltes antiziganistisches Klischee

Der in Berlin lehrende Politologe Markus End schrieb bereits im Jahr 2011 in der Publikation „Aus Politik und Zeitgeschehen“ einen Aufsatz unter dem Titel „Bilder und Struktur des Antiziganismus“. Dort heißt es: „Die meisten deutschen Angehörigen wachsen mit solchen Vorurteilen über „Zigeuner“ auf, ohne, dass sie jemals eine/n Angehörige/n der Minderheit de Sinti und Roma kennengelernt haben. Viele dieser Vorurteile sind negativer Art, beispielsweise das Gerücht, „Zigeuner“ würden Kinder stehlen“.

End ist Mitherausgeber zweier im Unrast-Verlag erschienenen Bücher, die die antiziganistischen Zustände detailliert untersuchen. Zudem hat er in einer Studie die Forschungsansätze zum Antiziganismus und seiner Gegenstrategien vorgestellt.

Schon vor mehr 200 Jahren durchschaute der Aufklärer Jakob Grellmann das Klischee vom kinderklauenden Roma: „Mehrere Schriftsteller reden von Menschenraub der Zigeuner und beschuldigen sie, dass sie besonders Kindern nachstellen.“ Für Grellmann war bereits 1783 die Wahrheit jener Beschuldigung „durch den Umstand äußerst verdächtig, dass lange zuvor, ehe noch ein Zigeuner europäischen Boden betreten hatte, die Juden damit verschrien wurden“.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/155228

Peter Nowak

Links

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Wird eine große Koalition am Mindestlohn scheitern?

Links

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http://www.insm.de/insm/kampagne/chance2020/printanzeigen.html

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http://www.insm.de/insm/Presse/Pressemeldungen/Chance2020-das-marktwirtschaftliche-Reformpaket.html

[3]

http://www.welt.de/wirtschaft/article121033950/Mindestlohn-Debatte-gefaehrdet-Tarifautonomie.html

[4]

http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.428112.de/13-39.pdf

[5]

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2294248/

[6]

http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/zu-teuer-familienunternehmen-warnen-vor-mindestlohn/8972122.html

Kahlschlag am Schäfersee

Gartenarbeiten rund um das Erholungsgebiet in Reinickendorf stoßen auf Kritik der Anwohner

Am Schäfersee in Reinickendorf lässt der Bezirk zahlreiche Pflanzen entfernen. Die Informationspolitik dazu war mangelhaft, lautet nun die Kritik der Anwohner.

Die sonnigen Oktobertage treibt auch viele Menschen an den Schäfersee im Bezirk Reinickendorf. Viele Menschen gehen dort diversen Freizeitaktivitäten nach. Doch Helene Balakowa (Name geändert) ist heute nicht zum Vergnügen hier. Sie wohnt seit Jahren in der unmittelbaren Umgebung der grünen Lunge im Norden Berlins. »Ich nutzte jede freie Minute, um sie hier zu verbringen«.

Doch seit einer Woche ist ihre Freude getrübt. Der Grund sind Gartenarbeiten rund um den See, die vom Bezirk veranlasst worden sind. Balakowa spricht von einen Kahlschlag im naturgeschützten Gebiet rund um den See. Daher führt sie Journalisten durch die veränderte Landschaft. »Diese Holunderbüsche sind 40 Jahre hier gewachsen und waren ideale Nistplätze für Vögel und Igel. Jetzt sind sie verschwunden«, beklagt sich die Frau. Beim Bezirksamt habe sie bereits mehrmals angerufen und sich beschwert. Doch ernst genommen fühlte sie sich dort nicht. Vor allem aber beklagt Balakowa, das über die Köpfe der Bewohner gehandelt wurde. Es habe im Vorfeld der Gartenarbeiten keinerlei Informationen über den Sinn und Zweck gegeben. Nicht nur sie stört das. Balakowas Nachbarin pflichtet ihr bei. Auch sie ärgert sich über den Kahlschlag am See.

Allerdings gibt es auch einige Anwohner, die die Veränderungen begrüßen. Sie fühlen sich sicherer, wenn die Hecken gestutzt sind und die Sicht von der Straße zum See offen ist. Das sei aber kein Grund für die gärtnerischen Arbeiten gewesen, betont ein Mitarbeiter des Reinickendorfer Bezirksamts gegenüber »nd«. Es seien vor allem gartenbauliche Gründe gewesen, die dazu geführt haben. So sei ein Großteil des entfernten Holunders bereits abgestorben. Zudem sei unter den unter den entfernten Pflanzen auch Hopfen gewesen, der bekämpft werden müsse, weil er die Nachbarpflanzen schädigt. Dem Bezirksamt seien die Beschwerden einiger Bewohnerin bekannt.

Selbstkritisch räumt der Mitarbeiter ein, dass die Informationspolitik des Ämtern nicht optimal gewesen sei. Deshalb überlegt man jetzt, nach Beendigung der Gartenarbeiten an die Anwohner in der der Nachbarschaft eine Informationsschrift zu verteilen. Auch der Referent für Naturschutzfrage beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Helmut Lohner betont auf Nachfrage, wie wichtig es ist, die Anwohner bei Veränderungen von Parks und Grünflächen mit einzubeziehen. Dabei reiche es eindeutig nicht, sie nach Beendigung von Maßnahmen zu informieren. Es müsse schon bei der Planung solcher Maßnahmen mit den Anwohnern kooperiert werden. Dabei sollten sie auch eigene Vorschläge und Aktivitäten entwickeln. Gerade viele langjährige Bewohner hätten ein großes Interesse eigene Beete anzulegen. Das werde aber in den Bezirken noch immer unterschiedlich praktiziert.

Die Beschwerden der engagierten Bewohnerinnen könnte so doch noch erfolgreich gewesen sein. Beim Bezirksamt will man die Kooperation mit den Anwohnern verändern.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/836730.kahlschlag-am-schaefersee.html

Peter Nowak

Weichen für die große Koalition sind gestellt

Links

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http://www.spd.de/

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http://lampedusa-in-hamburg.tk/

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http://www.heise.de/tp/blogs/8/154375

Mieter: Geteilte Probleme in gemeinsame Kämpfe übersetzen

Links

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http://wirbleibenalle.org/?p=947

[2]

http://europeandayofactionforhousingrights.wordpress.com

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http://bondprecairewoonvormen.nl/

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http://encounterathens.wordpress.com/2013/10/14/kalesma/

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https://www.facebook.com/events/188931747958290/?ref_newsfeed_story_type=regular

[6]

http://www.habita.info/

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http://droitaulogement.org/evenement/journee-europeenne-contre-le-logement-cher-la-speculation-pour-le-droit-au-logement/

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http://gruntowa.waw.pl/

[9]

https://www.facebook.com/pages/19-ottobre-sollevazione-generale-a-Roma-Assedio-allausterity/161076210766157?fref=ts

[10]

http://www.wem-gehoert-zuerich.ch/

[11]

http://www.newleftproject.org/index.php/site/article_comments/the_stockholm_uprising_and_the_myth_of_swedish_social_democracy

[12]

http://europeandayofactionforhousingrights.files.wordpress.com/2013/10/wohnen-in-europa-veranstaltung-15-10-20131.pdf

[13]

http://www.bmgev.de/

[14]

http://www.bmgev.de/politik/veranstaltungsreihe-13.html

[15]

https://www.youtube.com/watch?v=Exx8S-LoJYY&list=PLMiTvjX07b8fzpoGIL-nqhR27JSfeTleE

[16]

http://www.youtube.com/playlist?list=PLMiTvjX07b8cKcMWKudhbkzRsez8-ivw9

[17]

http://www.youtube.com/playlist?list=PLMiTvjX07b8dPlCIqlIOgPwNJG1PzdAAt

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http://www.youtube.com/playlist?list=PLMiTvjX07b8etuxVi5kdoSV52XzwalGK5

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http://www.youtube.com/playlist?list=PLMiTvjX07b8fQoy6VTSrsfk4JE3E99VAL

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http://www.youtube.com/playlist?list=PLMiTvjX07b8dygcLFECfK3ZjkScEcub1B

[21]

http://www.youtube.com/playlist?list=PLMiTvjX07b8cuBO9YJCpNhAtkY3lB4otj

[22]

http://www.imdb.com/name/nm4359456/

[23]

http://www.deutsch-tuerkische-nachrichten.de/2011/12/12305/%E2%80%9Eecumeopolis%E2%80%9C-film-offenbart-schattenseite-des-wachstums-von-istanbul

»Die Politik will die Arbeiter an den Stadtrand verdrängen«

Der Regisseur Imre Azem Balanli über die Politik der Stadterneuerung in der Türkei und die Rolle der Proteste im Gezipark

Imre Azem Balanli ist Regisseur des Dokumentarfilms über Istanbul »Ekümenopolis«.

In der letzten Woche hielt er im Rahmen der Veranstaltungsreihe Wohnen in der Krise einen Vortrag http://www.bmgev.de/politik/veranstaltungsreihe-13.html.

Über die Verdrängung von Arbeitern aus der Innenstadt der türkischen Metropole und die Aktualität der Proteste im Gezipark vom Mai sprach mit ihm Peter Nowak.

nd: Die AKP-Regierung ist dabei, Istanbul komplett zu erneuern. Welches ökonomische Modell steht dahinter?

Balanli: Die türkische Regierung will Istanbul zur Globalcity und zum führenden Finanzzentrumdes Nahen Osten zu machen. Der Staat schafft dafür die Gesetze und beseitigt die Hindernisse. Dazu gehören die Arbeitersiedlungen, die sogenannten Gecekondular.

nd: Warum sind sie ein Hindernis für eine Globalcity ?
I.B. : Die Gecekondular  wurden in den 50er und 60er Jahren von Fabrikarbeitern gebaut, weil der türkische Staat nicht genügend Kapital hatte. Er gab den Arbeitern sogar staatliches Land, damit sie dort bauen konnten. Seit  dem Aufkommen der Dienstleistungsgesellschaft sind die Arbeiter in der Stadt unerwünscht, weil sie nicht genügend Geld zum Konsumieren haben. Sie sollen aus der Innenstadt verschwinden. Die Politik der Stadterneuerung hat das erklärte Ziel, sie an den Stadtrand zu verdrängen.

nd : Welche Schritte hat die AKP-Regierung unternommen ?
I.B.:  Sie hat ein Gesetz  erlassen, dass die Errichtung  weiterer  Gecekondular verhindert.    Die staatliche Wohnungsbaubehörde wurde in ein privates Bauunternehmen umgewandelt.  Obwohl Gesetze zum Denkmalschutz erlassen wurden,  konnten alte Stadtviertel abgerissen werden. 2012 wurde schließlich ein Gesetz erlassen, dass die Wohnungen vor Naturkatastrophen sichern soll. Es ist heute das zentrale Instrument der Umstrukturierung.
nd : Ist ein solches Gesetz angesichts der vielen Erdbeben in der Türkei nicht sinnvoll?
I.B. :  Die AKP sorgt für die autoritäre Durchführung der Gesetze, die von der Hauptstadt Ankara zentral durchgeführt werden. Dafür ist das Ministerium für Umweltschutz und Stadtplanung verantwortlich. Es hat die Möglichkeit,  ohne jegliche wissenschaftliche Untersuchung ganze Stadtteile als gefährdet zu erklären und abreißen zu lassen.
nd : Wie können sich die Bewohner dagegen wehren?
I.B. : Sie haben keine Möglichkeit, gegen diese Entscheidungen Widerspruch einzulegen. Mittlerweile wurde ein Gesetz erlassen, dass Mietern mit Bestrafung und Verhaftung droht, wenn sie die Räumung zu verhindern wollen.

nd : Gibt es Beweise, dass  dabei der Schutz vor Erdbeben und andere Naturkatastrophen dabei keine Rolle spielen?
I.B. : Ich kann ihnen ein Beispiel nennen. Ein Geceokondu in Istanbul war von zahlreichen Hochhäusern umgeben. Doch die wurden nicht abgerissen, obwohl sie bei einen Erdbeben wesentlich gefährdeter werden. Nur die niedrigen Arbeiterhäuser sollen verschwinden.
nd : Was passiert mit den Bewohnern?
I.B. : Wenn sie sich widersetzen, droht ihnen Bestrafung und ihr Grundstück wird enteignet. Wenn sie einen Umzug zustimmen, müssen sie in teuere Wohnungen am Stadtrand ziehen und verschulden sich bei einer privaten Bank. Wenn sie mit zwei Monatsraten in Verzug sind, verlieren sie ihre Wohnung.

nd :  Stehen die vom Gezipark ausgehenden Proteste in diesem Kontext?
I.B. : Ja, es war ein kollektiver Protest dagegen, dass  aus Profitgründen in den öffentlichen Raum eingegriffen wird. Der Geziprotest hat  ein Bewusstsein  für die Probleme der Stadterneuerung geschaffen.
nd : Was ist heute von den Protesten geblieben ?
I.B. :  Im ganzen Land haben sich Initiativen gebildet.  Allein in Istanbul gibt es mehr als 60 Stadtteilforen. Ihre  Hauptforderung ist die Rücknahme des Gesetzes zum Abriss von Stadtviertel wegen dem Schutz vor Naturkatastrophen.
nd : Wie ist das Verhältnis der neuen Bewegung zur radikalen Linken in der Türkei, die schon vor den Gezi-Protesten gegen Umstrukturierung  aktiv waren?
I.B. : Die linken Gruppen haben den Widerstand in den Stadtteilen mitaufgebaut, in denen sie aktiv sind. In der  Bewegung des Geziparks und des Taksimplatzes arbeiten die unterschiedlichen Gruppen solidarisch zusammen.        Als  in der letzten Woche der junge Kommunist  Hasan Ferit Gedik in einen Istanbuler  Gecekondu von der Polizei erschossen wurde, protestieren sämtliche Teile der Bewegung.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/836159.die-politik-will-die-arbeiter-an-den-stadtrand-verdraengen.html
Interview : Peter Nowak

Mitgehangen, mitgefangen

In Deutschland werden die Forderungen nach mehr direkter Demokratie lauter. Seit einiger Zeit kommt es immer häufiger zu Bürger- und Volksbegehren.

»Hamburg ist spitze«, lautete das Fazit eines Rankings, das die Initiative »Mehr Demokratie« Anfang Oktober veröffentlichte. Sie setzt sich für bundesweite Volksentscheide ein und listet Bundesländer auf, in welchen die gesetzlichen Hürden für dieses Instrument besonders niedrig sind. Hier steht Hamburg an erster Stelle. »Zu ­fast allen Themen können dort Volksbegehren und Bürgerentscheide angesetzt werden«, loben die »Freunde der direkten Demokratie«, wie sich die Anhänger der Volks- und Bürgerentscheide nennen. Diese Selbstbezeichnung ist Ideologie. Soll doch damit betont werden, dass hier die Bevölkerung ihre Meinung ganz ungefiltert von Parteien, Institutionen und Wirtschaft zum Ausdruck bringen kann. Die Grünen sowie die Piraten- und die Linkspartei übertrumpfen sich geradezu in Bekenntnissen zur direkten Demokratie.

Diese drei Parteien hatten am 22. September in Hamburg unabhängig vom Wahlergebnis besonderen Grund zur Freude. Parallel zur Bundestagswahl entschied eine knappe Mehrheit der Wahlberechtigten, dass die Hamburger Energienetze von der Stadt zurückgekauft werden sollen. Lange Zeit war unsicher, ob eine Mehrheit zustande kommen würde, weil eine Koalition aus SPD, CDU, FDP, großen Teilen der DGB-Gewerkschaften und sämtlichen Hamburger Boulevardmedien vor einer Neuverschuldung warnte. Das Hamburger Ergebnis ist auch eine Vorlage für das Bündnis »Berliner Energietisch«, das ebenfalls einen Volksentscheid für den Rückkauf der Energienetze ini­tiiert hat, über den am 3. November abgestimmt wird. Mittlerweile versuchen die Initiatoren, übertriebene Erwartungen an einen Erfolg zu dämpfen. Niedrigere Strompreise nach einer Rekommunalisierung der Energienetze habe man nie versprochen, betonen sie. Damit machen sie explizit die Grenzen der vielbeschworenen direkten Demokratie deutlich.

Auch kommunale Stadtwerke müssen gewinnbringend wirtschaften. Dennoch wäre es für arme Menschen in Berlin ein Fortschritt, wenn es ein Moratorium bei Stromabschaltungen gäbe. Besonders die linken Gruppen im Bündnis »Berliner Energietisch« haben sich dieses Themas unter dem Stichwort »Kampf gegen die Energiearmut« angenommen. Der Hamburger und Berliner »Energietisch« liefern auch eine propagandistische Vorlage für die linken Freunde der direkten Demokratie. Schließlich wird dort eine wirkliche Verbesserung für große Teile der Bevölkerung mittels Volksentscheid gegen den Widerstand von Parteien, Wirtschaft und Presse durchgesetzt. Die Ergebnisse zeigen, dass es dafür in der Bevölkerung eine Mehrheit gibt.

Dennoch wäre es falsch, in der direkten Demokratie generell ein Instrument zur Durchsetzung sozial gerechterer Verhältnisse zu sehen. Gerade in Hamburg hat sich bereits zwei Mal gezeigt, dass sich damit auch die Verfestigung alter Privilegien durchsetzen lässt. Im Jahr 2010 konnte die Bürgerinitiative »Wir wollen lernen« mit einem Volksentscheid eine Bildungsreform verhindern, welche die Privilegien der Hamburger Oberschicht ein wenig eingeschränkt hätte. Bereits 2009 initiierten Altonaer Kaufleute erfolgreich einen Bürgerentscheid für eine Ikea-Filiale im Stadtteil. Die Gegner, die als Alternative die Einrichtung eines sozio­kulturellen Stadtteilzentrums gefordert hatten, konnten sich nicht durchsetzen.

Als erfolgreiches Bürgerbegehren zugunsten der Immobilienwirtschaft bewertete der damalige Leiter der Region Nord der Aurelis Real Estate, Harald Hempen, die Pro-Ikea-Initiative in der Branchenzeitung Immobilienmanager. Dort befasste man sich bereits im August 2012 in einem Themenschwerpunkt mit der Frage, wie kritische Bürger schon vor Entscheidung über Großprojekten einbezogen werden können. Der Immobilienbranche geht es dabei um die Erhöhung der Akzeptanz solcher Projekte bei der Bevölkerung. Man dürfe die Meinungsbildung nicht den Gegnern überlassen, befand der Geschäftsführer von Aurelis Real Estate.

Für den Kultursoziologen und Publizisten Thomas Wagner handelt es sich bei dieser Art der Bürgerbeteiligung um »trojanische Pferde neoliberaler Stadtentwicklung«. Er hat in dem kürzlich erschienen Buch »Die Mitmachfalle« eine Fülle von Beispielen zusammengetragen, bei denen Modelle der Bürgerbeteiligung als moderne Herrschaftsinstrumente genutzt werden. Dabei werden auch manche von der außerparlamentarischen Linken favorisierte Formen der Partizipation kritisch untersucht. Zu ihnen gehört auch das sogenannte Stadtteil-Organizing, das der Sozialwissenschaftler Robert Maruschke in den USA beobachtete. Er kritisiert im Gespräch mit Wagner, dass der US-amerikanische Bürgerrechtler Saul David Alinsky, der ein Wegbereiter des Community Organizing war, auf eine Kooperation mit den Eliten setzte und eine konfrontative Stadtteilpolitik ablehnte. Diese Form des Stadtteil-Organizing korrespondiert mit Mediationsmodellen, die bei derzeit umstrittenen Großprojekten zum Einsatz kommen. Die Bereitschaft zu Pragmatismus und schneller Kooperation ist bei diesen Modellen eine Grundvoraussetzung. Initiativen oder Einzelpersonen, die auf eine Politik der konsequenten Interessenvertretung setzen, gelangen bei diesem Vorgehen schnell in den Ruf, radikal und kompromisslos zu sein, und werden ausgegrenzt.

Das kann widerständigen Stadtteilinitiativen ebenso passieren wie kämpferischen Basisgewerkschaften oder sogar Parlamenten, wenn sie nicht bereit sind, ohne längere Diskussionen die neuesten Wirtschaftskonzepte zu billigen. Die Rede von der direkten Demokratie kann dann durchaus als Drohung aufgefasst werden, den wirtschaftsliberalen Umbau der Gesellschaft zügig umzusetzen. Wenn man bei einer Volksabstimmung die Bevölkerung vor die Wahl stellt, für eine Verlängerung der Ladenöffnungszeiten zu stimmen oder den Rückzug des Investors zu riskieren, dürfte es nicht schwer sein, die entsprechenden Mehrheiten zu erhalten. In der Schweiz, einem Land, das die Befürworter der direkten Demo­kratie gerne als Vorbild bezeichnen, stimmte bei einer Volksabstimmung im vorigen Jahr eine Mehrheit gegen eine von den Gewerkschaften geforderte Verlängerung des gesetzlichen Mindest­urlaubs. Die Furcht, damit die Schweiz als Wirtschaftsstandort zu schädigen, gab den Ausschlag. In Österreich ist Ende September mit den »Neos« bei der Nationalratswahl erstmals eine Partei in das österreichische Parlament gewählt worden, die sich selbst als »Polit-Startup« bezeichnet, eine wirtschaftsliberale Ausrichtung hat und sich für die Erleichterung von Volksabstimmungen einsetzt.

Sollte es in absehbarer Zeit zu schwarz-grünen Koalitionen in Deutschland kommen, dürften Volksabstimmungen auch hierzulande an Bedeutung gewinnen. Für eine solche Kooperation setzt sich Heiner Geißler (CDU) schon länger ein. Er gilt als vehementer Befürworter der Bürgerbeteiligung und kann bereits auf praktische Erfahrungen verweisen. Schließlich haben Geißler als Schlichter im Bahnhofskonflikt und die Grünen in Baden-Württemberg vorgeführt, wie man ein in der Bevölkerung umstrittenes Projekt wie »Stuttgart 21« doch noch verwirklichen kann. Ohne direkte Demokratie wäre das wohl kaum möglich gewesen.

http://jungle-world.com/artikel/2013/42/48635.html

Peter Nowak

»Die Realität der Knastarbeit«

Der wegen angeblicher Mitgliedschaft in der Militanten Gruppe inhaftierte Oliver R. soll trotz eines Fernstudiums weiterhin 40 Stunden wöchentlich arbeiten. Emma Michel gehört zum Solidaritätskomitee für R., der sich auch bei den Industrial Workers of the World (Wobblies) engagiert.

Was kritisiert Ihr Solidaritätskomitee am Umgang mit studierenden Gefangenen in der JVA Tegel?

Wir kritisieren generell den Umgang der JVA Tegel mit Gefangenen. Oliver musste schon mehrfach erleben, wie Entscheidungen hinausgezögert und schriftliche Bescheide erst nach mehrmaliger Nach­frage angefertigt wurden. So haben Gefangene nicht einmal die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen.

Den Angaben der JVA Tegel zufolge werden Gefangene von der Arbeit freigestellt, wenn ihr Studium »abschlussorientiert« ist.

Tatsächlich versucht die Anstaltsleitung aber immer wieder, das zu verzögern. Oliver ist – obwohl seit dem 1. Oktober Vollzeitstudent – noch immer nicht von der Arbeit freigestellt. Zudem wäre die Einschränkung »abschlussorientiert« zu hinterfragen. Am Ende eines Studiums steht im Normalfall die Prüfung, zumal wenn man wie Olli erst durch die Haft im geschlossenen Vollzug Gefahr läuft, seinen Arbeitsplatz draußen zu verlieren, und sich mit Blick auf die Zeit danach um Zusatzqualifikationen bemüht.

Wie ist die Lohnsituation in der JVA Tegel?

Es gibt sechs Vergütungsstufen für Gefangene. Olli ist in der Stufe 2: ein Tagessatz von 10,25 Euro für eine Acht-Stunden-Schicht mit 36 Minuten Pause. Gefangene, die schon länger arbeiten, verdienen bis zu 14,55 Euro am Tag. Es gibt keine Lohnfortzahlung bei Krankheit, keine Renten- und Sozialversicherung. Die JVA Tegel positioniert sich seit 2002 offensiv als Dienstleister auf dem sogenannten freien Markt. Die Gefangenen sind in der Regel auf das Einkommen an­gewiesen, um sich im externen Einkauf mit Dingen des täglichen Bedarfs zu versorgen.

Oliver R. ist Gewerkschafter. Müsste er dann nicht auch ein Streikrecht für Gefangene fordern?

Grundsätzlich ja. Tatsächlich aber ist es schwierig, ernsthaft etwas zu fordern, wenn es keine Struktur gibt, die solche Forderungen trägt. Außerdem ist Oliver erst seit Ende Mai im geschlossenen Vollzug. Einblick in die Realität der Knastarbeit zu bekommen, war für ihn als Wobbly wichtig. Das braucht Zeit. Man kann ja nicht wie ein Ufo in der Anstalt landen und mit der Gewerkschaftsarbeit loslegen. Ein von Oliver formuliertes Ziel ist es, dass Gefangene sich erstmal eigenständig organisieren, um Forderungen zu erarbeiten.

http://jungle-world.com/artikel/2013/42/48647.html

Interview: Peter Nowak

Den Staat Syrien wieder aufbauen

[1]

http://www.urania.de/

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https://www.versoehnungsbund.de/friedensreferat

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http://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Veranstaltungsflyer_Ghanem-Hussein.pdf

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http://binaa-syria.com/B/en/node/138

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http://www.louay.co.uk/ar

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http://binaa-syria.com/B/en

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http://www.free-syrian-army.com/

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https://www.adoptrevolution.org/

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http://www.heise.de/tp/blogs/8/151815

Zuspitzung im Hunger- und Durststreik vor dem Brandenburger Tor

Links

[1]

http://refugeestruggle.org/de

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http://www.heise.de/tp/blogs/8/153088

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http://www.berlin-leuchtet.de/

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http://www.heise.de/tp/blogs/8/155071

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http://www.bmi.bund.de/DE/Home/startseite_node.html

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http://lampedusa-in-hamburg.tk/

[7]

http://florableibt.blogsport.de/2013/10/14/ultimatum-an-den-hamburger-senat-alle-auf-die-strasse-schluss-mit-der-rassistischen-machtpolitik/

[8]

https://www.facebook.com/DieLetzteMeileLaufenWir

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http://www.heise.de/tp/blogs/8/154715

Hungern für Asyl

»Alle abschieben!« Oder: »Für die müssen wir zahlen, wenn die krank werden.« Solche Kommentare waren in den vergangenen Tagen vor dem Brandenburger Tor zu hören, wo abends Hunderte das Berliner Lichterfest bestaunten. Manche versuchen, die etwa 30 Flüchtlinge demonstrativ zu ignorieren, die am Pariser Platz ihr Protestlager aufgebaut haben. Am 9. Oktober sind sie in den Hungerstreik getreten, am 14. Oktober haben sie den Durststreik erklärt. Sie fordern die Anerkennung ihrer Asylanträge. »Wir sind vor euren Augen den ex­trem schlechten Wetterverhältnissen und Restriktionen ausgesetzt, aber ihr zieht Ignoranz vor. Jetzt rufen wir es aus, dass die Verantwortung für die Konsequenzen, welche auch immer geschehen werden, direkt an euch adressiert ist«, heißt es in einer Erklärung, die am Montag auf einer Pressekonferenz vorgestellt wurde. Doch nicht nur die Kommentare mancher Passanten, auch die Reaktionen der Politik lassen sich eher als Rassismus denn als Ignoranz bezeichnen. Nach dem Massensterben vor Lampedusa sparten auch manche deutsche Politiker nicht mit salbungsvollen Worten. Den Menschen, die das Glück hatten, die Überfahrt von Afrika nach Europa zu über­leben, wurde trotz Dauerregens vor dem Brandenburger Tor das Aufstellen eines Zeltes oder Regendaches verboten. Lediglich Schirme waren erlaubt. Die Beschlagnahmung von Matten, Decken und Polstern konnte der Anmelder der Aktion nur verhindern, indem er energisch auf ein Gerichtsurteil vom Dezember vorigen Jahres verwies, das die damalige Beschlagnahme solcher Utensilien durch die Polizei für rechtswidrig erklärt hatte. Auffallend passiv reagierte bisher die außerparlamentarische Linke auf die Eskalation am Pariser Platz. In Hamburg hingegen beantworteten Linke den steigenden Druck auf die dortige Lampedusa-Gruppe mit einer Großdemonstration. Im Anschluss wurde auf einer Versammlung in der Roten Flora dem Senat ein Ultimatum gestellt.

http://jungle-world.com/artikel/2013/42/48650.html

Peter Nowak

Ermittlungen nach Aktionen bei Ford

Vorwurf lautet auf schweren Landfriedensbruch

»Wir wollten unsere Kölner Kollegen warnen. Jeden Tag kann es passieren, dass die da oben weitere Stellenstreichungen und ganze Werksschließungen verabschieden.« So begründeten rund 250 Ford-Beschäftigte aus dem belgischen Werk in Gent ihre Protestaktion gegen die Schließung ihres Werkes am 7. November 2012 vor der Ford-Europazentrale in Köln.

Auf dem Rückweg wurden sie allerdings von einem großen Polizeiaufgebot stundenlang festgehalten. Jetzt hat die Kölner Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren gegen 15 belgische Ford-Arbeiter und einen Kollegen aus Köln eingeleitet. Der Vorwurf lautet auf »Rädelsführerschaft« in einem »besonders schweren Fall von Landfriedensbruch«.

Der von Gewerkschaftern gegründete »Solidaritätskreis 7. November« fordert die sofortige Einstellung sämtlicher Verfahren. Die Gruppierung bezeichnete die Ermittlungen als »Kriminalisierung einer Arbeitskampfaktion, die Konzern- und Ländergrenzen überwindet und die nicht den üblichen ›Dienstweg‹ einhält«.

Darüber hinaus zieht der Solidaritätskreis zeithistorische Parallelen. So seien bereits beim Ford-Streik in Köln vor 30 Jahren mit der Polizei, dem Werkschutz, den Medien und der Gewerkschaftsführung koordinierte Notstandspläne gegen Arbeiterunruhen zur Anwendung gekommen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/836063.ermittlungen-nach-aktionen-bei-ford.html

Peter Nowak

Richter wollen Marke „Unabhängigkeit der Justiz“ aufpolieren

„Baulärm ist hinzunehmen“, „Für die Rendite werden Mieter skrupellos vergrault“, Richterin in Mietstreit in der Kritik“. Das sind nur drei von vielen Überschriften  Berliner Medien, die sich in den letzten Monaten kritisch mit Urteilen  des Berliner Landgerichts in Mietsachen befassten. Doch nicht nur aus der Presse kam  Kritik. So haben Mieteraktivisten  ein Seminar des  Bundesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen e.V. besucht, das von der Richterin der 63 Kammer des Landgerichts  Regine  Paschke geleitet wurde. Die Kritik zeigt Wirkung. Am vergangenen Montag  lud  der Präsident des Berliner  Landgerichts Bernd Pickel zu einem zweistündigen Hintergrundgespräch   über das  Bild der Justiz bei Mietprozessen eingeladen.  Schon in der Pressemitteilung  wurde die Intention deutlich.  „Die  Neutralität der Gerichte wird zu einzelnen Mietprozessen in der Presse und in Internetforen intensiv diskutiert“, heißt es dort. „Unabhängigkeit unser Marken“, hieß es beim Gespräch. Die Marke muss also wieder mal  poliert werden.

Fakten, Fakten, Fakten

Nun könnten sich die Richter die Frage stellen, ob die kritisierten Entscheidungen Anlass zur Kritik gegeben haben können. Aber  die Einladung weist   in Richtung Presseschelte.   „Nicht immer wird in der Berichterstattung über Mietthemen deutlich, welche Rolle „die Justiz“ in  dem Geschehen einnehmen darf, nach welchen rechtlichen Vorgaben sie  tätig wird und wo sie Entscheidungsspielräume hat und wo nicht. In der oft  hitzigen Diskussion kommen auch die Fakten des jeweiligen Prozesses in  den Medien manchmal zu kurz“.  Die Fakten sollten nun in Hand einiger der besonders kritischen Urteile Berliner  Landgerichts nachgeliefert werden. Dabei standen die  Klagen der Mieter der Moabiter  Calvinstraße 21 im Mittelpunkt.  Dazu gehört das Urteil gegen eine  Rentnerin,  vor  deren  Bad   und Küche die  Eigentümerin, die  Terrial Stadtentwicklung GmbH aus Baden-Württemberg,  eine Mauer hochgezogen hat.   Anders als die Vorinstanz war die Kammer des Landgerichts mit Frau Paschke als Richterin der Meinung, ein Abriss der Mauer wäre für die Eigentümer ein zu großes Opfer.  Zudem hätte die Mieterin mittels Einstweiliger Verfügung den Bau der Mauer vor der Fertigstellung verhindern müssen. Hier vermissten die Richter in der Berichterstattung den Hinweis, dass zu diesem Urteil Revision zugelassen wurde.  Die Richter wollten den Eindruck zerstreuen, vor der 61ten  Kammer des Berliner Landgerichts hätten Mieter keine oder nur eine geringe Chance, sich gegenüber den Vermietern durchzusetzen. Die Nachfragen und Kommentare der anwesenden Journalisten zeigten aber auch,  dass der Erfolg  der Überzeugungsarbeit nicht besonders groß war.

Mit den Haus- und Grundstücksverband Öffnung in die Gesellschaft
Auf viel Unverständnis bei den anwesenden Journalisten sorgte auch die Verteidigung der Nebentätigkeiten der Richterin Regine Paschke beim Haus- und Grundbesitzerverband durch ihre Kollegen.  Die Honorare überstiegen nicht die üblichen Sätze und zudem sei es doch ein Vorteil für die Rechtspflege, wenn Richter nicht immer nur Akten lesen sondern sich in der  Gesellschaft  bewegen würden, erklärten die Richter. Dass  der Haus- und  Grundbesitzerverband  ein gutes Beispiel für eine Öffnung in die Gesellschaft  sein soll, verwundert nicht. Schließlich sind auch viele Richter Besitzer einer Eigentumswohnung oder eines Eigenheims. Am kommenden  Freitag soll das Landgericht darüber entscheiden, ob die Mieter  der Calvinstraße die  Modernisierung dulden müssen.  Kritik scheint fast vorprogrammiert.

aus: MieterEcho online 15.10.2013

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/pressegespraech-richterin-paschke.html
Peter Nowak

Richter sorgen sich um „Marke Unabhängigkeit“

Das Berliner Landgericht lud Journalisten zum zweistündigen Pressegespräch. Der Grund: Zahlreiche Urteile und Entscheidungen in Mietsachen standen in der Kritik

„Baulärm ist hinzunehmen“, „Für die Rendite werden Mieter skrupellos vergrault“, „Richterin in Mietstreit in der Kritik“.

Das sind nur drei von vielen Überschriften Berliner Medien, die sich in den letzten Monaten kritisch mit Urteilen des Berliner Landgerichts in Mietsachen befassten. Doch nicht nur aus der Presse kam Kritik. So haben Mieteraktivisten ein Seminar des Bundesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen besucht, das von der Richterin der 63. Kammer des Landgerichts, Regine Paschke, geleitet wurde.

Die Kritik zeigt Wirkung. Am vergangenen Montag hatte Bernd Pickel, der Präsident des Berliner Landgerichts, zu einem zweistündigen Hintergrundgespräch über das Bild der Justiz bei Mietprozessen eingeladen. Schon in der Pressemitteilung wurde die Intention deutlich. „Die Neutralität der Gerichte wird zu einzelnen Mietprozessen in der Presse und in Internetforen intensiv diskutiert“, heißt es dort. „Unabhängigkeit ist unsere Marke“, hieß es beim Gespräch. Die muss also wieder mal poliert werden.

Muss die Mauer vor dem Küchenfenster weg?

Nun könnten sich die Richter die Frage stellen, ob die kritisierten Entscheidungen Anlass zur Kritik gegeben haben können. Aber die Einladung weist in Richtung Presseschelte: „Nicht immer wird in der Berichterstattung über Mietthemen deutlich, welche Rolle ‚die Justiz‘ in dem Geschehen einnehmen darf, nach welchen rechtlichen Vorgaben sie tätig wird und wo sie Entscheidungsspielräume hat und wo nicht. In der oft hitzigen Diskussion kommen auch die Fakten des jeweiligen Prozesses in den Medien manchmal zu kurz.“

Die Fakten sollten nun in Hand einiger der besonders kritischen Urteile des Berliner Landgerichts nachgeliefert werden. Dabei standen die Klagen der Mieter der Moabiter Calvinstraße 21 im Mittelpunkt. In dem Haus wehren sich mehrere Mieter gegen eine Luxusmodernisierung.

Bundesweit bekannt wurde ein Urteil des Landgerichts im Fall einer Mieterin in dem Haus, deren Fenster in Küche und Bad durch eine Mauer verdeckt wird. Sie wurde von der Eigentümerin, die Terrial Stadtentwicklung GmbH hochgezogen. Anders als die Vorinstanz war die Kammer des Landgerichts mit Frau Paschke als Richterin der Meinung, ein Abriss der Mauer wäre für die Eigentümer ein zu großes Opfer. Zudem hätte es die Mieterin versäumt, mittels einstweiliger Verfügung den Bau der Mauer vor der Fertigstellung zu verhindern. Dann wäre das Opfer für den Vermieter nicht so hoch gewesen. Hier vermissten die Richter in der Medienberichterstattung auch den Hinweis, dass zu diesem Urteil Revision zugelassen wurde.

Nicht nur in diesem Fall wollten Richter auf der Pressekonferenz den Eindruck entgegenwirken, vor der 63. Kammer des Berliner Landgerichts hätten Mieter keine oder nur geringe Chancen, sich gegenüber den Vermietern durchzusetzen. Die Nachfragen und Kommentare der anwesenden Journalisten zeigten aber auch, dass der Erfolg der Überzeugungsarbeit nicht besonders groß war. So machte ein anwesender Journalist darauf aufmerksam, dass eine Mieterin ihre Kündigung wegen einer Mietminderung nur abwenden konnte, weil sie die vom Vermieter geforderte Summe zahlte. Die Kammer Justiz könne es nicht als Beispiel für mieterfreundliche Urteile heranziehen.

Ist ein Seminar beim Immobilienverband ein Eintauchen in die Gesellschaft?

Auf wenig Verständnis bei den anwesenden Journalisten stieß auch die Verteidigung der Nebentätigkeiten der Richterin Regine Paschke beim Haus- und Grundbesitzerverband. Die Honorare überstiegen nicht die üblichen Sätze und zudem sei es doch ein Vorteil für die Rechtspflege, wenn Richter nicht immer nur Akten lesen, sondern sich in der Gesellschaft bewegen würden, erklärten die Richter auf der Pressekonferenz.

Dass der Haus- und Grundbesitzerverband als gutes Beispiel für eine Öffnung der Justiz in die Gesellschaft angeführt wurde, verwundert nur, wer die soziale Positionierung der überwiegenden Mehrheit der Richterinnen und Richter in Deutschland außer Acht lässt. Schließlich sind viele von ihnen selber Besitzer einer Eigentumswohnung oder eines Eigenheims, wenige sind Gewerkschaftsmitglieder und wohl keiner war je Hartz-IV-Empfänger oder wird es in seinem Leben werden.

In den 1970er Jahren gab es zahlreiche Bücher und Aufsätze auch in kritischen juristischen Publikationen, die sich fragen, was es für die Justiz bedeutet, wenn die Staatsanwälte und Richter überwiegend dem mittleren und höheren Bürgertum angehören, in diesen Kreisen verkehren und deren Wertvorstellungen teilen, während ein Großteil der Angeklagten, aber auch der Kläger beim Mietprozessen den subalternen Teil der Gesellschaft angehen, man könnte auch altmodischer von Unterklassen sprechen.

Beim Pressegespräch wurde diese gesellschaftliche Kluft mit keinem Wort erwähnt. Stattdessen wurde an die Pressevertreter appelliert, mehr Vertrauen in die Unabhängigkeit der Justiz zu haben.

Die Justiz und die gesellschaftlichen Debatten Erstaunlich war auch, wie beharrlich die vier Richter beim Pressegespräch betonten, sie würden sich mit ihren Entscheidungen nur an der Gesetzgebung orientieren. Dass es eine Rechtsprechung gibt, die diese Gesetze unterschiedlich auslegt und interpretiert, und dass oft genug die Gesetze an Gerichtsentscheidungen angepasst wurden, wird dabei völlig ausgeblendet.

Allein die Einberufung des Pressegesprächs machte deutlich, dass die Justiz nicht unabhängig von den gesellschaftlichen Debatten ist. Durch eine in Berlin sich entwickelnde Mieterbewegung stehen die Entscheidungen des Landgerichts in Mietersachen unter einer besonderen Beobachtung und Kritik. Damit bestätigt sich eine ältere Beobachtung, dass in Bewegungszeiten, Einrichtungen und ideologische Staatsapparate, die sonst völlig unhinterfragt akzeptiert werden, kritischer betrachtet werden. So haben streikende Arbeiter die Bildzeitung boykottiert, die sie jahrelang unhinterfragt gelesen haben. Nun macht das Berliner Landgericht im Zuge der Mieterbewegung die Erfahrung, dass ihre Marke Unabhängigkeit in die Diskussion gerät. In anderen Städten dürften der Justiz ähnliche Erfahrungen noch bevorstehen.

Peter Nowak

http://www.heise.de/tp/blogs/8/155145

Links:

[1]

http://www.berliner-zeitung.de/bezirke/prozess-wegen-mietminderungen-calvinstrasse–baulaerm-ist-hinzunehmen,10809310,22704664.html

[2]

http://www.welt.de/finanzen/immobilien/article118954666/Fuer-die-Rendite-werden-Mieter-skrupellos-vergrault.html

[3]

http://www.tagesspiegel.de/berlin/ein-fall-von-befangenheit-richterin-in-mietstreit-in-der-kritik/7995596.html

[4]

http://www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/landgericht/standorte/dienstgebaeude-littenstrasse/

[5]

http://zwangsraeumungverhindern.blogsport.de/2013/06/08/kundgebung-gegen-seminar-von-richterin-paschke-fuer-vermieterinnen-mi-12-juni-1330-uhr-luetzowufer-15/

[6]

http://www.bfw-bund.de/index.php?id=130&tx_ttnews[tt_news]=2943&tx_ttnews[backPid]=130&cHash=efdc3b569f

[7]

http://www.bfw-bund.de

[8]

http://www.moabitonline.de/12036

[9]

http://www.tagesspiegel.de/berlin/calvinstrasse-in-moabit-zugemauerte-mieter-streit-verschaerft-sich/6832270.html

[10]

http://home.immobilienscout24.de/1263426

Scheine machen? Tüten kleben!

JUSTIZ Ein Häftling in Tegel wird trotz Fernstudium nicht von der Arbeit freigestellt. Warum, bleibt unklar

Oliver R. hat zurzeit eine 78-Stunden-Woche. Seit dem 1. Oktober belegt er wöchentlich 38 Stunden Kurse für sein Studium der Kulturwissenschaft an der Fernuniversität Hagen. Daneben faltet er 40 Stunden Kartons und klebt Tüten: R. arbeitet in der Kartonageabteilung der JVA Tegel.

Zu einer Haftstrafe verurteilt wurde R. wegen angeblicher Mitgliedschaft in der Militanten Gruppe (mg). Zunächst war er im offenen Vollzug und arbeitete in einer Buchhandlung. Als er im vergangenen Mai im Zusammenhang mit einer Großrazzia gegen die mutmaßliche mg-Nachfolgeorganisation „RAZ“ in den geschlossenen Vollzug verlegt wurde, entschloss er sich zur Aufnahme des Studiums.

Sein Antrag auf Freistellung von der Arbeit wurde auch von der zuständigen Sozialarbeiterin der JVA befürwortet. „Bis heute hat er aber darauf keine Antwort bekommen“, erklärte Lisa Steffen vom „Solikomitee Olli R.“ der taz, „er muss weiter 40 Stunden arbeiten und kann sehen, wie er nebenbei sein Studium auf die Reihe kriegt.“ R. solle sofort von der Lohnarbeit freigestellt werden, fordert die Soligruppe. JVA-Sprecher Lars Hoffmann weist die Kritik gegenüber der taz zurück. „Die JVA Tegel stellt Häftlinge von der Lohnarbeit frei, wenn sie ein Fernstudium abschlussorientiert absolvieren.“ Voraussetzung sei, dass sie den Studienfortschritt regelmäßig nachwiesen. Häftlinge ohne Abitur könnten sich an der Fernuni Hagen als GasthörerInnen einschreiben, würden aber nicht von der Arbeit freigestellt. Oliver R. hat Abitur und will sein Studium zum Abschluss bringen. Warum er nicht von der Arbeit freigestellt wurde, konnte Hoffmann auf Nachfrage der taz nicht sagen.

Eigentlich fortschrittlich

Der Sprecher betonte aber, die JVA Tegel biete als eine von wenigen deutschen Anstalten ihren Häftlingen die Möglichkeit des Fernstudiums. Das bestätigt Oliver Schlemmer, als AStA-Referent an der Hagener Uni für die Belange der JVA-KommilitonInnen zuständig. „Leider lehnen viele Justizvollzugsanstalten ein Studium an der Fernuniversität aufgrund der erforderlichen Internetverbindung komplett ab und vereiteln dieses sinnvolle Angebot“, so Schlemmer zur taz. Die JVA Tegel ist da aus meiner Sicht fortschrittlich.“ Er gehe davon aus, dass KommilitonInnen in der JVA Tegel von der Arbeit befreit würden. Das sei auch notwendig: „Ein Studium, das der Resozialisierung und Arbeitsaufnahme nach der Haft dienen soll, kann sinnvoller ohne Doppelbelastung erfolgen.“

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F10%2F15%2Fa0126&cHash=6f728182b69e1325dfc1246365717106

Peter Nowak