„Die Gerichtsvollzieherin wird den Räumungstitel nicht vollstrecken können“

Der Mieterwiderstand in Kreuzberg nimmt neue Formen an und wendet sich gegen die Folgen einer Krise, die angeblich in Deutschland noch gar nicht angekommen ist

Mit einer Selbstverpflichtungserklärung haben sich Initiativen und Einzelpersonen bereit erklärt, die Zwangsräumung der Familie Gülbol in der Lausitzer Straße 8 in Berlin-Kreuzberg verhindern zu wollen.

Weil die Familie bei der vom Gericht verfügten Mietnachzahlung Fristen versäumte, wurde ihr vom Hauseigentümer gekündigt. Ein erster Räumungsversuch musste am 22. Oktober abgebrochen werden, nachdem sich ca. 150 Unterstützer vor dem Hauseingang versammelt hatten (Kein Durchkommen für Gerichtsvollzieherin). Die Gerichtsvollzieherin hatte angekündigt, das nächste Mal mit Polizeibegleitung wieder kommen.

„Ich erkläre hiermit, mich an einer Sitzblockade vor dem Haus der Familie zu beteiligen, sollte es einen weiteren Räumungsversuch geben. Die Gerichtsvollzieherin wird auch dann den Räumungstitel nicht vollstrecken können“, heißt der einscheidende Satz, der von Politikern, Wissenschaftern, aber auch Stadtinitiativen und – vereinen unterschrieben wurde.

Gegen die Auswirkungen einer Krise, die in Deutschland angeblich nicht angekommen ist

Die an der Fuldaer Fachhochschule lehrende Politikwissenschaftlerin Gudrun Hentges will mit ihrer Beteiligung an der Blockade ein Zeichen gegen steigende Mieten setzen, erklärt sie gegenüber Telepolis. „Davon bin ich auch als Akademikerin betroffen. Ich wohne in Schöneberg in einem Haus, das wurde in 10 Jahren sieben Mal verkauft.“

Der Kontakt zur Frauen- und Mädchenabteilung des Fußballvereins Türkiyemspo, die ebenfalls blockieren will, ist in der Protesthütte am Kottbuser Tor entstanden, in der sich seit mehreren Monaten Mieter der Initiative Kotti und Co gegen die drohende Verdrängung aus dem Stadtteil wehren, erklärt das Mitglied des Türkiyemspor-Fördervereins Robert Claus. „Es geht nicht um Kreuzberger Sozialromantik, aber es soll sicher gestellt werden, dass Menschen mit niedrigen Einkommen weiter in dem Stadtteil wohnen können“, stellte er klar.

Die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Europäische Ethnologie an der Humboldtuniversität Manuela Bojadžijev hat nicht nur den Einzelfall im Blick. „Mir geht es um die Frage, wie wir in Berlin mit den Folgen der Wirtschafts- und Bankenkrise umgehen, von der immer behauptet wird, sie ist in Deutschland noch gar nicht angekommen“, erklärt sie gegenüber Telepolis. Dass die Familie Gülbol kein Einzelfall ist, bestätigt auch David Schuster vom Bündnis „Zwangsräumungen gemeinsam verhindern“:

„Seit Ende Oktober melden sich wöchentlich betroffene Familien bei uns, alle mit Migrationhintergrund.“

So soll ein schwerkrankes Seniorenehepaar ihr Domizil in einem der Mitte gehörenden Haus in der Lübbener Straße, in der sie seit 37 Jahren leben, bis zum Monatsende räumen.

Vorbild Spanien?

Dass sich seit Ende Oktober wöchentlich Betroffene bei der Initiative melden, liegt daran, dass die erste erfolgreiche Verhinderung der Räumung von Familie Gülbol ihnen Mut gemacht hat. Auch vorher gab es bereits den Räumungsdruck vor allem unter Hartz IV-Empfängern. Durch Erhöhungen der Miete oder der Nebenkosten rutschen sie schnell in den Bereich, in dem das Jobcenter nicht mehr den vollen Mietpreis übernimmt. Bisher sind die Betroffenen dann entweder ausgezogen, was oft der Verlust ihres bisherigen Lebensumfeldes bedeutete oder sie haben die Mietdifferenz aus dem Hartz IV-Satz bezahlt, was weitere Einschränkungen in anderen Bereichen bedeutete.

Viele haben sich auch Geld geliehen und damit verschuldet. Dass sich mehr Betroffene zum Widerstand entscheiden, macht deutlich, welch großes Rolle eine Infrastruktur im Stadtteil, die in Kreuzberg vor allem durch die Protesthütte entstanden ist und ein erfolgreiches Beispiel ist, bei dieser Entscheidung spielt. Zurzeit versuchen die Initiativen Mieter- und Erwerbslosenproteste zu koordinieren. Schließlich soll der Widerstand nicht erst beginnen, wenn der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht, sondern im Vorfeld, wenn es um die Frage geht, ob die Jobcenter die Kosten für die Miete übernehmen.

Die Berliner Mieterbewegung hat sicher auch von den Erfahrungen in anderen Ländern gelernt. In Spanien, wo die Situation der Mieter in der Krise wesentlich dramatischer als in Deutschland ist, hat sich in den letzten Monaten eine landesweite Bewegung gegen Zwangsräumungen entwickelt. Die Politik musste mit einem bedingten Räumungsmoratorium darauf reagieren.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153238
Peter Nowak


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