Steuerrecht als Verfassungsschutz?

Nichtregierungsorganisationen befürchten, dass ihnen die Gemeinnützigkeit mittels Steuerrecht aberkannt werden könnte

Änderungen im Steuerrecht interessieren in der Regel nur Fachpolitiker und Experten. Doch die im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2013 geplante Änderung des § 51 Abs. 3 AO sorgt schon im Vorfeld für heftige Debatten. In einen offenen Brief, den 60 Nichtregierungsorganisationen von Attac-Deutschland bis Robin Wood unterschrieben haben, wird unmissverständlich gefordert:

„Wir rufen Sie dazu auf, Ihre Stimme dem Gesetzesvorhaben zu verwehren und sich darüber hinaus für die ersatzlose Streichung des § 51 Abs. 3 AO einzusetzen!“

In der inkriminierten Klausel hieß es bisher: „Bei Körperschaften, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt sind, ist widerlegbar davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des Satzes 1 nicht erfüllt sind.“ Nun soll ein Wörtchen gestrichen worden, was nach Meinung der Unterzeichner des Offenen Briefes gravierende Folgen haben könnte:

„Durch die in der Gesetzesvorlage vorgesehene Streichung des Wortes ‚widerlegbar‘ würde, bei (auch unbestimmter) Nennung einer als gemeinnützig anerkannten Organisation in einem der 17 jährlich veröffentlichten Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Länder, bei den Finanzämtern der Automatismus einer Versagung der Steuervergünstigungen ausgelöst. Der bisherige Ermessensspielraum der Finanzämter vor Ort entfiele ebenso wie die Möglichkeit der betroffenen Organisation, bei Finanzgerichten Rechtsschutz zu suchen.“

Juristische Grauzone

Neben der kleinen Änderung mit möglicherweise großen Folgen kritisieren die NGO den 2009 eingeführten § 51 Abs. 3 AO generell. Er bewege sich in einer juristischen Grauzone, da der verwendete Begriff „Extremismus“ ein unbestimmter Rechtsbegriff sei, so die Kritiker. Mehrere Gutachter, darunter ein vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages erstelltes, sind zu dem Schluss gekommen, dass die vom Verfassungsschutz verwendete Bezeichnung „Extremismus“ kein definierter Rechtsbegriff ist. Er werde in keinem einzigen Gesetzestext verwendet – mit Ausnahme des Steuerrechts.

Schon in der Vergangenheit gab es Versuche, Nichtregierungsorganisationen die Gemeinnützigkeit mittels Steuerrecht abzuerkennen. Betroffen davon war unter anderem die Informationsstelle Militarisierung e.V. in Tübingen, aber auch Anti-AKW-Initiativen mussten die Disziplinierung durch den Fiskus fürchten. Bisher sind solche Versuche nach öffentlichen Protesten schnell wieder aufgegeben worden. Ob der aktuelle Vorstoß auch ein so schnelles Ende findet, wird sich zeigen. Er ist ein Versuch, Nichtregierungsorganisationen auf staatliche Politiken auszurichten und hat disziplinierenden Charakter. Wer befürchten muss, durch den Kontakt zu einer missliebigen Initiative die Gemeinnützigkeit zu verlieren, woran die Existenz mancher Gruppe hängt, wird im Zweifel solche Kontakte unterlassen So wie die auch juristisch und politisch umstrittene Extremismusklausel ist auch der Verfassungsschutz mittels Steuerrecht Teil einer staatlichen Disziplinierungsstrategie, die in unterschiedlichen Formen in allen europäischen Ländern angewandt wird.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152296
Peter Nowak


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