Neue Initiative für politisches Streikrecht


»Wiesbadener Appell« soll neue Debatte über die Rolle von Gewerkschaften anstoßen
Politiker, Gewerkschafter und Wissenschaftler fordern in einem »Wiesbadener Appell« eine Ausweitung des Streikrech
ts.

»Die Bundesrepublik Deutschland hat weltweit das rückständigste und restriktivste Streikrecht.« Mit dieser harschen Kritik beginnt der »Wiesbadener Appell«, mit dem sich Politiker, Gewerkschafter und Wissenschaftler für eine Ausweitung des Streikrechts einsetzen. Ausdrücklich wird ein Recht auf einen politischen Streik gefordert, der in Europa außer in Deutschland nur noch in Großbritannien und Österreich verboten ist. Unterzeichnet wurde der Appell von Spitzenpolitikern der LINKEN, von SPD-Mitgliedern, Gewerkschaftern und linken Wissenschaftlern.
In den letzten Tagen waren in der Öffentlichkeit freilich ganz andere Töne zu hören. Als die Vorfeldmitarbeiter am Frankfurter Flughafen für einige Tage streikten, forderten Politiker von FDP und Union sowie Vertreter von Wirtschaftsverbänden eine Einschränkung des Streikrechts. Selbst einige prominente DGB-Gewerkschafter stimmten in die Klage über die »egoistischen Spartengewerkschaften« ein. Dass dann ein Gericht zunächst einen angekündigten Solidaritätsstreik und dann auch den Arbeitskampf selbst verboten hat, bestärkt die Initiatoren des »Wiesbadener Appells«. Im Grundgesetz ist lediglich ein Recht auf Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 Absatz 3, aber kein konkreter Hinweis auf das Streikrecht zu finden ist. Daher bleibt es Auslegungssache der Gerichte, ob ein Ausstand rechtmäßig ist oder nicht.

Die Verfasser des »Wiesbadener Appells« erhoffen sich mit ihrer Initiative eine gesellschaftliche Debatte über die Rolle von kampffähigen Gewerkschaften. Die Tarifpolitik allein könne eine verfehlte neoliberale Politik nicht ausgleichen. »Doch die Schärfung und die Ausweitung von umfassenden Arbeitskampfmitteln der organisierten Arbeitnehmer führt Stück für Stück zu größeren Erfolgen der Gewerkschaften vor allem auch im politischen Raum. Die Mitgliedergewinnung und die Haltearbeit der Gewerkschaften könnte nachhaltig verbessert werden«, heißt es im Aufruf.

Dort wird auch nicht mit Kritik an der Haltung der DGB-Gewerkschaften gespart. Diese hätten wenig zur Ausweitung des Streikrechts getan. Positiv wurde das Agieren von Basisaktivisten hervorgehoben. So sei es ehrenamtlichen Untergliederungen der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt 2009 gegen den Willen des Gewerkschaftsvorstands gelungen, die Forderung nach dem Recht auf politischen Streik auf dem Gewerkschaftstag mehrheitsfähig zu machen.

Dass dieses Thema auch in anderen DGB-Gewerkschaften umstritten ist, zeigt die Vorgeschichte des »Wiesbadener Appells«. Ein Antrag von ver.di Mittelhessen bei der Konferenz des Fachbereichs 5 (Bildung, Wissenschaft und Forschung) zur Zulassung des politischen Streiks wurde im Juni 2010 bei nur einer Gegenstimme angenommen und dem ver.di-Bundeskongress 2011 vorgelegt. Dort wurde er allerdings nicht einmal zur Abstimmung gestellt. Es habe sich kein Delegierter gefunden, der für das Anliegen sprechen wollte, hieß die Begründung.

Der »Wiesbadener Appell« findet sich im Internet unter:

politischer-streik.de
http://www.neues-deutschland.de/artikel/220363.
neue-initiative-fuer-politisches-streikrecht.html
Peter Nowak