Berlin reif für Gedenkort?

Der Berliner Historiker Dietmar Lange untersuchte die blutigen Ereignisse 1919

nd: Anfang März 1919 endete ein Generalstreik in Berlin in einem Blutbad. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie ein historischer Spaziergang zu den Schauplätzen erinnern in diesem Jahr daran. Was forderten die Streikenden damals?
Lange: Sie wollten die uneingelösten Forderungen des 1. Reichsrätekongresses von 1918 durchsetzen. Dazu gehörten die Sozialisierung der Schlüsselindustrien, eine Heeresreform und die Verankerung der Räte in der Verfassung.

Wurde nur in Berlin gestreikt?
Die Streikbewegung blieb nicht auf Berlin beschränkt, war aber regional zersplittert. Grund waren die nur lose Koordination zwischen den Streikzentren im Ruhrgebiet, Mitteldeutschland und Berlin und der gezielte Einsatz militärischer Kräfte. Im Ruhrgebiet setzte der Streik nach dem Einmarsch von Freikorpsverbänden zu früh ein und war bereits zusammengebrochen, als er in Berlin begann.

Wieso kam es mit Streikbeginn zu den Unruhen, obwohl sich die Streikleitung von allen Aufstandskonzepten distanzierte?
Viele Indizien deuten auf eine gezielte Provokation der Militärs zu Beginn der Ausschreitungen und vor allem bei der Eskalation der Kämpfe mit den Soldatenwehren hin. Es wurden Falschmeldungen über getötete Polizisten verbreitet. Das so erzeugte Klima ermöglichte die Ausrufung des Belagerungszustandes über Berlin, die Ausschaltung der in der Novemberrevolution geschaffenen Soldatenwehren und das Blutbad unter den Revolutionären.

Wie viele Menschen starben?
Die genaue Zahl ist nie ermittelt worden. Der verantwortliche SPD-Minister Gustav Noske sprach von 1200 Toten in Berlin. Die meisten sind nicht in den Kämpfen gestorben, sondern wurden nach der Verhaftung standrechtlich erschossen oder kamen bei der Bombardierung von Arbeiterquartieren durch schwere Artillerie und Fliegerbomben um.

Sind Orte der Massaker bekannt?
An der damaligen Zahlstelle der Volksmarinedivision in der Französischen Straße 32 wurden 30 revolutionäre Soldaten erschossen, die ihren Sold abholen wollten. Elf Aufständische wurden an der Mauer des Lichtenberger Friedhofs hingerichtet. Überall in Berlin verhängten Standgerichte in Schnellverfahren Todesurteile.

Wäre es nicht an der Zeit für einen Gedenkdort?
Ich würde mich freuen, wenn die Diskussion um einen solchen Ort beginnen würde. An der Karl-Marx-Allee erinnern 40 Gedenkstelen an historische Ereignisse von der 1848er Revolution bis zur Gegenwart. Obwohl bei der Zerschlagung des Generalstreiks im März 1919 die Gegend um die Karl-Marx-Alle eine große Rolle spielte, fehlt bisher jeder Hinweis auf die Märzkämpfe.

2013 gibt es deutliches Interesse an dem Thema. Was ist geplant?

Am 14. März stelle ich in der Luxemburg-Stiftung das Buch vor, in dem ich mich mit den März-Ereignissen beschäftige. Am 17. März gibt es um 15 Uhr einen historischen Spaziergang zu den Schauplätzen vom März 1919.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/815240.berlin-reif-fuer-gedenkort.htm
Fragen: Peter Nowak

»Massenstreik und Schießbefehl – Generalstreik und Märzkämpfe in Berlin 1919«, edition assemblage, ISBN 978-3-942885-14-0