»Es gibt keine Patentlösungen für Opel«


Gewerkschaftsaktivist fordert neue Auseinandersetzung mit dem Kapital statt abstrakter Rettungspläne
GM will das Bochumer Opel-Werk 2016 schließen. Der richtig große Aufschrei bleibt aber bisher aus, kritisiert der ehemalige Betriebsrat Wolfgang Schaumberg, der in der gewerkschaftlichen Gruppe »Gegenwehr ohne Grenzen (GoG) mitarbeitet.

nd: Die Zukunft des Opel-Werks in Bochum scheint besiegelt. Vor acht Jahren gab es nach Schließungsdrohungen noch spontane Streiks und Demonstrationen. Wie ist die Situation heute?
Alle wissen, dass der Altersdurchschnitt der Beschäftigten bei Opel-Bochum bei über 47 Jahren liegt. Gerade die Älteren hoffen auf eine Abfindung und rechnen sich schon aus, wie sie mit Abfindungen und Arbeitslosengeld bis zum Rentenalter kommen. Außerdem hat man nicht mehr die Macht wie 2004, durch Streiks ganz Opel Europa kurzfristig lahmzulegen.

Am Freitag legten 300 Opelaner die Arbeit mehrfach kurzzeitig nieder und es gab Kundgebungen. Was sind die Forderungen?
Die Betriebsratsmehrheit sieht es schon als Erfolg, dass die Gespräche weitergeführt werden. Auch über die Auszahlung der 4,3-Prozent-Tariflohnerhöhung, die Opel wegen »Verhandlungen gestundet worden sind«, soll am 8. Januar weiterverhandelt und das Ergebnis dann der Belegschaft zur Abstimmung vorgelegt werden. Zudem erklärten die Betriebsräte, die Aufsichtsratsversammlung am vergangenen Donnerstag sei ein Erfolg gewesen, weil kein Schließungsplan vorgelegt wurde. Auch das halte ich für eine Nebelkerze. Schließlich wissen alle, dass es den Schließungsbeschluss gibt.

● Aber alle Redner betonten doch, dass Widerstand gegen die Schließungspläne nötig sei?
Da muss man schon genauer hinhören. Wenn gesagt wird, wir haben jetzt noch vier Jahre Zeit, um Widerstand gegen die Schließung zu leisten, müssen wir fragen, wer dann noch bei Opel ist. Wir waren bei Opel in den letzten Jahrzehnten mit einer Verzichtserklärung nach der anderen konfrontiert. Die Zahl der Arbeitsplätze ist immer mehr geschrumpft, von 19 200 noch im Jahr 1992 auf 3200 jetzt.

● Gab es auch widerständigere Stimmen?
Ja, ein Betriebsrat, der nicht zur Mehrheitsfraktion gehört, hat an die Ford-Kollegen vom belgischen Genk erinnert, die im Oktober wegen des dortigen Schließungsbeschlusses vor dem Kölner Ford-Werk protestiert haben. Er erinnerte daran, dass die Aktion in den Medien in Deutschland als Randale hingestellt wurde, es sich aber um eine Protestaktion handelte. Der Kollege schloss seine Rede mit dem Satz. »Wer uns wehtut, dem tun wir auch weh« und bekam dafür viel Applaus.

Wie beurteilen Sie die Forderungen der IG Metall?
Der Gewerkschaft wird von der Mehrheit der Belegschaft nicht zugetraut, dass sie bereit ist, den Widerstand über das Opel-Werk hinauszutragen. Dass bestätigt sich, wenn man auf der Homepage der IG Metall die Klage liest, dass das Management die Marke Opel beschädigt hat und ein profitables Opel-Werk gefordert wird. Damit sind weitere Verzichtserklärungen der Beschäftigten programmiert.

Was fordern linke Gewerkschaftsgruppen wie »Gegenwehr ohne Grenzen« (GoG), die im Werk Einfluss haben?
Es gibt keine Patentlösungen. Forderungen nach Streiks bis zur Rücknahme des Schließungsbeschlusses, die Einführung der 30-Stunden-Woche oder eine andere Produktpalette, wie sie jetzt von linken Gruppen wieder vertreten werden, sind abstrakt richtig, gehen aber an der Realität im Opelwerk vorbei. Denn solche Forderungen können nicht in einem Werk umgesetzt werden, sondern setzen eine ganz andere Auseinandersetzung mit dem Kapital voraus.

Die GoG diskutiert daher die Forderung: »Die Arbeit könnt ihr behalten, aber ihr müsst uns weiter bezahlen.« Schließlich haben die Lohnabhängigen die Situation nicht verursacht, die zum Schließungsbeschluss führte. Damit knüpfen sie an die Parole »Wir zahlen nicht für Eure Krise« an. Allerdings ist für diese Einstellung das Bewusstsein nicht weit verbreitet

http://www.neues-deutschland.de/artikel/807574.es-gibt-keine-patentloesungen-fuer-opel.html
Interview: Peter Nowak

Auch der Gang ins Netz bewahrt nicht vor Zeitungskrise

Mit dem Freitag ist ein Medienprojekt betroffen, das gerade mit der besonderen Nutzung des Internets neue Wege aufzeigen wollte

„Medienkrise“, dieser Begriff könnte durchaus auch das inoffizielle Wort des Jahres werden. Die Financial Times ist schon eingestellt, bei der Frankfurter Rundschau besteht noch Hoffnung auf die Rettungsroutine. Jetzt bleibt auch bei der Wochenzeitung Freitag „nichts wie es war“, wie ein Onlineautor die aktuelle Lage treffend beschreibt.

Klar ist, dass sich einiges ändern wird, doch niemand weiß so recht, wie die Zeitung danach aussieht. Sicher scheint nur, dass es bei der Wochenzeitung Stellenstreichungen geben wird.

„Wir müssen jetzt alles tun, dass der Freitag als Wochenzeitung am Leben bleibt. Das ist das oberste Ziel. Der Freitag soll nicht das Schicksal von FR und FTD erleiden“, erklärte Herausgeber Jakob Augstein gegenüber MEEDIA und bestätigte damit nur, was vielen bekannt war. Das Projekt war auch nach Augsteins Übernahme 2008 aus der Verlustzone nicht herausgekommen. Dabei hat die Wochenzeitung nach Angaben der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) gegenüber dem Vorjahr sogar leichte Zugänge bei den Abonnenten erzielt, was bei einer Printausgabe heute schon ein Erfolg darstellen dürfte.

Daher wurde auch sehr kritisch kommentiert, dass ausgerechnet jetzt der Herausgeber seine Kürzungspläne ankündigte. Die Taz, in der viele ehemalige Freitag-Redakteure arbeiten und die daher als gute Informationsquelle gilt, nannte auch Zahlen, die gravierende Einschnitte bedeuten würden, sollten sie tatsächlich umgesetzt werden. Demnach sollen 9 Stellen eingespart werden, was die Reduzierung der schon jetzt sehr kleinen Redaktion um ein Viertel bedeuten würde.

Kritiker bemängeln, dass das Ressort Innenpolitik beim Freitag weitgehend brachliegt, nachdem der dafür jahrelang verantwortliche Redakteur Tom Strohschneider die Zeitung verlassen hat. Er versucht mittlerweile als Chefredakteur das Neue Deutschland in eine moderne linke Tagezeitung zu transformieren, die auch für Leser außerhalb des SED-Zusammenhangs interessant sein soll.

Projekt oder normale Zeitung?

Die Kritik an Augstein hat schon zugenommen, als er vor einem Jahr die vier Mitherausgeber vor die Tür gesetzt hat. Eine der Betroffenen, die Publizistin Daniela Dahm. berichtet, was nach einer kontroversen Diskussion über die Funktion des Herausgeberkreises geschah: „Zehn Tage später bekamen alle Herausgeber von Jakob Augstein einen Brief, in dem er uns für unsere hilfreiche Begleitung in der Zeit des Überganges dankt. Diese Phase sei nun abgeschlossen, der Freitag habe den Charakter eines ‚Projekts‘ gegen den einer ’normalen Zeitung‘ eingetauscht, woraus folge, ‚dass das Institut der Herausgeber sich für den Freitag überlebt hat‘.“

Auch wenn Dahn inhaltliche Gründe für die Trennung von den Herausgebern erwähnt, haben doch viele Freitag-Leser diesen Schritt nicht allzu sehr bedauert. Hatten doch die Herausgeber ihre Funktion vor allem dafür genutzt, oft sehr lange moralisch aufgeladene Abhandlungen in die Zeitung zu bringen, mit denen sie ihre Rolle als Querdenker festigen wollten. Vor allem aber standen die Herausgeber für das Konzept einer Printzeitung alten Stils.

Modell Guardian auf deutsche Medienlandschaft nicht anwendbar?

Dabei lag das Projekthafte beim Freitag gerade daran, dass sie nach dem Modell des britischen Guardian auch in Deutschland das Modell einer Zeitung etablieren wollte, für die die Onlineausgabe ein eigenständiger Bereich und nicht ein Abfallprodukt der Printausgabe ist.

So sind auf Freitag-Online völlig eigenständige Artikel und Interviews und nicht nur längere Fassungen aus der Printausgabe zu finden. Zudem wurde auch der Community-Bereich beim Freitag in den letzten zwei Jahren ausgebaut. Zudem sollten die einzelnen Bereiche durchlässig sein. So kam es immer wieder vor, dass interessante Beiträge aus dem Community-Bereich entweder in die Online-Ausgabe oder seltener in die Printausgabe übernommen wurden. Vor zwei Jahren wurde dieses Konzept auf einer Veranstaltung im Rahmen der Linken Medien Akademie als beispielgebend für die Zeitungsbranche gelobt.

Nun wäre zu fragen, was von diesen Ansprüchen übrig geblieben ist. Wurden sie nicht eingelöst und warum lasst Augstein, der sein Geld nicht beim Freitag verdient, einem solchen Projekt nicht mehr Zeit? Ist er zu dem Schluss gekommen, dass das Modell Guardian für die deutsche Medienlandschaft nicht geeignet ist? Jedenfalls zeigt die erneute Krise des Freitag, dass auch ein Gang ins Netz keine Überlebensgarantie für Printmedien ist.

http://www.heise.de/tp/blogs/6/153384
Peter Nowak

Arbeitskampf am Wochenmarkt


FAU protestiert gegen »madige Rübchen« beim Teltower Obst- und Gemüsehof

»Madige Rübchen kommen uns nicht in die Tüte«, stand auf dem Transparent, das am Samstag auf dem Wochenmarkt am Schöneberger Winterfeldtplatz bei den zahlreichen Kunden für Aufmerksamkeit sorgte. Das war auch das Ziel der Basisgewerkschaft Freie Arbeiter Union (FAU), die mit ihrer Kundgebung auf ihrer Meinung nach schlechte Arbeitsbedingungen beim Obst- und Gemüsehof »Teltower Rübchen«, ebenfalls auf dem Markt vertreten, aufmerksam machen wollte.

Eine Gartenbauauszubildende hatte sich an die Basisgewerkschaft gewandt und unpünktliche Zahlung der Ausbildungsvergütung, die zudem weit unter Tarif läge, sowie schlechte Arbeitsbedingungen beklagt. »Mit monatlich 202 Euro liegt die Ausbildungsvergütung weit unter dem für diese Branche gültigen Tarifvertrag der IG Bau«, erklärt der Berliner FAU-Sekretär Andreas Förster. Zudem seien die Toiletten für die Beschäftigten in schlechtem Zustand und neue wetterfeste Arbeitskleidung sei erst nach Beginn der Proteste angeschafft worden.
»Wir bemühen uns seit Oktober um einen Verhandlungstermin beim Eigentümer des Hofes Axel Szilleweit«, meint Förster. Einen Gesprächstermin hätte er verstreichen lassen, ein neuer war nicht zu Stande gekommen. Erst danach habe man mit der Öffentlichkeitsarbeit begonnen, so Förster.

Neben den Kundgebungen auf Wochenmärkten hat die FAU auch Landwirtschaftsverbände, den Ausbildungsträger Demeter sowie Parteien in Teltow angeschrieben. Denn Axel Szilleweit ist auch kommunalpolitisch aktiv. Das Mitglied der Grünen gehört seit zwei Jahren der Fraktion »DIE LINKE/Bündnisgrüne« in der Teltower Stadtverordnetenversammlung an.

In einem Brief an seine Fraktionskollegen begründete Szilleweit die fehlenden sanitären Anlagen mit einem Umzug, der allerdings bereits vor zwei Jahren sthttfand. Die niedrige Ausbildungsvergütung leitete er aus einem Tarifvertrag aus dem Jahr 2009 ab, der nach Meinung der FAU veraltet ist. Für Nachfragen war Szilleweit nicht zu erreichen. Die FAU will auch am kommenden Samstag auf dem Wochenmarkt protestieren.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/807542.arbeitskampf-am-wochenmarkt.html
Peter Nowak

Es gibt ein Video zu dem Arbeitskampf
Kann Bio fair sein?

http://de.labournet.tv/video/6532/kann-bio-fair-sein

Fieses Früchtchen auf dem Winterfeldtplatz

ARBEIT Gewerkschaft prangert Arbeitsbedingungen bei Obststand auf Schöneberger Wochenmarkt an

„Madige Rübchen kommen uns nicht in die Tüte“, steht auf dem Transparent, mit dem am Samstag Mitglieder der Gewerkschaft Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter Union (FAU) auf dem Wochenmarkt am Schöneberger Winterfeldtplatz ihrer Meinung nach schlechte Arbeitsbedingungen beim dort mit einem Stand vertretenen Obst- und Gemüsehof „Teltower Rübchen“ anprangern. Eine Gartenbauauszubildende hatte sich an die Gewerkschaft gewandt und über schlechte Löhne und fehlende sanitäre Anlagen geklagt. „Mit monatlich 202 Euro liegt die Ausbildungsvergütung weit unter dem für diese Branche gültigen Tarifvertrag der IG Bau“, sagt der Berliner FAU-Sekretär Andreas Förster der taz.

Der Verdacht, dass Auszubildende als billige Arbeitskräfte benutzt werden, habe nicht ausgeräumt werden können. Förster moniert, dass der Eigentümer des Hofes, Axel Szilleweit, trotz mehrerer Angebote nicht zu Verhandlungen mit der FAU bereit gewesen sei. Daher habe man eine Öffentlichkeitskampagne begonnen, in die auch die im Teltower Stadtparlament vertretenen Parteien einbezogen wurden. Grünen-Mitglied Szilleweit gehört seit zwei Jahren der Fraktion Die Linke/Bündnisgrüne in der Teltower Stadtverordnetenversammlung an.

In einem Brief an seine Fraktionskollegen begründete Szilleweit die fehlenden sanitären Anlagen mit einem Umzug, der allerdings bereits vor zwei Jahren stattfand. Die niedrige Ausbildungsvergütung leitete er aus einem Tarifvertrag aus dem Jahr 2009 ab, der nach Meinung der FAU veraltet ist. Gegenüber der taz äußerte sich Szilleweit nicht zu den Vorwürfen. Die FAU hat für kommenden Samstag erneut Proteste auf dem Wochenmarkt angekündigt. Die Proteste stoßen auf reges Interesse. „Gesunde Nahrung und faire Arbeitsbedingungen gehören zusammen“, meinte eine Kundin am Winterfeldplatz.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2012%2F12%2F17%2Fa0137&cHash=fabc731c68303a6efc57a0656dd8cc1a
Peter Nowak

Es gibt ein Video zu dem Arbeitskampf
Kann Bio fair sein?

http://de.labournet.tv/video/6532/kann-bio-fair-sein

„Leiharbeit ist nie gerecht“

»Leiharbeit ist nie gerecht«

Kann man Leiharbeit überhaupt »fair gestalten«? Die IG Metall scheint dieser Auffassung zu sein und fordert mit der Kampagne »Gleiche Arbeit – Gleiches Geld« eine Reform des Arbeitnehmerunterlassungsgesetzes. Karl-Heinz Fortenbacher war vor seiner Pensionierung als Facharbeiter bei Siemens im Großrechnerwerk in Augsburg beschäftigt und dort Betriebsrat der IG Metall. Bis Ende vergangenen Jahres hat er den Arbeitskreis »Menschen in Zeitarbeit« ehrenamtlich geleitet.

Sie waren in Augsburg an der Gründung eines Stammtisches für Leiharbeiter beteiligt. Worin unterscheidet sich diese Initiative von den Arbeitskreisen der IG Metall?

Einen Leiharbeiterstammtisch gibt es nur in Augsburg. Die Initiative zu der Gründung ging von den Leiharbeitern bei Premium Aerotec (ehemals EADS) aus, die im Arbeitskreis »Menschen in Zeitarbeit« mitwirkten. Ihnen waren die monatlichen Zusammenkünfte der IG-Metall-Arbeitskreise zu wenig, um im Einsatzbetrieb effektiv zu sein. Ein zweiter ist bei Eurocopter Donauwörth, ein weiterer beim PC-Werk von Fujitsu entstanden. Dort treffen sich alle zwei Wochen vier Leiharbeiter aus der gleichen Schicht. Der Stammtisch ist auch räumlich näher an der Basis als die Arbeitskreise, die sich in den Gewerkschaftsräumen außerhalb der Betriebe treffen, was vielen Kolleginnen und Kollegen die Teilnahme erschwert.

Beteiligen sich auch Betriebsräte an den Arbeitskreisen und dem Stammtisch?

Bei den Stammtischen brauchen die Betriebsräte nicht zu erscheinen, weil dort die Leiharbeiter sich selbst organisieren. Aber ich hätte schon erwartet, dass häufiger Betriebsräte bei den monatlichen Arbeitskreisen auftauchen, um sich über die Probleme zu informieren, mit denen Leiharbeiter konfrontiert sind. Als die Arbeitskreise gegründet wurden, waren noch häufiger Betriebsräte anwesend. Mittlerweile kommen sie nur noch ganz selten.

Es gibt Berichte, wonach Betriebsräte Leiharbeiter abweisen, die bei ihnen Unterstützung suchen. Ein Betriebsrat aus Niedersachsen wird mit dem Satz zitiert, er sei »nur für die Kernarbeiter zuständig«. Kennen Sie aus Ihrem Bereich auch solche Reaktionen?

In einer solch extremen Weise habe ich die Ablehnung von Betriebsräten, sich um die Belange der Leiharbeiter zu kümmern, nicht erlebt. Es ist allerdings bekannt, dass die Betriebsräte eher Kompromisse mit dem Unternehmen suchen. Die Leiharbeiter werden dann oft als Schutz für die Stammbelegschaft gesehen, weil sie angesichts der Krise die ersten sind, die entlassen werden. Allerdings hat sich die Situation gebessert, seit die IG Metall mit der Kampagne zur Leiharbeit begonnen hat. Seitdem sind Betriebsräte in Unternehmen, die Leiharbeiter beschäftigten, aufgefordert, sich auch um deren Belange zu kümmern.

Trotzdem beklagen Leiharbeiter weiterhin, dass die Betriebsräte ihre Interessen ignorieren.

Dass kommt zweifellos immer wieder vor und ist von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich. Ein Grund liegt darin, dass eine Interessenvertretung der Leiharbeiter wegen der komplizierten Verträge zeitaufwendig ist. Man muss jeden Vertrag genau lesen, um zu entscheiden, ob die Kollegin oder der Kollege eine Chance hat, die eigenen Interessen durchzusetzen. Manche Betriebsräte haben oder nehmen sich diese Zeit nicht.

Gibt es schon erfolgreiche Kämpfe von Leiharbeitern?

Der Begriff des Erfolgs ist ja immer sehr relativ. Organisierte Kämpfe, etwa Streiks, sind mir bei den Leiharbeitern nicht bekannt. Das ist auch viel zu gefährlich für sie, denn sie können schnell entlassen werden. Aber es gibt Beispiele von individuellen Erfolgen. Ein Leiharbeiter hat zum Beispiel bei Eurocopter mehrere schriftliche Anfragen an seine Leihfirma wegen einer ihm zustehenden Lohnangleichung im Rahmen des Branchentarifs gestellt. Nachdem ein Gesprächstermin so kurzfristig anberaumt worden war, dass er ihn nicht wahrnehmen konnte, fragte er erneut an. Anschließend wurde er abgemahnt und dann gekündigt. Da er schon vorher bei der IG Metall organisiert war, bekam er Rechtsschutz und klagte auf Wiedereinstellung. Bevor es zum Gütetermin kam, nahm das Unternehmen die Klage zurück. Die finanziellen Forderungen des Kollegen hat es allerdings noch immer nicht anerkannt. Wäre er nicht Gewerkschaftsmitglied gewesen, hätte er wohl weniger Aussicht auf Weiterbeschäftigung beim Entleiher gehabt.

Gibt es auch einen überregionalen Austausch der Leiharbeiter?

Es gab ab 2006 jährlich einen Workshop in Berlin von den Mitarbeitern des Internetprojekts Zoom (http://www.igmetall-zoom.de), an dem zahlreiche Leiharbeiter teilnahmen. Aus Kostengründen hat der Workshop allerdings in den vergangenen beiden Jahren nicht mehr stattgefunden. Die IG Metall wollte nach meiner Kenntnis dafür 6 000 Euro beisteuern, was eindeutig zu wenig ist. Zudem gab es in ganz Bayern in diesem Jahr zum ersten Mal zwei Treffen bei der IG-Metall-Bezirksleitung, an dem rund 20 Personen teilnahmen. Allerdings waren von den bayerischen IG-Metall-Verwaltungsstellen nur ein Drittel haupt- und ehrenamtliche Vertreter dabei.

Hat der von der IG Metall abgeschlossene Tarifvertrag für Leiharbeiter Fortschritte gebracht?

Der positive Effekt ist, dass es mehr Geld für die Leiharbeiter gibt. Aber wenn es um die konkrete Umsetzung geht, zeigt sich, dass ein Großteil der Betroffenen nichts davon hat. Das liegt an den vereinbarten Fristen. Nach der sechsten vollendeten Woche bekommen die Leiharbeiter 15 Prozent, nach dem dritten vollendeten Monat 20 Prozent, nach dem fünften vollendeten Monat 30 Prozent und so weiter, bis sie nach dem neunten vollendeten Monat 50 Prozent des Lohns der Kernbelegschaft erhalten. Wir haben gefordert, dass Leiharbeiter vom ersten Tag an den Branchenzuschlag bekommen müssen. Denn nach sechs Wochen ist die Kollegin oder der Kollege oft längst wieder aus dem Betrieb und hat damit keinen Anspruch auf den Branchenzuschlag. Nur ein Beispiel aus Augsburg: Dort hat der Weltbild-Verlag für das Weihnachtsgeschäft zahlreiche Leiharbeiter für maximal drei Monate eingestellt. Würde man sich auch auf eine Regelung erst ab der siebten Woche einlassen, kämen diese Kollegen niemals in den Genuss eines Branchenzuschlags.

Sogar die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat die Vereinbarung kritisiert.

Die Kritik von Verdi ist völlig berechtigt. Sie hat darauf hingewiesen, dass durch den Abschluss der Druck auf die Politik zurückgenommen worden ist. Wir argumentieren immer, dass Leiharbeiter aufgrund der aus dem häufigen Jobwechsel resultierenden Belastungen besser bezahlt werden müssen. Durch diese Stufenregelung wird genau das Gegenteil festgeschrieben. Wer häufig wechselt und mehr belastet wird, geht leer aus. Ohne den Tarifvertrag für Branchenzuschläge wäre der Druck auf die Politik für eine gesetzliche Regelung von equal pay und equal treatment« aufrechterhalten worden. Da wäre vielleicht mehr erreicht worden als durch den IG-Metall-Abschluss.

Die IG Metall wirbt mit der Parole »Leiharbeit gerecht gestalten«. Was ist denn gerecht an der Leiharbeit?

Diese Parole kritisiere ich schon lange. Die IG Metall sollte ihre Forderungen damit begründen, dass die Kollegen mehr Lohn zum Leben brauchen, weil es zwingend notwendig ist. Aber mit Gerechtigkeit haben die Einkünfte in der Leiharbeit nichts zu tun. Davon kann keine Kollegin und kein Kollege auf Dauer leben und bei den geringen Rentenzahlungen ist die Altersarmut vorprogrammiert. Mit dem Argument der Gerechtigkeit bestätigt man nur die zweifellos vorhan­denen Illusionen der Leiharbeiter über das »Normalarbeitsverhältnis«.

Wäre dann nicht »Leiharbeit abschaffen« die richtige Forderung?

Dafür wäre aber nicht die IG Metall, sondern der Gesetzgeber der richtige Adressat, der die Leiharbeit eingeführt hat. Ich finde allerdings die Forderung nach einer Abschaffung der Leiharbeit zu kurz gegriffen. Denn dann sollte das gesamte Lohnsystem in Frage gestellt werden. Solche Überlegungen finden aber weder in den Arbeitskreisen noch bei den Stammtischen besonderen Anklang.
http://jungle-world.com/artikel/2012/50/46770.htm
Interview: Peter Nowak

Kleingärtner und Diskos wollen GEMA stoppen


Über 300.000 Unterzeichner: eine Petition an das Bundesjustizministerium soll die Tarifreform verhindern

Gestern übergaben Kulturinitiativen die nach ihren Angaben bundesweit größte Petition an das Bundesjustizministerium. Dafür haben die Kritiker der GEMA seit Monaten eifrig die Werbetrommel gerührt. 305.122 Unterschriften sind schließlich zustande gekommen. Die Ministerin hat sich ca. 30 Minuten Zeit für ein Gespräch mit den Initiatoren der Proteste genommen.

Stein des Anstoßes ist die für kommendes Jahr geplante neue GEMA-Tarifstruktur. Nicht nur die Clubszene befürchtet dadurch massive Preissteigerungen. Auch sächsische Kleingärtner haben sich gegen die GEMA-Pläne positioniert. Schließlich fallen auch ihre Vereinsfeste unter die GEMA-Tarife. So heißt es in einer Pressemeldung der sächsischen Linkspartei:

„Land auf, Land ab beklagten sich Initiatoren von Musikveranstaltungen, der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA), Diskotheken- und Clubbetreiber, Veranstalter von Straßen-, Volks- und Vereinsfesten, insbesondere auch der Landesverband der Sächsischen Kleingärtnerinnen und Kleingärtner, dass diese durch die vorgesehenen Gebührensteigerungen von teils mehreren hundert Prozent vor existenzielle wirtschaftliche Probleme gestellt werden.“

Daher ist es nicht verwunderlich, dass die gemakritische Petition große Resonanz gefunden hat. Die Übergabe der Unterschriften haben mehrere der in den Protest gegen die GEMA involvierten Bündnisse wie Fairplay und die Kulturretter noch einmal zur Darstellung ihrer Argumente genutzt.

Standortargumente wurde strapaziert

„Die über 300.000 Unterstützer dieser Petition haben ein klares Signal an die GEMA gesandt, das bis dato komplett ignoriert wurde: So sollte die sogenannte Tarifreform endgültig zu den Akten gelegt werden, um endlich eine Tarifstruktur zu schaffen, welche Kultur fördert und nicht vernichtet. Die GEMA hat damit Ihren Offenbarungseid bereits geleistet und ist offensichtlich nicht reformfähig“, meint der Kulturarbeiter und Anmelder der Berliner Protest-Kundgebungen Lothar Küpper.

Der Eventmanager und Fairplay-Aktivist Alexander Beck erklärt: „Mein privates und berufliches Umfeld setzt sich vorwiegend aus im Event-Bereich Tätigen zusammen, welche – wie ich – in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sind, sollte die Tariferhöhung so umgesetzt werden. Durch diese werden Clubs, Veranstaltungshallen und allerlei verwandte Gewerke schlichtweg pleite gehen. Gerade in Berlin mit seinen vielen Events sind tausende Arbeitsplätze gefährdet.“

Standortargumente spielten bei den GEMA-Kritikern eine zentrale Rolle. Angeblich 150.000 Jobs sollen durch die Tarifstruktur der GEMA gefährdet sein und auch die wichtige Rolle, die die Kulturszene für den Berlintourismus hat, wird bei ihnen immer wieder betont. Dass es neben solchen Lobbyinteressen gute Argumente gegen die GEMA-Pläne gibt, machen die Stellungnahmen des Berliner Konzertveranstalters Berthold Seeliger deutlich, der den Argumenten der Verwertungsindustrie, sie kämpfe für die Interessen der Künstler widerspricht.

Nach der Petitionsübergabe ist der Termin des Schiedsgerichts am 19.12. ein weiterer wichtiger Termin für die GEMA-Kritiker. Noch hoffen sie, die schon um mehrere Monate verschobene GEMA-Tarifreform ganz zu verhindern.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/153369
Peter Nowak

Entschädigung für Opfer des Kriegs gegen den Terror

Wird die Logik, die zur Verhaftung von El Masri führte, nicht auch heute noch angewandt?

Für die Zyniker der Macht waren es Kollateralschäden im Krieg gegen den Terror. Für die Betroffenen waren es Jahre des Schreckens, die sie bis zum körperlichen und geistigen Zusammenbruch trieben. Die Maßnahmen, mit denen die USA, unterstützt von verschiedenen europäischen Staaten, Menschen verhafteten und verschleppten. Jetzt hat einer der Betroffenen zumindest juristisch eine kleine Entschädigung bekommen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat dem Libanon geborenen deutschen Staatsbürger Khaled El Masri eine Entschädigung in Höhe von 60.000 Euro zugesprochen. Zahlen muss sie die mazedonische Regierung. Denn El Masri war Ende 2003 in der Hauptstadt des Balkanstaates Skopje verschleppt worden und erlebte eine kafkaeske Odyssee.

Nach seinen sehr detaillierten Aussagen, die sich später auch bestätigten, wurde El Masri von den mazedonischen Behörden zunächst 23 Tage unter Kontaktsperre in einem Hotel in Skopje festgehalten. Bei einem Fluchtversuch wurde ihm mit Erschießung gedroht. Danach wurde er vom US-amerikanischen Außengeheimdienst CIA nach Afghanistan entführt und dort über mehrere Monate festgehalten und auch gefoltert.

Als sich sein deutscher Pass, den die US-Behörden zunächst für gefälscht hielten, als echt erwies, wurden die deutschen Behörden informiert. El Masri wurde 2004 ohne finanzielle Mittel und ohne Informationen von Freunden und Bekannten auf einem Waldweg zwischen Albanien und Mazedonien ausgesetzt. Seine Papiere hat er am mazedonischen Grenzübergang wieder bekommen. Die Art seiner Freilassung bedeutete für den Betroffenen eine weitere Demütigung.

Denn zunächst wurden seinen Schilderungen auch in Deutschland mit Misstrauen begegnet. Das Opfer wurde zum Lügner gestempelt. Sicherlich hat diese Behandlung zu dem psychischen Zusammenbruch beigetragen. El Masri war strafrechtlichen Ermittlungen, einer Einweisung in die Psychiatrie und einer Pressekampagne ausgesetzt. Während die deutschen Behörden mittlerweile im Zusammenhang mit El Masris Verschleppung Haftbefehle gegen mehrere CIA-Mitarbeiter erlassen haben, hat die US-Justiz es auch in der höchsten Instanz abgelehnt, El Masris Antrag auf Schadenersatz anzunehmen.

Abweisung der Klage weitere Menschenrechtsverletzung

Das Europäische Gericht stufte die Darstellung El Masris als glaubwürdig ein. Seine Verschleppung in das Hotel in Skopje wurde als „unmenschliche und erniedrigende Behandlung“ klassifiziert, der Umgang mit ihm auf dem Flughafen von Skopje als Folter. Da dieses Prozedere auf mazedonischem Staatsgebiet und in Anwesenheit mazedonischer Beamter erfolgt sei, müsse dafür auch die mazedonische Regierung die Verantwortung übernehmen, so die Richter. Zudem sei den Behörden das Ziel des Fluges bekannt gewesen. Gerügt wurde schließlich auch die mazedonische Justiz, die alle Klagen El Masris abwies. Sie sei verpflichtet gewesen, eine effektive Untersuchung durchzuführen.

Das Gericht befand, es seien aus dem gleichen Grunde keine ernsthaften gerichtlichen Untersuchungen durchgeführt worden, wegen denen er auch unrechtmäßig inhaftiert worden war, was eine weitere Verletzung der Grundrechte von El-Masri darstellte. Mit dem Urteil hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erneut den Focus auf die massiven Menschenrechtsverletzungen auch auf europäischen Boden gerichtet, die unter dem Übergriff „Krieg gegen den Terror“ gelaufen sind.

Die Frage ist, ob jetzt auch andere Betroffene gegen europäische Staaten, vielleicht auch Deutschland, klagen werden. Schließlich haben auch Politiker in Deutschland im Fall des Bremers Murat Kurnaz, dessen Haft in den USA in die Länge gezogen. Daneben sollte der gut dokumentierte Fall El Masri die Frage aufwerfen, ob solche Menschenrechtsverletzungen auch heute noch möglich wären.

Beispiel Bonn – Salafistenfreund gleich Bombenleger?

Die offizielle Erklärung aus Washington lautet, El Masri sei Opfer einer Verwechslung mit einem Al Qaida-Mitglied gleichen Namens geworden. Die Verwechslungserklärung verdeckt, dass El Masri ins Visier der Behörden geriet, weil er im Libanon Kontakt zu einer islamistischen Gruppe gehabt haben soll, nach der er auch von den US-Beamten beim Verhör befragt worden war.

Zudem soll er in seinem deutschen Wohnort Neu-Ulm in einen Zentrum verkehrt haben, in dem sich auch Islamisten getroffen haben sollen. Hier wurde also nach der Logik des Verdachts verfahren, wer mit Islamisten verkehrt hat, kann auch Al Qaida-Mitglied sein. Wurde diese Logik nicht auch nach dem Fund einer zünderlosen Bombe am Bonner Hauptbahnhof vor wenigen Tagen angewandt, als die Festnahme zweier Männer erfolgte, denen Kontakte in die Salafistenszene nachgesagt wird? Sie mussten mittlerweile wieder freigelassen werden und ein politischer Hintergrund der mysteriösen Ansammlung von Bombenteilen steht auch noch längst nicht fest.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/153365

Peter Nowak

Spitzel verlangt Schadenersatz

Mark Kennedy wegen Liebesaffären vor Gericht
Der britische Zivilbeamte Mark Kennedy spionierte jahrelang in der linken Szene Europas. Nun verklagen ihn Frauen aus mehreren Ländern wegen sexueller Ausbeutung.

Dass Polizeibehörden von Menschen aus oppositionellen Zusammenhängen wegen Körperverletzung oder Freiheitsberaubung verklagt werden, kommt häufiger vor. Doch die Klage wegen sexueller Ausbeutung, die 10 Frauen aus verschiedenen europäischen Ländern gegen die britische Metropolitan Police und die halbprivate „Association of Chief Police Officers gestellt haben, dürfte eine Premiere sein. Die Polizeibehörden waren für den Einsatz der Zivilbeamten Mark Kennedy und eines Kollegen, der unter dem Namen Marco Jacobs bekannt ist, verantwortlich. Beide hatten sich in verschiedenen europäischen Ländern in linke Zusammenhänge eingeschleust und diese auspioniert. Dazu gehörte auch Mobilisierung gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 und gegen den NATO-Gipfel in Strasbourg 2009. Wie Kennedy mittlerweile zugab, ist er bei seinen Einsätzen sexuelle Beziehungen mit Frauen aus der linken Szene eingegangen.
Diese stützten ihre Klage auf die Verletzung mehrerer Grundsätze der Europäischen Menschenrechtskonvention. Danach darf niemand einer erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. Dieses Prinzip sehen die Kläger verletzt, weil sie von stabilen, zukunftsfähigen Bindungen ausgegangen waren. Doch die zwischen sieben Monaten und sechs Jahren dauernden Beziehungen endeten mit dem plötzlichen Abtauchen der vermeintlichen Partner, wenn deren Einsatz abgebrochen wurde.
Noch ist unklar, ob die Verfahren öffentlich verhandelt werden, wie von den Verteidigern der Klägerinnen gefordert. Die Anwälte der Polizei wollen die Fälle in einem Geheimverfahren abwickeln, das für Klagen gegen den britischen Inlandsgeheimdienst MI5 vorgesehen ist. Dann dürften weder die Klägerinnen noch deren Anwälte an den Verhandlungen teilnehmen oder Zeugen hören.
Die polizeilichen Führer der Spitzel seien jederzeit informiert gewesen, wo diese bei ihren Einsätzen übernachteten, bestätigte Kennedy gegenüber der Presse die Version der Klägerinnen, die von „institutionalisierten Sexismus bei der Polizei“ sprechen. Kennedy stilisiert sich mit seinem Gang an die Öffentlichkeit selber zum Opfer und hat seine Vorgesetzten verklagt. Weil die ihn nicht an den sexuellen Affären und Beziehungen während seiner Spitzeltätigkeit gehindert hätten, sollen sie ihm den dadurch entstandenen posttraumatischen Stress mit rund 120.000 Euro vergüten. Ein Berliner Aktivist der globalisierungskritischen Bewegung, der sich seit Jahren mit der europaweiten Repression beschäftigt, bezeichnet Kennedy als „egozentrischen Selbstdarsteller“. „Jetzt nutzt er das Gerichtsverfahren der Frauen, um selbst Aufmerksamkeit zu erheischen.“
Dass Ausmaß der Kriminalisierungsversuche oppositioneller Bewegungen wird erst langsam bekannt.
„Es ist auffällig, dass Kennedy sich an Orten aufhielt, an denen es später zu größeren Razzien und Anklagen wegen abstruser Terrorismus-Vorwürfe kam. Alle Verfahren fielen bislang in sich zusammen“, erklärt der Aktivist gegen nd. Zurzeit könnte ein Verfahren gegen eine anarchistische Landkommune im französischen Ort Tarnac eingestellt . Auch sie hatte Kennedy mit militanten Aktionen in Verbindung gebracht.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/807299.spitzel-verlangt-schadenersatz.html
Peter Nowak

Deutschland kann von russischen Bildungserfolgen lernen

Nicht alle wollen in das Lob auf die deutsche Bildungspolitik einstimmen

Die meisten deutschen Bildungspolitkern lobten die beiden Grundschulstudien IGLU und TIMMS, die am Dienstag vorgestellt wurden. Sie sahen diese Studien als Beweis, dass die deutsche Bildungspolitik auf dem richtigen Weg ist. Weniger euphorische Stimmen kamen dagegen kaum durch.

Licht und Schatten

Ausgewogen war die Stellungnahme der Bildungsgewerkschaft GEW:

„Die gute Nachricht: Viertklässler in Deutschland zeigen im internationalen Vergleich überdurchschnittliche Leistungen in Deutsch, Mathematik und Naturwissenschaften. Die schlechte Nachricht: In der Tendenz gehen die Leistungskurven nach unten, die Zahl der Risikoschüler hat gegenüber 2006 zugenommen.“

So die Erklärung der Stellvertretenden GEW-Vorsitzenden Marianne Demmer. Sie kritisierte, dass fast sämtliche Bildungspolitiker die Ergebnisse der Studie schönreden würden. Die gewerkschaftliche Bildungsexpertin bewertete es als Alarmsignal, dass der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit schwachen Leistungen unter Kompetenzstufe III gegenüber 2006 von 13, 2 auf 15,4 Prozent angewachsen ist. Gleichzeitig sei der Anteil der Spitzenleser im letzten Jahr von 10,8 auf 9,5 Prozent in 2011 gesunken.

„Schwarzer Tag für die deutsche Bildungspolitik“

Wesentlich kritischer als die GEW bewertet der Bildungsexperte des Deutschlandfunks Manfred Götzke die Studie und spricht in einem Kommentar gar vom „Schwarzen Tag für die deutsche Bildungspolitik“.

Wie Demmer bewertet auch er als Alarmsignal, dass der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit schwachen Leistungen unter Kompetenzstufe III gegenüber 2006 wieder angewachsen ist. Anders als alle die Bildungspolitiker, die nach der Studienveröffentlichung das Selbstlob über die so erfolgreiche deutsche Bildungspolitik gar nicht laut genug formulieren konnten, hält es Götzke auch nicht für naturgegeben, dass 15 Prozent der Viertklässler nicht richtig lesen können, wenn sie die Grundschule verlassen, weswegen der Anteil der Analphabeten in Deutschland weiter auf hohem Niveau ist.

Die russische Bildungspolitik hat gezeigt, dass solche Daten durchaus veränderbar sind. Vor zehn Jahren haben dort auch 20 Prozent der Kinder die Grundschule verlassen, ohne richtig lesen zu können. Heute liegt der Anteil bei acht Prozent und Russland ist IGLU-Spitzenreiter.

Götzke erinnert auch daran, dass die Studie das bürgerliche Bildungsmonopol in Deutschland erneut bestätigt hat. Kinder aus bildungsnahen Familien sind Kindern aus bildungsfernem Milieu in Mathematik und Lesekompetenz fast ein Jahr voraus. Selbst wenn Arbeiterkinder gute Noten haben, bekommen sie oft keine Gymnasialempfehlung. Kinder eines Arztes oder eines Rechtsanwaltes haben eine dreimal so große Chance, eine Gymnasialempfehlung zu bekommen, wie die Kinder von Handwerkern. In den 70er Jahren hatte es sich eine Reformpädagogik zum Ziel gesetz , mit Gesamt- und Kollegschulen das bürgerliche Bildungsprivileg abzubauen. Diese Bemühungen wurden schnell zurechtgestutzt und abgebogen.

Der Bildungsforscher Wilfried Bos vom Institut für Schulentwicklungsforschung an der Dortmunder Universität relativiert den hochgelobten Fortschritt bei der Bildung von in Deutschland lebenden Kindern mit Migrationshintergrund. Obwohl Migrantenkinder in den vergangenen Jahren deutlich zugelegt hätten, ist der Leistungsvorsprung der Kinder aus Familien ohne Migrationshintergrund weiterhin erheblich, betont Bos.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153351
Peter Nowak

Neue Lunge nur mit Deutschkenntnissen

Verweigerte Transplantation weckt Protest bei Migrantenorganisation
Einer türkischstämmigen Patientin wurde in Hannover eine Lungentransplantation verweigert. War der Grund Rassismus in der Klinik, wie eine Migrantenorganisation vermutet?

Die 49-jährige Selvi B. leidet seit Jahren unter einer schweren Lungenerkrankung und ist deshalb in medizinischer Behandlung. Auch mehrere Klinikaufenthalte hat sie schon hinter sich. Im Oktober 2011 wurde sie auf die Warteliste für eine Lungentransplantation an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) aufgenommen. Doch die Ärzte haben der in der Türkei geborenen und seit 1980 in Deutschland lebenden Frau zunächst die Verbesserung ihrer Deutschkenntnisse empfohlen, bevor eine Transplantation in Betracht kommt. Baki Selcuk von der Föderation der Arbeitsimmigranten in Deutschland (Agif) reagiete empört und warnt vor Rassismus in den Kliniken. „Spricht nicht ausreichend deutsch, muss sterben“, ist die Agif-Pressemitteilung zu dem Fall überschrieben.

Berufung auf Vorgaben des Gesetzes

Professor Tobias Welte vom Institut für Pneumologie an der MHH weist gegenüber nd die den Vorwurf des Rassismus entschieden zurück „In unserer Klinik sind in den vergangenen Jahren auch Patienten mit Migrationshintergrund erfolgreich Organe transplantiert worden“, betont er. Ausreichende Deutschkenntnisse seien aber eine Voraussetzung dafür, betont der Mediziner.
Die gehören zu den Vorgaben des Transplantationsgesetzes, an die sich die Klinik halten müsse Es schreibt für die kostenaufwendige Organtransplantation strenge Voraussetzungen vor. Da die Nachfrage nach Spenderorganen wesentlich größer ist als die zur verfügend stehenden Organe, werden lange Wartelisten geführt. Die Patienten werden genau untersucht, bevor sie in dort geführt werden. Dabei darf nicht nach finanziellen und sozialen Kriterien sondern allein nach Dringlichkeit und Erfolgsaussicht der Operation entschieden werden. Dazu gehört auch eine aktive Mitwirkungspflicht der Patienten für die Wiederherstellung ihrer Gesundheit, betont Welte. „Einem Raucher wird zur Auflage gemacht, seinen Zigarettenkonsum einzustellen. Ist er dazu nicht bereit wird eine Lungentransplantation abgelehnt“, nennt Welte das Beispiel. Der Zusammenhang zwischen dem Zigarettenkonsum und der Entwicklung einer transplantierten Lunge ist auch dem medizinischen Laien einsichtig. Warum aber auch ausreichende deutsche Sprachkenntnisse zu den Voraussetzungen einer Lungentransplantation gehören sollen, erschließt sich nicht ohne Weiteres.

Eine schier ausweglose Situation

Der Mediziner führt mögliche gesundheitliche Komplikationen an, die nach der Transplantation entstehen können. Häufig würden dann die exakten Anweisungen für die Medikamenteneinnahme telefonisch erfolgen. Da Patienten nach einer Transplantation bis zu dreißig unterschiedliche Medikamente einnehmen müssten und eine fehlerhafte Dosierung erhebliche gesundheitliche Auswirkungen haben kann, müsse vor der Transplantation gewährleistet sein, dass die Patienten diese Anweisungen auch sprachlich verstehen.
Noch hat Frau B. die Möglichkeit, auf die Warteliste für die Lungentransplantation zu kommen, betont Welte. Die Anwärter werden in regelmäßigen Abständen untersucht. Dann wird auch getestet, ob sich die Voraussetzungen gebessert haben. Für Frau B. stünden dann auch ihre deutschen Sprachkenntnisse erneut auf dem Prüfstand. Für die Patientin eine schier ausweglose Situation. In ihrer Lage Deutsch zu lernen, würde eine aussergewöhnliche Willensleistung voraussetzen.
Eine Bewerbung bei einer anderen Klinik hingegen dürfte für die Patientin keine Lösung sein. Sie sind an ebenso an die Vorgaben des Transplantationsgesetzes gebunden. Die Hinzuziehung von Dolmetschern für Patienten mit schlechten Deutschkenntnissen ist hierin nicht vorgesehen.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/806734.neue-lunge-nur-mit-deutschkenntnissen.html
Peter Nowak

Nobelpreis für Nothing

Die Preisverleihung des Friedensnobelpreises an die EU interessiert kaum jemanden, und hat dem Nobelpreiskomitee viel Kritik eingebracht

„Wir sind Papst“, hat Bild einst getitelt, als ein Mann mit deutschem Pass diesen Posten bekommen hat. Können wir jetzt auch sagen: „Wir sind Nobelpreisträger“, wie der bayerische Rundfunk eine Meldung zum Thema betitelte?

Zumindest die EU-Bürger könnten diese Aussage machen. Doch da sich in allen EU-Ländern viel weniger Menschen mit ihr identifizieren als mit dem Papst, wird die Aussage wohl kaum jemand machen. Tatsächlich hat Wahl des Preisträgers dem Nobelpreiskomitee viel Kritik sowie Spott eingebracht, die von der Taz am Wochenende noch mal in dem Titel „Der entwertete Preis“ zusammengefasst wurde.
Sogar drei ehemalige Friedensnobelpreisträger haben sich mit einer Protesterklärung zu Wort gemeldet und sehen mit der EU-Ehrung die Maßgabe des Preisstifters nicht erfüllt:
„Die EU strebt nicht nach der Verwirklichung von Nobels globaler Friedensordnung ohne Militär. Die EU und ihre Mitgliedsländer gründen kollektive Sicherheit weit mehr auf militärischen Zwang und die Durchführung von Kriegen als auf die Notwendigkeit eines alternativen Herangehens.“

Während der Preisverleihung haben in Oslo hunderte Menschen gegen den Preisträger protestiert.

Preis als Warnung?

Wer das Komitee vorher politisch noch ernst genommen hat, die Zahl der Menschen hielt sich in Grenzen, wird nach der Entscheidung an der politischen Ernsthaftigkeit zweifeln. Denn zu deutlich war, dass das alleinige Kriterium dafür, der EU diesen Preis zu verleihen, die politische Opportunität war. Die aber ist immer ein schlechter Ratgeber. Auch die Schaufensterreden die heute bei der Preisverleihung wieder gehalten wurden, haben gezeigt, dass die Kritiker Recht hatten. Denn ein plausibles Argument für den Preisträger EU hat es dort nicht gegeben.

„Der Preis steht dafür, dass wir in Zeiten der Krise, wo Leute zweifeln (…), eine Warnung kriegen, das große Erbe des 20. Jahrhunderts, nämlich diese Friedens- und Wohlstandsgemeinschaft, nicht aufs Spiel zu setzen“, ließ sich der sozialdemokratische EU-Parlamentspräsident Martin Schulz vernehmen. Dem Satz mangelt es nicht nur an grammatikalischer, sondern auch an inhaltlicher Klarheit.

Denn soll nun der Preis eine Warnung sein, die EU nicht aufs Spiel zu setzen? Das wäre tatsächlich eine ganz neue Funktion eines Friedensnobelpreises. Werden dann auch bald Staaten mit abspaltungswilligen Bevölkerungsteilen damit beehrt, wenn es politisch opportun ist? Oder wollte Schulz eigentlich sagen, dass die EU, da sie den Preis jetzt schon einmal hat, bloß nicht zerbrechen darf? Dass wäre dann ja für die Preisträger noch peinlicher als die Verleihung an des Friedensnobelpreises an Politiker, die Kriege führen, wenn es opportun ist. Dann bleibt aber immer noch die Frage, wofür denn nun der EU der Nobelpreis verliehen wurde?

Sie habe den Frieden in Europa garantiert, heißt es dann. Im ehemaligen Jugoslawien hatte die EU eher eine kriegerische Funktion. Denn es war das Bemühen der wirtschaftsstarken Teilstaaten Kroatien und Slowenien, sich selbstständig vom ärmeren Rest zu machen und sich in die EU einzugliedern, die den Krieg dort anheizte. Damals gab es in allen Bundesstaaten Kräfte, die ein einheitliches Jugoslawien ohne Nationalismus erhalten wollten. Ihnen vor Beginn des Krieges den Friedensnobelpreis zu verleihen, wäre eine Geste mit einer politischen Aussage gewesen. Aber die hat man wohl vom Nobelpreiskomitee schon damals nicht erwarten können.

UDSSR light?

Die EU habe für Demokratie und Menschenrechten gesorgt, so das Nobelkomitee. Man kann es auch anders formulieren. In vielen osteuropäischen Ländern wird die EU schon als eine „UDSSR light“ gesehen, die sich in die inneren Angelegenheiten von Ländern mischt, wenn es ihr opportun erscheint. So hat es der bei einer Mehrheit der rumänischen Bevölkerung verhasste wirtschaftsliberale Präsident Basescu einer massiven EU-Einmischung zu verdanken, dass er nach einem Referendum, das er klar verlor, noch im Amt ist (Erneut Verfassungskrise in Rumänien).

Insofern war der Ausgang der rumänischen Parlamentswahl am Sonntag, wo die den EU-Günstling nahestehenden Parteien klar abgewählt wurden, eine weitere Klatsche gegen die EU. Einen Vorteil hat die Preisverleihung doch. Das Preisgeld soll an eine wohltätige Organisation gespendet werden. Wie wäre es wenn es an die Flüchtlingsorganisationen ginge, die sich um die Menschen kümmern, die von der Festung Europa und ihren Organen an der Einreise gehindert werden?
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153343
Peter Nowak

Zweifel am SPD-Kandidaten

Die große Mehrheit der SPD hat den Kandidaten gewählt, den sie wollte und verdient hat

Mit 93% wurde Peer Steinbrück in Hannover auf dem Sonderpartei der SPD zum Kanzlerkandidaten gewählt. Damit hat er nicht nur das Merkel-Ergebnis vor einigen Tagen auf dem CDU-Parteitag unterboten. Er lag unter der Marke von 95 Prozent, mit der der eher dröge Steinmeier vor vier Jahren zum SPD-Kandidaten gewählt wurde. Die SPD-Rhetorik von der nahezu geschlossenen Zustimmung der SPD zu Steinbrück kann so nicht verdecken, dass selbst auf dem Parteitag die Zweifel an der Fähigkeit Steinbrücks, Merkel wirklich besiegen zu können, nicht ausgeräumt sind.

Dabei hat der Rest derjenigen, die sich noch als SPD-Linke verstehen, schon vor Wochen erklärt, dass sie Steinbrück keine Steine mehr in den Weg legen wollen. Da mag das Kalkül eine Rolle gespielt haben, dass man Steinbrück zumindest los ist, wenn er die Wahl verliert. Erst dann könnte die Stunde für Politiker wie Hannelore Kraft und Manuela Schwesig schlagen, die jetzt noch in der zweiten Reihe bleiben. Sie werden keine grundlegend andere Politik machen, dagegen steht die Geschichte der Sozialdemokratie, die auch von Steinbrück in seiner Parteitagsrede wieder so ausgiebig beschworen wurde. Doch sie werden die Politik anders kommunizieren und sich dabei an Merkel ein Vorbild nehmen.

Kraft und Steinbrück

Man kann den Unterschied an der Art sehen, wie zur Zeit Hannelore Kraft Anliegen der Grünen in der Frage der Kohlekraftwerke und der Abholzung im Hambacher Forst übergeht, aber den Grünen nicht so deutlich das Gefühl gibt, dass sie überflüssig sind, wie es einst Peer Steinbrück als NRW-Ministerpräsident praktizierte. Der Unterschied bewirkte, dass man heute von den NRW-Grünen wenig hört, wenn ihre Anliegen missachtet werden. In der Steinbrück-Ära hingegen drohten sie mehrfach mit Koalitionsbruch.

Es könnte sogar sein, dass Hannelore Kraft ihre Art des Politmanagements schon in einer großen Koalition unter Merkel praktizieren kann. Schließlich hat Steinbrück mehrmals erklärt, dass er als Minister in einem Kabinett Merkel nicht zur Verfügung steht. Dieses Versprechen kann man ihm durchaus glauben. Schließlich ist es nicht nur seinem vielzitierten Ego geschuldet, sondern auch der Tatsache, dass er auf seinen Vortragsreisen als Minister außer Dienst wesentlich mehr verdient als in einem Regierungsamt. Seine Zeit als Kanzlerkandidat könnte ihm sogar in dieser Rolle wieder populärer machen.

Dabei liegt Steinbrück natürlich weltweit im Trend. Vom britischen Ex-Premier Blair bis zum zweimaligen US-Präsidenten Clinton angefangen wächst die Reihe der Politiker, die schon deshalb ihre Karriere noch vor dem Eintritts ins Seniorenalter beenden, weil sie dann als Gastredner noch einmal viel mehr verdienen.

Freunde der rotgrünen Koalition bei der Taz haben wenige Tage vor dem SPD-Parteitag noch einmal Alarm geschlagen und den SPD-Delegierten vor Augen geführt, dass die Partei mit Steinbrück nicht gewinnen kann.

„Steinbrück hat auf keinem einzigen Feld, das für die ehedem stolze Arbeiterpartei wichtig war, etwas zu bieten. Selbst in puncto sozialer Gerechtigkeit geben die Befragten der Kanzlerin mittlerweile höhere Glaubwürdigkeitswerte. Und das hat nicht in erster Linie etwas mit der Höhe seiner Vortragshonorare zu tun. Immer wieder ist der Hartz-IV-Befürworter der ersten Stunde mit markigen Sprüchen gegen Sozialleistungsempfänger aufgefallen. Auch Frauen mögen ihn grundsätzlich nicht“, schreibt die Taz-Chefredakteurin Ines Pohl und vergisst, dass nicht nur Steinbrück, sondern die große Mehrheit der SPD Hartz IV nicht nur befürwortet, sondern vorangetrieben hat.

Deswegen haben die meisten Delegierten diesen Ratschlag in den Wind geschlagen und Steinbrück gewählt. Wenn nun behauptet wird, dass er nicht glaubhaft einen Wahlkampf mit dem Thema Gerechtigkeit führen kann, muss man fragen, wieso die SPD mit einem anderen Kandidaten das glaubwürdiger könnte. Insofern passen Partei und Kandidaten gut zusammen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153334
Peter Nowak

Zoff um Karl und Rosa

Ein Jugendbündnis will am 13. Januar 2013 Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gedenken und wird dafür als Spalter und Schlimmeres gescholten

Die linke Bewegung in Deutschland gründet gerne und oft Bündnisse, die oft wenig Beachtung finden. Doch das Jugendbündnis, das sich schlicht Karl und Rosa nennt, hat es schnell geschafft, öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen. Es hat sich zur Aufgabe gestellt, den linken Sozialdemokraten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu gedenken, die vor dem ersten Weltkrieg zu den profiliertesten Köpfen des antimilitaristischen Flügels der SPD gehörten und diese Position im Gegensatz zum Großteil ihrer damaligen Partei auch nach dem Beginn des 1. Weltkriegs nicht aufgegeben haben.

Dafür wurden sie eingekerkert und verfolgt. Nach der Novemberrevolution wurden sie zu wichtigen Bezugspunkten des Teils der damaligen Arbeiterbewegung, der auf eine grundlegende Umwälzung der politischen Verhältnisse setzte. Am 18. Januar 1919 wurden sie von rechten Freikorps ermordet. Der Befehl kam, wie der Frankfurter Historiker Klaus Gietinger klar nachwies, von der damaligen SPD-Führung um Gustav Noske.

Dass 94 Jahre später ein Jugendbündnis den Ermordeten gedenkt und dabei auch kritische Fragen stellt, was denn heute daraus folgt, müsste eigentlich auf Zustimmung stoßen, wo doch vielerorts über die unpolitische Jugend lamentiert wird, die sich für alles eher als für linke Geschichte interessiert.

„Spalter und Noskes Kinder“

Doch weit gefehlt. Neben der Gründung von Bündnissen zählt die Beschimpfung der anderen Bündnisse zu einer Lieblingsbeschäftigung in der linken Bewegung. Dabei geht es nicht um den notwendigen politischen Streit um Inhalte und den Austausch von Argumenten, sondern um die Diffamierung. In einem Artikel in der traditionalistischen Tageszeitung junge Welt werden die Aktivisten des Jugendbündnisses nicht nur als „zukünftige Sozialabbaukader“, sondern auch als „Kinder der Mörder von Rosa und Karl“ bezeichnet.

Dabei stoßen sich die Traditionalisten plötzlich daran, dass auch SPD-nahe Jugendverbände Teil des Jugendblocks sind. Merkwürdigerweise hätte es nicht gestört, wenn sie mit zu der traditionellen Demonstration aufgerufen hätten. Auch SPD-Fahnen waren dort keine Seltenheit, wie ein regelmäßiger Beobachter zu berichten weiß.

Es geht dabei also nicht um die notwendige kritische Auseinandersetzung über sozialdemokratische oder staatssozialistische Praktiken. Dem Gegner wird vielmehr abgesprochen, überhaupt Teil der linken Bewegung zu sein und daher eigentlich nicht berechtigt, eigenständig zu einer Ehrung von Rosa Luxemburg und Liebknecht aufzurufen. Nun gibt es darauf kein Patent, sonst wäre das sicher von jenem Kreis von Traditionslinken schon angemeldet worden, die, wie in jedem Jahr, auch am 13. Januar 2013 zu einer Demonstration an den Gräbern der ermordeten Sozialisten aufrufen.

Diese Demonstration war in den Nachwendejahren entstanden und hatte damals schnell viel Zulauf auch von jüngeren Leuten bekommen, weil damit deutlich gemacht werden sollte, dass mit dem Zusammenbruch der nominalsozialistischen Staaten nicht die gesamte Geschichte der linken Arbeiterbewegung beerdigt ist. In den letzten Jahren gab es vermehrt Kritik an Bannern und Plakaten auf der Demonstration, auf denen Vertreter autoritärer Sozialismusvorstellungen hochgelobt wurden. Dabei kam es auch gelegentlich nicht nur zu verbalen Auseinandersetzungen. Mit der eigenständigen Demonstration im kommenden Januar haben die unterschiedlichen Vorstellungen nun auch zu organisatorischen Konsequenzen geführt.

Entwicklung wie am 1. Mai

Damit scheint sich nun auch bei der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration eine Entwicklung abzuzeichnen, die schon Mitte der 1990er Jahre bei einer weiteren linken Großdemonstration in Berlin zu beobachten ist, bei der „revolutionären 1.Mai-Demonstration“. Jahrelang stritten sich die Gruppen darum, ob sie am Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg oder von einem anderen Platz losgehen soll. Dahinter verbargen sich ähnliche Differenzen in den Politikvorstellungen wie jetzt bei der Ehrung der ermordeten Sozialisten.

Die Trennung und der Streit taten übrigens der Attraktivität der unterschiedlichen Demonstrationen keinen Abbruch. Zeitweilig gab es sogar drei Demonstrationen am 1. Mai, die alle gut besucht waren. Auch das Jugendbündnis dürfte weniger Leute von der traditionellen Demonstration abziehen, sondern Menschen ansprechen, die sich dort nicht politisch wiederfanden.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153332
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Peter Nowak

Erinnern mit links

Das Gedenken an Opfer rassistischer und nazistischer Gewalt erfährt oft Widerstände. Doch auch die linke Gedenkpolitik sollte reflektiert werden.

DruckenAm 24. November erinnerten in Berlin fast 5 000 Menschen mit einer Demonstration an den vor 20 Jahren am U-Bahnhof Samariterstraße von Neonazis ermordeten linken DDR-Oppositionellen und Hausbesetzer Silvio Meier. Die jährliche Demonstration ist ein bedeutender Teil linksradikaler Gedenkkultur und Politik in Deutschland. Zu seinem 20. Todestag hatten verschiedene Antifa-Gruppen eine Broschüre über Meiers Leben, die Geschichte der Demonstrationen und den jeweiligen politischen Kontext zusammengestellt. Neben Interviews mit Mitstreitern und Freunden Meiers findet sich darin auch eine kritische Reflexion des linksradikalen Gedenkens.

Unter anderem wird deutlich, dass vor allem jüngere Antifaschistinnen und Antifaschisten wenig vom damaligen Umfeld des Ermordeten wissen und eine Kontaktaufnahme auch nicht ohne politische Kontroversen verläuft. Die ehemaligen Freunde und Mitstreiter Meiers blicken natürlich mit ihrer heutigen politischen Position auf Meier und das Gedenken. Da kommt ein Historiker, der sich Mitte der neunziger Jahre von linken Vorstellungen verabschiedete, zu anderen Schlussfolgerungen als ein Freund von Meier, der sich bis heute als Anarchist versteht. Ihre Stellungnahmen können daher nur Beiträge zur politischen Auseinandersetzung über das kritische Gedenken sein und selbst von der politischen Kritik nicht ausgenommen werden. Wichtig im Fall von Meier ist außerdem der Unterschied zwischen der privaten Trauer und der politischen Erinnerung, der in der Broschüre von mehreren nahen Freunden angesprochen wird.

Die politische Erinnerungskultur hat sich in den vergangenen 20 Jahren verändert. Darum ging es unter anderem auf einer Podiumsdiskussion zur linken Gedenkarbeit einige Tage vor der Demonstration in Berlin. In den Bereich der politischen Erinnerungsarbeit gehört die von der »Initiative für ein aktives Gedenken« vorgebrachte Forderung nach der Umbenennung der Gabelsberger Straße, in deren unmittelbarer Nähe sich der Mord ereignete, in der Silvio-Meier-Straße. In der Initiative arbeiten Bezirkspolitiker der Grünen und der Linkspartei mit Antifaschisten zusammen. »Wir haben erkannt, dass die alljähr­liche Demonstration nicht ausreicht, um das Gedenken an Silvio Meier im Stadtteil zu verankern«, begründete ein Mitglied der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB), die jahrelang die linksradikale Silvio-Meier-Demonstration organisierte, die Beteiligung der ALB an der Initia­tive während der Podiumsdiskussion. Auf einer Bürgerversammlung vor einigen Monaten war eine deutliche Mehrheit für die Umbenennung zustande gekommen und auch die Bezirksverordneten hatten ihr zugestimmt, doch sie wird durch die Klage eines Anwohners verzögert. Dieser sagte der Taz, Meier sei als Hausbesetzer nicht als Namensgeber einer Straße geeignet und zudem für seinen Tod selbst verantwortlich, weil er sich den Neonazis in den Weg gestellt habe.

Wenn es um Ehrungen von Opfern nazistischer Gewalt geht, treffen linke Gedenkinitiativen häu­figer auf derartige Widerstände. In Eberswalde hat ein rechtspopulistisches Bürgerbündnis mit dem Namen »Das fünfte Gebot« in kurzer Zeit 4 000 Unterschriften gegen den Plan gesammelt, eine große Straße nach Amadeu Antonio Kiowa umzubenennen. 1990 war der angolanische Vertragsarbeiter in der brandenburgischen Stadt von Neonazis ermordet worden. Für die Rechts­populisten ist das aber kein Grund, eine Straße umzubenennen. Mittlerweile ist der Plan auch vom Tisch, nun soll ein Gebäude an Kiowa erinnern, das gleich auch der Versöhnung dienen soll. Angesichts des Erfolgs von Gruppen wie »Das fünfte Gebot« scheint dies aber absurd. Von einem anderen Beispiel für die Schwierigkeit, einen Erinnerungsort für Opfer nazistischer Gewalt zu schaffen, berichtete auf der Podiumsdiskussion Dirk Stegemann vom Berliner Bündnis »Rechts­populismus stoppen«. Es geht um die Opfer des größten Berliner Arbeitshauses während des Nationalsozialismus in Berlin-Rummelsburg. Damals sind zahlreiche Insassen in Konzentrationslager verschleppt worden. Heute finden sich auf dem Areal lukrative Grundstücke, Investoren sollen durch dessen Geschichte nicht verschreckt werden. Das antifaschistische Bündnis wollte vor Ort Tafeln anbringen, die an die Geschichte von Menschen erinnern, die als sogenannte Asoziale von der Politik und der Mehrheitsgesellschaft auch heute noch stigmatisiert und immer wieder Opfer von Neonazis werden.

Einer davon war Dieter Eich, der am 24. Mai 2000 von vier Neonazis in seiner Wohnung in Berlin-Buch ermordet wurde. Die Nazis sprachen hinterher davon, dass es der »Assi« verdient habe. 2013 soll der Haupttäter aus der Haft entlassen werden. Bis dahin will eine Initiative einen Gedenkstein für Eich in der Nähe des Tatortes errichten, um zu verhindern, dass er und die Tat vergessen werden. Dafür sorgten bisher Antifagruppen im Nordosten Berlins, die mit Demons­trationen und Veranstaltungen auf den Mord und die gesellschaftlichen Hintergründe aufmerksam machten. Sie arbeiten auch in der Initiative für den Gedenkstein mit. Der Aktivist Ralf Peters übte auf der Podiumsdiskussion zur linken Gedenkarbeit aber auch Kritik an der Antifabewegung. Selbst nach monatelanger intensiver Öffentlichkeitsarbeit hätten nur einige Hundert Menschen an der Gedenkdemonstration teilgenommen. Anders als Silvio Meier sei Eich keine bekannte Figur in Antifakreisen. Peters machte damit auf einen wichtigen Schwachpunkt in der linken Gedenkpolitik aufmerksam. Es reicht nicht, Opfer zu sein, um Öffentlichkeit in linken Milieus zu bekommen.

Auf der Veranstaltung wurde auch daran erinnert, dass niemand Grigore Velcu und Eudache Calderar gedachte, die beim Grenzübertritt im Juni 1992 von Jägern erschossen worden waren (Jungle World 10/2012). Selbst bei den diesjährigen Demonstrationen zum 20. Jahrestag des rassistischen Pogroms in Rostock-Lichtenhagen spielten die beiden getöteten rumänischen Migranten keine Rolle. Dabei war zu diesem Zeitpunkt schon der Film »Revision« bekannt, in dem der Filmemacher Philipp Scheffler die bis heute ungeklärten Todesumstände und den Zusammenhang mit dem Rostocker Pogrom thematisiert. Ein Grund für die Ignoranz könnte sein, dass Kunstwerke wie Theaterstücke, Filme und Installationen in der linken Gedenkarbeit oft noch zu wenig beachtet werden, obwohl sie eine wichtige Rolle spielen. So hat der Regisseur Günther Sommer mit dem Theaterstück »Songs für Kommeno« die Massaker der deutschen Wehrmacht in Griechenland während des Zweiten Weltkriegs auf den Spielplan des diesjährigen Berliner Jazzfestes gesetzt. An die deutschen Massaker in Norditalien erinnert der Film »Die Geige aus Cervarolo«. Die Regisseure Matthias Durchfeld und Nico Giu­detti behandeln dort das Schicksal des jungen Geigers Virgilio Rovali, dessen Familie Opfer des Massakers wurde. In dem Film werden die Über­lebenden und die Nachkommen gezeigt, wie sie sich auf den Prozess gegen die noch lebenden deutschen Täter vorbereiten. Alle Angeklagten ignorierten den Prozess und müssen in Deutschland auch keine Strafen fürchten (Jungle World 23/2011). In mehreren Städten haben sich Initiativen gebildet, die die Täter aus ihrer Anonymität reißen. Sie nehmen die aktuellen Filmvorführungen zum Anlass für Informationsveranstaltungen über die Massaker.

http://jungle-world.com/artikel/2012/49/46732.html
Peter Nowak

Können fehlende Deutschkenntnisse über Leben und Tod entscheiden?

Zu den Voraussetzungen für eine Lungentransplantation gehören auch ausreichende Deutschkenntnisse

Die 49-jährige Selvi B. leidet seit Jahren unter einer schweren Lungenerkrankung und ist deshalb auch schon lange in medizinischer Behandlung. Auch mehrere Klinikaufenthalte hat sie schon hinter sich. Im Oktober 2011 wurde sie auf die Warteliste für eine Lungentransplantation an der Medizinischen Hochschule Hannover aufgenommen. Doch die Ärzte haben der in der Türkei geborenen und seit 1980 in Deutschland lebenden Frau zunächst die Verbesserung ihrer Deutschkenntnisse empfohlen, bevor eine Transplantation in Betracht kommt.

Baki Selcuk von der Föderation der Arbeitsimmigranten in Deutschland reagierte empört und vermutete „Rassismus in den Kliniken“. „Spricht nicht ausreichend deutsch, muss sterben“, ist die Agif-Pressemitteilung zu dem Fall überschrieben.

Professor Tobias Welte vom Institut für Pneumologie an der MHH weist gegenüber Telepolis den Vorwurf des Rassismus entschieden zurück „In unserer Klinik sind in den vergangenen Jahren auch Patienten mit Migrationshintergrund erfolgreich Organe transplantiert worden“, betont er. Ausreichende Deutschkenntnisse seien aber eine Voraussetzung dafür, erklärt der Mediziner.

„Ausreichende Deutschkenntnisse sind für die Mitwirkungspflicht des Patienten nötig“

Er verweist auf die Vorgaben des Transplantationsgesetzes, an die sich die Klinik halten müsse. Es schreibt für die kostenaufwendige Organtransplantation strenge Kriterien vor. Da die Nachfrage nach Spenderorganen wesentlich größer als das Angebot ist, werden lange Wartelisten geführt. Die Patienten werden genau untersucht, bevor sie dort geführt werden. Dabei darf nicht nach finanziellen und sozialen Kriterien, sondern allein nach Dringlichkeit und Erfolgsaussicht der Operation entschieden werden.

Dazu gehört auch eine aktive Mitwirkungspflicht der Patienten für die Wiederherstellung ihrer Gesundheit, betont Welte. In diesen Kontext können auch Auflagen gehören, die die Patienten erfüllen müssen, bis sie in die engere Wahl eines Spenderorgans gezogen werden. „Einem Raucher wird zur Auflage gemacht, seinen Zigarettenkonsum einzustellen. Ist er dazu nicht bereit, wird eine Lungentransplantation abgelehnt“, nennt Welte ein Beispiel. Der Zusammenhang zwischen dem Zigarettenkonsum und einer transplantierten Lunge ist dem medizinischen Laien allerdings einsichtiger als ausreichende deutsche Sprachkenntnisse.

Doch Welte begründete diesen Punkt damit, dass gewährleistet sein muss, dass die Patienten mit möglichen gesundheitlichen Komplikationen, die nach der Transplantation entstehen können, richtig umgehen können. So würden häufig die exakten Anweisungen für die Medikamenteneinnahme telefonisch erfolgen. Da Patienten nach einer Transplantation eine Menge unterschiedlicher Medikamente einnehmen müssten und eine fehlerhafte Dosierung erhebliche gesundheitliche Konsequenzen haben kann, müsse vor der Transplantation gewährleistet sein, dass die Patienten diese Anweisungen auch sprachlich verstehen.

Ermessungsspielraum der Ärzte besteht

Auch der im Verein Demokratischer Ärztinnen und Ärzte engagierte Mediziner Wulf Dietrich betont im Gespräch mit Telepolis, dass das Bestehen auf deutsche Sprachkenntnisse als Voraussetzung für eine Transplantation nicht von vornherein unter Rassismusverdacht gestellt werden sollte. Dazu müsste man sich die Vorgeschichte des Falles genauer ansehen.

Allerdings sieht er im Transplantationsgesetz gewisse Ermessungsspielräume für die Ärzte. Es müsste geprüft werden, ob die Mitwirkungspflicht der Patienten auch bei schlechten Sprachkenntnissen erfüllt werden könnten, beispielsweise durch die Hinzuziehung von Übersetzern. Er selber habe schon an einem aus Afghanistan stammenden Mann eine Herztransplantation durchgeführt, obwohl er keine Deutschkenntnisse hatte.

Der Fall von Selvi B. mag noch ein Sonderfall sein, der auch bei Flüchtlingsräten noch völlig unbekannt ist. Aber solche Fälle könnten künftig zunehmen. Schließlich sind viele Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland älter geworden, sie leiden an schweren Krankheiten und sind auf ambulante und stationäre Pflege angewiesen. Der Fall Selvi B. zeigt aber einmal mehr, dass auch das Gesundheitssystem in Deutschland darauf nicht vorbereitet ist und daraus zumindest eine strukturelle Benachteiligung für Menschen mit geringen Deutschkenntnissen oder auch allgemein mit einem reduzierten Sprachschatz entstehen kann.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153327
Peter Nowak