Kein Durchkommen für Gerichtsvollzieherin

Mieteraktivisten verhinderten in Berlin- Kreuzberg eine Wohnungsräumung

„Ob Ali ob Kalle, wir bleiben alle“, hallte es am Montagmorgen durch die Lausitzer Straße in Berlin-Kreuzberg. Dort hatten sich vor dem Eingang der Nummer 8 ca. 150 Menschen versammelt. Sie wollten verhindern, dass die seit Jahren in diesem Haus lebende fünfköpfige Familie G. zwangsgeräumt wird.

Die Familie hatte Einspruch gegen eine Mieterhöhung erhoben und in sämtlichen juristischen Instanzen verloren. Weil die Familie die vom Gericht verfügten Mietnachzahlungen erst zwei Monate nach der gesetzten Frist beglich, wurde ihnen vom Hauseigentümer gekündigt. Der Bundesgerichtshof hielt die Kündigung wegen der verspäteten Nachzahlung für rechtmäßig. Für den 22. Oktober hatte sich die Gerichtsvollzieherin angesagt. Die Familie wandte sich an Nachbarn und Mieterorganisationen, die zum Kiezfrühstück in die Lausitzer Straße 8 mobilisierten. Daher war der Hauseingang blockiert, als die Gerichtsvollzieherin um 9 Uhr aus ihrem Auto stieg.

Sie versuchte gar nicht erst ins Haus zu gelangen sondern fuhr wieder weg. Es ist wahrscheinlich, dass sie das nächste Mal unangekündigt und mit Polizeibegleitung wieder kommt. Trotzdem sehen sowohl die betroffene Familie als auch die Aktion als Erfolg. „Die Verhinderung der Räumung ist ein Zeichen praktischer Solidarität mit von Verdrängung bedrohten Mieter in Berlin“, erklärte David Schuster vom Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“ gegenüber Telepolis.

Mieterwiderstand wird Alltag

Die positive Einschätzung wird verständlich, wenn man die Räumungsverhinderung in einen größeren politischen Kontext einordnet. Es sind nicht mehr langjährige politische Aktivisten, sondern Betroffene, die sich gegen eine als ungerecht empfundene Entscheidung wehren, die den Berliner Mieterwiederstand der letzten Monate prägten. Schon vor der Familie G. hat sich die ganz in der Nähe lebende Frau C. entschlossen, sich gegen die Räumung zu wehren.

Sie hatte Schilder mit entsprechenden Aufschriften in die Fenster ihrer Parterrewohnung gehängt, wodurch sympathisierende Nachbarn und Unterstützer auf ihren Fall aufmerksam wurden. Zum Forum für Menschen wie Frau C. und Familie G. wurde in den letzten Monaten das Mietercamp am Kottbuser Tor, das die lockeren Zeltplanen mittlerweile durch einen Container ersetzt hat und damit deutlich machte, dass ihr Protest auch in der kalten Jahreszeit weitergeht.

Mittlerweile haben sich Architekten und Sozialwissenschaftler mit einem Aufruf für eine Wohnungspolitik, die sich an sozialen Belangen richtet, den Forderungen der Mieteraktivisten angeschlossen. Aber nicht nur in Kreuzberg hat sich der Mietenprotest ausgeweitet.

Im Ostberliner Stadtteil Pankow verhinderten Senioren mit einer Besetzung die Schließung ihres Treffpunktes. Jetzt soll die Einrichtung von der Volkssolidarität weitergeführt werden. Zu den Unterstützern aus aller Welt gehörten auch die als „rebellische Großeltern“ bekannt gewordenen Senioren, die in Spanien die Occupy-Bewegung unterstützen.

Auch der Widerstand gegen Zwangsräumungen ist in Spanien in Zeiten der Krise in weiten Teilen der Gesellschaft akzeptiert. In Deutschland steht die Bewegung noch am Anfang. Nicht nur die Erwerbslosenaktivisten, die 2006 die Berliner Kampagne gegen Zwangsumzüge gründeten, sind mit der jüngsten (Protest-)Entwicklung sehr zufrieden.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153041
Peter Nowak


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