Mursi und seine Kritiker

Der Besuch des ägyptischen Präsidenten lenkt die Aufmerksamkeit auf die Menschenrechte. Doch nicht allen Kritiker geht es dabei um Demokratie

Nur wenige Stunden dauerte der Besuch des ägyptischen Präsidenten heute in Berlin. Die angespannte Lage im Land hat zu einer erheblichen Verkürzung beigetragen. Doch sie hat auch dazu beigetragen, dass der Besuch im Vorfeld mehr Aufmerksamkeit bekommen hat, als es sonst der Fall gewesen wäre. Dabei überwog in den meisten Medien die Frage, wie die Bundesregierung einen Staatsmann empfangen soll, der die Demokratie im eigenen Land zerstört und für den Tod zahlreicher Demonstranten verantwortlich ist.

Es ist durchaus selten, dass bei einem Besuch der zahlreichen Autokraten und Diktatoren dieser Welt in Deutschland die Menschenrechte in den jeweiligen Ländern eine solche Aufmerksamkeit von den deutschen Medien erfahren. Daher dürfte die Annahme nicht unberechtigt sein, dass nicht alle Proteste gegen Mursi der Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten geschuldet sind. Manche hätten bestimmt nicht protestiert, wenn statt Mursi Mubarak nach Berlin gekommen wäre. Dabei stammt der Repressionsapparat, der zurzeit auch gegen Demonstranten vorgeht, noch aus der Zeit des von den westlichen Staaten gehätschelten Mubarak-Regimes.

Repression von Mubarak übernommen

Eine Organisation, die auf jeden Fall auch gegen Mursis Vorgänger auf die Straße gegangen wäre, ist Amnesty International. Mit ihrer Überschrift „Ägypten: Sicherheitskräfte kommen weiterhin straflos davon“ macht die Menschenrechtsorganisation deutlich, dass die Repression in Ägypten nicht mit Mursi begonnen hat und dass ein Großteil der Sicherheitskräfte die Praxis des Mubarak-Regimes fortsetzt, die allerdings in Deutschland und vielen anderen westlichen Ländern wenig Kritik erfahren hatte.

Auch die Justiz, die in der letzten Woche Fußballfans zum Tode verurteilte und damit den neuen Zyklus von Widerstand und Repression in Ägypten auslöste, ist nicht erst von der neuen Regierung eingesetzt worden. Die meisten Juristen waren schon unter Mubarak im Amt und genau das hat auch der Kern der Widerstandsbewegung vom Tahirplatz immer kritisiert. Nur werden solche Tatsachen gerne unterschlagen, wenn suggeriert wird, dass die Repression in Ägypten eigentlich das Werk eines Präsidenten ist, der Ägypten islamisieren will. Es gibt allerdings auch einige Journalisten, die hier differenzierter berichten.

Es sollte konstatiert werden, dass es um Demokratie und Menschenrechte in Ägypten heute nicht viel besser bestellt ist als zu Zeiten Mubaraks. Es handelt sich also dabei weniger um eine spezifisch islamistische Repression. Vielmehr haben bisher sämtliche Machthaber in Ägypten die Demokratiebewegung sowie Gewerkschaften und soziale Bewegungen unterdrückt. Mursi ist hier also keine Ausnahme, sondern setzt die Tradition fort.

Christenverfolgung in Ägypten?

Eine wichtige Rolle bei den Protesten gegen den Mursi-Besuch spielte die angebliche spezielle Verfolgung von Christen in Ägypten. Vor allem koptische Christen prangern eine „gnadenlose Verfolgung von Christen“ an. Ähnlich argumentiert auch der in Deutschland lebende koptische Bischof Amba Damian. Kritiker werfen ihm vor, selbst eine besonders konservative Religionsauffassung zu haben: „So riet er auf einer Veranstaltung in München den Deutschen einmal, sie sollten ihr Erbe besser pflegen, ihre christlichen Überzeugungen stärker leben und mehr Kinder kriegen. Sonst sind sie irgendwann fremd im eigenen Land.“

So ist Amba Damian auch von radikalen Islamkritikern vereinnahmt wurden. Hier wird ein grundsätzliches Problem deutlich, wenn man besondere Rechte für Religionen fordert. Die Grundsätze, die die säkularen Grünen erst kürzlich in ihrer Gründungserklärung wieder deutlich machten, sollten auch universell gelten.

„Orientierungspunkt ist die freie Entfaltung der Persönlichkeit in sozialer und ökologischer Verantwortung, also individuelle Selbstbestimmung.“

Ein solcher Ansatz ist etwas diametral anderes, als ein Kampf um Rechte für eine bestimmte Religion. Eine untergeordnete Rolle bei den Protesten spielte eine Rede, die Mursi vor drei Jahren gehalten hat, als er noch nicht ahnen konnte, dass er einmal ägyptischer Präsident wird. Dort wettert er gegen Zionisten und vergleicht sie mit Blutsaugern und Kriegstreibern, „den Nachfahren von Affen und Schweinen“.

Wenn Mursi nun sagt, die Zitate seinen aus dem Zusammenhang gerissen worden, bestätigt er seine Kritiker. Denn in welchen Zusammenhang sind diese Sätze etwas anderes als antisemitische Hetze? Wenn er nun sagt, er sei Moslem und respektiere alle Religionen, bleibt er auch ganz in der Logik der Kämpfer für religiöse Rechte gefangen. Denn von Menschenrechten jenseits der Religion ist dabei nicht die Rede.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153648
Peter Nowak