Fettnäpfchen-Peer…

…oder womit haben Clowns verdient, mit diesen Politikern verglichen zu werden?

Eigentlich müsste die Berufsgruppe der Clowns beleidigt sein. Doch der launige Kommentar zum Ausgang der italienischen Parlamentswahlen, die der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück auf einer Wahlkampfveranstaltung in Potsdam, die den Namen Klartext trug, von sich gegeben hat, löste eine kleine deutsch-italienische Verstimmung aus. „Bis zu einem gewissen Grad bin ich entsetzt, dass zwei Clowns gewonnen haben“, sagte Steinbrück. Er spielte damit auf die Ergebnisse an von Ex-Premier Silvio Berlusconi und der Protestbewegung von Komiker Beppe Grillo, der als Komiker sogar einen Beruf hat, der einem Clown nicht so fern ist.

Ob Steinbrück wusste, dass gerade der italienische Staatspräsident Giorgi Napolitano eine seiner routinemäßigen Deutschlandvisiten abstattete? Die wäre in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden, hätte der italienische Staatspräsident nicht kurzfristig ein länger geplantes Treffen mit Steinbrück abgesagt. Offiziell wurden dafür keine Gründe genannt. Aber schnell wurde klar, dass Napolitano damit seine Kritik an Steinbrücks Wahlkommentar ausdrücken wollte. Dabei handelt es sich um eine der Politpossen, die so abgeschmackt und lächerlich statt lustig sind, dass es eigentlich eine Beleidigung der Clowns ist, wenn sie mit Politikern wie Grillo, Berlusconi, aber auch Steinbrück und seine aktuellen bigotten Kritikern verglichen werden.

Eigentlich hätte das Lüftchen im Wasserglas schon vorbei sein müssen. Schließlich hat Steinbrück dem italienischen Präsidenten bereits telefonisch versichert, er habe niemand beleidigen wollen. Das sind die üblichen Floskeln, die ein Politiker so verwendet, wenn er wieder mal für Schlagzeilen gesorgt hat, die ihm statt Rücken- Gegenwind bescherten. Der SPD-Kandidat hat ja in seiner kurzen Amtszeit als SPD-Kandidat schon einige Erfahrungen gesammelt beim Geraderücken solcher Äußerungen. Meistens wird die nachgeschobene Entschuldigung dann akzeptiert und niemand redet mehr von dem Vorfall bis zum nächsten Mal.

Doch Napolitano legte nach. Er bestätigte Steinbrücks Anruf, sah sich aber nicht mehr in der Lage, ihn bei der Visite noch zu treffen. An den Terminen wird es wohl nicht gelegen haben. Eher wollte der italienische Präsident vermeiden, in Italien in den Ruf der Deutschfreundlichkeit zu geraten. Schließlich ist nicht nur bei den Anhängern von Berlusconi und Grillo die Regierung Merkel mit Spardiktaten und Krisenprogrammen verbunden. Diese Einschätzung ist trotz anderer Wirklichkeiten sehr verbreitet.

Monti-Regierung von EU-Gnaden

Nun haben selbst Berlusconi-Gegner nicht vergessen, wie dessen Regierung nicht durch Wahlen oder Proteste in Italien, sondern durch die EU-Politik gestürzt und durch die Technokratenregierung Monti ersetzt wurde, deren Unbeliebtheit bei den letzten Wahlen deutlich wurde. In diesem Kontext werden dann selbst Steinbrücks launige Bemerkungen zu einer Einmischung in italienische Angelegenheiten hochgespielt. Wenn man sich schon gegen die Ab- oder Einsetzung von Regierungen durch die EU nicht wehren kann oder will, dann will man sich wenigstens nicht auch noch verbal vorführen lassen.

Den Schaden hat nun Steinbrück, den die Regierung jetzt als einen Kandidaten vorführen kann, der nicht einmal vom italienischen Präsidenten empfangen wird. Dabei hat der Steinbrück-Schutzpatron Helmut Schmidt in seiner Amtszeit wesentlich unverfrorener in die italienische Innenpolitik eingegriffen. Er erklärte Mitte der 1970er Jahre, nachdem die Kommunistische Partei Italiens zweitstärkste Partei wurde und mit den Christdemokraten über eine Koalitionsregierung verhandelte, ihre Regierungsbeteiligung sei unerwünscht und könnte dazu führen, dass Kredite, die die BRD Italien gewährte, vorzeitig zurückgefordert werden. Der heutige Staatspräsident war übrigens damals Mitglied dieser Kommunistischen Partei gewesen, die schon in den 1970ern ihre sozialdemokratische Wende vorbereitete.

Störtebecker nach Zypern

Übrigens hat Steinbrück fast zeitgleich mit seinem Clowns-Vergleich auch einige Bemerkungen zu Zypern losgelassen. Gegenüber einem Nachrichtenmagazin bezeichnete er das Land als Geldwaschanlage, dem er schon mal mit dem Seeräuber Störtebecker drohte. Diese Schelte taugt natürlich nicht zum Aufreger, sondern bringt Wählerstimmen und ist in Deutschland populär.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153827
Peter Nowak

Keine offenen Türen für Mietervertreter

WOHNEN Mieterbeiräte wollen am Mietspiegel mitwirken – und stoßen auf wenig Gegenliebe

In knapp drei Monaten wird der neue Mietspiegel veröffentlicht, der für jede Berliner Adresse die „ortsübliche Vergleichsmiete“ angibt. ExpertInnen rechnen mit einem Mietanstieg im zweistelligen Prozentbereich gegenüber dem letzten, 2011 erschienenen Mietspiegel. Schon dieser hatte mit einer durchschnittlichen Steigerung um 8 Prozent die Mietpreis-Diskussion vorangetrieben. Nun fordern Lichtenberger Mieterbeiräte mehr Mitspracherechte bei der Erstellung des Mietspiegels.

In der dafür zuständigen „Arbeitsgruppe Mietspiegel“ sind derzeit neben Verbänden der WohnungseigentümerInnen der Mieterverein, die MieterGemeinschaft und der Mieterschutzbund vertreten. Doch die Mieterbeiräte wollen sich nicht repräsentieren lassen. „Wir kennen uns im Wohngebiet am besten aus und wollen gehört werden“, begründet Horst Baer den Vorstoß. Der Vorsitzende des Mieterbeirats im Wohngebiet Frankfurter Allee Süd verweist darauf, dass es in Berlin eine solche Beteiligung gab, die Mitte der 90er Jahre abgeschafft wurde. In München und anderen Städten werde dies bis heute praktiziert.

Auf ein Schreiben, in dem die Mieterbeiräte ihre Vorschläge darlegten, antwortete die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, eine Beteiligung einzelner Mieterbeiräte oder -vertreter sei in Berlin nicht vorgesehen. „Bei den als Interessenvertreter der Vermieter bzw. Mieter anerkannten Berliner Verbänden, die in der Arbeitsgruppe Mietspiegel mitarbeiten, wird davon ausgegangen, dass diese nicht nur ihre Klientel bestmöglich vertreten, sondern auch über langjährigen Sachverstand verfügen, der die erforderliche Gesamt-Berliner Sichtweise einschließt“, heißt es in dem Schreiben.

Zwei Preise in einem Haus

Die Beiräte überzeugt das nicht. Baers Kollege Frank Mißbach begründet die Initiative mit konkreten Erfahrungen aus dem Wohngebiet: „Wir wurden stutzig, als der Mietspiegel von 2009 die ersten drei Aufgänge in einem langen Neubaublock als einfache Wohnlage einstufte, die nächsten als bessere Wohnlage und die letzten wieder als einfache. Das hatte unterschiedliche Mietpreise im selben Haus zur Folge.“

Die Pressesprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Petra Rohland, sagte der taz, Berlin gehe zur Erarbeitung des Mietspiegels einen anderen Weg als München: „Der Interessenausgleich zwischen Mietern und Vermietern hat sich seit 20 Jahren bewährt.“ Im Grundsatz ausschließen will sie die Vorschläge der Mieterbeiräte allerdings nicht. Prinzipiell sei eine Mitarbeit möglich, rechtliche Hürden gebe es dafür nicht, so Rohland.

Bei den in der Arbeitsgruppe Mietspiegel vertretenen MieterInnenverbänden ist das Echo auf den Vorschlag der Beiräte geteilt. „Eine Ausweitung des Gremiums halten wir nicht für sinnvoll“, betonte der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Reiner Wildt, gegenüber der taz. Die Interessen der MieterInnen seien durch die drei vertretenen Verbände „ausreichend abgedeckt“. Wildt befürchtet, dass bei einer Ausweitung des Gremiums auch Vermieter eine weitere Präsenz fordern könnten.

Unterstützung finden die Mieterbeiräte dagegen bei Joachim Oellerich von der Berliner MieterGemeinschaft: „Wir begrüßen es sehr, wenn MieterInnen direkte Beteiligung einfordern“, so Oellerich. „Eine Konkurrenz zu den Verbänden sehen wir darin nicht.“
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F02%2F28%2Fa0167&cHash=3ecb294569c898f22bb1c72db49316a7
Peter Nowak

Wenn Hartz IV-Leistungen vom deutschen Pass abhängen

Auf einer Pressekonferenz in Berlin wurde an eine besondere Form europäischer Entsolidarisierung durch die deutsche Politik erinnert

Zunächst dachte Gulia Tosti an ein Versehen ihres Jobcenters, als plötzlich kein ALG II-Geld mehr auf ihrem Konto eingegangen war. Die in Rom geborene Frau hat in Berlin als Assistentin in einer Kunstgalerie gearbeitet. Nachdem die Galerie schließen musste, wurde Tosti arbeitslos. Sie meldete sich beim Jobcenter und bezog Hartz IV, bis plötzlich ihr Konto im Minus war. Dabei handelte es sich allerdings nicht um ein Versehen des Jobcenters und Tosti war nicht die Einzige, der ohne Vorankündigung das Geld gestrichen wurde. Auch der in Spanien geborene Physiker Toni Chirrispe machte diese Erfahrung.

Wie Tosti teilte man auch ihm mit, die Rechtslage habe sich geändert und sie hätten keinen Anspruch mehr auf Hartz IV-Leistungen. Tosti bekam von ihrer Sachbearbeiterin noch den Ratschlag, entweder eine Arbeit zu finden, nach Italien zurückzugehen oder einen reichen Mann zu heirateten. Auch Chirrispe bekam am Jobcenter zu hören, er solle sich in Spanien einen Job suchen. Doch Tosti und Chirrispe hatten Glück. Sie fanden in ihrem Bekanntenkreis Menschen, die ihnen den Rat gaben, sich gegen den Hartz IV-Entzug zu wehren.

Sie fanden Juristen wie den Berliner Rechtsanwalt Lutz Achenbach, der zahlreiche Menschen verteidigt, denen die Hartz IV-Leistungen gestrichen wurden, weil sie keinen deutschen Pass haben. Im März 2012 hatte die Bundesregierung einen Vorbehalt gegen das Europäische Fürsorgeabkommen eingelegt und damit die Grundlage dafür geschaffen, dass Tosti, Chirrispe und Tausende weitere EU-Bürger, die in Deutschland lebten und arbeitslos wurden, kein Geld mehr bekamen.

Die genaue Zahl der Betroffenen ist unbekannt, weil die Jobcenter keine Daten darüber erheben, berichtete Sebastian Müller vom Berliner Netzwerk gegen den deutschen EFA-Vorbehalt, das zum Jahrestag der Einführung des EFA-Vorbehalts die Pressekonferenz in Berlin veranstaltete. Man erinnerte an ein besonders prägnantes Beispiel europäischer Entsolidarisierung durch die deutsche Politik. Während in zahlreichen Ländern vor allem in der europäischen Peripherie die Verarmung großer Bevölkerungsteile nicht zuletzt durch von Berlin wesentlich bestimmte Sparprogramme zunimmt, werden oft hochqualifizierte Menschen, die mit der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Deutschland kommen, auch hier der Verarmung ausgesetzt.

Juristische Odyssee für die Betroffenen

Viele sind wieder in ihrer Heimat zurückgekehrt, nachdem ihnen die Leistungen entzogen worden waren, weil sie gar nicht wussten, wie sie sich wehren können. Andere wie Tosti und Chirrispe haben dagegen geklagt und waren mit einer juristischen Odyssee konfrontiert. Nachdem Tostis Eilantrag positiv beschieden wurde, bekam sie einige Monate wieder Hartz IV-Leistungen. Doch ein Folgeantrag wurde erneut abgelehnt. Als sie schließlich wieder in einer Galerie Arbeit fand, war ihr Lohn so gering, dass sie eigentlich Anspruch auf Hartz IV-Aufstockung gehabt hätte. Aber Tosti entschloss sich, die Klage weiterzuführen, weil sie nicht akzeptieren wollte, dass Hartz IV-Leistungen vom Pass abhängen sollten.

Rechtsanwalt Achenbach betonte, dass in Berlin über 50 Prozent der Klagen gegen den EFA-Entzug positiv beschieden werden. Die Jobcenter gingen dann allerdings meist in Berufung. Mindestens zwei Senate der zweiten Instanz würden regelmäßig die Anträge der Betroffenen ablehnen. So ist der Rechtsweg für die Betroffenen also oft ein Glücksspiel. Deswegen fordern Sebastian Müller vom Bündnis gegen den EFA-Entzug eine politische Antwort, die sofortige Rücknahme des Vorbehalts.

Im Bündnis engagieren sich neben Betroffenen, Sozialberatungen und Initiativen auch Erwerbslosengruppen. Sie setzten damit auch ein Zeichen für europäische Solidarität und verhindern, dass sich die Erwerbslosen gegenseitig ausspielen lassen. Schließlich werden auch Erwerbslosen mit deutschem Pass die Hartz IV-Leistungen auf Null gekürzt, wenn sie renitent sind.

Die Verarmungsstrategie sorgt wiederum dafür, dass der Niedriglohnsektor wächst. Denn wenn Erwerbslose mit oder ohne deutschen Pass kein Geld bekommen, sind sie gezwungen, Arbeit zu fast allen Bedingungen anzunehmen. Kurzzeitige öffentliche Empörungen, wie sie nach einem Fernsehbeitrag über die Arbeitsbedingungen bei Amazon zu beobachten waren, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Politik die Grundlagen dafür schafft, unter anderen mit dem EFA-Vorbehalt.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153821

Peter Nowak

Antifaschistisches Manifest

Ein Aufruf warnt Europa vor dem Aufstieg der extremen Rechten in der Krise
Ein griechischer Wirtschaftswissenschaftler hat einen Aufruf gegen das Erstarken der Neonazis initiiert. Er zieht darin Parallelen zum Aufstieg der Nazis in den 1930er Jahren.

Die massenhafte Verarmung von Menschen in Griechenland, die die Spardiktate der EU verursacht, hat einer faschistischen Partei zum Durchbruch verholfen. War die »Goldene Morgenröte« lange Zeit eine Kleinstgruppe, begann mit der Durchsetzung der Krisenprogramme der rasante Aufstieg dieser Nazipartei. Bei den letzten griechischen Parlamentswahlen zog sie mit sieben Prozent ins Parlament ein. Mittlerweile wird sie in Umfragen als drittstärkste Partei gehandelt. Als Reaktion auf das Erstarken einer Partei, die ihre Sympathie mit Hitler und dem Nationalsozialismus offen zur Schau stellt, hat eine Gruppe um den griechischen Wirtschaftswissenschaftler Yorgos Mitralias nun ein »Antifaschistisches Europäisches Manifest« formuliert, das vor Kurzem von der linken Syriza-Bewegung übernommen wurde. Mitralias will damit das Wiederaufkeimen einer neofaschistischen Extremen Rechten stoppen – in Griechenland wie auch in anderen Ländern Europas. Auf dem Internetportal antifascismeuropa.org werden in ganz Europa Unterstützungsunterschriften gesammelt.

In dem Manifest zieht Mitralias eine Linie von der EU-Krisenpolitik zum Aufstieg der extremen Rechten und erinnert an den historischen Nationalsozialismus: »Nicht anders als in den 20er und 30er Jahren rührt diese neofaschistische und rechtsextreme Bedrohung von der tiefen wirtschaftlichen, sozialen, politischen und auch moralischen und ökologischen Krise des Kapitalismus her, der die Schuldenkrise als Vorwand vorschiebt, um nun eine beispiellose Offensive gegen den Lebensstandard, gegen die Freiheiten und Rechte der Arbeiter, gegen die alle da unten zu führen«, heißt es dort. Wie in den 30er Jahren drohten auch jetzt die durch die Austeritätspolitik verarmten Mittelklassen zum Schwungrad für rechte Bewegungen zu werden, warnen die Initiatoren des Aufrufs. In Zeiten der Krise würden neue Sündenböcke gefunden, gegen die sich der Zorn der Deklassierten richte. Dazu gehörten Migranten, Muslime, Juden, Homosexuelle, Behinderte, aber auch soziale Bewegungen, linke Organisationen und kämpferische Arbeitergewerkschaften seien systematischer Hetze dieser rechten Organisationen ausgesetzt. Die Aufrufer betonen, dass das rasante Anwachsen einer extrem rechten Bewegung wie in Griechenland zwar nicht europäischer Standard, aber auch keine Ausnahme sei.

Der Aufruf ist nicht die erste länderübergreifende Initiative, die sich gegen den Aufstieg der extremen Rechten in Griechenland richtet. Unter dem Motto »Nichts Goldenes an dieser Morgenröte« haben in Deutschland lebende Griechinnen und Griechen vor einigen Monaten Stellung gegen die Faschisten genommen. »Wir werden nie die Bilder von den Angriffen der Neonazis auf Migranten und Flüchtlinge 1992 in Rostock vergessen, bei denen Schaulustige Beifall klatschten und die Polizei tatenlos zuschaute, während all das live im Fernsehen übertragen wurde«, heißt es in der von Künstlern, Wissenschaftlern und Journalisten unterzeichneten Erklärung. Umso wütender sind die Unterzeichner angesichts der Erfolge der militanten Faschisten in Griechenland.

Die europäische antifaschistische Solidarität könnte bald auf die Probe gestellt werden. Mittlerweile hat sich nach Angaben des Nürnberger Bündnisses »Nazistopp« die erste deutsche Sektion der Goldenen Morgenröte gegründet. »Die Auslandsgriechen antworten auf die dreckigen Hippies und das Regime der demokratischen Diktatur in unserer Heimat«, heißt es in der Gründungserklärung in griechischer Sprache, die von den Nürnberger Antifaschisten zitiert wird. Die Zusammenarbeit mit deutschen Neonazis ist wahrscheinlich. Auf mehreren rechten Internetportalen wird der Aufstieg der Goldenen Morgenröte als »Inspiration für Europa« bezeichnet.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/814185.antifaschistisches-manifest.htm
Peter Nowak

Fördert europäische Krisenpolitik faschistische Bewegungen?

Der rasante Erfolg der griechischen Nazipartei Goldene Morgenröte beflügelt auch extreme Rechte in anderen Ländern

Auf zahlreichen Homepages von Freien Kameradschaften wird der Wahlerfolg einer Partei, die jahrelang im Promillebereich lag, bei den letzten griechischen Parlamentswahlen 7 Prozent bekam und mittlerweile in Umfragen zur drittstärksten Partei in Griechenland aufgestiegen ist, als Inspiration bezeichnet.

Schließlich versucht die Goldene Morgenröte ihren Rassismus und Antisemitismus gar nicht zu verbergen. Anders als viele andere Parteien der europäischen Rechten, die für ihren Aufstieg einen zumindest taktischen Schwenk zur Mitte hin vollziehen und möglichst nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun haben wollen, hat die Goldenene Morgenröte Erfolge, obwohl sie wie eine schlechte Kopie der NS-Bewegung daherkommt und aus ihrer Bewunderung für Hitler kein Geheimnis macht.

„Die Geschichte darf sich nicht wiederholen“

Was Neonazigruppen inspiriert, jagt Antifaschisten Schrecken ein und motiviert sie zu Aktivitäten. So hat eine Gruppe um den griechischen Wirtschaftswissenschaftler Yorgos Mitralias ein Antifaschistisches Europäisches Manifest initiiert, das mittlerweile in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde.

Das Manifest ist eine radikale Absage an die wesentlich von Deutschland initiierte europäische Krisenpolitik, die für das Anwachsen rechter Bewegungen verantwortlich gemacht wird. In dem Manifest heißt es:

„Nicht anders als in den 20er und 30er Jahren rührt diese neofaschistische und rechtsextreme Bedrohung von der tiefen wirtschaftlichen, sozialen, politischen und auch moralischen und ökologischen Krise des Kapitalismus her, der die Schuldenkrise als Vorwand vorschiebt, um nun eine beispiellose Offensive gegen den Lebensstandard, gegen die Freiheiten und Rechte der Arbeiter, gegen die alle da unten zu führen! Unter Ausnutzung der Angst der Besitzenden vor den Risiken sozialer Explosion, der Radikalisierung der durch die Krise und die drakonischen Austerity-Maßnahmen ausgezehrten Mittelklassen sowie der Hoffnungslosigkeit ausgegrenzter und verarmter Arbeitsloser breiten sich rechtsextreme, neonazistische und neofaschistische Kräfte in ganz Europa aus; sie erringen einen massiven Einfluss bei den benachteiligten Schichten, die sie gegen traditionelle und neue Sündenböcke (Migranten, Muslime, Juden, Homosexuelle, Behinderte usw.) sowie gegen soziale Bewegungen, linke Organisationen und Arbeitergewerkschaften systematisch aufhetzen.“

Wie in den 1930er Jahren wird auch eine verarmende Mittelklasse als Massenbasis für die aktuellen faschistischen Bewegungen gesehen. Judith Carreras vom Organisationsbüro des Manifestes erklärt gegenüber Telepolis, das primäre Ziel sei es, deutlich zu machen, dass der Faschismus kein schlechter Geist aus der Vergangenheit, sondern ein aktuelles Problem für die Gegenwart und Zukunft der Menschen in Europa ist.

Die vorrangige Aufgabe der europäischen antifaschistischen Bewegung soll die Unterstützung von Menschen und Organisationen sein, die sich in Ungarn und Griechenland den neuen faschistischen Bewegungen entgegenstellen. Wie in Griechenland hat mit der Jobbik-Bewegung auch in Ungarn eine Bewegung Zulauf, die, wie die Goldenen Morgenröte, kein Hehl aus ihrer Nazibewunderung macht.

Wie in Ungarn beeinflussen auch in Griechenland die Neonazigruppen das politische Klima in diesem Land direkt. Sowohl in Griechenland als auch in Ungarn richtet sich auch die Regierungspolitik gegen Linke, Flüchtlinge und andere Minderheiten, die auch von den Nazis zu Feinden erklärt werden.

Rechte Achse Nürnberg-Athen

Womöglich gibt es aber noch mehr Betätigungsfelder für eine europäische antifaschistische Bewegung. Mittlerweile hat sich in Nürnberg eine erste Zelle der Goldenen Morgenröte in Deutschland gegründet. Auch Kontakte zu fränkischen Neonazis hat es gegeben, die sogar ihre griechischen Kameraden im griechischen Parlament besucht haben.

Ob die griechischen Neonazis sich auch in Deutschland ausbreiten könnten und eine Rolle wie vor Jahren die türkischen ultrarechten Grauen Wölfe spielen könnten, die eine reale Gefahr für türkische und kurdische Linke waren, ist noch offen. Viele Deutschgriechen wollen es soweit gar nicht kommen lassen. Mit einer Erklärung unter dem Titel „Nichts ist Golden an diesen Morgenröten“ wollen sie zur Demaskierung dieser Bewegung beitragen. Dafür wird allerdings entscheidend sein, ob es gelingt, auch unter den von der Krisenpolitik betroffenen Menschen Unterstützung zu finden.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153812
Peter Nowak

Tarsap – der sanfte Sanierer?

Während die Kritik an der Neuköllner Immobilienfirma nicht abreißt, betont das Unternehmen seine soziale Ader

„Liebe potenzielle Käufer, wenn ihr schon die Möglichkeit habt, euch eine Eigentumswohnung zu leisten, seid doch so fair und anständig, eine leere zu kaufen. Hier wohnen bereits Menschen. Bitte nehmt ihnen nicht ihr Zuhause.“ Diese Zeilen waren mehrere Tage im Eingangsbereich der Allerstraße 37 in Neukölln zu lesen. Adressiert waren sie an die zahlreichen Interessenten von Eigentumswohnungen, die in letzter Zeit häufig im Gebäude anzutreffen sind.
„Der Ausverkauf hat begonnen“, kommentiert die Mieterin Katharina Achenbach* die Situation im Haus. Sie hat sich mit anderen Mieter/innen zusammengeschlossen, um mit Unterstützung durch eine Stadtteilinitiative an die Öffentlichkeit zu gehen. Auch einen Blog haben die Mieter/innen eingerichtet, der über das im Nord-Neuköllner Schillerkiez gelegene Miethaus informiert. Nach dem Tod des früheren Eigentümers kaufte die Immobilienfirma Tarsap GmbH im letzten Jahr das Haus und machte Termine mit den Mieter/innen. Im Nachhinein habe sich herausgestellt, dass es bereits bei diesen sogenannten „Kennenlerngesprächen“ um die Vorbereitung von Wohnungsverkäufen gegangen sei, so die Mieterin gegenüber dem MieterEcho. Einige der Wohnungsbesuche seien erfolgt, bevor der neue Eigentümer im Grundbuch eingetragen war. Die Mieter/innen stellten bei einem Besuch beim Grundbuchamt fest, dass die Wohnungen bereits 1998 in Wohneigentum umgewandelt worden waren. Für Altmieter/innen ist eine Wohnungsumwandlung mit drei Jahren Kündigungsschutz ab dem ersten Verkauf verbunden. Allerdings sind die meisten Mieter/innen erst nach der Umwandlung eingezogen und können aufgrund von Eigenbedarf mit der vertraglich vereinbarten, meist dreimonatigen Kündigungsfrist gekündigt werden. Auch die Ergotherapiepraxis im Erdgeschoss musste nach 15 Jahren Mietdauer ihre Räume aufgeben.

Streit um Videokamera

Ein Konflikt zwischen Eigentümer und Mieter/innen entwickelte sich um die anfangs zitierte Ansprache an potenzielle Wohnungskäufer im Eingangsbereich des Hauses. Für den Vertretungsbevollmächtigten der Tarsap, Uwe Andreas Piehler, handelt es sich dabei um einen klaren Fall von Sachbeschädigung. Gegen eine Mieterin sei Anzeige erstattet worden. Die Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen. Im Mieterblog heißt es dagegen, die Bewohnerin werde beschuldigt, die Urheberin des Graffitos zu sein, weil ein Plakat mit einem ähnlichen Text in ihrer Wohnung hänge. Zudem sei ihr fristlos gekündigt worden und sie habe eine Rechnung von 425 Euro für die Entfernung des Textes bekommen. Ein weiterer Streitpunkt zwischen den Mieter/innen und der Tarsap war die Installation einer Videokamera im Hauseingang. Sie sei ohne Vorankündigung und ohne die Erlaubnis aller betroffenen Mieter/innen angebracht worden, so die Bewohner/innen. Dagegen behauptet eine Mitarbeiterin der Tarsap, es habe sich um eine Kameraattrappe gehandelt, die nach dem Anbringen der Parolen zur Abschreckung montiert und mit einem Aushang angekündigt worden sei. Piehler betont, dass sein Unternehmen eine soziale Ader habe und verweist auf die Unterstützung von Sportvereinen in Neukölln. Doch nicht alle Bewohner/innen im Kiez sehen die Tarsap in einem solch positiven Licht (siehe auch MieterEcho Nr. 344 / Dezember 2010). In letzter Zeit tauchten in der Nähe des Tarsap-Büros in Neukölln Parolen gegen die Vertreibung von Mieter/innen auf. „Wir müssen damit leben, als die bösen Spekulanten hingestellt zu werden, die wir definitiv nicht sind“, kommentierte Piehler gegenüber MieterEcho solche Aktionen. Er verweist auf Verträge, die denjenigen Mieter/innen, die seit Jahrzehnten in der Allerstraße 37 wohnen und teilweise dort geboren sind, garantieren sollen, dass sie bleiben können. Was Piehler allerdings dabei nicht erwähnt, ist der gesetzlich geregelte Mieterschutz für diese Minderheit der Bewohner/innen, die bereits vor der Umwandlung der Wohnungen im Haus lebten. Auch für die anderen fühle sich seine Firma verantwortlich, meint Piehler. So habe man einem Mieter bei der Wohnungssuche geholfen, ihn zu Ämtern begleitet und sogar bei der Begleichung der Kaution für die neue Wohnung geholfen.
Weitere Infos:
http://allerstr37.wordpress.com
www.nk44.blogsport.com
Peter Nowak

aus: Mieterecho 358
http://www.bmgev.de/mieterecho/archiv/2013/me-single/article/tarsap-der-sanfte-sanierer.html

Sind Nahrungsmittelspekulationen doch für Hunger in der Welt verantwortlich?

Foodwatch veröffentlicht Forschungsergebnisse von Deutscher Bank und Allianz

„Solche Spekulationen können für Landwirte und Verbraucher gravierende Folgen haben und sind im Prinzip nicht akzeptabel.“ Diese Einschätzung der Nahrungsmittelspekulation wurde von DB-Research, der Forschungsabteilung der Deutschen Bank verfasst. Bekannt gemacht wurde es von der Organisation Foodwatch, die seit langen gegen Nahrungsmittelspekulation agiert.

Sechs von Forschungsabteilungen der Deutschen Bank und der Allianz verfasste Papiere zu den Folgen von Nahrungsmittelspekulation hat die NGBO ins Netz gestellt. Foodwatch zitiert aus einem bei DB-Research verfassten Papier diese Einschätzung: „Bedenkt man jedoch […] den massenhaften Zustrom von Fonds und nicht-traditionellen Teilnehmern auf die Rohstoffmärkte, ist nicht ganz von der Hand zu weisen, dass die Spekulation übermäßige Preisentwicklungen zumindest fördert, und zwar in beide Richtungen. Selbst wenn spekulative Kapitalströme nicht unbedingt der Auslöser für die Preisbewegungen der Jahre 2007 und 2008 waren, so ist es doch wahrscheinlich, dass sie die Preisentwicklung zumindest verstärkt haben.“

Kein empirischer Beleg?

Sie erhält ihre Brisanz vor allem durch die Auftraggeber der Forschung. Schließlich haben Vertreter der Deutschen Bank in der Öffentlichkeit immer den Eindruck erweckt, dass es die Nahrungsmittelspekulation keinen Einfluss auf die Nahrungsmittelpreise hat. So heißt es in einer Stellungnahme von Deutsche-Bank-Chefvolkswirt David Folkerts-Landau vor dem Ausschuss für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit im Deutschen Bundestag am 27. Juni 2012:

„Es gibt kaum stichhaltige empirische Belege für die Behauptung, dass die zunehmende Bedeutung von Agrarfinanzprodukten zu Preissteigerungen oder erhöhter Volatilität geführt hat.“

Noch deutlicher wurde DB-Co-Vorstandschef Jürgen Fitschen bei der diesjährigen „Grünen Woche“ in Berlin. Dort erklärte er nicht nur, dass Untersuchungen „kaum stichhaltige Belege für einen Zusammenhang dieser Geschäfte mit dem Hunger in der Welt“ erbracht hätten. „Im Gegenteil: Agrar-Derivate erfüllten für Nahrungsmittelproduzenten eine wichtige Funktion im weltweiten Handel. Mit dem Kauf dieser an Börsen gehandelten Papiere können sich Landwirte gegen fallende Preise absichern und ihr Angebot besser planen. Deshalb hat die Deutsche Bank entschieden, dass sie im Interesse ihrer Kunden weiterhin Finanzinstrumente auf Agrarprodukte“, wird Fitschen von der FAZ zitiert. Hier wird eine Entscheidung, die die Bank zur Mehrung ihrer Gewinne getroffen hat, so dargestellt, als wäre sie im Interesse der Landwirte.

Die Forschungsergebnisse aus dem eigenen Haus, die Zusammenhänge zwischen den Agrarderivaten und der Preisentwicklung herstellen, werden in den Erklärungen ignoriert. Organisationen wie Foodwatch können die nun bekannt gewordenen Papiere gut für ihre Kampagne gegen Agrarderivate nutzen – und das ist auch sinnvoll.

Allerdings sollte man sich vor zu großer moralischer Verve hüten. Wenn Foodwatch jetzt David Folkerts-Landau vorwirft, bei seiner Erklärung im Parlament gelogen zu haben und der Foodwatch-Geschäftsführer Thilo Bode den eigentlichen Skandal darin sieht, „dass Deutsche Bank und Allianz ganz genau wissen, welchen Schaden sie mit ihren Finanzprodukten anrichten – aber die Öffentlichkeit täuschen und sogar den Bundestag belügen, um weiterhin ohne Skrupel Geschäfte auf Kosten Hungernder zu machen“, wird die Verwertung, der die Nahrungsmittel wie alle Waren im Kapitalismus unterliegen, auf das als moralisch verwerflich bezeichnete Handeln von Managern simplifiziert.

Natürlich werden in Forschungsabteilungen großer Firmen unterschiedliche Hypothesen untersucht. So ist auch anzunehmen, dass Forschungsabteilungen von Energiekonzernen im AKW-Geschäft über die Gefährlichkeit der Radioaktivität forschen. In den Erklärungen der Konzernverantwortlichen aber werden natürlich die Aspekte im Mittelpunkt gestellt, die ihren Geschäftsinteressen dienen. So gehen übrigens auch die Nichtregierungsorganisationen bei der Verfolgung ihrer Interessen vor. Die Frage ob die Agrar-Derivate abgeschafft werden, ist denn auch eine Frage von gesellschaftlichem Druck möglichst auf internationaler Ebene. Forschungsergebnisse können ihn verstärken. Dabei könnte aber auch die Frage gestellt werden, warum Nahrungsmittel überhaupt eine Ware sein müssen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153799
Peter Nowak

Wie sich Bild zum Vorkämpfer der Pressefreiheit stilisiert


Behörden müssen Journalisten das Recherchieren nicht abnehmen, entschied das Bundesverwaltungsgericht

Ungewöhnlich kritische Worte fand die Deutsche Journalisten-Verband zu einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das über die Frage zu entscheiden hatte, ob Bundesbehörden Journalisten auch Auskünfte zu Themen geben müssen, zu denen noch keine Informationen vorliegen. Geklagt hatte ein Bild-Reporter, der vom BND Auskunft haben wollte, wie viele ehemalige Mitarbeiter vor 1945 NS-Organisationen angehört hätten. Die Behörde verweigerte die Auskunft mit dem Verweis auf die Zusatzarbeit. Der Journalist klage mit Verweis auf die Pressefreiheit.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil nach Meinung der Richter „die Pressegesetze der Länder auf den Bundesnachrichtendienst als einer Bundesbehörde nicht anwendbar sind, mangels einer bundesgesetzlichen Regelung des presserechtlichen Auskunftsanspruchs dieser aber unmittelbar auf das Grundrecht der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gestützt werden kann“.

Die Richter argumentieren, dass die Gesetzgebungskompetenz, mit der die Auskunftspflicht der Journalisten geregelt werden muss, beim Bund liegt. Der hat allerdings auf eine solche Regelung verzichtet. Trotzdem müsse den Journalisten auch bei Bundesbehörden ein „Minimalstandard an Auskunftspflichten“ eingeräumt werden, was sich aus dem Grundrecht der Pressefreiheit ergäbe.

Doch die Richter stellten klar, dass sich der Auskunftsanspruch nur auf Informationen bezieht, die bei der auskunftspflichtigen Behörde aktuell vorhanden sind. „Das Auskunftsrecht führt nicht zu einer Informationsbeschaffungspflicht der Behörde. Bezogen auf den Anteil früherer Beschäftigter mit NS-Vergangenheit stehen dem Bundesnachrichtendienst gegenwärtig keine auskunftsfähigen Informationen zur Verfügung. Er hat zur Aufklärung dieses Sachverhalts eine Unabhängige Historikerkommission eingesetzt. Deren Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen“, so die Richter, die damit die Position des BND stützen.

Wie Bild eine Niederlage umlügt

Diese Schlussfolgerungen sind so unlogisch nicht. Es gibt seit Jahren kritische Journalisten, Historiker und Journalisten, die über die braune Vergangenheit auch vieler BND-Mitarbeiter forschen und auch schon wichtige Erkenntnisse recherchiert haben. Sie wären aber nicht auf die Idee gekommen, dafür einfach einen Fragebogen bei dem BND oder anderen Behörden einzureichen und diesen forschen zu lassen. Im Gegenteil, solche Recherchen mussten meist gegen Widerstand der Behörden und Institutionen durchgesetzt werden.

Es ist daher etwas befremdlich, wenn ein Bild-Reporter, dessen Zeitung übrigens nicht zu den Medien gehörte, die sich besonders in der Aufarbeitung der braunen Vergangenheit bundesdeutscher Institutionen profiliert haben, sich nun als Kämpfer für die Meinungsfreiheit aufspielt, indem er Ergebnisse jahrelanger Recherchen ignoriert und die Behörden zum Ermitteln zwingen will. Diese Klage reiht sich in die Versuche von Bild ein, den Ruf als unseriöses Boulevardblatt loszuwerden und sich als Zeitung zu profilieren, die auch kritischen Journalismus kann.

Das machte sich schon daran fest, wie Bild die Niederlage ihres Journalisten kommentierte. Die wurde in einem Halbsatz erwähnt: „Nach Klage von Bild – Gericht stärkt Informationsrecht der Medien“, heißt es dort. Im Kommentar versucht Bild noch mehr die Realität zu verbiegen, nur um sich als Streiterin für die Pressefreiheit zu gerieren. Unter der Überschrift „Freie Presse, Freies Land“ heißt es dort: „Das war ein klares Wort! Wenn die Presse fragt, dürfen Bundesbehörden nichts vertuschen und verstecken. So hat das Gericht entschieden“, liefert das Boulevard-Blatt wieder mal ein Beispiel ihrer Manipulationstechniken.

Dabei könnte das Urteil doch gerade kritischen Journalismus stärken, der sich nicht darauf beschränkt, Fragen bei der Presseabteilung einer Institution einzureichen und darauf pocht, dass die beantwortet müssen. Kritischer Journalismus beginnt da, wo auch gegen den Widerstand von Institutionen recherchiert und diese Ergebnisse dann präsentiert werden. Insofern kann das Urteil kritischen Journalismus sogar gestärt haben.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/153795
Peter Nowak

»Migranten sind besonders betroffen«

Mit der Kampagne gegen Zwangsräumungen hat die Mieterbewegung in Berlin neuen Schwung bekommen. Von den steigenden Mieten in den innenstädtischen Bezirken sind Migranten und Migrantinnen besonders häufig betroffen, und auch an den Protesten haben sie einen bedeutenden Anteil. Die Jungle World sprach mit der in Berlin lebenden Soziologin Ceren Türkmen über den Zusammenhang von Armut, Gentrifizierung und Migration.

In Berlin haben die Mieterproteste in den vergangenen Monaten deutlich zugenommen. Wie lässt sich das erklären?

Wenn wir uns die Zahlen angucken, sehen wir, dass zum Beispiel im Berliner Stadtteil Neukölln die Mieten innerhalb der letzten vier Jahre um 34,5 Prozent gestiegen sind. Die Löhne und die Einkommen in Arbeiterhaushalten oder bei prekär Beschäftigten dagegen sinken. Von diesem Widerspruch sind verschiedene soziale Gruppen betroffen, nicht zuletzt Migrantinnen und Migranten mit geringen Einkommen. Durch den Widerstand gegen Zwangsräumungen wird der daraus resultierende Verdrängungsprozess jetzt einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Unbekannt dagegen bleiben die vielen Räumungen, die freiwillig verlaufen. Manche Menschen ziehen einfach aus, andere versuchen sich zu arrangieren, indem sie versuchen, mit dem Geld, das nach Abzug der Miete übrig bleibt, irgendwie klarzukommen oder noch mehr zu lohnarbeiten.

Unter den Mieteraktivisten finden sich auffallend viele Menschen, die vor Jahrzehnten als Arbeitsmigranten nach Berlin gekommen sind. Ist diese Gruppe von den Mieterhöhungen besonders betroffen?

In Kreuzberg und Neukölln sind migrantische Menschen in einer besonderen Form von Gentrifizierung und Neuordnungen im Kiez betroffen, weil der Stadterneuerungsprozess nicht nur ein ökonomischer Vorgang ist. Häuser werden nicht nur verkauft, saniert und teurer vermietet, um mit Hilfe neuer Gesetze vermögenden Menschen zu mehr Rendite zu verhelfen. Es kommen bei diesem Prozess der Gentrifizierung auch soziale, kulturelle und ideologische Verhältnisse zur Geltung. Migrantische Familien, die sich dagegen wehren, in die Randbezirke verdrängt zu werden, wissen aus langer Erfahrung, dass sich ihre Situation in Deutschland auch in der Schule, der Stadt und am Arbeitsplatz verschlechtert. Die liberale Illusion der Chancengleichheit und Gerechtigkeit wirkt bei ihnen schon lange nicht mehr. Zudem verfestigt sich in Zeiten von Niedriglohn- und Leiharbeit eine ethnisierte Arbeitsteilung. Hier fallen Klassenunterdrückung und Rassismus zusammen.

Was bedeutet das in der Praxis – mal abgesehen von Mieterhöhungen?

Ich persönlich kenne viele Rentner, die freiwillig in die Türkei zurückkehren, weil sie sich das ­Leben in Deutschland nicht mehr leisten können, obwohl sie lange in den Fabriken geschuftet haben. Das ist eine Art spurenlose Rückkehrpolitik.

Es ist auffällig, dass der Mieterwiderstand vor allem im Stadtteil Kreuzberg gewachsen ist. Ist das rebellische Kreuzberg vielleicht doch kein Mythos?

Das rebellische Kreuzberg als Mythos ist eine Erfindung der Angst und der Begierde des Bürgertums. Heute hat die linke Subkultur diesen Mythos wahrscheinlich selbst verinnerlicht. Pier Paolo Pasolini sagte einmal, die Bourgeoisie liebe es, sich mit ihren eigenen Händen zu strafen.

Die autonome Geschichte des Stadtteils spielt bei dem derzeitigen Widerstand doch aber ­sicher auch eine Rolle, oder?

Ich denke, die autonome Geschichte des Stadtteils muss neu geschrieben werden. Die Mieter­bewegung, die Mietstreiks und der Aufbau der Kieze wären ohne die Bewegung, das Wissen, die Kampfbereitschaft, die Selbstorganisation und die Kämpfe der Migrantinnen und Migranten nicht möglich gewesen. An diese heterogene Geschichte knüpfen die derzeitigen Kämpfe doch an, indem sie auf die positiven Erfahrungen und Gefühle sowie auf das produzierte Wissen zurückgreifen. Es ist allerdings wichtig, nicht nur an die kleinen Erfolge anzuknüpfen, auch die Niederlagen müssen kollektiv verarbeitet werden. Dazu gehört für mich auch die kommunitaristische Identitätspolitik im Kiez – auf allen Seiten.

Sie haben in einem ihrer Texte Kritik an einer Linken geübt, die sich von Klassenverhältnissen und der Welt der Arbeit zugunsten einer Politik der Lebensstile verabschiedet habe. Ist die aktuelle Mieterbewegung nicht ein Indiz dafür, dass das Soziale wieder eine stärkere Rolle in der Linken spielt?

Bei dem Text handelte es sich um eine kritische Auseinandersetzung mit der Identitätspolitik von autonomen und postautonomen Gruppen. Es ging um die Frage, was linke außerparlamen­tarische Gesellschaftspolitik heute eigentlich noch bedeutet.

Zur Organisierung von Mieterprotesten bedarf es notwendigerweise eines Kontaktes zur Nachbarschaft. Neue mythische Subjekte der Revolution lassen sich dort nicht finden, dafür aber die Akteure der aktuellen Mieterbewegung. Ich sehe genau hier Chancen und Möglichkeiten, die soziale Frage neu zu formulieren und für migrantische Menschen, Frauen, Queers und Lohnabhänge wieder zum Thema zu machen.

Die Krise der Klassenanalyse ist nicht überwunden, wir verdrängen sie nur kollektiv, weil sie zu schwierig ist. Wir wissen nicht so recht, wie wir über Klassen nachdenken sollen, ohne in die Haupt- und Nebenwiderspruchsthematik zu verfallen. Doch ohne Klassenanalyse verstehen wir Rassismus oder Gentrifizierung nur partiell, und umgekehrt ist es genauso.

Die hohen Mieten sind ja nur ein Thema, und sie sind auch wegen des boomenden Niedriglohnsektors zu einem Problem geworden. Sehen Sie Ansätze, den Widerstand gegen hohe Mieten mit Kämpfen am Arbeitsplatz oder im Jobcenter zu verbinden?

Ja,immerhin haben bereits in den siebziger Jahren die Kämpfe von Migranten, kritische Linksgewerkschafter und antirassistische Bündnisse zu einer Neuorganisierung der sozialen Bewegungen beigetragen und Themen wie Arbeit und Leben verknüpft. Für eine ähnliche Bewegung heute müssten eine Verbindung von Kämpfen gedacht, neue Konflikte artikuliert und neue Sprachen gefunden werden. In den USA etwa werden Kämpfe gegen Abschiebungen in einen engen Zusammenhang mit Kämpfen für Arbeitsrechte gestellt. So etwas ist ja prinzipiell auch hier denkbar. Der Niedriglohnsektor hierzulande betrifft vor allem Migrantinnen und Migranten, Frauen sowie geringqualifizierte Männer, und steigende Mieten treffen wiederum vor allem arme Menschen. Da erscheint eine Verbindung dieser Themen sehr dringlich. Ali Gülbol hat es selbst nach der Zwangsräumung gesagt: »Der Kampf beginnt erst jetzt.«

http://jungle-world.com/artikel/2013/08/47181.html
Interview: Peter Nowak

Linke gründen Blockupy-Bündnis

Neuer Zusammenschluss gegen Europäische Zentralbank und soziale Missstände in Berlin

Knapp 50 Personen sind am Dienstagabend im Versammlungsraum eines sozialen Zentrums in Kreuzberg zusammengekommen, um die neue Blockupy-Plattform zu gründen. Das ist ein Zusammenschluss angelehnt an die Occupy-Bewegung, die im vergangenen Jahr auch in Berlin Plätze besetzte.

Von dieser Bewegung hört man zwar nicht mehr viel, doch einige ihrer Aktivisten machen jetzt bei Blockupy-Berlin mit. Hinzu kommen Vertreter von antifaschistischen Gruppen, die Naturfreunde und linke Hochschulgruppen. Auch Einzelpersonen machen mit. »Unorganisierte sind ausdrücklich willkommen. Die Plattform soll kein Delegiertentreffen politischer Gruppen, sondern ein Forum für alle Interessierten«, betont die Aktivistin Tina Pleitsch.

Es dauert eine Stunde, dann teilen sich die Teilnehmer des Gründungstreffens auf drei Arbeitsgruppen auf. Schließlich haben sie sich für die nächsten Wochen viel vorgenommen: So will das neue Bündnis zu den Aktionstagen gegen die Europäische Zentralbank mobilisieren, die am 31. Mai und 1. Juni 2013 in Frankfurt am Main unter dem Motto »Blockupy 2013« stattfinden sollen. Dabei ist neben Camps, Blockaden und Veranstaltungen auch eine Großdemonstration geplant.

Diese Aktionspläne knüpfen an die ersten Blockupy-Aktionstage in der Mainmetropole im vergangenen Jahr an, die ein ganz ähnliches Konzept hatten. Dass die Polizei im letzten Jahr die Blockaden verboten hatte und zahlreiche Teilnehmer einkesselte, schreckt die Berliner Linken indes nicht ab. »Die Polizei hat uns die Arbeit abgenommen und die Frankfurter City blockiert«, kommentierte ein Teilnehmer von 2012.

Doch nicht alle Teilnehmer der Versammlung teilen diese optimistische Einschätzung, wie am Kopfschütteln einiger zu erkennen ist. Aber für grundsätzliche Diskussionen ist auf dem Blockupy-Treffen wenig Zeit. »Wir müssen in den nächsten Wochen eine Menge organisieren«, sagt eine Aktivistin. Als Erstes wird ein großer Stapel frisch gedruckter Plakate in Augenschein genommen. Mit den Postern will das Bündnis die Berliner Öffentlichkeit über die Aktionstage informieren.

Doch die Berliner Blockupy-Plattform will nicht nur die Werbetrommel für die Aktionstage in Frankfurt am Main rühren, sondern auch ganz konkret soziale Kämpfe in der Hauptstadt unterstützen. Einen ersten Probelauf hat das Bündnis bereits hinter sich: Gemeinsam mit zahlreichen sozialen Initiativen, Anwohnern und Nachbarn hat die Blockupy-Plattform in der vergangenen Woche ebenfalls zur Blockade einer Zwangsräumung in der Lausitzer Straße 8 in Kreuzberg aufgerufen.

»Wir wollen auch in Zukunft in Berlin solche sozialen Kämpfe unterstützen«, betont Tina Pleitsch. Ein nächster Termin stehe bereits fest: Anlässlich des EU-Gipfels am 13. März plant das Bündnis auch in Berlin sogenannte dezentrale Aktionen. Noch sei allerdings unklar, ob es sich dabei um eine medienwirksame Fotoaktion oder um eine politische Aktion handeln solle.

Es wird sich zeigen, wie groß die Mobilisierungsfähigkeit der Blockupy-Plattform ist. Gewerkschaftliche Gruppen oder Erwerbsloseninitiativen haben sich bis jetzt nicht dem Bündnis angeschlossen. In den kommenden Wochen sollen weitere Gruppen angesprochen werden.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/813581.linke-gruenden-blockupy-buendnis.html
Peter Nowak

Ist nach NPD-Leaks zweiter Anlauf für Verbotsverfahren beendet?

Wie die Materialsammlung zum Parteiverbotsverfahren in die Hände der NPD geriet, ist noch nicht bekannt

Soviele Zugriffe dürfte die Homepage der NPD schon lange nicht gehabt haben. Die Partei hat Auszüge der von einer Bund-Länderkommission herausgegebenen Materialsammlung zum Parteiverbotsverfahren veröffentlicht.

Dort sollen auf über 1000 Seite Beweise aufgelistet sein, die für ein Verbot der Partei sprechen. Die NPD will damit ihre vorgebliche Harmlosigkeit beweisen. In Wirklichkeit dürfte es der auch innerparteilich unter Druck geratenen Parteiführung um Holger Apfel vor allem um öffentliche Aufmerksamkeit sowie darum gehen, die eigenen Reihen zu schließen. Die rechten Kritiker der gegenwärtigen Parteiführung organisieren einen Freundeskreis Udo Voigt, benannt nach Apfels Vorgänger und Konkurrenten.

Apfel ist es weder gelungen, die Partei bei Wahlen über der Promillegrenze zu halten , noch erfolgreiche Demonstrationen zu organisieren. Daher muss die Parteiführung auf einen Mediencoup zurückgreifen, um sich in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Nun stößt es aus bürgerrechtlicher Perspektive in der Regel auf Zustimmung, wenn als Geheim- oder Verschlusssache deklarierte Papiere öffentlich werden. Das ist auch bei dem von der NPD ins Netz gestellten Schriften nicht anders. Es gibt keinen Grund, der Öffentlichkeit Dokumente vorzuenthalten, die ein Parteienverbot vorbereiten helfen sollen.

Fakten aus öffentlichen Quellen zusammengetragen?

Die Behörden haben immer betont, dass die Belege von Polizei und Verfassungsschutzbehörden aus öffentlichen Quellen zusammen getragen worden seien. Die Diskussion der nächsten Tage wird zeigen, ob dies der Realität entspricht.

Sollte nachgewiesen werden können, dass in die Sammlung auch Erkenntnisse aus geheimdienstlichen Quellen eingeflossen sind, könnte der zweite Anlauf für ein NPD-Verbotsverfahren beendet sein, bevor er richtig begonnen hat. Die Zahl der Kritiker ist groß und sie gehören nicht nur zu den Kreisen, die die NPD unbedingt erhalten wollen. So gehörte der sächsische Landtagsabgeordnete der Grünen Johannes Lichdi einerseits zu den erklärten NPD-Gegnern und andererseits zu den Kritikern des Verbotsverfahrens, dem er aus rechtlicher Sicht keine Chancen einräumt. Wie er haben sich weitere Politiker der Grünen für Protest gegen Neonazis und gleichzeitig gegen ein staatliches NPD-Verbot ausgesprochen. Auch sie dürften begrüßen, dass die Materialsammlung, die das Verbot vorbereiten soll, nun öffentlich ist.

Dass sich dabei ausgerechnet die NPD profilieren kann, ist eher den Politikern zuzuschreiben, die mit Verboten hantieren und denen das zivilgesellschaftliches Agieren gegen Rechts auch meist ein Dorn im Auge ist. Wenn, wie bereits angekündigt, nun Ermittlungen gegen die NPD wegen Veröffentlichung der Papiere eingeleitet werden sollten, verschaffen sie der Partei den Nimbus verfolgter Bürgerrechtler, den sie braucht.

Hintergründe für Veröffentlichung noch ungeklärt

Zudem sind die Behörden blamiert, weil es offensichtlich im Apparat Menschen gibt, die solche Papiere auch an die NPD lancieren. Ob dabei Sympathien mit der rechten Partei oder bürgerrechtliche Erwägungen eine Rolle spielten, ist einstweilen nicht zu klären.

Auffällig ist allerdings schon, dass das Papier der NPD und nicht einem Nachrichtenmagazin oder einer Internetplattform zugespielt wurde, die solche Dokumente veröffentlicht. Da sich zur Zeit auch die unterschiedliche Staatsorgane über ein zweites Verbotsverfahren uneinig sind – während der Bundesrat dafür war, hielt sich die Bundesregierung bedeckt -, ist nicht auszuschließen, dass die Veröffentlichung im Kontext dieses Streits unter den Staatsapparaten steht.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153782
Peter Nowak

Berliner Polizeikongress und die „globale Cyberkriminalität“

Während Polizeiexperten aus ganz Europa über die globale Verrechtlichung des Internets diskutieren, inszenieren sich manche ihrer Kritiker als Kreuzberger 1980er Jahre Revival

Die Polizeidichte in Berlin ist in diesen Tagen besonders hoch. Schließlich tagt dort im Kongresscenter in unmittelbarer Nähe des Alexanderplatzes am 19. und Februar der 16. Europäische Polizeikongress unter dem Motto „Schutz und Sicherheit im digitalen Raum“. Dabei wird schnell deutlich, dass es hier darum geht, die Kontrolle, Erfassung und juristische Einhegung des Internets voranzutreiben. Die Fama vom rechtsfreien Internet, die in manchen Nerdkreisen positiv gewendet zum digitalen Freiraum wurde, war schon immer ein Mythos. Das dürften die auf dem Kongress versammelten Sicherheitsexperten am besten wissen.

Wie neue Delikte kreiert werden

So erklärt der Leiter des Cyber Crime Kompetenzzentrums des Landeskriminalamtes (LKA) Nordrhein-Westfalen, Peter Vahrenhorst, Cybercrime sei eigentlich nichts Neues. „Es ist nur eine neue Definition von Kriminalität, die mit anderen Mitteln verübt wird.“ Delikte wie Warenkreditbetrug, Beleidigung, Mobbing, Kinderpornographie, Schutzgelderpressung und Wirtschaftsspionage würden im Internet nur „anders“ ausgeführt. Das Internet habe allerdings auch neue Deliktsfelder entstehen lassen, so Vahrenhorst.

„Skimming, Phishing, Carding, Schadsoftware, Botnetze, DDoS-Attacken, Account Takeovers und die Underground Economy seien hierfür nur einige Beispiele“, heißt es in einer Erklärung auf der Homepage des Polizeikongresses. Dort werden diese Phänomene als flexibel und dynamisch bezeichnet – zwei Adjektive, die wenig erklären, aber Eindruck schinden sollen.

Tatsächlich kann man das Schaffen von neuen Kriminalitätstatbeständen mit der Produktion von Krankheitsbildern vergleichen. Zappelnde Kinder gab es schon immer, zu einem Krankheitssymptom wurde das Verhalten erst, als ein Markt für Medikamente gesucht wurde, die sie angeblich beheben sollen. Was auf dem Gesundheitsfeld die Medikamente sind, sind auf der juristischen Ebene die Gesetze. Man muss nur ein Verhalten finden, das als delinquent erklärt wird, damit sie zur Anwendung kommen. Die Kriminalisierung von Verhalten, das bisher nicht sanktioniert wurde, zieht sich durch die gesamte Geschichte der Durchsetzung des Rechts und der Gesetze.

So waren das Sammeln von Holz, das Pflücken von Früchten und das Jagen in den Wäldern solange straflos, bis sich im Zuge der Durchsetzung der Feudalgesellschaft Adelige als Eigentümer aufspielten und in den Alltagspraktiken der Landbevölkerung einen Angriff auf ihr Eigentumsrecht sahen. In der Folge wurden Gesetze geschaffen, die dieses Verhalten kriminalisierten und staatliche wie auch semistaatliche Apparate, die die Verbote durchsetzen. Nach diesem Muster funktioniert auch die Verrechtlichung des Internets.

Weil es für eine effektive Durchsetzung der neuen Gesetze sinnvoll ist, nicht nur auf Repression, sondern auch auf Konsens zu setzen, geht es nun darum, die neuen Delikte dem Großteil der Internetnutzer so zu vermitteln, dass sie sie nicht nur akzeptiert, sondern möglichst noch verteidigt werden. Schließlich ist es in der heutigen säkularen Gesellschaft nicht mehr möglich, wie beim Jagd- und Sammelverbot, die Gesetze einfach als Gottes Wille erklären zu lassen. Die Versuche, hier einen gesellschaftlichen Konsens herzustellen, zeigen sich schon in der Wortwahl des Kongressmottos: Gegenwärtig ist es allerdings fraglich, ob vor allem bei der jüngeren Generation der aktiven Internetnutzer die Verrechtlichung des Netzes als „Schutz und Sicherheit im digitalen Raum“ verkauft werden kann, auch wenn von den Behörden der Kampf gegen Kinderprostitution besonders hervorgehoben wird, um die gesellschaftliche Akzeptanz herzustellen. Internetnutzer wissen allerdings, wie schnell ein heruntergeladener Film oder ein Song zur Cyberkriminalität werden kann.

Von der europäischen zur globalen Aufrüstung

Auf dem Polizeikongress wird deutlich, wie weit die länderübergreifende Aufrüstung in Sachen „Cyberkriminalität“ schon vorangeschritten ist. So gibt es das European Cybercrime Centre, das bei der Europäischen Polizeiagentur Europol in Den Haag angesiedelt ist. Doch auch der europäische Raum ist den Polizeiexperten längt zu eng. Mit dem bei Interpol angesiedelten Global Complex for Innovation soll ein Wunsch der Polizei umgesetzt werden, der auf der Kongresshomepage so formuliert wird: „Sie braucht in Echtzeit Zugang zu Informationen, die über ihre eigenen Grenzen hinausgehen.“

Wie in den vergangenen Jahren melden sich auch in diesen Tagen die Kritiker des Polizeikongresses zu Wort. Am Nachmittag des 19. Februar organisierten sie eine Kundgebung vor dem Kongresszentrum, deren Focus auf dem Kampf der Flüchtlinge gerichtet ist. Allerdings gab es in den vergangenen Wochen bereits einige Aktionen der autonomen Szene, die als Protest gegen den Polizeikongress verstanden wurde. Das Unbrauchbarmachen von Kameras im öffentlichen Raum gehörte ebenso dazu wie eine unangemeldete Demonstration am vergangenen Samstag in Kreuzberg, die auch in autonomen Kreisen kritisch ausgewertet wird.

Auffällig ist die Antiquiertheit der Aktionsform. Während die Sicherheitsexperten die globale Überwachung des Netzes anstreben, diskutiert die autonome Szene darüber, ob es nun ein Erfolg war, dass sie ihre Demonstration ca. einen Kilometer weit ohne Polizeibegleitung durchführen und auch nach der Auflösung noch einigen Sachschaden verursachen konnte. Dabei fällt wohl niemandem auf, dass in den letzten Jahren in Berlin ohne kritische Begleitung ein neuer Stadtteil entstanden ist, in dem nun wahrscheinlich erst 2015 der Bundesnachrichtendienst seine Zentrale eröffnen wird. Die Verzögerungen beim Bau sind weder kritischer Nachfragen der Parteien noch radikalen Protesten der außerparlamentarischen Linken geschuldet. Es sind wie beim Berliner Flughafen bauliche Mängel, die die Eröffnung verzögern und den Bau verteuern.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/153774
Peter Nowak

Amazon oder die moderne Ausbeutung in Zeiten der Krise

Amazon war schon früher in Kritik geraten, der Fall zeigt, wie das Hartz-IV-Regime zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen generell beiträgt

Der Internetversandhandel amazon übt sich in Schadensbegrenzung. Nachdem Berichte über die besondere Ausbeutung der dort über eine Leiharbeiterfirma beschäftigten Wanderarbeiter bekannt wurden, feuerte der Konzern die Sicherheitsfirma Hess, die durch einen Fernsehbeitrag ins Gerede gekommen ist. Mitarbeiter mit Kontakten in die rechte Szene sollen dort beschäftigt gewesen sein, hieß es dort, was die um ihren Ruf besorgte Sicherheitsfirma sofort dementierte.

Für Amazon war es nicht tragbar, mit etwaigen rechten Umtrieben in Verbindung gebracht zu werden, was gesellschaftlich nicht goutiert wird. Anders ist es mit der ganz normalen Ausbeutung im Europa der Krise. So wird in dem TV-Beitrag berichtet, dass Leiharbeiter aus Spanien, die im Amazon-Logistikzentrum Bad Hersfeld für das Weihnachtsgeschäft arbeiteten, in engen Gemeinschaftsunterkünften des Seehotels Kirchheim in unmittelbarer Autobahnnähe untergebracht wurden. Dort sollen sie vom ins Gerede gekommenen Wachdienst rund um die Uhr kontrolliert worden sein. Das wird von Hess gar nicht bestritten. In der Erklärung der Sicherheitsfirma heißt es zum „Einsatz in Leiharbeitsunterkünften“:

„Der Grund für die Beauftragung von uns als Sicherheitsfirma liegt darin, dass in der gleichzeitigen Unterbringung einer größeren Anzahl von Menschen, die sich untereinander nicht kennen, ein erhebliches Konfliktpotential liegt.“

Horrorvisionen aus den Protestsongs der 70er Jahre heute übertroffen

Die Tatsache, dass im 21. Jahrhundert Menschen aus ganz Europa in engen Unterkünften zusammen gepfercht werden, wird nicht als gesellschaftlicher Skandal wahrgenommen. Solche Visionen haben Liedermacher wie Franz Josef Degenhardt vor 30 Jahren als negative Vision in ihren Songs dargestellt. Viele der Zuhörer, die durchaus kapitalismuskritisch waren, hätten wohl nicht gedacht, dass diese Horrorvisionen heute übertroffen werden.

Hat der Chansonier damals in dem Song „Umdenken Mister“ getextet: „Für eine gute ARBEIT zieht er meilenweit“, könnte man am Beispiel Amazon sagen: Für einen miesen Leiharbeiterjob nimmt er alles in Kauf.

Nun ist die Empörung groß und es gibt auch verschiedene Ansätze im Internet eine Veränderung der Situation zu erreichen. Während die Dienstleistungsgewerkschaft verdi eine Petition für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei Amazon lancierte, rufen kritische Konsumenten zum Boykott des Versandhandels auf. Solche Aktionen kann der Konzern nicht ignorieren und müht sich nun um Imageverbesserung. Mit einer grundlegenden Änderung der Arbeitssituation bei Amazon ist allerdings nicht zu rechnen, auch wenn nun die Beschäftigten im Logistikzentrum Augsburg erstmals einen Betriebsrat wählen können.

Ohne Lohn bei Amazon?

Amazon nicht zum ersten Mal wegen seiner schlechten Arbeitsbedingungen und geringen Löhne in der öffentlichen Diskussion.

Schon im Herbst 2011 wurde bekannt, dass für das Amazon-Weihnachtsgeschäft Hartz-Bezieher als Zeitarbeiter tätig waren, die von den Jobcentern zur Probe vermittelt wurden und zwei Wochen ohne jeglichen Lohn arbeiten sollten. Wenn sie sich weigerten, drohten ihnen Abzüge beim Hartz IV.

An diesem Beispiel wird deutlich, wie das Hartz IV-Regime zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen generell beiträgt. Auch die Anwerbung von Leiharbeitern aus ganz Europa ist eine Folge der von Deutschland wesentlich initiierten Sparprogramme. Sie führten zu einer massiven Rezension in den Ländern der europäischen Peripherie und zur Verarmung großer Teile der Bevölkerung. Solche Zustände sind der Grund, warum die Menschen unter fast jeden Umständen schuften und bereit sind, in engen Gemeinschaftsunterkünften von einer Sicherheitsfirma mit oder ohne rechte Kontakte bewacht, ihre „Freizeit“ zu verbringen. Die Politik trägt kräftigt dazu bei, indem sie dafür sorgt, dass erwerbslose EU-Bürger nicht Hartz IV-berechtigt sind.

Angesichts solcher politischer Vorgaben, die die Überausbeutung möglich macht, ist die rituelle Empörung heuchlerisch, die immer dann laut wird, wenn konkrete Fälle von großen Medien dokumentiert werden. Allerdings kann sie die Betroffenen zumindest ermutigen, nicht alle Arbeitsbedingungen hinzunehmen. Denn nicht immer ist es möglich, eine mediale Empörung auszulösen, wenn schlechte Arbeitsbedingungen in einem Unternehmen bekannt werden. So haben Berichte über die Behandlung von Leiharbeitern beim Internetschuhversand Zalando wenig Resonanz ausgelöst. Die Presseabteilung weigert sich konsequent, Fragen zu beantworten, welche Konsequenzen das Unternehmen aus den Berichten aus der Distanz von der Leiharbeitsfirma gezogen hat.

Besonders schwierig ist es für Leiharbeiter in kleinen Firmen, zu ihren Recht und ihrem Lohn zu kommen. So haben sich spanische Leiharbeiter an die kleine Basisgewerkschaft FAU Gewandt, nachdem sie ein Jahr bei der Firma Messeshop ohne Lohn gearbeitet haben (Die Berliner FAU hat mittlerweile eine Sektion „Foreign Members“ eingerichtet und informiert europäische Leiharbeiter in verschiedenen Sprachen über ihre Rechte.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/153764

Peter Nowak

Wer über Arbeitshäuser redet, darf über den Kapitalismus nicht schweigen


Der Arbeitskreis „Marginalisierte gestern und heute“ erinnerte an die Geschichte der als asozial Stigmatisierten vom Mittelalter bis in die Gegenwart

Am 26.1.1938 gab der SS-Funktionär Heinrich Himmler mit dem Erlass „Arbeitsscheu Reich“ den Startschuss für die Inhaftierung und Ermordung von Tausenden Menschen, die schon lange vorher als Asoziale stigmatisiert worden waren. 70 Jahre später organisiert der Arbeitskreis „Marginalisierte – gestern und heute“ in Berlin eine Veranstaltungsreihe, die sich mit der Geschichte der Asozialenverfolgung vom Mittelalter bis in die Gegenwart befasst. Schon am Mittwoch wurde im Berliner Haus der Demokratie die Ausstellung „Wohnungslose im Nationalsozialismus“ eröffnet. Sie zeigt auf, wie die Entrechtung der sogenannten Asozialen schon in der Weimarer Zeit begonnen hat. Die Grundalgen haben Kommunalbehörden, sowie Arbeits- und Wohnungsämter gelegt, die in Schreiben die Einweisen von Menschen unter dem Stigma „arbeitsscheu“ in KZ und Arbeitshäuser forderten. Dazu finden sich in der Ausstellung einige Beispiele.

Schöner wohnen im ehemaligen Arbeitshaus

80 Jahre später, am 26.1.08 wurde mit einem historischen Spaziergang an die Opfer von Berlins erstem Arbeitshaus im Stadtteil Rummelsburg erinnert, das 1877 errichtet wurde.
Heute werben dort Schilder mit der Parole „„Arbeiten und Leben in der Rummelsburger Bucht“ für schicke Eigentumswohnungen. Eine Gedenktafel sucht man vergeblich.
Der Kampf um eine Erinnerungsstätte in Rummelsburg wird an Bedeutung zunehmen. . Die Neubauten reichen schon an das ehemalige Arbeitshaus heran. Daher stellt sich die Frage, wie mit diesen historischen Stätten umgegangen wird. Wenn da nicht Druck gemacht wird, droht eine Entsorgung von der Art, wie man sie jetzt auf den Hinweisschildern lesen kann, die schon vor 2000 rund um da Expo-Projekt Rummelsburg aufgestellt wurden. Dort heißt es: Das Arbeitshaus und das ….Waisenhaus waren Sozialbauten, die vor dem Hintergrund der sich entwickelnden Hauptstadt und ihrer sozialen Probleme entstanden“. Die NS-Zeit wird dort gar nicht erwähnt. Ansonsten wird der Eindruck erweckt, als wäre das Arbeitshaus ein Naturgesetz gewesen. Opfer und Täter kommen nicht vor. Bei aller Geschichtsrelativierung wird hier tatsächlich ein Zusammenhang offen, der den Verfassern der Tafel wahrscheinlich nicht auffiel. Die Arbeitshäuser entstanden sind mit dem aufkommenden Kapitalismus. In Großbritannien, wo sich der Kapitalismus früher als in Deutschland entwickelt hatte, gab es auch schon Jahrzehnte früher als in Deutschland Arbeitshäuser. Karl Marx hat über sie und ihre Funktion im Kapitalismus geschrieben. Wer sich mit der Geschichte der Arbeitshäuser befasst, kann zum Kapitalismus und seinen historisch unterschiedlichen Formen des Arbeitszwanges nicht schweigen. Das wird auch klar, wenn man ließt, was Wilhelm Polligkeit, der bis heute als Nestor der Jugendhilfe gefeiert wird, am 31.5.1933 geschrieben hat. Der NS-Symphatisant schlug vor: „Rechtsbestimmungen festzulegen, die ein autoritäres, festes Vorgehen gegen alle asozialen Elemente (Arbeitslose, Trunksüchtige usw.) in größerem Umfang als seither ermöglichen“. Damit stieß er bei den Nazis auf offene Ohren.

Die Verfolgung der sogenannten Asozialen endete nicht mit dem Ende des NS-Regimes. Die Stigmatisierung geht bis heute weiter. Selbst viele politische Verfolgte wehrten sich vehement dagegen, mit sogenannten Asozialen in eine Zelle gesperrt zu werden. Es wurde also so getan, als hätte die Einlieferung dieser Menschen nur dazu gedient, die politischen Gefangnen zu demütigen und zu diffamieren. Die Schicksale der als asozial abgestempelten Menschen fielen dabei unter dem Tisch. Dabei kann eine Arbeitsmythologie beigetragen haben, wie sie auch in der ArbeiterInnenbewegung dominant wurde. Je mehr das Ziel, der Aufbau einer klassenlosen Gesellschaft und damit der Abschaffung sämtlicher Klassen, auch der ArbeiterInnenklasse aufgegeben wurde, desto größer wurde ein Kult der Arbeitenden, der schnell zu einer Abwertung der nicht so Produktiven führen konnte. Statt mit der Klassenherrschaft jede Ausbeutung abzuschaffen, wurde die Tatsache des Ausgebeutet sein praktisch mystifiziert. Daher richtet sich ein solcher Kult auch gegen die ArbeiterInnen selber. Schließlich war nicht ihre Befreiung von der Ausbeutung sondern die Verherrlichung der Ausbeutung das Ziel.

Eine kürzlich von dem Bielefelder Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer veröffentlichte Langzeitstudie ‚Deutsche Zustände 6’ zeigt, dass auch 207 jeder Dritte der Ansicht ist, die Gesellschaft könne sich Menschen, die wenig nützlich sind‘, nicht länger leisten. Man muss an den vom heutigen Konzernlobbyisten und damaligen SPD-Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clemens erstellten Report erinnern, in dem unter dem Titel „Vorrang für die Anständigen – Gegen Missbrauch, „Abzocke“ und Selbstbedienung im Sozialstaat“ gegen einen angeblichen Sozialmissbrauch gewettert wurde. Für die Betroffenen können solche Töne schwerwiegende Folgen haben. Die Gewalt gegen als arm qualifizierte Menschen hat in den letzten Jahren zugenommen.

Arbeitshaus und Irrenhaus hingen eng zusammen

Die Stigmatisierung von Menschen als asozial oder als Irre hing historisch eng zusammen und reicht bis in die Gegenwart. Darauf macht Rene Talbot vom BAG Psychiatrieerfahrener e.V. (http://www.psychiatrie-erfahrene.de/) aufmerksam, der ebenfalls im Arbeitskreis „Marginalisierte…“ mitarbeitet. Er begründet sein Engagement so: “Die Überschneidungen der psychiatrischen Massenmorde und der Massenmorde an Menschen, die von den Nazis zu „Asozialen“ erklärt wurden, sind offenkundig. Unerwünschtes Verhalten wurde medizinalisiert bzw. biologisiert und in einer weiteren Radikalisierung zur „Erbkrankheit“ erklärt. „Arbeitsscheu“ war dabei im Grunde genommen nur die erweiterte Kategorie anderer abweichender, dissidenter Verhaltensformen, die direkt zu den psychiatrischen Todesurteilen geführt haben.

Auch für Talbot handelt es sich dabei keineswegs um in historisches Thema.

„Wir meinen, dass sehr wohl noch die gleiche Grundstruktur den Maßstab für die Ausgrenzung setzt: Das Menschenrecht, dass auch derjenige, der nicht arbeiten will, essen dürfen muss, dieses Recht auf Faulheit muss erst noch durchgesetzt werden. So sind die Sanktionen gegen die, die nicht arbeiten wollen, ihrer sogenannten „Mitwirkungspflicht“ nicht nachkommen, nur die allgemeinere Form der speziellen und besonders brachialen Entwürdigung, den die Zwangspsychiatrie mit Zwangsbehandlung, Einsperrung und Entmündigung vollzieht. Wir hoffen, dass diese Veranstaltungsreihe dazu beiträgt, dass mehr Menschen diesen inneren Zusammenhang verstehen und die zentrale Rolle, den die psychiatrische Ideologie dabei spielt.
Weiteres siehe
www.marginalisierte.de

aus: Redaktion EXIT!
c/o Verein für kritische Gesellschaftswissenschaften

http://www.exit-online.org/textanz1.php?tabelle=autoren&index=20&posnr=345
Peter Nowak

Der vergessene Terror

Im März 1919 wurde in Berlin ein Generalstreik von Militär und Freikorps blutig niedergeschlagen. Der Historiker Dietmar Lange liefert einen tiefen Einblick in ein weitgehend unbekanntes Kapitel der deutschen Geschichte.

Unter dem Motto »Zerstörte Vielfalt« erinnern staatliche Stellen 2013 an mehrere Jahrestage des NS-Terrors, von der Machtübernahme bis zur Reichspogromnacht. Mit dem Titel wird suggeriert, dass es in Deutschland bis 1933 eine weit­gehend heile Welt gegeben habe, die von den Nazis zerstört wurde. Der Publizist Sebastian Haffner, der während der NS-Zeit im Exil lebte, eröffnete in seinem 1969 erschienenen Buch »Die verratene Revolution 1918/19« eine ganz andere Perspektive auf die Geschichte vor 1933. Dort bezeichnet er die von rechten Freikorps mit Unterstützung der SPD-Führung verübten Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht als »Auftakt zu den tausendfachen Morden in den folgenden Monaten der Noske-Zeit und den millionenfachen Morden in den folgenden Jahrzehnten der Hitlerzeit«.

Der Berliner Historiker Dietmar Lange widmet sich in seinem bei Edition Assemblage veröffentlichten Buch »Massenstreik und Schießbefehl« einem weniger bekannten Kapitel der deutschen Zwischenkriegsgeschichte und setzt sich intensiv mit dem Generalstreik und den Kämpfen in Berlin im März 1919 auseinander. Der Streik war einerseits ein letzter Versuch, die Ziele der Revolution wie die »Sozialisierung der Schlüsselindustrien« und die Etablierung von Räten durchzusetzen. Andererseits ging es aber auch schlicht um die Verbesserung der miserablen Lebensbedingungen der Arbeiterschaft. Lange führt in diesem Zusammenhang Aussagen von Sozial- und Gesundheitsexperten an, denen zufolge mehr als die Hälfte der Todesfälle in den Berliner Krankenhäusern in den ersten Wochen des Jahres 1919 auf Unterernährung zurückzuführen sind.

Das Bürgertum wappnete sich auf seine Weise für die Konfrontation. Am 10. Januar 1919 trafen sich »40 bis 50 Vertreter von Banken, Industrie und Gewerbe (…), wo nach einem Vortrag des führenden antikommunistischen Agitators und Vorsitzenden der antibolschewistischen Liga, Edward Stadler, ein Fonds zur Niederschlagung der Revolution mit mehreren Millionen Mark ausgestattet wurde«, zitiert Lange ein historisches Dokument. Dieses Geld wurde vor allem zum weiteren Aufbau der Freikorpsverbände und Bürgerwehren genutzt, die an der blutigen Niederschlagung der Aufstände im März 1919 beteiligt waren.

Lange geht detailliert auf die Straßengewalt ein, die sich parallel zum Generalstreik in einigen Berliner Stadtteilen entwickelte und von der sich sämtliche politische Gruppen – auch die junge KPD – distanzierten. Der Historiker verweist auf verbreitete Thesen, dass diese Aktionen von der Konterrevolution bezahlt wurden, um die Streikbewegung zu diskreditieren und schließlich zu zerschlagen. Er beschreibt aber auch die soziale und politische Anspannung auf den Straßen Berlins, die durch die schlechte wirtschaftliche Situation verschärft wurde. Tatsächlich traten mit Verweis auf die Unruhen Sondergesetze in Kraft, die den Arbeitskampf von Anfang an erheblich behinderten. Selbst die Herausgabe einer Streikzeitung wurde verboten.

Auch nachdem der Ausstand in Berlin nach sechs Tagen abgebrochen wurde, wütete der Terror der Freikorps und Bürgerwehren noch wochenlang weiter. Zu den Opfern gehörte neben vielen anderen Leo Jogiches, ein langjähriger Weggefährte Rosa Luxemburgs und Mitbegründer des Spartakusbundes. Nach der Ermordung Luxemburgs und Liebknechts war Jogiches Parteivorsitzender der KPD geworden, doch hatte er diesen Posten ebenfalls nur kurze Zeit inne. Im März 1919 wurde er aus seiner Neuköllner Wohnung verschleppt und kurz darauf, am 10. März, im Untersuchungsgefängnis Moabit durch einen Kopfschuss getötet. Vor allem seine Recherchen zur Ermordung Luxemburgs und Liebknechts waren Militär und Freikorps ein Dorn im Auge gewesen. In den Akten heißt es, er sei auf der Flucht erschossen worden.

Jogiches war nicht der einzige Oppositionelle, der ermordet oder Repressalien ausgesetzt wurde. Die Freikorps durchkämmten die Berliner Arbeiterviertel mit Listen, auf denen Personen verzeichnet waren, die sich gegen den Krieg ausgesprochen hatten oder die in den Tagen der Novemberrevolution in Räten aktiv geworden waren. Auch missliebige Intellektuelle und dadaistische Künstler gehörten zu den Opfern des »Weißen Terrors«. Einer von ihnen war der Schriftsteller Wieland Herzfelde, der Bruder des Künstlers John Heartfield, der wegen der Herausgabe einer sati­rischen Zeitschrift inhaftiert wurde. »Diese Lynchungen«, zitiert Lange den Publizisten, beruhten »nicht auf Erregung, sondern auf System und Instruktion.«

In den Arbeitervierteln Berlins wurden Standgerichte eingesetzt, um unliebsame Oppositionelle ad hoc verurteilen zu können. Lange referiert in seinem Buch auf die damaligen Akten und führt erschreckende Beispiele an. So wurde etwa der Zigarettenhändler Johannes Müller denunziert und vor ein Standgericht gestellt, weil er als revolutionär geltende Bücher besaß. In der And­reasstraße in Friedrichshain wurden ein Vater und sein 19jähriger Sohn erschossen, weil sie zwei Handgranatenstiele von ihrer Arbeitsstelle mitgebracht hatten.

Der Schießbefehlerlass wurde erst am 16. März aufgehoben. Nach einem offiziellen Bericht des Reichswehrministers Gustav Noske (SPD) sind in Berlin insgesamt 1 200 Menschen ums Leben gekommen. Der überwiegende Teil von ihnen ist jedoch nicht bei den Kämpfen gestorben, sondern von Standgerichten erschossen worden. Lange schätzt die Zahlen Noskes allerdings als zu niedrig ein, da ein Teil der Opfer in Massengräbern verscharrt oder in die Spree geworfen wurde. Noch im Sommer 1919 wurden Berichten zufolge vereinzelt aufgedunsene Leichen ans Ufer geschwemmt.

Als sich die Nationalversammlung am 27. März 1919 mit dem Geschehen befasste, erklärte Noske unter dem Beifall sämtlicher Parteien von der SPD bis hin zur äußersten Rechten: »Da gelten Paragraphen nichts, da gilt lediglich der Erfolg, und der war auf meiner Seite.« Schon der Historiker Sebastian Haffner hat 1969 in seinem Buch einen Zusammenhang zwischen dem Terror der Freikorps gegen die Novemberrevolution und den Massenmorden des NS-Regimes hergestellt. Langes Erkenntnisse stützen diese Einschätzung anhand zahlreicher Beispiele und untermauern auch die Worte, die der Rechtshistoriker Otmar Jung in einer Ausgabe der Militärhistorischen Mitteilungen von 1989 für die Geschehnisse des März 1919 fand: »Noskes Erschießungsbefehl reiht sich so als unwürdiges Glied in eine Kette (prä)faschistischer deutscher Gewaltpolitik ein, welche die Welt nicht zu Unrecht ›hunnisch‹ nannte.«

Lange widerlegt mit seinem Buch die These von der 1933 durch die Nazis zerstörten Vielfalt und zeigt am Beispiel des März 1919 auf, was sich bei der Niederschlagung der Bayerischen Räterepublik im April 1919, des Ruhraufstands 1920 und auch des Hamburger Aufstands 1923 in ähnlicher Form wiederholte. Für den 14. März dieses Jahres planen linke Gruppen eine Veranstaltung mit dem Autoren des Buchs, bei der auch die Frage diskutiert werden soll, weshalb es bis heute keinen einzigen Gedenkort für die Opfer dieses Terrors gibt.
http://jungle-world.com/artikel/2013/07/47138.html
Peter Nowak