Occupy, Studenten und Schulden

Um die Occupy-Bewegung ist es letzter Zeit in Deutschland stiller geworden. Anders in den USA. Hier findet die Occupy Student Debt Campagne immer mehr Anhänger. Die Bewegung fordert die Streichung der Schulden, die in den USA viele Studierende immer stärker belasten. Dass es sich dabei tatsächlich um ein Problem handelt, das die große Mehrzahl der Studenten betrifft, machen einige Zahlen deutlich. Laut »New York Times« belaufen sich die Schulden aus Studienkrediten mittlerweile in den gesamten USA auf knapp eine Billion Dollar (siehe auch ND vom 14.10.11).

Mit der Kampagne treten die Betroffenen jetzt an die Öffentlichkeit und erklären, weder in der Lage noch bereit zu sein, diese Schulden zu bezahlen. Zudem fordern sie ein gebührenfreies Studium und eine Kontrolle der privaten Firmen, die Studierendenkredite angeboten haben. Schließlich seien die politischen Rahmenbedingungen für das Anwachsen der Bildungsblase verantwortlich, argumentieren die Aktivisten. So sind die Bildungsausgaben seit 2008 USA-weit um acht 8, im Hochschulbereich sogar um bis zu 14 Prozent gesunken. andererseits erhöhte allein die University of California ihre Gebühren in den letzten zwei Jahren um über 30 Prozent. Da immer mehr Hochschulabsolventen keinen Job finden, kann inzwischen jeder dritte seine Kredite nicht oder nicht mehr pünktlich bedienen.

Die Schuldenverweigungskampagne der USA sollte von Kommilitonen in Deutschland genau beobachtet werden. Auch hier verschulden sich immer mehr Studierende und wissen nicht, wie sie die Forderungen begleichen sollen. Die Forderung einer Schuldenstreichung könnte durchaus hierzulande ebenfalls zum Thema werden.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/214812.occupy-studenten-und-schulden.html
Peter Nowak

Eine Rechte neuen Typs

Islam und Einwanderer stehen im Fadenkreuz der Extremisten
In Europa entsteht eine neue Form des Rechtsextremismus. Der Publizist Bernhard Schmid analysiert deren Entstehung und Ausprägung.

Der Terrorakt von Anders Behring Breivik im August in Norwegen sorgte weltweit für Entsetzen. Doch anders als die deutschen Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) bezog sich der selbst ernannte »Kreuzritter für Europa« nicht auf Hitler und die Nazis. In den nach seinem Terrorakt bekannt gewordenen Schriften nimmt er westliche Werte für sich in Anspruch und verteidigt den Staat Israel. Damit gehört Breivik zu einer Strömung in der extremen Rechten, die in verschiedenen europäischen Ländern an Einfluss gewonnen hat. Der in Frankreich lebende Jurist und Journalist Bernhard Schmid hat jetzt in einem in der »edition assamblage« erschienenen Buch einen informativen Überblick über diese neueste Rechte auf westeuropäischer Ebene geliefert.

Als gemeinsamen Nenner für die Strömung nennt Schmid die zu Hauptfeinden erkorenen muslimischen Einwanderer und den Islam generell. Darüber hinaus seien die Gruppierungen jedoch sehr unterschiedlich. Die österreichische FPÖ, der belgische Vlaams Belang und die französische Front National kommen aus der nazistischen Tradition und haben bei ihrer Neuausrichtung Mühe, ihren Antisemitismus zu verbergen. Auch Breivik schrieb in seinem Manifest: »Es ist unnötig zu sagen, dass ich zwar ein Unterstützer Israels und aller patriotischen Juden bin, zugleich aber die Ansicht vertrete, dass die antieuropäische Holocaust-Religion dekonstruktiv wirkt.«

Zu den politischen Vorbildern Breiviks gehört die English Defence League (EDL), die Schmid als »rechtsextreme Bewegung neuen Typs« beschreibt. Die aus der Hooliganbewegung entstandene EDL macht als schlagende Verbindung dieser neuen Rechten in von Migranten bewohnten Stadtvierteln Jagd auf Araber. Dagegen geben sich die Schweizer Volkspartei (SVP) und die holländische Partei für die Freiheit seriöser. Schließlich unterstützen sie in ihren Ländern die Regierung.

In einem Kapitel untersucht Schmid auch die verschiedenen Gruppierungen, die in Deutschland bisher ohne großen Erfolg versuchen, als prowestliche Rechte zu reüssieren. Ein wichtiger Grundlagentext dieser Strömung ist die von der italienischen Journalistin Oriana Fallaci verfasste Brandschrift »Die Wut und der Stolz«. Das Buch, in dem die Autorin Drohungen gegen Migranten in Italien ausstößt, löste in mehreren Ländern Anzeigen aus.

Mitte Dezember erschoss ein Mann, der als Faschist und Sympathisant der neuen rechten Strömung galt, in Florenz zwei Migranten aus Senegal und verletzte weitere schwer. Mit seinem Buch leistet Schmid wichtige Aufklärungsarbeit, um solche Attentate zu verhindern.

»Distanzieren, leugnen, drohen: Die europäische Rechte nach Oslo«, Bernhard Schmid, edition assamblage 2011, 120 Seiten, 12,80 Euro

http://www.neues-deutschland.de/artikel/214823.eine-rechte-neuen-typs.html
Peter Nowak

Schwarz gegen Braun und Dunkelrot

Nicht der totalitarismustheoretische Ansatz der CSU ist bemerkenswert, sondern die Schnelligkeit, mit dem nach dem angeblichen Schock über die NSU-Morde die Rhetorikmaschine wieder auf Normalbetrieb gestellt wird

Nachdem die Morde des nationalsozialistischen Untergrunds die Republik erschütterten, wurde wieder verstärkt über ein NPD-Verbot diskutiert. Über die politische Sinnhaftigkeit und die juristischen Möglichkeiten war in den letzten Wochen ausgiebig gestritten wurden. Da wenige neue Argumente dazu kamen, begann sich die Debatte im Kreise zu drehen.

Nun hat die CSU wieder etwas Leben in die Debatte gebracht. Dabei hat ihr Generalsekretär Alexander Dobrindt nur eine Forderung recycelt, die die Partei fast jährlich zum Jahresbeginn vor ihrem Klausurtreffen in Bad Kreuth wiederholt. Wie auch im letzten Jahr forderte Dobrinth erneut, ein Verbot der Linkspartei zu prüfen. Nun ist allen Beobachtern klar, dass diese Forderung keine praktische Relevanz haben wird. Nicht nur aus der FDP, sondern auch aus der Union wurde die Forderung sofort zurückgewiesen.

Natürlich soll damit nur der betont konservative Kurs der CSU unterstrichen werden. Die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag Gerda Hasselfeldt hat schon vor einigen Tagen die Vorlage geliefert, als sie in der FAZ für mehr Deutschland in Europa eintrat und Kriterien forderte, mit denen renitente Staaten aus der Eurozone gewiesen werden können. Hasselfeldt hat auch ihren Generalsekretär bei dem Kampf gegen die Linke sekundiert. Die Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz ist für sie selbstverständlich, ein Verbot wollte sie nicht ausschließen. Zudem solle wie die NPD auch die Linkspartei von der finanziellen Förderung durch den Staat ausgeschlossen werden.

Wie im letzten Jahr

Eigentlich müsste man sich fragen, ob die CSU-Politiker tatsächlich die Forderungen vom Vorjahr, nur mit einigen aktuellen Vorbemerkungen versehen, immer wiederholen. Im letzten Jahr war es die Kommunismusdebatte, die auch die CSU gegen die Linkspartei aufgebracht hat. In diesem Jahr ist es die Debatte um das NPD-Verbot. Nach dem Prinzip einer Gleichbehandlung wird dann eben auch wieder ein Verbot der Linkspartei in Erwägung gezogen.

Doch selbst diese scheinbare totalitarismustheoretische Gleichbehandlung ist nur oberflächlich. Denn bei der CSU gilt schon seit den Tagen von Franz Josef Strauss das Prinzip, dass sie dafür sorgen will, dass rechts von ihr keine Partei sich etablieren kann. Das heißt, sie stellt selber Forderungen, die ein rechtes Klientel befriedigen und einbinden soll. Mehr Deutschland in Europa gehört dazu. Wenn die SPD aber dafür sorgen wollte, dass links von ihr keine Partei sich etablieren kann, also Wähler der Linkspartei einbinden wollte, käme aus der CSU sofort das Lamento, die SPD drifte nach links ab und verlasse den Konsens der Demokraten, der nach dieser Lesart wohl weit rechts der Mitte liegen muss.

Nichts gelernt aus dem NSU-Schock?

Was bei den aktuellen CSU-Forderungen besonders auffällt, ist der Zeitpunkt. Es ist erst einige Wochen her, dass das Bekanntwerden des nationalsozialistischen Untergrunds scheinbar zu einem Schock bei Politik und in der Öffentlichkeit geführt hat. Die Tatsache, dass eine Nazi-Terrorgruppe unbemerkt von der Öffentlichkeit morden konnte und dass niemand auch nur in Erwägung gezogen hat, dass die Täter aus der rechten Ecke kommen könnten, hat scheinbar nachdenklich gemacht. Dass dagegen bei den Opfern die Schuld gesucht wurde und ihre Verwandtschaft und ihre Freunde fast schon als potentielle Verdächtigte behandelt worden sind, schien zumindest etwas Beschämung auszulösen.

Die neuen Forderungen nach einen NPD-Verbot kamen auf, weil es Hinweise gab, dass es Überschneidungen zum NS-Untergrund gegeben haben könnte. Allerdings meinten andere, die Debatte um das NPD-Verbot solle vor allem von der Rolle des Verfassungsschutzes ablenken. Wenn jetzt Dobrinth und Co. ein Verbot der Linkspartei mit der Debatte um ein NPD-Verbot ins Spiel bringen, machen sie deutlich, dass sie zu den Opfern des NS-Untergrundes höchstens ein instrumentelles Verhältnis haben. Die Zeit der Betroffenheit ist um. Die Rhetorikmaschine ist zumindest in der CSU wieder auf Normalbetrieb gestellt.
Peter Nowak

Einige wehren sich weiter gegen S 21

In einem Offenen Brief an den grünen Ministerpräsidenten Baden-Württembergs, Winfried Kreschmann, haben führende Aktivisten der Bewegung gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 deutlich gemacht, dass auch nach ihrer Abstimmungsniederlage in der Volksabstimmung ihr Widerstand weitergeht. Zu den Unterzeichnern gehören neben dem Sprecher der Parkschützer Matthias von Herrmann und Werner Sauerborn von den Gewerkschaftern gegen S21 auch Künstler und Intellektuelle. Sie fordern von Kretschmann, in den Verhandlungen mit der Bahn Widerstand gegen das Fällen von Bäumen und den Abriss historischer Gebäude zu leisten. Außerdem verlangen sie von der Bahn die Vorlage eines Finanzierungsplans und eine Regelung des Grundwassermanagements. Auch die Demonstrationen gegen die Baumaßnahmen gehen im neuen Jahr weiter.

Die Deutsche Bahn will indes schnell mit den Arbeiten beginnen. Die Räumung des Schlossgartens, wo sich vor gut einem Jahr mehrere Dutzend Stuttgart-21-Gegner in einem bislang geduldeten Tipidorf einquartiert haben, steht unmittelbar bevor. Der Tag X könnte der 12. Januar sein, an dem nach einer Verfügung der Stadt alle »campingartigen Behausungen« entfernt sein müssen. Denn 176 Bäume sollen verschwinden, damit die Bauherrin den Trog für den geplanten Tiefbahnhof ausheben kann. Zudem soll der Südflügel des bisherigen Bahnhofsgebäudes abgerissen werden. »Wir befinden uns in Alarmstimmung. Und wir werden uns weiterhin in den Weg stellen«, betont eine Sprecherin von Robin Wood. Bäume und Bonatz-Bau haben symbolische Bedeutung für die S-21-Gegner und bereits in der Vergangenheit zu Auseinandersetzungen geführt.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) prüft derweil einen Eilantrag vor Gericht gegen das Fällen. Gelänge es, den Rechtsstreit bis Ende Februar hinzuziehen, würden die Naturschützer der Bahn ernsthafte Probleme bereiten: Dann beginnt die Vegetationsperiode, in der Rodungen tabu wären.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/214678.einige-wehren-sich-weiter-gegen-s-21.html
Peter Nowak

Gendertrouble in der SPD

Der Historiker Ralf Hoffrogge liefert einen Zugang zur Geschichte der frühen Arbeiterbewegung jenseits von Verklärung und Totalverriss
Der Berliner Historiker Ralf Hoffrogge erklärt der außerparlamentarischen Linken, was an der frühen Arbeiterbewegung auch heute noch spannend ist.
Die Arbeiterbewegung wird häufig auch in linken Kreisen als toter Hund belächelt. Die meisten Gruppen der außerparlamentarischen Linken betonen eher die Distanz als die Gemeinsamkeiten. Der Historiker Ralf Hoffrogge, der sich mit der Wiederentdeckung des führenden Aktivisten der Revolutionären Obleute Richard Müller Verdienste erworben hat, veröffentlichte in der Reihe theorie.org im Schmetterling-Verlag ein Buch, dass einen anderen Zugang zu der Arbeiterbewegung vermittelt.

In mehreren Kapiteln beschäftigt sich Hoffrogge mit der Positionierung der Arbeiterbewegung zu Rassismus, Feminismus, Antisemitismus und Homophobie. Nicht ohne Grund. In großen Teilen der außerparlamentarischen Linken, wird die These vertreten, dass die Arbeiterbewegung zu diesen Unterdrückungsformen keine Antworten gefunden hat, die heute noch aktuell sein können. Demgegenüber betont Hoffrogge, die Arbeiterbewegung habe sehr wohl fortschrittliche Positionen zu diesen Fragen im Kontext ihrer Zeit gehabt, auch wenn die SPD und die Gewerkschaften in ihrer Praxis oft weit dahinter zurück gefallen sind. Hoffrogge hebt den letzten Absatz des theoretischen Teils des Erfurter Programms positiv hervor, das sich die SPD nach dem Fall des Sozialistengesetzes vor nunmehr 120 Jahren gegeben hat. Dort heißt es: „Die SPD kämpft also nicht für neue Klassenprivilegien und Vorrechte, sondern für die Abschaffung der Klassenherrschaft und der Klassen selbst und für gleiche Rechte und Pflichten ohne Unterschied des Geschlechts und der Abstammung. Von dieser Anschauung bekämpft sie in der heutigen Gesellschaft nicht nur die Unterdrückung der Lohnarbeiter, sondern jede Art der Ausbeutung und Unterdrückung, richtet sie sich gegen eine Klasse, ein Geschlecht oder eine Rasse“. Natürlich war diese Definition nach den heutigen Maßstäben kritikwürdig, wenn beispielsweise von der Existenz von Rassen ausgegangen wird. Aber Hoffrogge betont, dass die Definition im Kern auch heute noch für feministische Debatten brauchbar sei Daher hat er den Abschnitt im Buch auch sehr modern als „Gendertrouble in der Arbeiterbewegung“ überschrieben.
Positiv würdigt Hoffrogge auch die zahlreichen theoretischen Interventionen von Marx und Engels, zum Beispiel dessen Anti-Dühring: „Engels Kampf gegen Dühring ersparte der Arbeiterbewegung zudem einen fatalen Irrtum. Dühring vertrat nicht nur eine positivistische Philosophie. sondern war auch einer der ersten Vertreter eines modernen Rasse-Antisemitismus“.
Auch Marx habe sich mit seiner theoretischen Arbeit gegen den Antisemitismus gerichtet, so der Autor. „Marx richtet eigentliche Gesellschaftsanalyse richtet sich gegen jeden völkische und sonst wie personalisierte Form der Kapitalismuskritik, in der die kapitalistische Moderne als eine Verschwörung bestimmter Gruppen erschien“.
Hoffrogge erinnert auch an das wenig bekannte Engagement von führenden sozialdemokratischen Politikern der ersten Stunde wie August Bebel gegen die Verfolgung von Homosexuellen. Der Autor verklärt die Geschichte der Arbeiterbewegung keineswegs. Aber macht deutlich, dass sie durchaus vielfältiger war, als heute oft vermutet und auch für linke Aktivisten noch von Interesse sein kann.

Hoffrogge Ralf, Sozialismus und Arbeiterbewegung in Deutschland, Von den Anfängen bis 1914, Schmetterling Verlag, 216 Seiten, Stuttgart 2011, 10 Euro, ISBN 3-89657-655-0

https://www.neues-deutschland.de/artikel/214676.gendertrouble-in-der-spd.html
Peter Nowak

Wulff im Krieg mit Bild?

Wie aus einer privaten und persönlichen Nachricht auf der Mailbox des Bild-Chefs ein Angriff auf die Pressefreiheit konstruiert wird

„Christian Wulff: Rücktritt jetzt“ – seit Jahresbeginn ist diese auf Facebook formulierte Forderung durchaus nicht mehr so undenkbar. Dabei schien sich vor einer Woche die Debatte um den Bundespräsidenten beruhigt zu haben. Führende Sozialdemokraten hatten signalisiert, dass sie keineswegs Interesse an einen Präsidentenrücktritt haben und sogar vor einer Staatskrise gewarnt.

Doch nun muss sich Wulff nicht nur Vorwürfe über seine Kreditkonditionen anhören. Jetzt wird ihm auch noch angelastet, dass er im Vorfeld auf die journalistische Berichterstattung Einfluss nehmen wollte und in diesem Zusammenhang mit strafrechtliche Konsequenzen gedroht habe (Bundespräsident Wulff hat die akzeptable Grenze überschritten). Nach verschiedenen Medienberichten soll Wulff auf Dieckmanns Mailbox die Nachricht hinterlassen haben, für ihn sei mit der angekündigten Veröffentlichung „der Rubikon überschritten“. Wenn die Bild-Zeitung „Krieg führen“ wolle, solle sie wenigstens warten, bis er seinen Staatsbesuch im Nahen Osten beendet habe. Neben Bild-Chef Dieckmann soll Wulff auch weitere hohe Springer-Repräsentanten angerufen haben, um in eigener Sache zu intervenieren.

Dies hat scharfe Kritik beim Deutschen Journalisten-Verband ausgelöst. Der verurteilte die Versuche „prominenter Persönlichkeiten, Einfluss auf kritische Berichterstattung von Medien“ auszuüben. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Erwin Lotter sah in den Meldungen über die Anrufe des Bundespräsidenten eine weitere Bestätigung für seine Rücktrittsforderung an Wulff, die er schon Ende Dezember formuliert hatte.

Vom Bild-Retter der deutschen Sprache zum Buhmann?

Der frühere Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust nannte Wulffs Intervention ein „politisches Selbstmordkommando“.

Doch auch bei der neuesten Wendung der Wulff-Debatte ist abermals eine ganze Menge Heuchelei im Spiel. Das fängt schon damit an, dass es eigentlich schwer vorstellbar ist, Bild und den Springer-Konzern mit kritischer Berichterstattung in Verbindung zu bringen, die Wulff angeblich behindert haben soll. Berechtigt ist auch die Frage, wie viel Druck Bild auf Wulff ausgeübt hat, bis der zum Hörer gegriffen hat.

Zudem muss man die Frage stellen, wieso Wulff jetzt verübelt wird, dass er mit einer Strafanzeige gedroht hat, wenn der von ihm kritisierte Bericht erscheint. Schließlich hat auch er das Recht, die Justiz einzuschalten, wenn er sich durch die Berichterstattung in seinen Rechten verletzt fühlt und kann diesen Schritt auch vorher ankündigen. Müsste man Wulff nicht sogar etwas Courage attestieren, dass er sich tatsächlich ausgerechnet gegenüber Bild in dieser Weise äußerte?

Schließlich ist von seinem ehemaligen niedersächsischen Amtskollegen Schröder das Bonmot überliefert, dass kein Politiker gegen Bild in Deutschland regieren kann. Auch Wulff hat dies jahrelang beherzigt. Die Kooperation zwischen dem CDU-Politiker und dem Boulevardblatt klappte seit 2003 reibungslos. 2003 hatte ihn Bild sogar zum Retter der deutschen Sprache ernannt.

Im Oktober 2008 war Wulff dann von den Boulevardblatt zum Gewinner des Jahres ausgerufen worden, weil er säumige Steuerzahler mahnte. Ist nicht diese Kooperation zwischen Bild und Politik viel kritikwürdiger als der von Wulff halbherzig und am nächsten Tag zurück genommene angedrohte Bruch mit Bild?

Noch eine Chance für Gauck?

Schließlich wäre auch zu fragen, wie die Nachricht auf einer privaten Mailbox von Dieckmann in die Öffentlichkeit gelangen konnte. Da hätte der Bild-Chef auch einiges zu erklären.

Schließlich hat Wulff Recht, wenn er erklärt, dass er keine öffentlichen Stellungnahmen zu privaten Gesprächen und Telefonaten abgibt. Es ist nur fraglich, ob er sich daran auch in den nächsten Tagen noch halten wird, wenn der Druck auf ihn weiter steigen wird. Sollte Wulffs nicht nur private, sondern auch persönliche Mitteilung an Dieckmann zum Angriff auf die Pressefreiheit hochstilisiert werden, muss man sich schon fragen, ob hier nicht manche die Gelegenheit wahrnehmen, sich an Wulff zu revanchieren.

Schließlich war im Vorfeld der Präsidentenwahl auch in Unionsreihen die Zahl derer, die Joachim Gauck favorisierten und Wulff nur aus Parteiraison wählten, nicht so klein. Sollte Wulff tatsächlich zurücktreten müssen, könnte der damalige Kontrahent doch noch zum Zuge kommen – vorausgesetzt er ist noch an dem Amt interessiert. Schließlich wäre bei einer erneuten Bundespräsidentenwahl eine Absprache zwischen den unterschiedlichen Lagern wahrscheinlich. Durch die letzten Landtagswahlergebnisse in der Bundesversammlung hat sich der Vorsprung der Regierungskoalition gegenüber der letzten Präsidentenwahl weiter dezimiert. Da wäre der damalige Kandidat von SPD und Grünen, der auch bei FDP und Union viele Sympathien hatte, der ideale Kompromisskandidat.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151146
Peter Nowak

Widerstand gegen Stuttgart 21 geht weiter

-Nach ihrer Niederlage bei der Volksabstimmung Ende November haben die Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 deutlich gemacht, dass sie ihren Widerstand nicht einstellen werden

Führende Aktivisten, wie der Pressesprecher der Parkschützer, Matthias von Herrmann, und Werner Sauerborn von der Gruppe Gewerkschaftler gegen S21, haben in einem Offenen Brief an den Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann eine harte Haltung gegenüber der Bahn gefordert. Ehe der Bau überhaupt weitergehen kann, müsse die Bahn einen tragfähigen Finanzierungsplan vorlegen und das Grundwassermanagement regeln, heißt es in dem Schreiben. Bevor diese Bedingungen nicht erfüllt sind, ist für die S21-Gegner ein Abriss historischer Gebäude und ein Fällen von Bäumen im Stuttgarter Schlossgarten undenkbar.

Unterstützt werden sie dabei von Peter Dübbers, dem Enkel des Architekten des bisherigen Stuttgarter Hauptbahnhofs Paul Bongartz. Er fordert in einem Brief an den für Kultur zuständigen Staatsminister Bernd Neumann, das Bahnhofsgebäude als Kulturdenkmal zu erhalten.

Die Bahn hat allerdings andere Pläne und will am 9.Januar mit dem Abriss beginnen. Die Gegner des Projekts verlassen sich nicht allein auf offene Briefe, sondern setzen ihren Widerstand auch auf der Straße fort. Für den 7.Januar ist eine zentrale Demonstration geplant.

Volksabstimmung – scheindemokratische Farce?

In einer Stuttgarter Erklärung begründen die S21-Gegner, warum sie trotz des Votums der Bevölkerung ihren Protest fortsetzen. Sie sparen dabei auch nicht mit Selbstkritik:

„Auch in der Protestbewegung haben allzu viele darauf vertraut, dass die grün-rote Landesregierung die im Koalitionsvertrag festgehaltenen Vorbedingungen zur ‚Volksabstimmung‘ erfüllen würde, das heißt, alle entscheidungsrelevanten Tatbestände offenzulegen. Stattdessen wurden Fakten ignoriert, die Auskunftsverweigerung seitens der Bahn hingenommen und Falschaussagen toleriert“, heißt es in der Erklärung.

In einer der Taz beigelegten Sonderausgabe haben die S21-Gegner ihre Vorwürfe detaillierter dargelegt. Nur wenige Wochen nach der Volksabstimmung seien führende Versprechen der S21-Befürworter Makulatur geworden, ist in der Zeitungsbeilage zu lesen.

„Bereits heute übersteigen die S21-Kosten erkennbar die vereinbarte Obergrenze. Die Zusage, andere wichtige Schieneninfrastrukturprojekte in Baden-Württemberg würden durch S21 nicht ausgebremst, gilt bereits nicht mehr“, monieren die S21-Kritiker. Detailliert setzen sie sich mit den Stresstest auseinander, der die Leistungsfähigkeit des neuen Bahnhofs ermitteln sollte. Nach ihrer Lesart handelt es sich dabei in mehreren Punkten um Manipulationen und Tricks.

Vom Denkmalschutz über die Kosten bis zur Leistungsfähigkeit werden in der Publikation noch einmal alle Themen aufgezählt, die die S21-Gegner in den letzten Monaten allerdings durchaus auch schon benannt haben. Dass diese Argumente bei der Volksabstimmung nicht die Gegner des Projekts stärkten, ist eine Tatsache, die von den Aktivisten hauptsächlich mit der ökonomischen Macht der Befürworter erklärt wird. So seien die möglichen auf das Land zukommenden Kosten bei einem Ausstieg maßlos übertrieben worden, während kaum erwähnt worden sei, dass die Realisierung des Projekts viel teurer als geplant werden würde.

Allerdings müssen sich die S21-Gegner nun mit dem Problem auseinandersetzen, dass sie kaum noch einen Hebel in der Hand haben, um das Projekt zu stoppen. Appelle an die Bundesregierung, aus dem Projekt auszusteigen, zeugen von einer gewissen Hilflosigkeit. Denn die Bundesregierung hat in den letzten Jahren immer wieder bekräftigt, wie wichtig ihr die Durchführung von Stuttgart 21 ist.

Dabei hat Merkel sogar die Wahlniederlage ihrer Partei in Baden-Württemberg in Kauf genommen. Denn dass nun ein grüner Ministerpräsident, der als entschiedener Gegner des Projekts angetreten ist, Stuttgart 21 durchsetzen muss, bringt CDU und FDP in eine komfortable Lage. Die brauchen nur zusehen, wie die Grünen das Problem bewältigen, ihrer eigenen Basis die Polizeieinsätze zu vermitteln, die nötig werden, falls Bäume gefällt und weitere Gebäude abgerissen werden. Auch können die Konservativen hoffen, dass die Koalition zwischen Grünen und SPD in Baden-Württemberg diesen Stresstest nicht durchhält.

Dann könnten sich die beiden Parteien, die das Projekt Stuttgart 21 befürworteten und vor der Volksabstimmung gemeinsam dafür warben, bald in einer großen Koalition wiederfinden. Es könnte dann aber auch der Widerstand wieder wachsen und trotz der Volksabstimmung durchaus noch ein ernstzunehmender politischer Faktor werden. Schließlich hat der gerichtlich durchgesetzte Baustopp beim Grundwassermanagement – wegen der unzureichenden Berücksichtigung des Schutzes des Juchtenkäfers – der siegestrunkenen Bahn deutlich gemacht, dass sie auch nach dem Votum der Bevölkerung in Baden-Württemberg mit ihren Plänen noch nicht am Ziel ist.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151142
Peter Nowak