Aufklärung unerwünscht?

Peter Hammerschmidt über Barbie und den Verfassungsschutz

Der Doktorand an der Mainzer Gutenberg-Universität forscht zum Umgang der BRD mit Altnazis wie Klaus Barbie.


nd: Wie kamen Sie dazu, über Klaus Barbie zu forschen?

Hammerschmidt: Ein Hauptseminar an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz über die deutsche Südamerika-Auswanderung im 19. und 20. Jahrhundert hat mein Interesse an den »Rattenlinien« geweckt. Die »Rattenlinien« waren die von westlichen Geheimdiensten, dem Roten Kreuz und dem Vatikan initiierten Fluchtrouten, über die hochrangige NS-Funktionäre nach 1945 nach Südamerika und somit einer Strafverfolgung entkamen. Eine Person, die von dieser Protektion profitierte, war Klaus Barbie, der Schlächter von Lyon, der trotz seiner Eintragung auf internationalen Fahndungslisten bis 1983 in Freiheit lebte und sein NS-Repressionswissen an westliche Nachrichtendienste und an südamerikanische Militärdiktaturen weitergab.

Sie haben auch beim Verfassungsschutz Akten zu Barbie angefordert.
Das mittlerweile aufgrund hartnäckiger Interventionen freigegebene Aktenmaterial von ausländischen Nachrichtendiensten und anderen Behörden legt die Vermutung nahe, dass Barbie bei seinen Reisen in die Bundesrepublik auch von Seiten des Bundesamtes für Verfassungsschutz protegiert wurde. Ein Antrag auf Akteneinsicht wurde im Herbst 2011 mit der Begründung abgewiesen, dass aufgrund der »hohen Anzahl von Verschlusssachen« verschiedener Nachrichtengeber in den Akten sowie aufgrund des »hohen personellen Aufwandes« keine Einzelprüfung erfolgen könne. Nach einer weiteren Intervention ließ sich der Inlandsnachrichtendienst Mitte Oktober 2011 dazu bewegen, doch eine entsprechende Einzelprüfung durchzuführen.

Und das Ergebnis?
Nach einer »überschlägigen Sachverhaltsprüfung« kam der Verfassungsschutz zu dem Ergebnis, dass eine »Offenlegung der Gesamtakte zu Barbie in absehbarer Zeit aus Sicherheitsgründen nicht möglich« sei.

Welche brisanten Inhalte könnten in den Akten zu finden sein?
Die Forschungsergebnisse legen nahe, dass Barbie in Deutschland neofaschistische Strukturen organisierte und darüber hinaus zwischen 1978 und 1979 ausgewählte Neofaschisten für den politischen Umsturz in Bolivien rekrutierte. In den 1970er Jahren scheint Barbie in diesem Zusammenhang auch aktiv an der Organisation der geheimen NATO-Struktur Gladio beteiligt gewesen zu sein.

Gibt es Möglichkeiten, die Herausgabe der Akten einzuklagen?
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig im Fall des Bundesnachrichtendienstes, das die Öffnung von Aktenmaterial im Fall Adolf Eichmann ermöglichte, bietet auch für eine juristische Intervention in diesem Fall entsprechende Perspektiven.

Wie bewerten Sie die Erklärungen des Verfassungsschutzes, dass ihm »eine transparente und wissenschaftlich seriöse Aufarbeitung der eigenen Geschichte ein wichtiges Anliegen ist«?
Meines Erachtens ist der Wille zu einer transparenten Aufarbeitung des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit Blick auf personelle NS-Kontinuitäten nicht zu erkennen, wenn bereits der Freigabe einer Einzelakte angebliche Sicherheitsrisiken entgegenstehen.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/217564.aufklaerung-unerwuenscht.html
Interview: Peter Nowak


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