Die letzten Freunde der Uni-Maut

Viel Publicity hat dem Parteichef der FDP in Nordrhein-Westfalen (NRW), Christian Lindner, seine jüngst erhobene Forderung nach Wiedereinführung der Studiengebühren nicht gebracht. Wer allerdings jetzt meint, die Uni-Maut werde nur noch vom harten Kern der Marktliberalen vertreten und sei daher nicht mehr mehrheitsfähig, sollte von solchen Naivitäten Abstand nehmen. Die FDP hat Übung darin, unpopuläre Forderungen durchzusetzen. Wenn Lindner vorrechnet, dass die 246 Millionen Euro, die die Studiengebühren in die Länderkasse von NRW bringen würden, einen Beitrag zur Haushaltssanierung leisten können, kann er auf Unterstützung auch außerhalb seiner Partei rechnen. Schließlich gehörte die Union bis in die jüngste Vergangenheit zu den großen Befürwortern von Studiengebühren. Dass man von ihr in dieser Frage wenig hört, ist ein Erfolg eines jahrelangen studentischen Kampfes. Da die Auseinandersetzung bedingt durch den Bildungsföderalismus in jedem Bundesland zu unterschiedlichen Zeiten geführt wurde, ist der Erfolg selbst vielen an der Auseinandersetzung Beteiligten nicht recht bewusst.

Wie taktisch geübt Marktradikale darin sind, das Bezahlstudium trotz fehlender gesellschaftlicher Mehrheit durchzusetzen, zeigt der Blick ins Ausland. In den Niederlanden hat eine kleine rechtsliberale Regierungspartei Gebühren für Langzeitstudierende durchgesetzt. Die ersten Zahlungsaufforderungen sollten noch vor den Parlamentswahlen am gestrigen 30. August rausgehen. Da die wahrscheinlichen linken Wahlsieger eine sofortige Rücknahme der Uni-Maut ankündigten, wurde im niederländischen Parlament eine Vertagung diskutiert. Nur Lindners holländische Parteifreunde stellten sich quer.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/237055.die-letzten-freunde-der-uni-maut.html
Peter Nowak

Verdient Judith Butler den Adorno-Preis?

Über die Positionen der postfeministischen Philosophin zu Israel und den Nahostkonflikt sollte diskutiert werden, nicht aber über ihre Eignung für den Adorno-Preis

Die politische Theoretikerin und Philosophin Judith Butler hat vor mehr als einem Jahrzehnt mit ihren Thesen zur Dekonstruktion der Geschlechter für viel Aufmerksamkeit gesorgt. In den letzten Jahren macht Butler mehr politische Schlagzeilen. Im vorletzten Jahr schlug sie einen Preis des Berliner CSD aus und kritisierte bei den Veranstaltern des schwullesbischen Festes verschiedene Formen von Rassismen.

Jetzt geht es um einen Preis mit einer ganz anderen Bedeutung. Der Philosophin soll in Frankfurt/Main der Adorno-Preis verliehen werden, der alle 3 Jahre an Personen gehen soll, die in der Tradition der Kritischen Theorie stehen, die der Namensgeber wesentlich begründet hat. In der Jerusalem Post heißt es, mit Butler werde eine Befürworterin des Israel-Boykotts und eine Unterstützerin der islamistischen Organisationen Hamas und Hisbollah ausgezeichnet. In einem Interview mit der Jungle World hat Butler letzterem Vorwurf schon 2010 klar widersprochen und klargestellt, dass ihre Aussagen bei einer Veranstaltung zum Krieg zwischen Israel und Libanon in Berkeley falsch interpretiert worden seien:

„Als Antwort auf eine Frage aus dem Auditorium habe ich gesagt, dass – deskriptiv gesehen – diese Bewegungen in der Linken zu verorten sind, doch wie bei jeder Bewegung muss jeder für sich selbst entscheiden, ob er sie unterstützt oder nicht. Ich habe keine der genannten Bewegungen jemals unterstützt, und mein eigenes Engagement gegen Gewalt macht es unmöglich, das zu tun.“

Nun wäre auch zu fragen, warum Butler die Islamisten deskriptiv der Linken zuordnet und ob sie damit eine positive Bewertung oder vielleicht eine Kritik an der Linken impliziert. Eine politische Unterstützung zumindest will sie damit nicht verbunden wissen, allerdings begründet sie das nicht mit dem reaktionären Programm der Islamisten, sondern mit deren Gewaltbereitschaft. Den Vorwurf, einen Israel-Boykott zumindest teilweise zu unterstützen, räumt Butler ein, wehrt sich aber entschieden dagegen, hierin Antisemitismus zu sehen.

In einer in der Zeit veröffentlichten Replik auf ihre Kritiker schreibt sie:

„Es ist falsch, absurd und schmerzlich, wenn irgendjemand behauptet, dass diejenigen, die Kritik am israelischen Staat üben, antisemitisch oder, falls jüdisch, voller Selbsthass seien. … Ich bin eine Wissenschaftlerin, die durch das jüdische Denken zur Philosophie gekommen ist, und ich verstehe mich als jemand, der eine jüdische ethische Tradition verteidigt und diese im Sinne von beispielsweise Martin Buber und Hannah Arendt fortführt.“

Zwei unterschiedliche Lesarten des Judentums

Den entscheidenden Hinweis zu ihrem Verständnis des Judentums liefert sie mit diesen Satz: „Während meiner Einweisung ins Judentum habe ich auf Schritt und Tritt gelernt, dass es nicht hinnehmbar ist, im Angesicht von Ungerechtigkeiten zu schweigen.“ Dieses Credo prägt viele der Jüdinnen und Juden, die aktuell die israelische Politik im Umgang mit den Arabern im Land und den besetzten Gebieten kritisieren. Für sie heißt die Konsequenz aus den antisemitischen Verfolgungen, die in der Shoah kulminierten, alles zu tun, damit nie mehr Menschen diskriminiert werden.

Etwas anders lautet die Schlussfolgerung der Gründer und Politiker des Staates Israel. Für sie ist die Konsequenz aus antisemitischer Verfolgung und Vernichtung, alles zu tun, damit Jüdinnen und Juden nie wieder schwach sind. Sie argumentieren mit der Geschichte nach der Gründung Israels, den Überfall der arabischen Staaten auf das Land, die teilweise kritiklose Übernahme antisemitischer Verschwörungstheorien in arabischen Medien, schließlich das Aufkommen des Dschihadismus, was den israelischen Politikern keine andere Wahl lassen würde, als Stärke zu zeigen.

Die Debatte wird seit Jahren mit großer Heftigkeit geführt und beide Seiten haben wichtige Argumente. Nur ist Butler keine Politikern, sondern eine Intellektuelle, die mit einem Preis ausgezeichnet werden soll, der den Namen eines Mannes trägt, der für eine entschiedene Kritik an der Herrschaft steht. Daher ist die Aufregung nicht zu verstehen. Man kann ihr den Adorno-Preis verleihen und trotzdem über ihre Positionen in der Sache hart streiten.

In diesem Sinne hat der Publizist und Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik, der seine Einsprüche gegen alle Formen der regressiven Israel-Kritik, auch unter linksdeutschen Vorzeichen, mit einem Plädoyer für eine innerjüdische Kontroverse auch über den Zionismus kombiniert, bereits vor einigen Wochen zum neuen Streit um Butler und den Adorno-Preis alles Notwendige geschrieben. Nachdem er Butler in Bezug auf manche ihrer Positionen zum Nahostkonflikt bestenfalls Naivität bescheinigte, kommt er in Hinblick auf die Preisverleihung zu dem Fazit:

„So bleibt nur Nachsicht: Auch Theodor W. Adorno, nach dem der Preis, der Butler allemal gebührt, benannt ist, äußerte sich nicht immer auf der Höhe seines Niveaus, was an seinen Auslassungen zum Jazz sattsam demonstriert worden ist. Wer aber Judith Butler, ihr Denken zu Israel und zum Judentum dort kennen lernen will, wo es wirklich stark ist, sei auf ihren Aufsatz „Is Judaism Zionism?“ verwiesen, der 2011 in einem Band über „The Power of Religion in the Public Sphere“ publiziert wurde. Dort plädiert sie mit Blick auf die ungebrochene israelische Siedlungspolitik mit Martin Buber und Hannah Arendt realistisch für ein neues Nachdenken über einen föderalen oder binationalen Staat von jüdischen Israelis und Palästinensern.“
http://www.heise.de/tp/blogs/6/152687
Peter Nowak

Mit Steckbriefen gegen Islamismus?

Eine Plakatserie gegen jugendlichen Islamismus sorgt für Diskussionen

„Vermisst“ steht fettgedruckt über dem Foto des jungen Mannes. Darunter in kleinerer Schrift: „Das ist unser Sohn Tom. Wir erkennen ihn nicht mehr. Er zieht sich immer mehr zurück und wird immer radikaler.“ Auf einem anderen Foto ist eine freundliche junge Frau mit Kopftuch zu sehen.

Solche Plakate werden in den nächsten Wochen in verschiedenen Großstädten in Deutschland in deutscher und türkischer Sprache zu sehen sein. Sie sind Teil einer Kampagne des Bundesinnenministeriums gegen die Radikalisierung junger Moslems.

Die „Beratungsstelle Radikalisierung“ wurde im Rahmen der gemeinsam mit muslimischen Verbänden vom Innenministerium gestarteten Initiative Sicherheitspartnerschaft im Januar gegründet. Dort können sich Eltern, Angehörige, Freunde oder Lehrer telefonisch oder per E-Mail melden, wenn sie bei jungen Menschen Veränderungen bemerken, die auf eine islamistische Radikalisierung hindeuten. Die Anzeigen sollen demnächst auch in deutschen und türkischen Zeitungen geschaltet werden.

Misslungene Plakatserie?

Wie bei einen solch hochemotionalen Thema zu erwarten, geriet die Plakatserie sofort in den Meinungsstreit. Islamische Blogger sehen sie inhaltlich als misslungen an. Sie würden zudem die Zielgruppe gar nicht ansprechen. Einige Migrantenverbände sprechen gar von einer Stigmatisierung von Moslem.

„Die Bilder von nett aussehenden Muslimen im Zusammenhang mit dieser Kampagne suggerieren, dass jeder ein Fanatiker oder sogar Terrorist sein kann“, sagte die Integrationsbeauftragte und stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD, Aydan Özoguz. Allerdings müsste man sich dann fragen, ob es nicht noch kritikwürdiger wäre, wenn Bilder von grimmig dreinblickenden bärtigen Männern gezeigt werden. Könnte man dann nicht eher von Klischees sprechen?

Der Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, wirft dem Bundesinnenministerium vor, mit der Kampagne von den eigentlichen Problemen in Deutschland abzulenken. Für ihn ist der Rassismus in der Gesellschaft in Deutschland das Hauptproblem. Er moniert zudem, dass die an der Sicherheitspartnerschaft beteiligten islamischen Verbände vom Innenministerium nicht über die Plakatkampagane informiert worden ist. Auch hier bleiben Fragen offen. Warum kann man den Gedanken nicht zulassen, dass sowohl Rassismus in der deutschen Gesellschaft als auch islamistische Tendenzen ein Problem sein können?

Zudem hat sich längst gezeigt, dass nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund in islamistische Kreise geraten können. Es gibt genügend Beispiele von deutschen Jugendlichen, die zum Islam konvertierten und sich dann dschihaddistischen Gruppen anschlossen. Aufgabe eines nichtrassistischen und nicht diskriminierenden Umgangs mit dem Islamismus wäre es, auf die Tatsachen immer wieder hinzuweisen. Organisationen wie Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage haben durch ihre jahrelange Praxis deutlich gemacht, dass es sehr wohl möglich ist, gegen den deutschen Alltagsrassismus aktiv zu werden und gleichzeitig islamistischen Tendenzen entgegenzutreten.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152679
Peter Nowak

Bloß niemand weh tun

Der Aktionstag des Bündnisses Umfairteilen fordert das Richtige, kommt aber so zahm daher, dass sich Gruppen der außerparlamentarischen Linken nicht recht angesprochen fühlen.

Ein Wohnungsloser, der im Schatten hoher Bürotürme auf einer Bank nächtigen muss. Mit diesem sehr vereinfachenden Motiv mobilisiert die Kampagne Umfairteilen für einen bundesweiten Aktionstag am 29. September. Dann soll in zahlreichen deutschen Städten mit unterschiedlichen Aktionen dafür geworben werden, dass die Vermögenden in Deutschland stärker besteuert werden. Neben der Einführung einer Vermögenssteuer und einer einmaligen Vermögensabgabe gehört der Kampf gegen Steuerflucht und Steueroasen zum knappen Forderungskatalog.

Zum Bündnis gehören neben Attac und dem Kampagnennetzwerk Campact verschiedene Einzelgewerkschaften, Wohlfahrtsverbände, die Volkssolidarität und die Katholische Arbeitnehmerbewegung. Die Forderung nach einer stärkeren Besteuerung der Reichen wird in Zeiten leerer Kassen sicher von einem Großteil der Bevölkerung geteilt. Selbst unter den Millionären gibt es eine Initiative, die für eine stärkere Besteuerung eintritt. Ob der Aktionstag allerdings eine große Resonanz erhält, muss sich noch zeigen. Denn bisher fehlen unter den Unterstützern Sozialdemokraten und Grüne ebenso wie die IG Metall. Das ist bei der inhaltlichen Ausrichtung der Kampagne schwer verständlich. So wird in dem Forderungskatalog kein Wort über die von SPD und Grünen mit eingeführte Schuldenbremse verloren, die immer wieder für Kürzungen im Sozial- und Kulturbereich herhalten muss. In verschiedenen Bundesländern hatten in den letzten Monaten soziale Initiativen und Gewerkschaften vergeblich gegen die Einführung mobilisiert. Auch bei der Höhe der Besteuerung hält sich das Bündnis bedeckt. »In der Diskussion über Vermögensbesteuerung kursieren unterschiedliche Modelle«, heißt es auf der Homepage, wo auf eine Tabelle mit Beispielrechnungen verwiesen wird.

Auch hier gilt also die Devise, bloß niemand verschrecken. Schließlich wurden unter der rot-grünen Regierung die Steuern für Vermögende massiv gesenkt, so dass linke Ökonomen forderten, zum Steuersatz der Zeit von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) zurückzukehren. Doch selbst zu einer wahrlich nicht besonders radikalen Aussage kann man bei Umfairteilen nichts finden. Im Bemühen, bloß niemand zu verschrecken, haben die Initiatoren nicht berücksichtigt, dass man auch mit zu allgemeinen Aussagen Menschen und Organisationen von der Teilnahme an Kampagnen abhalten kann. So ist auffällig, dass aus dem Spektrum der außerparlamentarischen Linken, die in den letzten Jahren die Krisenprotestaktionen mitorganisiert hat, nur die Naturfreude, Attac und die Nichtregierungsorganisation Medico International im Bündnis vertreten sind, Gruppen aus dem Spektrum der Interventionistischen Linken aber fehlen komplett.

In der letzten Woche forderten bereits Initiativen – darunter Campact und Attac – in einem offenen Brief an die Ministerpräsidenten der Bundesländer, das »Steuer-Amnestie-Abkommen« genannte Vertragswerk mit der Schweiz im Bundesrat zu Fall zu bringen. »Angesichts der aktuellen Diskussion um den Kauf von Steuer-CDs fordert das Bündnis ›Kein Freibrief für Steuerbetrüger‹ Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble auf, das Steuerabkommen mit der Schweiz endlich als gescheitert zu erklären«, heißt es dort. Der Schulterschluss mit Rot-Grün und der Verzicht auf jeden kritischen Hinweis auf die populistischen Töne in der Diskussion um die Steueroase Schweiz dürfte die außerparlamentarische Linke eher abschrecken.

Infos: www.umfairteilen.de
http://www.neues-deutschland.de/artikel/236888.bloss-niemand-weh-tun.html
Peter Nowak

»nd« von 1959 als Kunstobjekt

Frauen des Vereins Endmoräne stellen ihre Werke im alten Gutshaus Heinersdorf aus

Die Kinder können sich kaum beruhigen. Immer wieder gruppieren sie sich um den Spiegel. Wenn sie hineinblicken, sehen sie einen geschrumpften Körper auf elefantenartig verdickten Beinen. »Die sichtbare und unsichtbare Zeichnung« heißt das Kunstwerk von Masko Iso. Auf den Boden hat sie Schritte markiert, mit denen der Betrachter besonders lustige Effekte im Spiegel erzeugen kann.
Vermögenssteuer

Die Installation gehört zur Ausstellung »LineaRES«, organisiert vom Kunstverein Endmoräne, der jedes Jahr im August an wechselnden Orten Arbeiten von Künstlerinnen zeigt. Am kommenden Wochenende ist die aktuelle Ausstellung noch im alten Gutshaus Heinersdorf bei Steinhövel (Oder-Spree) zu sehen.

Die Künstlerinnen arbeiten mit einfachen Hilfsmitteln, die oft gekonnt arrangiert sind. Schon im Garten des Gutshauses fällt die aus Küchenutensilien in weißer und roter Farbe gebaute Plastik von Erika Stürmer-Alex ins Auge. Von Stürmer-Alex finden sich in den Räumen des maroden Hauses weitere Installationen.

Antje Scholz hat einen roten Wollfaden platziert. Dorothea Neumann will mit heruntergelassenen Tapetenrollen auf die Bedrohung des Gebäudes durch den Hausschwamm hinweisen. Angela Lubic brachte an verschiedenen Fenstern mehrfarbige Klebestreifen an. Auf eine Tafel schrieb Christina Wartenberg mit Kreide immer wieder das Wörtchen »ach«. Das Kunstwerk heißt »lineare Litanei«. Die Veranda kann wegen Schäden des Fußbodens nicht betreten werden. Dort hängte Claudia Busching eine Folie wie einen Vorhang auf, der sich im Zugwind bewegt. Im oberen Stockwerk stellt Erika Postler Kissen aus der Heinersdorfer Kleiderkammer aus. Die in altdeutscher Schrift gehaltenen Aufdrucke zeigen: Die Kissen sind alt. Oft stammen sie von Wohnungsauflösungen nach Sterbefällen. In einem Raum sind Gegenstände aufgereiht, die in alten Schränken im Gutshaus entdeckt wurden. Neben Münzen und allerlei Krimskrams befindet sich dort auch eine Ausgabe der Tageszeitung »neues deutschland« aus dem Jahre 1959.

Die wechselvolle Geschichte des im 17. Jahrhunderts erbauten Gutshauses ist oft indirekt Gegenstand der Kunstwerke. Nach 1945 diente das Haus als Schule, Kinderheim und Landambulatorium. Leider geht keine Arbeit auf die verhängnisvolle Nazizeit ein, als in dem Gutshaus eine SS-Nachrichteneinheit stationiert war.

Gutshaus Heinersdorf, Hauptstraße 36c, am 1. und 2. September von 13 bis 18 Uh

http://www.neues-deutschland.de/artikel/236937.nd-von-1959-als-kunstobjekt.html
Peter Nowak

Doppelte Miete für Senioren

Bewohner sammeln Unterschriften für Milieuschutz im Wohngebiet

»Meine Miete beträgt jetzt 400 Euro, ab November 2012 könnte sie auf 700 Euro steigen«, rechnet Eva Maria John vor. Diese Befürchtungen teilen viele der 148 Bewohner des Seniorenwohnhauses in der Palisadenstraße 41-46 in Friedrichshain. Vor einigen Wochen haben die Eigentümer für die Sozialwohnungen massive Mieterhöhungen nach Wegfall der Anschlussförderung des Landes zum 1. November angekündigt.

Als John die Wohnung 1997 bezog, betrug die Kaltmiete umgerechnet 4,25 Euro pro Quadratmeter, heute sind es 6,15 Euro. Sollte die angekündigte Mietsteigerung zum kommenden November nicht noch verhindert werden, läge der Quadratmeterpreis bei zwölf Euro.

Doch die Senioren wehren sich und gehen an die Öffentlichkeit. In ihrer Nachbarschaft finden sie dafür viel Verständnis. Denn nicht nur in der Seniorenwohnanlage steigt die Angst vor Verdrängung, seit der Kiez zwischen Frankfurter Allee und Richard-Sorge-Straße bei Immobilienfirmen interessant geworden ist.

Für den Großteil der Bewohner ist die Entwicklung ein massiver Einschnitt. Viele Menschen leben dort seit Jahrzehnten, wie eine auf Bewohnerbefragungen basierenden Studie des Stadtteilbüros Friedrichshain ergeben hat. »Im Vergleich zu anderen Quartieren in Friedrichshain zeichnet die Richard-Sorge-Straße eine »sozial- und generationsübergreifend gewachsene Nachbarschaft« aus, heißt es dort. Ein großer Bevölkerungsaustausch habe dort bisher nicht statt gefunden.

Viele Bewohner wollen verhindern, dass sich das ändert. In der vergangenen Woche trugen sie ihren Protest im Seniorenparlament des Abgeordnetenhauses vor. Zuvor waren zwei gut besuchte Bewohnerversammlungen organisiert worden, an denen auch Mieterorganisationen und Bezirkspolitiker teilnahmen. Dort wurden nicht nur die Veränderungen im Stadtteil beklagt, sondern Gegenaktionen geplant. In einem an die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg gerichteten Einwohnerantrag werden die Verordneten aufgefordert, die Voraussetzungen für die Einrichtung eines Milieuschutzes im Richard-Sorge-Kiez und in Teilen der Frankfurter Allee zu prüfen, um dadurch die Möglichkeiten zur Mietsteigerung zu begrenzen.

Die Unterschriftensammlung dafür startete am vergangenen Samstag auf einem Straßenfest in der Richard-Sorge-Straße. In den nächsten Wochen wollen die Aktivisten an verschiedenen Plätzen im Stadtteil die Listen zum Unterschreiben auslegen. Beteiligen können sich Menschen mit erstem Wohnsitz in Friedrichshain-Kreuzberg. Insgesamt 3000 Unterschriften müssen in den nächsten Wochen zusammenkommen, damit der Bürgerantrag in die BVV eingebracht werden kann.

Eine Forderung des Einwohnerantrags ist auch der Schutz der Mieter in den noch unsanierten Wohnblöcken Frankfurter Allee 5 bis 27. Dort haben Bewohner mittlerweile nach mehreren Versammlungen einen Mieterrat gegründet. Sie sind empört darüber, dass sich in den letzten Monaten die Schikanen und Abmahnungen häufen. Auch mehrere Kündigungen seien schon ausgesprochen worden.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/236814.doppelte-miete-fuer-senioren.html
Peter Nowak

Brot und Bagatelle

Bei der Steakhauskette Maredo wurde Mitgliedern des Betriebsrats gekündigt. Als Grund nannte die Geschäftleitung Eigentumsdelikte. Die Beschäftigten wurden mit Videokameras überwacht.

Beschäftigte sollten sich überlegen, ob sie während der Arbeitszeit in eine Brotscheibe beißen, besonders wenn sie Gewerkschafter sind. Anfang August entschied das Arbeitsgericht in Frankfurt, dass die Kündigung von zwei Beschäftigten eines Restaurants der Steakhauskette Maredo rechtens ist. Nur in einem Fall wurde die Kündigung zurückgewiesen. »Maredo besiegt Betriebsräte« titelte die Frankfurter Rundschau nach dem Prozess. Doch die Auseinandersetzung ist damit noch nicht beendet. Begonnen hat sie im November vorigen Jahres, als die Geschäftsleitung von Maredo nach Angaben der Beschäftigten mit Sicherheitspersonal und zwei Rechtsanwälten unangekündigt in der Frankfurter Filiale in der Freßgass auftauchte. Man habe sie vor die Wahl gestellt, ihre Kündigung zu unterschreiben oder wegen Diebstahls und Betrugs angezeigt zu werden. Die Eingänge seien versperrt und die Handybenutzung sei ihnen verboten worden. 14 Beschäftigte haben gegen die Geschäftsleitung Anzeige wegen Freiheitsberaubung und Nötigung erstattet.

Als Gründe für die Kündigung nennt die Geschäftsleitung von Maredo Eigentumsdelikte und gibt zu, dass sie auf geheime Überwachungsmethoden wie Videoaufzeichnungen und das Einschleusen von verdeckten Ermittlern zurückgegriffen hat. Vor einigen Wochen fand in der Frankfurter Maredo-Filiale eine polizeiliche Hausdurchsuchung zur Sicherstellung der illegal entstandenen Videodokumente statt.

Die Beschäftigten leugnen nicht, dass sie gelegentlich zum Wegwerfen bestimmte Brote gegessen und Leitungswasser getrunken haben. Das Verzehren solcher ausgemusterten Lebensmittel sei bei Maredo jahrelang toleriert worden. Erst als die Geschäftsleitung eine gewerkschaftlich organisierte Belegschaft loswerden wollte, sei es zum Eigentumsdelikt erhoben worden. Auch in der Osnabrücker Maredo-Filiale wurde der Betriebsratsvorsitzenden Jaqueline Fiedler gekündigt. Ihr wurde vorgeworfen, ihren Zweitjob weiterhin ausgeübt zu haben, während sie mit ärztlichem Attest bei Maredo krangeschrieben gewesen sei. Auch in ihrem Fall bestätigte das Arbeitsgericht die Kündigung in der ersten Instanz. Dass aufmüpfigen oder gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten Eigentumsdelikte zur Last gelegt werden, um sie loszuwerden, ist nicht selten. Ein Solidaritätskomitee machte 2008 den »Fall Emmely« bundesweit bekannt. Der gewerkschaftlich organisierten Kassiererin einer Berliner Filiale der Supermarktkette Kaiser’s war fristlos gekündigt worden, wegen des Vorwurfs, ­Flaschenpfandbons im Wert von 1,30 Euro unterschlagen zu haben. Die Kassiererin konnte 2010 in letzter Instanz vor dem Bundesarbeitsgericht doch noch einen juristischen Erfolg verbuchen und arbeitet wieder in einer Kaiser’s-Filiale. Dazu haben auch die vom Solidaritätskomitee initiierten außerparlamentarischen Proteste beigetragen. Auch die Beschäftigten von Maredo gehen seit Monaten auf die Straße. Im Rahmen von Aktionstagen fand am 18. Mai aus Solidarität mit den Beschäftigten ein Flashmob vor der Frankfurter Maredo-Zentrale statt.

In mehreren deutschen und europäischen Städten wurde vor Filialen der Steakhauskette protestiert. Am Protest beteiligten sich neben Gewerkschaften auch Gruppen der außerparlamentarischen Linken. In einem Interview mit der Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, Express, sagte Michael Weißenfeldt, ein Mitglied des Betriebsrats der Maredo-Filiale: »Das wichtigste für uns ist die Solidarität und die Unterstützung durch die Gewerkschaft.« Daneben verweist er auch auf die Unterstützung durch linke Gruppen. Die Arbeit der Unterstützer zeigt bei der Gegenseite Wirkung. Der Rechtsanwalt von Maredo, Jan Tibor Lelley, spricht von einer »seit Monaten laufenden Kampagne der Beschäftigtenseite«, die »die Bahnen der normalen Rechtswahrnehmung bei weitem überschritten« habe. Eine gütliche Einigung schließt er daher aus.
http://jungle-world.com/artikel/2012/34/46098.html
Peter Nowak

Eine deutsche Eiche vor dem Rostocker Sonnenblumenhaus

Am Wochenende gab es zweierlei Gedenken in Rostock

„Störer wie euch dürfen niemals durchkommen.“ Diese unsouveräne Antwort gab Bundespräsident Joachim Gauck einer Gruppe von Antirassisten, die ihn am Sonntag vor dem Rostocker Sonnenblumenhaus mit „Heuchler“-Rufen und einem Transparent mit der Aufschrift „Rassismus tötet“ empfingen.

Das renovierte Haus war in den letzten Wochen in vielen Zeitungen und auf vielen Plakaten zu sehen. Vor 20 Jahren wurde es durch von einem Bürgermob angefeuerte Neonazis in Brand gesteckt. Zu dem diesem Zeitpunkt waren Polizei und Feuerwehr abgezogen worden. In letzter Minute konnten sich die noch im Gebäude anwesenden Flüchtlinge samt Unterstützer durch eine Dachluke vor den Flammen retten. Von Gauck, der heute gerne auf seine Rostocker Herkunft verweist, war damals übrigens nichts zu hören. Das Foto eines Betrunkenen mit erhobenen rechten Arm ging um die Welt und prägt für viele bis heute das Bild jener pogromartigen Ereignisse vor 20 Jahren. In dem Buch Kaltland hat ein Autorenkollektiv noch einmal das Klima jener Zeit nicht nur im Osten Deutschlands festgehalten.

„Sie können jetzt einpacken“

Vielleicht hätte ein anderes Bild, das leider nie so bekannt geworden ist, noch treffender die damaligen deutschen Zustände vermittelt. Es zeigt eine rumänische Romafrau, die mit den anderen Rostocker Flüchtlingen nach den rassistischen Ausschreitungen auf die Busse wartet, die sie aus Rostock abtransportieren. Das Foto des Fotografen Jürgen Siegmann dürfte in der nächsten Zeit bekannter werden. Schließlich ist es in dem Film Revision zu sehen, der demnächst in die Kinos kommt und die Geschichte von zwei rumänischen Flüchtlingen aufarbeitet, die Ende Juli 2002 an der deutschpolnischen Grenze von Jägern erschossen worden, die sie angeblich mit Wildschweinen verwechselten.

Das Foto spielt deshalb in dem Film eine Rolle, weil die abgebildete Frau die Witwe eines der Erschossenen ist. Ihre wenigen Habseligkeiten sind in einer Plastiktüte mit der Aufschrift „Sie können jetzt einpacken“ verstaut. Der lustig gemeinte Werbespruch eines Discounters wurde dem Mob aus Bürgern und Nazis in Rostock umgedeutet. Als die Flüchtlinge abtransportiert wurden, applaudierten sie über ihren „Sieg“.

Als wenig später die Asylgesetze in Deutschland so sehr eingeschränkt wurden, dass kaum noch ein Flüchtling in Deutschland davon profitieren kann, konnten sie noch einen vermeintlichen Sieg feiern. Welches Signal sendet nun das Pflanzen einer Eiche vor dem renovierten Rostocker Sonnenblumenhaus aus? Die Initiatoren argumentieren einerseits pragmatisch damit, dass die Eiche besonders langlebig sei und sprechen von der Friedenseiche als einem alten deutschen Symbol. Linke Kritiker sehen in der Eiche eher ein deutschnationales Symbol.

Gedenktafel oder Eiche?

Bei der unterschiedlichen Ausgangslage ist es nicht verwunderlich, dass es am Wochenende zwei unterschiedliche Arten des Gedenkens in Rostock gab. Die offizielle Gedenkfeier verurteilt die rassistische Übergabe und spricht scheinbar selbstkritisch vom Versagen des Staates. Gauck forderte eine „wehrhafte Demokratie“. Die könnte sich dann ebenso gegen die Antirassisten richten, die Gauck als Störer adressierte, wie gegen angeblich illegale Flüchtlinge. Schließlich wird im offiziellen Gedenken peinlich darauf geachtet, dass die massive Einschränkung des Asylrechts nicht mit dem Pogrom von Rostock in Verbindung gebracht wird, obwohl vor 20 Jahren zahlreiche Politiker selber den Zusammenhang herstellten. So reiht sich das offizielle Gedenken in ähnliche Veranstaltungen zu den NS-Verbrechen ein. Schlimme Zeit damals, aber Deutschland hat daraus gelernt und ist gestärkt darauf hervorgegangen, heißt kurz zusammengefasst das Fazit. So gesehen ist die Eiche vielleicht ein passendes Symbol.

Die linken Kritiker hingegen betonten im Aufruf zu der von mehreren tausend Menschen besuchten Demonstration in Rostock besonders den Zusammenhang zwischen der Verschärfung des Asylrechts und dem Pogrom. Sie sprachen sowohl vom institutionellen Rassismus als auch von dem in der Mitte der Gesellschaft. Sie brachten eine Gedenktafel erneut am Rostocker Rathaus an, mit der die Organisation Töchter und Söhne der aus Frankreich deportierten Juden bereits vor 20 Jahren gegen den Rassismus Stellung nahmen. Die Tafel wurde von der Stadt entfernt, die Aktivisten, darunter auch Beate Klarsfeld, festgenommen.

Gedenktafel versus Eiche, allein in diesen Symbolen wird die Unterschiedlichkeit des Gedenkens deutlich. Dazwischen agierte ein zivilgesellschaftliches Bündnis, das die Ablehnung von rechter Gewalt mit einer Imagewerbung für Rostock verbindet. Allerdings kooperieren manche der Aktivisten jenseits von zentralen Gedenkveranstaltungen mit Aktivisten des linken Bündnisses im Alltag in antirechten Bündnissen. Daher ist auch die Konfrontation nicht mehr so schroff wie vor 20 Jahren, als schon einmal ein Bundespräsident, damals war es von Weizsäcker im Berliner Lustgarten, bei einer offiziellen Gedenkveranstaltung zu den Opfern rechter Gewalt ausgepfiffen und mit Heuchlerrufen bedacht wurde.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152667
Peter Nowak

Bekommt die griechische Bevölkerung mehr Zeit zum Atmen beim Opfern?

Merkel will weitere Opfer von der griechischen Bevölkerung. Wie die reagiert, dürfte eine wichtige Frage sein, die in den hiesigen Medien kaum diskutiert wird

Soll Griechenland in der Eurozone bleiben oder nicht? Diese Frage geht auch nach dem Besuch des griechischen Ministerpräsidenten Samaras in Berlin weiter. Auch wenn Merkel in der gemeinsamen Pressekonferenz betonte, dass sie Griechenlands Verbleib in der Eurozone wünsche, setzte sie sogleich hinzu, dass die griechische Regierung den Worten Tagen folgen müsse. Dass heißt konkret, die griechische Regierung muss noch weitere Sparprogramme in einem Land durchsetzen, in dem große Teile der Bevölkerung schon weit jenseits der Armutsgrenze leben.

In der letzten Zeit gab es etwa verschiedene Berichte über die Situation des griechischen Gesundheitswesens, wo es oft nur noch Medikamente gegen Bargeld gibt. Dass Merkel diese Zustände nicht unbekannt sind, kleidete sie in die Worte, dass die Regierung von der Bevölkerung bereits große Opfer verlangt habe. Auf diesen Weg soll sie weitermachen und dabei habe Samaras die Unterstützung der deutschen Regierung. Dass aber weitere Opfer bei einer Bevölkerung, die in wenigen Monaten eine im Euroraum beispiellose Senkung ihres Lebensstandards erfahren hat, die Frage aufwerfen, von was sollen die Leute überhaupt noch leben, wird dabei völlig ausgeblendet.

Denn auch der griechische Ministerpräsident wollte vor allem als gelehriger Schüler gelten, der beteuerte, wie gut seine Regierung die von der EU diktierten Vorgaben umsetzen will. Er erklärte es zur Frage der nationalen Ehre, dass seine Regierung die Schulden zurückzahle, und wollte selber dafür bürgen. Hierin offenbarte sich ein seltsames Demokratieverständnis, das eher an den feudalistischen Spruch: „Der Staat bin ich“ erinnert und nicht für die Situation in einer bürgerlichen Demokratie angemessen scheint, in der Politiker bekanntlich nur für kurze Zeit im Amt sein sollen. Zudem hat Samaras noch als Oppositionspolitiker heftig gegen die EU-Diktate mobil gemacht.

Wie lange hält die griechische Regierung?

Wie will Samaras seine Bürgschaft einhalten, wenn seine Koalition scheitern sollte und nach abermaligen Neuwahlen doch noch eine Koalition mit der Linksopposition Syriza an die Regierung kommt. Die hatte bekanntlich die Schuldenstreichung oder zumindest die Neuverhandlung über das Rettungspaket zur zentralen Forderung erhoben. Wenn der konservative Gegenspieler die Frage der Schuldenbegleichung zur nationalen Ehre erklärt, liefert er ein direktes Kontrastprogramm zur Linksopposition und gibt damit auch jegliche Druckmittel aus der Hand, um mehr Zeit für die Durchsetzung der Opfer unter der Bevölkerung zu erreichen. Die Dramatik der Situation drückte er in den Worten aus, er wolle mehr Zeit zum Atmen haben.

Für viele Menschen in Griechenland sind das nicht bloß Worte. Während sich verschiedene Politiker von Union und FDP nun weiter darüber streiten, ob Griechenland etwas mehr Zeit gewährt werden soll oder nicht, und die SPD und die Grünen durchaus mit Verweis auf deutsche Interessen eher dafür plädieren, sind sich diese Parteien aber darin einig, dass die griechische Bevölkerung noch weitere Opfer bringen muss. Es geht dann zwischen SPD und Grünen auf der einen und den Parteien der Regierungskoalition auf der anderen Seite nur darum, wie lange die griechische Regierung Zeit gewährt werden soll. Völlig ausblendet wird dabei, dass ein Großteil der griechischen Bevölkerung für Parteien gestimmt hat, die für eine Schuldenstreichung eingetreten sind und dass in den gesamten letzten Monaten Zigtausende Menschen für diese Forderungen auf die Straße gegangen sind. Die griechische Bewegung für einen Schuldenmemorandum bekam für ihre Forderungen über alle Parteien hinweg Unterstützung.

Wie die parlamentarische und mehr noch die außerparlamentarische Opposition in Griechenland darauf reagieren wird, dass der konservative Ministerpräsident weiter Opfer auf ihre Kosten ankündigt, ist völlig offen. Sollte der Druck auf der Straße wieder wachsen, werden die Risse in der heterogenen Koalition in Athen stärker werden. Nur Bernd Riexinger von der Linken und Teile der außerparlamentarischen Bewegung erinnern daran, dass eigentlich nicht die griechische Bevölkerung, sondern die Banken von der Troika „gerettet“ werden. Schließlich ist auch in der kleinen außerparlamentarischen Bewegung hierzulande das Interesse an den Ereignissen in Griechenland schnell wieder geschwunden, nachdem der Wahlsieg der Konservativen feststand. Wurden noch Mitte Mai im Berliner IG-Metall-Haus Delegierte der streikenden Stahlarbeiter aus Griechenland von Hunderten bejubelt, so gab es kaum Reaktionen, als die Stahlarbeiter nach massiven Druck von Polizei und Unternehmen den Ausstand vor einigen Wochen erfolglos beenden mussten.

Die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland interessiert sich sowieso nur für die Frage, ob es dem Standort Deutschland mehr nützt, wenn Griechenland in der Eurozone gehalten wird oder nicht, und will, so der aktuelle Politbarometer, der griechischen Bevölkerung nicht mehr Zeit zum Durchatmen zwischen den Opfergängen gönnen.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152656
Peter Nowak

Von der Erziehung der Erzieher

Was ist sozialistische, linke, kritische Bildung?
Wer sich mit emanzipatorischer Bildung beschäftigt, kommt an der Geschichte der Arbeiterbewegung des 20. Jahrhunderts nicht vorbei. Eine Broschüre der Rosa-Luxemburg-Stiftung widmet sich diesem Kapitel der Geschichte.

»Die Lehre von der Veränderung der Umstände und der Erziehung vergisst, dass die Umstände von den Menschen verändert und der Erzieher selbst erzogen werden muss.« Diese berühmte Feuerbachthese von Karl Marx ist die Leitlinie des Gesprächskreises »Politische Bildung der Rosa-Luxemburg-Stiftung«, der sich in einer Broschüre einer weitgehend vergessenen Geschichte widmet. Erinnert wird an den linken Pädagogen Heinz-Joachim Heydorn, der als NS-Widerstandskämpfer in Abwesenheit zum Tode verurteilt, in den 60er Jahren wegen seiner Verteidigung des Sozialistischen Studentenbundes (SDS) aus der SPD ausgeschlossen wurde und eine wichtige Rolle für die Bildungsdebatte der Außerparlamentarischen Bewegung spielte. Nicht wenige ließen sich von seinem Leitspruch »Der Lehrer ist kein Berufsrevolutionär sondern revolutionär im Beruf« in ihrer Berufswahl leiten. Der Diplompädagoge Torsten Feltes kommt zu dem ernüchternden Schluss, dass die Wirkung, die Heydorn sich mit seiner Bildungsarbeit erhofft hatte, nicht erreicht wurde.

Ein ähnliches Fazit zieht die Politikwissenschaftlerin Julika Bürgin, die sich mit der Rolle Oskar Negts in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit beschäftigte. Mit seinem Konzept des »exemplarischen Lernens« wollte Negt Bildung mit konkreten Erfahrungen in Klassenauseinandersetzungen verbinden und damit eine Transformation der Gesellschaft erreichen. »Arbeiterbildung wurde als Beitrag eines historischen Kampfes zur Entwicklung von Gegenmacht zur Überwindung der bestehenden Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse konzipiert«, schreibt Bürgin. Für sie ist Negts Konzept angesichts der grundlegenden Veränderung in der Arbeits- und Lebenswelt vieler Menschen nach wie vor aktuell.

Auch die KPD hatte sich in der Weimarer Republik mit Bildungskonzepten beschäftigt, die Carsten Krinn einer kritischen aber differenzierten Bewertung unterzieht. Dass dabei das Marxsche Postulat von der Erziehung der Erzieher oft zu kurz kam, lag am zentralistischen Parteikonzept aber auch an den schwierigen Bedingungen, unter der diese Bildungsarbeit geleistet werden musste. Als einen Höhepunkt der KPD-Bildungsarbeit sieht Krinn in der Marxistischen Arbeiterschule (MASCH). Leider geht er nicht auf die Rolle ein, die Pädagogen der frühen Sowjetunion auf die KPD-Bildungsarbeit hatten. David Salomon schließlich verteidigt in seinem klugen Essay Bertholds Brechts Lehrstücke, die in vielen Feuilletons zu Unrecht verrissen werden.

Janek Niggemann (Hrsg.): Emanzipatorisch, sozialistisch, kritisch, links? Zum Verhältnis von (politischer) Bildung und Befreiung, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Juni 2012, Download unter www.rosalux.de
http://www.neues-deutschland.de/artikel/236361.von-der-erziehung-der-erzieher.html

Piraten verlieren Freunde und Anonymous goes Bild

Während die Piratenpartei erstmals seit Monaten in Wählerumfragen hinter der Linken liegt, geht der Streit um den Geschäftsführer auf Spendenbasis weiter

Lange Zeit konnte sich die Piratenpartei fast ungeteilter Sympathie der Medien, aber auch steigender Sympathie bei Wählerumfragen sicher sein. Doch plötzlich tauchen im Zusammenhang mit den Piraten Begriffe wie Flaute oder Sinkflut auf. Das ist übertrieben und zeigt nur, dass die Partei bisher immer auf medialen Erfolgskurs lag. Nun fällt sie in Umfragen des Stern um zwei Punkte auf 7 % und liegt seit Monaten um einen Punkt hinter der Linken, die sich um einen Punkt verbesserte. Der jüngste Streit um den Piratengeschäftsführer auf Spendenbasis ist bei den Umfragen noch nicht berücksichtigt.

Spießer mit Ressentiment und Maske

Doch der Streit geht bei den Piraten und ihrem Umfeld weiter. Nicht nur manche Wähler kehren den Piraten den Rücken. Auch eine Anonymous-Gruppe kündigte ihr via Facebook die Freundschaft auf. Als Grund nennen sie den Spendenaufruf, mit dem die Partei für die Einkünfte ihres Geschäftsführers Johannes Ponader Geld sammeln will, nachdem er eher unfreiwillig auf seine Hartz IV- Leistungen verzichtete.

Nun haben die Piraten wegen ihres Geschäftsführers auf Spendenbasis Kritik auch von Gewerkschaftern und Erwerbslosengruppen einstecken müssen. Sie befürchten, dass das Modell des Crowdfunding eine neue Facette im deutschen Niedriglohnbereich etablieren könnte. Doch solche Kritik äußert die Anonymous-Gruppe nicht. Ihr Statement hört sich eher an wie die ressentimentgeladenen Auslassungen an, die Christian Baron und Britta Steinwachs in ihrer Analyse der virtuellen Angriffe gegen „Deutschlands frechsten Arbeitslosen“ Arno Dübel materialreich am Beispiel von bild.de aufgedeckt haben.

So schrieb die Anonymous-Gruppe zum Crowdfunding:

„Mit diesem Spendenaufruf habt ihr euch endgültig selbst ins politische Abseits geschossen. Wie kann man jemanden, der erfolgreich das Studium der Pädagogik und der Theaterwissenschaften abgeschlossen hat, aber aus purer Bequemlichkeit nicht gewillt ist, arbeiten zu gehen, als politischen Geschäftsführer (…) mit einer derart lächerlichen Aktion auch noch im Amt halten? (…) Es macht uns traurig mit ansehen zu müssen, wie Ponader durch sein Verhalten die jahrelange Arbeit vieler engagierter Piraten in nur wenigen Wochen zunichte macht. So leid es uns tut, aber solange Ponader noch im Amt ist und weiterhin Narrenfreiheit genießt, werden wir unseren Support für die Piratenpartei in Deutschland einstellen.“ Der Topos vom studierten Faulenzer, der zu bequem zum Arbeiten ist, gehört schon lange zum Repertoire all jener, die den Erwerbslosen, die ihre Arbeitskraft nicht zu jedem Preis verkaufen wollen, entgegenschallt. Damit hat sich zumindest dieser Teil von Anonymous-Gruppe politisch kenntlich gemacht. Sie passen gut zwischen Bild, BZ und Glotze.

Einige Piraten wiesen in ihrer Antwort nicht etwa den Aufstand der anonymen Spießer gegen ihren Geschäftsführer zurück, sondern mahnten Fairness für ihre Partei an und beschworen das gemeinsame Boot, in dem man sitze und auch untergehen könne. In dem anbiedernden Schreiben heißt es.

„Liebes Anonymous-Kollektiv: Über die Aktion von Johannes Ponader kann man sich trefflich streiten, aber wie wäre es mit Beteiligung statt Bashing? Failed die Piratenpartei mit ihren Grundsätzen, fallen höchstwahrscheinlich auch eure Masken!“

Dass die Gemeinsamkeiten mancher Piraten mit den maskierten Bloggern weiter gehen, zeigt sich in dem offenen Brief des Vorsitzenden und des Stellvertretenden Vorsitzenden der Jungen Piraten, in dem sie Ponader vorwerfen, sein Verhalten sei untragbar. Er habe seine Position genutzt, um „persönliche Vorteile“ zu erlangen. Wenn er der Meinung sei, dass er für Arbeit eine Aufwandsentschädigung braucht, solle er sich um entsprechende Beschlüsse bei den Piraten bemühen.

Die Briefschreiber scheinen noch nicht davon gehört zu haben, dass Lohnarbeit bezahlt werden muss. Mit diesen Auslassungen dürften sich Anonymous und manche Piraten Freunde bei aktiven Erwerbslosen verloren haben. Manche Bild-Blogger aber dürften Gefallen an den für sie bisher als subversiv geltenden Mitbloggern mit und ohne Maske finden.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152648
Peter Nowak

»Die Bewegung ist schwächer, aber inhaltlich schärfer«

Mitglieder der andalusischen Gewerkschaft Sindicato de Trabajadores (SAT) machten vor kurzem durch die Aneignung von Lebensmitteln in spanischen Supermärkten und Besetzungen von brachliegendem Land international auf sich aufmerksam (Jungle World 33/2012). Die Jungle World sprach mit Miguel Sanz Alcántara über die Reaktionen auf die Aktionen und über gewerkschaftliche Organisierung in Spanien und Europa. Er ist Koordinator der SAT in Sevilla.

Interview: Peter Nowak

Landbesetzungen und Aneignungen in Supermärkten gehören nicht zu den klassischen Gewerkschaftsaktivitäten. Warum greift die SAT zu solchen Mitteln?

Beide Aktionen müssen getrennt voneinander diskutiert werden. Landbesetzungen gehören seit ihrer Gründung am 23. September 2007 zu den Aktionsformen unserer Gewerkschaft. Eine ihrer Vorgängerinnen war die andalusische Landarbeitergewerkschaft Sindicato de Obreros de Campo (SOC). Sie ist 1977 kurz nach dem Ende des Franco-Regimes entstanden. Dort waren neben einer maoistischen Strömung auch Teile der christlichen Linken aktiv. Schwerpunkt der SOC war die Organisierung der andalusischen Landarbeiter. Sie stützte sich dabei auf Erfahrungen, wie sie im Franco-Faschismus mit den illegalen comisiones jornaleras (Ausschüsse von Tagelöhnerinnen und Tagelöhnern) gemacht wurden. Dabei standen Landbesetzungen mit der Forderung nach einer Neuaufteilung des Bodens unter der bäuerlichen Bevölkerung im Mittelpunkt der Gewerkschaftsarbeit.

Ist die Kollektivierung von Lebensmitteln eine neue Aktionsform?

Wir haben die Lebensmittel aus den Supermärkten geholt und unter den Erwerbslosen verteilt, um Druck auf die Regierung auszuüben. Sie muss sicherstellen, dass die Grundbedürfnisse der Mehrheit der Bevölkerung befriedigt werden. Es ist natürlich nicht möglich, mit 20 Einkaufswägen voller Lebensmittel die Folgen der Wirtschafskrise zu lindern. Aber wir wollten deutlich machen, dass in der Krise viele Menschen Not leiden. Sie müssen entscheiden, ob sie ihr geringes Einkommen für die Begleichung der Stromrechnung oder für Lebensmittel ausgeben, während die großen Unternehmen mit Millionen subventioniert werden.

Hat die Umverteilungsaktion nicht auch viel Zuspruch in autonomen und anarchistischen Kreisen gefunden?

Es gab viel Zustimmung und auch Nachfolgeaktionen. Aber nicht alle waren im Sinne unserer Gewerkschaft. So hat eine Gruppe andalusischer Jugendlicher mit Bezug auf uns eine Aktion in einem Supermarkt durchgeführt, sich dabei aber vor allem auf alkoholische Getränke beschränkt. Davon hat sich die SAT distanziert.

Nach der Aktion gab es in Spanien eine heftige Debatte über deren Legitimität. Befürchten Sie weitere Repressionen gegen ihre Gewerkschaft?

Die SAT wird von der Justiz seit langem ökonomisch in Bedrängnis gebracht. Wegen verschiedener Besetzungsaktionen musste unsere Gewerkschaft insgesamt 400 000 Euro Strafe zahlen. Weitere Repressalien gegen die SAT sind durchaus wahrscheinlich, aber wir fürchten uns nicht davor. Schließlich haben sie in der Vergangenheit unserer Gewerkschaft Sympathie eingebracht. Mittlerweile hat die SAT auch eine europaweite Spendenaktion initiiert. Die Kontodaten finden sich auf unserer Website (»Llamamiento urgente de solidaridad«).

Wie sieht es mit der Solidarität der anderen spanischen Gewerkschaften aus?

Im Unterschied zu den großen Gewerkschaften UGT und CCOO, die viele öffentliche Gelder zur Verfügung haben, kann unsere Gewerkschaft ausschließlich auf Eigenmittel zurückgreifen. An der Basis gibt es immer wieder Zusammenarbeit bei Streiks und sozialen Auseinandersetzungen. Aber die großen Gewerkschaften sehen uns als Konkurrenz und haben natürlich kein Interesse daran, dass wir an Einfluss gewinnen. So wird SAT-Mitgliedern auf Demonstrationen das Rede­recht verweigert. Wir sehen unsere Rolle vor allem darin, Druck von unten auch auf die großen Gewerkschaften auszuüben, damit sie eine kämpferische Politik machen und die Linie der Sozialpartnerschaft aufgeben.

Wie ist die Zusammenarbeit mit den in Spanien traditionell starken anarchosyndikalistischen Gewerkschaften?

Wir haben gute Kontakte zu den anarchosyndikalistischen Basisgewerkschaften in konkreten Auseinandersetzungen. Sie versuchen ebenso wie die CCOO, verstärkt Menschen mit prekären Jobs im wachsenden Dienstleistungssektor zu organisieren. Allerdings haben wir als SAT aufgrund unserer Geschichte eine Struktur, die es uns einfacher macht, diese Beschäftigten zu organisieren.

Hat es die SAT aufgegeben, sich auf die Organisierung der Landarbeiter zu konzentrieren?

Für uns sind beide Sektoren wichtig. Wir haben natürlich auf die ökonomischen Veränderungen reagiert. Während Ende der siebziger Jahre der Agrarsektor dominierte, ist in den letzten beiden Jahrzehnten der Dienstleistungssektor in den Städten kontinuierlich gewachsen. Die Beschäftigten sind oft junge Menschen, die die Dörfer in der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen verlassen. Doch sie finden nur extrem prekäre Arbeitsplätze. Wir können unserer Erfahrung bei der Organisierung der Landarbeiter nutzen, wenn wir gewerkschaftliche Strukturen im Dienstleistungssektor aufbauen.

Vor einigen Jahren entstand in Spanien die »Euromayday«-Bewegung, die gezielt Prekäre aus dem Dienstleistungsbereich organisierte und auch in Deutschland bekannt wurde. Mittlerweile ist es um sie ruhig geworden. War die SAT daran beteiligt?

Die SAT hat dort von Anfang an mit anderen außerparlamentarischen Linken zusammengearbeitet. Auch in Spanien war die Bewegung nur für einige Jahre erfolgreich. Trotzdem sehen wir die Erfahrungen sehr positiv. Wir haben in der »May­day«-Bewegung viel darüber gelernt, wie sich Prekäre im Dienstleistungssektor wehren und organisieren können. Dabei sehen wir die Bewegung in einem größeren Zusammenhang der Neuorientierung einer außerparlamentarischen Linken, die weder in politischen Parteien noch in den bisherigen Gewerkschaften organisiert war und die auch eine Distanz zur anarchosyndikalistischen Bewegung hat. Hier spielte der Zapatismus in den neunziger Jahren eine große Rolle. Später kamen die theoretischen Schriften von Antoni Negri und Michael Hardt hinzu. Vor allem ihr Buch »Empire« hatte einen großen Einfluss auf diese außerparlamentarische Linke und die in Spanien starke globalisierungskritische Bewegung. Diese Vorstellungen gerieten 2003 mit dem Krieg gegen den Irak in eine Krise. Schließlich lautet die zentrale These in »Empire«, dass die Nationalstaaten und der klassische Imperialismus am Ende sind. Viele Aktivisten sahen diese These durch den Krieg gegen den Irak in Frage gestellt. Zudem verlor Negri in großen Teilen der außerparlamentarischen Bewegung an Sympathie, weil er sich hinter die EU in ihrer gegenwärtigen Form stellte. Viele Aktivisten aus diesen Bewegungen der vergangenen Jahre sind jetzt bei der SAT aktiv.

Mit der Bewegung der »Empörten«, die im vorigen Jahr von Spanien auch auf andere Länder übergriff, scheint eine neue außerparlamentarische Bewegung schon wieder Geschichte. Könnte die SAT davon profitieren?

Die Bewegung der »Empörten« hat zu einer Stärkung der Basisgewerkschaften geführt. Viele Aktivisten arbeiten jetzt bei der SAT mit. Dabei war in wenigen Monaten ein inhaltlicher Wandel zu beobachten. Die »Empörten« wandten sich in ihrer Gründungsphase pauschal gegen alle Organisationen. Deshalb durften auch SAT-Mitglieder dort nicht ihre Flugblätter verteilen. Doch nach einigen Monaten begannen die Aktivisten zu unterscheiden zwischen Organisationen, die den Kapitalismus verteidigen oder reformieren wollten, und solchen, die ihn bekämpfen. Die Bewegung ist schwächer, aber inhaltlich schärfer geworden. Die letzten großen gewerkschaftlichen Mobilisierungen wären ohne sie nicht denkbar gewesen. Dabei ist vor allem der landesweite Generalstreik am 29. März dieses Jahres zu nennen.

War das eine einmalige Aktion, oder sind weitere geplant?

Der Erfolg des 29. März bestand darin, dass die Auseinandersetzungen auf einem hohen Niveau geführt wurden und die Streikbeteiligung sehr groß war. Aber mit einem eintägigen Generalstreik, wie er von den großen Gewerkschaften propagiert wird, ist es natürlich nicht getan. Auch nach dem 29. März gingen die Auseinandersetzungen in ganz Spanien weiter. Dazu gehören Landbesetzungen und Lebensmittelaneignungen in Andalusien, aber auch Aktionen wie der Bergarbeiterstreik in Andalusien, der durch den Marsch der Beschäftigten nach Madrid im ganzen Land ein großes Echo fand. Zurzeit laufen die Vorbreitungen für einen Aktionstag am 15. September auf Hochtouren. Zudem gibt es Überlegungen, Mitte Oktober einen gemeinsamen, gleichzeitigen Streik von Beschäftigten in Spanien, Italien und Griechenland zu organisieren. Wir wissen nicht, ob er zustande kommt. Er hätte aber für eine europaweite Organisierung gegen die Krisenfolgen eine große Bedeutung.

http://jungle-world.com/artikel/2012/34/46112.html
dänische Übersetzung: http://www.modkraft.dk/artikel/fagforening-derfor-stj%C3%A6ler-vi-madvarer
Interview: Peter Nowak

Piratengeschäftsführer auf Spendenbasis?

Martin Behrsing, der Sprecher des Erwerbslosenforums, spricht von einem „absurden neoliberalen Theater“

„Ich gehe“, erklärte der politische Geschäftsführer der Piraten Johannes Ponader. Allerdings meint er damit nicht einen Rückzug von seinen Ämtern in der Piratenpartei. Ponader will nichts mehr mit dem Jobcenter zu tun haben, von dem der Theaterpädagoge bisher Hartz IV-Leistungen bezogen hat. Jetzt wollen die Piraten Geld für ihren Geschäftsführer Spenden sammeln. Sein politisches Amt sei nicht mit dem Bezug von Arbeitslosenhilfe vereinbar, begründet Ponader seinen Rückzug von Hartz IV. Der war aber nicht so ganz freiwillig.

Nachdem Ponaders Hartz IV-Bezug während einer Fernsehdebatte bekannt geworden war, entspann sich in Internetforen eine heftige Debatte darüber, wie es sein kann, dass der politische Geschäftsführer einer Partei von Hartz IV-Leistungen leben muss. Zudem schaltete sich das Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit Heinrich Alt mit einem Anruf beim Piratenvorsitzenden Bernd Schlömer in die Debatte ein und fragte an, warum die Partei ihren Geschäftsführer nicht bezahlen könne.

Nun ist eine solche Diskussion nicht frei von Sozialneid und Sozialchauvinismus. Schließlich müsste man sich fragen, wie es sein kann, dass immer mehr Menschen von ihrer Lohnarbeit nicht mehr leben können und ihren Niedriglohn mit Hartz IV aufstocken müssen. Grundsätzlicher könnte man auch fragen, wie es sein kann, dass immer mehr Menschen, ob mit oder ohne Erwerbsarbeit, auf Hartz IV-Niveau und noch tiefer gedrückt werden. Da ist es eher ein Ablenkungsmanöver, wenn Ponader den Begriff Hartz IV ablehnt, weil er nichts davon hält, „die Empfänger der Bezüge zusammen mit dem verurteilten Peter Hartz in einen Topf zu werfen“. Ponader begibt sich selber auf populistisches Terrain, wenn er eine gerichtliche Verurteilung in den Mittelpunkt stellt und nicht die Agenda-2010-Politik, für die Peter Hartz natürlich nicht vor Gericht stand. Zudem haben auch die größten Befürworter der Agenda 2010 nach der Verurteilung des Namensgebers viel dafür getan, dass diese Politik nicht mehr so sehr mit Hartz in Verbindung gebracht wird.

Hartz ist kein bedingungsloses Grundeinkommen

Scharfe Kritik an der Debatte kommt jetzt vom Erwerbslosenforum Deutschland. Dessen Sprecher Martin Behrsing spricht von einem „absurden neoliberalen Theater“. „Hartz IV ist kein bedingungsloses Grundeinkommen, das zur politischen Selbstverwirklichung dient, und ein politisches Amt als Bundesgeschäftsführer ist keine ehrenamtliche Betätigung, sondern knochenharte Arbeit, die ordentlich bezahlt gehört“, sagte Martin Behrsing. Er machte darauf aufmerksam, dass sich hier die Piraten eine negative Pilotfunktion erfüllen könnten. Schließlich würden viele Vereine und Organisationen ihre Mitarbeiter gerne auf Spendenbasis, die die Beschäftigen womöglich noch selber eintreiben müssen, einstellen wollen.

Behrsing macht darauf aufmerksam, dass die Piraten Mitgliederbeiträge erheben und daher Einnahmen haben müssten, von denen sie auch den Posten bezahlen können. Eigentlich wären auch die Gewerkschaften gefragt, bei den Piraten für Löhne zu sorgen, von denen die Mitarbeiter leben könnten, also ohne Abhängigkeit von Spenden oder Hartz IV. Der Umgang der Piraten mit ihren Mitarbeitern ist aber konsequent, wenn man bedenkt, dass Schlömer von einer liberalen Partei spricht und die Publizistin Katja Kullmann die Piraten als Partei einer aufstrebenden IT-Elite bezeichnet. Da liegt es vielleicht nahe, dass man mal eine Spendensammlung gesetzlich verankerten und erkämpften Sozialstandards vorzieht.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152639
Peter Nowak

Murks? Nein, danke!

Wer hat sich nicht schon geärgert, wenn ein Gerät kurz nach dem Ende der Garantie kaputt gegangen ist? In der Regel ist dann die Reparatur so teuer, dass eine Neuanschaffung fällig ist. Mittlerweile gibt es dafür sogar ein Fachwort: geplante Obsoleszenz. Das bedeutet, Produkte werden so konstruiert, dass sie nur eine bestimmte Zeit halten (bis kurz nach Ende der Garantie) und schwer zu reparieren sind. Dass der Begriff in der letzten Zeit durch die Medien ging, ist auch dem in Berlin-Weißensee lebenden Betriebswirt Stefan Schridde und seinem Blog www.murks-nein-danke.de zu verdanken. Damit hat er ein Thema, das immer wieder Grund für privaten Ärger bietet, zu einem öffentlichen Problem gemacht. Allerdings ist die Homepage bisher vor allem eine Art virtuelle Beschwerdestelle, auf der Kunden Produkte melden können, die vorzeitig kaputt gegangen sind.
Vermögenssteuer

Schridde hat in einem Interview gesagt, er wünsche sich, dass die Hersteller »mit ihren Kunden in ein kreatives Gespräch über die Verbesserung einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Produktentwicklung« kommen. Er spricht von einem »modernen Kundenbeschwerdemanagement«, das ihm vorschwebt. Immer wieder betont Schridde auch die ökologische Komponente seiner Kampagne. Im Zeitalter der Ressourcenverknappung wären langlebige Produkte eine sinnvolle Sache.

Da ist nur ein Problem: Es entspricht der kapitalistischen Logik, Produkte nicht allzu haltbar zu machen. Denn ohne Neuanschaffungen kein Wachstum, kein Profit. Dieser Aspekt kommt bei der »Murks? Nein, danke!«-Kampagne zu kurz. Trotzdem kann sie mit dazu beitragen, dass kritische Kunden nicht mehr nur über zu hohe Preise meckern, sondern sich auch für die Haltbarkeit und Qualität der Produkte interessieren. Demnächst soll eine Murks-Ausstellung eröffnen und im Netz kann man zwei Petitionen unterzeichnen, in denen verlangt wird, die Hersteller gesetzlich auf die Kennzeichnung lebensdauerverkürzender Eigenschaften und die Austauschbarkeit von Akkus zu verpflichten.

ttp://www.neues-deutschland.de/artikel/235955.murks-nein-danke.html
Peter Nowak

Abrisspläne in der Schublade?

Mieter der Wilhelmstraße fürchten um den Erhalt von bezahlbaren Wohnungen

Jetzt hat sich Senatsverwaltung für Stadtentwicklung immerhin bei den Mietern in der Wilhelmstraße entschuldigt. In einem Rundschreiben hatte die Verwaltung zwar über den drohenden Abriss ihrer Wohnungen informiert, aber mit keinem Wort die Bewohner über ihre Rechte aufgeklärt. Für die Aktivisten der Bürgerinitiative (BI) Wilhelmstraße reihte sich das irreführende Schreiben ein in den Versuch, sie aus der Innenstadt zu vertreiben.

Dabei kann sie der Eigentümer nicht zum Verlassen ihrer Wohnungen zwingen. Denn die meisten Mieter besitzen einen Zusatz zum Mietvertrag, wonach ihnen nicht wegen »unangemessener wirtschaftlicher Verwertung« gekündigt werden darf. Das macht einen Abriss gegen ihren Willen praktisch unmöglich. Eigentümer Karl Tesmer hüllt sich über seine Pläne jedoch in Schweigen. Vor acht Jahren hat er von der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) die Wohnblocks erworben. Mittlerweile werden nach Recherchen der Bürgerinitiative von den 100 Wohnungen des abrissgefährdeten Blocks Wilhelmstraße 56-59 mehr als die Hälfte als Ferienwohnungen genutzt.

Die Mieter sind wütend und lassen sich durch die Senats-Entschuldigung auch nicht besänftigen. Das wurde am Montagabend auf einer von der BI einberufen Mieterversammlung deutlich. Rund 150 Personen waren der Einladung gefolgt. Anwesend waren auch die baupolitischen Sprecher der LINKEN, Grünen und Piraten im Abgeordnetenhaus. Die ebenfalls eingeladenen Vertreter der Regierungsparteien SPD und CDU waren nicht erschienen. Auch der Baustadtrat von Mitte, Carsten Spallek (CDU), habe sich aus Termingründen entschuldigen lassen, bedauert der stellvertretende BIVorsitzende Jürgen Mickley.

Die Teilnehmer der Bürgerversammlung forderten in einer Resolution den Senat auf, den Abriss der Wohnungen und die Umwandlung in Ferienwohnungen sofort zu stoppen. »Die Vernichtung von bezahlbaren Wohnraum im Stadtzentrum muss entschieden bekämpft werden«, betont Mickley. Die BI Wilhelmstraße werde dafür sorgen, dass so viele Mieter wie möglich, von ihren Rechten Gebrauch machen, betonte er.

Dabei werden sie auch von der Sprecherin für Stadtentwicklung der Linkspartei, Katrin Lompscher, unterstützt. Mit Verweis auf dem Grundstücksverkaufsvertrag vom November 2002 erklärt sie: »Die Mieterinnen und Mieter sind auf Dauer vor Kündigung wegen Eigenbedarfs oder besserer wirtschaftlicher Verwertung geschützt.«Wie die Mieter kritisiert auch Lompscher, dass die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung bereits im Juni ein vom Eigentümer finanziertes Sozialplanverfahren mit dem Ziel eingeleitet habe, um die Mieter zum Auszug zu bewegen. In einem von der LINKEN in das Abgeordnetenhaus eingebrachten Antrag wir gefordert, den Abriss zu stoppen.

Die Mieter haben noch weitergehende Pläne. Sie fordern den Rückkauf der Wohnungen und die Überführung in eine Genossenschaft, die das Recht auf Verkauf der Wohnungen an die Mieter erhalten müsse. »Auf diesem Weg wird eine Privatisierung ohne Vertreibung und Gentrifizierung erreicht«, betont Mickley.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/236236.abrissplaene-in-der-schublade.html

Peter Nowak