Proteste gegen IWF-Politik in Rumänien

Wie in Ungarn könnte auch in Rumänien die extreme Rechte vom Unmut über der Bevölkerung profitieren

Die Proteste gegen die Sparpolitik der rumänischen Regierung weiten sich aus. Am Sonntagabend kam es in der Hauptstadt Bukarest erstmals zu militanten Auseinandersetzungen, nachdem Demonstranten die Polizeiketten durchbrochen hatten. In den Medien wird von mehr als 50 Verletzten gesprochen, die große Mehrheit waren Demonstranten. 29 Personen wurden festgenommen.

Sofort war irreführend von unpolitischen Fußballfans und Hooligans die Rede. Die Teilnahme von rechtsgerichteten Fußballfans, die nationalistische Parolen wie „Rumänien erwache“ riefen, ist sicher ein Ausdruck davon, dass Parteien und Gewerkschaften in Rumänien bei der Protestbewegung keine große Rolle spielen. Doch schon immer waren Fußballclubs auch in Rumänien mehr als nur eine Freizeitbeschäftigung. Sie haben auch als Ersatz für politische Organisationen gedient. Schon lange ist dort die großrumänische Ideologie auf fruchtbaren Boden gefallen. Die scheinbaren Verlierer der Wende richten ihren Frust gegen Roma, Juden und andere Minderheiten und träumen von einem Großrumänien. Solche Stimmungen wurden in der Vergangenheit von unterschiedlichen rumänischen Regierungen instrumentalisiert und gegen die Opposition eingesetzt.

Schon in den frühen 90er Jahren mobilisierte die als Sozialdemokraten firmierenden Nachfolger der Nationalkommunisten nationalistische Bergarbeiter aus der rumänischen Provinz nach Bukarest, um die Proteste der konservativen und liberalen Opposition niederzuschlagen. Mittlerweile haben diese Kräfte schon lange die Regierungsgewalt in Rumänien inne und bewiesen, dass sie genau so populistisch, machthungrig und bestechlich sind wie die Nachfolger Ceausescus. So lieferten sich im Jahr 2007 monatelang zwei Politiker des konservativ-liberalen Lagers einen Machtkampf ohne Rücksicht auf die staatlichen Institutionen. Dabei setzte sich der rechtspopulistische Präsident Traian Basescu gegen den nicht minder konservativen Ministerpräsidenten Calin Popescu Tariceanu durch. Der Präsident erwies sich als der geschicktere Populist und konnte einen großen Teil der Bevölkerung auf seine Seite bringen und dabei die Vorgaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) erfüllen. Diese Fähigkeit scheint ihm jetzt abhanden zu kommen. Die Proteste der letzten Tage richten sich vor allem gegen den Präsidenten. Sein Rücktritt wird gefordert.

IWF-Diktat in der Kritik

Zu den vom IWF aufoktroyierten Wirtschaftsmaßnahmen gehörte die Einfrierung der Renten, die Erhöhung der Mehrwertsteuer und die Privatisierung des Gesundheitswesens. Der unmittelbare Anlass für die Proteste war die vom Präsidenten geplante Privatisierung des nationalen Rettungsdienstes und die Entlassung eines parteilosen Staatssekretärs, der dagegen opponierte.

Für einen Großteil der Bevölkerung brachte diese Wirtschaftspolitik eine noch stärkere Verschlechterung ihrer Lebenssituation. Schließlich sind in den letzten Jahren die Preise und Lebenshaltungskosten erheblich gestiegen. Bei den Löhnen gehört Rumänien noch immer zu den europäischen Schlusslichtern. Lange Zeit hat die Hoffnung auf einer Besserung der sozialen Situation durch eine EU-Mitgliedschaft einen großen Teil der Bevölkerung von Protesten abgehalten. Die Freude über die EU-Mitgliedschaft war in großen Teilen der Bevölkerung weit verbreitet. Anders als etwa in Polen oder Ungarn hält die rumänische Regierung noch immer an einer baldigen Einführung des Euro fest.

Doch die Geduld der Bevölkerung scheint zu Ende zu gehen. Es wird sich zeigen, ob sich der wendige Präsident noch einmal halten kann und der Aufruf zu einem nationalen Dialog Gehör findet. Eine politische Alternative hat auch die parteipolitische Opposition nicht zu bieten. Daher könnte wie in Ungarn auch in Rumänien die immer schon starke, offen chauvinistische Rechte vom Unmut der Bevölkerung, von der Diskreditierung aller großen Parteien und vom Fehlen emanzipatorischer Perspektiven in der Gesellschaft profitieren.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151234
Peter Nowak

„Kriegstreiber“ versus „Amerikahasser“

Die Linke streitet um einen „Friedensaufruf“ für Syrien und Iran. Der Konflikt hat Tradition und oft ersetzt dabei die schnelle Parteinahme eine reflektierte Analyse

Erneut gibt es Zoff in der Linkspartei um die Nahostfrage. Die Kontroverse entzündete sich dieses Mal an einen Aufruf, der unter den Titel „Kriegsvorbereitungen stoppen! Embargo beenden“ um „Solidarität mit den Völkern Irans und Syriens“ warb. Zu den Unterzeichnern gehören auch fünf Bundestagsabgeordneten der Linken. Ihr Name unter dem Appell stieß in den eigenen Reihen auf deutliche Kritik: Ein Arbeitskreis Shalom, der sich als Plattform jüngerer Linkenmitglieder gegen Antisemitismus, Antiamerikanismus und regressiven Antikapitalismus begreift, sprach von einer zynischen Haltung und forderte die Linken-Politiker auf, ihre Unterstützung „sofort zurück zu ziehen“. Die Diskussion schraubte sich wie üblich in solchen Fragen schnell zur Grundsatzauseinandersetzung hoch, Fraktionskollegen distanzierten sich von dem Aufruf, die Unterzeichner bekräftigten ihre Haltung und das publizistische Umfeld der Linken geriet in Wallung – Tenor: „Kriegstreiber“ versus „Amerikahasser“.

Der Clash zwischen politischen Lagern, die man einerseits als antizionistisch, andererseits als israelsolidarisch bezeichnen könnte, hat Tradition und geht aus unterschiedlichen politischen Grundannahmen hervor. Antiimperialisten, die das Prinzip der Souveränität von Staaten hochhalten, treffen auf Linke, die in der antifaschistischen Bewegung politisiert wurden. „Die Souveränität Syriens und Irans liegt nicht bei den Regimes von Assad und den Ayatollahs, sondern bei den Menschen“, heißt es beim BAK Shalom. „Sie sind es, die ihre Rechte einfordern“. Die Nichteinmischung in die syrischen und iranischen Angelegenheiten, entgegnet das antiimperialistische Lager, sei entscheidende Voraussetzung für die Bewahrung des Friedens in der Region, welcher vom Westen gefährdet werde – nicht zuletzt durch Embargomaßnahmen und ein lauter werdendes Säbelrasseln.

Tatsächlich haben die Kritiker des Friedensappells Recht, wenn sie monieren, dass mit dem Aufruf zur Sicherung des Status Quo in den Ländern beigetragen werden soll. Denn dort wird nur von „ständigen Kriegsdrohungen, dem Aufmarsch militärischer Kräfte an den Grenzen zu Iran und Syrien“, von „Sabotage- und Terroraktionen“ der USA, Israels sowie der Nato-Staaten gesprochen. Mit keiner Zeile jedoch wird erwähnt, dass sich in beiden Ländern gerade eine wachsende Oppositionsbewegung gegen die repressiven Herrscher wehrt. Zwischen einem Aufruf zum Frieden und einer Erklärung für Friedhofsruhe ist da kaum ein Unterschied. Dass eigens eine nachgetragene Erklärung der fünf linken Abgeordneten nötig war, in der sie dann „jeglichen Staatsterror, so auch den iranischer Mullahs und den des Assad-Regimes“ geißelten, macht die Schwäche des Aufrufs sichtbar.

Schlaflose Nächte für Assad

Wenn dessen Kritiker den Machthabern in Syrien und Iran schaflose Nächte wünschen, ist das für Linke zunächst einmal die sympathischere Einstellung. Allerdings verfällt etwa auch der BAK Shalom in ein eher schlichtes Freund-Feind-Schema. So wird zum Beispiel mit keinem Wort erwähnt, dass in Syrien nicht nur wehrlose Demonstranten einer brutalen Staatsmacht gegenüberstehen. Sondern es auch auf Seiten der bewaffneten Opposition regressive Bestrebungen gibt.

Der Berliner Islamwissenschaftler Florian Bernhardt etwa hat darauf hingewiesen, dass die arabischsprachigen Internetseiten der „Deir az-Zor“ und der „Khalid Ibn Walid Brigade“, zweier bewaffneter syrischer Oppositionsgruppen, Symbole verwenden , wie sie sonst nur von Al Quaida bekannt sind. Außerdem wird die „Reinigung jeden Fußbreit Syriens von Assads Hunden“ propagiert und in Kommuniques auf die Konfession des „Verbrechers Assad“ abgestellt. „Mit dem Verweis auf die Zugehörigkeit Assads zur alevitischen Minderheit bewegen sich die Militanten auf bekanntem Terrain“, sagt Bernhardt. „Viele Beobachter hängen der irrigen These an, der Konflikt in Syrien sei eine Auseinandersetzung zwischen der herrschenden alevitischen Minderheit und der unterdrückten sunnitischen Mehrheit“. Der Berliner Forscher beschreibt Szenarien von konfessionellen Konflikten in Syrien, wie sie auch von Teilen der christlichen Minderheit und der städtischen Mittelschicht gefürchtet werden. Deren Angst wird noch verstärkt, wenn islamistische Gruppen in Libyen zum Kampf auf Seiten ihrer Glaubensbürger in Syrien gegen das Assad-Regime aufrufen.

Auch in Israel befürchten Analysten, einen Sturz des antizionistischen, außenpolitisch aber berechenbare Assad-Regime durch islamistische Hardliner. Längst wird in Syrien auch ein Machtkampf zwischen Saudi-Arabien und dem Iran sowie dessen Verbündeten in der Region ausgetragen. Über diese erweiterte Dimension des Konflikt schweigen beide Seiten des linken Streits um den Aufruf. Während die Antiimperialisten ihre alten Feindbilder aufpolieren, setzt die andere Seite ein Vertrauen in die arabischen Massen, welches die jüngeren Erfahrungen mit den Bewegungen in Ägypten und anderen Ländern der Region nicht reflektieren will.
http://www.freitag.de/politik/1202-linke-und-syrien
Peter Nowak

Umweltrecht gegen AKW

Vor allem im Osten Deutschlands wächst der Widerstand gegen polnische Pläne, in die Atomenergie einzusteigen. Schließlich wären bei Störfällen die Nachbarländer von den Folgen betroffen, wie das Beispiel Tschernobyl zeigte. Als Spätfolgen von damals weisen Boden, Pilze und Wild vor allem in Süddeutschland noch immer erhöhte Radioaktivitätswerte auf. Darauf hat das Münchner Umweltinstitut e.V. in einer Stellungnahme zu den polnischen AKW-Plänen hingewiesen.
Die Auswirkungen des polnischen Atomprogramms, vom Uranabbau über den AKW-Betrieb bis zum Rückbau und der Lagerung des Atommülls seien nicht genau untersucht worden, moniert das Umweltinstitut. Die Wissenschaftler zeigen auf, dass das EU-Recht damit eine Handhabe gegen die polnischen AKW-Pläne geben könnte. Dabei beziehen sie sich auf die vom Europäischen Parlament im Juni 2007 verabschiedeten Richtlinie zur Strategischen Umweltprüfung (SUP). Dass das polnische Parlament das Atomprogramm vor einer solchen Umweltprüfung beschlossen hat, wertete das Institut als Formfehler. Zudem sei dadurch eine Beteiligung der Öffentlichkeit nicht mehr möglich. Daher sei das Verfahren in Polen mit der EU-Richtlinie zur Umweltprüfung unvereinbar.

Zudem sei die Umweltverträglichkeitsstudie zum polnischen Atomenergieprogramm veraltet, weil es die Erfahrungen der japanischen Atomkatastrophe von Fukushima nicht berücksichtige. Auch die in der polnischen Studie vertretene Meinung, dass beinahe alle Industriestaaten AKW betreiben, ist mittlerweile veraltet.

Allerdings muss man daran erinnern, dass weltweit wohl kein einziges AKW hätte gebaut werden dürfen, wenn die vom Umweltinstitut genannten Kriterien für die Folgenabschätzung im Vorfeld berücksichtigt worden wären. Das ist wichtig zu betonen, weil sich in die Proteste gegen den polnischen AKW-Bau vor allem in Mecklenburg-Vorpommern von rechts geschürte antipolnische Ressentiments mischen.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/215661.umweltrecht-gegen-akw.html
Peter Nowak

»Auf und hinter der Bühne«

Vergangene Woche fand die Theaterpremiere von »Dantons Tod« am Berliner Ensemble statt. Die Initiative »Das Grollen im Zuschauermagen« nutzte die Aufführung für eine künstlerisch-politische Intervention. Die Jungle World sprach mit einem Mitglied der Initiative.

Small Talk von Peter Nowak

Wie seid ihr auf die Idee zu dieser Intervention gekommen?

Wir hatten vor einigen Wochen auf einer Demonstration zur Unterstützung des Streiks an der Berliner Charité erfahren, dass sich Theatermitarbeiter von der Bühnentechnik und den Requisiten des Ensembles organisiert haben und einen Tarifvertrag fordern, um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Es war uns wichtig, eine Öffentlichkeit für diese »unsichtbaren Mitarbeiter« herzustellen. Deshalb haben wir uns für eine Intervention am Ensemble entschieden, die Kunst und Politik miteinander verbindet.

Kannst du die Aktion schildern?

Nach der Pause stürmten wir einen der Gänge im ersten Rang, sangen die Marseillaise und riefen gemeinsam einen Sprechchor. Dafür hatten wir aus Georg Büchners Danton-Text eine Collage erarbeitet. Damit wollten wir auf die Diskrepanz zwischen dem, was auf der Bühne vorgetragen wird, und dem, was hinter ihr passiert, aufmerksam machen. Die Aktion dauerte ungefähr zwei Minuten. Am Ende ließ jemand aus dem zweiten Rang Flugblätter ins Parkett regnen, auf denen die Zusammenhänge erklärt wurden.

Gab es Reaktionen aus dem Publikum?

Bis auf wenige Ausnahmen gab es Zuspruch und Applaus. Das Publikum stürzte sich regelrecht auf die Flugblätter. Teilweise wurde unsere Intervention allerdings als Teil der Theaterinszenierung missverstanden.

Und wie hat Claus Peymann, der Regisseur des Stücks und Intendant des Ensembles, reagiert?

Er hat die Aktion in der Presse als Kampfansage bezeichnet, hinter der er Verdi vermute, womit er sich irrt. Zudem hat er mit einer Anzeige gedroht. Wir finden diese Reaktion albern. Schließlich ist es nicht verboten, in der Theaterpause seine Meinung zu sagen. Wenn sich Peymann zudem in der Bild-Zeitung selbst als »größter Ausbeuter überhaupt« bezeichnet, spricht das für seine Ignoranz gegenüber den Forderungen der Beschäftigten.

Sind weitere Aktionen geplant?

Wir werden die Situation im Ensemble und die bald beginnenden Verhandlungen beobachten. Sollte in naher Zukunft kein Tarifvertrag mit deutlichen Verbesserungen für die Beschäftigten abgeschlossen werden, könnten wir, entgegen unseren Vorlieben, zu Stammkunden im Ensemble werden.
http://jungle-world.com/artikel/2012/02/44662.html
Interview: Peter Nowak

Von Occupy bis „Helft Heinrich“


Auch 2012 wird es Krisenproteste geben. Heute geht es
los!
Um die Occupy-Bewegung war es in Deutschland in den letzten Wochen merklich ruhiger geworden. Als vor einer Woche das Camp in der Nähe des Regierungsviertels geräumt wurden, leisteten gerade mal 15 Personen passiven Widerstand.

In Frankfurt/Main ist das Camp im Bankenviertel rechtlich für die nächste Zeit noch gesichert. Dass ist eine gute Nachricht für die Obdachlosen, die dadurch in diesem Jahr vielleicht etwas besser durch den Winter kommen. Diese Funktion und auch die Sichtbarmachen des Problems der Wohnungslosigkeit durch das Camp in exponierter Lage ist eine politische Botschaft, die aber bisher weder von der Occupy-Bewegung noch von den Medien richtig gewürdigt werden.

Wenn sich in der „tageszeitung“ unter der Überschrift „Solidarität oder Suppe“ ein Korrespondent darüber mokiert, dass die Campteilnehmer der Essensausgabe mehr Aufmerksamkeit schenkten als den warmen Grüßen von Occupy New York, wird eben verkannt, dass Suppe, anders als die Grüße, den Hunger beseitigen kann.

Heute wird in verschiedenen Städten zu einem dezentralen Aktionstag aufgerufen. Damit will man die Occupy-Proteste im neuen Jahr fortsetzen. Im Aufruf ist die Rede davon, dass Europa reif für einen Systemwechsel und die ökonomische Krise noch längst nicht vorbei ist. Das ist zwar richtig, geht aber an ein paar drängenderen Fragen vorbei. Denn für die meisten der Dauercamper ist die Krise nicht zuallererst bei den Börsenkursen zu spüren, sondern bei der Frage, wo sie die nächste Nacht verbringen und einige Euro für ein warmes Essen herkriegen können. Der Widerspruch der Occupy-Bewegung, wonach alle Teilnehmer zwar nur für sich selber sprechen können, aber gleichzeitig beansprucht wird, die 99 % zu repräsentieren, zeigt sich an der Ausrichtung des Aktionstages.

Statt über Wohnungslosigkeit und den ständig wachsenden Zulauf zu reden, den die Essenstafel seit der Einführung von Hartz IV bekommt, also über Probleme, die einen Großteil der Aktivisten existentiell berühren, bleibt der Aufruf zum Aktionstag bei beliebigen und daher harmlosen Forderungen. Selbst wenn für Sonntag in vielen Städten in Deutschlands, von Arnsbach bis Würzburg, Aktionen angekündigt sind, dürfte die Resonanz insgesamt bescheiden ausfallen. Und schon werden Schuldige für einen möglichen Mobilisierungsflop gesucht.

So wird bereits kolportiert, dass der globale Aktionstag vor allem eine Erfindung von Attac Deutschland ist, auf den die hiesigen Medien reingefallen sind (deren Berichterstattung sich allerdings in bescheidenem Rahmen hält) – im Ausland wisse überhaupt niemand davon. Dabei war es seit dem Auftreten der Occupy-Bewegung üblich, dass Termine für Aktionstage via Internet global gestreut werden, die Aktionstage aber immer nur von kleinen Gruppen konzipiert worden. Was beim Aufstieg der Bewegung als Schwarmintelligenz gelobt wurde, wird nun als Schwarmdummheit niedergeschrieben.

Der europäische Aktionstag am 31. März

Von vielen Basisgewerkschaften und linken Gruppen in Europa wird denn auch nicht der 15. Januar, sondern der 31. März als Datum für einen euroweiten Aktionstag beworben. Mit einer zentralen Aktion vor der EZB in Frankfurt/Main soll auch die Politik Deutschlands in der EU kritisiert werden. Basisgewerkschafter aus verschiedenen europäischen Ländern kritisieren Deutschlands Rolle als Niedriglohnland, das mit dafür sorgt, dass auch in anderen Ländern die sozialen Rechte gekappt werden.

Damit knüpfen sie an gewerkschaftlichen Initiativen aus Holland und Belgien an, die unter dem Titel „Helft Heinrich“ für kämpferische und durchsetzungsfähigere Gewerkschaften in Deutschland als Beitrag zur europäischen Solidarität eingetreten sind.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151220

Peter Nowak

Ist Zeitungsverkauf Terrorismus?

Kundgebung für türkische Aktivistin am Sonntag geplant
Für diesen Sonntag planen Antirassismusgruppen eine Kundgebung vor der Justizvollzugsanstalt für Frauen in Berlin-Lichtenberg. Dort sitzt seit Ende Oktober 2011 Gülaferit Ünsal in Untersuchungshaft. Die Justizbehörde beschuldigt die Frau, »Rädelsführerin« der in der Türkei und in Deutschland verbotenen marxistischen »Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-front« (DHKP-C) zu sein. Diese in den 70er Jahren gegründete Organisation hatte in den Armenvierteln großer türkischer Städte und in den Universitäten ihre Basis.

Nach dem Vorbild von Che Guevara propagierte sie eine Kombination von legaler politischer Arbeit und militanten Aktionen. Mittlerweile wurden mehrere angebliche DHKP-C-Aktivisten in Deutschland zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Die juristische Handhabe liefert der Paragraf 129 b, der die strafrechtliche Verfolgung von ausländischen Organisationen in Deutschland ermöglicht. Auch gegen Ünsal wird nach diesem Paragrafen ermittelt. Die Bundesanwaltschaft beschuldigt sie, für den Verkauf von Zeitschriften und die Organisation kommerzieller Veranstaltungen zuständig gewesen sein und Spendenkampagnen der DHKP-C koordiniert zu haben. Aus ermittlungstechnischen Gründen gibt die Bundesanwaltschaft keine weiteren Auskünfte.

Ünsal lebte in den letzten Jahren in Griechenland, von wo sie auf Betreiben der deutschen Generalbundesanwaltschaft ausgeliefert wurde. Ein Bündnis zivilgesellschaftlicher Gruppen hatte im Sommer 2011 dagegen protestiert. Im Mittelpunkt ihrer Kritik stand der Paragraf 129 b. So heißt es in einer Stellungnahme der griechischen Juristenorganisation »Gruppe der Anwälte für die Rechte der Flüchtlinge und Migranten«: »Auf Grundlage eines Haftbefehls der deutschen Behörden wird Gülaferit Ünsal der Mitgliedschaft in einer ›terroristischen Organisation‹ beschuldigt.

Die einzige Grundlage dafür ist ihre legale politische Aktivität, der Verkauf von Zeitschriften und ihre Teilnahme an Solidaritätskampagnen für türkische politische Gefangene.« Auch Karin Wegener vom Berliner Initiativkreis Gülaferit Ünsal kritisiert, dass mit den Paragrafen 129 a und b legale politische Aktivitäten in einen terroristischen Kontext gesetzt werden. Deshalb soll auf der Kundgebung die Abschaffung von genau diesen Paragrafen gefordert werden.

Wegener rechnet auf Unterstützung durch Teilnehmer der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration, die ganz in der Nähe der JVA Lichtenberg endet. Um 13 Uhr treffen sich LL-Demonstranten, die auch an der Kundgebung teilnehmen wollen, am U-Bahnhof Lichtenberg (Ausgang Siegfriedstraße). Die Kundgebung beginnt um 13.30 Uhr vor der JVA-Lichtenberg in der Alfredstraße 11.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/215637.ist-zeitungsverkauf-terrorismus.html
Peter Nowak

„Kunstaktion“ mit Sarrazin-Büchern

Auf der Berliner Biennale sollen Sarrazins Bestseller ausgestellt und anschließend „recycelt“ werden

Der ehemalige Senator und Bankdirektor Thilo Sarrazin hat mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ in den letzten Monaten den innenpolitischen Diskurs wesentlich mit beeinflusst. Mit über 1,3 Millionen verkauften Exemplaren zählt es zu den erfolgreichen Sachbüchern. Jetzt wird Sarrazin zum Gegenstand einer Kunstaktion, die dem Bestsellerautor nicht gefallen dürfte. Der Künstler Martin Zet ruft dazu auf, sich der Bücher zu entledigen.

Dazu haben zahlreiche Galerien, Kunstvereine, Buchläden und Museen unterschiedliche Behältnisse aufgestellt, in denen die Bücher gesammelt werden können. In Berlin beteiligen sich so unterschiedliche Institutionen wie das Haus der Kulturen der Welt, der Kunstraum Kreuzberg, der Buchladen Pro qm, das Theater Hebbel am Ufer und das Theater an der Parkaue an der Sammelaktion.

Mittlerweile wurden auch in Leipzig, München, Frankfurt/Main, Hamburg und Hannover Buchsammelstellen eingerichtet. Es werden noch weitere Orte dazu kommen, bestätigte Denhard von Harling von der Berlin Biennale gegenüber Telepolis. Auf der am 27.April beginnenden Veranstaltung, die vom polnischen Künstler Artur Żmijewski zusammen mit den Kuratorinnen Voina und Joanna Warsza vorbereitet wird, sollen die bundesweit gesammelten Sarrazin-Bücher ausgestellt und anschließend recycelt werden.

Entgiftung der Gesellschaft

Martin Zet sieht die Kunstaktion als Kritik an den im dem Buch vertretenen Thesen von Sarrazin, wie er erklärt:

„Ab einem bestimmten Moment ist es nicht mehr wichtig, was die Qualität oder die wahre Intention eines Buches ist, sondern welchen Effekt es in der deutschen Gesellschaft hat. Das Buch weckte und förderte anti-migrantische und hauptsächlich anti-türkische Tendenzen in diesem Land. Ich schlage vor, das Buch als aktives Werkzeug zu benutzen, welches den Menschen ermöglicht, ihre eigene Position zu bekunden.“

Denhard von Harling spricht gegenüber Telepolis auch von einer „Entgiftungsaktion“. Schließlich habe das Buch dazu beigetragen, Ressentiments gegen Minderheiten in der Gesellschaft zu schüren und Menschen in „wertvoll“ und „nicht wertvoll“ einzuteilen.

Martin Zet hat sich das Ziel gesetzt, bis zum Biennale-Beginn 60.000 Bücher eingesammelt zu haben. Dabei steht er vielleicht vor dem Problem, dass sich von der Aktion eher die Sarrazin-Kritiker angesprochen fühlen dürften, die aber oft das Buch gar nicht erworben haben. Dass die Kunstaktion das Geschäft von Sarrazin sogar noch ankurbeln könnte, an diesen Effekt glaubt von Harling nicht. Schließlich können auch Zeitschriften oder Schriften mit Thesen, die denen von Sarrazin ähnlich sind, eingesammelt werden. Auch Kommentare in den Büchern sind ausdrücklich erwünscht und sollen bei der Biennale-Ausstellung berücksichtigt werden.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/151208
Peter Nowak

Arbeitergeschichte von unten

Der Historiker Michael Seidman untersucht, wie Arbeiter 1936 in Spanien und Frankreich auf linke Umwälzungen reagierten

Vor 20 Jahren hat der US-Historiker Michael Seidman seine Doktorarbeit unter dem Titel »Arbeiter gegen die Arbeit« herausgegeben. Nach zwei Jahrzehnten konnte nun eine deutschsprachige Ausgabe realisiert werden, was in erster Line dem Verlag Graswurzelrevolution und dem Übersetzer Andreas Förster zu verdanken ist. Das Buch ist eine Fundgrube für alle, die sich für eine Sozialgeschichte der spanischen Revolution und der französischen Volksfrontpolitik interessieren.

Seidman untersucht, wie die Proletarier 1936 in Barcelona und Paris auf die linken Umwälzungen reagierten. Die Ausgangsbedingungen könnten unterschiedlicher nicht sein. In Barcelona hatte die anarchosyndikalistische CNT die Kontrolle über einen Großteil der Betriebe übernommen. Im selben Jahr übernahm eine von der Französischen Kommunistischen Partei unterstützte Volksfrontkoalition im nördlichen Nachbarland die Regierung. Seidman interessieren dabei nicht die Organisationen und ihre Ideologien, sondern deren Politik und ihre Auswirkung auf die Mehrheit der Bevölkerung.

Beiden Bewegungen ging es um eine Gesellschaft der Produzenten. Seidman zeigt an zahlreichen Beispielen aus der anarchosyndikalistischen Presse und anhand von Propagandaplakaten, dass das Ideal der spanischen Anarchosyndikalisten eine Gesellschaft der Arbeit war. In harschen Tönen wandten sie sich gegen alle, die nicht durch ihre Arbeit an der Gestaltung der Gesellschaft beitrugen. »Die Müßiggänger schiebt beiseite«, dieser Satz aus der Internationale wurde von einem großen Teil der CNT-Aktivisten mit voller Überzeugung gesungen. Damit polemisierten sie gegen den Adel und den in Spanien damals sehr mächtigen Klerus, aber auch gegen eine Bourgeoisie, die nicht in der Lage war, Spanien zu einem modernen Industrieland zu formen. Seidman zeigt auf, dass die CNT diese Aufgabe übernehmen wollte und dafür die Stachanow-Methoden der Bestarbeiter aus der Sowjetunion zum Vorbild nahm.

Auch den Taylorismus, den die CNT anfangs als arbeiterfeindlich bekämpfte, akzeptierte sie schließlich. Damit kam sie bald in Konflikt mit dem Teil der Proletarier, die entweder politisch uninteressiert waren oder in die CNT nur eingetreten sind, weil sie sich Vorteile erhofften. Auf vielen Seiten zeigt der Historiker auf, wie sich die CNT zunächst mit beschwörenden Appellen, doch bald mit Kontrolle und Überwachung, der Ausgabe von Arbeitsausweisen und sogar der Errichtung von Arbeitshäusern um die Erhöhung der Produktivität bemühte.

In Paris setzte mit der Volksfrontbewegung die Arbeiterfreizeit- und Urlaubsbewegung ein. Seidman sieht hier sogar die Wurzeln des Billigtourismus. Nicht Arbeiterkontrolle, sondern die Entdeckung der Arbeiter als Konsumenten, sei der Kern der Politik der französischen Regierung gewesen.

Mancher These Seidmans mag man nicht folgen. Seine zentrale These vom Kampf der Arbeiter gegen die Arbeit hat er mittlerweile selber relativiert. Trotzdem ist das Buch ein Stück wichtige Arbeitergeschichtsschreibung, die ansonsten ignoriert und vernachlässigt wird.

Michael Seidman: Gegen die Arbeit. Über die Arbeiterkämpfe in Barcelona und Paris 1936-38, Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2011, 480 S., 24,80 €.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/215431.arbeitergeschichte-von-unten.html
Peter Nowak

Mafia – Gewinnerin in der Krise?

Wie eine Meldung des italienischen Handelsverbandes in der EU-Krise propagandistisch benutzt wird

„Die Mafia ist die solideste Bank Italiens“, titelte die Bild-Zeitung und stützte sich dabei, wie viele andere Medien auch, auf den Jahresbericht des italienischen Handelsverbands Confesercenti.

Demnach ist die Mafia in Italien – die „Mafia AG“ – „die einzige Struktur, die über liquide Mittel für Investitionen verfügt“, wie sich der Confesercenti-Chef Marco Venturi dazu äußert. Haupeinahmequellen sind ihm zufolge nicht etwa heikle Devisen- oder Börsengeschäfte, sondern illegale Müllentsorgung, illegaler Geldverleih, Schutzgelderpressung, Betrug und Schmuggel. Auch im Bausektor soll die Mafia im vergangenen Jahr erfolgreich im Geschäft gewesen sein. Der Confesercenti-Bericht spricht von zehn Milliarden Euro Umsatz mit behördlich nicht genehmigen Bauten. Auch der Lebensmittelsektor ist laut Bericht eine Wachstumsbranche der Mafia.

Wenn auch der Jahresbericht des italienischen Handelsverbandes die Grundlage für die Medienberichte war, so darf doch nicht übersehen werden, dass der Mafiabegriff ganz bestimmte negative Assoziationen hervorruft, die sich politisch instrumentalisieren lassen. So wird vor allem Süditalien und Sizilien mit der Mafia identifiziert. Der Begriff wirkt dann ebenso als Klischee wie das der „Pleitegriechen“. Es gibt Studien, die sich mit dem Zusammenhang von kapitalistischer Ethik und der Mafia befassen und die sich dabei gegen solche Klischees wenden. Doch auf den öffentlichen Diskurs haben sie nur einen begrenzten Einfluss.

Deutschland als Anführer der EU-Intoleranz

So ist die breite Rezeption, die der Jahresbericht des italienischen Handelsverbandes in deutschen Medien fand, nicht zufällig mit dem Deutschlandbesuch des italienischen Ministerpräsidenten verbunden. Mario Monti war mit der Forderung aufgetreten, auf Augenhöhe mit Merkel und Sarkozy zu verhandeln.

Mit einer Drohkulisse, die das Bild von Demonstrationen gegen die EU heraufbeschwört, und der Akzentuierung der Rolle Deutschlands in der Gemeinschaft, versuchte Monti, größere Mitspracherechte für Italien zu erreichen. Wenn er mit seiner Politik keinen Erfolg habe, würde es in Italien zu einer antieuropäischen Bewegung kommen, mahnte Monti. Der Protest würde sich dann auch gegen Deutschland richten, „das als Anführer der EU-Intoleranz gilt, und gegen die Europäische Zentralbank“, sagte er. In seinem Interview mit der „Welt“ verwies er zugleich auf eigene Erfolge bei der Modifikation des Rentensystems sowie bei anderen sozialen Sicherungssystemen – und darauf, dass es nur wenige Streiks gegeben habe.

Natürlich wurde Monti im Interview auch auf die Mafia angesprochen. Die sei aber, so betonte er, kein typisch italienisches Problem. Welches Druckmittel im EU-internen Streit mit dem Thema „Mafia“ aufgebaut werden kann, zeigt sich an der wachsenden Los-von Rom-Bewegung in Südtirol. In den konservativen Kreisen wird ein Anschluss an Österreich diskutiert, begründet wird das mit dem Unwillen, weiter die armen Regionen zu alimentieren. Natürlich darf auch das Mafia-Klischee dabei nicht fehlen.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/151207
Peter Nowak

Peymann geriet sich als Ausbeuter

Bei einer Premiere gibt es Protest gegen Arbeitsbedingungen. Der Intendant ist sauer

Bei der Premiere von Claus Peymanns Inszenierung von „Dantons Tod“ am Berliner Ensemble (BE) gab es kürzlich eine Sondervorstellung: Eine Gruppe stürmte in der Pause einen der Gänge, sang die Marseillaise und trug eine Collage aus dem Dramentext und aktuellen Forderungen vor. Es gab Applaus. Dabei ging es der Initiative, die sich „das Grollen im Zuschauermagen“ nennt, nicht um Unterhaltung. Sie wollte auf die Arbeitsbedingungen der 110 BE-Beschäftigten in Technik und Requisite aufmerksam machen, die sich in den letzten Monaten gewerkschaftlich organisierten haben, um einen Tarifvertrag zu erstreiten.

„Es war uns wichtig, Öffentlichkeit für diese unsichtbaren MitarbeiterInnen zu schaffen“, erklärte eine Teilnehmerin, die ihren Namen nicht nennen will. Die AktivistInnen fürchten eine Kriminalisierung. BE-Intendant Peymann hat die Pauseninszenierung in verschiedenen Medien als Kampfansage von Ver.di bezeichnet und mit Anzeige gedroht. Die Initiative stellte mittlerweile klar, dass sie aus „solidarischen TheaterbesucherInnen“ besteht und sich nicht mit der Gewerkschaft abgesprochen hat.
Die Entlohnungspraxis am BE bewerten Gewerkschaft und Theater ganz unterschiedlich. So erklärte Peymann nach der Aktion kokett: „Ich bin der größte Ausbeuter überhaupt, aber verglichen mit anderen Theatern zähle ich Spitzengagen.“ Ver.di-Sekretär Frank Schreckenberg sagte der taz: „Das BE ist eines der wenigen öffentlich geförderten großen Theater in Berlin ohne Tarifvertrag.“ Vor allem in den letzten Jahren eingestellte Beschäftigte verdienten oft erheblich weniger als ältere MitarbeiterInnen. Durch den Tarifvertrag solle daher dem Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ wieder Geltung verschafft werden.

Seine Gewerkschaft sei von der Protest-Performance überrascht worden, gab Schreckenberg zu. Ver.di hatte alle Aktionen gestoppt, weil für den 23. Januar die ersten Gespräche vereinbart sind.
http://www.taz.de/Berliner-Ensemble-/!85309/
Peter Nowak

Hat der Rechtspopulismus an Bedeutung verloren?

Interview mit Dirk Stegemann

Überraschend wurde der Rechtspopulismus zu Jahresbeginn zum Gegenstand des öffentlichen Interesses. Während die Frankfurter Rundschau und die Berliner Zeitung von einer Radikalisierung der rechtspopulistischen Szene sprachen, beginnt sich auch der Verfassungsschutz für diese Kreise zu interessieren. Dabei wurde in der letzten Zeit häufiger die These vertreten, der Rechtspopulismus werde überschätzt.

Selbst das Autorenduo Michael Zander und Thomas Wagner kommt im Schlussteil ihres gerade erschienenen Buches Sarrazin, die SPD und die Neue Rechte zu dem Fazit, dass zumindest der antimoslemische Rechtspopulismus durch die EU-Krise an Bedeutung verloren habe.

Telepolis sprach darüber mit Dirk Stegemann, der sich seit Jahren in zivilgesellschaftlichen Initiativen gegen den Rechtspopulismus engagiert. Mittlerweile wird er in auf rechtspopulistischen Homepages in steckbriefähnlichen Pamphleten als „Feind Deutschlands“ tituliert.

Durch rechtspopulistische Gruppierungen werden gesellschaftliche Themen aufgegriffen und rassistisch umgedeutet

Nehmen Sie die Drohungen aus rechtspopulistischen Kreisen Ernst?

Dirk Stegemann: Die Drohungen sind in erster Linie zur Einschüchterung gedacht. Man sollte sie weder ignorieren noch überbewerten. Ausbremsen lasse ich mich davon jedenfalls nicht. Genauso wenig wie von Anzeigen, die mich wohl zeitlich einschränken und finanziell abschrecken sollen. Für mich sind die gegen meine Person gerichteten Aktivitäten vor allem eine Anerkennung meines Engagements und ein Zeichen dafür, von Nazis und Rassisten Ernst genommen zu werden.

Auch in der Politik wird diskutiert, islamkritische Webseiten mehr zu kontrollieren. Sehen Sie darin ein erstes Zeichen, dass die Politik die Gefahr des Rechtspopulismus erkannt hat?

Dirk Stegemann: Die Forderung nach Entfernung rassistischer Inhalte – für die „der Islam“ lediglich als Deckmantel fungiert – aus dem Netz, ist richtig. Doch wichtiger ist, die Ursachen dafür zu bekämpfen, so dass derartige Inhalte keinen Resonanzboden mehr finden. Die Bundesregierung kennt nur eines: die Bekämpfung von Erscheinungen, aber nicht der Ursachen.

Was ist dran an Meldungen von einer Radikalisierung der rechten Islamgegner?

Dirk Stegemann: Von einer Radikalisierung würde ich weniger sprechen. Vielmehr scheint es nach den Attentaten in Norwegen und den Nazimorden des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ eine etwas veränderte Wahrnehmung und Sensibilisierung gegenüber Rechtspopulismus und Rassismus zu geben. Die Gefahr des Rechtspopulismus in der BRD besteht jedoch weniger in seinen bestehenden Strukturen und den sie vertretenden Einzelpersonen.

Durch rechtspopulistische Gruppierungen werden gesellschaftliche Themen aufgegriffen und rassistisch umgedeutet. Es werden aber auch rassistische Realitäten, wie wir sie beispielsweise in der Ausgrenzung und Diskriminierung von Flüchtlingen oder Wohnungslosen staatlicherseits finden, nochmals zugespitzt. Die etablierten Parteien, aber auch Teile der Medien, wollen da nicht nachstehen. So spielt man sich – etwas vereinfacht gesagt – den Ball immer wieder zu und leistet einem beständigen Nach-Rechts-Rutschen der Gesellschaft Vorschub.

Welche Auswirkungen hatte der Breivik-Schock auf die rechtspopulistische Kreise?

Dirk Stegemann: Die Reaktionen waren auf Grund der Heterogenität der Szene unterschiedlich. Kurzfristig hat der Terrorakt in Norwegen insbesondere bei rechtspopulistischen und rassistischen Kleinstparteien einen gewissen Distanzierungsdruck und Legitimationszwang in der Debatte erzeugt. Immerhin standen die Wahlen in Berlin vor der Tür und diese Splitterparteien hatten grandiose Erfolge angekündigt. Anders dagegen reagierte die mutmaßliche Unterstützerszene auf einschlägigen rassistischen Webseiten und Internetforen. Hier reichten die Reaktionen von anfänglicher Ablehnung und Zurückhaltung über Rechtfertigung, Schadenfreude bis hin zur Glorifizierung. Nicht selten wurde dabei die Schuld den Muslimen oder den Befürwortern einer multikulturellen und offenen Gesellschaft selbst in die Schuhe geschoben und Breivick zum Opfer stilisiert.

Zupass kam ihnen dabei auch der schnell nachlassende öffentliche und politische Druck, wozu etwa die Konstruktion eines „wirren Einzeltäters“ beitrug. Oder die Rehabilitierung geistiger Brandstifter über die Fortsetzung der vorgeschobenen Meinungsfreiheitdebatte sowie der unsäglichen Integrationsdebatte. Zu heiß schien das Thema wohl nicht zuletzt angesichts der Unterstützung der Thesen von Sarrazin durch die politisch Herrschenden und eigene rassistische Argumentationsmuster bzw. rechtspopulistische Politikstile.

Die Erfolge von rechtspopulistischen und rassistischen Parteien in Europa sprechen ihre eigene Sprache

Es gibt auch die These, dass der Rechtspopulismus überschätzt wird und seine Bedeutung gering ist..

Dirk Stegemann: Die Erfolge von rechtspopulistischen und rassistischen Parteien in Europa sprechen ihre eigene Sprache. Dazu kommen die Ergebnisse aktueller Studien zum Zustimmungspotential für derartige Parteien in Deutschland. Erinnern wir uns einfach an die Republikaner 1989 oder die Schill-Partei in Hamburg. Ich halte es zumindest für fahrlässig, die Gefahren eines Rechtspopulismus angesichts eines latent vorhandenen Rassismus, wachsender sozialer Abstiegs- und Ausgrenzungsängste sowie eines Rechtsrucks in der Gesellschaft herunterzureden.

Die Wirtschafts- und Finanzkrise ist noch nicht vorbei und deren Auswirkungen sind in Deutschland im Bewusstsein vieler Menschen noch nicht angekommen. Sowohl Armut als auch soziale Spaltung wachsen aber weiter, die Umverteilung von unten nach oben wird fortgesetzt und die Verteilungskämpfe nehmen national wie global zu. Ursachenbezogene Lösungsansätze oder eine tiefgreifende Gesellschaftskritik bleibt die herrschende Politik schuldig. Das schafft einen idealen Nährboden für Rechtspopulisten und Rassisten auch in Zukunft.

Zeigten nicht aber die Ergebnisse der Berlin-Wahlen wie unbedeutend der Rechtspopulismus ist?

Dirk Stegemann: Einstellungsmuster von Wählern müssen sich nicht zwangsläufig auch im Wahlverhalten ausdrücken. Die Ursachen für das Scheitern von rechtspopulistischen und rassistischen Kleinstparteien bei den Wahlen in Berlin, trotz eines vorhandenen und bekannten Potentials an Wählern, sind zudem recht komplex.

Angefangen von der Konkurrenz untereinander, der eigenen Unfähigkeit, innerer Zerstrittenheit, personeller und infrastruktureller Schwächen bis hin zum Fehlen einer charismatischen Führungsperson dürften auch Rechtspopulisten und Sozialchauvinisten in so genannten etablierten Parteien als Alternative bei den Wahlen in Berlin eine Rolle gespielt haben; auch könnten Protestwähler durch die „Piratenpartei“ aufgefangen worden sein. Nicht zuletzt ist diesen rechten Parteien dank vieler Proteste nie gelungen, sich bei öffentlichen Auftritten als demokratisch zu legitimieren, sondern waren sie als Problem immer erkennbar.

Affinität zu Ungleichwertigkeitsdenken und Abwertungsverhalten

Hat die Wirtschaftskrise den antimoslemischen Populismus zugunsten von Anti-EU und Anti-Euro-Kampagnen in den Hintergrund drängen lassen?

Dirk Stegemann: Das mag für die Wahrnehmung der medialen Aufmerksamkeit zutreffen, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich bei Menschen, die sich von der Krise betroffen oder bedroht fühlen, eine stärkere Affinität zu Ungleichwertigkeitsdenken und Abwertungsverhalten entwickelt hat und auf hohem Niveau manifestiert. Dies trifft vermehrt auch auf die so genannte bürgerliche Mitte zu, national wie global.

Nicht zuletzt deshalb setzen Rechtspopulisten – wenn auch mit unterschiedlicher Intensität – sowohl auf Rassismus unter dem Deckmantel „Feindbild Islam“, auf die „Integrations- bzw. Einwanderungsdebatte“, auf Marktradikalismus und ungehemmte Konkurrenzgesellschaft, einschließlich der Ökonomisierung des Sozialen, als auch auf Nationalismus und das „Feindbild EU“ in Verbindung mit dem Kampf gegen die herrschenden Eliten.

Zu trennen sind diese einzelnen Ausrichtungen dann in der realen Umsetzung kaum noch, da auch hier die Grenzen fließend ineinander übergehen, miteinander verknüpft und oft durch Äußerungen aus der Politik legitimiert werden. Via der Konstruktion von „Nutzlosen“, Unwilligen“ oder „Unfähigen“ stehen die Verlierer der Konkurrenzgesellschaft, die ohnehin sozial Benachteiligten, bereits fest und müssen als Sündenböcke herhalten.
http://www.heise.de/tp/artikel/36/36203/1.html
Interview: Peter Nowak

Rückschlag in Kalifornien

Zu Zeiten von George W. Bush galt Kalifornien als ökologischer Hoffnungsträger. Denn dort setzte man zahlreiche umweltpolitische Maßnahmen um, die von der Zentralregierung in Washington blockiert wurden. Das Gesetz, welches den Schadstoffausstoß bei Pkw begrenzte, wurde zum Vorbild für ähnliche Regelungen in anderen US-Bundesstaaten.

Ein Kernstück der kalifornischen Umweltgesetzgebung wurde jetzt gerichtlich außer Kraft gesetzt: der zwei Jahren eingeführte »Low-Carbon-Fuel-Standard«, der den CO2-Ausstoß bis 2020 um zehn Prozent senken sollte. Die US-Ölkonzerne und Ethanolhersteller aus mehreren Bundesstaaten hatten eine Klage wegen Benachteiligung eingereicht und damit Erfolg.

Der juristische Hebel war ein Detail in dem Umweltgesetz. Weil die Berechnung des CO2-Ausstoßes der Kraftstoffe auch die Transportkosten beinhalte, hätten Firmen in Kalifornien einen Heimvorteil gegenüber der Konkurrenz aus anderen Bundesstaaten, wurde moniert. Damit verstoße Kalifornien gegen eine Klausel, die es US-Bundesstaaten verbietet, Unternehmen außerhalb ihrer Grenzen gegenüber solchen aus dem eigenen Bundesstaat zu diskriminieren.

Energieexperten zufolge hat das Gesetz aus ökologischer Sicht gewirkt, weil es Firmen in anderen Bundesstaaten beeinflusste. Sie hätten ebenfalls ökologische Kriterien anwenden können, um der Benachteiligung zu entgehen. Das hätte aber unter Umständen zu einer vorübergehenden Schmä᠆lerung der Profite geführt. Daher beschritten die Konzerne den Rechtsweg und hatten vorerst Erfolg. Die kalifornische Regierung will demnächst aber die Umweltverordnung gerichtsfest verändern. Allerdings dürfte es auch dagegen wieder Klagen der Konzerne geben. Denn das Torpedieren dieser Gesetze hat für sie einen wichtigen Effekt. Wenn Kalifornien nämlich seine umweltpolitische Vorreiterrolle nicht mehr ausfüllen kann, kommen andere Bundesländer gar nicht erst in Versuchung, ähnliche Gesetze zu erlassen. Nur wenn die Profitmarge stimmt, ist für diese Kapitalfraktionen die Welt in Ordnung.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/215026.rueckschlag-in-kalifornien.html
Peter Nowak

FDP als Chaostruppe

Mit der Jamaica-Koalition ist es im Saarland nun Schluss

Schlechter hätte für die FDP das Timing gar nicht ausfallen können. Da wird seit Wochen das Dreikönigstreffen der Partei mit der Erwartung befrachtet, dass es die Wende zum Besseren bringen muss. Dann kommt am Vorabend die Meldung, dass die Liberalen in Form der FDP mittlerweile bei Umfragen bei bundesweit 2 % liegen. Und dann scheitert noch die saarländische Landesregierung, weil die dortige FDP sich als reine Chaostruppe diskreditiert hat.

Dabei ist das westliche Bundesland wahrlich nicht der Nabel der deutschen Politik. Eine dortige Regierungskrise hat nicht mehr oder weniger Auswirkungen, als wenn es in den Stadtstaaten Bremen oder Hamburg kriselt. Was die saarländische Krise für die FDP dennoch so unangenehm macht, ist neben dem Termin vor allem die Art, wie sich die Partei dort selber zerlegt hat.

Der Höhepunkt dieser parteiinternen Zerstörungslust bestand darin, dass der Vorsitzende der Saar-FDP Christian Schmitt im Dezember 2011 gleich in die CDU-Fraktion übergetreten ist. Als dann mit Ach und Krach mit Christoph Kühn ein neuer Kandidat zur Verfügung stand, wurde der von seinen „Parteifreunden“ mittels einer Debatte über seine Fahrzeugsteuer gleich wieder demontiert.

„Ich nutze ein Auto der FDP-Landtagsfraktion, das diese bei dem Hersteller BMW geleast hat. Dieser Wagen ist ein BMW X3. Bei diesem Auto handelt es sich nach Aussage meines Steuerberaters – und diese Aussage liegt mir auch schriftlich vor – um keinen Dienstwagen“, verteidigte sich Kühn in einer persönlichen Erklärung gegen seine parteiinternen Kritiker. In dieser Erklärung wird die ganze Banalität der Auseinandersetzung deutlich. Statt Streit um politische Programme und Ziele ging es um Mobbing und Intrigen.

FDP-NPD-Monopoly

Die Entwicklung kommt keineswegs überraschend. Schon im Juli wurde deutlich, wie tief die Gräben bei den saarländischen Liberalen sind. Der als Rechtsausleger bekannte Kreisvorsitzende des Saarpfalzkreises musste zurücktreten, nachdem sein Monopolyspiel mit einen NPD-Aktivisten bekannt wurde. Schnell wurde die Vermutung geäußert, dass er von „Parteifreunden“ bewusst in diese kompromittierende Situation gebracht wurde. Schon damals fragte man sich bei der CDU, wie lange man mit der liberalen Chaostruppe noch regieren kann. Seit heute ist die Frage beantwortet.

„Die nunmehr seit Monaten anhaltenden Zerwürfnisse innerhalb der FDP Saar stellen dieses notwendige Fundament aus Vertrauen, Stabilität und Berechenbarkeit in einem Maße in Frage, das aus Sicht der CDU Saar nicht mehr länger hinnehmbar ist“, erklärte die zurückgetretene saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer. „Die FDP-Landtagsfraktion, aber auch der Landesverband der FDP Saar befinden sich im Zustand der Zerrüttung. Hinzu kommen die bekannten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen im Umfeld der FDP sowie weitere personelle Unwägbarkeiten und Risiken. Eine nachhaltige Befriedung und eine Rückkehr der FDP Saar zu geordneten Verhältnissen ist aus meiner Sicht in absehbarer Zeit nicht mehr zu erwarten. Damit ist auch eine stabile, verlässliche und vor allem sachorientierte Regierungsarbeit in dieser Konstellation nicht mehr voll umfänglich gewährleistet.“

Kramp-Karrenbauer hat bereits der SPD das Angebot einer großen Koalition gemacht. Die aber war vor den letzten Landtagswahlen zu einer Koalition mit der Linkspartei unter Oskar Lafontaine bereit.

Auch Saar-Grüne gehören zu den Verlierern

Diese Kooperation scheiterte schließlich an den Grünen, die es an innerparteilichen Intrigieren und Zerstrittenheit durchaus mit der FDP aufnehmen können. Allerdings hat der dortige Vorsitzende Hubert Ulrich, der von dem grünen Urgestein Daniel Cohn Bendit als „Mafiosi“ bezeichnet worden war, die Partei besser im Griff. Nach nie widerlegten Medienberichten hat Ulrich die FDP-Grünen-Connection durch berufliche und private Beziehungen zu führenden FDPlern kräftig befördert. Ulrich ließ sich und die Parteibasis seine Kooperation mit den Konservativen mit politischen Konzessionen versüßen.

So sind neben der FDP nun auch die Grünen die Verlierer des Koalitionsbruches. Kommt es zur großen Koalition werden sie in der Opposition neben der im Saarland verankerten Linkspartei kaum auffallen. Kommt es aber zu Neuwahlen, falls die SPD nicht zu einer großen Koalition bereit ist, dürften beide liberalen Formationen aus dem Landtag fliegen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151171
Peter Nowak

Soli-Demo für inhaftierte deutsch-türkische Linke


PARAGRAF 129 B Linke Aktivistin seit Monaten wegen politischer Aktivitäten in der Türkei in U-Haft

Ein kürzlich gegründeter Initiativkreis setzt sich für die linke Aktivistin Gülaferit Ünsal ein, die seit 21. Oktober in der Justizvollzugsanstalt für Frauen in Lichtenberg in Untersuchungshaft sitzt. Die Gruppe bereite eine Kundgebung vor der JVA am 15. Januar vor, sagt Mitorganisatorin Karin Wegener. Man wolle der Gefangenen im Anschluss an die Rosa-Luxemburg-Demo Grüße vorbeibringen.

Ünsal war auf Betreiben der Bundesanwaltschaft aus Griechenland nach Deutschland ausgeliefert werden. Die Justizbehörde beschuldigt die 38-jährige Frau, „Rädelsführerin“ der in der Türkei aktiven marxistischen „Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-front“ (DHKP-C) zu sein. Diese in den 70er Jahren gegründete Organisation hatte in den Armenvierteln der großen Städte sowie an den Universitäten der Türkei ihre Basis. Nach dem Vorbild von Che Guevara propagierte die Organisation eine Kombination von legaler politischer Arbeit und militanten Aktionen. Sie ist sowohl in der Türkei als auch in Deutschland verboten.

Mittlerweile wurden zahlreiche DHKP-C-Mitglieder in Deutschland zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Die juristische Handhabe liefert der Paragraf 129 b, der die strafrechtliche Verfolgung von im Ausland aktiven Organisation in Deutschland ermöglicht. Auch gegen Ünsal wird nach diesem Paragrafen ermittelt.

„Die Beschuldigte soll von Oktober 1999 bis August 2008 an der Spitze der Organisation in Europa gestanden haben“, heißt es in einer Erklärung der Bundesanwaltschaft. Danach soll sie vor allem für den Verkauf von Zeitschriften und die Organisation kommerzieller Veranstaltungen zuständig gewesen sein und Spendenkampagnen der DHKP-C koordiniert haben. Aus ermittlungstechnischen Gründen gibt die Bundesanwaltschaft derzeit keine weiteren Auskünfte.

In Griechenland hatte ein Bündnis zivilgesellschaftlicher Gruppen monatelang gegen Ünsals Auslieferung nach Deutschland mobilisiert. So heißt es in einer Stellungnahme der griechischen Juristenorganisation „Gruppe der AnwältInnen für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnnen“: „Die einzige Grundlage dafür ist ihre legale politische Aktivität, das heißt der Verkauf von Zeitschriften und ihre Teilnahme an Solidaritätskampagnen für türkische politische Gefangene.“

Auch in Deutschland kritisieren Bürgerrechtsorganisationen, dass mit den Paragrafen 129 a und b legale politische Aktivitäten in einen terroristischen Kontext gesetzt werden.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=
bl&dig=2012%2F01%2F06%2Fa0145&cHash=5802a53f8a
Peter Nowak

Ursachen werden nicht bekämpft

Dirk Stegemann über die Gefahren des Rechtspopulismus

Dirk Stegemann ist im Berliner Bündnis »Rechtspopulismus stoppen« aktiv.
nd: In der Politik wird diskutiert, islamkritische Webseiten mehr zu kontrollieren. Ein erstes Zeichen, dass die Politik die Gefahr des Rechtspopulismus erkennt?
Stegemann: Die Forderung nach Entfernung rassistischer Inhalte aus dem Netz, für die u.a. »der Islam« lediglich als Deckmantel fungiert, ist richtig. Doch wichtiger ist, die Ursachen dafür zu bekämpfen, dass derartige Inhalte keinen Resonanzboden mehr finden. Dieser Staat kennt nur eines: die Bekämpfung von Erscheinungen, aber nicht der Ursachen. Dabei geht er selbst oftmals rechtspopulistisch ans Werk. Es gilt, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen.

Was ist dran an Meldungen von einer Radikalisierung der rechten Islamhasser, wie »FR« und »Berliner Zeitung« vermeldeten?
Von einer Radikalisierung würde ich weniger sprechen. Vielmehr scheint es derzeit eine etwas veränderte Wahrnehmung und Sensibilisierung gegenüber Rechtspopulismus und Rassismus zu geben. Insbesondere nach den Attentaten in Norwegen und den Nazimorden des »Nationalsozialistischen Untergrundes«. Hier sind sicher einige aufgeschreckt. Die Gefahr des Rechtspopulismus in der BRD besteht weniger in seinen bestehenden Strukturen und den sie vertretenden Einzelpersonen. Durch rechtspopulistische Gruppierungen werden gesellschaftliche Themen aufgegriffen und rassistisch umgedeutet. Es werden aber auch rassistische Realitäten wie etwa die Ausgrenzung und Diskriminierung von Flüchtlingen, Wohnungslosen etc. staatlicherseits nochmals zugespitzt. Die etablierten Parteien, aber auch Teile der Medien wollen da nicht nachstehen. So wird sich – etwas vereinfacht gesagt – der Ball immer wieder zugespielt und einem beständigen Nach-Rechts-Rutschen der Gesellschaft Vorschub geleistet.

Es gibt Stimmen, die die Bedeutung des Rechtspopulismus für gering halten. Liegen die falsch?

Ich halte es zumindest für fahrlässig, die Gefahren eines Rechtspopulismus angesichts eines latent vorhandenen Rassismus, wachsender sozialer Abstiegs- und Ausgrenzungsängste sowie Rechtsrucks in der Gesellschaft herunterzureden. Die Wirtschafts- und Finanzkrise ist nicht vorbei und deren Auswirkungen in Deutschland im Bewusstsein vieler Menschen noch nicht angekommen. Sowohl Armut als auch soziale Spaltung wachsen aber weiter, die Umverteilung von unten nach oben wird fortgesetzt und die Verteilungskämpfe nehmen national wie global zu. Ursachenbezogene Lösungsansätze oder eine tiefgreifende Gesellschaftskritik bleibt die herrschende Politik schuldig. Ein idealer Nährboden für Rechtspopulisten und Rassisten auch in Zukunft.

Können sich solche Stimmen nicht durch die Ergebnisse der Berlin-Wahlen bestätigt sehen?
Einstellungsmuster von Wählern müssen sich nicht zwangsläufig im Wahlverhalten ausdrücken. Die Ursachen für das Scheitern rechtspopulistischer und rassistischer Kleinstparteien bei diesen Wahlen, trotz eines vorhandenen, bekannten Wählerpotenzials, sind zudem recht komplex. Angefangen von deren Konkurrenz untereinander, innerer Zerstrittenheit, personeller und infrastruktureller Schwächen bis zum Fehlen einer charismatischen Führungsfigur.

Hat die Wirtschaftskrise nicht den antimuslimischen Populismus zugunsten von Anti-EU-Kampagnen in den Hintergrund gedrängt?
Das mag für die Wahrnehmung der medialen Aufmerksamkeit zutreffen, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich bei Menschen, die sich von der Krise betroffen oder bedroht fühlen, eine stärkere Affinität zu Ungleichwertigkeitsdenken und Abwertungsverhalten entwickelt und auf hohem Niveau manifestiert hat. Dies trifft vermehrt auch auf die so genannte bürgerliche Mitte zu, national wie global. Nicht zuletzt deshalb setzen Rechtspopulisten, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität, sowohl auf Rassismus unter dem Deckmantel »Feindbild Islam« und »Integrations- bzw. Einwanderungsdebatte«, Marktradikalismus und ungehemmte Konkurrenzgesellschaft einschließlich der Ökonomisierung des Sozialen, als auch auf Nationalismus und das »Feindbild EU« in Verbindung mit dem Kampf gegen die herrschenden Eliten.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/214829.ursachen-werden-nicht-bekaempft.html
Interview: Peter Nowak