Berliner Gericht erklärte Überwachung von radikalen Linken für unzulässig, die Folgen dürften gering sein

Geklagt hatte einer von sechs Aktivisten der Berliner außerparlamentarischen Linken, die zwischen 1998 und 2006 vom Bundesamt für Verfassungsschutz überwacht worden waren.
Sie wurden von den Behörden zum Umfeld der Militanten Gruppe gerechnet, die mit mehreren Anschlägen damals für Aufsehen sorgte. Für den Verfassungsschutz hatte der Rechtsprofessor Heinrich Wolff die Überwachung noch einmal vor Gericht verteidigt. Es sei Pflicht der Staatsschützer gewesen, alle Spuren zu verfolgen. Zudem seien die Beschatteten langjährige Aktivisten der linken Szene gewesen und hätten in von ihnen verfassten politischen Erklärungen Textbausteine benutzt, die auch in Erklärungen der militanten Gruppe auftauchten. Mit einer solchen Begründung wurde schon in den vergangenen Jahren unter anderem gegen den Stadtsoziologen Andrej Holm ermittelt.

Die erste Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts war von den Ausführungen des Verfassungsschutzvertreters nicht überzeugt. Sie schlossen sich in ihrem Urteil eher dem Anwalt des Klägers Volker Gerloff an, der von „abenteuerlichen Konstruktionen“ der Überwachungsbehörden sprach.

Nichttelefonieren kein Verdachtsmoment

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Überwachungsmaßnahmen seien von Anfang an nicht gegeben gewesen, meinten die 5 Richter der Kammer. Eingriffe in die Telekommunikationsfreiheit seien nur als letztes Mittel der Aufklärung zulässig, wenn andere Maßnahmen erfolglos geblieben oder von vornherein aussichtslos seien.

Bereits im Antrag auf Anordnung der beabsichtigten Überwachungsmaßnahmen beim hierfür zuständigen Bundesministerium des Inneren hätte das Bundesamt diese Voraussetzungen bezogen auf den konkreten Sachverhalt darlegen müssen. In seinen Anträgen habe es aber nicht hinreichend konkret begründet, dass die mit den Maßnahmen beabsichtigte Erforschung des Sachverhalts nicht auf andere Weise hätte erfolgen können.

Auch hätten keine tatsächlichen Anhaltspunkte für den vom Bundesamt geäußerten Verdacht vorgelegen, die Kläger gehörten der „militanten Gruppe“ an. Vielmehr sei aus der Analyse von Verlautbarungen verschiedener Gruppen auf die Identität der Gruppenmitglieder geschlossen worden, ohne dass ein hinreichender Bezug zu den einzelnen Klägern hergestellt worden sei. Auch andere Verhaltensweisen der Betroffenen, wie zeitweises Nichttelefonieren, habe das Bundesamt ohne weitere konkrete Anhaltspunkte in unzutreffender Weise als tatsächliche Anhaltspunkte für den angenommenen Verdacht angesehen, rügte die Kammer.

Hamburgs SPD-Senat plant Einschränkung der Grundrechte

Doch auch die juristische Niederlage des VS ändert nichts daran, dass die Ausforschung der linken Szene über Jahre stattgefunden hat. Darin liegt aber der Hauptzweck der Maßnahme. So dürften die Folgen der juristischen Schlappe für die Behörden auch minimal sein. Zumal der Gesetzgeber parteiübergreifend die Weichen eher in Richtung auf mehr Überwachung stellt.

So plant der Hamburger SPD-Senat eine Novellierung des Polizeirechts, mit der die Polizei schon zum Eingreifen befugt wäre, wenn lediglich ein Anfangsverdacht einer Straftat besteht. Der Experte für öffentliches Recht Hartmut Aden rügte in einer Expertenanhörung zu der Novellierung, dass damit Maßnahmen wie Observation, Telefon- und Onlineüberwachungsmaßnahmen aus dem Bereich des Straf- ins Polizeirecht verlagert werden sollen. Also genau die vom Berliner Verfassungsgericht monierte Regelung würde dann Gesetzeskraft erhalten.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151544
Peter Nowak