Die Arbeit könnt ihr behalten

Die Reaktionen auf die Schließungspläne bei Opel zeigen, dass es heute kaum noch möglich ist, in einer einzelnen Fabrik Kämpfe zu führen.

»Hier hat sich die Belegschaft selbst organisiert. Von Donnerstag an stand fest, die Belegschaft handelt und entscheidet gemeinsam jeden Schritt und jede Aktion. Ohne großartige Abstimmungen wurden die Tore besetzt, um zu verhindern, dass LKW mit Ladung das Werk verließen – leer konnten sie fahren.« Dieser Lagebericht des oppositionellen Bochumer Opel-Betriebsrates Manfred Strobel ist vor acht Jahren in der Zeitschrift Express erschienen, die gewerkschaftlichen Kämpfen außerhalb des DGB ein Forum gibt. Damals hatte ein durch angekündigte Massenentlassungen ausgelöster sechstägiger Streik der Opel-Belegschaft für Begeisterung unter Linken gesorgt, weil die Aktion nicht die Handschrift der IG-Metall-Führung getragen hatte.

Acht Jahre später nun, am 10.Dezember, wurde der Beschluss verkündet, das Opelwerk zu schließen. Das zog jedoch keine Torbesetzungen und Streiks nach sich. Kurz nach Bekanntwerden des Beschlusses, am 11. Dezember, beteiligten sich gerade mal 100 Beschäftigte an einer Demonstra­tion durch das Werk. Am 14. Dezember rief die IG Metall zu einer Kundgebung vor dem Tor 4 auf. Die meisten Reden verbreiteten Zweckoptimismus. Es sei schon ein »Erfolg«, dass die Gespräche weitergehen, hieß es. So soll über die Auszahlung der 4,3 Prozent Tariflohnerhöhung, die Opel wegen der Vorleistung der Belegschaft gestundet worden sind, am 8. Januar weiterverhandelt und das Ergebnis dann den Kollegen zur Abstimmung vorgelegt werden. Zudem bezeichneten die Betriebsräte die Aufsichtsratsversammlung vom 12. Dezember als erfolgreich, weil dort der Schließungsplan noch nicht offiziell bestätigt wurde. »Das halte ich für eine Nebelkerze. Schließlich wissen alle, dass es den Schließungsbeschluss gibt«, kommentierte Wolfgang Schaumberg diesen Versuch, die Belegschaft ruhigzustellen. Schaumberg war jahrzehntelang in der oppositionellen Gewerkschaftsgruppe Gegenwehr ohne Grenzen (GoG) engagiert. Sie und ihre Vorläufer haben in den vergangenen drei Jahrzehnten bei Opel eine wichtige Rolle gespielt und sicher auch zum sechstägigen Streik vor acht Jahren beigetragen. Dass die Gruppe, die die Standortlogik und das gewerkschaftliche Co-Management immer bekämpft hat, bei der jüngsten Betriebsratswahl erstmals kein Mandat mehr bekommen hat, zeigt, wie die Verhältnisse sich geändert haben.

Heute liegt der Altersdurchschnitt im Werk bei über 47 Jahren. »Gerade die Älteren hoffen auf eine Abfindung und rechnen sich schon aus, wie sie mit Abfindungen und Arbeitslosengeld bis zum Rentenalter kommen«, beschreibt Schaumberg die Situation. Weil die Komponentenfertigung für andere Werke aus Bochum abgezogen wurde, könnte ein Ausstand heute nicht mehr, wie 2004, die Opel-Produktion in ganz Europa lahmlegen. Dieser durch die technologische Entwicklung begünstigte Verlust der Produzentenmacht hat auch dazu geführt, dass viele Streikaktivisten von 2004 Abfindungen angenommen und sich aus dem Betrieb verabschiedet haben. Dazu gehört auch der Express-Autor Manfred Strobel. Der »Arbeitermilitante«, der, wie der vor einigen Jahren verrentete Wolfgang Schaumberg, über Jahrzehnte im Betrieb arbeitete und seine Erfahrungen an die jeweils nächste Generation weitergab, war auch bei Opel schon vor den Schließungsplänen ein anachronistischer Typus geworden. Schließlich haben die Bochumer Opelaner den Machtverlust selber erfahren. In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist die Zahl der Belegschaftsmitglieder kontinuierlich zurückgegangen.

Dass die Macht der Arbeiter schwindet, bedingt durch den technologischen Fortschritt und die Politik der Wirtschaftsverbände, macht Belegschaften in vielen europäischen Ländern zu schaffen. Diese Erfahrungen haben dazu geführt, dass die Zahl der Entscheidungsstreiks in einzelnen Fabriken in den vergangenen Jahren zurückgegangen ist und die aus der Defensive geführten politischen Streiks zugenommen haben, lautet die These des kürzlich erschienenen Buchs »Politische Streiks im Europa der Krise«.

Der Vorstand der IG Metall zumindest macht sich über neue Kampfformen kaum Gedanken. Auf ihrer Homepage wird der Opel-Konflikt zu einem Kampf zwischen den Standorten USA und Deutschland stilisiert. Von einer »Kampfansage von General Motors an Opel Bochum« ist da etwa die Rede. Das Management habe die Marke Opel beschädigt, lautet die Klage der gewerkschaftlichen Co-Manager, die ein profitables Opel-Werk fordern. »Damit sind weitere Verzichtserklärungen der Beschäftigten schon vorprogrammiert«, kommentiert Schaumberg.

Allerdings gibt es auch bei Opel noch Widerspruch gegen die Linie der IG Metall. So empfahl ein oppositioneller Betriebsrat auf der Kundgebung am 14. Dezember, sich an den belgischen Ford-Kollegen aus Genk ein Beispiel zu nehmen, die Anfang November nach der Ankündigung der Werkschließung vor dem Ford-Werk in Köln protestiert hatten. Die Aktion sei in den Medien in Deutschland als Randale hingestellt worden, es habe sich aber um eine Protestaktion mit Vorbildcharakter gehandelt, sagte er unter Applaus. Ebenfalls aus den Reihen oppositioneller Opel-Gewerkschafter wird mit dem Vorschlag, Gewerkschaften und Umweltorganisationen sollen sich gemeinsam für die Produktion umweltfreundlicher Autos einsetzen, an die Konversionspläne der siebziger Jahre angeknüpft.

»Solche Forderungen können nicht in einem Werk umgesetzt werden, sondern setzen eine ganz andere Auseinandersetzung mit dem Kapital voraus«, betont Schaumberg. Bei der GoG wird daher über die Forderung diskutiert, dem Management mit der Position gegenüberzutreten: »Die Arbeit könnt ihr behalten, aber ihr müsst uns weiter bezahlen.« Schließlich hätten die Lohnabhängigen die Situation, die zum Beschluss führte, das Werk zu schließen, nicht verursacht. Damit knüpfen sie an die Parole »Wir zahlen nicht für eure Krise« an. Im Fall Opel ist die Parole sogar treffend. Denn es ist auch das durch die deutsche Krisenpolitik der europäischen Peripherie oktroyierte Verarmungsprogramm, das den deutschen Export einbrechen ließ und Opel unrentabel macht. Wer jeden Cent zweimal umdrehen muss, kauft keine Autos.

http://jungle-world.com/artikel/2012/51/46820.html
Peter Nowak


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