Zur Abschaffung der Leiharbeit

Die Berliner Journalisten Andreas Förster, Holger Marcks widmen sich in ihrem gerade im Unrast-Verlag erschienen Büchlein „Zur Abschaffung der Leiharbeit“ mit dem eigentlichen Boom-Sektor in der deutschen Wirtschaft.
Die ökonomischen Rahmenbedingungen dafür werden in mehreren Kapiteln nicht nur in Deutschland nachgezeichnet. Matthias Seiffert untersucht die Bedingungen für die Leiharbeit im EU-Raum. Bisher ist Griechenland mit 0,1 % der Leiharbeiter noch ein Schlusslicht. Das dürfte sich mit der Etablierung eines EU-Krisenprotektorats für das Land ändern.
Mehrere Kapitel widmen sich den gewerkschaftlichen Diskussionen zur Leiharbeit. So hat das von der IG-Metall initiierte Netzwerk „ZeitarbeiterInnen – ohne Organisation machtlos“ (ZOOM) die Parole “Leiharbeit fair gestalten“ durch die Forderung „Gleiche Arbeit – gleiches Geld“ ersetzt. Der Münsteraner Soziologe Torsten Bewernitz gibt einen kurzen Überblick über Widerstandsaktionen gegen die Leiharbeit in Deutschland. Er erwähnt Proteste gegen die Leiharbeitsmessen und Jobbörsen, geht auf Leiharbeitsspaziergänge ein, bei denen bekannte Firmen aufgesucht wurden und erinnert an dem Streik bei einer Leiharbeitsfirma in Frankfurt/Main im Dezember 2005. Das Büchlein gibt einen guten Überblick über die Debatte.
http://medien-kunst-industrie.bb.verdi.de/sprachrohr/#ausgaben-2012
Peter Nowak

Andreas Förster, Holger Marcks (Hg.), Knecht zweier Herren
Zur Abschaffung der Leiharbeit, Münster November 2011,
ISBN: 978-3-89771-112-9Ausstattung: br., 78 Seiten, 7.80 Euro

Die trüben Quellen des Thilo Sarrazin

Die von dem ehemaligen Berliner Senator und späteren Vorstandsmitglied der Deutschen Bank Thilo Sarrazin mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ ausgelöste Debatte ist mittlerweile fast 15 Monate alt. Das von dem Autorenduo Thomas Wagner und Martin Zander verfasste Büchlein ist trotzdem noch mit Gewinn zu lesen.

In 12 gut lesbaren Kapiteln spüren sie den ideologischen Quellen nach, denen sich Sarrazin bediente. Darunter befinden sich die USA-Autoren Richard Herrnstein und Charles Murray, die 1994 mit ihrem in rechtslastigen Kreisen gefeiertem Buch „Die Glockenkurve“ die These von der genetisch vererbbaren Intelligenz verbreiteten Statt Programme zur Bekämpfung von Armut forderten sie mehr staatlichen Druck auf die Armen. Damit sprechen sie auch vielen Sarrazin-Fans aus dem Herzen. Eine weitere seiner trüben Quellen ist der Humangenetiker Volkmar Weiss, der bisher als Autor verschiedener rechtslastiger Zeitungen und als von der sächsischen NPD-Fraktion als Gutachachter in die Enquetekommission zur demographischen Entwicklung Deutschlands berufene Experte seine Thesen verbreite. Mit der Sarrazin-Debatte wurden sie auch in der Mitte der Gesellschaft verbreitet. Wagner und Zander sensibilisieren ihre Leser dafür.

„Die trüben Quellen des Thilo Sarrazin“ weiterlesen

Eine weitere liberale Partei?

Ein Kommentar zur möglichen Entwicklung der Piraten

Für eine Partei, die gerade mal in zwei Landtagen sitzt, war das Medieninteresse beim Parteitag der Piraten am Wochenende in Neumünster enorm. Der vor allem in Umfragen prognostizierte Höhenflug, der die Partei zur drittstärksten aufsteigen ließ, war sicher ein Grund für das große Aufgebot an Journalisten.

Doch das Hauptproblem der jungen Partei ist zur Zeit die eigene Perspektive. Die scheidende Geschäftsführerin Marina Weisband, die schon heute den Status als Petra Kelly der Piraten besitzt, hat das Problem in eine Frage gefasst: „Wohin geht die Piratenpartei? Ich weiß es nicht, und niemand hier weiß es.“

Die nächsten Wahlen werden zeigen, ob die Partei nur eine medial aufgeheizte Frühjahrsblase war oder ob sich im Zuge der digitalen Revolution – vermutlich – eine weitere liberale Partei neben der FDP und den Grünen in Deutschland etabliert. Die Piraten sind die Partei für jene Liberalen, denen die FDP zu altmodisch am klassischen Handwerker orientiert und die Grünen zu ökologisch und politisch korrekt ist. Die Schwäche der FDP war bisher einer der Hauptgründe für den Umfragehöhenflug der Piraten. Deswegen werden zur Zeit zwischen den drei liberalen Formationen auch die heftigsten Kämpfe ausgefochten. Grüne und FDP haben natürlich wenig Interesse, eine weitere Partei in ihrem Revier grasen zu lassen. Umgekehrt sind die neuen Liberalen interessiert, ihre Version als die zeitgemäße Variante des Liberalismus erscheinen zu lassen.

Daher ist es auch mehr als politische Koketterie, dass bei den Landtagswahlen in Schleswig Holstein Kandidaten ihre ehemalige FDP-Mitgliedschaft werbewirksam ins Feld führen. Eher versteckt dagegen wird Angelika Beer, die Anfang der 90er Jahre als Linksgrüne ihre Karriere begonnen hat und unter Rot-Grün die Bundeswehr lieben lernte. Das tat sie mit einer solchen Vehemenz, dass es den Grünen zu viel wurde und ihr trotz mehrerer Bemühungen eine erneute Kandidatur für die Europawahl nicht gelang. Danach hatte sie nach eigenem Bekunden genug von Intrigen und Hinterzimmerpolitik und hofft auf die Fortsetzung ihrer politische Karriere als Piraten-Landtagsabgeordnete von Schleswig Holstein.

Mit dem neuen Parteivorsitzenden Bernd Schlömer dürfte Beer in dieser Frage keine Probleme haben. Der verbeamtete Regierungsdirektor im Bundesverteidigungsministerium befürwortet ebenfalls die Bundeswehreinsätze in Kosovo und Afghanistan, hätte allerdings nach eigenen Bekunden auch keine Probleme, das Gegenteil zu vertreten, wenn es die Piratenbasis so entscheidet. Als Kompromiss könnte dann wie bei den anderen Liberalen herauskommen, Bundeswehreinsätze dann abzulehnen, wenn sie nicht im wirtschaftlichen und geopolitischen Interesse Deutschlands sind.

Schlömer, der eine weitere Professionalisierung der Partei angekündigt und eine Regierungsbeteiligung ausdrücklich nicht ausgeschlossen hat, dürfte die Entwicklung der Piraten zu einer neuen FDP beschleunigen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie hat mittlerweile auch registriert, dass sich hinter dem Freibeutersymbol Liberale verbergen, die möglicherweise für die Interessen der Lobbyverbände der Unternehmer ein offenes Ohr haben. Der BDI-Vorsitzende kann sich Gespräche mit der neuen Partei über deren Programm vorstellen und die ersten Lobbyverbände waren schon am Parteitag anwesend. Zunächst müssen die Piraten aber liefern und das Umfragehoch in konkrete Wählerstimmen bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen verwandeln.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151901
Peter Nowak

Auch in Holland wurden die Weichen vor den Wahlen gestellt

Auch in Holland wurden vor den Wahlen die EU-Sparprogramme durchgesetzt. Dabei hätte gerade ein Scheitern in diesem Land die Diskussion um eine andere EU beschleunigen können

Die holländische Regierung war zum Opfer der Eurokrise geworden. Weil die Rechtspopulisten um Geert Wilders den von Brüssel geforderten Sparkurs nicht mittragen wollte, hatte die aus Rechtsliberalen und Christdemokraten bestehende Regierung keine Mehrheit und musste Neuwahlen ausschreiben.

Allerdings sprangen mehrere kleine Parteien ein und verabschiedeten noch vor Beginn des Wahlkampfes das Sparprogramm. Neben den Regierungsparteien haben auch die Grün-Linken, die konservativen Christen-Union (CU) und der linksliberalen Partei D66 den Sparkurs unterstützt. So erhielt das Programm eine knappe Mehrheit von 77 der insgesamt 150 Parlamentssitze. Es sieht unter anderem Kürzungen bei den Renten und Sozialausgaben und eine Mehrwertsteuererhöhung vor.

Wilders hatte mit der populistischen Parole, sich lieber für die holländischen Rentner als für Brüssel zu entscheiden, die Regierungskrise ausgelöst und damit auch in den EU-Regierungen große Besorgnis ausgelöst. Holland gehört zu den Kernstaaten der EU, die immer gemeinsam mit Deutschland gegenüber den Ländern der europäischen Peripherie auf die Einhaltung der EU-Stabilitätskritierien beharrt haben.

Diskussion um eine Abkehr vom deutschen Kurs

Wenn ausgerechnet in einem solchen Land die Sparbeschlüsse scheitern, steht der EU-Sparkurs insgesamt in Frage. Diese Debatte hat in den letzten Wochen an Bedeutung gewonnen, nachdem der chancenreiche sozialdemokratische Kandidat für die französischen Präsidentschaftswahlen Hollande eine Neuaushandlung des Fiskalpaktes gefordert hat und damit auch bei den Sozialdemokraten und den Gewerkschaften vieler EU-Länder auf Zustimmung stößt.

Sofort dekretierte die Bundesregierung, dass der Fiskalpakt nicht mehr verhandelbar sei. Dabei wurde mit der Macht des Faktischen argumentiert, weil der Pakt bereits in vielen Ländern durch die Parlamente verabschiedet worden ist. Dass dabei massiver Druck gerade von Staaten wie Deutschland und Holland nötig war, wurde ebenso wenig erwähnt, wie der genauso massive Widerstand von Teilen der Bevölkerung, der vom Parlament oft ignoriert wurde. Irland, das einzige EU-Land, in dem ein Referendum über den Fiskalpakt vorgeschrieben und das Ergebnis verbindlich ist, könnte die Pläne noch kippen. Viele politische Initiativen und Gewerkschaften rufen zur Ablehnung auf. Daher ist keinesfalls klar, wie die Abstimmung am 31. Mai ausgeht.

Wenn nun in der politischen Elite der EU-Zuchtmeister, in Frankreich und Holland, Streit über die Zumutungen aufbricht, die die EU-Sparprogramme für große Teile der Bevölkerung haben, ist das natürlich Munition für die Kritiker in Irland. Eine Abstimmungsniederlage dort wiederum würde die Debatte im ganzen EU-Raum neu entfachen. Selbst bei den DGB-Gewerkschaften regt sich Widerstand.

Deshalb war die deutsche Regierung natürlich besonders interessiert daran, dass im holländischen Parlament vor den Wahlen schon einmal klare Verhältnisse geschaffen wurden. Ob nun die Rechtspopulisten um Wilders, die jetzt ihre Rolle als Verteidiger „des holländischen Rentners gegen die Brüsseler Bürokratie“ ausspielen werden, bei den Wahlen profitieren können, ist wegen innerparteilicher Querelen unklar.

Mehr Technokratie wagen

Zumindest ist allerdings die Abstimmung in Den Haag klar geworden, dass auch in den Kern-EU-Staaten – und nicht nur in Griechenland und Italien – das Prinzip gilt, dass grundlegende Weichenstellungen nicht durch Wahlen entschieden werden. Ein Berliner Bündnis ruft einen Tag vor den Parlamentswahlen in Griechenland und der zweiten Runde der Präsidentenwahlen in Frankreich zu einer Demonstration unter dem Motto Mehr Technokratie wagen. Es gibt also auch noch Menschen, die sich angesichts der offensichtlich zur Schau gestellten Entdemokratisierung von Parlamenten nicht nur in Zynismus flüchten.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151895
Peter Nowak

Symbol gegen rechts

GEDENKEN In Friedrichshain soll bald eine Straße an den getöteten Antifaschisten Silvio Meier erinnern

Die Gabelsberger Straße in Friedrichshain steht vor der Umbenennung. Die im vergangenen Jahr gegründete Initiative Aktives Gedenken setzt sich dafür ein, die Straße nach dem vor 20 Jahren getöteten Silvio Meier zu benennen. Der Antifaschist war am 21. November 1992 im Alter von 27 Jahren im U-Bahnhof Samariterstraße verblutet. Er starb an den Folgen eines Messerstichs, den ihm ein Neonazi zugefügt hatte. Der war zuvor von einer Gruppe von AntifaschistInnen, zu denen Meier gehörte, wegen eines Aufnähers mit der Parole „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“ zur Rede gestellt worden. Zu Meiers Todestag finden jedes Jahr Demonstrationen und Ausstellungen statt.

Am Donnerstag diskutierte die Initiative mit AnwohnerInnen darüber, welche Orte für die Ehrung infrage kommen. Die Pablo-Neruda-Bezirksbibliothek in der Frankfurter Allee stand ebenso zur Auswahl wie die U-Bahn-Station, in der Meier starb. Bei der Abstimmung setzte sich dann die Gabelsberger Straße durch. Lothar Jösting-Schüßler, der die Linke im Bezirksparlament vertritt, sagte, dass der Ausschuss für Kultur und Bildung zügig auf Grundlage des Abstimmungsergebnisses eine Vorlage erarbeiten und der BVV vorlegen werde. Dort scheint eine Mehrheit sicher; neben den Linken haben sich auch die Grünen für eine Silvio-Meier-Straße ausgesprochen. „Sein Name ist ein Symbol für den Kampf gegen Rechts, gegen Gewalt und menschenfeindliche Einstellungen“, heißt es in einer Pressemitteilung des Kreisverbandes. Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) hält eine Umbenennung bis November für möglich, sofern der BVV-Beschluss noch im Mai erfolgt.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=
2012%2F04%2F28%2Fa0219&cHash=73fdd9669f
Peter Nowak

Kein Interesse an Uni-Politik?

Auch im zweiten Anlauf scheiterte das Volksbegehren für den freien Zugang zu einem Masterstudium in Berlin. Ziel war es, einen Rechtsanspruch für alle Bachelor-Absolventen auf Zulassung zu einem Master-Studiengang durchzusetzen. Die Initiative konnte nur etwa zehn Prozent der notwendigen 20 000 Unterschriften sammeln. Die Schuld dafür suchen die Studierenden, die nach dem letzten Bildungsstreik die Initiative ergriffen hatten, bei den Studentenvertretungen mehrerer Berliner Hochschulen. In einer Pressemitteilung werfen sie ihnen vor, das Volksbegehren sabotiert zu haben.

Tatsächlich gab es schon länger politische und wohl auch persönliche Kontroversen zwischen den studentischen Initiatoren des Volksbegehrens und den Mitgliedern der Hochschulgremien. Doch für das Scheitern können die schon deshalb kaum verantwortlich gemacht werden, weil die Studentenvertretungen im Campusalltag keinerlei politische Hegemonie besitzen. Das beweisen schon die niedrigen Wahlergebnisse bei den Wahlen zu den Studierendenparlamenten. Wäre die Forderung für ein »Freies Masterstudium« ein gesellschaftliches Thema gewesen, hätte das Referendum auch ohne Gremienunterstützung Chancen gehabt. Dass das möglich ist, zeigte der »Berliner Wassertisch«, der im vergangenen Jahr ganz ohne die Unterstützung der Parteien in der Hauptstadt mittels eines Volksentscheids die Offenlegung der Teilprivatisierungsverträge bei den Berliner Wasserbetrieben erzwang.

Das Scheitern der studentischen Forderung ist weniger Ergebnis mangelnder Unterstützung von Uni-Gremien, eher ist es ein Indiz für die zunehmende Entpolitisierung an den Hochschulen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/225275.kein-interesse-
an-uni-politik.html

Peter Nowak

»Generalstreiks sind wichtige Waffen«

Florian Wilde von der Rosa-Luxemburg-Stiftung über politische Streiks

Florian Wilde: Der 35-Jährige ist Wissenschaftlicher Referent für Arbeit, Produktion und Gewerkschaften im Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

nd: Warum beschäftigt ihr euch am 5. Mai auf der Konferenz »Politische Streiks im Europa der Krise« gerade mit diesem Thema?
Wilde: Seit dem Ausbruch der Krise erleben wir in Europa eine Welle von politischen Generalstreiks. In den Jahren 2010 und 2011 griffen Gewerkschaften 24 Mal zu diesem Mittel. In diesem Jahr gab es bereits Generalstreiks in Griechenland, Spanien, Portugal, Belgien und Italien. Wir wollen auf der Konferenz die konkreten Erfahrungen mit politischen Streiks im europäischen Ausland diskutieren und nach Erfolgen und Niederlagen fragen.

Wie grenzt ihr den politischen Streik von anderen Arbeitsniederlegungen ab?
Während bei anderen Arbeitsniederlegungen der Adressat die Unternehmen sind, sollen beim politischen Streik immer auch gegenüber dem Staat Forderungen durchgesetzt werden. Dabei muss nicht jeder politische Streik die Form eines Generalstreiks annehmen. Doch jeder Generalstreik ist besonders in Zeiten der Krise politisch, in denen die meisten Regierungen mit ihrer Kürzungspolitik unverhüllt Kapitalinteressen vertreten. Generalstreiks sind daher zu einem entscheidenden Instrument für die Verteidigung der Interessen der abhängigen Beschäftigten geworden. Sie sind dabei auch wichtige Waffen im Kampf zur Verteidigung der Demokratie gegen die Märkte.


Ist eine Unterscheidung in politische und ökonomische Streiks überhaupt sinnvoll?

Ja, schon alleine weil erstere in Deutschland nach vorherrschender Rechtsauffassung als verboten gelten. Interessant ist, das die Zahl ökonomischer Streiks in Europa in den letzten 30 Jahren deutlich zurückging, während die Zahl an Generalstreiks seit den 80er Jahren steigt. Allerdings macht es keinen Sinn, ökonomische gegen politische Streiks zu stellen: Je stärker Gewerkschaften bei den einen sind, um so durchsetzungsfähiger werden sie auch bei den anderen sein.

Welche Erfahrungen gab es mit politischen Streiks im EU-Raum in der letzten Zeit?
Die massive Zunahme politischer Generalstreiks führte bisher leider nicht zu durchgreifenden Erfolgen der Gewerkschaften. Punktuell konnten Kürzungspläne abgemildert werden, eine generelle Abkehr von der Austeritätspolitik konnte noch in keinem Land durchgesetzt werden. Die Gründe wollen wir auf der Konferenz diskutieren.

Werden auch aktive Gewerkschafter aus Deutschland auf dem Kongress auftreten?

Das Interesse aktiver Gewerkschafter an der Konferenz ist groß, wir rechnen damit, dass viele an den Debatten teilnehmen werden. Wir freuen uns sehr, mit dem Linksparteivorsitzenden Klaus Ernst, einen ehemaligen Ersten Bevollmächtigten der IG Metall, der selbst politische Streiks gegen die Rente mit 67 mitorganisierte, als Eröffnungsredner gewonnen zu haben. Mit dem ehemaligen IG-Medien-Vorsitzenden Detlef Hensche spricht ein profilierter Streiter für politische Streiks auf dem Abschlusspodium.

Welche Rolle haben Sparten- und Branchengewerkschaften, die in der letzten Zeit oft viel kämpferischer als DGB-Gewerkschaften sind, beim politischen Streik?
Im Fokus stehen die DGB-Gewerkschaften. Wir wollen die dort geführten Debatten um politische Streiks unterstützen. Kleinere kämpferische Gewerkschaften könnten bei politischen Streiks eine wichtige Rolle spielen. Entscheidend ist aber die Haltung der DGB-Gewerkschaften als Massenorganisationen der Arbeitnehmer.

Infos zur Konferenz: www.rosalux.de
http://www.neues-deutschland.de/artikel/225272.generalstreiks
-sind-wichtige-waffen.html

Hartz IV beschäftigt weiter die Gerichte

Was von Teilen der Erwerbslosenbewegung begrüßt wird, ist auch Ausdruck ihrer Schwäche

Die Frage der Hartz-IV-Sätze wird wieder das Bundesverfassungsgericht beschäftigen. Die 55. Kammer des Berliner Sozialgerichts hat zwei Klagen von Erwerbslosen zum Anlass genommen, um die Frage zu klären, ob die aktuellen Leistungen verfassungswidrig niedrig sind. Im Februar 2010 hatte das Karlsruher Gericht bereits mit einer Entscheidung für eine Neuregelung gesorgt. Damals hatten die Richter eine „transparente, realitätsgerechte und nachvollziehbare Neukalkulation“ gefordert.

Für den Richter am Berliner Sozialgericht Gunter Rudnik hat die Bundesregierung bei der Neuregelung der Hartz-IV-Sätze diese Grundsätze verletzt. Er monierte besonders den Modus, nach dem die neuen Sätze, aktuell 374 Euro für einen Erwachsenen, ermittelt wurden. So seien als Vergleichsmaßstab statt vorher 20 nur 15 % der Bevölkerung mit niedrigem Einkommen herangezogen worden. Für den Richter ist die Einschränkung der Vergleichspersonen willkürlich und nicht nachvollziehbar.

Zudem seien in dieser Gruppe auch Menschen im Niedriglohnsektor vertreten gewesen, denen eigentlich Leistungen nach Hartz IV zustehen, die aber diese Leistungen nicht beantragen. Auf diese Weise wurde der Satz künstlich niedriger berechnet. Zudem hält es der Richter nicht für plausibel, dass ein Essen im Restaurant oder Geld für Schnittblumen oder alkoholische Getränke nach dem Willen der Bundesregierung nicht mehr zu den Posten gehören sollen, die aus dem Regelsatz für Hartz-IV-Bezieher bezahlt werden. Damit werde der Grundsatz verletzt, dass das Existenzminimum auch die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen ermöglichen müsse.

Erneute Blamage der Bundesregierung?

Nach den Berechnungen der Berliner Sozialrichter ist Hartz-IV-Regelsatz um 36 Euro zu niedrig. Bei einer mehrköpfigen Familie kann dann schnell ein dreistelliger Fehlbetrag zusammenkommen, der gerade für einkommensschwache Menschen existentiell sein kann.

Daher sehen viele Erwerbsloseninitiativen in dem bundesweit ersten Urteil, das die geltenden Regelsätze für verfassungswidrig hält, einen Erfolg und erwarten eine erneute Blamage der Bundesregierung in Karlsruhe. Diese Einschätzung ist allerdings fraglich, selbst wenn die Karlsruher Richter sich der Lesart der Berliner Sozialrichter anschließen sollten. Das ist allerdings keineswegs sicher. Haben doch andere Sozialgerichte die Verfassungsmäßigkeit der Regelsätze bestätigt. .

Ziel dieser Bundesregierung ist genau wie das ihrer Vorgänger, den Preis der Ware Arbeitskraft zu senken. Der Hartz-IV-Satz soll so niedrig und mit so vielen Sanktionen verbunden sein, dass viele Menschen Erwerbsarbeit zu fast jeden Preis annehmen. Viele verzichten ganz auf Leistungen auf Hartz IV, weil sie nicht bereit sind, den vielfältigen damit verbundenen Einschränkungen zuzustimmen. Das würde sich auch nicht ändern, wenn der Regelsatz um 36 Euro erhöht würde. Anders wäre es, wenn höchstrichterlich die Verfassungswidrigkeit der Sanktionen entschieden würde. Ein solches Knacken eines Kernelements der Hartz-IV-Gesetzgebung ist allerdings nicht von der Justiz zu erwarten. Es sind gerade die Sanktionsmaßnahmen, die viele Betroffenen bei einer Befragung vor dem Jobcenter Neukölln als Entwürdigung bezeichnen. Das würde sich auch bei einer Erhöhung des Regelsatzes nicht ändern. Mit dem neuen Gang nach Karlsruhe droht eher ein Wiederaufleben der Debatte, ob Hartz-IV-Bezieher sich von dem Regelsatz auch mal ein Bier oder einen Kinobesuch leisten können müssen und dürfen.

Schlagen Erwerbslose wieder Krach?

Allerdings hatte die Debatte im Jahr 2010 den Nebeneffekt, dass sich verschiedene Erwerbslosengruppen zum Bündnis „Krach schlagen statt Kohldampf schieben“ zusammengeschlossen haben und nach vielen Jahren wieder eine bundesweite Demonstration der Erwerbslosenbewegung organisierten. Sie forderten eine Erhöhung des Regelsatzes um 80 Euro.

Auch wenn es um die Initiative danach ruhiger geworden ist, ist sie weiterhin aktiv. Schon vor der jüngsten Entscheidung der Berliner Sozialrichter hat sie eine Aktion im Rahmen von bundesweiten Krisenprotesten Mitte Mai in Frankfurt/Main geplant. Es könnte sein, dass der erneute Gang nach Karlsruhe solchen Initiativen wie 2010 wieder neuen Rückenwind gibt.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151885
Peter Nowak

Werden Moslems in Europa diskriminiert?

Ein Amnesty Bericht dürfte die Diskussion über den Menschenrechtsbegriff wieder aufleben lassen

Die Diskriminierung von Moslems in Europa prangert ein von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International verfasster Bericht an. Besonders in der Kritik stehen die Niederlande, Frankreich, die Schweiz, Belgien und Spanien.

„Muslimischen Frauen werden Arbeitsplätze verweigert und den Mädchen die Teilnahme an regulärem Unterricht, weil sie traditionelle Kleidung, wie das Kopftuch tragen“, moniert Amnesty-Experte Marco Perolini. Er sieht vor allem die in mehreren dieser Länder gültigen gesetzlichen Bestimmungen, die das Tragen einer Burka oder anderen religiösen Bekleidungen in der Öffentlichkeit unter Strafe stellen, als Menschenrechtsverletzung.

„Das Tragen religiöser und kultureller Symbole und Kleidung ist Teil des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Es ist Teil des Rechts auf Freiheit der Religionsausübung oder Weltanschauung – und diese Rechte stehen allen Glaubensrichtungen gleichermaßen zu.“

Diese Version des Menschenrechtsbegriffes dürfte allerdings auch innerhalb von Menschenrechtsorganisationen kontrovers diskutiert werden. Besonders in Ländern wie Frankreich wird seit den Tagen der Französischen Revolution das Prinzip hochgehalten, dass die Verbannung bestimmter religiöser Symbole aus der Öffentlichkeit gerade dazu beitragen soll, dass möglichst niemand diskriminiert wird. Auch im Menschenrechtsdiskurs in Deutschland wird die Frage gestellt, ob es der Durchsetzung von Menschenrechten in der Praxis dienlich ist, wenn diese als ethnische religiöse Kollektivrechte formuliert werden.

„Der Islam ist okay, wenn nichts von ihm zu sehen ist“

Diese Problematik wird bei der heute vorgestellten Amnesty-Studie deutlich. Schließlich hat der Amnesty-Vertreter ausdrücklich betont, dass „Islam-Hass“ in Europa eher wenig verbreitet ist. Auch eine grundlegende Ablehnung des Islam sei nicht zu diagnostizieren. „In vielen Ländern ist die Meinung weit verbreitet, dass der Islam schon ok ist und die Muslime auch – solange nichts davon zu sehen ist“, bringt Perolini die Stimmung auf dem Punkt.

Doch gerade in dieser Haltung sieht er die Ursachen für die in dem Report beschriebenen Menschenrechtsverletzungen. Diese Kritik ist sicher berechtigt, wenn wie in Deutschland Nonnen in religiöser Kleidung in Schulen unterrichten dürfen, moslemische Lehrerinnen aber kein Kopftuch tragen dürfen. Wenn aber in einer säkularen Gesellschaft konsequent sämtliche religiösen Insignien in bestimmten öffentlichen Räumen verbannt würden, dürfte es fraglich sein, ob dann noch von Menschenrechtsverletzungen gesprochen werden könnte.

Stiller Zwang zum Tragen religiöser Kleidung

Perolini betonte bei der Vorstellung des Berichts auch, dass natürlich niemand zum Tragen bestimmter religiöser Kleidung und Symbole gezwungen werden dürfe. Auch das würde eine Menschenrechtsverletzung darstellen. Allerdings geht er nicht auf begründete Einwände ein, die von einem faktischen Druck in religiösen Familien sprechen. Tatsächlich ist es leicht vorstellbar, dass beispielsweise liberal oder säkular eingestellte Familienmitglieder starken Pressionen ausgesetzt sind, wenn sie das Tragen religiöser Kleidung verweigern, obwohl es allgemeiner Brauch ist.

Ein solches Szenario ist durchaus in verschiednen religiösen Kulturen denkbar und macht deutlich, wie schnell religiöse Rechte mit individuellen Menschenrechten in Widerspruch geraten können. Der Amnesty-Bericht hat mit der Beschreibung gesellschaftlicher Diskriminierung in verschiedenen europäischen Ländern sicher Verdienste. So ist die Kritik an dem durch eine Volksabstimmung durchgesetztes Nein zum Bau von Minaretten nachvollziehbar. Die Debatte über den Menschenrechtsbegriff ist damit allerdings nicht beendet.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151867
Peter Nowak

Saftige Strafen für Schweizer AKW-Gegner

Wegen einer Sitzblockade auf der Zufahrtsstraße zum Atomkraftwerk Mühleberg wurden mehr als 30 Schweizer AKW-Gegner zu hohen Geldstrafen von insgesamt 30 000 Franken verurteilt. Die Initiative »Mühleberg aussitzen« erklärte, mit der zivilgesellschaftlichen Aktion im Herbst 2011 habe man verhindern wollen, dass der wegen zahlreicher Sicherheitsmängel in die Kritik geratene Reaktor wieder in Betrieb genommen wird. Dagegen hatte es massive Kritik in der Schweiz gegeben, die bis in Politik und Justiz reicht. »Obwohl das Bundesverwaltungsgericht zu dem gleichen Schluss über den Schrottreaktor Mühleberg wie die besorgten Bürger kam, werden diese bestraft und die AKW-Betreiber kommen ungeschoren davon«, moniert die Pressesprecherin der ökologischen Initiative. Die Umweltinitiative hat ein Sammelkonto eingerichtet, damit die Betroffenen nicht auf den Geldforderungen sitzen bleiben. www.aussitzen.ch
http://www.neues-deutschland.de/artikel/225078.bewegungsmelder.html
Peter Nowak

Occupy trifft Kunst

»Nachrichten von Krise, Aufstand und Ausnahmezustand« lautet der Titel eines Theaterprojekts in Berlin, an dem sich Musiker, Filmemacher und Theatermacher beteiligen. Im Theater Hebbel am Ufer 3 (HAU3) auftreten werden der linke Philosoph Franco Berardi, der Electro-Musiker Can »Khan« Oral oder auch die bildende Künstlerin Katrin Mayer (vom 26. bis 30. April, 20 Uhr). Wenige Kilometer vom Hau3 entfernt versammeln sich ab Freitag Occupy-Aktivisten in einem Protestcamp in den Kunstwerken in der Auguststraße 69. Das Projekt, an dem sich Menschen aus verschiedenen Ländern beteiligen, ist Teil der Berlin-Biennale, die sich die Repolitisierung der Kunst zum Ziel gesetzt hat. Der Occupy- Raum soll ein Forum für politische Partizipation, Austausch und Diskussion bieten.

www.occupybb7.org

http://www.neues-deutschland.de/artikel/225078.bewegungsmelder.html
Peter Nowak

Knapp bei Kasse

SOZIALES Fast 9.000 erwerbslose EU-Bürger, die in Berlin leben, bekommen kein Hartz IV mehr

Manuel Paredo ist wütend. Bisher hat der in Berlin lebende spanische Staatsbürger Hartz IV bekommen. Doch vor einigen Wochen teilte ihm das Jobcenter Neukölln mit, dass er künftig kein Geld mehr beziehen wird.

Der Grund dafür ist ein juristischer Einwand, den die Bundesregierung Anfang März gegen das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) erhoben hat, das die Fürsorgeleistungen auf EU-Ebene regelt. In den vergangenen Wochen wurde infolgedessen zahlreichen in Deutschland lebenden EU-BürgerInnen schriftlich mitgeteilt, dass schon bewilligte Hartz-IV-Leistungen widerrufen und Neuanträge abgelehnt werden.

Kräfte aus dem Ausland

In Berlin können rund 8.660 Erwerbslose aus EU-Ländern davon betroffen sein, erklärte nun die Senatorin für Arbeit und Integration, Dilek Kolat (SPD), als Antwort auf eine mündliche Anfrage des Piratenabgeordneten Alexander Spieß. Allerdings geht die Senatorin davon aus, dass der Anteil derjenigen, die vom Entzug der Leistungen betroffen sind, wesentlich geringer ist – weil viele erwerbslose EU-BürgerInnen Anspruch auf Leistungen nach dem SBG II haben. Kolat kritisierte den Kurs der Bundesregierung: „Da Deutschland mehr denn je auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen ist, sollte jede Erschwerung für arbeitsuchende Europäer vermieden werden. Gegenwärtig besteht aus Sicht des Senats keine begründete Sorge, dass es zu einer vermehrten Einwanderung in unser Sozialsystem kommen könnte.“

Die Maßnahme wurde mit dem Argument begründet, dass durch die Auswirkungen der Wirtschaftskrise verstärkt Menschen aus anderen europäischen Ländern nach Deutschland kommen und sich hier arbeitslos melden könnten. Die Initiative „Zusammen! Gegen das Jobcenter Neukölln“ spricht jedoch von „sozialrassistischen Maßnahmen der Bundesregierung, mit der EU-Staatsangehörige ihrer Existenzsicherung beraubt werden“.

Der auf Sozialrecht spezialisierte Berliner Rechtsanwalt Lutz Achenbach erklärte gegenüber der taz: „Es sind schon Leute in ihre Heimatländer zurückgekehrt. Dies liegt wohl auch daran, dass sie nicht ausreichendes Wissen über ihre Rechte und Klagemöglichkeiten haben“.

Andere wehren sich mit Eilverfahren vor dem Sozialgericht gegen den Stopp von Hartz IV. Nach Ansicht von Achenbach sind ihre Chancen gut. Der Einwand der Bundesregierung könnte gegen das in der Europäischen Verordnung enthaltene Diskriminierungsverbot verstoßen und daher rechtswidrig sein.

Widerspruch einlegen

Anwalt Lutz Achenbach rät allen Betroffenen, so schnell wie möglich Widerspruch einzulegen. Die Sozialberatung am Heinrichplatz will mehrsprachige Informationen erarbeiten. Die Initiative „Zusammen!

Gegen das Jobcenter Neukölln“ lädt am morgigen Mittwoch um 19 Uhr zu einem Vernetzungstreffen in die Meuterei in die Reichenberger Straße 58 ein. Neben Informationen für die Betroffenen soll dort auch über politische Protestmaßnahmen gegen den Vorgang beraten werden.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2012%2F04%
2F24%2Fa0165&cHash=92fc807a2a
Peter Nowak

Die Schonfrist ist vorbei

Die neue Partei hat eine ausgewachsene Abgrenzungsdebatte am Hals. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, die eigenen Positionen zu klären

Eben waren die Piraten noch die Trendsetter der Saison. Niemand schien ihren Erfolgskurs aufhalten zu können. Doch seit einigen Tagen weht den politischen Newcomern scharfer Gegenwind entgegen. Wie hält es die neue Partei mit Meinungen, die in der Gesellschaft als rassistisch, antisemitisch oder sexistisch geächtet sind, lautet die große Frage.

Ausgelöst hat die Debatte ein Urteil des Parteischiedsgerichts, das letzte Woche feststellte, dass das Piratenmitglied Bodo Thiesen nicht ausgeschlossen werde, obwohl er öfter Geschichtsauffassungen vertritt, die sonst nur am ganz rechten Rand überhaupt ernsthaft diskutiert werden. So zeigte Thiesen Verständnis für den Angriff des NS-Regimes auf Polen und stellte das Ausmaß der Shoah in Zweifel.

Weil aber Thiesen deswegen in der Vergangenheit schon gerügt worden sei, könne er nicht ein zweites Mal wegen dieser Äußerungen bestraft werden, befand das Gericht. Damit blieb inhaltlich offen, wie die junge Partei es nun mit ihren Rechten hält.

Rasanter Aufstieg

Schnell wurde klar, dass der Fall Thiesen keine Ausnahme ist. „Immer wieder fallen Mitglieder der Partei durch rassistische, sexistische, aber auch anderweitig diskriminierende Aussagen oder Verhaltensweisen auf“, heißt es in einen Offenen Brief von Piratenmitgliedern, die sich für eine stärke Abgrenzung nach Rechts stark machten. Er war schon geschrieben worden, bevor der Fall Thiesen wieder Schlagzeilen machte.

Das Anliegen der vor allem jungen Piraten stieß aber nicht überall bei der Partei auf Zustimmung. Vor allem der erst vor wenigen Wochen gewählte Berliner Piratenvorsitzende Semken bekundete, er halte von der Abgrenzung nach Rechts gar nichts. Obwohl er sich für seine verbalen Angriffe auf Antifaschisten entschuldigte, hat nicht nur die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten seinen Rücktritt gefordert. Auch parteiintern gibt es weiterhin Stimmen, die Semken zum Amtsverzicht auffordern. Der will aber einstweilen im Amt bleiben.

Vielleicht kommt ihm zur Hilfe, dass mittlerweile andere bekannte Piratenmitglieder ebenfalls in die Kritik geraten sind. Der Berliner Geschäftsführer der Piratenpartei, Martin Delius, verglich den rasanten Aufstieg seiner Formation mit den Wahlerfolgen der NSDAP in der Endphase der Weimarer Republik. Nun fragen sich viele Beobachter staunend, warum die Partei in jede Falle stolpert, die ausgelegt wird.

Vom Erfolgsmodell zum Handicap

Was vor wenigen Wochen noch als Erfolgsmodell der neuen Partei hochgelobt wurde, ihr Hang zur Unprofessionalität, und ihre nicht nur gespielte Naivität, wird nun, wo es um eine sehr konkrete politische Frage geht, zum Handicap. Denn in der Frage, wie hältst Du es mit rechten Positionen reicht es eben nicht, zu sagen, dazu hat unsere Mitgliedschaft noch keine Meinung und ist am Diskutieren.

Eine rege Debatte gibt es in vielen Ortsgruppen tatsächlich. Da die Piraten alle Beiträge ins Netz stellen, kann man von Ausschlussforderungen gegen ein Bielefelder Piratenmitglied lesen wegen der Äußerung, dass viele Juden die gesamte Welt für ihre Interessen opfern würden. Der Betroffene allerdings will seine Worte keineswegs als antisemitisch verstanden wissen. In Schleswig-Holstein wiederum ist ein Direktkandidat für die Landtagswahl mit der Forderungen aufgefallen, die finanzielle Unterstützung für den Zentralrat der Juden zu reduzieren.

Solche Äußerungen fände man wahrscheinlich auch bei vielen anderen Parteien, wenn sie ihre internen Debatten so offen ins Netz stellen würden. Allerdings stellt sich die neue Partei gerne außerhalb von Zeit und Geschichte. Das wurde schon bei der Bundespräsidentenwahl deutlich, als die Vertreter der Piraten in der Bundesversammlung lediglich mit Verweis auf das Alter der beiden Kandidaten begründeten, warum sie weder Gauck noch Klarsfeld mitwählen könnten.

Wider die Korrektheit

Diese als Naivität getarnte historische Amnesie lockt Menschen aus dem rechten Lager an. Zumal der auch im Freitag als Vordenker der Piraten interviewte Wätzold Plaum, die politische Korrektness als eine der drei Säulen bezeichnete, auf der das von den Piraten bekämpfte gegenwärtige politische System beruht. Auf den Kampf gegen die politische Correctness aber berufen sich unterschiedliche rechte Strömungen. Dazu gehören die auch im Umfeld der Piraten aktiven Männerrechtler, die in der Partei gegen die von ihnen halluzinierte feministische Diktatur agitieren. Ihre Ausfälle wurden allerdings bisher in der Öffentlichkeit bisher erstaunlich gleichmütig hingenommen.

Diese Schonfrist ist für die Piraten nun vorbei. Für die junge Partei ist die Debatte eine große Chance, ihre Positionen zu klären. Schließlich hatten auch die Grünen in ihrer Anfangsphase Mitglieder aus verschiedenen Strömungen unter ihrem Dach, die später marginalisiert oder zum Austritt gedrängt wurden. Gelingt es den Piraten allerdings nicht, sich vom rechten Rand zu trennen, könnten sie tatsächlich zu einer Partei werden, wie sie die neurechte Wochenzeitung Junge Freiheit schon lange sucht. Die hat sich in ihrem Kommentar auch demonstrativ gegen jede Abgrenzung nach Rechts ausgesprochen.
http://www.freitag.de/politik/1216-die-schonfrist-ist-vorbei
Peter Nowak

Kein Hartz IV für bestimmte EU-Bürger?

Die Bundesregierung, die soviel vom vereinigten Europa redet, treibt die Spaltung bei der Gewährung von Sozialleistungen weiter voran

Manuel P. ist wütend. Bisher hat der in Deutschland lebende spanische Staatsbürger Leistungen nach Hartz IV bekommen. Doch jetzt teile ihm das Jobcenter mit, dass er künftig keine Leistungen mehr erhalten soll.

Er steht damit nicht allen. Nach einer Geschäftsanweisung des Bundesarbeitsministeriums an die Bundesagentur für Arbeit haben zahlreiche erwerbslose EU-Bürger ähnliche Schreiben bekommen.

Hintergrund sind die unterschiedlichen Auswirkungen der Wirtschaftskrise in der EU-Zone. Vor allem wegen der nicht zuletzt auf Druck der deutschen Regirung veranlassten Krisenprogramme wächst in Ländern der europäischen Peripherie wie Griechenland, Spanien und Portugal die Verarmung. Manche Menschen suchen einen Ausweg, in dem sie sich in Deutschland auf Arbeitssuche machen. Die Bundesregierung will verhindern, dass die Menschen auch die in Deutschland üblichen Sozialleistungen bekommen.

Die Nachricht zog Anfang März erste Kreise Die Angst von der Leyens vor spanischen und griechischen Zuwanderern ohne Arbeit?; seither hat sich einiges getan.

Erster Widerstand regt sich

In Berlin wurden im März zahlreiche dieser Schreiben verschickt. „Es laufen einige Eilverfahren beim Berliner Sozialgericht. Es sind aber schon Leute in ihre Heimatländer zurückgekehrt. Dies liegt wohl auch daran, dass sie nicht ausreichendes Wissen über ihre Rechte und Klagemöglichkeiten haben“, erklärt der auf Sozialrecht spezialisierte Berliner Rechtsanwalt Lutz Achenbach gegenüber Telepolis.

Mittlerweile wollen soziale Initiativen den Betroffenen politische und rechtliche Unterstützung zukommen lassen.


Rechtliche Grauzone

Ihre Chancen sich erfolgreich rechtlich zu wehren, stehen nicht schlecht. Schließlich regelt das 1956 unterzeichnete Europäische Fürsorgeabkommen den Bezug von Fürsorgeleistungen auf EU-Ebene. Das Bundessozialgericht hat in mehreren Fällen entschieden, dass trotz verschiedener Ausschlussregelungen in Deutschland lebende französische Staatsangehörige Hartz-IV-berechtigt sind.

2009 hat sich bereits der Europäische Gerichtshof mit den Kriterien für Hartz IV-Bezug von EU-Bürgern in Deutschland befasst. Damals hatten griechische Staatsbürger, die in Deutschland in Minijobs beschäftigt waren und keine Leistungen bekommen sollten, geklagt.

Mit dem im März 2012 von der Bundesregierung eingelegten Vorbehalt gegen das Fürsorgeabkommen soll die vom Sozialgereicht für unwirksam erklärte Ausschlusspraxis fortgesetzt werden. Die Bundesagentur für Arbeit zieht danach auch die Rücknahme bereits bewilligter Leistungen in Erwägung. Rechtsanwalt Achenbach bezweifelt die rechtliche Tragfähigkeit aus mehreren Gründen:

„Erstens ist ein Vorbehalt wegen eines Urteils laut Vertragstext nicht vorgesehen. Zweitens steht die Frage im Raum, ob die gesetzliche Regelung im Sozialgesetzbuch II nicht auch gegen andere höherrangige Regelungen verstößt. So ist in der europäischen Verordnung (EG) Nr. 883/2004 auch ein Diskriminierungsverbot enthalten.“

Viele Gerichte hätten Zweifel, ob sich der gesetzliche Leistungsausschluss in § 7 SGB II mit dieser Verordnung in Einklang bringen lässt. Weil eine höchstrichterliche Entscheidung bisher aussteht, haben viele Kammern des Berliner Sozialgerichts den Betroffenen deshalb Leistungen nach Hartz IV zugesprochen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151849
Peter Nowak

Wie rechts darf ein Pirat sein?

Die Debatte weitet sich aus

Die Debatte um den Umgang mit dem Piratenmitglied Bodo Thiesen, der zumindest in der Geschichtspolitik rechte Thesen vertritt und wegen eines Formfehlers nicht ausgeschlossen werden konnte, hat sich in den letzten Tagen ausgeweitet.

Jetzt geht es nicht mehr nur um Thiesen sondern um die Frage, ob sich die Partei eindeutig gegen rechts positionieren soll oder nicht. Mittlerweile haben Piratenmitglieder eine Erklärung verabschiedet, in der eine klare Trennungslinie zu Rassismus, Sexismus und anderen Unterdrückungsverhältnissen gefordert wird. Die Verfasser des Aufrufs beziehen sich auf einen Offenen Brief der Jungen Piraten, der schon vor der aktuellen Entwicklung im Fall Bodo Thiesen verfasst worden ist und deutlich macht, dass es sich bei ihm nicht um einen Einzelfall handelt. .

„Immer wieder fallen Mitglieder der Partei durch rassistische, sexistische, aber auch anderweitig diskriminierende Aussagen oder Verhaltensweisen auf“, heißt es in dem Brief. Mittlerweile hat die politische Geschäftsführerin der Piraten Marina Weisband zu einer schärferen Abgrenzung gegen rechte Mitglieder in ihrer Partei aufgerufen.

Der Berliner Parteivorsitzende Hartmut Semken wiederum hatte mit dieser Abgrenzung ein generelles Problem und sieht sich seitdem in- und außerhalb der Partei mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Lob kommt dagegen von der rechtskonservativen Jungen Freiheit, die von einem Abgrenzungswahn spricht. Der erst vor wenigen Wochen zum Berliner Parteivorsitzende gewählte Semken will vorerst im Amt bleiben.

Auch gegenüber dem Bielefelder Mandatsträger Robin Fermann, der von der Linken zur Piratenpartei übergetreten ist, gibt es Ausschlussforderungen. Fermann wird vorgeworfen, sich in seinen Texten antisemitischer Klischees bedient zu haben.

Wie die Grünen in den 80er Jahren?

Die aktuelle Debatte erinnert an ähnliche Auseinandersetzungen bei den Grünen Anfang der 1980er Jahre. Damals waren auch Exponenten rechter und ökofaschistischer Positionen in der Partei vertreten. Teilweise wurden in den ersten Jahren grüne Wahlerlisten von offen rechten Personen gegründet. Wie heute die Piraten gingen auch die jungen Grünen mit der Parole „Wir sind nicht rechts und nichts links sondern vorn“ in die Wahlkämpfe.

Spätestens Mitte der 1980er Jahre waren führende Exponenten der rechten Strömungen bei den Grünen entweder aus der Partei ausgetreten oder politisch isoliert. Das war vor allem dem Druck linker Gruppen in- und außerhalb der Partei geschuldet. Hier endet allerdings der Vergleich zur aktuellen Situation bei den Piraten. Denn weder gibt es dort einen relevanten linken Flügel, wie bei den frühen Grünen, noch eine starke außerparlamentarische Linke, die Druck ausüben könnte. Das zeigt sich schon daran, dass über Konzepte eines auf dem Internet basierenden Sozialismus des 21. Jahrhunderts seit Jahren sehr kontroves diskutiert wird. Nur bei der Internetpartei Piraten scheint die Auseinandersetzung nicht stattzufinden.

Wenn sich die Piraten jetzt mit dem Thema beschäftigten, ist dies vor allem der Angst geschuldet, gesellschaftlich marginalisiert zu werden, wenn sie rechte Positionen nicht sanktionieren. Sollten sich allerdings die aktuellen Umfragen bewahrheiten und die Piraten bei den anstehenden Landtagswahlen große Stimmengewinne erzielen, könnten sich auch die Positionen durchsetzen, die unter der Parole „Wir sind anders als die anderen“ vor allem verstehen, sich keinem antifaschistischen Dogma zu beugen und auch gegenüber Israel zu „sagen, was gesagt werden muss“.

Schließlich wollen auch manche Männerrechtler bei den Piraten dem angeblichen feministischen Zeitgeist trotzen. Sollte sich diese Strömung durchsetzen, würden die Piraten allerdings zu einer rechten Partei neuen Typs, wie ihn sich Junge Freiheit und Co. schon lange wünschen. Im Mai will die Piratenpartei auf einen Kongress in Berlin den Umgang mit Rassismus, Antisemitismus und extrem rechter Ideologie debattieren.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151844
Peter Nowak