Schlechtes Vorbild

Die deutschen Gewerkschaften bekommen Nachhilfe von ihren europäischen Kollegen

In Deutschland sind sich Regierung, Medien und die Mehrheit der Bevölkerung einig, daß die »Pleitegriechen« das größte Problem in der EU sind. Wenn sie schon nicht aus der Eurozone geworfen werden können, solle man ihnen zumindest einen Sparkommissar von Deutschlands Gnaden vor die Nase setzen. Zu einem ganz anderen Fazit kommt das »UBS Wealth Management Research«: Nicht Griechenland, sondern Deutschland müßte die Eurozone verlassen, wenn die wirtschaftliche Vernunft das Kriterium wäre, meint das Fachblatt aus der Finanzwelt. Es reiht sich damit in den wachsenden Chor der Kritiker ein, die im Niedriglohnland Deutschland den Hauptgrund für die Schwierigkeiten sehen, in denen die Wirtschaft der anderen Länder der Eurozone steckt.
Nicht nur in Portugal und Griechenland protestieren mittlerweile Gewerkschafter und soziale Bewegungen gegen das deutsche Spardiktat. Als sich die Regierungen der Eurostaaten am 30. Januar einmal mehr zur Eurorettung in Brüssel trafen, war Belgien durch einen von den Gewerkschaften ausgerufenen Generalstreik gegen das europäische Spardiktat made in Germany lahmgelegt. Weil die Staats- und Regierungschefs nicht wie geplant auf dem von Streikposten gesperrten internationalen Flughafen von Brüssel landen konnten, mußte ihr Treffen auf eine rund 40 Kilometer südöstlich der belgischen Hauptstadt gelegene Luftwaffenbasis verlegt werden. Schon im Sommer 2011 hatten Aktivisten der belgischen Christlichen Gewerkschaft CSC erklärt: »Minijobs, prekäre Arbeitsverhältnisse und Hartz IV sind nicht unsere Sicht für die Zukunft der belgischen Arbeitnehmer.« Während einer europaweiten Gewerkschaftsdemonstration Ende Juni letzten Jahres konnten die Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB proletarische Solidarität erleben. CSC-Aktive hatten T-Shirts und Plakate mit schwarzrotgoldenen Farben bemalt und darauf geschrieben: »Das deutsche Jobwunder – Ich verdiene 4,81 Euro in der Stunde« und »Laßt Europa nicht dem deutschen Beispiel folgen«. Besonders düpiert fühlte sich so mancher von der deutschen Standortlogik angekränkelte Kollege durch den Slogan »Helft Heinrich«.
Die belgischen Gewerkschafter wollen die deutschen Niedriglöhner beim Kampf für mehr Lohn unterstützen und damit eine Ausbreitung der deutschen Niedriglohnpolitik auf andere europäische Staaten verhindern. Doch ob sich Heinrich und Mandy überhaupt helfen lassen wollen? Ob sie nicht lieber weiter auf die »Pleitegriechen« schimpfen?
Für den 31. März mobilisieren linke Gruppen und Basisgewerkschaften in mehreren europäischen Ländern zu einem antikapitalistischen Aktionstag, bei dem nicht Politikberatung à la Attac im Mittelpunkt stehen soll. In Deutschland wird die zentrale Protestaktion in Frankfurt/Main stattfinden.

http://www.konkret-verlage.de/kvv/in.php?text=&jahr=2012&mon=03
– Peter Nowak –
aus Konkret 3/2012