Sündenbock und Bündnispartner

Touristen Die Debatte über Feindseligkeit gegen Touristen in Berlin geht in eine neue Runde: Nun wirbt eine linke Initiative für Toleranz

Touristenfeindlichkeit in Berliner Szenebezirken – bisher war es vor allem ein Thema in den Feuilletons. Doch jetzt hat die Debatte auch die außerparlamentarische Linke in Berlin erreicht. Auslöser ist ein Plakat, das eine in der Berliner Mieterbewegung aktive Gruppe konzipiert hat.

Dort sind zwölf Menschen unterschiedlichen Alters unter dem Motto „Spot the Touri“ zu sehen und die Frage aufwirft: Wer ist hier der Tourist? Und wer stellt das fest? „Wir sehen das Plakat als einen Versuch, aktuelle Diskurse in manchen stadtpolitischen Initiativen kritisch zu hinterfragen“, sagt aze-Aktivist Jonas. Er verweist auf Erklärungen, in denen von „Touristenhorden“ die Rede sei, die angeblich für Chaos und Unruhe in den Stadtvierteln sorgen.

Tatsächlich sind Stadtteile wie Neukölln oder Kreuzberg aber seit langem bevorzugte Zuzugsorte von jungen Menschen aus vielen Ländern. Wie lange müssen sie dort leben, um nicht mehr als Touristen zu gelten?

Polemische Untertöne
Das Ziel, eine Diskussion anzuregen, hat aze jedenfalls erreicht. Auf verschiedenen Internetseiten ist die Intervention Anlass für heftige, teilweise mit polemischen Untertönen gemischte Debatten. Auf der linken Online-Plattform Indymedia wehren sich Stadtteilinitiativen dagegen, in eine fremdenfeindliche Ecke gestellt zu werden. Auch vor der Spaltung der stadtpolitischen Bewegung wird gewarnt.

Die Debatte um das aze-Plakat wird deshalb so heftig geführt, weil hier ein Thema angesprochen wird, dass schon länger in Internetblogs und an Kneipentischen für Streit sorgt. Dabei geht es nicht nur um die Rolle der Touristen, sondern um die Perspektive für die Stadtteile. Erst vor wenigen Wochen hat in Neukölln eine Hipster-Antifa für Aufsehen gesorgt, die Angriffe auf Touristen und Zugezogene dokumentieren will und sich in einem Interview der Berliner Zeitung für mehr Bioläden und Milchbars im Stadtteil ausgesprochen hat. “Wir sind tatsächlich für die Aufwertung von Kiezen, nämlich dann, wenn bestimmte Projekte dazu beitragen, die Lebensqualität zu steigern, wie zum Beispiel ein linkes Café mit moderaten Preisen“, hieß es da.

Die Hipster-Antifa sehen in einer Kampagne gegen Touristen und zugezogene Künstler kein geeignetes Mittel für stadtpolitische Initiativen, sprechen sich aber durchaus für Aktionen gegen Mieterhöhungen und Vertreibung von Menschen mit wenig Geld aus dem Stadtteil aus. Als positives Beispiel führen sie das Kotti-Camp an, wo sich seit Ende Mai im Zentrum Berlins, Bewohner der umliegenden Häuser mit einer Protesthütte gegen Mieterhöhungen wehren. Doch die Kritiker kann das nicht besänftigen. In Internetblogs wurde von einem Fake gesprochen. Manche Beiträge rückten die Hipster-Antifa sogar ins Lager der „bösen Gentrifizierer“.

Vision vom guten Leben

Hinter den Auseinandersetzungen stehen offenkundig unterschiedliche Vorstellungen von einem guten Leben aus, die besonders in den Teilen von Neukölln und Kreuzberg aufeinanderprallen. Oft sind die Eltern der in den Stadtteil geborenen Menschen vor Jahrzehnten aus der Türkei oder den arabischen Ländern eingewandert. In den letzten Jahren sind in die Stadtteile allerdings auch studentisch geprägte junge Linke mit und ohne deutschen Pass zugezogen, die in ihrem sozialen Status größtenteils als prekäre Kulturarbeiter bezeichnet werden können. Sie treffen sich mit ihren Freunden aus aller Welt statt im Dönerimbiss lieber in der Latte-Bar oder im vegetarischen Restaurant. Hier können schnell Konflikte entstehen.

Viele stadtpolitische Aktivisten wollen eine Utopie dagegen setzen, die Jan Ole Arps schon vergangenes Jahr so ausgemalt hat: Einheimische und Besucher sollen gemeinsam gegen Gentrifizierung kämpfen. Folgerichtig soll es demnächst auf der Lärmdemonstration, die jeden Samstag ab 16.00 Uhr von der Protesthütte am Kottbuser Tor startet, einen Touristenblock geben.
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