Nicht krank machen lassen

Die Diskriminierung von Transmenschen ist in Deutschland alltäglich. Dagegen richtet sich ein am Wochenende stattfindender Aktionstag.

Im Februar 2006 wurde die brasilianische Transsexuelle Gisberta Salce Junior in Portugal von einer Gruppe junger Männer gefoltert, vergewaltigt und schwer verletzt in einen Brunnen geworfen, wo sie starb. Auf den Fall von Brandon Teena und die Gewalt gegen Transmenschen machte der Film »Boys Don’t Cry« im Jahr 1999 international aufmerksam: Brandon, der körperlich weiblich war, aber als Mann leben wollte, wurde 1993 im Alter von 21 Jahren in Nebraska ermordet.

Auch in Deutschland sind Transmenschen Diskriminierungen und Verfolgungen ausgesetzt, die tödlich enden können. Bekannt wurde der Selbstmord der Berliner Kriminalhauptkommissarin Bianca Müller im Jahr 2005. Die als Sprecherin des Arbeitskreises Kritischer Polizisten bekannt gewordene Beamtin war nach einer Geschlechtsumwandlung dem brutalen Mobbing ihrer Kollegen ausgesetzt, das sie in ihrem Abschiedsbrief schilderte. Einen PDS-Bürgermeister aus Quellendorf in Sachsen-Anhalt kostete sein Outing als Transmensch vor 14 Jahren nicht das Leben, aber sein Amt und sein soziales Umfeld. Nachdem der als Norbert Lindner gewählte Politiker zu Michaela Lindner geworden war, brachten Einwohner ein erfolgreiches Abwahlverfahren in Gang. Die Transfrau verließ den Ort. In verschiedenen Zeitungen äußerten sich damals Einwohner von Quellendorf über die »Krankheit« Lindners.

Die Pathologisierung von Menschen, die das ihnen zugeordnete Geschlecht nicht akzeptieren wollen, wird auch von Psychologen und Ärzten vorangetrieben. So ist in internationalen Krankheitskatalogen Transsexualität noch immer als »Geschlechtsidentitätsstörung« aufgeführt. Die Trans*-Initiativen, so die Eigenbezeichnung, befürchten, dass diese Diagnose demnächst noch ausgeweitet werden könnte. Denn zurzeit wird das Diagnostische und Statistische Handbuch psychischer Störungen (DMS) überarbeitet. Zu den 13 Arbeitsgruppen, die damit befasst sind, gehört auch die »sexual and gender identity disorder work group«, der 13 Psychiater und Psychologen angehören.

Doch weltweit setzen sich Transmenschen für die vollständige Streichung der Kategorie »Geschlechtsidentitätsstörung« aus dem Handbuch ein. Der 20. Oktober wurde zum internationalen Aktionstag für die Entpathologisierung von Transmenschen ausgerufen. In über 20 Ländern sind die unterschiedlichsten Aktionen geplant, von Infoständen bis zu Demonstrationen. Das Berliner Bündnis »Stopp Trans*-Pathologisierung« hat für kommenden Samstag um 15 Uhr eine Kundgebung vor dem Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin des Universitätsklinikums Charité in der Luisenstraße 15 unter dem Slogan »Trans ist keine Krankheit, sondern ein Menschenrecht« angekündigt.

Besondere Kritik übt das Bündnis an Professor Klaus Beier, der an diesem Institut lehrt. Er vermittle in seinen Vorlesungen »ein pathologisierendes und diskriminierendes Bild von Transgendern, Transvestiten und anderen Queers«, behauptet es. Es wirft dem Mediziner zudem vor, die Pathologisierung eines elfjährigen Kindes vorangetrieben zu haben, das das ihm zugewiesene männliche Geschlecht nicht akzeptiert und dabei von der Mutter unterstützt wird. Der Sorgerechtsstreit um Alex, wie das Kind in den Medien genannt wurde, seine mögliche Zwangseinweisung in die Jugendpsychiatrie und eine damit verbundene Therapierung hin zu einem geschlechtskonformen Verhalten als Junge sorgten Ende März für Diskussionen (Jungle World 14/2012). Beier und die Charité hatten damals öffentlich bekundet, eine solche Therapie nicht anzuwenden und nicht dazu bereit zu sein, das Kind gegen seinen erklärten Willen oder den erklärten Willen der Mutter aufzunehmen.

Auch die Berliner Gruppe Transinterqueer kritisiert Beier, der als Sexualmediziner mit der Begutachtung des Kindes beauftragt war. Sie war Teil eines Bündnisses zahlreicher Organisationen, die vor einigen Monaten die Zwangseinweisung von Alex verhindern konnten. Der Fall hat die Diskriminierung und Pathologisierung von Transmenschen in Deutschland einer größeren Öffentlichkeit bekannt gemacht. Die Organisatoren hoffen daher auch auf eine stärkere Beteiligung am Aktionstag als in den Vorjahren.

Rechtzeitig dazu ist nun im Verlag AG Spak ein Büchlein unter dem Titel »Stop Trans*-Pathologisierung« erschienen. Der im Untertitel vertretene Anspruch, »Berliner Beiträge für eine internationale Debatte« zu liefern, wird auf den knapp 100 Seiten eingelöst. In den kurzen Kapiteln, darunter auch Redebeiträge der Protestkundgebungen der vergangenen drei Jahre, wird eine gute Einführung zum Thema geliefert. In einem Glossar werden die Fachbegriffe erläutert, am Ende werden Interessierte mit einer kommentierten Bücherliste und einigen Filmempfehlungen über »Geschlecht und Trans*« zur weiteren Beschäftigung mit dem Thema ermuntert.

Ein besonderer Akzent wird in dem Buch auf die sozialen Aspekte gelegt, was sicher auch daran liegt, dass sich die Herausgeberin Anne Allex seit vielen Jahren in der Erwerbslosenbewegung engagiert und den »Arbeitskreis Marginalisierte gestern und heute« mitbegründet hat. In ihrem Beitrag zeigt sie die sozialen Folgen von Pathologisierung auf. »Trans*-Menschen gehören zu einer der am meisten diskriminierten Populationen in Europa. Ihre Erwerbslosenquote ist signifikant höher als beim Rest der Gesellschaft. Sie haben keine Aussicht auf eine der Ausbildung entsprechende Arbeit. Sie sind überwiegend arm und sozial ausgegrenzt«, schreibt Allex. Die Zuschreibung einer Geschlechtsidentitätsstörung könne dazu führen, dass Transmenschen bei den Jobcentern und Arbeitsagenturen in die Kategorie »erwerbsunfähig« eingeordnet würden. Das aber bedeute ein Leben am Rande des Existenzminimums. »Landen Erwerbslose nach solchen Feststellungsverfahren in einer kleinen Erwerbsminderungsrente oder in der Sozialhilfe, hat das schwere, dauerhafte Folgen für ihren künftigen Lebensstandard und ihre Lebensqualität«, schreibt die Autorin.

Dies betrifft nicht nur viele Transmenschen. So wurden in den vergangenen Jahren immer häufiger ALG-II-Berechtigte von den Jobcentern zur Erstellung eines psychologischen Gutachtens aufgefordert (Jungle World 22/2011). Zu den Begründungen gehört auch eine häufige Krankschreibung vor oder die Entlassung aus Eingliederungsmaßnahmen. Allex’ Beitrag macht deutlich, dass die Gefahr der Pathologisierung renitenter Erwerbsloser mittels dieser psychologischen Gutachten nicht auszuschließen ist.

Mit der Benennung der sozialen Dimension weisen die Autoren des Buches auf mögliche Bündnisse auch über den Aktionstag hinaus hin, die vom Bündnis gegen Zwangspathologisierung bis zu Erwerbslosengruppen und Sozialbündnissen reichen können. Beispiele gibt es bereits. In dem Buch ist das Foto eines Transparents mit der Parole »Dekadenz in Permanenz, Existenzgeld 1 500 Euro für hetero, homo, bi, lesben, trans, queer« zu sehen, das auf einer Demonstration gegen Sozialabbau im Sommer 2010 getragen wurde.

http://jungle-world.com/artikel/2012/42/46414.html

Peter Nowak