Demokratie statt Fiskalpakt

Wissenschaftler rufen zu Protesten gegen europäische Kürzungspolitik auf
Ein von der Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung initiierter Aufruf mobilisiert gegen das EU-Krisenprogramm.
Während in den letzten Tagen die Eurokrise in Deutschland nicht im Mittelpunkt des Medieninteresses stand, geht in Griechenland, Spanien und Portugal der Widerstand gehen die sozialen Folgen der EU-Krisenprogramme weiter. Aber auch in Deutschland wächst die Kritik Das zeigt sich an der großen Resonanz, den der von der Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung (AkG) initiierte Aufruf „Demokratie statt Fiskalpakt“. Mit knapp 120 Erstunterzeichnern, die vor allem aus dem sozialwissenschaftlichen Bereich kommen, ist der Aufruf vor einigen Tagen gestartet. Mittlerweile wurde von mehr als 1300 auf der Homepage http://www.demokratie-statt-fiskalpakt.org/ unterzeichnet Täglich kommen weitere Namen dazu. Das ist ganz im Sinne der Initiatoren.
Der AkG hat sich im Juni 2004 als Zusammenschluss von Sozialwissenschaftlerinnen und –wissenschaftlern im deutschsprachigen Raum gegründet. „Zielsetzung der gemeinsamen Arbeit ist die Diskussion gesellschaftskritischer Theorieansätze, deren Reproduktion und Weiterentwicklung in Zeiten ihrer zunehmenden Marginalisierung an den Hochschulen gesichert werden soll“, heißt es auf der Homepage der Initiative.
Mit dem aktuellen Aufruf hat das AkG dieses Selbstverständnis in die Praxis umgesetzt. Dabei richteten die Wissenschafter den Fokus ihrer Kritik auf den mit dem Krisenprogramm verbundenen Demokratieabbau.. Sie ziehen eine Linie von der blutigen Durchsetzung der neoliberalen Politik in Chile während der Militärdiktatur unter Pinochet nach dem Putsch gegen die demokratisch gewählte Allende-Regierung 1973, über die mit der Verarmung großer Teile der Bevölkerung verbundenen Transformationsprozesse in vielen osteuropäischen Länder nach 1989 bis zu den aktuellen Sparprogrammen für die europäische Peripherie.
In dem Aufruf wird auch vor dem Erstarken rechter Kräfte im Windschatten der Krisenpolitik gewarnt. Dabei wird auf die Erfolge rassistischer und nationalistischer Gruppierungen in Ungarn, Österreich und Finnland verwiesen. Allerdings wird der Fokus der Kritik auf die deutsche Regierung gerichtet. „Geschichtsvergessen macht die deutsche Regierung mit ihrer kompromisslosen Austeritätspolitik reaktionäre Krisenlösungen immer wahrscheinlicher“, warnen die Wissenschaftler. . „Wir sind diese unsoziale und antidemokratische Politik ebenso leid wie die rassistischen Attacken auf die griechische Bevölkerung. Reden wir stattdessen von den menschenverachtenden Folgen dieser Politik“, so die Verfasser. .
Der Aufruf mobilisiert zu weiteren Protesten. So wird dort zur Beteiligung an der Anti-Krisendemonstration am 31. März in Frankfurt/Main, den Global Day of Action am 12. Mai und der internationalen Mobilisierung nach Frankfurt am Main vom 17. bis 19. Mai aufgerufen.. Die Unterstützung aus der Zivilgesellschaft und dem linken Wissenschaftskreisen könnte auch Ausstrahlung auf andere Kreise haben. So verfassten auch Gewerkschaftler einen Aufruf gegen die Krisenpolitik, der bei einer Rundreise griechischer Gewerkschafter in Berlin einstimmig verabschiedet wurde.
www.demokratie-statt-fiskalpakt.de
https://www.neues-deutschland.de/artikel/221812.demokratie-statt-fiskalpakt.html
Peter Nowak

„BMW Guggenheim Lab“ unerwünscht

In Berlin regt sich Widerstand gegen das durch den Autokonzern gesponserte Kulturlabor.

Noch im März soll auf einer Brachfläche zwischen Cuvrystraße und Schlesischer Straße mit dem Aufbau begonnen werden, ab Mai soll das „BMW Guggenheim Lab“ dann stehen: Ein mobiles „Forschungslabor“, gesponsert durch den gleichnamigen Autokonzern, in dem es Ausstellungen und Veranstaltungen zum Thema „Urbanes Leben und Wohnen in der Zukunft“ geben soll. Doch nun ruft ein Bündnis aus Mieterinitiativen und stadtpolitischen Gruppen zur Verhinderung des Projekts auf. Das Lab sei eine „Imageveranstaltung des BMW-Konzerns“, heißt es in dem Aufruf. Es bedeute für den Kiez weiter steigende Mieten sowie die faktische Privatisierung des Grundstücks – und es sei „ohne jede Beteiligung der AnwohnerInnen geplant“ worden.

„Wir sind sehr optimistisch, dass wir unser Ziel erreichen“, sagt David Kaufmann von der Initiative „Kein BMW-Guggenheim-Lab am Spreeufer in Kreuzberg!“. Die Brachfläche werde von AnwohnerInnen als Treffpunkt und Grillplatz genutzt. Es gebe insofern gute Chancen, so Kaufmann, dass sich viele AnwohnerInnen am Protest gegen das Lab beteiligen. In den nächsten Tagen soll mit der Mobilisierung begonnen werden.

In der unmittelbaren Nachbarschaft des geplanten Standorts stößt vor allem die schlechte Informationspolitik der Projektemacher auf Kritik. „Ich habe nur gelesen, dass ein Container aus New York kommt“, meint ein Mitarbeiter der Fetten Ecke, einer Kneipe direkt gegenüber dem Lab-Standort. Das Lido, ein Club, der sich ebenfalls in unmittelbarer Nachbarschaft zum Lab-Standort befindet will den KritikerInnen Räume für ihre Veranstaltungen zur Verfügung stellen.

Das Lab hatte im Sommer letzten Jahres in New York Premiere, nächste Station der Tour rund um den Globus soll das indische Mumbai sein. Noch ist allerdings gar nicht klar, ob der Standort Kreuzberg überhaupt endgültig ist: „Ich bekam am Montag die Nachricht, das die Organisatoren einen Ortswechsel in den Pfefferberg in Prenzlauer Berg erwägen, was ich sehr bedauern würde“, sagte der Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz (Grüne). Der Standort war schon einmal im Gespräch – wegen Platzmangel war dann aber die Kreuzberger Brache gewählt worden. Eine endgültige Entscheidung steht nun offenbar noch aus.
http://www.taz.de/Protest-in-Kreuzberg/!89945/
Peter Nowak

Gauck und die Erinnerungspolitik

Weil Gauck die Prager Erklärung unterschrieben hat, wird Kritik an seinem Geschichtsverständnis laut
Normalerweise wird eine Bundespräsidentenwahl in Israel und den USA nicht besonders zur Kenntnis genommen. Doch ausgerechnet um die Personalie Gauck hat sich dort eine in Deutschland kaum zur Kenntnis genommene Kritik entzündet. Der israelische Historiker Efraim Zuroff hat lange Zeit in den USA gelebt und war der erste Leiter des Simon-Wiesenthal-Centers. Er hat in einem jetzt von der taz nachgedruckten Artikel heftige Kritik an dem neuen Bundespräsidenten geübt und dort die Befürchtung vor einem Rollback in der deutschen Erinnerungspolitik geäußert.

Der Anlass für die heftige Kritik Zuroffs ist Gaucks Unterschrift unter der Prager Erklärung mit dem Untertitel „Europas Gewissen und der Totalitarismus“, die zu einer Entschließung des EU-Parlaments am 2. April 2009 führte. Darin wird die Notwendigkeit formuliert, die „Verbrechen der totalitären Systeme“ des National- und Realsozialismus aufzuarbeiten und zu verurteilen.

Für Zuroff wirft die Unterstützung der Erklärung „mehr als alles andere einen Schatten auf die Kandidatur von Joachim Gauck“ und lässt bei ihm „ernsthafte Zweifel an dessen Eignung für dieses repräsentative Amt aufkommen“.

Dabei unterstützt der Historiker Zuroff ausdrücklich die Intention, auch die Verbrechen im nominalsozialistischen Herrschaftsbereich aufzudecken. Seine Hauptkritik richtet sich gegen die Gleichsetzung mit dem Nationalsozialismus. Die entscheidenden Unterschiede beider Ideologien, so Zuroff, würden ignoriert:

„Die behauptete Austauschbarkeit beider Phänomene übersieht den präzedenzlosen Charakter des Holocaust und erhöht die kommunistischen Verbrechen in ihrer tatsächlichen historischen Bedeutung.“

Zuroff sieht in der in Deutschland weitgehend ausgebliebenen Kritik an der Prager Erklärung ein Indiz für eine „merkliche Holocaust-Ermüdung“ in Deutschland. Obwohl das „Wissen um die Judenvernichtung und die Sensibilität dafür unverkennbar zugenommen“ hätte, würden „die Stimmen derer, die die deutschen Opfer im und nach dem Krieg betonen, (…) kühner und lauter“, diagnostiziert der Historiker. Einige Kommentare scheinen die Befürchtung zu bestätigen.

Auch wenn diese Kritik in Deutschland kaum wahrgenommen wurde, macht sie doch deutlich, dass in manchen Ländern gewisse Zungenschläge zu historischen Themen deutscher Politiker sehr genau analysiert werden und nicht überall die deutsche Geschichte mit dem Mauerfall beginnt.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151636
Peter Nowak

Hände weg vom Streikrecht !

Wirtschaft & Soziales Linke müssen die kämpferischen Teile des DGB und die Spartengewerkschaften unterstützen

Ende Februar 2012: Kaum war Joachim Gauck von einer ganz großen Koalition für das Bundespräsidentenamt vorgeschlagen worden, wurde in allen Medien über seinen Freiheitsbegriff debattiert. Kaum jemand wies jedoch darauf hin, dass just in diesen Tagen ein Frankfurter Gericht den Ausstand der Gewerkschaft der Fluglotsen (GdF) am Frankfurter Flughafen mit juristischen Mitteln unterdrückte. Erst wurde ein Solidaritätsstreik der Towerfluglotsen, zu dem die GdF aufgerufen hatte, verboten, dann der Streik der Fluglotsen selber.
Damit wurde wieder einmal deutlich, dass in Deutschland das Streikrecht Richterrecht ist. Weil im Grundgesetz lediglich die Koalitionsfreiheit, nicht aber ein Streikrecht erwähnt wird, kann jeder Richter ziemlich frei auslegen, wann ein Ausstand verhältnismäßig ist und wann nicht. Dies machen sich die Arbeitgeberverbände zunutze, indem sie bestrebt sind, über die Rechtmäßigkeit eines Streiks von jenen juristischen Kammern entscheiden zu lassen, die als besonders unternehmensfreundlich gelten.
Obwohl das Streikverbot am Frankfurter Flughafen deutlich machte, dass die gegenwärtige Rechtslage im Zweifel immer im Sinne der Unternehmerseite ausgelegt wird, wurde zeitgleich von Konzernverbänden, Medien und PolitikerInnen für eine Verschärfung des Streikrechts getrommelt. An dieser Kampagne beteiligten sich auch führende VertreterInnen der DGB-Gewerkschaften. Das erscheint auf den ersten Blick paradox, lässt sich aber einfach erklären: Die DGB-Gewerkschaften bekommen mit Branchen- und Spartengewerkschaften in vielen Bereichen eine ernsthafte Konkurrenz.
»Was die GdF fordert, ist eine völlig inakzeptable Erhöhung der Gehälter. Darauf können wir nicht eingehen, weil es gegenüber den anderen 20.000 Beschäftigten nicht vertretbar ist«, erklärte der Fraport-Arbeitsdirektor und langjährige ÖTV-Gewerkschaftsfunktionär Herbert Mai. Fast wortgleich argumentierte ver.di-Sekretär Gerold Schaub. Er warf der GdF vor, mit ihren Tariforderungen den Betriebsfrieden zu gefährden. Auch die Betriebsratsvorsitzende Claudia Amier machte sich im Gespräch mit der Financial Times Sorgen um das Unternehmen: »Eine kleine Gruppe von Beschäftigten nutzt ihre Monopolstellung aus, um Entgelte zu erzielen, die weit über jedes Maß hinausgehen und völlig unverhältnismäßig sind.«
Damit wird ein reales Problem angesprochen. Wenn sich die kampfstarken Teile der Belegschaft selbstständig machen und nur noch für ihre Interessen streiken, könnten die Teile der Belegschaft, die nicht die Möglichkeit haben, durch einen Ausstand die Produktion lahmzulegen, das Nachsehen haben. Es wird die Herausforderung einer linken Gewerkschaftspolitik sein, eine solche Verallgemeinerung von Kämpfen trotz der zunehmend unübersichtlichen Arbeitsverhältnisse und des restriktiven deutschen Streikrechts umzusetzen.
Der völlig falsche Weg ist es aber, wenn DGB-FunktionärInnen mit Verweis auf die Spartengewerkschaften einer Verschärfung des Streikrechts und der Ausgrenzung ungeliebter KollegInnen das Wort reden. Der Berliner Basisgewerkschaftler Willi Hajek, der im letzten Jahr das »Komitee für Gewerkschaftsfreiheit« mitgegründet hat und im Umfeld des 1. Mai 2011 von Repressionen bedrohte GewerkschafterInnen aus Italien, Frankreich, Polen und Spanien nach Berlin eingeladen hatte, sieht denn auch in der Haltung der DGB-FunktionärInnen den Versuch, das Monopol bei der Vertretung der Arbeitnehmerinteressen zu behalten. Da wird dann notfalls beim Gesetzgeber Unterstützung gesucht.
Dabei haben es sich die DGB-Gewerkschaften in der Regel selber zuzuschreiben, wenn sich in einer Branche Spartengewerkschaften bilden, erklärt Hajek mit Verweis auf die Situation am Frankfurter Flughafen. Die Flughafengesellschaft sei seit Jahren »ein Musterbeispiel für die Kungelei und den Filz zwischen Leitung, Betriebsrat und Gewerkschaften, die an die Zustände bei VW erinnern«. Aus diesem Milieu entspringt sowohl ein Peter Hartz als auch ein Herbert Mal.
Aber es gibt natürlich auch in den DGB-Gewerkschaften, vor allem an der Basis und im Mittelbau, andere Kräfte. Eine linke Antwort auf die Versuche, das Streikrecht zu verschärfen, hieße daher, sowohl diese kämpferischen Teile der DGB-Gewerkschaften als auch die Sparten- und Branchengewerkschaften zu unterstützen und Kooperationsmöglichkeiten auszuloten. Deutlich müsste werden, dass nicht kampfbereite Belegschaften, sondern das repressive deutsche Streikrecht das Problem ist.
Ein positives Beispiel ist der Wiesbadener Appell, der von BasisgewerkschafterInnen aus dem hessischen ver.di-Bezirk initiiert worden ist. Die Initiative ist von der ver.di-Gewerkschaftsbürokratie gedeckelt worden. Jetzt haben die InitiatorInnen den Aufruf ins Netz gestellt. (1) Auch Teile der politischen Linken, die bisher mit gewerkschaftlichen Kämpfen wenig zu tun hatten, solidarisierten sich mit den Flughafen-Beschäftigten. Dazu gehört das Berliner Bündnis, das zum europäischen antikapitalistischen Aktionstag am 31. März nach Frankfurt/Main mobilisiert. In einer Erklärung wird darauf hingewiesen, dass in mehreren europäischen Ländern Basisgewerkschaften zu dem Aktionstag aufrufen.

Peter Nowak ist freier Journalist in Berlin mit
Schwerpunkt außerparlamentarische Bewegungen.

Anmerkung:
1) politischer-streik.de
http://www.akweb.de/
analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 570 / 16.3.2012

Solidarität von Miami bis Lichtenberg

18. MÄRZ Am diesjährigen „Kampftag der politischen Gefangenen“ laden linke Gruppen zu Aktionen ein

Mit mehreren Veranstaltungen und Kundgebungen rund um den 18. März wollen linke Gruppen auf politische Gefangene in aller Welt aufmerksam machen. Das Datum ist nicht zufällig gewählt: Schon in den 1920er Jahren wurde der 18.März von der linken Solidaritätsorganisation Rote Hilfe zum „Kampftag der politischen Gefangenen“ erklärt. Vor zwei Jahrzehnten wurde diese Tradition von linken außerparlamentarischen Organisationen erfolgreich wiederbelebt.

Schon am Samstag (17. 3.) ruft ein linkes Bündnis von 11 bis 15 Uhr zu einer Solidaritätskundgebung für politische Gefangene in den Vereinigten Staaten vor der US-Botschaft am Pariser Platz auf. Schwerpunkt ist die Solidarität mit den „Cuban 5“ genannten Männern, die wegen Spionage zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden, weil sie sich in rechte exilkubanische Organisationen eingeschlichen haben.

Für Marion Schäfer vom Solidaritätsbündnis sind die fünf Kubaner politische Gefangene: „Sie haben mit den gewonnenen Informationen die kubanischen Behörden vor Anschlagsplanungen exilkubanischer Gruppen warnen können. Als sie die Informationen auch an US-Behörden weitergaben, wurden sie festgenommen“, so Schäfer. An der Kundgebung werden auch internationale KünstlerInnen teilnehmen.

Demo zur JVA Lichtenberg
Am Sonntag (18. 3.) widmen sich die AktivistInnen der türkischen Linken Gülaferit Ünsal, die seit Oktober 2011 im Lichtenberger Frauengefängnis inhaftiert ist. Die Frau war auf Betreiben der deutschen Justiz aus Griechenland ausgeliefert worden, weil sie eine in der Türkei und Deutschland verbotene marxistische Organisation unterstützt haben soll. Eine Anklage nach Paragraf 129 b wegen Unterstützung einer im Ausland aktiven „terroristischen Organisation“ wird vorbereitet. Das Bündnis 18. März, in dem sich verschiedene linke Gruppen, wie die Ortsgruppe Rote Hilfe Berlin, zusammengeschlossen haben sieht darin den Versuch, legale politische Aktivitäten wie die Organisierung von Solidaritätskonzerten und den Verkauf von Zeitungen zu kriminalisieren. Auf der Demonstration, die um 15 Uhr am U-Bahnhof Samariterstraße in Friedrichshain beginnen und an der JVA Lichtenberg enden soll, wird daher die Abschaffung des Paragrafen 129 gefordert.

In einem auf der Homepage des „Netzwerks Freiheit für alle politischen Gefangenen“ (political-prisoners.net) veröffentlichten Brief schreibt Gülaferit Ünsal, dass sie 23 Stunden am Tag in einer Einzelzelle verbringen muss. Zudem sollen der ausschließlich Türkisch und Englisch sprechenden Frau Materialien für einen Deutschkurs nur mit Verspätung ausgehändigt worden sein. Im Anschluss an die Demonstration wird im Rahmen der Veranstaltung „Demokratie hinter Gittern“ der stellvertretende Vorsitzende des türkischen Menschenrechtsvereins IHD, Sevim Salihoglu, über die Verfolgung kurdischer Aktivisten in der Türkei informieren. Die Veranstaltung beginnt um 18.30 Uhr in der Jugendkulturetage Mosaik in der Kreuzberger Oranienstraße 34.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2012%2
F03%2F16%2Fa0153&cHash=3803c04baa
Peter Nowak

Wissenschaftler warnen vor autoritärer Wende in Europa

Die Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung fürchtet den Abbau der Demokratie durch den Fiskalpakt
Die Kritik an den europäischen Krisenlösungsstrategien nimmt auch in Deutschland zu. Unter dem Motto Demokratie statt Fiskalpakt haben über 120 linke Wissenschaftler aus dem Umfeld der Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung einen Aufruf veröffentlicht, der das Sparmodell einer vernichtenden Kritik unterzieht.

Die Autoren warnen vor einer Schockstrategie, die zu einem Abbau der Demokratie und der Verelendung von vielen Menschen in der europäischen Peripherie warnt. In dem Aufruf heißt es:

„Wir sind diese unsoziale und antidemokratische Politik ebenso leid wie die rassistischen Attacken auf die griechische Bevölkerung. Reden wir stattdessen von den menschenverachtenden Folgen dieser Politik.“

Die Verfasser ziehen in diesem Zusammenhang eine große Linie: von der blutigen Durchsetzung der neoliberalen Politik in Chile nach dem Putsch gegen die demokratisch gewählte Allende-Regierung 1973 über die mit der Verarmung großer Teile der Bevölkerung verbundenen Transformationsprozesse in Osteuropa bis zu den aktuellen Sparprogrammen für die europäische Peripherie. Dabei setzen die Wissenschaftler ihren Schwerpunkt auf die Kritik an den mit dem Krisenprogramm verbundenen Abbau der Demokratie. So seien in Griechenland und in Italien nicht-gewählte Technokratenregierungen an die Macht gekommen, die gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung die Krisenprogramme umsetzen würden.

Dieser Befund wird auch von Gewerkschaftern aus verschiedenen europäischen Ländern bestätigt. So werden im Rahmen des Krisenprogramms in Griechenland, Italien und Spanien massiv Gewerkschaftsrechte eingeschränkt.

Herausbildung einer Opposition auch in Deutschland?
Der Aufruf der Wissenschaftler hat nach der Veröffentlichung in der taz schon zu Diskussionen in verschiedenen Spektren der sozialen Bewegung in Deutschland geführt. Der Appell könnte zur Herausbildung einer wahrnehmbaren Opposition auch in Deutschland beitragen. Schließlich wird in dem Aufruf auch zu den Krisenprotesten am 31. März, den Global Day of Action am 12. Mai und der internationalen Mobilisierung in Frankfurt am Main vom 17. bis 19. Mai aufgerufen. Damit kommt erstmals auch aus der Zivilgesellschaft und dem linken Wissenschaftsmilieu Unterstützung für das Anliegen. Jetzt wird sich zeigen, ob auch in Gewerkschaftskreisen ein ähnlicher Aufruf verfasst wird. Schon länger wird auch dort diskutiert, die Kritik an der Sparpolitik öffentlich zu machen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151624
Peter Nowak

„In Griechenland wird zur Zeit ein Angriff auf die Lohnabhängigen geführt“

Auf einer Rundreise sprechen griechische Beschäftigte über die konkreten Folgen der Krisenpakete für große Teile der Bevölkerung

Eine Branche boomt in diesen Tagen in Griechenland: die Suppenküchen, wo Menschen, die teilweise keinerlei Einkünfte mehr haben, etwas Warmes zu Essen bekommen können. Allein in Athen nutzen täglich ca. eine viertel Million Menschen diese karitative Einrichtung. Auch die Zahl der Obdachlosen und der Menschen, die keinerlei Zugang zu medizinischen Leistungen haben, ist in den letzten Monaten rasant gewachsen.

Diese Zahlen nannte Konstantina Daskalopulou am Dienstagabend auf einer Veranstaltung im vollbesetzten Saal des Berliner IG-Metall-Hauses. Die Journalistin der linksliberalen Tageszeitung Eleftherotypi befindet sich mit vielen ihrer Kollegen seit mehreren Monaten im Streik. Schon seit August letzten Jahres haben sie keine Honorare mehr bekommen. Das Zeitungssterben ist Teil des griechischen Krisenprozesses. Doch nicht alle Redaktionen haben sich gewehrt wie das Redaktionsteam von Eleftherotypi.

Der Stahlarbeiter Panagiotis Katsaros gehört zu den griechischen Lohnabhängigen, die sich gegen die Krisenpolitik wehren. Er gehört zu der Belegschaft eines seit Monaten bestreikten und besetzten Stahlwerkes in der Nähe von Athen. Katsaros und Daskalopulou machen zur Zeit eine Rundreise durch verschiedene deutsche Städte. Auf ihrer ersten Station am Dienstagabend in Berlin betonten viele Veranstaltungsteilnehmer, sie hätten durch die Gäste plastisch vor Augen geführt bekommen, dass nicht der Großteil der griechischen Menschen gemeint ist, wenn die Politiker hierzulande von Griechenlandrettung reden.

Griechenland als europäisches Labor

Margarita Tsomou von der Initiative Real Democray Now – Berlin/Griechenland, die die Rundreise konzipierte, betonte auf der Veranstaltung, sie habe Verständnis, wenn in Deutschland Stimmen laut werden, dass man nicht für Griechenland zahlen wolle. Es gehe schließlich nicht um die Unterstützung der Mehrheit der dort lebenden Menschen, sondern um die der Banken.

Der griechische Arbeitsrechtler Apostolos Kapsalis, der in einem Forschungsinstitut des griechischen Gewerkschaftsbundes GSEE arbeitet, legte den Fokus auf die massive Aushöhlung der Gewerkschaftsrechte in Griechenland im Rahmen des Krisenpakets. Darauf haben bisher weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit Gewerkschafter hingewiesen. So hat die griechische Regierung auf Druck der EU-Troika ein Gesetz erlassen, das Lohnerhöhungen verbietet, bis die Arbeitslosigkeit auf 10 % zurückgegangen ist. Damit sei massiv in die Tarifhoheit eingegriffen worden. Kapsalis erläutert, dass vor allem die Branchentarifverträge, in denen die Beschäftigten eine reale Verhandlungsmacht haben, geschwächt werden und statt dessen betriebliche oder individuelle Vereinbarungen protegiert werden sollen.

Er sieht bei der Durchsetzung von neoliberalen Standards gegenwärtig Griechenland als europäisches Labor. Schon würden ähnliche Programme auch für Spanien, Portugal, Italien und vielleicht auch bald für Frankreich geschrieben, warnte der griechischen Gewerkschafter. Im Prinzip stimmte dieser Einschätzung auch Dierk Hirschel vom ver.di-Bundesvorstand zu, der in den letzten Wochen in verschiedenen Zeitungen die These vertreten hat, dass eine kämpferische, in Lohnerhöhungen mündende Tarifrunde hierzulande eine Unterstützung für die Lohnabhängigen an der europäischen Peripherie wäre.

Auf der Veranstaltung in Berlin stießen seine Ausführungen allerdings nicht nur auf Zustimmung. Schließlich legte er dort den Schwerpunkt auf das Erläutern der Probleme, die seiner Meinung nach europaweite Krisenproteste erschweren. Als er dann aber Proteste in Deutschland mit Beteiligung der DGB-Gewerkschaften frühestens für Herbst 2012 in Aussicht stellte, gab es Buhrufe. Schließlich planen Basisgewerkschaften und soziale Initiativen bereits für den 31.März und für Mitte Mai europaweite Aktionstage des Krisenprotestes.
http://www.heise.de/tp/artikel/36/36587/1.html
Peter Nowak

Nestlé und der Tod des Gewerkschafters

Juristen werfen Konzern Mitschuld an der Ermordung von Luciano Romero vor
In Kolumbien ist die Ermordung von Gewerkschaftern durch Paramilitärs traurige Realität. Erstmals soll jedoch die Mitverantwortung eines internationalen Großkonzerns juristisch aufgearbeitet werden.

Luciano Romero war am Morgen des 11. September 2005 in der nordkolumbianischen Provinzstadt Valledupar schwer misshandelt worden, bevor er durch die zahlreichen Messerstiche starb. Sein Tod erfolgte wenige Tage bevor der langjährige Nestle-Gewerkschafter auf einem internationalen Tribunal über den Nestle-Konzern aussagen sollte. Romero wäre einer von über dreitausend kolumbianischen Gewerkschaftern, die in den letzten Jahren von Paramilitärs getötet worden sind. Doch sein Fall hat heute schon Rechtsgeschichte geschrieben. Die Juristenvereinigung European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) hat kürzlich gemeinsam mit der kolumbianischen Gewerkschaft Sinaltrainal, deren Mitglied Romero war, bei der Schweizer Justiz Anzeige gegen Verantwortliche des Nestle-Konzern gestellt. Ihnen wird vorgeworfen, den Tod des Gewerkschafters „durch pflichtwidriges Unterlassen fahrlässig mit verursacht zu haben. „Der Mord geschah im Kontext eines bewaffneten Konflikts, in dem Gewerkschafter und andere soziale Gruppen systematischer Verfolgung, vor allem durch Paramilitärs und staatliche Stellen ausgesetzt sind“, heißt es in der Begründung der Anzeige. So sei Romero vor seinem Tod von Nestle-Verantwortlichen fälschlich in die Nähe der kolumbianischen Guerilla gerückt worden. Ein solcher Verdacht sei unter den damaligen Verhältnissen in Kolumbien fast ein Todesurteil gewesen. Auf einer Pressekonferenz in Berlin erklärte der Sinaltrainal-Anwalt Leonardo James, dass ein kolumbianische Richter in dem Prozess gegen zwei Mitarbeiter des Geheimdienstes auf die Verantwortung von Nestle hingewiesen habe. Der Jurist sei danach ebenfalls von den Paramilitärs bedroht worden und musste das Land verlassen.
Der Sinaltrainal-Vertreter Carlos Olava zitierte bei den Pressegespräch den Ausspruch eines Paramilitärs, der bekräftigte, die Gewerkschafter seien systematisch getötet würden, weil sie der Wirtschaft gefährlich werden könnten. Tatsächlich habe die Ermordung von Romero und anderen Gewerkschaftern einen schweren Rückschlag bei den Organisierungsbemühungen zur Folge gehabt. Die Menschen hätten danach Angast gehabt, sich überhaupt noch zu organisieren.. Olava sieht auch keinen Widerspruch darin, den juristischen Weg zu gehen und trotzdem für eine kämpferische Interessenvertretung einzutreten.
Der Berliner Rechtsanwalt und ECCHR-Vertreter Wolfgang Kaleck betonte, dass mit der Anzeige juristisches Neuland betreten werde. Es gebe aber nicht um ein Medienspektakel. Neben der Aufklärung der Wahrheit über die Ermordung des Gewerkschafters soll auch die Verantwortung von Konzernen thematisiert werden. Hier könnte die Klage eine Türöffnerfunktion bekommen, hofft Kaleck, „Unternehmen wie Nestle wissen, in welchen Gefahren ihre Arbeiter schweben, wenn sie sich gewerkschaftlich organisieren und ihre Rechte als Arbeiter verteidigen. Wenn sie solche Verbrechen hinnehmen, werden sie zu schweigenden Komplizen“, heißt es in einer in der Pressemappe dokumentierten Stellungnahme. Mittlerweile hat Nestel in einer Pressemitteilung erklärt, dass der Konzern immer gegen Gewalt eingetreten sei, lehnte aber jede Verantwortung für den Tod Romeos ab.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/220947.nestle-und-der-tod-des-gewerkschafters.html Peter Nowak

„Fahrlässige Tötung durch Unterlassen“


Eine Klage gegen Nestlé in Zusammenhang mit der Ermordung eines Gewerkschafters könnte Rechtsgeschichte schreiben

Luciano Romero war am Morgen des 11. September 2005 in der nordkolumbianischen Provinzstadt Valledupar schwer misshandelt worden, bevor er durch zahlreiche Messerstiche schwer verletzt starb. Wenige Tage nach seinem Tod hätte der langjährige Gewerkschafter auf einem internationalen Tribunal über den Nestlé-Konzern aussagen sollen. Er war bei der Gewerkschaft Sinaltrainal organisiert und von der kolumbianischen Nestlé-Vertretung wegen seines gewerkschaftlichen Engagements entlassen worden.

Jetzt will seine ehemalige Gewerkschaft gemeinsam mit Juristen und Menschenrechtsorganisationen mit seinem Fall Rechtsgeschichte schreiben. Sie haben vor einigen Tagen bei der Staatsanwaltschaft im schweizerischen Zug eine Klage gegen Nestlé-Verantwortliche eingereicht. Ihnen wird vorgeworfen, den Tod von Lucia Romero „durch pflichtwidriges Unterlassen fahrlässig mit verursacht“ zu haben. In der Anzeige-Begründung heißt es:

„In Kolumbien herrscht bis heute ein bewaffneter Konflikt, in dem Gewerkschafter und andere soziale Gruppen systematischer Verfolgung ausgesetzt sind. Romero erhielt Todesdrohungen, nachdem er vom lokalen Nestlé-Management fälschlich als Guerillero diffamiert worden war.“

Die Unternehmensführung in der Schweiz habe vom Fehlverhalten ihrer Vertreter in Kolumbien und von der Bedrohung der Gewerkschafter vor Ort gewusst und sei dennoch untätig geblieben, so die Anzeigensteller.

Sie greifen damit auf einen Passus in der Schweizer Rechtssprechung zurück, nach dem auch Unternehmenshaftung möglich ist, wenn man keine einzelnen Verantwortlichen ausmachen kann. Der Berliner Rechtsanwalt und ECCRH-Mitarbeiter Wolfgang Kaleck begrüßte bei einem Pressegespräch in Berlin diese Weiterentwicklung der Rechtssprechung. Das traditionelle Individualrecht werde den Entwicklungen moderner betriebswirtschaftlicher Organisationen mit ihrer weltweiten dezentralen Verteilung nicht mehr gerecht, argumentiert der Jurist.

Deutsche Staatsschutzbehörden denunzieren Menschenrechtsdelegation

Der Mord an Luciano Romero eignet sich auch deshalb für einen juristischen Präzedenzfall, weil er sehr gut aufgearbeitet ist. In Kolumbien sind in den letzten Jahrzehnten tausende Gewerkschafter von Paramilitärs ermordet worden, weil sie sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen eingesetzt haben. Ob dem allein mit einer Weiterentwicklung des Rechts Einhalt geboten werden kann, muss allerdings bezweifelt werden. Schon vor einem Jahrzehnt wurden Angehörigen von während der Militärdiktatur Verschwundenen in Lateinamerika nach der Festnahme von Pinochet in Großbritannien große Hoffnungen gemacht, wenigstens eine juristische Aufarbeitung zu erreichen, wenn schon die politischen Anliegen, für die die Menschen gekämpft haben, bevor sie ermordet wurden, gescheitert sind.

Zudem müssten eigentlich auch die Staatschutzbehörden strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Kürzlich hat der Schriftsteller Raul Zelik öffentlich gemacht, dass sie Informationen über eine Menschenrechtsdelegation an die kolumbianischen Behörden weitergegeben haben. Zelik schreibt dazu:

„Die Reisegruppe sollte kolumbianische Konfliktgebiete besuchen, um bedrohte Gewerkschafter, Bauernorganisationen und Menschenrechtskomitees zu interviewen und unterstützen. Da an der Delegation auch Berliner Antifas teilnahmen, vermuteten die deutschen Behörden illegale Kontakte und hörten Telefonanschlüsse ab. Die Verdachtsmomente erhärteten sich zwar nicht – im Übrigen führte unser erster Weg in Bogotá zur deutschen Botschaft, wo wir die diplomatische Vertretung über unsere Reiseziele informierten -, doch sicherheitshalber denunzierten uns die Ermittlungsbehörden trotzdem bei ihren kolumbianischen Kollegen. Wie später aus Akten ersichtlich wurde, kündigten sie der kolumbianischen Geheimpolizei DAS die Einreise mutmaßlicher deutscher Terrorunterstützer an, so dass wir am Flughafen Bogotá bereits von einem Observationstrupp erwartet wurden.“

Die Querverbindungen zwischen der kolumbianischen Geheimpolizei und den Paramilitärs seien bekannt, betont Zelik.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/151603

Aufstand der Amateure

Dokumentarfilm zeigt die wachsende Anti-AKW-Bewegung in Japan
Der Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Fukushima war für Julia Leser und Clarissa Seidel Anlass für einen Dokumentarfilm über die noch recht kleine, aber stetig wachsende japanische Opposition gegen die Atomwirtschaft.
Der Jahrestag des Atomunfalls von Fukushima hat wieder das Interesse auf die Situation der Menschen in Japan gerichtet, die mit den Folgen leben müssen. Doch das Bild von den disziplinierten Menschen, die auch nach der Katastrophe brav Anweisungen folgen, bekommt Risse, wenn man den Film »Radioactivists« sieht, der pünktlich zum Jahrestag in verschiedenen deutschen Programmkinos anläuft. Der Film wirft einen Blick auf die Protestszene, die sich nach der Katastrophe in Japan gebildet hat.

Überwiegend junge Menschen aus dem subkulturellen Milieu, die sich in Secondhandläden ihren Lebensunterhalt verdienten und sich als »Aufstand der Amateure« begreifen, mobilisierten einen Monat nach dem Super-GAU zur ersten Anti-AKW-Demonstration in Tokio. Mit rund 15 000 Menschen war es nicht nur die größte Aktion von Umweltschützern, sondern die größte politische Aktion seit den 1960ern in Japan überhaupt. Manches daran erinnert im Film an die westdeutschen Proteste nach Tschernobyl. Denn auch in Japan dominiert die Angst vor den Folgen.

Der Film zeigt aber auch, wie die Protestaktionen die beteiligten Menschen aus der Lähmung nach der Katastrophe befreiten und ihnen einen gesellschaftskritischen Ansatz eröffnete. Auch bei der zweiten Demonstration blieb die Aufbruchstimmung erhalten. Allerdings machte die Polizei da bereits mit kleinlichen Auflagen deutlich, dass die Staatsmacht wieder Fuß gefasst hatte.

Neben der Organisation von Demonstrationen mobilisierte der »Aufstand der Amateure« zu Solidaritätsreisen in die Regionen in der Nähe der havarierten Reaktoren. Damit sollten die dort lebenden Menschen psychologisch und durch Spenden unterstützt werden. Dadurch sind Menschen aus den Großstädten das erste Mal in diese abgelegenen japanischen Regionen gereist und haben ein anderes Land kennengelernt.

Die beiden Regisseurinnen wurden beim Aufenthalt in Japan vom GAU überrascht. Doch es ist ihnen gut gelungen, ein etwas anderes Bild vom Japan nach dem Reaktorunfall zu entwerfen. Im Film kommen die Aktivisten auch außerhalb von Pressekonferenzen zu Wort. Schon zwei Monate nach dem Unglück wurden Befürchtungen laut, dass der Protest wieder einschlafen könnte. Die Lage hatte sich stabilisiert, die Zahl der Zugriffe auf die Webseiten der Initiativen sank wieder und die Proteste stagnierten. Der Film endet im Sommer 2011. Es wäre durchaus interessant zu erfahren, wie sich die Anti-Atom-Bewegung seither entwickelt hat.

Radioactivists – Protest in Japan since Fukushima, Regie: Julia Leser und Clarissa Seidel, Deutschland/Japan 2011, 72 min.

Der Film läuft am 18.3 um 18.15 Uhr in Anwesenheit der Regisseurinnen im Lichtblick-Kino in der Berliner Kastanienallee 77

http://www.neues-deutschland.de/artikel/220958.aufstand-der-amateure.html
Peter Nowak

Wenn der Verkauf von Zeitungen Terrorismus ist…


In den nächsten Monaten ist mit einem neuen 129b-Verfahren in Deutschland zu rechnen.Angeklagt werden soll Gülaferit Ünsal.

Die türkische Linke sitzt seit dem 21.Oktober in der JVA-Lichtenberge in Untersuchungshaft.Die Bundesanwaltschaft hatte einen Auslieferungsantrag an Griechenland gestellt,wo die Frau die letzte Zeit gelebt hatte.
Ünsal wurde überstellt-weitgehend unbemerkt von einer solidarischen Öffentlichkeit.Erst am 15.Januar 2012 fand dann im Anschluß an die Liebknecht-Luxemburg-Demo,die ganz in der Nähe der JVA vorbeizog,eine erste Solidaritätskundgebung mit knapp 80 solidarischen Menschen statt.
Aus den Erfahrungen mit der griechischen Millitärdiktatur und dem linken Widerstand fdagegen,sind größere Teile der griechischen Öffentlichkeit sensibilisiert,wenn politische Aktivisten verfolgt werden.Auch gegen die Auslieferung von Ünsal hatte sich ein Bündnis linker und zivilgesellschaftlicher Gruppen gegründet,das von da an mobilisierte.
So schrieb die griechische „Gruppe der AnwältInnen für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen in ihrer Stellungnahme gegen Ünsals Auslieferung:“Die strafrechliche Verfolgung von Personen,die rechtmäßige politische Aktivitäten ausführen,auf der Grundlage ihrer angeblichen Beteiligung an Organisationen,die die europäischen Regierungen willkürlich
als „terroristisch“ charackterisieren,ist Gesinnungsstaftrecht und widerspricht dem strafrechtlichen Grundsatz,dass Handlungen uns nicht Überzeugungen verfolgt werden.Tatsächlich macht es der §129b möglich,völlig legale juristische Tätigkeiten als Terrorismus zu verfolgen.Im Fall von Gülaferit Ünsal schreibt die Bundesanwaltschaft in einer Erklärung,dass ihre Tätigkeit vor allem im Verkauf von Zeitschriften und Drucksachen und in der Organisierung von Spendensammlungen füe politische Gefangene in der Türkei bestanden habe.Diese völlig legalen Aktivitäten werden kriminalisiert,weil die Bundesanwaltschaft behauptet,Ünsal habe sie im Rahmen ihres Engagements für die in Deutschland verbotene marxistische DHKP/C geleistet.Prompt ist der Verkauf von legalen Zeitungen und die Solidaritätsarbeit zu politischen Gefangenen in der Türkei „Terrorismus“.
Mit ähnlichen 129b-Verfahren sind in den letzten Jahren vermeintliche Aktivisten türkischer,kurdischer oder tamilischer Organisationen,die sich selber als links verstehen,in Deutschland zu langjahrigen Haftstrafen verurteilt worden.Ünsal droht ein ähnliches Urteil.Mittlerweile hat sich ein Initiativkreis gebildet,der im Vorfeld des noch nicht terminierten
Verfahrens Informationsveranstaltungen und Solidaritätsaktionen vorbereiten will.dabei wird eine länderübergreifende Solidaritätsarbeit angestrebt.So gibt es Überlegungen,griechische AktivistInnen,die im letzten Jahr gegen Ünsals Auslieferung protestierten,zur Prozessbeobachtung nach Deutschland einzuladen.
Achter auf weitere Ankündigungen in Linken Medien und auf Solidarischen Websids und kommt zur Demo unter dem Moto“Solidarität mit Gülaferit Ünsal“ am 18.März nach Berlin.

aus Sonderbeilage der Roten Hilfe zum 18.März 2012
http://www.trueten.de/archives/7628-Sonderausgabe-der-Roten-Hilfe-zum-18.3.2012.html

Peter Nowak

Behinderung bei Bildung?

Kampagne für jugendliche Flüchtlinge / Rena Huseinova ist Sprecherin der 2005 gegründeten Initiative Jugendliche ohne Grenzen (JoG)

nd: Was ist das Ziel der gestern gestarteten Kampagne Bildung(s)los?
Huseinova: Wir wollen damit anlässlich der in Berlin tagenden Kultusministerkonferenz die Forderung nach freier Bildung und Ausbildung für alle Jugendliche mit Flüchtlingshintergrund unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus erreichen.
Wer unterstützt die Forderung?
In dem Bündnis sind unter anderem die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), der AWO Bundesverband, die Grüne Jugend, die Jusos, Flüchtlingsräte und Migrantenselbstorganisationen vertreten. Unterstützt werden wir auch von
Bildungsexperten wie Lothar Krappmann, der bis Frühjahr 2011 Mitglied des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes war und im Max-Planck-Institut für Bildungsforschung tätig ist. Er betont die
Bedeutung der Lebensumstände von Kindern und Jugendlichen mit Flüchtlingshintergrund auf ihre Bildungschancen.
Wo bestehen bisher die Hürden beim Bildungszugang dieser
Jugendlichen?

Viele Flüchtlinge sind sehr isoliert in Heimen untergebracht. Durch die Residenzpflicht und Wohnrechtsauflagen werden sie gehindert, den Landkreis des für sie zuständigen Ausländeramtes zu verlassen. Dadurch können Jugendliche in
zahlreichen Fällen Schulen, Ausbildungs- oder Praktikumsplätze nicht erreichen. Davon sind bundesweit ca. 47000 Kinder und Jugendliche betroffen. Die offiziellen Stellen, wie aktuell die Kultusministerkonferenz betonen einerseits, wie wichtig eine Ausbildung
für die Jugendlichen ist, anderseits erteilen die Ausländerbehörden Ausbildungs- Arbeits- und Studienverbote, das ist doch absurd.
Gibt es dabei Unterschiede in den Bundesländern?
Ja, in einigen Bundesländern wie in Berlin gibt es erkennbare Versuche, die Bildungsmöglichkeiten für
alle Jugendlichen umzusetzen. Besonders restriktiv ist die Situation in Niedersachsen. Aktuell ist uns ein Geschwisterpaar bekannt, dass einen Ausbildungsplatz nicht antreten kann, weil das Ausländeramt keine Beschäftigungserlaubnis gibt.
Sind Ihnen Fälle bekannt, wo sich Jugendliche über das Verbot hinweg gesetzt haben, um an Bildungsmaßnahmen teilzunehmen und deswegen bestraft wurden?
Nein, das Problem ist, dass die Einstellung mit bestimmten Kriterien verbunden ist. Kein Arbeitgeber oder Bildungsträger stellt Jugendliche ein, wenn das Ausländeramt nicht
zustimmt. Das gilt übrigens auch für unbezahlte Praktika. Es handelt sich also hier um eine massive Benachteiligung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund.
Was ist im Rahmen der Kampagne geplant?
Wir haben am 8.März der Kultusministerkonferenz unseren Forderungskatalog übergeben. Dafür werden auf unser Kampagnenhomepage www.bildung.jogspace.net
Unterschriften gesammelt. Über weiter Schritte entscheiden wir auf unserer Bildungskonferenz, die wir parallel zur Kultusministerkonferenz an der Humboldtuniversität in Berlin veranstalten.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/220751.behinderung-bei-bildung.html
Interview: Peter Nowak

Bleibt der Tod von Oury Yalloh ungeklärt?

Der Prozess um die Umstände des Todes des in einer Dessauer Polizeizelle unter ungeklärten Umständen verbrannten Flüchtlings geht weiter

Der Mann aus Sierra Leone war am 7.Januar 2005 von der Polizei festgenommen, durchsucht und in eine Arrestzelle verfrachtet worden. Wenige Stunden später verbrannte er dort. Die Staatsanwaltschaft hat die von der Richterin in die Diskussion gebrachte Einstellung des Verfahrens abgelehnt.

Dazu beigetragen haben dürfte die Empörung, die von Menschenrechtsinitiativen und Flüchtlingsgruppen laut wurde, als der Einstellungsantrag bekannt wurde. Schließlich haben diese über Jahre dafür gekämpft, dass es überhaupt zum Versuch der juristischen Aufarbeitung der Todesumstände gekommen ist. Dabei musste nach Angaben der Menschenrechtler um jedes Detail gerungen werden. So sollte anfangs die Mutter von Oury Yalloh nicht als Nebenklägerin zugelassen werden, weil die Geburtsurkunden in Sierra Leone nicht den bürokratischen Kriterien in Deutschland entsprachen.

Wenn das Verfahren nun eingestellt worden wäre, weil mit einer endgültigen Klärung nicht mehr rechnen ist hätten sich die Befürchtungen der Menschenrechtsgruppen bestätigt, die schon lange den Verdacht äußerten, dass die Bereitschaft, die Hintergründe des Verbrennungstodes aufzuklären, nicht vorhanden ist. Dabei sind die Unklarheiten, die in den letzten Jahren vor allen von zivilgesellschaftlichen Organisationen und engagierten Anwälten bekannt gemacht worden, groß.

Wie nach einer gründlichen Durchsuchung das Feuerzeug in die Zelle gelangen konnte, gehört ebenso dazu, wie die Frage, wie ein gefesselter Mann eine feuerfeste Matratze selber entzündet haben kann. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen wollen in dem Verfahren auch das Umfeld der Dessauer Polizeiwache ausleuchten, wo vor Oury Yalloh ein Obdachloser unter ähnlich ungeklärten Umständen ums Leben gekommen ist. Wie im Fortgang des Verfahrens allerdings die offenen Fragen noch geklärt werden können, wenn die Richterin eigentlich mit ihren Einstellungsbegehren schon eingestand, dass die Grenzen der rechtsstaatlichen Ermittlungen erreicht seien, bleibt offen.

Ein Film weist schlampige Ermittlungen nach

Zurück bleibt vor allem bei Flüchtlingsorganisationen der Verdacht, dass in Deutschland die Justiz zurückhaltender ermittelt, wenn die Opfer einen Migrantenhintergrund haben. Dieser Verdacht wird nicht nur im Todesfall Oury Yalloh laut. So wurde kürzlich auch das Verfahren zum Tod der im letzten Sommer in einen Jobcenter in Frankfurt/Main von einer Polizeikugel getroffene Christy Schwundeck eingestellt. Auch bei ihr ist es Freunden und Unterstützern mit einem juristischen Verfahren weniger um eine Bestrafung gegangen, sondern um eine Aufklärung über die Hintergründe ihres Todes.

In der nächsten Zeit dürfte die mangelhafte juristische Aufarbeitung des Todes der rumänischen Arbeitsmigranten Grigore Velcu und Eudache Caldera für Diskussionen sorgen. Die beiden wurden am 29.Juni 1992 angeblich von Jägern auf einem Feld in Mecklenburg Vorpommern erschossen, als sie nach dem Grenzübertritt auf einen Transfer nach Deutschland warteten. Die beiden Jäger, die für die Schüsse verantwortlich waren, wurden freigesprochen. Augenzeugen der Tat wurden nicht gehört, zahlreiche offensichtliche Widersprüche blieben ungeklärt und selbst die den Angehörigen der Getöteten bei einem Jagdunfall zustehende Entschädigung wurde nicht ausgezahlt.

Dass dieser Fall nach fast 20 Jahren wieder diskutiert wird, ist dem Filmemacher Philip Scheffner zu verdanken, der den ungeklärten Fragen dieses Todes im Getreidefeld in dem schon auf der Berlinale vielbeachteten Film Revision nach recherchierte. Er hat damit die Arbeit gemacht, die die Justizbehörden versäumten. Er besuchte die Angehörigen der Toten in Rumänien und spürte auch einen Augenzeugen auf, der mit Velcu und Caldera im Kornfeld wartete, als die tödlichen Schüsse fielen. Als der Prozess begann, war er schon längst wieder abgeschoben worden.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151588
Peter Nowak

Tod im Getreidefeld

Im Juni 1992 wurden in Mecklenburg-Vorpommern zwei Migranten aus Rumänien getötet. Der genaue Tathergang wurde bisher nicht aufgeklärt. Nun erinnert ein Dokumentarfilm an die Opfer.

Die Namen Grigore Velcu und Eudache Calderar kannte bisher kaum jemand. Das könnte sich bald ändern. In wenigen Monaten wird der Dokumentarfilm »Revision« in die Kinos kommen, der den bislang ungeklärten Tod der beiden Roma aus Rumänien in einem Getreidefeld in Mecklenburg-Vorpommern in den frühen Morgenstunden des 29. Juni 1992 zum Thema hat. Schon auf der Berlinale sorgte Philip Scheffners Film für Diskussionen. Vielleicht auch, weil die Männer den falschen Pass hatten, gab es in den Medien damals nur eine kurze Meldung zum Tod Velcus und Calderars. Die offizielle Version lautet, die beiden Männer seien beim illegalen Übertritt der deutsch-polnischen Grenze von Jägern erschossen worden, die die Gruppe, die in dem Getreidefeld auf ihren Transfer wartete, mit Wildschweinen verwechselt hätten. Die Schützen konnten schnell ermittelt werden. Ein ehemaliger Polizist und passionierter Jäger aus der Region sowie ein Jäger aus Hessen wurden wegen fahrlässiger Tötung und unterlassener Hilfeleistung angeklagt. Nachdem das Verfahren über mehrere Jahre verschleppt worden war, erfolgte ohne jede kritische Öffentlichkeit die Einstellung. Auch eine Revision wurde verworfen. Es habe nicht mit letzter Sicherheit geklärt werden können, wer die tödlichen Schüsse abgegeben habe, die beide Männer getötet haben, lautet die Hauptbegründung für die Einstellung.

Dabei leisteten die Jäger den von den Schüssen Getroffenen weder Erste Hilfe, noch verständigten sie einen Rettungswagen. Mindestens einer der Männer atmete noch, als er etliche Stunden später von Erntehelfern gefunden wurde, er starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Ob er überlebt hätte, wenn sofort lebensrettende Maßnahmen eingeleitet worden wären, wurde nie geklärt.

Das ist nur eine von vielen Ungereimtheiten, die Scheffner aufdeckt. So sagte eine Gutachterin aus, dass bei den Lichtverhältnissen in der Morgendämmerung Wildschweine von Menschen klar zu unterscheiden gewesen seien. Auch die Ursache für einen Brand des Getreidefeldes nach den Schüssen bleibt offen. Angeblich soll ein Mähdrescher der Grund dafür gewesen sein. Vor der Kamera bestreiten zwei Feuerwehrleute, die an der Löschung beteiligt waren, dass ein Mähdrescher vor Ort gewesen sei. Scheffner befragte auch einen Freund der Getöteten, der sich mit ihnen auf den Weg nach Deutschland gemacht hatte und Augenzeuge ihres Todes wurde. Auch nach mehrmaligem Nachfragen beharrt er darauf, dass die tödlichen Schüsse mit Zielfeuerwaffen aus einem Polizeiauto erfolgt seien, das am Rande des Felds gestanden habe. Diesen Umgereimtheiten wurde in dem Verfahren, das nur drei Verhandlungstage dauerte, nie nachgegangen. Keiner der Augenzeugen, die mit den Opfern im Feld auf ihren Transfer warteten, wurde als Zeuge gehört. Die meisten von ihnen waren zu diesem Zeitpunkt längst abgeschoben worden. Die Polizei hatte die Gruppe wenige Stunden nach den tödlichen Schüssen an einer nahen Autobahnraststätte aufgespürt.

Vor der Kamera wollte keiner der Schützen Stellung zu dem Vorfall nehmen oder den Angehörigen der Opfer wenigstens nachträglich Beileid aussprechen. Während der hessische Jäger erklären ließ, er habe kein Interesse an einem Kontakt mit dem Filmemacher, beauftrage der ehemalige Polizist aus Mecklenburg-Vorpommern einen Anwalt, um mitzuteilen, dass der Fall rechtsstaatlich geprüft und längst zu den Akten gelegt worden sei. Auch die versicherungsrechtlichen Ansprüche seien mittlerweile verjährt, betonte der Jurist. Schließlich hätten die Angehörigen keine finanziellen Ansprüche geltend gemacht.

Die Verwandten der Opfer waren allerdings nie über ihre Rechte informiert worden. Dabei hätte eine finanzielle Entschädigung ihr Leben vielleicht etwas erleichtern können. Velcu und Calderar waren zum Arbeiten nach Deutschland gekommen, weil sie in Rumänien keine Perspektive sahen. Sie hätten mit den Einkommen ihre Familien unterstützt. Ihr Tod stürzte ihre Angehörigen zusätzlich zur Trauer auch in große soziale Not. Frau Calderar war mit ihren Kindern zeitweise obdachlos.

Der Filmemacher stellt das Ereignis auch in einen politischen Zusammenhang. Knapp zwei Monate nach den tödlichen Schüssen im Sommer 1992 belagerte ein Mob aus Nazis und Bürgern in Rostock-Lichtenhagen ein Erstaufnahmelager für Migranten. Unter den Bewohnern, die in letzter Minute evakuiert wurden, nachdem es den Angreifern gelungen war, Teile des Gebäudes mit Molotow-Cocktails in Brand zu stecken, waren auch Augenzeugen der tödlichen Schüsse auf Calderar und Velcu. Wenige Monate später wurde das Asylrecht »reformiert«, oder besser gesagt: abgeschafft.

Das rassistische Klima hatte auch Velcu schon zu spüren bekommen. Er war mit seiner Familie 1989 nach Deutschland gekommen und lebte in einem Flüchtlingsheim in Gelbensande. Seine Mutter, die in dem Heim starb, wurde auf dem Dorffriedhof begraben. 1992 wurde die Grabstätte von Velcus Mutter mehrmals von Unbekannten verwüstet. Daraufhin entschloss Velcu sich, nach Rumänien zu reisen, um die nötigen Papiere für die Überführung der Leiche seiner Mutter in das Land zu besorgen. Er starb auf seinem Rückweg nach Deutschland im Getreidefeld. Das zerstörte Grabkreuz ist bis heute in einer Kirche in der Umgebung deponiert, auf Initiative einer Lehrerin aus der Region soll das Grab von Si­minica Ecaterina wieder hergerichtet werden. Scheffner sieht darin eine erste Reaktion auf die Diskussionen um seinen Film. In diesem Jahr jährt sich der Tod von Velcu und Calderar zum zwanzigsten Mal, ebenso wie die Angriffe auf das Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen.
http://jungle-world.com/artikel/2012/10/45018.html
Peter Nowak

Griechische Hochrüstung im Zeitalter der Krise

Noch 2010 gab Griechenland eine Milliarde Euro für Waffen aus

Eine Studie aus Brüssel war für die Bild-Zeitung wieder einmal ein Grund für Häme über die „Pleitegriechen“, die noch 2010 genug Geld hatten, um 1 Milliarde Euro für Rüstungsgüter ausgeben zu können. Größter Lieferant war Frankreich mit 876 Millionen Euro, gefolgt von Italien und den Niederlande. Auf Platz 4 folgt Deutschland mit insgesamt 35,8 Millionen Euro.

Schon länger ist bekannt, dass führende deutsche Rüstungskonzerne wie die Panzerfabrik KMW oder die Kieler Howalds-Werke-Deutsche Werft zu den Profiteuren der griechischen Militärpolitik gehören.

Der überproportional hohe Anteil der Rüstungsausgaben hat geopolitische und auch historische Gründe. Denn zwischen den beiden Natomitgliedern Griechenland und Türkei herrscht lediglich ein kalter Friede, der in der Vergangenheit schon mehrmals akut gefährdet war. Zypern ist seit langer Zeit ein Streitfall zwischen den beiden Ländern. Zudem gibt es Streit um die Abgrenzung der beiderseitigen See- und Lufthoheit in und über der Ägäis. Die Aufrüstung ist allerdings auch noch eine Erblast des kalten Krieges, als sowohl die Türkei als auch Griechenland an der „Südostflanke Europas“ massiv aufgerüstet wurden.
Verordnete außenpolitische Neuorientierung?

Im Zuge der Sparpolitik soll auch der Rüstungsetat um zunächst 300 Millionen Euro gekürzt werden, was allerdings nur ein erster Schritt sein dürfte. Schon wird auch von deutschen Kommentatoren wie Lothar Rühl in der FAZ gefordert, Griechenland müsse jetzt sein Verhältnis zum feindlichen Verbündeten Türkei grundsätzlich ändern.

Natürlich ist es naheliegend, die Reduzierung der Rüstungsausgaben in einem Land zu fordern, in dem zur Zeit massive Einschnitte bei den Löhnen, den Renten und Sozialleistungen umgesetzt werden. Die Reduzierung der Rüstungsausgaben müsste eine zentrale Forderung der griechischen Protestbewegung sein, die sich in den letzten Wochen im Widerstand gegen das von der EU diktierte Sparpaket lautstark zu Wort gemeldet hat. Schließlich sind Forderungen nach Einsparungen beim Militär statt auf sozialem Gebiet oder der Bildung weltweit ein grundlegendes Element sozialer Protestbewegungen.

Wenn solche Forderungen nicht gestellt werden, könnte das darauf hindeuten, dass die zentralen außenpolitischen Prämissen der griechischen Politik von einem großen Teil der Bevölkerung geteilt werden. Eine Kehrtwende in der türkisch-griechischen Zusammenarbeit kann aber nicht von außen diktiert werden, sondern muss zumindest von einem relevanten Teil der griechischen Bevölkerung unterstützt und eingefordert werden. Sollte dagegen eine Rüstungsausgabensenkung und ein neuer Politikansatz gegenüber der Türkei als EU-Diktat interpretiert werden, könnte es das Erstarken einer nationalistischen Rechten begünstigen, die schon längere Zeit nicht erfolglos durch die Krise verunsicherte Teile der Gesellschaft anspricht. Die Propaganda gegen eine EU, die nicht nur auf die Wirtschafts-, sondern auch die Außen- und Verteidigungspolitik Griechenlands Einfluss nehmen will, könnte solche Kräfte stärken.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151570
Peter Nowak