Waffenhändler verstecken sich hinter bürgerlicher Fassade

Der Aktionskünstler Philipp Ruch über eine Initiative gegen Eigentümer des Rüstungskonzerns Krauss-Maffei

nd: Wie kamen Sie auf die Idee, die Panzerfamilie im Fall von Krauss-Maffei an die Öffentlichkeit zu bringen?
Philipp Ruch: Durch einen Auszug des Handelsregisters und entsprechende Vorrecherchen wurde uns klar: Das ist keine kleine Sache, wenn ein Bundesvorstand der Humanistischen Union, eine Berufsschullehrerin, eine Fotografin und ein Künstler aus der Pfalz sich hinter bürgerlichen Fassaden und schöngeistigen Engagements verstecken und nebenher von Millionengewinnen aus schmutzigen Waffendeals leben. Wir wollten den Eigentümern keine andere Wahl lassen, als in den Spiegel zu sehen und sich nach delphischem Muster zu erkennen. Einer der Waffenhändler hielt das für einen Angriff auf seine »Reputation und Integrität«. Nun ist ihm klar geworden, dass er diesen Angriff jahrzehntelang selbst geführt hat – nicht wir.

Wer steckt hinter der Gruppe Zentrum für politische Schönheit?
Wir sind ein Thinktank, der versucht, die Eigentümer des größten deutschen Panzerkonzerns auf den richtigen Weg zu bringen. Geschäfte wie das mit Saudi-Arabien darf es nie wieder geben. Dafür tragen die Eigner die Verantwortung und dafür wollen wir sie auch zur Verantwortung ziehen. Wir haben zehn Aktionen ausgearbeitet und wieder verworfen, bis wir zu der Form gelangt sind, die Sie jetzt betrachten können. In einer früheren Fassung wollten wir die Eigentümer entführen. Wir haben auch tatsächlich nach einer neuen Beate Klarsfeld gesucht.

Warum haben Sie auch das Privatleben der Eigentümer in Ihre Kampagne einbezogen?
Händler, die von Waffengeschäften in Milliardenhöhe leben, müssen dazu stehen, wenn sie die Gewinne kassieren wollen. Sie können und dürfen sich nicht hinter gesellschaftlichen Engagements verstecken und nebenher mit ihren Produkten eine der schlimmsten Diktaturen der Welt aufrüsten. Das war unser vorrangiges Ziel. Dass darüber hinaus die nächsten Bekannten und Weggefährten der Waffenhändler nichts von den Einkommensquellen der Eigentümer wussten, war ein großes Glück. Wir hoffen, dass der Saudi-Arabien-Deal schon daran scheitern wird.

Es wird kritisiert, Ihre Aktion stelle Menschen an den virtuellen Pranger und lade zur Denunziation ein.
Diese Kritik nehmen wir ernst. Für Denunziationen braucht es einen Unrechtsstaat oder allgemein ein dysfunktionales Rechtssystem. Wir glauben aber an das deutsche Recht, das u.a. die Freiheit der Kunst, sich auch mit Waffenhändlern intensiv auseinanderzusetzen, schützt. Wir haben nur »Denunzianten« gesucht für strafrechtlich relevante Vergehen. Wenn eine Person mit ihrem Vermögen Steuern hinterzieht, sollte sie dafür auch rechtmäßig in Haft kommen. Es war nicht unser Ziel, Reputation zu beschädigen, sondern es wurden öffentlich zugängliche Informationen zusammengetragen, wodurch falsche Reputationen automatisch verschwanden. Ansonsten müssten wir auch vom Handelsregisterpranger sprechen.

Welche juristischen Folgen kommen jetzt auf Sie zu?

Die Waffenindustrie ging mit Staranwälten gegen uns vor. Zunächst erwirkte Krauss-Maffei Wegmann über den größten Eigentümer Rüdiger von Braunbehrens eine Unterlassungserklärung gegen unser Projekt. Vergangenen Dienstag veröffentlichten wir eine interne E-Mail des Künstlers und Waffenhändlers Burkhard von Braunbehrens. Zwei Tage darauf setzte er uns eine knappe Frist von mehreren Stunden, die E-Mail zu löschen.

Wie wollen Sie weiter vorgehen?

Es kann nicht angehen, dass reiche Waffenhändler uns verklagen. Wir brauchen dringend Spenden für den juristischen Gegenschlag. Die können eingezahlt werden auf ein Konto der GLS Bank. Kontoinhaber: Initiative für die Verteidigung der Menschlichkeit e.V., Konto Nr. 1115471800, BLZ: 43060967
http://www.neues-deutschland.de/
artikel/233278.waffenhaendler-verstecken-sich-hinter-buergerlicher-fassade.htm
Interview: Peter Nowak

Mit Bankenschelte in den Wahlkampf

Mit Bankenbashing versucht sich SPD-Chef Gabriel von Merkel abzusetzen und innerparteilich in Stellung zu bringen

Eigentlich ist die SPD in den letzten Wochen kaum präsent. Einige ihrer Spitzenpolitiker werfen Bundeskanzlerin Merkel zwar regelmäßig vor, sie brauche zu lange, um in der Eurokrise die Positionen einzunehmen, die die SPD schon immer vertritt. Doch wenn es zur Abstimmung kommt, stimmen die Sozialdemokraten in der Regel brav mit der Regierung, wie vor einigen Tagen bei der Entscheidung über die Finanzhilfen für die spanischen Banken. Da meldete sich sogar die Parteibasis zu Wort und wagte zögerliche Kritik an dieser Finanzspritze.

Nun hat es der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel doch noch geschafft, mit einem Thesenpapier im Sommerloch einige Tage für Schlagzeilen zu sorgen. Dabei werden in den Medien einige prägnante Sätze über das Erpressungspotential der Banken zitiert und schon entsteht der Eindruck, die SPD entwickele sich zur Kapitalismuskritikerin. Nun ist Bankenbashing noch keine Kapitalismuskritik, oft sogar das Gegenteil davon. Doch dieThesen lesen sich wie eine Mixtur aus kirchentagstauglichen Floskeln und Stammtischweisheiten.

„Banken diktieren die Politik“, heißt es in den Thesen und ebenso: „Banken zocken die Kunden ab“, „Banken manipulieren“ und „spekulieren riskant mit dem Geld ihrer Sparer“. Alles keine Neuigkeiten und alles andere als radikal. Den Zweck der Übung hat Gabriel gleich mit aufgeschrieben. „Die Bundestagswahl 2013 muss zu einer Entscheidung über die Bändigung des Banken- und Finanzsektors werden.“

Tatsächlich hat das Papier eine so große mediale Aufmerksamkeit bekommen, weil Gabriel damit den Ton für den kommenden Wahlkampf vorgeben will. Allerdings geht es erst einmal um den Kampf um die Nummer eins innerhalb der SPD. Da sind seine Kontrahenten mit Peer Steinbrück und Walter Steinmeier nicht zufällig zwei Exponenten der Schröder-SPD, die gemeinsam mit den Grünen wesentliche Regulierungen im Banken- und Finanzsektor abbauten. Darauf haben Unionspolitiker in einer ersten Replik sofort hingewiesen.

Noch ist längst nicht ausgemacht, ob Gabriel im innerparteilichen Machtkampf Erfolg hat. Im Gegenteil: Dem ehemaligen Pop-Beauftragen der SPD werden im Machtkampf nur Chancen eingeräumt, wenn sich die Exponenten der Schröder-SPD, Steinbrück und Steinmeier, untereinander zerstreiten. Aber auch hier könnte Gabriel schnell ins Hintertreffen geraten, falls sich Hannelore Kraft, die in Umfragen schon als erfolgreichste Merkelherausforderin gehandelt wird, doch noch entschließt, in die Bundespolitik zu gehen.

Wiederauflage der Heuschreckenkampagne

Doch Gabriels Thesen könnten auch ohne ihn an exponierter Stelle zum Ton des nächsten SPD-Wahlkampfs werden. Schließlich sind sie allgemein genug gehalten und sie greifen einen sich in der Krise steigernden Unmut in der Bevölkerung auf. Das Lamento über die Gier der Bankmanager ist dann schnell zu hören. Hier will Gabriel die SPD gleichermaßen gegen die gegenwärtigen Regierungsparteien als auch gegen die Linkspartei in Position bringen.

Letztere wird von verschiedenen SPD- Politikern in öffentlichen Statements gerne schon als erledigter Fall betrachtet. In Wirklichkeit ist den führenden SPD-Politikern klar, dass es Wunschdenken ist. Mit verbaler Bankenkritik und Gerechtigkeitsfloskeln hofft man dem Wunsch näher zu kommen. Das Ganze wirkt wie eine Neuauflage der Heuschreckenkampagne, mit der der damalige Parteivorsitzende Franz Müntefering den Sozialdemokraten 2005 in der Endphase der Schröder-SPD einen Hauch von sozialer Kompetenz erhalten wollte.

Die Kritik, die er damit erntete, gehörte zum Konzept. So wie Müntefering später loyaler Koalitionspartner der Merkel-CDU wurde, dürften sich auch die aktuellen SPD-Führungsvertreter ähnliche Hoffnungen machen. Schließlich gilt eine große Koalition als wahrscheinlichste Regierungsvariante nach der nächsten Bundestagswahl und so ist an die Spitzenkandidatur auch der Vizekanzlerposten gekoppelt. Mögen nach dem rosagrünen Wahlerfolg in Nordrhein-Westfalen auch manche in der OPD wieder an eine solche Regierungskombination im Bund denken, bleiben die Realisierungsmöglichkeiten gering. Sollten wieder fünf – oder mit den Piraten sechs Parteien – in den Bundestag einziehen, ist eine Mehrheit aus SPD und Grüne eher unwahrscheinlich.

Zudem machen die jüngsten Querelen bei den Grünen deutlich, dass sich dort wieder Kräfte melden, die von der Orientierung an die SPD loskommen will. Darauf zielen die Kritiker des Duos Trittin/Roth, das als Garant einer solchen Anlehnung an die SPD gilt. Dass jetzt von den Kritikern mit Kathrin Göhring Eckardt eine Befürworterin der Öffnung auch zur Union in die Diskussion gebracht wurde, macht deutlich, dass es auch nach der nächsten Wahl Regierungsoptionen ohne SPD gibt.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152436
Peter Nowak

Ziviler Widerstand in Syrien geht weiter

Aktivisten der Initiative „Adopt a Revolution“ erinnern an die Arbeit der gewaltfreien Bürgerkomitees in Syrien und warnen vor dem Eindruck, dass das Regime schon am Ende ist

Wer in den letzten Wochen die Nachrichten über Syrien verfolgt hat, konnte den Eindruck gewinnen, das Land sei endgültig im Bürgerkrieg versunken. Auch der mörderische Anschlag vom Mittwoch, der die Führung empfindlich traf, scheint dafür zu sprechen, dass nun endgültig die militärische Logik die Oberhand gewonnen hat. In einer solchen Situation drohen zivile Formen der Auseinandersetzung an den Rand gedrängt zu werden. Deshalb erinnert die Initiative Adopt a Revolution, die sich seit Monaten für eine Stärkung der sozialen und zivilgesellschaftlichen Kräfte in Syrien einsetzt, in einer Pressemitteilung daran, dass auch in der aktuellen Situation der Widerstand dieser Kräfte in Syrien weitergeht.

„In einer krisenhaften Situation wie der aktuellen in Damaskus, braucht es zivilgesellschaftliche Akteure mehr denn je, um für Transparenz und zivile Unterstützung der Bevölkerung zu sorgen. Die lokalen Komitees leisten diese Funktion, weshalb wir unsere Unterstützung jetzt mit Hochdruck fortführen“, heißt es in der aktuellen Pressemeldung von Adopt a Revolution.

Deren Berliner Koordinator Elias Perabo betont gegenüber Telepolis, dass es zur Zeit in Syrien ein Nebeneinander zwischen der zivilen Opposition und der militärischen Kräfte gäbe. In der Regel würden auch die zivilen Oppositionsgruppen die bewaffneten Kräfte als Schutztruppe begreifen. Das sei auch eine Folge des Gefühls der Hilflosigkeit und des Eindrucks, von der internationalen Öffentlichkeit allein gelassen zu werden. Dabei gehe es bei der internationalen Hilfe nicht um ein Eingreifen von Armeen der Nato-Länder, das sogar manche Publizisten in linken Medien propagieren, wo die Situation in Syrien kurzschlüssig mit dem Kampf gegen die Niederschlagung des Nationalsozialismus verglichen wird. Dabei wird schon ein grundlegender Unterschied ausgeblendet: Es gibt in Syrien nicht die Volksgemeinschaft wie in Deutschland, die bis zum Untergang mit dem Regime verbunden ist. Im Gegenteil ist es gerade der Widerstand der Bevölkerung, der Syrien in den Mittelpunkt des Weltinteresses brachte.

Noch keine Schlacht um Damaskus

Adopt a Revolution unterhält nach eigenen Angaben allein im Raum Damaskus Kontakt mit 16 Bürgerkomitees und verbreitet deren Widerstand, aber auch die Repression gegen die Aktivsten. Dabei betont Perabo, es sei wichtig dem Eindruck entgegenzutreten, der Kampf gegen das Regime sei schon gewonnen. „Die Schlacht um Damaskus hat noch nicht begonnen, es gibt aber erste Schritte“, betont der Aktivist. Nach seinen Aussagen leben gerade die zivilen Aktivisten in und um Damaskus in großer Angst vor der Repression des Regimes. So habe es in einem damaszener Stadtteil, wo die Opposition aktiv sei, in den letzten 24 Stunden 38 Tote gegeben, die durch die Mörserangriffe regierungstreuer Truppen umgekommen seien. In Damaskus sei die auf bis zu 8.000 Mann geschätzte Republikanische Garde noch weitgehend intakt. Zudem seien Militärs aus anderen Landesteilen wie aus der Region um die Golanhöhen nach Damaskus beordert werden. Deshalb sei die Angst der Opposition dort besonders groß. In anderen Regionen des Landes, etwa in den kurdischen Gebieten, hingegen sei der Optimismus größer, dass die letzten Tage des Regimes begonnen habe, so Perabo. Das liege auch daran, dass dort die Kräfteverhältnisse so seien, dass das Regime dort keine Macht mehr hat.

Auch über den Sturz des Regimes hinaus denken

In den letzten Monaten gab es auch in den hiesigen Medien eine heftige Debatte über die Rolle vor allem der bewaffneten syrischen Opposition, deren Kontakte ins Ausland, vor allem nach Saudi-Arabien und andere Golfstaaten und in die Türkei und über die Menschenrechtsverletzungen der FSA (die sogenannte „Freie syrische Armee“). Dabei wurde von manchen Publizisten der islamistische Einfluss in der bewaffneten Opposition in den Mittelpunkt gestellt, während Journalisten, die auf den Sturz des aktuellen Regimes abzielten, den islamistischen Einfluss eher vernachlässigten, und solche Vorwürfe teilweise als Regimepropaganda abtaten.

Dagegen betont Perabo, dass Adopt a Revolution sich seit Monaten auch mit Einfluss konfessioneller Gewalt in Syrien befasst. Es sei auch von Seiten der Opposition in den letzten Wochen zu Vertreibungen von Alewiten, besonders in den Zentren der Opposition um Horms, gekommen. In der letzten Zeit hätten solche Aktionen weiter zugenommen. Auch Perabo befürchtet, dass sich die konfessionellen Muster in den Auseinandersetzungen verstärken könnten. Daher versucht die Initiative Adopt a Revolution zivile Kräfte zu unterstützen, die sich gegen eine religiöse Zuspitzung wenden. Dazu gehört auch eine Studierendenbewegung, die sich zur Zeit in Syrien entwickelt.

Damit bricht die Initiative auch mit einer in der deutschen Internationalismusbewegung weitverbreiteten Tradition, die Kräfte, die unterstützt werden, möglichst nicht zu kritisieren. So wurden noch in der Lateinamerikasolidarität der 1980er Jahre blutige Abrechnungen innerhalb der linken Gruppen, die in El Salvador die Guerilla bildeten, ausgeblendet oder gar verteidigt. Der kritische Blick auf den Umgang auch der bewaffneten Opposition in Syrien mit den Menschenrechten durch Adopt a Revolution zeigt einen Lernprozess. Schließlich könnte die zivile Opposition nach dem Sturz des Assad-Regimes noch Solidarität brauchen, wenn sich die bewaffneten Kräfte dort machtpolitisch durchsetzen und sich zeigt, dass ihre Ziele gar nicht so demokratisch sind.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152427
Peter Nowak

Solidarität für türkische Aktivistin

Basak Sahin Duman von Auslieferung bedroht

Eigentlich wollte Basak Sahin Duman nur ein paar Tage Urlaub in Kroatien machen. Doch die Reise wurde zum Albtraum, denn die türkische Staatsbürgerin, die seit 2006 mit ihrem Ehemann in Deutschland lebt, wurde am 29. Mai am Flughafen von Zagreb verhaftet und sitzt seitdem in Auslieferungshaft. Der Grund: Die türkische Justiz hatte einen internationalen Haftbefehl erlassen, nachdem Duman wegen angeblicher »Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung« zu einer Haftstrafe von sieben Jahren verurteilt worden war.
Duman wird vorgeworfen, sich 2004 als Medizinstudentin in linken Initiativen engagiert und an einer Demonstration teilgenommen zu haben. Gegen 24 Teilnehmer dieser Aktion hat die türkische Justiz langjährige Haftstrafen verhängt. Mehrere der Betroffenen sitzen in türkischen Gefängnissen. Andere konnten sich durch die Flucht in verschiedene europäische Länder der Inhaftierung entziehen. Duman erhielt Asyl in Deutschland. Mittlerweile liegt dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein Antrag vor, die Urteile zu überprüfen.

Nach der Verhaftung Dumans hat sich rasch ein internationales Solidaritätskomitee gegründet, das ihre sofortige Freilassung fordert. »Sie darf nicht in das Land ausgeliefert werden, in dem demokratische Grundrechte ausgehebelt und Oppositionelle sowie demokratische Basisbewegungen gezielt verfolgt und unterdrückt werden«, heißt es in einem Aufruf, den zahlreiche Migranten- und Menschenrechtsorganisationen unterzeichnet haben. Die Urteile der türkischen Gerichte, so der Aufruf weiter, dienten dazu, die »Sozialistische Plattform der Unterdrückten« (ESP) als Teil der in der Türkei verbotenen kommunistischen Partei MLKP darzustellen. Damit wäre die Kriminalisierung all ihrer Mitglieder verbunden. Zudem würden alle Wähler der ESP, die sich inzwischen als Partei konstituiert hat, zu Terroristen erklärt.

In mehreren europäischen Metropolen haben bereits Protestaktion vor kroatischen Botschaften stattgefunden, auch in Kroatien wurde für Dumans Freilassung demonstriert. Mit einer erstinstanzlichen Entscheidung der kroatischen Justiz wird in den nächsten Tagen gerechnet.

Ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amts erklärte gegenüber einer Bundestagsabgeordneten der LINKEN, dass von deutscher Seite einer Rückkehr von Duman nichts im Wege stehe, eine konsularische Betreuung aber nur bedingt möglich sei, weil sie keine deutsche Staatsangehörige ist.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/233089.solidaritaet-fuer-
tuerkische-aktivistin.html
Peter Nowak

Kritik an „Gesinnungsjustiz“

JUSTIZ Am Donnerstag hat der Prozess gegen Gülaferit Ü. begonnen – nach dem Anti-Terror-Paragrafen 129 b. Vor dem Gericht gab es Proteste

Vor dem Kammergericht hat am Donnerstag der Prozess gegen eine mutmaßliche Linksterroristin begonnen: Der 42-jährigen Gülaferit Ü. wird Mitgliedschaft in einer verbotenen türkischen Gruppe vorgeworfen. Es ist in Berlin das erste Verfahren nach Paragraf 129 b, der die Mitgliedschaft in politischen Organisationen unter Strafe stellt, die als terroristisch erklärt werden. In der Vergangenheit wurde damit unter anderem in Hamburg, Stuttgart und Düsseldorf gegen mutmaßliche AktivistInnen islamischer sowie linker türkischer und kurdischer Gruppen vorgegangen.

Ü. soll Mitglied der marxistischen „Revolutionären Volksbefreiungspartei/-front“ (DHKP-C) gewesen sein. Diese in den 70er Jahren gegründete Organisation hatte in den Armenvierteln der großen Städte sowie an den Universitäten der Türkei ihre Basis. Nach dem Vorbild von Che Guevara propagierte sie die Kombination legaler politischer Arbeit mit militanten Aktionen. Die Gruppe ist in der Türkei und in Deutschland verboten.

Am ersten Prozesstag am Donnerstag äußerte sich die Angeklagte nur zu ihrer Person, nicht zur Anklage. Sie saß hinter Panzerglas, für den Prozess waren verstärkte Sicherheitskontrollen angeordnet.

Die Staatsanwaltschaft verlas Auszüge aus einer Datei, die die Justizbehörden von der belgischen Polizei erhalten haben. Sie sei bei einer Razzia in Büros von legal arbeitenden türkische Organisationen in Belgien gefunden worden. Laut Staatsanwaltschaft handelt es sich dabei um eine politische Biografie, die Ü. selbst verfasst haben soll. Der Text schildert ihren politischen Werdegang in der Türkei, darunter eine Haftstrafe wegen Beteiligung an einer militanten Aktion.

Seit Oktober in U-Haft

Die Datei enthielt auch Adressen und Telefonnummern einiger Verwandten Ü.s. Eine der Nummern habe die Angeklagte gewählt, als sie nach ihrer Überstellung nach Deutschland mit Angehörigen Kontakt aufnahm, so die Staatsanwaltschaft. Ü. wurde im Oktober 2011 aus Griechenland nach Deutschland ausgeliefert und sitzt seitdem in Untersuchungshaft im Frauengefängnis Lichtenberg.

Vor Prozessbeginn am Donnerstagmorgen organisierte ein Initiativkreis, dem verschiedene politische Gruppen angehören, eine Kundgebung vor dem Kammergericht. Sie forderten Ü.s Freilassung sowie die Abschaffung der Paragrafen 129 a und 129 b, die sie als „Instrument der Gesinnungsjustiz“ bezeichneten. RednerInnen monierten, die Angeklagte sei erschwerten Haftbedingungen ausgesetzt. So würden ihre Post zensiert, die Zusendung deutschsprachiger Literatur erschwert und der Kontakt zu türkischen Mitgefangenen unterbunden.

Schon in Griechenland hatten sich Menschenrechtsgruppen gegen Ü.s Auslieferung an Deutschland eingesetzt. Sie sahen in der Anklage nach dem Paragrafen 129 b ein politisches Instrument, mit dem völlig legale Tätigkeiten wie das Verteilen nicht verbotener Zeitungen oder die Solidaritätsarbeit mit politischen Gefangenen als Terrorismus deklariert werde. Eine solche Kritik äußern auch JuristInnenorganisationen in Deutschland. Auch sie wollen das Berliner Verfahren kritisch begleiten.

Der Prozess wird sich in die Länge ziehen. Das Kammergericht hat Termine bis Ende November festgesetzt.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2012%2
F07%2F20%2Fa0146&cHash=c90d5a9175
Peter Nowak

Ende einer kranken Logik


Neben positiven Reaktionen auf das Urteil des Bundesverfassungsgesetzes zu den Leistungen für Flüchtlinge gibt es auch Hetze von rechts

„Jahrelang haben Politiker Flüchtlingen ein menschenwürdiges Leben verweigert. Gut, dass das Verfassungsgericht den Betroffenen recht gibt. Traurig, dass die Sache erst vor Gericht landen musste.“ So wie dieser Kommentar der Frankfurter Rundschau zum aktuellen Urteil des Bundesverfassungsgericht zu den finanziellen Leistungen für Flüchtlinge, bewerten es viele als ein Trauerspiel der Politik, dass jahrelang Menschen bewusst Gelder vorenthalten worden sind.

Auch der Flüchtlingsrat Brandenburg spricht in einer ersten Stellungnahme von einer schallenden Ohrfeige für die Bundesregierung. „Ihre Politik der menschenunwürdigen Behandlung von Flüchtlingen muss nun endlich ein Ende haben. Das AsylbLG ist nicht reformierbar und gehört abgeschafft“, lautet das Fazit der Sprecherin des Brandenburger Flüchtlingsrats Beate Selders. Ähnlich kommentiert Pro Asyl das Urteil. Es habe klargestellt, dass Flüchtlinge keine Menschen zweiter Klasse sind.

Hetze von Rechtsaußen

Erwartungsgemäß anders fallen die Reaktionen in den Kreisen aus, die ihre Politik gerade darauf abstellen, Menschen nach Nation und vermeintlicher Rasse auszusortieren. „Abschaffung des Sozialstaats – mehr Geld für Asylbewerber“ setzt die NPD-Thüringen ihre Kampagne gegen alle, die sie als Nichtdeutsche klassifiziert, fort. „Geld für alle Welt – wenn die Deutschen nicht endlich aktiv Widerstand gegen derlei Ungerechtigkeiten leisten und ihrem Zorn wirkungsvoll Ausdruck verleihen, haben die Ausländerlobbyisten ihr Ziel erreicht und letztlich Deutschland abgeschafft“, heißt es bei der NPD. Das kann fast 20 Jahre nach dem pogromartigen Auseinandersetzungen eines rechten Mobs gegen Flüchtlinge in Rostock durchaus als Drohung verstanden werden. Zumal solche Äußerungen nicht nur aus der Ecke der NPD, von der nichts anderes erwartet wird, kommen.

Während die rechtskonservative Junge Freiheit noch relativ neutral über das Urteil berichtet, würden viele Leserkommentare auch die NPD-Ideologen erfreuen. Da wird von der Wut des Volkes geraunt und den Richtern geraten, „selber für die Asylbewerber zu blechen“. Dabei berufen sie sich u.a. auf Sarrazin. Auch beim rechtspopulistischen Onlineportal PI-News finden sich unter einem Kommentar zum Urteil hetzerische Kommentare. In dem Text auf der Homepage wird positiv an die Schweiz erinnert, wo die Leistungen für Flüchtlinge sinken würden. Auf der Kommentarspalte wird ein Link zwischen den Leistungen für Flüchtlinge und der Eurokrise gezogen und Deutschland als Opfer imaginiert.

Hartz IV für alle?

Nun muss sich zeigen, wie die Politiker der etablierten Parteien das Urteil kommentieren und ob es auch dort populistische Zungenschläge gibt. Noch am Wochenende hatten in der linksliberalen Tageszeitung unter der Rubrik Streit der Woche nicht nur Unionspolitiker, sondern auch ein parteilose Leser dafür plädiert, die Leistungen für Flüchtlinge nicht zu erhöhen.

Wenn jetzt Länderpolitiker davor warnen, dass durch die Mehrbelastung, die durch das Urteil entsteht, womöglich Erwerbslose benachteiligt würden, sind populistischen Zungenschläge schon angelegt. Weitgehend kommentarlos haben die aktiven Erwerbslosengruppen in Deutschland auf das Urteil reagiert. Dabei hätten sie Grund, darauf hinzuweisen, dass Hartz IV für alle Menschen unzumutbar ist, ihr Ziel müsste sein, für alle Menschen, die hier leben, ein akzeptables Einkommen zu erstreiten.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152414
Peter Nowak

Transnationale Diffusion

Ein Versuch über den Zusammenhang von Krisen und Protesten

Gemeinsam mit dem Historiker Peter Birke betreut der freie Übersetzer Max Henninger die Zeitschrift „Sozial.Geschichte Online“, ein Nachfolgeprojekt der von der Bremer Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts herausgegebenen Reihe „1999“. Zusammen haben sie vor einigen Wochen im Verlag Assoziation A das Buch „Krisen Proteste“ herausgegeben, das Texte aus den letzten Ausgaben der Zeitschrift versammelt und so versucht, Zusammenhänge zwischen den unterschiedlichen Erscheinungsformen der Krise und den – oft asynchronen – Protesten gegen deren Ursachen und Auswirkungen herzustellen. Lesenswert ist dieser ambitionierte Versuch auch deshalb, weil dabei der Blick auf Auseinandersetzungen gerichtet wird, die in der in Deutschland und der EU derzeit dominierenden nationalen, bestenfalls eurozentristischen Perspektive der Krisenlösungspolitiken nicht erscheinen. Peter Nowak sprach mit Max Henniger über das Projekt.


War es Zufall, dass Euer Buch „Krisen Proteste“ pünktlich vor dem Höhepunkt der hiesigen Krisenproteste, den Blockupy-Aktionstagen heraus kam?

M.H.: Das war nicht geplant. Das Projekt hatte einen Vorlauf von mehr als sechs Monaten. Peter Birke und ich haben uns zu Beginn der zweiten Jahreshälfte 2011 überlegt, einige der in Sozial.Geschichte Online veröffentlichten Beitrage über die Krisenentwicklung in verschiedenen Ländern in Buchform zu veröffentlichen.

Können Sie kurz die Entwicklung von „Sozial.Geschichte Online“ skizzieren?

M.H.: „Sozial.Geschichte Online“ erscheint seit 2009 mehrmals jährlich als Publikation der Stiftung für Sozialgeschichte in Bremen. Die koordinierende Redaktion liegt bei Peter Birke und mir. Es handelt sich um das Nachfolgeprojekt der 1986 ins Leben gerufenen Print-Zeitschrift “1999”, die zwischen 2003 und 2007 unter dem Namen “Sozial.Geschichte” erschienen ist. Thematische Schwerpunkte von “1999” und “Sozial.Geschichte” waren die Geschichte des Nationalsozialismus und die globale Arbeitsgeschichte. Auf „Sozial.Geschichte Online“ wird darüber hinaus auch verstärkt über aktuelle Protestbewegungen und ihre Hintergründe berichtet.

Wie erfolgte die Auswahl der Texte für das Buch?

M.H.: Die Entwicklung der aktuellen Weltwirtschaftskrise und der mit ihr einhergehenden Proteste waren bereits seit Jahren Gegenstand von Beiträgen, die „Sozial.Geschichte Online“ in der Rubrik “Zeitgeschehen” veröffentlicht hat. Ins Buch aufgenommen haben wir Beiträge zu denjenigen Entwicklungen, deren Bedeutung wir im Rückblick als besonders hoch einschätzen. Dazu gehört etwa die von Helmut Dietrich verfasste Chronik der im Dezember 2010 begonnenen Revolte in Tunesien, die im Folgejahr zahlreiche weitere Aufstände im nordafrikanischen und nahöstlichen Raum nach sich gezogen hat.

Könnte man aus dem Titel des Buches „Krisen Proteste“ – ohne Komma oder Bindestrich -herauslesen, dass Ihr keinen Zusammenhang zwischen den beiden Themen seht?

M.H.: Es gibt jedenfalls keinen mechanischen Zusammenhang. In dem Buch geht es auch um Regionen, beispielsweise Ostafrika, die zwar stark von den sozialen Folgen der Krise betroffen sind, bislang aber nicht durch Proteste von sich reden gemacht haben. Gleichzeitig stellt sich in manchen Ländern auch die Frage, wie sich Protestbewegungen, die bereits vor Ausbruch der Krise aktiv waren, im Zuge der Krise verändern. Das gilt beispielsweise für die in vielen Ländern seit Beginn des Jahrtausends zu verzeichnenden Studierendenproteste.

Sie gehen in einem eigenen Aufsatz auf die Ernährungskrise in Afrika südlich der Sahara ein Wo sehen Sie den Zusammenhang zur Krise?

M.H.: Der Beitrag soll den Blick für das globale Ausmaß der Krisenfolgen schärfen. Zu oft wird nur auf Europa und die USA gesehen. Dabei waren die Proteste gegen die Verteuerung von Grundnahrungsmitteln, zu denen es 2007 und 2008 in mehr als dreißig asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern gekommen ist, die erste globale Antwort auf die sich aus der Krise ergebenden Hunger- und Spardiktate. Auf Haiti führten die Proteste im April 2008 zum Sturz der Regierung von Jacques-Édouard Alexis. Die „Food Riots“ gehören aber auch zur Vorgeschichte der Aufstände in Tunesien, Ägypten und anderen arabischen Ländern. Die Ernährungskrisen und Hungersnöte, die Länder wie Niger, Somalia und Äthiopien in den letzten zwei Jahren erfasst haben, sind ebenfalls zur globalen Krise in Beziehung zu setzen. Wichtige Stichworte sind hier der Anstieg der Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel, die durch weltweite Investitionen in die Agrotreibstoffproduktion bedingte Verknappung landwirtschaftlicher Nutzflächen und der Aufkauf fruchtbarer Ländereien durch exportorientierte Unternehmen aus Ländern wie Südkorea und Saudi Arabien.

Im Länderbericht zu Deutschland hat Peter Birke die Hamburger „Recht auf Stadt“-Bewegung und die Besetzung des Gängeviertels in den Mittelpunkt gestellt. Wo ist hier der Zusammenhang zu den Krisenprotesten?

M.H.: Anhand der „Recht auf Stadt“-Bewegung lässt sich zeigen, wie die Krisenfolgen hierzulande in einer eher schleichenden Verschlechterung der Lebensverhältnisse vieler Menschen spürbar werden. Das Protestgeschehen in Deutschland bleibt relativ zersplittert. Dabei sind es aber nicht nur Bewegungen, deren Parolen ausdrücklich die Krise thematisieren, die auf die Krisenfolgen reagieren.

Im Gegensatz zu Eurem Buch „Krisen Proteste“ sind die realen Krisenproteste im Wesentlichen noch nationalstaatlich organisiert. Sehen Sie transnationale Bezugspunkte?

M.H.: Es gibt eine transnationale Diffusion der Proteste. Die Food Riots von 2007/08 und das Übergreifen der tunesischen Revolte auf andere arabische Länder sind Beispiele dafür. Die US-amerikanische Occupy-Bewegung hat auch Impulse aus Ländern wie Ägypten und Spanien aufgenommen. Dennoch scheitern Versuche, die Übertragung von Protestbewegungen aus einem nationalen Kontext in den anderen zu organisieren, oft an der Unterschiedlichkeit der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse. Allein in Europa besteht ein sehr ausgeprägtes Gefälle zwischen Zentrum und Peripherie. Um nur ein Beispiel herauszugreifen: In Spanien liegt die Jugenderwerbslosigkeit bei rund 40 Prozent, in Deutschland unter zehn Prozent. Diese unterschiedliche Ausgangslage erschwert zunächst einmal gemeinsame Kämpfe.

Könnte das nicht auch ein Kommentar zu den Blockupy-Protesten sein?

M.H.: Wir haben in der Einleitung geschrieben, dass die raum-zeitliche Entkoppelung von Krisenpolitik und Krisenfolgen für die Linke ein zentrales Problem darstellt, das keineswegs durch bloße Appelle zu bewältigen ist. Die Organisatoren der Krisenproteste der letzten Monate stehen heute vor diesem Problem.

Peter Birke / Max Henninger (Hg.): Krisen Proteste. Beiträge aus Sozial.Geschichte Online ISBN 978-3-86241-413-0, 312 Seiten, April 2012, 18 Euro

Mit Beiträgen von: Peter Birke, Kristin Carls, Helmut Dietrich, Andy Durgan/Joel Sans, Silvia Federici, The Free Association, Max Henninger, Gregor Kritidis, Pun Ngai/Lu Huilin, Karl Heinz Roth

Weitere Informationen über: http://www.stiftung-sozialgeschichte.de/

http://www.labournet.de/express/index.html

Aktion gegen „Panzerfamilie“: die Grenzen der Kunstfreiheit

Während die Familie, die zu den Eigentümern von Krauss-Maffei gehört, juristisch auf die Aktion „25000 Euro“ reagiert, wächst auch andernorts der Widerstand gegen deutsche Rüstungsexporte

Eigentlich können die Politkünstler vom Zentrum für politische Schönheit zufrieden sein. Nur wenige Wochen, nachdem sie im Internet bekannt machten, dass zu den Eigentümern der Waffenhersteller Krauss Maffei bekennende Philanthropen und Humanisten gehören, die in ihrer Freizeit in diversen Menschenrechtsorganisationen engagiert sind, haben zwei der Familienmitglieder sich vom Panzerdeal mit Saudi Arabien distanziert.

So erklärte Burkhart von Braunbehrens in einem Interview, den Waffendeal mit Saudi Arabien verhindern zu wollen, und auch Vera von Braunbehrens ließ verlautbaren, das Waffengeschäft nicht zu billigen. Damit sind zwei Mitglieder der „Panzerfamilie“ auf Distanz gegangen. Im Internet wird nun darüber debattiert, wie ernst diese Distanzierungen gemeint sind und vor allem, ob damit auch die Bereitschaft verbunden ist, auf die Profite an dem Rüstungsdeal zu verzichten. Diese Reaktionen sind ganz im Sinne der Kampagne, wie sie auf der Homepage der Politkünstler in sechs Schritten skizziert ist. Mittlerweile ist der unter Punkt 6 genannte Machtkampf zwischen den beiden Eigentümerfamilien von Krauss Maffei im Gange und der Ausgang ist noch ungewiss.

Anwaltskosten drohen Initiative lahmzulegen

Doch mittlerweile haben die Braunbehrens auch juristische Schritte gegen die Künstler eingeleitet. Deshalb musste die Webseite umgestaltet werden, bestimmte Formulierungen durften nicht mehr verwendet werden. Doch gravierender für die Künstlerinitiative sind die Kosten, die durch die Klagen auf sie zukommen. „Am Freitag mussten wir sogar die Anwaltskosten des 90fachen Millionärs und Waffenhändlers Rüdiger von Braunbehrens (1.248,31 Euro) schultern. Unsere Webseite mussten wir selbst zensieren, um Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe abzuwenden“, erklärt Philipp Ruch vom Zentrum für politische Schönheit.

Die Initiative ruft zu Solidaritätsspenden auf. Die sollen bei der GLS-Bank auf ein Konto der „Initiative für die Verteidigung der Menschlichkeit e.V.“ eingezahlt werden. Leider inszeniert sich die Initiative fast in Occupy-Manier als Interessenvertreter von nicht gleich 99, aber doch 94 Prozent der deutschen Öffentlichkeit, die laut Meinungsumfragen gegen den Export der Leopard 2 Panzer nach Saudi Arabien seien. Wenn Ruch in seinem Solidaritätsaufruf so oft betont, wie viel die Initiative bereits riskiert hat und sie jetzt „nicht mit Waffen sondern per Gerichtsverfahren“ zum Schweigen gebracht werden soll, klingt das Eigenlob doch sehr deutlich durch. Dabei hätte sie das gar nicht nötig. Schließlich hatte die Aktion eine überwiegend positive Berichterstattung. Zudem hat die Initiative mittlerweile Nachahmer bei Politaktivisten gefunden.

Unter dem Motto „Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“ agieren zahlreiche Initiativen und Nichtregierungsorganisionen gegen den deutschen Waffen- und Rüstungsgüterexport. Ein Kampagnenschwerpunkt lautet auch dort, „den Tätern Namen und Gesicht zu geben“. In der letzten Augustwoche soll im Namen eines Illuminationsprojekts eine Bildmontage mit Bundeskanzlerin Angela Merkel als Panzerkommandantin per Laserstrahl an öffentliche Gebäude projiziert werden. Auch Aktionen am Firmensitz des Panzerherstellers Krauss Maffei-Wegmann in Kassel gehören zum Protestfahrplan.

Allerdings sollen auch die Firmensitze von anderen Unternehmen besucht werden, die am Rüstungsgeschäft verdienen. Dazu gehören die ATM-Computersysteme in Konstanz, die die Software für den Leopard-Panzer liefern, wie die Diehl-Defence in Überlingen, die Geschäfte mit der Produktion von Munition, Drohnen und Panzerketten macht, sowie die MTU Friedrichshafen GmbH, die Panzermotoren herstellt.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152408

Peter Nowak

Den Hass aufstocken

Wie funktioniert die Stimmungsmache gegen »Transferbezieher«? Eine Untersuchung zeigt, was Bild-Leser von Empfängern des ALG II halten.

Kürzlich versorgte die Bild-Zeitung aus Anlass ihres 60jährigen Bestehens alle deutschen Haushalte mit einem Gratisexemplar. Auch der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) durfte seine Meinung in dieser Jubiläumsausgabe kundtun. Das Boulevardblatt könne »nur Trends verstärken, aber keine eigenen setzen«, befand Schröder im Interview. »Es muss immer eine Stimmung da sein, an die Bild anknüpfen kann.« In der Bevölkerung vorhandene Stimmungen zu nutzen, beherrschte auch er als Kanzler der Agenda 2010 virtuos. Schon zu Beginn seiner Amtszeit stellte er klar: »Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft.«

Der Ausspruch stieß nicht nur an Stammtischen auf Zuspruch. Bild nahm die Stimmung auf und sorgte mit der eigenen Berichterstattung dafür, dass sie erhalten blieb und verstärkt wurde. Das ist das alltägliche Kerngeschäft der Zeitung seit ihrer Gründung. Die Soziologen Britta Steinwachs und Christian Baron haben nun unter dem Titel »Faul, frech, dreist« ein Buch im Verlag »Edition Assemblage« herausgebracht, in dem sie genauer untersuchen, wie die Stimmungsmache gegen Arbeitslose funktioniert.

Anhand des Untertitels »Die Diskriminierung von Erwerbslosigkeit durch Bild-Leser*innen« wird schon deutlich, dass die Autoren einigen gedanklichen Kurzschlüssen mancher Kampagnen gegen die Bild-Zeitung nicht erliegen, in denen das Boulevardblatt vor allem als Medium denunziert wurde, das die Bevölkerung im Sinne der Herrschenden manipuliere. Baron und Steinwachs hingegen konstatieren nicht nur in der Ober- und Mittelschicht, sondern auch unter Lohnabhängigen und sogar den Erwerbslosen selbst eine Stimmung gegen Erwerbslose, die angeblich nicht arbeiten wollen und zu Unrecht Leistungen beziehen.

Als Grundlage der Untersuchung dient die Berichterstattung über den von Bild zu »Deutschlands frechstem Arbeitslosen« stilisierten Arno Dübel. Weil der schwer kranke und seit Jahrzehnten Arbeitslosengeld beziehende Mann sich dafür in der Öffentlichkeit nicht schämte, sondern freimütig bekannte, es gebe für ihn Schöneres als Lohnarbeit, wurde er zum Gegenstand ­einer Kampagne, an der sich die Leser der Zeitung eifrig beteiligten. Die Autoren haben hierzu Leserkommentare auf Bild.de ausgewertet und in ihre Untersuchung einbezogen. Sie sind in Auszügen auf mehr als 20 Seiten abgedruckt und liefern einen Eindruck von »Volkes Stimme«. Während schriftliche Leserbriefe vor dem Abdruck häufig noch verändert werden, zeigen die Beiträge im Internet ungefiltert, was die Kommentatoren aus der Bevölkerung über Menschen denken, die nicht dazu bereit sind, ihre Arbeitskraft zu jedem Preis und unter allen Bedingungen zu verkaufen.

Genau das nämlich forderten viele, die sich auf Bild.de über Dübel äußerten. Selbst Krankheit und Alter wurden dabei nicht mildernd berücksichtigt. So empfahlen gnädige Bild-Leser, der Mann solle zum »Pappe aufheben im Park« verpflichtet werden oder Einkaufswagen einsammeln. Andere wünschten, er solle im Winter unter Brücken schlafen oder »ganz weggesperrt« werden. »Auf die Straße mit dem Arbeitsverweigerer, der hat nichts anderes verdient«, urteilte eine Person. Schon in der Wortwahl wird deutlich, dass es den meisten Usern um Sanktionierung und Repression ging. Doch Bild-Leser haben auch ein Herz. »Der arme Hund. Der kann doch nichts dafür«, litt ein Schreiber beispielsweise mit Dübels Haustier.

Häufig verwiesen diejenigen, die sich besonders bei der Hetze gegen den Mann hervortaten, darauf, dass sie auch arbeiteten, ohne staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. »Also, ich gehe gerne jeden Morgen arbeiten und bin nicht neidisch auf solche Schmarotzer wie Dübel«, lautet ein repräsentativer Satz. Einige betonten stolz, keine ALG-II-Empfänger in ihrem Freundeskreis zu haben. Manche fanden es besonders verabscheuungswürdig, dass Dübel mit seinem Verhalten »die ehr­lichen und anständigen Arbeitslosen« verunglimpfe.

»Wer Gesetze zu seinem Lebensunterhalt in Anspruch nehmen will, muss sich an die Regeln dieser Gesetze halten«, lautete eine gängige Auffassung. Zwar führten wenige Leser Konventionen und Gesetze an, die es verbieten, einen offensichtlich kranken Mittfünfziger mittellos auf die Straße zu setzen. Andere Kommentatoren sahen denn auch gerade in der Existenz solcher Bestimmungen einen schweren Fehler des Sozialstaats. Häufig endeten solche Postings mit den Worten: »Armes Deutschland!«

Baron und Steinwachs haben eine ergiebige Übersicht geliefert. Doch so begrüßenswert ihr Ansatz ist, die Rolle der Bild-Leser in den Mittelpunkt ihre Untersuchung zu rücken und damit die plumpe These zu hinterfragen, das Boulevardblatt betreibe Manipulation von oben, so fragwürdig bleiben ihre weiteren Erklärungen. Sie interpretieren die Hassbotschaften, die sich gegen Dübel richteten, als ein Beispiel von »Klassismus«, einer Diskriminierung von Erwerbslosen durch Lohnabhängige. Allerdings ist diese Klassifizierung in zweifacher Hinsicht fragwürdig.

So dürften zu den Kommentatoren auf Bild.de auch pflichtbewusste Erwerbslose gehören, die ihre ständige Suche nach Lohnarbeit von jemandem wie Dübel lächerlich gemacht sehen. Davon zeugt die Empörung über die vermeintliche Verunglimpfung »ehrlicher und anständiger Arbeitsloser«. Andererseits finden sich unter den Empfängern von ALG II immer mehr Menschen, deren Lohnarbeit nicht mehr ihre Lebenskosten deckt und die daher staatliche Unterstützung benötigen.

Zu diesem Ergebnis kommt eine im Juni veröffentlichte Studie des DGB. Demnach ist das Verarmungsrisiko für Erwerbstätige in den vergangenen Jahren gestiegen und weist zudem regionale Unterschiede auf. In den alten Bundesländern waren Ende 2011 durchschnittlich fast 29 Prozent der ALG-II-Empfänger erwerbstätig. Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR war es fast ein Drittel. In Brandenburg, Sachsen und Thüringen ist sogar mehr als ein Drittel von ihnen berufstätig. Zwischen 2007 und 2010 stieg die Zahl der Haushalte mit mindestens einem erwerbstätigen Empfänger von ALG II in den alten Bundesländern um 14 Prozent, in Ostdeutschland um elf Prozent. Am stärksten war der Anstieg in Berlin. Aber in Bremen, Hessen und Hamburg ist die Zahl der sogenannten Aufstocker ebenfalls stark gestiegen.

Auch sie werden häufig den »Transferbeziehern« zugerechnet und in abwertender Weise den Lohnabhängigen gegenübergestellt, die ohne staatliche Unterstützung auskommen. Der Begriff des Sozialchauvinismus, mit dem linke Gruppen diese Art der Diffamierung in jüngster Zeit häufiger bezeichnen, ist treffender, als von »Klassismus« zu sprechen, denn er umfasst die Aversion gegen die »Transferbezieher«, die eine zentrale Rolle spielt. Der Sozialchauvinismus kann dabei ALG-II-Empfänger mit und ohne Lohnarbeit genauso treffen wie einen Staat wie Griechenland und seine Bevölkerung. Es ist kein Zufall, dass sich auch hier Bild besonders dabei hervortut, vorhandene Stimmungen zu verstärken.
http://jungle-world.com/artikel/2012/28/45835.html
Erwiderung von Andreas Kemper:
http://andreaskemper.wordpress.com/2012/09/24/sozialchauvinismus-oder-klassismus/
Peter Nowak

Bundessozialgericht kippt Hartz IV-Sätze nicht

In einer aktuellen Entscheidung bewertet das Gericht die Hartz IV-Sätze als mit dem Grundgesetz vereinbar

Geklagt hatte eine arbeitslose 54-jährige Frau, die im Raum Mannheim allein in einer Mietwohnung lebt. Sie hält den Hartz-IV-Satz für Erwachsene von derzeit 374 Euro pro Monat für zu niedrig und forderte rund 1.000 Euro. Andernfalls seien ihre Menschenwürde und das Sozialstaatsprinzip verletzt. Bereits das Landessozialgericht Baden-Württemberg hatte ihre Klage 2011 abgelehnt. Das vom Gesetzgeber gewählte Statistikmodell, das auf den Verbrauch der 15 Prozent niedrigsten Verdiener in Deutschland abstellt, sei zulässig. Abschläge für chemische Reinigung, Färben der Kleidung, aber auch für Alkohol seien vertretbar, so die Richter. Weil die Frau in Revision ging, musste sich nun erstmals das Bundessozialgericht in einem Piloturteil mit den Hartz IV-Sätzen befassen.

Hoffnungen auf Bundesverfassungsgericht?
Auch einige Erwerbslosengruppen machten sich große Hoffnungen, dass die neuen Hartz IV-Sätze juristisch zu Fall gebracht werden könnten. Ihre Hauptargumente lauteten, bei den neuen Hartz-Sätzen seien als Vergleichsmaßstab statt vorher 20 Prozent nur 15 % der Bevölkerung mit niedrigem Einkommen herangezogen worden. Sie sind daher anders, als es das Bundesverfassungsgericht 2010 in seinen Urteil gefordert hatte, nicht nachvollziehbar und transparent errechnet worden.

Zudem seien in dieser Gruppe auch Menschen im Niedriglohnsektor vertreten gewesen, denen eigentlich Leistungen nach Hartz IV zustehen, die aber diese Leistungen nicht beantragen. Auf diese Weise wurde der Satz künstlich niedriger berechnet. Zudem halten es die Erwerbslosengruppen nicht für plausibel, dass ein Essen im Restaurant oder Geld für Schnittblumen oder alkoholische Getränke nach dem Willen der Bundesregierung nicht mehr zu den Posten gehören sollen, die aus dem Regelsatz für Hartz-IV-Bezieher bezahlt werden. Damit werde der Grundsatz verletzt, dass das Existenzminimum auch die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen ermöglichen müsse.

Dieser Lesart ist das Bundessozialgericht nicht gefolgt und steht jetzt in der Kritik von Erwerbslosenaktiven. So moniert Martin Behrsing vom (Erwerbslosenforum Deutschland

„Das Bundessozialgericht (BSG) hält die sogenannte Hartz-IV-Reform von 2011 und die damit verbundene Armut verfassungsgemäß.“

Behrsing wirft den Kassler Richtern vor, „kaum etwas mit den Realitäten der Hartz IV-Armut zu tun zu haben“. Allerdings war es von Anfang auch unter aktiven Erwerbslosen umstritten, mangels einer durchsetzungsstarken Bewegung auf die Richter zu setzen. Doch noch sind die Hoffnungen auch bei den Erwerbslosen, die auf den Rechtsweg setzen, nicht ganz geschwunden.

Schließlich muss sich auch das Bundesverfassungsgericht noch mit den Hartz IV-Sätzen befassen. Denn Ende April hatte die 55. Kammer des Sozialgerichts Berlin die Position vertreten, dass die Hartz-IV-Sätze derzeit für Erwachsene um 36 Euro im Monat zu niedrig liegen. Richter Georg Rudnik hat daher seinerseits das Bundesverfassungsgericht um Prüfung gebeten (Hartz IV beschäftigt weiter die Gerichte). Die Karlsruher Richter sind nicht von den Entscheidungen der Kasseler Kollegen abhängig. Allerdings beobachten sie die Rechtssprechung und können sich mit ihrer Entscheidung Zeit lassen. So mag der Richterspruch aus Kassel nicht alle Hoffnungen auf ein juristisches Aus der Hartz-IV-Sätze bedeuten, ein Dämpfer ist er allemal.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152382
Peter Nowak

Bundeswehr-Geböbnis: mit Pomp und Demo

MILITÄR Zum ersten Mal seit drei Jahren rufen Kritiker des Bundeswehr-Gelöbnisses zum Protest
Mit viel Pomp wird die Bundeswehr auch am diesjährigen 20. Juli ihr Gelöbnis im Bendlerblock in Tiergarten zelebrieren. Allerdings melden sich zum ersten Mal seit drei Jahren auch die KritikerInnen wieder zu Wort: Bereits um 17 Uhr ruft das „Berliner Bündnis gegen Krieg und Militarisierung“ ab Heinrich-Heine-Platz zu einer Demo unter dem Motto „Krieg beginnt hier – Widerstand auch“ auf.

Die Demo führt an verschiedenen Orten vorbei, die mit Krieg und Rüstung zu tun, so Bündnissprecherin Alina Meyer. Dazu soll neben den Sitzen des Bundesverbands der Deutschen Industrie und dem Auswärtigen Amt auch das Jobcenter Kreuzberg gehören. In der Nähe soll mit einer Rede darauf hingewiesen werden, dass die Bundeswehr nach der Abschaffung der Wehrpflicht dazu übergeht, in Jobcentern für Berufe bei der Armee zu werben.

Mit der Demo knüpft das Bündnis an die 1990er Jahre an, als die Proteste gegen das Gelöbnis noch einen wichtigeren Stellenwert in der linken Terminplanung hatten. Mehrere tausend Menschen hatten sich damals daran beteiligt. Mit der Zeit ging die Anzahl der TeilnehmerInnen jedoch massiv zurück.

„Wir wissen, was wir wollen – nämlich der heroischen Selbstinszenierung der Bundeswehr entgegentreten“, sagt diesmal jedoch Frank Brendle vom Büro für antimilitaristische Maßnahmen. Das Büro wird am Abend des 20. Juli am Kreuzberger Heinrichplatz eine satirische Videokundgebung veranstalten. Unter dem Motto „Spott und Hohn der Bundeswehr“ werden satirische Filmschnipsel zum Thema Militär unter anderem mit Charlie Chaplin, Monty Python sowie Erich Mühsam geboten – jeweils vertont von der Punkband Slime.

„Auch wenn der Protest gegen das Gelöbnis momentan keine Massen anzieht, kann das für uns kein Grund sein, unsere Anti-Kriegs-Positionen in der Öffentlichkeit nicht deutlich zu artikulieren“, betont Alina Meyer vom Demo-Bündnis.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/
?ressort=bl&dig=2012%2F07%2F13%2Fa0195&cHash=7006de1829
Peter Nowak

Eine Frage des Selbstverständnisses

Dürfen linke Anwälte Neonazis verteidigen? Ein Fall in Freiburg sorgt für heftige Debatten
Eine Anwältin aus dem linken Spektrum hat ihr Umfeld gegen sich aufgebracht, weil sie einen Neonazi gerichtlich vertritt. Dieser soll einen jungen Antifaschisten schwer verletzt haben. Die Diskussion in Freiburg berührt Grundsatzfragen des linken Selbstverständnisses.

Das Verfahren gegen den Neonazi Florian S. sorgt seit Wochen für Aufmerksamkeit. Der 30-jährige Versicherungsvertreter ist vor dem Freiburger Landgericht wegen versuchten Totschlags angeklagt. Er wird beschuldigt, am 1. Oktober 2011 einen 21-jährigen Antifaschisten angefahren und schwer verletzt zu haben. Morgen soll das Urteil gesprochen werden.

Linke Gruppen gehen davon aus, dass S. mit voller Absicht in eine Gruppe Antifaschisten gerast sei und verweisen auf dessen Facebook-Seite, auf der er sich in Vernichtungsfantasien gegen politische Gegner ergehe. So habe er dort angekündigt, nur darauf zu warten, von Antifaschisten angegriffen zu werden, um sie dann »in Notwehr die Klinge fressen zu lassen«.

Kurz nach Beginn des Verfahrens landete der Angeklagte einen Coup, der nun in linken Kreisen für Streit sorgt. So behauptete Florian S., aus der Naziszene ausgestiegen zu sein und feuerte seine bisherige Anwältin Nicole Schneider, die in rechten Kreisen einen guten Namen hat. Zu seinem neuen Verteidigerteam gehört die junge Anwältin Tina Gröbmayr, bis dahin Sprecherin der Grünen Alternative Freiburg (GAF), einer linken Abspaltung der lokalen Grünen. Als Studentin war sie aktiv beim Arbeitskreis Kritischer Juristen (akj). Ihr neuer Job bringt nicht nur mit sich, Entlastendes für ihren Mandanten zu suchen, sondern könnte auch bedeuten, die Antifas in ein schlechtes Licht zu rücken, wenn es der Verteidigung dient. Gröbmayrs politisches Umfeld reagierte entsetzt.

Vier Vorstandskollegen traten nach dem Bekanntwerden der Mandatsübernahme zurück, ein Ex-Vorstandsvorsitzender ganz aus der Gruppierung aus. Auch die beiden GAF-Stadträte haben kein Verständnis für die Entscheidung, so dass Gröbmayr inzwischen ihren Sprecherposten abgeben musste. Die Vorwürfe weist sie jedoch zurück. In Interviews erklärte sie, sie sei vor allem Anwältin, persönliche politische Auffassungen spielten dabei keine Rolle.

Auch beim Arbeitskreis Kritischer Juristen löste Gröbmayrs Entscheidung kontroverse Diskussionen aus. Erst Anfang Juli trat sie dort als Referentin auf. Eine Distanzierung lehnt der akj aber ab. In einer differenzieren Stellungnahme wird betont, dass es nachvollziehbare Gründe für und gegen die Verteidigung eines Neonazis gebe. »Der akj Freiburg bekennt sich ausdrücklich zur aktiven Ablehnung faschistischen Denkens und Handelns. Gleichzeitig bekennen wir uns zum Recht eines jeden Menschen auf ein faires Verfahren und eine bestmögliche Verteidigung. Hierin sehen wir keinen unüberwindbaren Widerspruch, sondern ein im Einzelfall aufzulösendes Spannungsfeld«, heißt es in der Erklärung.

Der akj sieht bei manchen Kritikern die Grenze zur Diffamierung überschritten. Dabei bezieht er sich auf Texte auf der linken Internetplattform Indymedia-Linksunten, in denen die Anwältin als Naziverteidigerin tituliert wurde. Allerdings finden sich auch dort abwägende Stimmen. »Natürlich ist es ein zivilisatorischer Fortschritt, dass im Rechtsstaat BRD – bei aller gut begründbaren Kritik an der deutschen Justiz – jeder Angeklagte einen Anwalt hinzuziehen kann. Allerdings bedeutet dies im Umkehrschluss nicht, dass jeder Anwalt jedes Mandat annehmen muss«, ist in einem Beitrag zu lesen. Das sehen auch andere linke Anwälte so. Für viele kommt eine Verteidigung von Neonazis oder auch mutmaßlichen Vergewaltigern nicht infrage. Auch im akj geht die Debatte weiter. »Für mich persönlich ist eine Mitgliedschaft im akj sowie mein Selbstverständnis als linker Anwalt nicht vereinbar damit, einen Neonazi wegen einer neofaschistisch motivierten Tat zu verteidigen«, sagt der Berliner Rechtsanwalt Martin Henselmann gegenüber »nd«.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/232284.eine-frage-des-selbstverstaendnisses.html
Peter Nowak

Deutscher Ökonomenkrieg

Der offene Streit unter Wirtschaftswissenschaftlern markiert eine zunehmende Uneinigkeit innerhalb der deutschen Eliten über die Europapolitik

„Der Aufruf baut ein Schreckgespenst auf und schürt Furcht. Der Öffentlichkeit, die nach Orientierung verlangt, und der Politik, die in schwierigen Entscheidungssituationen Kurs zu halten versucht, wird damit nicht geholfen.“ Dieses harsche Urteil erheben bekannte deutsche Ökonomen, die sich ganz selbstverständlich als Politikberater und Sinnstifter sehen, in einem Offenen Brief. Ihre Adressaten sind ebenso bekannte Ökonomen, die genau wie sie den Anspruch erheben, die deutsche Wirtschaft retten zu wollen.

Deutscher Stammtisch

Der wohl von Hans-Werner Sinn verfasste und von 200 anderen Wirtschaftswissenschaftlern unterzeichnete Brief hat im Sommerloch, großen Wirbel verursacht. Adressiert war er an die „Lieben Mitbürger“, in ihm wurden die als Beitrag zur Eurorettung bezeichneten Entscheidungen des EU-Gipfels von Brüssel für falsch erklärt – richtiger wäre gewesen, sie hätten geschrieben, sie seien nicht in deutschem Interesse, wie sie es verstehen.

Dabei sparen die Verfasser nicht mit populistischen Klischees. So heißt es dort: „Die Steuerzahler, Rentner und Sparer der bislang noch soliden Länder Europas dürfen für die Absicherung dieser Schulden nicht in Haftung genommen werden.“ Nicht dem Euro und dem europäischen Gedanken werde mit den Beschlüssen geholfen, statt dessen „der Wallstreet, der City of London, auch einigen Investoren in Deutschland“.

Solche Formulierungen lesen sich, als hätten die Verfasser das Programm für eine rechtspopulistische Partei schreiben wollen, die einen vermeintlich soliden Mittelstand von ausländischen Banken in die Zange genommen sieht. Nun gibt es seit Monaten Versuche, eine solche Partei aus der Taufe zu heben. Da es dort aber viele Personen wie Hans-Olaf Henkel etc. mit einen großen Ego gibt, ist noch nicht klar, ob sie sich auf eine gemeinsame Kandidatur einigen können. Im Gespräch ist eine bundesweite Kandidatur der Freien Wähler, aber bis zu den Wahlen kann es auch noch andere Konstellationen geben. Der Brief der Ökonomen ist Wasser auf die Mühlen aller, die die „solide deutsche Wirtschaft“ von verantwortungslosen Mit-Europäern retten wollen.

Der Text wendet sich explizit an Sparer und Rentner, die dann gemeinsam mit Mittelstandsfunktionären und Teilen der Elite eine Abkehr von Europa und ein Zurück zur DM als letztes Mittel propagieren könnten. Diese Intervention macht deutlich, dass es mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft eine Strömung gibt, die die deutschen Interessen nicht mehr nur im Euro vertreten sieht und durchaus auch eine Rückkehr zur DM mit allen Konsequenzen in Kauf nimmt. Demgegenüber sind die Kritiker dieser Position der Meinung, dass der Standort Deutschland weiterhin nur mit dem Euro gestärkt werden könne. Sie fürchten das Entstehen einer populistischen Bewegung gegen den Euro oder zumindest gegen die weitere Abgabe von Kompetenzen an EU-Gremien und sehen darin eher Nachteile für den Standort Deutschland, den zu stärken beide Fraktionen als ihre Aufgabe sehen.

Streit unter bürgerlichen Ökonomen

Interessant ist, dass sich im aktuellen Ökonomenkrieg auf beiden Seiten der Barrikade Wirtschaftswissenschaftler tummeln, die in den vergangenen Jahren für massive Kürzungen von Sozialleistungen, für die Agenda 2010 und andere Maßnahmen zur Stärkung des Standorts Deutschland eingetreten sind. Mehrere von ihnen haben ihre wissenschaftliche Reputation der Initiative Soziale Marktwirtschaft zur Verfügung gestellt. Dazu gehört der auch als [http.//www.ftd.de/politik/europa/:der-boulevardprofessor/180714.html Boulevardprofessor] bezeichnete Hans-Werner Sinn ebenso wie sein aktueller Antipode Thomas Straubhaar.

Den Brief der Euro-Verteidiger haben auch einige gewerkschaftsnahe Ökonomen wie Peter Bofinger und Gustav Horn unterschrieben. Sie haben sich beim Streit der Ökonomen gegen populistische Positionen gestellt, wie sie in dem von Sinn verfassten Brief zum Ausdruck kommen. Aber eine eigenständige Positionierung, die die Interessen der Lohnabhängigen im EU-Raum ohne Bezüge zu Standortrettungen zum Ausdruck bringt, kommt in beiden Briefen nicht vor.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152351
Peter Nowak

„Es ist noch vieles aufzuarbeiten


NS-ZEIT Ein Buch informiert über Arbeitsverweigerungen von ZwangsarbeiterInnen in Berlin. Das Interesse am Thema sei vorhanden, sagt Herausgeber Stefan Heinz. Jetzt müsse die Forschung an den Unis verankert werden

INTERVIEW PETER NOWAK

taz: Herr Heinz, der Titel des von Ihnen herausgegebenen Buchs lautet „Der vergessene Widerstand der Arbeiter“. Aber gab es nicht in den 70er- und 80er-Jahren eine Hinwendung zur Geschichte der Arbeiterbewegung und auch des Widerstands?

Stefan Heinz: Einige Widerstandsgruppen sind in der Tat wieder in Vergessenheit geraten. Andere waren bis vor kurzem vergessen oder sind es noch immer. Während DDR-Historiker auf den KPD-Widerstand fixiert blieben, wurden in der Bundesrepublik ab den 70er-Jahren Vorstöße von meist jüngeren Leuten gemacht, Fragen zur Arbeiterbewegung und deren Widerstand gegen das NS-Regime zu thematisieren. Zuvor beschäftigte sich dort die Öffentlichkeit fast ausschließlich mit dem Widerstand konservativer Kreise um den 20. Juli 1944 und der Kirchen. Nach 1989/90 entstand die kuriose Situation, dass bisher nicht zugängliche Archivakten neue Forschungen ermöglicht hätten, die finanzielle Förderung für entsprechende Projekte aber zurückgefahren wurde. Dies entsprach einer Erinnerungskultur, in der linker Arbeiterwiderstand, gerade weil er sich zum Teil als revolutionär verstand, schlicht nicht mehr angesagt war.

In den 90er-Jahren vertraten auch manche linke Historiker die These, dass der Großteil der ArbeiterInnen loyal zum NS-System stand und nur eine verschwindende Minderheit Widerstand leistete. Können das Ihre Forschungen bestätigen?

Ich denke zum einen, dass loyales Verhalten schwer messbar ist, wenn alle, die mit der NS-Politik nicht einverstanden waren, damit rechnen mussten, mundtot gemacht zu werden. Denk- und Verhaltensweisen in der Arbeiterschaft stehen im Widerspruch zur NS-Propaganda einer vereinten „Volksgemeinschaft“. Zum anderen bedeutete Nichtzustimmung keineswegs automatisch widerständiges Handeln, das nur eine Minderheit praktizierte. Wenn zeitliche Phasen betrachtet werden, wird man oft unterschiedliches Verhalten in ein und derselben Person entdecken. Fakt ist, der Arbeiterwiderstand begann schon 1933 und hatte die meisten Verluste zu beklagen. Umfang und Intensität der illegalen Aktivitäten, vor allem von Gewerkschaftern, werden erheblich unterschätzt.

Ein Aufsatz beschäftigt sich am Beispiel von Erich Wollenberg auch mit im Stalinismus verfolgten Kommunisten. Welchen Stellenwert hat das Thema in der Forschung zur Arbeiterbewegung?

Es gibt mehrere Projekte, die sich mit der Verfolgung von Kommunisten im sowjetischen Exil beschäftigen. Diese und andere Forschungen sind wichtig, da auch in diesem Bereich vieles aufzuarbeiten ist. Allerdings sollte darauf geachtet werden, die Funktion von Repression und Gewalt in die Besonderheiten eines politischen Systems einzuordnen, um falsche Gleichsetzungen zwischen Stalins Herrschaft und dem NS-Regime zu vermeiden.

In einem Kapitel beschäftigt sich die Historikerin Gisela Wenzel mit dem Widerstand von in Berlin lebenden polnischen StaatsbürgerInnen. Obwohl die Recherchen weit zurückreichen, ist das Thema kaum bekannt. Wo sehen Sie die Gründe?

Wie Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene haben solche Gruppen kaum eine Lobby, der es ein Bedürfnis ist, sich in ihre Tradition zu stellen und ein Gedenken zu pflegen. Im Vergleich zum Kreis des 20. Juli 1944 war bei diesen Widerständlern eine späte Gewissensentscheidung gar nicht nötig, da sie nie mit den Nazis sympathisiert hatten. Auch hinterließen sie wenig Selbstzeugnisse. Das macht sie für manche uninteressant.

Welche weiteren Aufgaben sehen Sie für die Forschung zum ArbeiterInnenwiderstand in Zukunft?

Es gibt noch sehr viel in den Archiven zu erforschen. Erfreulicherweise wächst das Interesse am Thema bei Studierenden derzeit wieder. Dies belegen auch einige Beiträge in dem Sammelband. Dieses Interesse zu fördern, an den Unis zu verankern und mit einer Gedenkkultur zu verbinden, ist die wichtigste Aufgabe und eine Herausforderung zugleich.

Hans Coppi/Stefan Heinz (Hrsg.): „Der vergessene Widerstand der Arbeiter. Gewerkschafter, Kommunisten, Sozialdemokraten, Trotzkisten, Anarchisten und Zwangsarbeiter“. dietz Verlag, Berlin 2012, 383 Seiten, 29,90 Euro



Stefan Heinz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsstelle „Nationale und Internationale Gewerkschaftspolitik“ am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der FU Berlin

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig
=2012%2F07%2F07%2Fa0231&cHash=ba7ae1e0de

Interview: Peter Nowak

Erneut Verfassungskrise in Rumänien

Der Machtkampf zwischen Anhängern und Gegnern des Präsidenten Basescu spitzt sich zu

Höhepunkt ist die geplante Amtsenthebung des konservativen Präsidenten Basescu durch die sozialliberale Regierungskoalition um Ministerpräsident Ponto. In der letzten Woche waren schon die Präsidenten von Senat und Abgeordnetenhaus ausgetauscht worden. Auch hier waren dem Präsidenten nahestehende Personen abgewählt und durch Parteigänger der Regierung ersetzt worden.

In manchen Medien wird von einem stillen Putsch gesprochen. Vergleiche mit Paraguay wurden gezogen, wo auch kürzlich eine Parlamentsmehrheit einen gewählten Präsidenten absetzte. Während es sich allerdings in Paraguay um einen sozialen Konflikt handelte – für die Grundbesitzer war der Präsident zu sehr der Campesinobewegung verbunden -, hat die Verfassungskrise in Rumänien vor allem machtpolitische Gründe.

Seit Jahren stehen sich zwei Machtblöcke gegenüber, die die Marktwirtschaft bedingungslos verteidigen. Auf der einen Seite stehen die Sozialdemokraten, die sich aus der nominal Kommunistischen Partei gebildet haben, auf der anderen Seite stehen Teile des bürgerlichen Lagers, das sich teilweise aus der Opposition gegen das nominalsozialistische Regime herausgebildet hat. Es ist denn auch eher diese unterschiedliche Herkunft und weniger die konkreten politischen Unterschiede, die den Machtkampf in Rumänien bestimmen.

Verdacht auf Wahlbetrug

Eine Schlüsselrolle spielt dabei der machtbewusste Präsident Traian Basescu, der ebenfalls seit Jahren sein Amt mit allen Mitteln verteidigt. Bei den letzten Wahlen im Jahr 2009 siegte er mit einem hauchdünnen Vorsprung vor den Kandidaten der vereinigten Opposition. Manche Beobachter sprachen sogar von Wahlbetrug. Seit Jahren gab sich der Präsident als Populist, der öfter die Beschlüsse des Parlaments ignorierte und sich dabei auf die Bevölkerung berief.

Weil sich Basescu auch mit Weggefährten aus dem bürgerlichen Lager zerstritten hatte, bildete sich ein Bündnis aus Sozialdemokraten und Nationalliberalen, das einen betont EU-freundlichen Kurs steuerte. Basescu hatte aus taktischen Gründen hingegen mittlerweile EU-kritische Töne angeschlagen, was vor allem in den ländlichen Regionen Rumäniens auf Sympathie stieß.

Die aktuelle Zuspitzung des schon jahrelang schwelenden rumänischen Machtkampfs wurde vom Sturz der konservativen Regierung im Mai durch ein Misstrauensvotum im Parlament ausgelöst. Daraufhin übernahm die Koalition der Präsidentenkritiker die Regierung und machten sich sofort an die Arbeit, den Präsidenten zu entmachten. Eine Zusammenarbeit wie in Frankreich scheint in Rumänien wegen persönlicher Feindschaften der Spitzenpolitiker schwer denkbar.

Endgültige Niederlage des Präsidenten längst nicht sicher

Doch ob nicht am Ende wieder Basescu über seine Gegner triumphiert, ist noch längst nicht ausgemacht. Er könnte wie bei der Wahl 2009 am Ende doch als Verlierer dastehen. Denn nach einer Niederlage im Parlament muss der Präsident sein Amt sofort aufgeben. Allerdings muss innerhalb von 30 Tagen ein Referendum abgehalten werden. Damit könnte Basescu an die Macht zurückkommen.

Allerdings hat die sozialliberale Regierung die Hürden für eine erfolgreiche Ablösung des Präsidenten gesenkt. Jetzt reicht eine Mehrheit der abgegebenen Ja-Stimmen für eine Absetzung des Präsidenten. Vorher mussten die Wahlberechtigten zustimmen. An dieser hohen Hürde ist bereits 2007 ein Abwahlverfahren gegen Basescu gescheitert. Auch die Eingriffsmöglichkeiten des Verfassungsgerichts wurden reduziert. Dieser Machtkampf ist allerdings kein stiller Putsch, wie es auch in einigen Medien hierzulande interpretiert wird. Es ist vielmehr ein relativ normales Prozedere in einer bürgerlichen Demokratie, dass neue Mehrheiten im Parlament auch personelle Konsequenzen nach sich ziehen, zumal in einer Situation wie in Rumänien, wo die innenpolitische Situation so polarisiert ist.

Die zahlreichen Elemente der Volksabstimmung und Referenden, die in der rumänischen Verfassung existieren, werden von manchen Verfechtern der direkten Demokratie gar als Fortschritt gegenüber der Situation in Deutschland gesehen. Allerdings wird am Beispiel der rumänischen Innenpolitik auch deutlich, dass diese Instrumente für populistische Spiele verfeindeter Machtpolitiker und Machtblöcke genutzt werden können. Die Bevölkerung, die vor einigen Monaten mit Protesten auf sich aufmerksam machte, bleibt dabei weitgehend ausgeschlossen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152342
Peter Nowak