Mobil oder Auto-mobil?

Die Grünen und das Auto – in der Vergangenheit war das eher eine schwierige Verbindung. Noch vor einem Jahrzehnt galten die Grünen als Autohasser und waren ein rotes Tuch für die Automobilindustrie. . Die hatte auch wenig Interesse an ökologischen Konzepten für den Automobilverkehr, solange das Benzin scheinbar unbegrenzt verfügbar war und gute Profite brachte Noch in den 70er Jahren wurde die Forschung an Elektroautos in den USA von der Automobillobby massiv behindert.. Das hat sich heute grundlegend verändert. Doch ist das nur positiv zu bewerten? Auf dem Kongress der Böllstiftung war selbst von einer leisen Kritik an dem Automobilverkehr nichts mehr zu lesen. In der Einladung zum Kongress wird die Automobilindustrie unkritisch als tragende Säule der deutschen Wirtschaft bezeichnet, ohne diesen Zustand auch nur mit einem Nebensatz zu kritisieren.
Das Auto 3.0, das auf dem Kongress beworben wird, soll effizienter und nachhaltiger werden, damit der Autostandort Deutschland stark bleibt. Dabei wird weitgehend ausgeblendet, dass auch ein wesentlich ökologisches Auto immer noch eine Belastung für die Umwelt darstellt. Schließlich werden auch für die Produktion eines noch so umweltfreundlichen Autos Rohstoffe aller Art gebraucht. Es besteht die Gefahr, dass bei der Konzentration auf das Auto 3.0 Modelle eines Transportsystems jenseits des Individualverkehrs aus dem Blick geraten. Dabei wäre das die umweltfreundlichste Variante des Transports und gerade jetzt die Chance günstig, solche Konzepte in die Diskussion zu bringen. Selbst unter Beschäftigten der Automobilbranche gibt es solche Initiativen. Genannt sei die Umweltgewerkschaft, in der sich Beschäftigte von Opel-Bochum Gedanken darüber machen, wie sie statt Autos Fahrzeuge für den Nahverkehr produzieren könnten. Auf dem Kongress der Böllstifung war sie nicht eingeladen.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/811836.mobil-oder-auto-mobil.html
Peter Nowak

Party für einen Treffpunkt im Kiez

KREUZBERG In der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule soll ein soziales Zentrum entstehen

Noch wird gehämmert in den Räumen des Irving-Zola-Hauses in der Ohlauer Straße 12 in Kreuzberg. In dem Nebengebäude der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule soll am Wochenende die Eröffnungsparty für ein neues soziales Zentrum steigen. Der Grundsatz „Do it yourself“ wird ernst genommen: Gerade ist die Bühne zusammengezimmert worden. Mehrere Menschen probieren schon mal die Stabilität aus.

Sie wird am Wochenende eine tragende Rolle spielen: Am Samstagabend wird dort ab 22 Uhr unter anderem die Rapperin Lena Stoehrfaktor auftreten. Am Sonntagnachmittag geht es mit Kleinkunst weiter. Alle Veranstaltungen sind kostenfrei. Die BesucherInnen spenden, was sie erübrigen können. „Das ist ein wichtiger Grundsatz im Irving-Zola-Haus. Geld soll keine Zugangsbarriere sein“, betont Michael, der die frühere Schule am 8. Dezember mit besetzt hat.

Während im Hauptgebäude Flüchtlinge aus ganz Deutschland eine Unterkunft für den Winter gefunden haben, soll der Flachbau zum „barrierefreien und selbstbestimmten Raum“ werden, so die Idee der Macher. Mittlerweile wird er von vielen sozialen Initiativen genutzt. Die ehemalige Schule ist begehrt: Auch viele andere Initiativen aus dem Kiez interessieren sich für die Räume. Die Aktivisten setzen mit der Party ein Zeichen: Sie wollen bleiben.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F02%2F09%2Fa0272&cHash=f4555ca0160b4862cfa90884b8c4ee35
Peter Nowak

Sollen Pressefotografen Hilfspolizisten spielen?

Die Durchsuchung der Wohnungen mehrerer Fotografen sorgt für scharfe Kritik und wird noch die Gerichte beschäftigen

Die deutsche Journalistenunion bei der Dienstleistungsgewerkschaft verdi) wirft dem Landeskriminalämtern und der Polizei einen Verstoß gegen die Pressefreiheit vor. Anlass war eine Hausdurchsuchung bei acht Pressefotografen am Morgen des 6. Februars, die für die Frankfurter Rundschau, die Deutsche Presse Agentur, den Tagesspiegel und andere Medien arbeiten.

Laut Durchsuchungsbeschluss war Ziel der Aktion, an Fotomaterial von einer Demonstration am 31.3.2012 in Frankfurt am Main zu kommen, die im Rahmen des internationalen antikapitalistischen Aktionstages gegen die autoritären Krisenlösungsmodelle organisiert worden war. Sie war der Beginn der europaweit koordinierten Krisenproteste des letzten Jahres.

Ein massives Polizeiaufgebot verhinderte damals, dass die Demonstration das angemeldete Ziel, die im Bau befindlichen Europäischen Zentralbank im Osten der Mainmetropole, erreichen konnte. Ein Teil der Demonstranten wurde über mehrere Stunden eingekesselt, nachdem es einzelne Attacken gegen Gebäude an der Demoroute gegeben hatte. Obwohl sich die Organisatoren um Deeskalation bemühten und die Demonstration vorzeitig auflösten, wurde im Anschluss in vielen Medien das Bild einer gewaltbereiten Masse gezeichnet. Im Zuge der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Frankfurt sollte bei den Durchsuchungen Fotomaterial sichergestellt werden, das einen Angriff auf einen Polizisten am Rande der Demonstration zeigen sollte.

Fotografen unter Druck gesetzt

Wie die Durchsuchungsaktion ablief, schilderte der u.a. für die Frankfurter Rundschau arbeitende Fotograf Björn Kietzmann gegenüber Telepolis: „Ich wurde vor die Alternative gestellt, dass mein gesamtes Arbeitsgerät einschließlich Kamera, Computer und Speichermedien beschlagnahmt wird oder ich die Polizisten die Fotos von der Demonstration sichten lasse.“ Kietzmann, der von der fraglichen Aktion keine Fotos hatte, ließ sich unter dem Druck darauf ein, dass einige Polizisten die Fotos des Tages in Augenschein nahmen. Bei ihm wurden 16 Fotos von der Demonstration beschlagnahmt, die alle nicht die gesuchte Szene zeigten. Bei anderen Fotografen wurde bis zu 1000 Fotos beschlagnahmt.

Beim dpa-Fotograf Thomas Rasslow, der sich während der Durchsuchung in Syrien aufhielt, wurde in seiner Abwesenheit die Wohnung aufgebrochen, zahlreiche Arbeitsgeräte wurden beschlagnahmt. Er hat den Durchsuchungsbeschluss auf Facebook gestellt. „Ich wollte damit das Ausmaß der Beschlagnahme deutlich machen, die bei einem Fotografen getätigt wurden, der im Dursuchungsbeschluss als Zeuge bezeichnet wurde“, erklärte der Fotograf gegenüber Telepolis.

Wie Journalisten zu Linksaktivisten werden

Nachdem sowohl zahlreiche Journalisten- als auch Zeitungsredaktionen gegen die Maßnahme protestierten und bestätigten, dass es sich bei den Betroffenen um Pressefotografen handelt, erklärte die Frankfurter Staatanwaltschaft, dass sei ihrer Behörde nicht bekannt gewesen. Für Kietzmann ist diese Argumentation nicht nachvollziehbar. Er habe noch im letzten Jahr von der Berliner Pressestelle der Polizei eine Weihnachtskarte erhalten, die an der Behörde bekannte Journalisten versandt worden ist. Trotzdem sei im Durchsuchungsbeschluss weder erwähnt worden, dass es sich bei den Betroffenen um Journalisten handelt, noch dass ihre Arbeitsräume durchsucht wurden. „Wir wurden wie linke Aktivisten behandelt“, so Kietzmann. Dafür spricht auch das große Polizeiaufgebot. Vor seiner Wohnungstür standen ca. 50 Polizisten. Bei anderen Fotografen waren bis zu 100 Polizisten in Einsatz.

Die Aberkennung des Journalistenstatus hat gravierende rechtliche Folgen. Denn nach der als Cicero-Urteil bekannt gewordenen höchstrichterlichen Entscheidung von 2007 dürfen Pressevertreter nicht zu Hilfspolizisten gemacht werden. „Durchsuchungen und Beschlagnahmen in einem Ermittlungsverfahren gegen Presseangehörige sind verfassungsrechtlich unzulässig, wenn sie ausschließlich oder vorwiegend dem Zweck dienen, die Person des Informanten zu ermitteln“, heißt es dort.

Die von der Durchsuchung Betroffenen wollen juristische Schritte einleiten, um durchzusetzen, dass dieser besondere Schutz auch für freie Journalisten und Fotografen sowie deren Arbeitsräume anerkannt wird. Allerdings solle nicht vergessen werden, dass auch diese Maßnahme sich einreiht in eine autoritäre Krisenpolitik im europäischen Rahmen, von der Gewerkschafter und soziale Aktivisten in vielen Ländern ebenso betroffen sind wie die Medienvertreter.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153692
Peter Nowak

NEUE PROTESTPLATTFORM

Statt Besetzen setzt man jetzt auf Blockieren

Nicht mehr so viel zu hören ist von der Occupy-Bewegung, die im vergangenen Jahr auch in Berlin Plätze besetzt hatte. Stattdessen wurde jetzt in Berlin eine Blockupy-Plattform gegründet. Dabei drängelten sich am Dienstagabend mehr als 60 Personen aus verschiedenen linken Gruppen und Initiativen in den größten Raum der besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg.

Das Spektrum reichte von ehemaligen Occupy-AktivistInnen über Antifagruppen, Erwerbsloseninitiativen, den Berliner Naturfreunden bis zu linken Hochschulgruppen. Aber auch Unorganisierte seien bei Blockupy ausdrücklich willkommen. „Die Plattform ist kein Delegiertentreffen politischer Gruppen, sondern ein Forum für alle Interessierten“, sagt Aktivistin Tina Pleitsch.

Aktionstage mit Camps

Das neue Bündnis will in Berlin zu den Aktionstagen gegen die Europäische Zentralbank mobilisieren, die am 31. Mai und 1. Juni in diesem Jahr in Frankfurt am Main stattfinden sollen. Wie bei den ersten Blockupy-Aktionstagen in der Mainmetropole im vergangenen Jahr sind Camps, Blockaden, Veranstaltungen und auch eine Großdemonstration geplant.

In Berlin selbst will man bei der neuen Plattform bereits in der nächsten Woche mit Blockaden beginnen. Unter dem Motto „Blockupy goes Zwangsräumungen verhindern“ wird dazu aufgerufen, am 14. Februar die Zwangsräumung einer Familie in der Lausitzer Straße 8 zu verhindern, die nach einem jahrelangen Streit mit dem Eigentümer um Mieterhöhungen ihre Wohnung verlieren soll. Ein erster Räumungstermin war bereits im Dezember 2012 durch eine Blockade verhindert worden (taz berichtete).
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F02%2F08%2Fa0231&cHash=c40d0abf60e1d1130e693ed2fce7dfb9
Peter Nowak

Datenschützer rufen zum Einmischen auf

Internetportal eröffnet

Seit Anfang Januar liegen die Berichte des EU-Parlaments zu einer grundlegenden Datenschutzreform in Europa vor. Nun melden sich Datenschützer und Bürgerrechtler zu Wort. Am Dienstag eröffneten insgesamt 36 Organisationen aus mehreren Ländern das europäische Kampagnenportal privacycampaign.eu. Die im »European Digital Rights«-Netzwerk zusammengeschlossenen Akteure verstehen sich als Lobby für einen starken Datenschutz. Sie rufen alle Bürger dazu auf, in der Debatte um die EU-Datenschutzreform aktiv zu werden und die Europa-Abgeordneten anzuschreiben. Dafür liefert das Internetportal Tipps und die Hauptargumente der Datenschützer. Zudem wird das umfangreiche Gesetzespaket in zehn Punkten zusammengefasst.

Die deutsche Bürgerrechtsorganisation Digitale Gesellschaft e. V. bereitet parallel zur europäischen Initiative eine nationale Kampagne unter dem Motto »Brüssel entscheidet über deine Daten« vor, obwohl an der Ausgestaltung der Datenschutzrichtlinie Politiker und Experten aus den verschiedenen europäischen Ländern beteiligt sind. Die europäische Kampagne dagegen läuft unter dem passenderen Motto »Schütze deine Daten«.

Das erklärte Ziel ist es, der Kampagne für eine Reduzierung des Datenschutzes ein koordiniertes europaweites Vorgehen entgegenzusetzen. Hintergrund ist ein heftiger Streit, der seit Monaten zwischen Vertretern der USA und der Europäischen Union um die Ausgestaltung des Datenschutzes geführt wird. Das wurde auf einem Kongress Ende Januar in Brüssel deutlich, auf dem sich Wissenschaftler, Verbraucherschützer, Behörden und Unternehmen aus der ganzen Welt über den Datenschutz austauschten.

Dort war das eifrige Agieren von Lobbyisten ein zentrales Gesprächsthema. Sie arbeiten mit Hochdruck daran, dass die neue europäische Datenschutzverordnung, die von der EU-Kommission vorgelegt worden ist, verwässert wird. »Das Lobbyziel ist, den heutigen europäischen Datenschutz abzuschwächen, um derzeitig fragwürdige Geschäftsmodelle rückwirkend zu legitimieren, die auf der Nutzung von persönlichen Daten aufbauen«, erklärt die Wiener Informatikexpertin Sarah Spiekermann, die an der Konferenz teilnahm. Als Reaktion auf diese Praktiken wurde während der Konferenz die »Brussels Privacy Declaration« verfasst und veröffentlicht. Dafür sollen nun europaweit Unterschriften gesammelt werden, um dem Datenschutz eine Stimme zu geben.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/812320.datenschuetzer-rufen-zum-einmischen-auf.html
Peter Nowak

Verbilligte Strom-Kontingente für Bedürftige

Forderung der neuen Sozial-AG beim Berliner Energietisch

Start eines Volksbegehrens, das kommunale Energieversorgung in Berlin fordert, ist am 11. Februar. Auf die Aktivisten des Berliner Energietisches, die das Volksbegehren organisieren, kommt eine Menge Arbeit zu. Bis zum 10 Juni 2013 wollen sie 200 000 Unterschriften für ihren Gesetzentwurf sammeln, der eine »demokratische, ökologische und soziale Energieversorgung« in Berlin fordert.

Zu Wochenbeginn gründete sich die Arbeitsgruppe Soziales im Berliner Energietisch neu. Sie will dafür sorgen, dass die sozialpolitischen Grundsätze beim Sammeln der Unterschriften deutlich werden. Auf einem Flyer sollen die sozialprogrammatischen Grundsätze zusammengefasst werden. Zum Kreis der Aktivisten gehören Mitglieder der Gruppe »Für eine linke Strömung (fels), der umweltpolitischen Gruppen BUND und Gegenstrom sowie der Grünen Jugend.

Menschen mit geringen Einkommen machten sich Sorgen, weil häufig die Energiewende für Strompreiserhöhungen verantwortlich gemacht werde, meinte ein Mitglied der AG. »Sie sind daher oft für ökologische Belange oft schwer erreichbar. Gerade sie wollen wir mit unseren sozialpolitischen Forderungen ansprechen und für die Unterstützung des Volksbegehrens gewinnen.«

Bei der Sozial-AG wird nicht vom Energiesparen, sondern von Maßnahmen gegen die zunehmende Energiearmut in der Gesellschaft gesprochen. Davon sind Menschen mit geringen Einkommen besonders betroffen. Als Beispiel werden Stromsperren genannt, von denen auch in Berlin jährlich tausende Menschen betroffen sind. Zu den Maßnahmen gegen die Energiearmut, die in den sozialpolitischen Grundsätzen vorgeschlagen werden, gehört neben der Erhöhung der Regelsätze von Hartz IV und Wohngeld auch ein verbilligtes Stromkontingent. Die Forderung nach einer bestimmte Menge Gratisstrom stieß auf Widerspruch bei Umweltgruppen. Sie befürchteten, dass das im Widerspruch zur Verringerung des Stromverbrauchs stehen könnte
www.neues-deutschland.de/artikel/812303.verbilligte-strom-kontingente-fuer-beduerftige.html

Peter Nowak

Denunziantenschutz beim Jobcenter?

Anonyme Anzeigen gegen Hartz-IV-Bezieher werden in deren Akten aufgenommen, ohne sie davon in Kenntnis zu setzen. Die Datenschutzbestimmungen der Jobcenter garantieren die Anonymität der Informanten

Verdient sich der Hartz IV beziehende Nachbar etwa noch etwas dazu oder lebt er gar nicht in einer Zweck-Wohngemeinschaft? Es gibt Zeitgenossen, die sich solche Fragen über die in ihrer Umgebung wohnenden Mitmenschen stellen und dem Jobcenter entsprechende Hinweise geben. Für die Betroffenen kann das gravierende Folgen haben.

So wurde bereits 2010 durch die taz ein Fall in Göttingen bekannt, wo ein anonymer Anrufer das Jobcenter darüber informierte, dass eine Hartz IV-Bezieherin mehr bei ihrem Freund als in ihrer Wohnung leben würde. Mitarbeiter des Jobcenters leiteten weitere Erkundigungen in der Nachbarschaft der Denunzierten ein. Danach wurde der Frau die Hartz IV-Leistung gestrichen, ohne sie vorher auch nur angehört und mit den Vorwürfen konfrontiert zu haben. Dabei handelte es sich um einen alltäglichen Vorgang, der nur publik wurde, weil die Betroffene die Öffentlichkeit informierte.

Bis heute hat sie keine Ahnung, wer sie denunziert hat. So geht es vielen Betroffenen, bei denen plötzlich Sozialdetektive auftauchen, die feststellen wollen, wie viele Zahnbürsten im Badezimmer eines Erwerbslosen zu finden sind und ob die Butter im Kühlschrank einer Bedarfsgemeinschaft getrennt aufbewahrt wird. Diese Besuche empfinden die betroffenen Hartz IV-Bezieher besonders demütigend, weil es sich hier um einen massiven Eingriff in die Privatsphäre handelt. Jeder Hartz IV-Bezieher muss schon bei der Antragsstellung zustimmen, dass er den Behörden Einblick in sämtliche Konten gewährt. Nun ist selbst die eigene Wohnung nicht mehr vor Kontrolle sicher. Besonders belastend ist es für viele Betroffene, dass sie nicht wissen, von wem sie angezeigt worden sind. War es ein Nachbar, ein Bekannter oder womöglich sogar ein vermeintlicher Freund?

Dass soll auch in Zukunft so bleiben. Wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten der Linken Katja Kipping hervorgeht, garantieren die Datenschutzbestimmungen der Jobcenter die Anonymität der Denunzianten. In der Antwort der Bundesregierung auf ihre schriftliche Anfrage, bestätigt der Staatssekretär des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Gerd Hoofe, dass anonyme Anzeigen gegen Hartz-IV-Bezieher in deren Akten aufgenommen, ihnen aber nicht zur Kenntnis gegeben werden. Vor einer möglichen Akteneinsicht durch die Betroffenen sollen anonyme Anzeigen aus der Akte entfernt werden.

Datenschutz für Informanten?

Auf Kippings Frage, welche Anweisungen bzw. Regelungen und welche konkreten Praktiken in den Jobcentern hinsichtlich der in die Leistungsakte eines Hartz IV-Beziehers aufzunehmenden anonymen Anzeigen bzw. Strafanzeigen bestehen, heißt es in der Antwort:

„Der Informant hat Anspruch auf Geheimhaltung seiner personenbezogenen Daten. … Daher sollen im Regelfall entsprechende (anonyme) Anzeigen in einem verschlossenen Umschlag in der Leistungsakte aufbewahrt werden. Bei der Gewährung von Akteneinsicht ist diese im Regelfall herauszunehmen.“

Auf die Frage, welche Möglichkeiten für einen Hartz IV-Bezieher bestehen, Kenntnis über anonyme Anzeigen bzw. Strafanzeigen gegen ihn zu erlangen und sich gegen diese rechtlich zur Wehr zu setzen, antwortet der Ministeriumsvertreter, dass die Betroffenen die Namen der Informanten in Erfahrung bringen könnten, wenn es sich bei den Anzeigen nachweislich um Falschaussagen handelt und sie sich dagegen juristisch wehren wollen. Das können die Betroffenen aber nicht, wenn sie gar nicht wissen, dass gegen sie Anzeigen vorliegen.

Informelle Mitarbeiter der DDR können neidisch werden

„Anonyme Anzeigen gegen die Betroffenen in den Leistungsakten der Jobcenter sind ein Skandal. Erst recht, wenn sie dem Angezeigten nicht mal zur Kenntnis gegeben werden, weil sie bei Akteneinsicht vorher entfernt werden. Die Anzeigen beeinflussen den Fallmanager und der Betroffene weiß von nichts“, so Kippings Einschätzung, die von Erwerbsloseninitiativen geteilt werden.

Schließlich ist es absurd, wenn ausgerechnet Informanten sich auf Datenschutz berufen können sollen, den die beschuldigten Hartz IV-Bezieher nicht haben. Mancher ehemalige Informelle Informant der DDR dürfte da neidisch werden. Die haben sich gerne auch auf den Datenschutz berufen, als die Bürgerbewegung ihre Daten offenlegte.

Dieser von der Politik gewollte Datenschutz für anonyme Informanten ist auch ein Symptom für die gewollte Entsolidarisierung einer Gesellschaft. Denn so wird das Denunziantentum gefördert. In Zeiten, in denen ein Sarrazin zum Bestseller-Autor wird und Bild oder Sendungen wie Hart aber Fair mit Hetze gegen Erwerbslose Geschäfte machen bzw. für Aufmerksamkeit sorgen, gibt es genügend Willige, die dazu bereit sind.

Peter Nowak

Aus für Opel – und nichts passiert

Opel Bochum zeigt, wie schwer sic hdie Belegschaften mit der Automobilkrise tun

„Hier hat sich die Belegschaft selbst organisiert. Von Donnerstag an stand fest, die Belegschaft handelt und entscheidet gemeinsam jeden Schritt und jede Aktion. Ohne großartige Abstimmungen wurden die Tore besetzt, um zu verhindern, dass LKWs mit Ladung das Werk verließen – leer konnten sie fahren.“ Dieser Lagebericht des oppositionellen Bochumer Opel-Betriebsrates Manfred Strobel ist vor acht Jahren in der Zeitschrift Express erschienen, die gewerkschaftlichen Kämpfen in und außerhalb des DGB ein Forum gibt.
Damals hatte ein durch angekündigte Massenentlassungen ausgelöster sechstägiger Streik der Opel-Belegschaft in Teilen der Linken für Begeisterung gesorgt. Denn die Aktion hatte erkennbar nicht die Handschrift der IG-Metall-Führung getragen. Der Berliner Verlag „Die Buchmacherei“ hat unter dem Titel „6 Tage der Selbstermächtigung“ ein Buch herausgegeben, in dem die damaligen Kämpfe anschaulich dokumentiert sind. Acht Jahre später wurde der Schließungsbeschluss des Opelwerkes verkündet und es gab keine Torbesetzungen und Streiks. Kurz nach Bekanntwerden des Beschlusses demonstrierten am 10. Dezember knapp 100 Beschäftigten durch das Werk. Am 14. Dezember hatte die IG-Metall zu einer Kundgebung vor dem Tor 4 aufgerufen. Der Tenor der meisten Reden war Zweckoptimismus. Es sei schon ein Erfolg, dass die Gespräche weitergehen. So soll über die Auszahlung der 4,3% Tariflohnerhöhung, die Opel wegen als Vorleistung der Belegschaft gestundet worden sind, weiterverhandelt und das Ergebnis dann den Kollegen zur Abstimmung vorgelegt werden. Zudem wurde von den Betriebsräten die Aufsichtsratsversammlung vom 12. Dezember als erfolgreich bezeichnet, weil dort kein Schließungsplan vorgelegt worden war.
„Das halte ich für eine Nebelkerze. Schließlich wissen alle, dass es den Schließungsbeschluss gibt“, kommentierte Wolfgang Schaumberg diesem Versuch, die Belegschaft ruhig zu stellen. Schaumberg war jahrzehntelang in der oppositionellen Gewerkschaftsgruppe Gegenwehr ohne Grenzen (GoG) aktiv. Sie und ihre Vorläufer haben in den vergangenen drei Jahrzehnten bei Opel eine wichtige Rolle gespielt und sicher auch mit zum 6tägigen Streik vor 8 Jahren beigetragen. Dass die Gruppe, die die Standortlogik und das gewerkschaftliche Comanagement immer bekämpft hat, bei der letzten Betriebsratswahl erstmals kein Mandat mehr bekommen hat, zeigt das veränderte Klima.

Viele wollen lieber die Abfindung kassieren

Heute liegt der Altersdurchschnitt im Werk bei über 47 Jahren. „Gerade die Älteren hoffen auf eine Abfindung und rechnen sich schon aus, wie sie mit Abfindungen und Arbeitslosengeld bis zum Rentenalter kommen“, beschreibt Schaumberg die Situation Weil die Komponentenfertigung für andere Werke aus Bochum abgezogen wurde, könnte ein Ausstand heute nicht mehr wie 2004 die Opel-Produktion in ganz Europa lahmlegen. Dieser durch die technologische Entwicklung begünstigte Verlust der Produzentenmacht hat auch dazu geführt, dass sich viele StreikaktivistInnen von 2004 mit Abfindungen aus dem Betrieb verabschiedet haben. Dazu gehört auch der Express-Autor Manfred Strobel. Die Figur des “Arbeitermilitanten“, der, wie der vor einigen Jahren verrentete Wolfgang Schaumberg, über Jahrzehnte im Betrieb arbeiteten und Kampferfahrungen an neue Generationen weitergaben, war auch bei Opel schon vor den Schließungsplänen ein Auslaufmodell. Schließlich haben die Bochumer OpelanerInnen den Machtverlust selber erfahren können. In den letzten zwei Jahrzehnten ist die Anzahl der Belegschaftsmitglieder kontinuierlich zurück gegangen.
Dieser Rückgang der ArbeiterInnenmacht, bedingt durch den technologischen Fortschritt und die Politik der Wirtschaftsverbände, machen Belegschaften in vielen europäischen Ländern zu schaffen. Diese Erfahrungen haben dazu geführt, dass Entscheidungsstreiks in einzelnen Fabriken in den letzen Jahren zurückgegangen sind und dafür die aus der Defensive geführten politischen Streiks zugenommen haben, lautet die These des von Alexander Gallas, Jörg Nowak und Florian Wilde kürzlich im VSA-Verlag erschienenen Buch „Politische Streiks im Europa der Krise“.
Der IG-Metall-Vorstand zumindest macht sich über neue Kampfformen kaum Gedanken. Auf ihrer Homepage wird der Opel-Konflikt zu einem Kampf zwischen den Standorten USA und Deutschland stilisiert. Dort ist von „einer Kampfansage von General Motors an Opel Bochum“ die Rede. Das Management habe die Marke Opel beschädigt, lautet die Klage der gewerkschaftlichen Komanager, die ein profitables Opel-Werk fordern. „Damit sind weitere Verzichtserklärungen der Beschäftigten schon vorprogrammiert“, kommentiert Schaumberg realistisch.
Allerdings gibt auch bei Opel noch verschiedene Formen von Widerspruch gegen diese IG-Metall Linie. So empfahl ein oppositioneller Betriebsrat auf der Kundgebung am 14. Dezember, sich an den belgischen Ford-Kollegen aus Genk ein Beispiel zu nehmen, die Anfang November nach der Ankündigung der Werkschließung vor dem Ford-Werk in Köln protestierten. Die Aktion sei in den Medien in Deutschland als Randale hingestellt worden, es habe sich aber um eine Protestaktion mit Vorbildcharakter, erklärte er unter Applaus.

Oppositonelle Gewerkschafter gespalten

Ebenfalls aus den Reihen oppositioneller Opel-Gewerkschafter wird mit dem Vorschlag, Gewerkschaften und Umweltorganisationen sollen sich gemeinsam für die Produktion umweltfreundlicher Autos einsetzen, an die Konversionspläne der 70er Jahre angeknüpft.
„Solche Forderungen können nicht in einem Werk umgesetzt werden, sondern setzen eine ganz andere Auseinandersetzung mit dem Kapital voraus“, betont Schaumberg. Bei der GoG wird daher die Forderung diskutiert, dem Management mit der Position gegenüber zu treten, die Arbeit könnt ihr behalten, aber ihr müsst uns weiter bezahlen. Schließlich hätten die Lohnabhängigen die Situation nicht verursacht, die zum Schließungsbeschluss führte. Damit knüpfen sie an die Parole „Wir zahlen nicht für Eure Krise“ an. Im Fall Opel ist die Parole sehr treffend. Denn es ist auch die durch die deutsche Krisenpolitik der europäischen Peripherie aufoktroyiertes Verarmungsprogramm, das den deutschen Export einbrechen ließ und Opel unrentabel macht. Wer jeden Cent zweimal umdrehten muss, kauft schließlich keine Autos.
Ein erstes Fazit, das sich aus den Reaktionen auf die Opel-Krise ziehen lässt, ist so also durchaus zwiespältig. Viele außerparlamentarische Linke hätten natürlich jeden direkten Widerstand im Werk als Zeichen für die weiterhin lebendige ArbeiterInnenbewegung interpretiert. Dass aber die KollegInnen eben nicht einfach die Brocken hinwerfen und stattdessen ihre Abfindungen ausrechnen, ist auch der Erkenntnis geschuldet, dass im heutigen Kapitalismus eine isolierte Lösung in einer einzelnen Fabrik nicht möglich ist.
Die von der Umweltgewerkschaft angefachte Debatte über die Produktion von umweltfreundlichen Fahrzeugen ist nur möglich, wenn die Eigentumsfrage und ProduzentInnenmacht und Konzepte einer gesamtgesellschaftlichen, demokratischen Planung der Produktion wieder gestellt wird. In Zeiten, in denen die Markt- und Kapitallogik scheinbar alternativlos erscheint , könnten damit linke Zielvorstellungen wieder in der Öffentlichkeit platziert werden. Für das erste März-Wochenende plant die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Stuttgart eine Konferenz zum Thema „Erneuerung durch Streik“. In dem detaillierten Programm, das auf der Homepage http://www.rosalux.de/event/46538/erneuerung-durch-streik.html veröffentlicht, ist bisher allerdings Opel-Bochum nicht erwähnt.

aus analyse und kritik 579
http://www.akweb.de/
Peter Nowak

Machtlose Mächtige

Die Sicherheitskonferenz in München macht immer wieder deutlich, dass die Konflikte der Welt längst ihre Eigendynamik entwickelt haben

Regelmäßig in den ersten Wochen des neuen Jahres treffen sich in Mitteleuropa Personen, die gerne als Globalyplayer bezeichnet werden und denen ein gewisser Einfluss auf das Weltgeschehen zugeschrieben wird. Während es in der letzten Woche beim Welt Economic Forum im Schweizer Davos wieder einmal um die Weltwirtschaft ging, standen an diesem Wochenende auf der Münchner Sicherheitskonferenz die politischen Konflikte dieser Welt auf der Tagesordnung. Von der Euro- über die Energiekrise angefangen wurde nichts ausgelassen. Natürlich rückten die Hotspots des gegenwärtigen Krisenszenarios, Syrien und Mali, in den medialen Fokus. Der Konflikt mit Iran beschäftigte die Konferenz nun schon einige Jahre, ohne dass die angeblich mächtigen der Welt einer Lösung nähergekommen sind.

Bundesaußenminister Westerwelle sprach ganz richtig davon, es habe in den letzten 12 Monaten keinen Fortschritt gegeben. Die Wahrscheinlichkeit, dass Westerwelles Nachfolger im nächsten Jahr auf der Sicherheitskonferenz ähnliche Worte finden wird, ist sehr hoch. Dabei soll man sich auch nicht davon täuschen lassen, dass – anders als noch zu Zeiten der Bush-Administration – der Ton zwischen den Konferenzteilnehmern in der Sache hart, aber nicht konfrontativ ist.

Geisterfahrer der Weltgeschichte

So hat der CDU-Bundestagsabgeordnete Ruprecht Polentz die iranische Politik in der Atompolitik mit einem Geisterfahrer verglichen, der überzeugt ist, als einziger auf der richtigen Spur zu fahren. Auch die Forderung nach Respekt, die der iranische Außenminister forderte, konterte Polentz mit der Frage, wo bleibt der Respekt Irans für die USA und Israel? Israels Außenminister hat auf der Konferenz noch einmal betont, dass für sein Land im Konflikt mit dem Iran alle Optionen auf den Tisch liegen.

Das ist allerdings eine lange bekannte israelische Position, die vom größten Teil des politischen Spektrums in Tel Aviv geteilt wird und von keiner israelischen Politik aufgegeben werden kann. Denn jede andere Erklärung würde als Sieg des Iran interpretiert. Alle Optionen offen hat sich Israel auch im Syrien-Konflikt gelassen. Schon seit Monaten erklärten führende Sicherheitspolitiker des Landes, sie würden nicht zuschauen, wenn militärisches Potential aus syrischen Beständen in die Hände der Hisbollah fallen könnte.

Vor diesem Hintergrund war auch die israelische Militäroperation in Syrien keine Überraschung, die nach Medieninformationen einen Konvoi betraf, der Raketen für die Hisbollah transportieren wollte. Die syrische Regierung spricht von der Bombardierung eines technologischen Instituts, in dem Waffen hergestellt werden. Die Aufregung blieb selbst im arabischen Raum vergleichsweise gering. Das könnte durchaus ein Indiz dafür sein, dass das Ticket vieler arabischer Autokraten nicht mehr zieht, die mit Verweis auf den „zionistischen Feind“ die viel zitierte arabische Straße hinter sich zu scharren versuchten.

Es wäre vielleicht ein Erfolg der Umbrüche im arabischen Raum der letzten Jahre, dass das reflexhafte Feindbild Israel im arabischen Raum nicht mehr beliebig abrufbar ist. Dann bestünde erst die Chance, dass die realen Interessengegensätze im Nahen Osten auf einer rationalen Grundlage diskutiert werden könnten und so eine Verhandlungslösung vorbereitet werden könnte. Dass mit Chuck Hagel ein von den US-Konservativen heftig kritisierter Pragmatiker als neuer Verteidigungsminister vorgesehen ist und in Israel nicht wie vielfach prognostiziert das rechts- , sondern das liberalzionistische Lager Stimmenzugewinne errang, könnte solche Tendenzen befördern.

Zudem verläuft die Konfliktlinie im aktuellen Nahoststreit schon längst zwischen der Achse Syrien, Iran, Hisbollah versus Saudi Arabien und seinen Verbündeten. Die Hamasführung hat die Zeichen der Zeit erkannt und sich aus der Liaison mit Syrien zurückgezogen. Die Hisbollah ist wohl viel zu stark abhängig von Iran für einen solchen Positionswechsel. Daher dürfte es im Nahen Osten viele geben, die froh sind, dass die Aufrüstung dieser Gruppe zumindest einen Dämpfer bekommen hat. Nur die wenigsten werden es zugeben.

„Brodelnder syrischer Vulkan“

Als Paukenschlag wurde es nach der Sicherheitskonferenz bezeichnet, dass nun auch Russland mit der syrischen Opposition Kontakt aufnehmen will. Dabei ist es für politische Beobachter keine Überraschung. Da man in Russland nicht mehr davon ausgeht, dass das Assad-Regime sich mittelfristig halten kann, will man mit diesen Kontakten verhindern, dass man bei einem Machtwechsel nicht völlig aus dem Spiel ist. Es ist eher überraschend, dass Russland den Schritt nicht schon längst vollzogen hat.

Er wurde natürlich schon länger vorbereitet und die Sicherheitskonferenz war dann das Forum, auf dem er bekannt gegeben wurde. So gönnte man dem Treffen der Absichtserklärungen auch einen kleinen Erfolg, der dann gleich zum Paukenschlag hochgejazzt wurde, als wäre ein Friedensabkommen unterschrieben wurde. Diese Meldungen machen aber auch deutlich, wie niedrig die Messlatte mittlerweile liegt, um etwas zum Erfolg zu erklären. Eigentlich müsste das Motto des Treffens lauten: „Nett, dass wir wieder miteinander geredet haben“ und im nächsten Jahr folgt dieselbe Prozedur.

Denn die Treffen machen nur eins deutlich: Die vielzitierten Globalplayer müssen ihre Machtlosigkeit erkennen. Manche dürften sich noch in die Zeiten des kalten Krieges zurücksehnen, als die Welt scheinbar schön übersichtlich war. Aber das war schon damals mehr Ideologie als Realität. Man braucht nur an die militärische Unterstützung des Westens für die afghanischen Islamisten unterschiedlichsten Couleurs zu denken, die gegen die Linksregierung in Kabul und ihre sowjetischen Verbindungen in Stellung gebarcht wurden – ohne diese Unterstützung hätte der Islamismus nicht ein solcher Faktor werden können. Nach mehr als einem Jahrzehnt „Krieg gegen den Terror“ fällt den Globalplayern nichts Besseres ein, als abermals Islamisten zum Machtfaktor zu machen. So ist die Krise im Mali eine direkte Folge des von Außen erzwungenen Sturzes des Gaddafi-Regimes. Es könnte sein, dass auch bald die Islamisten militärisch bekämpft werden, die im Zuge des Bürgerkriegs in Syrien erstarkt sind und auch von Politikern unterstützt wurden, die es eigentlich nach den Anschlägen vom 11. September besser wissen müssen. Dahinter steckt aber eher Ratlosigkeit als Kalkül.

Nie ist die Ratlosigkeit der scheinbar so Mächtigen auf der Sicherheitskonferenz deutlicher geworden, als im Fall Syrien. „Eine friedliche Lösung des syrischen Bürgerkriegs ist nicht in Sicht. Darin waren sich die Teilnehmer des Syrienpanels am Sonntag weitgehend einig. Ohne neue Strukturen globaler Politik wird sich das nach ihrer Meinung auch nicht ändern“, heißt es da. Die Metapher vom „syrischen Vulkan“, die zu hören war, unterstreicht ein Verständnis des Konflikts, wonach das Geschehen scheinbar naturhaft und von Menschenhand nicht zu stoppen ist. Auch diese Version ist Ideologie. Sie unterschlägt, dass dann sehr wohl politische Entscheidungen getroffen wurden und werden. Nur muss man sich von der schon immer allzu simplen Vorstellung verabschieden, dass die Folgen politisch berechenbar, kalkulierbar und eingrenzbar wären.

Auch Imperialismustheorien auf dem Prüfstand

Dieses Problem betrifft allerdings nicht nur die vermeintlichen Globalplayer auf der Konferenz, sondern auch ihre erklärten Gegner. Einem Aufruf unterschiedlicher Bündnisse sind am Samstag ca. 1.000 Menschen gefolgt. Wenn eine Rednerin auf der Demonstration sich die Frage stellt, warum angesichts der Kriege in der Welt nicht Millionen protestieren, müsste die Überlegung folgen, ob ein Grund nicht genau darin liegt, dass auch die klassischen Imperialismustheorien mit der neuen Unübersichtlichkeit für viele Menschen an Plausibilität verloren haben, zumindest wenn damit eine Lesart gemeint ist, die alle Konflikte und Kriege der Welt auf einfache Formeln zu bringen versucht.

Das wird beispielsweise an Forderungen wie „Bundeswehr raus aus ‚Syrien, Afghanistan und Mali'“ deutlich, wenn nicht gleichberechtigt die Unterstützung derjenigen zivilgesellschaftlichen Kräfte gefordert wird, die sich in den Ländern gegen den Islamismus stellen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153674

Peter Nowak

Cam over: Geraten in Berlin nach den Autos jetzt die Kameras ins Visier?

Der Aufruf Cam Over beruht auf dem Konzept des autonomen Subjekts

Um die Autobrände in Berlin ist es in letzter Zeit ruhiger geworden. Dabei gibt es noch immer brennende Fahrzeuge, wobei die Frage, ob politische Motive der Hintergrund sind, oft nicht klar ist. Es gab immer wieder massive Kritik auch in linken Kreisen, ausgerechnet das Auto zum Symbol aller Übel in der Welt aufzubauen und zu meinen, ein brennendes Auto wäre nicht eher ein Problem des Besitzers und keine Schlacht gegen den Kapitalismus. Zumal die Autos, die am wenigsten bewacht und gesichert sind, bestimmt nicht den wohlhabendsten Zeitgenossen gehören. Nun scheinen sich einige Aktivisten der linken Szene ein anderes Objekt ausgesucht zu haben: die Kameras, die in den letzten Jahren im Alltag massiv zugenommen haben.

Unter dem Slogan „Cam Over 2013“ haben Unbekannte zur Zerstörung von Überwachungskameras aufgerufen. Das Motto erinnert nicht zufällig an das englische »Game over. Im Aktionsaufruf heißt es: „Ziel des Spiels ist es möglichst viele Überwachungskameras zu entwerten.“ Die Sicherheitsbehörden nahmen diese Aufrufe sehr ernst. Webseiten, die das Aktionskonzept dokumentierten oder per Video die Unbrauchbarmachung einer Kamera exemplarisch vorführten, wurden umgehend gesperrt (http://camover.blogsport.de/spielidee/), aber sind wenig später wieder online.

Sowohl auf der aktivistischen Plattform Indymedia als auch auf anderen Webseiten wurden Schreiben veröffentlicht, in denen sich Gruppen mit Fantasienamen zu vollzogenen Kameraentwertungen bekennen. Sie ziehen dort auch eine Parallel zum 16. Europäischen Polizeikongress, der vom 16. bis 20 Februar in Berlin tagt. Das zentrale Thema soll dort „Schutz und Sicherheit im digitalen Raum“ sein. Wie in den vergangenen Jahren hat sich auch 2013 ein Bündnis zusammen gefunden, das gegen diesen Polizeikongress aktiv wird.

Militante Liberale?
Der Wechsel vom Auto zur Kamera scheint für die anonymen Aktivisten zunächst nicht unlogisch. Anders als ein Auto ist eine Überwachungskamera auch gesellschaftlich viel umstrittener. Das Recht, nicht beobachtet zu werden, wird gerade in der bürgerlichen Öffentlichkeit mit Nachdruck vertreten. Anders als ein Auto kann auch kaum jemand behaupten, eine Kamera wäre eben ein persönliches Hobby. Allerdings fällt auf, dass sich die anonymen Cam-Overisten nicht einmal die Mühe gemacht zu haben, ihren Aktivismus mit einer linken Gesellschaftskritik erklären zu wollen. So heißt es in dem Cam-Over-Aufruf verbalradikal, aber ohne jegliche Argumente:

„Wir hassen Überwachungskameras. Sie waren schon seit ihrer Erfindung scheisse. In unseren Städten verfolgen sie uns mittlerweile auf Schritt und Tritt. Auf der Straße, in Läden, in Wohnhäusern und in Bus und Bahn. Permanent werden wir beäugt, überwacht, ausspioniert. Menschen und Institutionen, die es am besten überhaupt nicht geben sollte, speichern Bilder unseres Lebens und vermitteln uns den Eindruck, ständiger Kontrolle zu unterliegen. Weil wir dieser Vision schon viel zu nahe sind, jeder Moment aber der letzte sein könnte, sie zu zerstören, rufen wir zu einem Spiel auf. Ein freudiges Spiel mit einem ernsten Ziel.“

Hier wird deutlich, dass die anonymen Verfasser in der Ideologie eigentlich militante Liberale sind. So mögen ihre Aktionsformen radikal sein, die Begründung aber könnten Liberale jeglicher Couleur unterschreiben, die schließlich alle die Autonomie des bürgerlichen Subjekts hochhalten und die Überwachung als grobe Verletzung dieser Autonomie verstehen. Selten wird deutlich, dass viele, die sich als Autonome verstehen, tatsächlich die letzten Verfechter dieser bürgerlichen Autonomie sind. Dabei wird völlig ausgeblendet, dass es oft gerade Menschen mit wenig Geld sind, die an bestimmten Orten Überwachungskameras fordern. Der Grund liegt nicht darin, dass es sich hier um große Sicherheitsfanatiker halten.

Die Ängste der Subalternen werden ignoriertVielmehr haben sie einfach Angst, zu bestimmten Zeiten bestimmte Plätze aufzusuchen. Die Kameras suggerieren ihnen Sicherheit. Die Kritik, dass es dabei nur um ein Sicherheits-Placebo handelt, ist berechtigt. Aber auch in der Medizin sind Placebos nicht ganz wirkungslos. Daher ist der Kampf gegen die Kameras nicht falsch, wenn aber die konkreten Ängste von sich als schwach empfindenden Teilen der Bevölkerung ausgeblendet wird, ist es eine Angelegenheit des autonomen Bürgers, der nicht überwacht wenden und auf seine Autonomie wert legt.

Wenn dann Rentner, Frauen oder Menschen mit Handicaps nicht mehr aus dem Haus gehen, weil sie, ob begründet oder nicht, Angst vor Überfällen, Vergewaltigungen und anderen Angriffen haben, ist ein solcher Aktivismus sicher kein Beitrag dazu, dafür zu sorgen, dass die Straßen und Plätze wieder von allen genutzt werden können.

Peter Nowak

Der absolute Nullpunkt

Die Jobcenter verhängen immer häufiger Sanktionen. Auch eine Kürzung der Hartz-IV-Leistungen um 100 Prozent ist möglich.
Drucken»Die Minderung erfolgt für die Dauer von drei Monaten und beträgt 100 Prozent des Arbeitslosengeld II«, teilte die Sachbearbeiterin des Jobcenters der Stadt Forst dem erwerbslosen Bert Neumann* mit. Als wäre diese Mitteilung nicht schon aussagekräftig genug, heißt es im nächsten Absatz des Schreibens: »Ihr Arbeitslosengeld II fällt in diesem Zeitraum komplett weg.« Als Grund gab das Jobcenter an, Neumann sei einem Computergrundkurs des Bildungswerks »Futura GmbH« unentschuldigt ferngeblieben. »Ich wurde zum dritten Mal in den gleichen Computerkurs geschickt, der aber immer von unterschiedlichen Trägern veranstaltet wurde«, sagt der Erwerbslose der Jungle World. Dort seien den Kursteilnehmern für die Jobsuche die Grundlagen der Internetnutzung beigebracht worden. Da Neumann seit Jahren mit Computern arbeitet, langweilte er sich in dem Kurs schon beim ersten Mal. Dass ihn die Sachbearbeiter des Jobcenters gleich dreimal zum Kursbesuch aufforderten, interpretiert er ebenso als Schikane wie den Totalentzug des ALG II.

Für den Kauf dringend benötigter Lebensmittel wurde ihm vom Amt ein Gutschein im Wert von 176 Euro ausgehändigt. Genussmittel dürfen damit nicht erworben werden. Wenn nicht der gesamte Betrag bei einem Einkauf ausgeben wird, verfällt der Restbetrag, weil kein Wechselgeld ausgezahlt werden darf. Nach dem Ende der Sperre wird der Wert der Gutscheine monatlich mit zehn Prozent von seinen Hartz IV-Leistungen abgezogen, bis der Betrag beglichen ist. Seit der Streichung des ALG II kann Neumann auch seine Miete nicht zahlen, er fürchtet die Kündigung. Mittlerweile hat sein Anwalt Klage gegen den Totalentzug von Hartz IV eingereicht. Seine Erfolgsaussichten sind nicht schlecht. Eine 100-Prozent-Sanktion sei prinzipiell rechtmäßig, im Detail aber an sehr vielen Punkten angreifbar, sagt Harald Thomé, Referent für Arbeitslosen- und Sozialrecht beim Verein Tacheles, der Jungle World. Erfolge gebe es regelmäßig. »Ich würde behaupten, dass in der juristischen Prüfung etwa 75 Prozent der Sanktionsbescheide kassiert werden.« Eine Sanktion, die einen Wohnungsverlust zur Folge hat, sei verfassungswidrig, interpretiert Thomé anhand zweier Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Höhe von Hartz IV und zum Asylbewerberleistungsgesetz vom Februar 2009 und Juli 2012. Allerdings ist der Weg durch die juristischen Instanzen zeitaufwendig. Ein Mensch, der befürchten muss, die Wohnung zu verlieren, hat diese Zeit oft nicht.

Zur Unterstützung von Bert Neumann hat sich in Forst ein »Freundeskreis« gegründet. Unter dem Motto »Sanktionen treffen einzelne, doch gemeint sind alle« lädt er für den 8. Februar zum Podiumsgespräch über Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger. Allein in Forst wurden in letzter Zeit fünf Beziehern von ALG II die Leistungen auf null gekürzt. Bundesweit hat die Zahl der gegen Hartz-IV-Bezieher verhängten Sanktionen im vorigen Jahr einen Rekordstand erreicht. Wie die Bundesanstalt für Arbeit mitteilte, verhängten die Jobcenter von August 2011 bis Juli 2012 erstmals in mehr als einer Million Fällen Strafen gegen Langzeitarbeitslose. Als Gründe für dieses Vorgehen wurden die gute Arbeitsmarktsituation und die Professionalisierung der Jobcenter genannt. Damit zeigt sich, dass mit dem statistischen Rückgang der Erwerbslosenzahlen, der im Wesentlichen auf dem Boom des Niedriglohnsektors beruht, der Druck auf die Bezieher von Transferleistungen zunimmt. Zugleich steigt der gesellschaftliche Druck auf Erwerbslose, die als »renitent« wahrgenommen werden. Das musste auch Ralph Boes erfahren, der sich für das bedingungslose Grundeinkommen engagiert und zur Diskussionsveranstaltung in Forst eingeladen wurde. Nachdem er Anfang Dezember bei einem Auftritt in der Talkshow »Menschen bei Maischberger« die Hartz-IV-Sanktionen als Zwang bezeichnet und deren Abschaffung gefordert hatte, attackierte ihn die Bild-Zeitung als »Hartz-IV-Schnorrer«.

* Name von der Redaktion geändert
http://jungle-world.com/artikel/2013/05/47046.html
Peter Nowak

In der Defensive

Zum politischen Streik in Deutschland seit dem Zeitungsstreik 1952

Am 14. November gab es den ersten länderübergreifenden europäischen politischen Streik. Schwerpunkte waren Spanien, Zypern, Malta, Italien, Portugal, aber auch einige Branchen in Belgien. In Deutschland beschränkte sich der Aktionstag auf Solidaritätskundgebungen, die von linken Gruppen und der FAU initiiert worden waren. Nachdem linke GewerkschafterInnen noch einen Monat vor dem Aktionstag in Offenen Briefen die Vorstände von DGB und Einzelgewerkschaften daran erinnerten, dass der 14. November in den europäischen Gewerkschaftsgremien einvernehmlich unterstützt worden war, sprang auch der Gewerkschaftsapparat auf den Zug auf.
Die linkssozialdemokratische Rosa-Luxemburg-Stiftung hatte bereits im Mai 2012 in Berlin einen Kongress zum Thema Politischer Streik in Europa veranstaltet und GewerkschafterInnen aus verschiedenen europäischen Ländern eingeladen. Dabei wurde aber schnell deutlich, dass die Renaissance des politischen Streiks aus einer defensiven Position erfolgt. Weil durch die zunehmende internationale Vernetzung der Produktion kaum noch erfolgreiche Fabrikkämpfe zu führen seien, verlagern sich in vielen europäischen Ländern die Arbeitskämpfe auf das politische Terrain, so das Fazit vieler der eingeladenen GewerkschafterInnen.
Der in der Rosa-Luxemburg-Stiftung für Gewerkschaftspolitik zuständige Referent Florian Wilde hat kürzlich gemeinsam mit den Politologen Jörg Nowak und Alexander Gallas im VSA-Verlag ein Buch mit dem Titel „Politische Streiks im Europa der Krise“ herausgegeben. Wilde skizziert dort den defensiven Kontext, in dem sich die politischen Streiks heute abspielen und der sich diametral von den Zeiten unterscheiden, als Rosa Luxemburg in den Massenstreiks eine Schule zur Vorbereitung der politischen Revolution sah.
„Die zunehmende Zahl von politischen Streiks und Generalstreiks ist zunächst Ausdruck der hochgradig defensiven Stellung, in der sich die Gewerkschaften nach drei von Niederlagen geprägten Dekaden heute befinden (…) Die Gewerkschaften und die gesellschaftliche Linke kämpfen in dieser Situation mit dem Rücken an der Wand. Aus dieser Konstellation ergibt sich sowohl die massive Zunahme politischer Streiks als auch ihr vorrangig defensiver Charakter“, schreibt Wilde.

Vergessene politische Streiks in Deutschland
In einem eigenen Kapitel wird ein kurzer Rückblick auf die politischen Streiks in der BRD gegeben, die heute weitgehend vergessen sind. Ein Grund dürfte auch darin gelegen haben, dass die politischen Streiks in der Regel nicht so benannt werden, weil sie ungesetzlich sind und die DGB-Gewerkschaften immer auf dem Legalitätsprinzip beharrten. Mit dieser Position lehnten DGB- und IG-Metall-Vorstände vehement Aufrufe von außerparlamentarischen Gruppen ab, mit den Mitteln des Generalstreiks gegen die Wiederbewaffnung oder die Notstandgesetze zu protestieren. Dieses Legalitätsprinzip bewahrte GewerkschafterInnen nicht vor Kriminalisierung, wie die langjährige IG-Metall-Bevollmächtigte Heidi Scharf am Beispiel des Stuttgarter Frauenstreiktags vom 8. März 1994 erläuterte. Scharf und eine weitere Gewerkschafterin erhielten einen Strafbefehl wegen Rädelsführerschaft, weil sie eine nicht für den Fußgängerübergang vorgesehene Straßenkreuzung überquerten. Lehnten die Gewerkschaftsvorstände Aufrufe zu politischen Streiks bei Themen vehement ab, in denen sie hätte in Konfrontation zur SPD gehen müssen, wie es bei den Notstandsgesetzen und der Wiederbewaffnung der Fall war, so unterstützte sie schon mal politische Arbeitsniederlegungen, wenn auch die SPD davon profitierte.
So gab es anlässlich des letztlich gescheiterten Misstrauensvotums der Unionsparteien gegen die Regierung Brandt/Scheel 1972 Arbeitsniederlagen in verschiedenen Großfabriken, die von der Gewerkschaftsbasis ausgingen, aber Unterstützung bis auf die Vorstandsebene fanden auch die Arbeitsniederlegungen Mitte der 80er Jahre gegen den heute weitgehend vergessenen „Franke-Erlass“, die eindeutig als politische Streiks zu klassifizieren waren, genossen die Unterstützung von DGB-Vorständen und der SPD. Dabei ging es um eine Verfügung des damaligen Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, Lohnabhängigen, die während eines Streiks von den Unternehmen ausgesperrt wurden, keine Unterstützungsleistungen mehr zu gewähren.
Hinter Franke stand die konservative-liberale Bundesregierung, die nach dem Vorbild der britischen Thatcher-Regierung auch in Deutschland die Gewerkschaftsmacht einschränken wollte. Dabei ging es aber nicht um eine Beschränkung von Arbeiterselbstorganisation. Getroffen werden sollte vielmehr ein eng mit der SPD verbundener Gewerkschaftsapparat. Die SPD versuchte ihrerseits mit ihrer Kampagne gegen den Franke-Erlass während der Regierungszeit von Bundeskanzler Helmut Schmidt verloren gegangenes Vertrauen bei Teilen der Gewerkschaftsbasis zurückzugewinnen. Daraus wird deutlich, dass auch die Unterstützung eines politischen Streiks durch die Gewerkschaftsvorstände kein Indiz für eine Linksentwicklung des Apparats sein muss.

Machtkampf im Zeitungsstreik
Es gab aber auch in der bundesdeutschen Geschichte Beispiele für politische Streiks, die sich zum Machtkampf zwischen Teilen der Lohnabhängigen und den Staatsapparaten entwickelten. Dazu gehört der Zeitungsstreik von 1952. Er war Teil des Kampfes der DGB-Gewerkschaften um eine erweitere Mitbestimmung in der frühen BRD. Anfang der 50er Jahre, als die Restauration der alten Besitz- und Machtverhältnisse in der BRD in vollem Gange war, wollten die Gewerkschaften mit dem Kampf um die Mitbestimmung ihren Anspruch auf die Mitverwaltung im Staat deutlich machen. Doch die politischen Eliten hatten daran kein Interesse, zumindest nicht, solange die Gewerkschaften dazu auch Kampfmittel einsetzen. Gerade mit dem überraschenden, weil unangekündigten Zeitungsstreik begaben sich die Gewerkschaften auf ein politisches Feld, in dem sie praktisch demonstrierten, dass sie die Macht hatten, die Medien zum Schweigen zu bringen, die überwiegend eine Kampagne gegen die Gewerkschaften gefahren hatten. Hier blitzte tatsächlich die Vorstellung der Macht einer Arbeiterklasse auf. 1919 hatten bewaffnete ArbeiterInnen das Berliner Zeitungsviertel besetzt, was die SPD-Führung mit dem Standrecht und dem Einsatz der konterrevolutionären Freikorps beantworte.
1952 hatten die DGB-Gewerkschaften mit ihrem Zeitungsstreik keineswegs eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft im Sinn. Aber sie wollten demonstrieren, dass sie durchaus Druckmittel haben, um ihren Platz als Sozial- und Mitbestimmungspartner durchzusetzen und damit Verhandlungen zu erzwingen. Wer im Spiegel (www.spiegel.de/spiegel/print/d-21976896.html) jener Tage liest, wie Betriebsräte und GewerkschafterInnen den Versuchen der Bundesregierung, als Antwort auf den Zeitungsstreik ein eigenes Bulletin herauszugeben, enge Grenzen setze und mehrmals den Titel und die Auflage korrigierten, bekommt tatsächlich den Eindruck, hier gab es in Ansätzen eine Art Gegenmacht. Der Kapitalseite war das sehr bewusst, was sich an der Intervention einiger Verlegerverbände zeigte, die sich gegen die Herausgabe des Bulletins wandten, weil sie die befürchteten, die Gewerkschaften könnten darauf mit einer Streikverlängerung reagieren.

Nipperdey kassiert politisches Streikrecht
Die juristischen Gegenmaßnahmen folgten schnell. Die Verleger klagten gegen die Streiks. Nachdem mehrere Landesarbeitsgerichte den Ausstand für „ungesetzlich und sittenwidrig“ erklärt hatten, befasste sich schließlich das Bundesarbeitsgericht mit dem Fall. Der Gründer der Kölner Instituts für Arbeits- und Wirtschaftsrecht an der Kölner Universität, Carl Nipperdey, verfasste ein Gutachten, das Streiks nur im Rahmen von Tarifforderungen für zulässig erklärte und schuf damit jenes deutsche Sonderrecht, das als Verbot von politischen Streiks bekannt ist. Als Vorsitzender Richter des Bundesarbeitsgerichtes schrieb Nipperdey 1958 die in dem Gutachten niedergeschriebenen Grundsätze in einem Urteil gegen den von der IG Metall ausgerufenen Streik zum Kampf für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall fest. Er erklärte ihn für ungesetzlich und verurteilte die Gewerkschaft zu einem Schadenersatz von 38 Millionen an die bestreikten Unternehmer.
Wenn auch juristische Autoren Nipperdey als „Anreger für eine Neubegründung des juristischen Denkens“ feierten, so sich der Jurist an der Akademie für Deutsches Recht im Nationalsozialismus erste wissenschaftliche Sporen im Kampf gegen die Selbstorganisation der ArbeiterInnen verdient. So schrieb er 1937 in der Fachzeitschrift „Deutsches Arbeitsrecht“ einen Aufsatz unter dem Titel „Die Pflicht des Gefolgsmanns zur Arbeitsleistung“. Aber es wäre sicher falsch, Nipperdey noch in den 50er und 60er Jahren als Gefolgsmann des Nationalsozialismus zu sehen. Er stand vielmehr in der Tradition konservativer WissenschaftlerInnen, die Klassenkampf und Streiks ablehnten und für eine ständische Gesellschaft eintreten, in denen statt Streik und Widerstand Gefolgschaft und Unterordnung herrschen sollten. Diese Ideologien sind älter als der NS und mit diesem natürlich nicht verschwunden. Sie haben sich selbst in Teilen der Lohnabhängigen gehalten. Wenn aktuell wieder verstärkt über politischen Streik in Deutschland gesprochen wird, gilt es gerade diesen Vorstellungen den Kampf anzusagen. Es ist daher nicht in erster Linie eine Frage der Gesetze, wie es linke DGB-GewerkschafterInnen wie der hessische IG-Bau Sekretär Veit Wilhelmy sehen, die eine Kampagne für ein Recht für ein umfassendes Streikrecht begonnen haben und dafür unter einem Wiesbadener Appell (politischer-streik.de) Unterschriften sammeln. Diese Initiative ist sicher nicht falsch. Der politische Streik wird aber an den Arbeitsstellen und auf der Straße geführt und gewonnen.

Politischer Streik – heute noch aktuell?
Dabei werden sich manche fragen, ob die Frage eines politischen Streiks angesichts der Veränderung der Arbeitsverhältnisse nicht obsolet geworden ist. Schließlich dominieren isolierte Arbeitsplätze und die Großfabriken verschwinden zumindest in Mitteleuropa. Daraus ziehen auch viele anarchistischen Gruppen den Schluss, dass heute Kämpfe nur noch außerhalb der Produktionssphäre möglich sind. So heißt es in einem Interview des anarchistischen Kollektivs Crimethinc in der Jungle World 8/2012: Wir haben es mit Prekarität zu tun. Damit, dass wir keine feste Position mehr in der Wirtschaft haben“. Als Alternative wird die Occupy-Bewegung genannt, die gezeigt habe, dass und wie es möglich ist, solche Kämpfe außerhalb der eigenen Arbeitsplätze zu führen. Ähnlich argumentierte eine studentisch geprägte Berliner Initiative, die kürzlich eine Streikzeitung herausgab. Im Editorial schreiben sie, dass sich die AktivistInnen den Streikbegriff aneignen, „auch in dem Bewußtsein, dass Streik im klassischen Sinn als „Arbeiter_innenkampf weder zeitgemäß noch realistisch ist“. Dabei machen beide Gruppen den Fehler, Streiks mit Massenkämpfen in Großfabriken verbinden. Sie vergessen dabei, dass unter den heutigen Arbeitsbedingungen Streiks geführt und auch gewonnen werden. Erinnert sei an die Putzleute in den Südstaaten der USA, die der Regisseur Ken Loach in seinen Film „Brot und Rosen“ würdigt oder an die weniger spektakulären Arbeitskämpfe in Callcentern, in Spätverkäufen und anderen Branchen des Niedriglohnsektors. Wer solche Kämpfe ignoriert, braucht über politische Streiks nicht zu reden.
aus: Direkte Aktion 215/Januar, Februar2013
http://www.direkteaktion.org/215/in-der-defensive
Peter Nowak

Der Artikel wurde nachgedruckt in Schattenblick:
http://www.schattenblick.de/infopool/medien/altern/da-552.html

und

Linke Zeitung:
http://www.linkezeitung.de/index.php?option=com_content&view=article&id=15435:zum-politischen-streik-in-deutschland-seit-dem-zeitungsstreik-1952-&Itemid=286