Darf die Basis der Linkspartei ihre Führung wählen?


Diese Frage beschäftigt die Linkspartei zur Zeit und sorgt für neuen Streit

Der Stein des Anstoßes ist ein Gutachten Gutachten des Bundestagsabgeordneten der Linken und ehemaligen Bundesrichters Wolfgang Neskovic. Demnach wäre ein Mitgliederentscheid über die Parteiführung – unabhängig vom lediglich empfehlenden Charakter – nicht vom Parteiengesetz gedeckt und verstieße zudem gegen die Satzung der Linken.
Die Wahl der Vorsitzenden liege nach dem Parteiengesetz in alleiniger Entscheidungskompetenz des Parteitags. Auch eine vorherige Befragung der Mitglieder, an die der Parteitag zumindest formell nicht gebunden wäre, hält Neskovic demnach für nicht zulässig. „Denn der nur konsultative Charakter einer Befragung der Mitglieder sei ein politisches Trugbild“, argumentierte er. „Wenn die Basis der Parteimitglieder sich entscheidet, hat dies eine faktische Bindungswirkung.“
Auch in der Parteisatzung ist laut Neskovic geregelt, dass Mitgliederentscheide „zu allen politischen Fragen“ stattfinden können, wenn eine ausreichende Zahl von Gliederungen oder Mitgliedern der Partei dies wünschten. Damit seien Sachthemen, nicht aber Personalfragen gemeint, betonte er. Das ist Munition für den Ex-Parteichef von SPD und Linkspartei Oskar Lafontaine. Er wandte sich wiederholt mit juristischen Argumenten gegen einen Mitgliederentscheid zur Wahl der Parteispitze. „Das Parteiengesetz schreibt zwingend vor, dass Parteivorsitzende von Parteitagen gewählt werden“, war seine jetzt von Neskovic getragene Interpretation.
Kaum waren die Meldungen über das Gutachten in den Medien, reagierte der Linkenpolitiker Bodo Ramelow pikiert. In der Frankfurter Rundschau sprach er sich noch einmal für die Entscheidung durch die Mitglieder aus und sparte nicht mit Kritik an seiner Partei:
„Wir müssen raus aus der Strömungslogik. Strömungen machen nur zehn Prozent der Linken aus. Deren Vertreter sind in der Führung nun völlig überrepräsentiert. Schluss damit. Schluss mit Ost und West. Wir sind eine gesamtdeutsche Partei. Wir brauchen jetzt einen Aufbruch, getragen von der Mitgliedschaft der Partei. Deshalb bin ich strikt für einen Mitgliederentscheid über die neue Parteispitze.“

Für oder gegen Bartsch

Weil auch zwischen den Jahren im Zeitalter von Twitter und Internet keine Politikpause mehr eintritt, gab es sofort eine polemische Replik auf Ramelow von einer der gescholtenen Strömungen. Dazu aufgerufen wird, das schon bestellte Gutachten des Parteienrechtlers Martin Morlok zur juristischen Seite einer Mitgliederbefragung abzuwarten. Doch egal, was drin steht, Streit ist in der Linkspartei schon vorprogrammiert.
Denn der Freundeskreis von Dietmar Bartsch sieht nur mittels einer Mitgliederbefragung eine reale Chance den dem Realoflügel angehörenden Politiker an die Parteispitze zu bringen. Dabei hoffen sie auf die Mitgliederbasis im Osten und appellieren auf das einfache Mitglied, das durch die Strömungslogik angeblich nicht repräsentiert werde.
Daher ist die Frage pro und contra Mitgliederentscheid über die eigene Spitze schon lange zu der Frage geworden, wie man es mit Dietmar Bartsch hält. Daher dürfte der Streit die Linke noch einige Monate beschäftigen. Dass dabei mit harten Bandagen gekämpft wird, zeigt sich schon an den wochenlangen Streit über ein angebliches Bartsch-Zitat, das nach Meinung seiner Gegner Hartz IV-Empfänger diskriminiert und schon Anlass zu seltsamen Korrespondenzen den Parteifreunden bot.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/151133

Peter Nowak

Sozialer Einsatz wird mit Knast bestraft

ARBEIT Pflegerin hat Demente intensiver betreut als vorgesehen. Nach Lohnstreit soll sie ins Gefängnis
Angelika-Maria Konietzko hat schon ihre kleine Tasche gepackt, in der wichtige Utensilien verstaut sind. Denn sie muss im kommenden Jahr ins Gefängnis. Der Haftbefehl ist schon ausgefertigt. Konietzko soll in Erzwingungshaft, die bis zu sechs Monate andauern kann, weil sie einen Offenbarungseid verweigert, aber auch nicht bereit ist, die Kosten eines Rechtsstreit von über 2.200 Euro zu tragen. Sie sind bei einem Streit vor dem Arbeitsgerichts entstanden, der sich um die Bezahlung ihrer Tätigkeit als Nachtwachenbereitschaft in einer WG für Demenzkranke drehte.
Sie habe bei der Nachtschicht nur zehn Stunden vergütet bekommen, obwohl ihr eigentlich als Nachtwache elf Stunden zustünden, ist Konietzko überzeugt. „Die BewohnerInnen der Seniorenwohngemeinschaft waren schwerst pflegebedürftig. Sie haben eine Überwachung und Pflege rund um die Uhr benötigt“, betont die 43-jährige Frau. Sie habe laufend Kontrollgänge machen müssen und daher keine Pausen gehabt.
Der Pflegedienst Hauskrankenpflege Mitte widerspricht dieser Darstellung. „Die Senioren befanden sich in Wohngemeinschaften und nicht in einem Heim oder einer medizinischen Einrichtung, wo eine Pflege der Senioren rund um die Uhr notwendig ist.“ Das Arbeitsgericht gab dem Pflegedienst in mehreren Instanzen recht und verwies auf den Arbeitsvertrag, in dem eine pauschale Vergütung des Nachtbereitschaftsdienstes festgelegt ist. Zudem sei in der Stellenausschreibung eine Arbeitsleistung von zirka drei Stunden und ein Bereitschaftsdienst von acht Stunden pro Nacht festgelegt. Dabei ließ das Gericht offen, ob Konietzko tatsächlich elf Stunden gearbeitet hat. „Es ist nicht Aufgabe des Arbeitnehmers, Pflegestandards selbst festzulegen“, heißt es im Urteil.
Dieser Satz empört die Klägerin besonders. „Hätte ich die Pflegearbeiten nicht gemacht, hätte ich meine Arbeit enorm vernachlässigt und unter Umständen sogar wegen fahrlässiger Tötung angeklagt werden können“, behauptet sie. So habe zu ihren Tätigkeiten das Absaugen der Mundhöhle bei den demenzkranken PatientInnen gehört, da sonst die Gefahr bestanden hätte, dass diese im Schlaf ersticken.
Diese Auffassung wird von verschiedenen Organisationen bestätigt. Thomas Birk vom Verein Selbstbestimmtes Wohnen im Alter erklärt, dass in Demenz-Wohngemeinschaft eine durchgängige 24-Stunden-Betreuung notwendig sei. „Das bedeutet für die Nachtstunden eine Nachtwache und keine -bereitschaft.“ Auch Gabriele Tammen Parr von Pflege in Not bekräftigt, dass ein nächtlicher Bereitschaftsdienst in einer Demenz-WG nicht nur völlig unzureichend ist, sondern auch grob fahrlässig sein kann. Diese Stellungnahmen sind vom Arbeitsgericht nicht berücksichtigt worden.
Ihre Weigerung, den Offenbarungseid zu leisten, sieht Konietzko als Akt des Widerstands. „Dabei geht es mir nicht in erster Linie um Lohnforderungen. Ich will auf die Zustände im Pflegebereich aufmerksam machen.“ Mittlerweile hat sie von einer Kollegin Unterstützung bekommen: Brigitte Heinisch, die 2005 vom Pflegekonzern Vivantes gekündigt wurde, weil sie Missstände im Pflegebereich gemeldet hatte, will ihren ehemaligen Solidaritätskreis für sie aktivieren. Heinisch hat nicht nur den Whistleblowerpreis, sondern auch eine Entschädigung erhalten, weil die in Deutschland von sämtlichen Instanzen bestätigte Kündigung vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aufgehoben wurde.
Auch Konietzko hat schon was erreicht: Der Pflegedienst Hauskrankenpflege Mitte hat für seine Demenz-WG nun Nachtwachen statt Bereitschaftsdienste eingeführt. Gegenüber der taz war er zu keiner Stellungnahme im Fall seiner Exmitarbeiterin bereit.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/
?ressort=bl&dig=2011%2F12%2F30%2Fa0171&cHash=4e7f0b7a2e
Peter Nowak

Das Christkind packt keine Pakete


Damit sich das Weihnachtsgeschäft lohnt, werden bei Amazon auch Hartz-IV-Bezieher eingesetzt. Man nennt das Praktikum.

»Süßer die Kassen nie klingeln als in der Weihnachtszeit.« Diese etwas abgegriffene Persiflage eines Weihnachtsliedes trifft auf den Internetversandhandel Amazon auf jeden Fall zu. In der Weihnachtszeit boomt das Geschäft. Zudem bekommt das Unternehmen einen Teil der Arbeitskräfte noch gratis. Möglich wird dieser zusätzliche Profit durch die Sozialgesetzgebung, die es erlaubt, die Arbeit befristet angestellter Jobber bis zu vier Wochen weiter mit Leistungen durch die Arbeitsagentur statt mit einem branchenüblichen Lohn durch das Unternehmen zu vergüten. Offiziell wird diese Phase Praktikum oder Anlernzeit genannt.

Ein Betroffener hatte sich an das Erwerbslosenforum Deutschland gewandt, dessen Sprecher Martin Behrsing dieses Vorgehen öffentlich skandalisierte. Der Erwerbslose berichtet über die reibungslose Kooperation zwischen der Arbeitsagentur und der Personalabteilung von Amazon in Werne bei Bonn.

Die Erwerbslosen seien in Gruppen von bis zu 90 Personen direkt in das Unternehmen zu einer mehrstündigen Informationsveranstaltung eingeladen worden. Auch Mitarbeiter der Jobcenter und der Arbeitsagentur seien zugegen gewesen. Nach Angaben des Erwerbslosen habe man dann die zukünftigen Amazon-Mitarbeiter zwei Wochen auf Hartz-IV-Basis arbeiten lassen. Bei einer anschließenden Einstellung hätten die Mitarbeiter 38,5 Stunden arbeiten müssen, es seien aber nur 35 Stunden bezahlt worden. Denjenigen, die diese Form der Ausbeutung nicht mitmachen wollten, sei von der Arbeitsagentur mit Sanktionen gedroht worden, weil sie dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stünden. Ein anderer Erwerbsloser berichtete, er sei in einer »Rechtsfolgenbelehrung« von seinem Jobcenter darauf hingewiesen worden, dass er sanktioniert werden könne, wenn er sich weigern sollte, auf Hartz-IV-Basis bei Amazon zu arbeiten. So wurde die Extraausbeutung eines Großunternehmens durch die Sanktionsmechanismen des Hartz IV-Systems abgesichert. Zugleich werden damit tariflich bezahlte Arbeitsplätze vernichtet. Ein Mitarbeiter der Personalabteilung von Amazon bestätigte einem der Leiharbeiter, dass die Arbeit von der ersten Stunde an normal bezahlt werde, wenn keine Hartz-IV-Empfänger zur Verfügung stünden. Doch die Praxis der Arbeitsagenturen hat bisher für genug Nachschub an Billiglöhnern gesorgt. Warum sollte das Unternehmen dann noch regulär beschäftigte Arbeitskräfte einstellen? Nachdem die Pressemeldungen des Erwerbslosenforums kurzfristig für mediale Empörung sorgten, bezeichneten Sprecher der Arbeitsagentur die Verleihpraxis als einen Fehler, der behoben werden müsse. Dass damit diese Form der staatlich unterstützten Niedriglöhne endgültig abgeschafft ist, darf bezweifelt werden.

Zudem wurde nach einer Recherche des Fernsehmagazins »Report Mainz« schnell klar, dass auch an den Amazon-Standorten Leipzig und Bad Hersfeld Minilöhne an der Tagesordnung waren. Mitarbeiter berichteten dem Sender, dass sie teilweise über Jahre hinweg immer wieder zeitlich befristete Arbeitsverträge bekommen hätten. Die Betroffenen wollten allerdings anonym bleiben. Denn die Furcht gehört bei den Mitarbeitern zum Arbeitsalltag. So berichteten Beschäftigte, dass sie trotz Krankheit zur Arbeit erschienen seien, weil sie Angst gehabt hätten, bei Fehlzeiten nach dem Auslaufen der Verträge nicht weiterbeschäftigt zu werden.

»Der Druck ist groß«, bestätigte eine Mitarbeiterin gegenüber »Report Mainz«. Und die Methode von Amazon wird immer beliebter, wie der Jenaer Arbeitssoziologe Klaus Dörre bestätigt. Er bezeichnet den Abbau von Vollzeitarbeitsplätzen zugunsten befristeter Verträge als Disziplinierungsinstrument. Diese Einschätzung wird indirekt auch von Amazons Personalabteilung bestätigt. Als Gründe für die Ausweitung der befristeten Arbeitsplätze gab diese in »Report Mainz« an, man versuche, die Nachfrageschwankungen innerhalb eines Jahres aufzufangen, und wolle besonders engagierte Mitarbeiter gewinnen. Das Engagement der Beschäftigten im Sinne des Unternehmens steigt aber, wenn wegen unsicherer Arbeitsverträge die Angst vor dem Jobcenter stets präsent ist und als zusätzliches Disziplinierungsinstrument die Druckmittel der Hartz-IV-Regelungen zur Anwendung kommen.

Auch Julian Jaedicke kann täglich beobachten, dass die Amazon-Beschäftigten unter großem Druck stehen. Er arbeitet als Organizer für die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi am Firmen­standort Bad Hersfeld. Von den 5 000 Beschäftigten haben 3 000 befristete Arbeitsverträge. Dort beträgt die Probezeit, in der die Beschäftigten ohne Lohn arbeiten müssen, in der Regel eine Woche. Wenn es viele Arbeitslose gebe, könne die Zeit des Praktikums auch zwei Wochen betragen, berichtet Jaedicke. Mindestens zwei Drittel der Beschäftigten seien befristet beschäftigt. Auch Jaedicke sieht darin ein Instrument zur Disziplinierung. Die Befristung habe dort die Funktion, die in anderen Firmen die Leiharbeit übernehme. »Die Leute arbeiten und arbeiten – in der Hoffnung auf einen festen Job«, so Jaedicke.

Viele Befristete hätten Angst, für ihre Interessen einzutreten. »Wenn wir einen festen Arbeitsvertrag haben, werden wir aktiv«, lautet die Devise. Allerdings versucht Verdi, bei einer Organizing-Kampagne alle Mitarbeiter anzusprechen. Mittlerweile dürften die Organizer die Kantine von Amazon nicht mehr betreten, berichtet Jaedicke. Allerdings habe ihre Arbeit schon Erfolge erzielt. »Mittlerweile verteilen die Mitarbeiter die Gewerkschaftsmaterialen in der Kantine«, sagt er. Bis Ende November musste die Stammbelegschaft im Warenausgang des Logistikzentrums zwei Tage Kurzarbeit machen, Urlaub nehmen oder im entsprechenden Umfang Minusstunden sammeln, weil vor dem Advent 600 Saisonkräfte für den großen Ansturm des Weihnachtsgeschäfts qualifiziert wurden, berichtete Heiner Reimann vom Projekt »Handel und Logistik Bad Hersfeld« von Verdi. Der Betriebsrat des Internetkaufhauses habe der Kurzarbeit widerwillig stattgegeben, weil er befürchtete, dass die Firmenleitung sonst wie schon in der Vergangenheit zum Mittel des Schicht­abbruchs greifen könnte. Mehrere hundert Mitarbeiter der Stammbelegschaft seien bezüglich der Frage, wie sie den Wunsch der Geschäftsleitung erfüllen, auf sich alleine gestellt gewesen, moniert Jaedicke.

Allerdings haben sie in der letzten Zeit Unterstützung von unerwarteter Seite bekommen. Internetnutzer organisierten sich als kritische Kunden und zeigten Solidarität mit den Amazon-Beschäftigten. So kündigten mehrere Kunden ihre Konten bei dem Internetversand aus Protest gegen die Dumpinglohnbedingungen. Einige gesellschaftskritische Blogs wie die »Nachdenkseiten« oder »Der Spiegelfechter« haben ihre Partnerprogramme mit Amazon.de gekündigt. Bei den »Nachdenkseiten« will man weder bei eigenen noch bei auf der Seite empfohlenen Büchern auf Amazon verlinken. »Vor allem im Vorweihnachtsgeschäft sollte Amazon schmerzlich am eigenen Leibe erfahren, dass es auch wirtschaftlich von Nachteil sein kann, wenn man sich durch Gesetzeslücken auf unsoziale Art und Weise Vorteile verschaffen will«, schreibt Spiegelfechter-Blogger Jens Berger.
http://jungle-world.com/artikel/2011/51/44575.html
Peter Nowak

Keine Weihnachtsruhe für Neonazis


IN BIELEFELD GEHEN AM 24. DEZEMBER TAUSENDE GEGEN EINEN NEONAZIAUFMARSCH AUF DIE STRASSE. AN SILVESTER AUCH?

Klares Zeichen gegen Rechtsextremismus: Damit hatte selbst das Bündnis gegen rechts, zu dem sich Parteien, Gewerkschaften und Kirchen in Nordrhein-Westfalen zusammengeschlossen haben, nicht gerechnet. Am 24. Dezember gingen 6.500 Menschen gegen einen Neonaziaufmarsch in der Universitätsstadt Bielefeld auf die Straße. Unter dem Aufruf „Bielefeld stellt sich quer“ wollten sie 68 Neonazis blockieren, die zum linksgerichteten Bielefelder Arbeiterjugendzentrum AJZ marschieren wollten. Das AZL gilt als Zentrum von Punkkultur und linker Szene Ostwestfalens. „Straftätern die Räume nehmen – AJZ schließen“, lautete das Motto einer Nazidemo schon am 6. August. Im Anschluss an einen Aufmarsch in Bad Nenndorf wollten Rechtsextremisten auch noch in Bielefeld Präsenz zeigen. Wegen Blockadeaktionen scheiterten sie. Die Polizei hatte den rechten Marsch aus Sicherheitsgründen kurz nach der Ankunft der Neonazis am Hauptbahnhof abgebrochen. Die rechten Organisatoren kündigten an, Weihnachten und Silvester wiederzukommen. Ob dies an Silvester so sein wird, ist unklar.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=in&dig=2011%2F12%2F27%2Fa0031&cHash=d61eb0c091
Peter Nowak

Keine Weihnachtsruhe für Neonazis


In Bielefeld gingen am 24. Dezember Tausende gegen einen Neonaziaufmarsch auf die Straße

n wir ausgerechnet am 24. Dezember überhaupt Menschen gegen einen Neonaziaufmarsch mobilisieren können? Diese Frage stellten sich Antifaschisten in NRW, nachdem bekannt geworden war, dass ausgerechnet an diesem Tag ein rechter Aufmarsch in Bielefeld angekündigt war. Schon am frühen Nachmittag konnten die Nazigegner die Frage bejahen.

Nach Angaben der Polizei waren ca. 6.500 Menschen auf der Straße, die gegen den Aufmarsch von 68 Neonazis protestierten. In dieser Einschätzung waren sich Nazigegner und Polizei einig. Allerdings legen die Rechten ihre Aktion wie auf Altermedia als Erfolg aus: „Weit mehr Aufmerksamkeit als erhofft erregte die knapp einstündige „Heiligabend-Demo“ in Bielefeld.“

Die große Mehrheit der Antifaschisten traf sich am Bielefelder Arbeiterjugendzentrum, das seit mehr als drei Jahrzehnten als Zentrum von Punkkultur und linker Szene Ostwestfalens gilt.

Jahrelang war es Konservativen aller Couleur ein Dorn im Auge. Dazu gehörte die Regionalzeitung Westfalenblatt, das auch wegen ihrer betont konservativen Ausrichtung den Beinamen Bayernkurier des Nordens trägt. Aber auch ein Bielefelder Bürgergemeinschaft machte schon vor zwei Jahrzehnten mit der Forderung nach Streichung jeglicher Zuschüsse an das AJZ erfolgreich Wahlkampf. Es war alsbald an einer Bürgerkoalition mit der CDU und der FDP beteiligt, die tatsächlich alle finanziellen Zuwendungen für das AJZ strich. Manche Aktivisten sehen das im Nachhinein gar nicht so negativ, denn bald zeigte sich, das linke Zentrum konnte sich durch verschiedene kulturelle Aktivitäten selber finanzieren und war damit umso unabhängiger von allen Anforderungen der Politik.

Und Silvester das Gleiche noch mal?

Dass diverse ultrarechte Gruppierungen den Kampf gegen das linke Zentrum auf ihre Fahnen geschrieben haben, ist nicht verwunderlich. Schließlich hatten schon Mitte der 80er Jahre führende Neonazigruppen ihr Zentrum in unmittelbarer Nähe zum AJZ, das auch Ausgangspunkt vieler antifaschistischer Gegenaktionen war. Auch aktuell wird die Rechte von Ostwestfalen durch Antifagruppen genau beobachtet.

„Straftätern die Räume nehmen – AJZ schließen“, lautete das Motto der Nazidemo schon am 6. August. Im Anschluss an einen rechten Aufmarsch in Bad Nenndorf wollten sie auch noch in Bielefeld Präsenz zeigen. Wegen Blockadeaktionen von Antifaschisten war der Versuch nicht erfolgreich. Damals kündigten die rechten Organisatoren bereits an, dass sie zu Weihnachten und Silvester wiederkommen würden. Zunächst wurden diese Sprüche als leere Drohungen behandelt, mit der das wegen der Blockade frustrierte rechte Klientel bei Laune gehalten werden sollte. Deshalb staunten auch viele Antifaschisten, als sich vor einigen Wochen herausstellte, dass es die Rechten mit ihren weihnachtlichen Besuch in Ostwestfalen ernst meinten.

Zufrieden zeigte sich ein Sprecher der Antifaschisten mit der kurzfristigen Mobilisierung. Man habe ein „deutliches Zeichen gegen rechts“ gesetzt, meinte er. Schließlich ist es in der stark universitär geprägten Bielefelder Politszene nicht selbstverständlich, am 24. Dezember Menschen auf die Straße zu bringen. Ob die Aktivisten alsbald erneut ihre Mobilisierungsfähigkeit unter widrigen Bedingungen unter Beweis stellen müssen, ist noch nicht sicher. Denn noch ist unklar, ob die Rechten auch den zweiten Teil ihrer Drohung wahrmachen und auch zu Silvester noch einmal Bielefeld besuchen wollen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151108
Peter Nowak

Reif für den Zeitgeist

Die Occupy-Bewegung ist nach allen Seiten offen. Das ist ihr Problem.
Von Peter Nowak
Nach der Krise werden wahrscheinlich alle wirtschaftlichen Strukturen zunächst zusammenbrechen, weil durch eine weltweite Globalisierung und die Konzentration auf das schuldenbasierte Wirtschaftssystem Währungen, wie derzeit der US-Dollar und vor ihm andere Währungen, unter ihren Schulden früher oder später zusammenbrechen werden. In den daraus folgenden sozialen Unruhen bietet das Zeitgeist-Movement eine noch nicht dagewesene friedliche Alternative an, in der das Gesellschaftskonzept auf modernen technologischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht. – Solche Endzeit- und Erlösungsvisionen äußerte ein Anonymus, der sich im Internet als »Aktivist des Zeitgeist-Movements« vorstellt. Bis vor kurzem war diese Bewegung nur Insidern bekannt. Doch seit in verschiedenen Ländern Menschen ihre Kritik am Finanzsystem und an den Banken durch öffentliches Camping ausdrücken und die Occupy-Bewegung ins Leben gerufen haben, hat sich das geändert.
Denn dort mischen die Zeitgeistler eifrig mit. Der medientaugliche Frankfurter Occupy-Sprecher Wolfram Siener, der es bis in die Spätausgabe der Tagesschau geschafft hatte, obwohl es ihn nach den Regeln der Okkupanten gar nicht geben dürfte, da auf den »Asamblea« genannten Campversammlungen jeder nur für sich selbst sprechen darf, verschwand in der Versenkung, nachdem seine Zeitgeistkontakte bekannt geworden waren. Doch obwohl viele Campteilnehmer betonen, sich von diesen Esoterikern nicht instrumentalisieren zu lassen, finden sich in der Occupy-Bewegung doch allerlei theoretische Übereinstimmungen, die sie reif fürs »Zeitgeist-Movement« machen. Die Ablehnung von Parteien und Gewerkschaften, die von manchen linken Aktivisten als sympathischer anarchistischer Zug verstanden wird, gehört ebenso dazu wie die hartnäckige Behauptung, frei von jeder Ideologie zu sein und mit Politik nichts zu tun zu haben.
Der in den USA lebende Gründer der Zeitgeist-Bewegung, Peter Joseph, wirbt für eine Abkehr von jeder Politik und Ideologie; er will mit technischen Mitteln das nebulöse Ziel einer »ressourcenbasierten Wirtschaft ohne Geld« erreichen. Der aus dem ideologischen Umfeld des Rechtslibertären Ron Paul stammende Joseph hatte 2007 in dem populär aufgemachten Film »Zeitgeist« Bankenbashing mit Verschwörungstheorien über die Anschläge vom 11. September 2001 gekoppelt. Der kostenlos im Netz zur Schau gestellte Film fand schnell Zustimmung.
Auch in Deutschland entstand eine Szene, die Filmmitschnitte von »Zeitgeist« und »Loose Changes« vor allem in subkulturellen Kreisen verbreitete. Sie beteiligte sich an den Fuck-Paraden, die in Berlin als nichtkommerzielles Pendant zur Loveparade entstanden waren, und organisierten Freigeistfestivals, auf denen mit Symbolen aus der Hippie-, Umwelt und Friedensbewegung geworben wurde. Dort kombinierte man Banken- und Geldkritik mit Verschwörungstheorien zu 9/11. Jede Kritik daran wurde unter Ideologieverdacht gestellt.
Wie schnell die Grenzen zur offenen Rechten verschwimmen, zeigte sich an einer Debatte des Occupy-Umfelds auf der Internetplattform Studi-VZ in Österreich. Nachdem der Zeitgeist-Aktivist Theo G. den Holocaust als »das Beste, was den Israelis je passieren konnte«, bezeichnet hatte, kam milder Tadel von einem Zeitgeist-Freund aus Salzburg: »Das mit dem Holocaust mag sein, wie es will, es ist einfach nur so, daß wir momentan noch in einem System leben, wo du mit derartigen Aussagen große negative Wellen schlagen kannst … es ist einfach schlauer, sich an gewisse Regeln zu halten, und die Informationen SUBTIL zu verbreiten …«.
Die Kameraden von der NPD waren da weniger subtil. »Occupy-Demo erfolgreich okkupiert «, vermeldete die NPD Frankfurt auf ihrer Homepage. Auch ein »Aktionsbündnis Direkte Demokratie«, das gegen »Enteignung, Schuldversklavung und Entrechung der Bürger« ein Bündnis »von rechts bis links, von oben bis unten, von arm bis reich« anstrebt, nutzte das Frankfurter Occupy-Camp als Kulisse für seine Propaganda. Viel zu okkupieren brauchten sie nicht bei einer Bewegung, die für sich in Anspruch nimmt, 99 Prozent der Bevölkerung zu repräsentieren und die in der Finanzwelt das zentrale Problem sieht. Dahinter steckt nun mal die Vorstellung, daß eine winzige Minderheit die Strippen zieht.
»Der Verstand wird zugunsten des Affekts suspendiert«, beschreibt der Politologe Samuel Salzborn die Aktivitäten einer Bewegung, die Personalisierung und Moralisierung an die Stelle von Gesellschaftskritik setzt. Das zeigen die Asamblea-Gesänge der Okkupanten, bei denen die Worte eines Redners von den Umsitzenden wiederholt werden, ebenso wie die Stilisierung des Humanmic, des menschlichen Mikrophons, zum Symbol der Bewegung. Auf diese Weise wurde in den USA bei einem Protestevent eine Minimalkommunikation aufrechterhalten, nachdem sämtliche technischen Übertragungsanlagen verboten worden waren. In den Camps in Deutschland soll mit dem Humanmic ein diffuses Wirgefühl erzeugt werden, inhaltliche Debatten, gar Streit um politische Inhalte sind so nicht zu führen, aber das wäre ja auch »ideologisch«.
Einige Anhänger der postautonomen Interventionistischen Linken, die ihr Motto »Dazwischengehen « lieber in »Überall mitmischen « ändern sollte, empfahlen zum Umgang mit der Occupy-Bewegung, daß »die Linke das Zuhören wieder lernen muß«. Vielleicht ist es ja tatsächlich besser, wenn sie erstmal schweigt. Denn wenn Linkspartei-nahe Erwerbsloseninitiativen in Sachsen-Anhalt à la Luther 95 Thesen zum Kapitalismus an Kirchen und Parteibüros pappen und eine Tageszeitung, die das Adjektiv »marxistisch« im Titel führt, diese nicht etwa auf der Satire-, sondern auf der »Hintergrund«-Seite dokumentiert, dann zeigt sich, daß nicht nur die Okkupanten reif für den Zeitgeist sind.

Peter Nowak schrieb in KONKRET 6/11 über die deutsche Weigerung, NS-Ghetto-Arbeiter zu entschädigen

aus Konkret 12/2011
http://www.konkret-verlage.de/kvv/kh.php?jahr=2011&mon=12

Erfolg im Spätverkauf

Minijobber erstreitet Lohnnachzahlungen und Arbeitszeugnis

Am Dienstag ging vor dem Berliner Arbeitsgericht der Lohnkampf in einen
Spätkauf mit einem Vergleich zu Ende. Ein Angestellter hatte auf Lohnnachzahlungen geklagt, weil er nach eigenen Angaben auf Minijobbasis bis zu 60 Stunden wöchentlich gearbeitet habe. Der am erzielte Vergleich sieht vor, dass der Angestellte eine Abfindung von 4000 Euro und ein Arbeitszeugnis bekommt, das bestätigt, dass er sechs Tage wöchentlich in den Laden gearbeitet hat. Dieser Passus sei ihm besonders wichtig gewesen, betonte der Verkäufer gegenüber »nd«. Für die anarchosyndikalistische Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion (FAU) und die Berliner Gruppe »Internationale Kommunisten«, die in den
letzten Wochen mehrere Veranstaltungen und Kundgebungen zu dem Fall organisierten betonten, zeigt das Ergebnis, dass selbst in schwer organisierbaren Branchen, wie den Spätverkäufen Erfolge möglich sind.
Bisher war weder der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di noch der FAU ein Fall bekannt, in dem ein Spätverkäufer sich juristisch und politisch gegen seien Arbeitsbedingungen wehrt. »Informelle Beschäftigungsverhältnisse und das hohe Maß an Prekarität, das auch die Ladenbesitzer mit einschließt, machen Widerstand schwer«, erklärt der auf soziale Kämpfe spezialisierte Publizist Holger Marcks. Heinz Steinle von der Nachbarschaftsinitiative, die de Verkäufer unterstützte, sieht das Problem auch im Niedriglohnsektor Einzelhandel, in dem Beschäftigte seit langem über die schlechter werdenden Arbeitsbedingungen klagen. Beispielsweise die Streichung von Abend- und Nachtzuschlägen war Gegenstand eines langen Arbeitskampfes im Jahr 2007.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/214001.erfolg-im-spaetverkauf.html
Peter Nowak

Armut zieht immer

FILM Je trauriger die Kulleraugen, desto mehr Geld: Kritik an Afrika-Klischees in Spendenkampagnen

„Verzeihung, ihr Sparschwein hat gerade eine Krankenschwester verschluckt.“ „Ich trage einen Brunnen am Ohr.“ Über solche Nonsenssätze der Africa-Aid-Kampagne wird immer wieder gelästert. Aber welches Bild von Afrika wird über die Plakate derartiger Spendenkampagnen vermittelt? Mit dieser Frage haben sich die Bildungsexperten Carolin Philipp und Timo Kiesel in ihrem 48-minütigen Film „White Charity“ kritisch, aber nicht verbissen beschäftigt. MitarbeiterInnen von Hilfsorganisationen kommen darin ebenso zu Wort wie wissenschaftliche KritikerInnen der Spendenwerbung.

Für die Schriftstellerin und Literaturdozentin Grada Kilomba reproduzieren die meisten Plakate in hohem Maße Klischees über Afrika, so sagt sie in dem Film. So würden dort bevorzugt halbnackte Kinder vor ländlichen Hütten abgebildet, obwohl die Mehrheit der afrikanischen Bevölkerung längst in Städten lebe. Die Aid-Afrika-Werbung bediene sich des Bilds von „ausgemergelten Gestalten, die hilfesuchend nach Europa blicken“, ergänztder Bonner Politikwissenschaftler Aram Ziai.

Nach Ansicht der New Yorker Literaturwissenschaftlerin Peggy Piesche hat sich an diesem Afrikabild in den zwei Jahrhunderten wenig geändert.

Sascha Decker von der Kindernothilfe hat grundsätzlich Verständnis für die antirassistische Fragestellung der Filmemacher, für das Fundraising hält er ihn aber für unpraktikabel. Er glaubt, dass die Spendenbereitschaft schnell sinken würde, wenn statt spärlich bekleideter Kinder Jugendliche in einen Internetcafe in Lagos oder einer anderen afrikanischen Metropole auf den Plakaten präsentiert werden – eine Prognonse, die sehr realistisch sein dürfte.

Allerdings bestätigt er damit die postkolonialen KritikerInnen: Traurige Kinderaugen fördern die Spendenbereitschaft und fördern die Überlegenheit der weißen HelferInnen.


Der Film kann bestellt und oder kostenlos angesehen werden unter www.whitecharity.de

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort
=tz&dig=2011%2F12%2F22%2Fa0164&cHash=f41abbd07c

Peter Nowak

Übergriff auf Journalist ungeklärt

Polizisten konnten wegen ihrer Helme nicht identifiziert werden
Die Ermittlungen gegen einen Berliner Journalisten wurden eingestellt. Das klingt besser, als es ist. Denn die Polizei hat ihr Ziel längst erreicht: Er wurde an seiner Arbeit gehindert.

Der für verschiedene Agenturen und Zeitungen, darunter das »nd«, tätige Journalist und Fotograf Björn Kietzmann begleitete am späten Abend des 16. Juli gut erkennbar als Pressevertreter eine linke Demonstration in Berlin – in Erinnerung an den zehn Jahre zuvor in Genua von der Polizei erschossenen Globalisierungskritiker Carlo Giuliani. Plötzlich wurde er von einem Trupp behelmter Polizisten zu Boden gerissen, wobei seine Kamera beschädigt wurde. Er wurde festgenommen und rund zwei Stunden festgehalten. Ein Polizist hatte Kietzmann beschuldigt, einen Böller gezündet zu haben. Kietzmann weist die Anschuldigung von sich. Er habe nur seine Arbeit gemacht.

Sein Kollege Ruben Neugebauer hatte die Festnahme beobachtet und als Zeuge bei der Polizei ausgesagt. Der Vorfall dürfte trotzdem ohne juristisches Nachspiel bleiben. Vor Kurzem bekam Kietzmann die Mitteilung, dass sowohl die Anzeige gegen ihn wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion als auch seine Anzeige gegen die Polizei eingestellt worden sind. Er habe zwar die Festnahme genau gesehen, erklärt Neugebauer dem »nd«, aber weil die Polizisten Helme trugen, habe er niemanden identifizieren können. »Während wir Journalisten durch unsere Presseausweise für alle identifiziert waren, hat die Polizei ihre Identität verborgen«, moniert Kietzmann.

Andreas Köhn von der Deutschen Journalisten-Union (dju) in ver.di kennt solche Probleme seit Langem. Deshalb tritt die Organisation für die Kennzeichnungspflicht für Polizisten ein. Sobald in Berlin der neue Polizeipräsident in sein Amt eingeführt sein wird, will Köhn mit ihm darüber das Gespräch suchen.

Doch nicht nur in Berlin kommt es am Rande von Demonstrationen immer wieder zu Übergriffen auf Pressevertreter. So wurden nach Angaben der dju während des letzten Castortransports Mitte November auch Fotografen, die für konservative Medien arbeiten, behindert. Zahlreiche Fotografen seien aufgefordert worden, ihre Bilder zu löschen. In anderen Fällen seien Journalisten Schutzausrüstungen abgenommen worden, so dass sie nicht weiterarbeiten konnten. »Mit diesem Vorgehen gefährdet die Polizei nicht nur die Gesundheit der Kollegen, sondern greift auch in die Pressefreiheit ein«, moniert die dju-Bundesgeschäftsführerin Cornelia Haß.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/213855.uebergriff-auf-journalist-ungeklaert.html
Peter Nowak

Widerstand ist möglich – sogar im Spätkauf

ARBEIT Die Klage gegen einen Ladeninhaber wegen nicht bezahlten Lohns endet mit einem Vergleich

Mit einem Vergleich endete am 20. Dezember vor dem Arbeitsgericht der Lohnkonflikt zwischen dem ehemaligen Mitarbeiter eines Friedrichshainer Spätkaufs und dessen Besitzer. Der Mitarbeiter hatte entgangenen Lohn einklagen wollen, weil er auf Basis eines Minijobvertrags bis zu 60 Stunden wöchentlich im Laden gearbeitet habe (die taz berichtete). Der Inhaber hingegen gab an, der Angestellte sei nur 20 Monatsstunden beschäftigt gewesen. Der Angestellte bekommt nach der Einigung eine Abfindung von 4.000 Euro sowie eine Bescheinigung, dass er sechs Tage in der Woche in dem Spätkauf gearbeitet hat. Beide Parteien verpflichten sich wechselseitig, keine weiteren Forderungen mehr zu stellen und alle Anzeigen zurückzunehmen. Der Spätkaufbesitzer hatte nicht nur den Kläger wegen falscher Angaben, sondern auch mehrere Internetportale verklagt, die über den Fall berichteten.

Der Kläger zeigte sich gegenüber der taz über das Ergebnis erleichtert: „Ich konnte alle meine Forderungen durchsetzen.“ Wichtig sei ihm vor allem der Nachweis gewesen, dass er sechs Tage in der Woche in dem Laden gearbeitet habe. „Der Ausgang zeigt, dass Widerstand auch in schwer organisierbaren Branchen möglich ist“, meinte auch der Sekretär der Berliner Freien ArbeiterInnen-Union (FAU), Florian Wegner. Der Angestellte hatte sich von der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft unterstützen lassen. In den vergangenen Wochen organisierte sie mit einer Friedrichshainer Nachbarschaftsinitiative mehrere Veranstaltungen und Kundgebungen in der Nähe des Spätkaufs. Die letzte fand am vergangenen Freitag statt, dazu schickte auch die als „Emmely“ bekannt gewordene Kaiser’s-Kassiererin eine Grußadresse. Sie war bundesweit bekannt geworden, weil sie sich erfolgreich gegen ihre Entlassung wegen eines angeblich unterschlagenen Flaschenbons im Wert von 1,30 Euro gewehrt hatte.
p://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2011%
2F12%2F21%2Fa0153&cHash=a6871e869f
Peter NOwak

Tornadoeinsatz ohne Konsequenzen

Gericht weist Klagen gegen Tiefflüge beim G8-Gipfel ab
Die Überflüge von Militärjets über einem Zeltlager von G8-Gegnern im Jahr 2007 waren nicht rechtswidrig. Globalisierungskritiker kritisieren das Urteil des Verwaltungsgerichts als »Generalvollmacht zur Einschränkung von Grundrechten«.
Die Überflüge mit Tornado-Aufklärern über ein Camp von Gegnern des G8-Gipfels 2007 in Heiligendamm waren nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Schwerin nur eine geringe Beeinträchtigung, die sich zudem wohl nicht wiederholen werde. Mit dieser Begründung lehnte es nun die Klage von drei Globalisierungskritikern ab, die gegen den Einsatz der Kriegswaffen geklagt hatten.

Das Camp mit zeitweise mehr als 4000 Bewohnern war mehrmals von einem Bundeswehr-Tornado zu Aufklärungszwecken überflogen worden. Dabei seien Bildaufnahmen gemacht worden, die aber entgegen der ursprünglichen Annahme der Kläger eine Identifizierung von einzelnen Campteilnehmern nicht ermöglichten, wie das Gericht am Dienstag mitteilte.

Mit den von der Luftwaffe angefertigten Aufnahmen wollte die Polizei nach eigenen Angaben angeblich im Camp befindliche Erddepots mit Waffen ausfindig machen. Die es nicht gab: Kläger Dieter Rahmann betonte, dass auf den damals in Zeitungen abgebildeten Fotos lediglich diskutierende Menschen zu sehen waren. Die Kläger sahen sich in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Versammlungsfreiheit verletzt. Die über das Camp brausenden Kampfflugzeuge seien von vielen Aktivisten als extrem einschüchternd empfunden worden. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts müssten sich politische Willensbildungsprozesse jedoch frei, offen, unreglementiert und grundsätzlich »staatsfrei« vollziehen können.

»Das Verwaltungsgericht stellt das Rechtssystem auf den Kopf, wenn es Unrecht immer dann für belanglos hält, falls es voraussichtlich kein zweites Mal eintritt«, kritisiert Kläger Rahmann. Damit werde eine »Generalvollmacht zur Einschränkung von Grundrechten« bei Großveranstaltungen ausgestellt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/213808.tornadoeinsatz-ohne-konsequenzen.html
Peter Nowak

Banker gegen Kunst

Der Aktionskünstler Philipp Ruch über die Schwierigkeiten, wenn Pressesprecher ihre Äußerungen zurücknehmen wollen
Philipp Ruch ist Gründer des Zentrums für Politische Schönheit, in dem Aktionskünstler mit politischen Aktivisten zusammenarbeiten. Gegen ihren Film »Schuld – Die Barbarei der Privatheit« über Nahrungsmittelspekulationen wollte die Deutsche Bank juristisch vorgehen. Peter Nowak sprach mit dem Aktionskünstler, der wie alle Mitglieder des Zentrums bei öffentlichen Auftritten an Kohle- und Rußspuren erkennbar ist. Denn: Sie wühlen in den verbrannten politischen Hoffnungen Deutschlands.
nd: Was störte die Deutsche Bank an Ihrem Film?
Die Passage ihres Pressesprechers Frank Hartmann, in der er die Menschen in Somalia für ihre Armut selber verantwortlich machte.

Der Bankkonzern zog inzwischen seine Ankündigung zurück. Ist das ein Erfolg der massiven Internetproteste?
Das kann man so sehen. Nach Bekanntwerden eines Eingriffsversuchs der sonst so kunstaffinen Deutschen Bank in die Kunstfreiheit wurde der Film zum Gesprächsthema Nummer 1 im Internet. Nach den ersten Agenturmeldungen über den Fall hagelte es Kritik auf der Facebook-Seite der Bank. Die Deutsche Bank wird aber eher wegen des Interesses von drei überregionalen Zeitungen eingelenkt haben.

Wurde nicht vor allen wegen der drohenden Eingriffe in die Kunst protestiert?
Die Kunst war nur der Anlass. Es ging von Anfang an um die unmoralischen Geschäfte mit dem Hunger von Millionen Menschen. Bis heute hält der Proteststurm an. Ich fürchte, die Bank wird sich bald erklären müssen.

Gab es Einigungsversuche?
Wir hatten im Vorfeld Gespräche mit drei verschiedenen Abteilungen der Bank, in denen wir eine nichtöffentliche Einigung erzielen wollten. Alle drei Stellen verhielten sich dabei ziemlich merkwürdig. Ich habe selten erlebt, dass Menschen, die professionell Öffentlichkeitsarbeit betreiben wollen, so wenig Sensibilität für die Bedeutung von Strafanzeigen gegenüber Aktionskünstlern besitzen. Insbesondere der Pressesprecher kam uns zeitweise wie eine schlechte Kopie von Achilles vor, der nicht weiß, wann man Gefühle zulässt und wann man schweigt. Er drohte mir ernsthaft mit zwei Jahren Gefängnis. Ich weiß ja nicht, in welchen Ländern er sich so herumtreibt. Aber in jedem Fall wäre ihm eine Welt genehm, in der Menschen für unliebsame Werke in Haft kommen.

Wie konnten Sie den Banksprecher überhaupt zu einem Interview gewinnen?
Indem wir anriefen, uns als Dokumentarfilmreporter zu erkennen gaben und nach einem Interview fragten. Danach hat er uns eine halbe Stunde mit dem Nutzen von Nahrungsmittelspekulationen voll-gequatscht. Daraufhin habe ich ihm vom Nutzen gigantischer Freiluftgulags vorgeschwärmt, die so groß sind wie Staaten. Da war dann erst mal Ruhe.

Hatten Sie Schwierigkeiten, Vertreter aus Wirtschaft und Politik für den Film vor die Kamera zu bekommen?
Nein. Die großen Akteure warten darauf. Das Thema findet keine Beachtung. Das Zentrum für Politische Schönheit nimmt sich generell nur schwersten Menschenrechtsverletzungen an. Wie kann es sein, dass Deutschland heute drittgrößter Waffenhändler der Welt ist? Wie kann es sein, dass in Kongo über sechs Millionen Menschenleben vernichtet werden, ohne dass wir es mitbekommen? Diese Fragen sind allesamt »under-reported«, wie es im Englischen heißt. Sprich – sie werden weit unter ihrer Bedeutung abgebildet.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/213766.banker-gegen-kunst.html
Interview: Peter Nowak

Bank, die Kunst und der Hunger


Facebookproteste in Deutschland zwangen die Deutsche Bank zum Einlenken

Der Pressesprecher der Deutschen Bank hätte vielleicht einmal googeln sollen, bevor er Interviews gibt. Dann hätte erfahren, dass das Zentrum für politische Schönheit keine konventionellen Interviews macht, in denen die Gesprächspartner sich selber produzieren können. Bei dem Zentrum handelt sich nämlich um eine Schnittstelle zwischen Aktionskunst und Politaktivismus. Spätestens mit ihrer versuchten Versteigerung der Bundeskanzlerin wurde es zu einem Medienthema (s.a.: Rechtsstaat gegen Schönheit?).

Jetzt haben die Aktionskünstler die Öffentlichkeit zumindest im Internet wieder auf ihrer Seite. Haben Sie doch die Deutsche Bank zum Einlenken gezwungen. Sie wollte juristisch gegen einen 15minütigen Filmbeitrag mit dem Titel Schuld – Die Barbarei der Privatheit vorgehen. In dem streckenweise sehr moralischen Film ist auch ein Gespräch mit dem Pressesprecher der Deutschen Bank zu hören. Stein des Anstoßes war ein Ausschnitt von knapp 90 Sekunden des Gesprächs, in dem dieser den Afrikanern die Schuld an ihrer Armut gibt. Die Justiziare der Deutschen Bank forderten zunächst die Entfernung des nichtautorisierten Gesprächs. Nachdem sich die Aktionskünstler weigerten und der Fall immer größere Wellen in der Öffentlichkeit schlug, verzichtete die Deutsche Bank auf die angekündigten juristischen Schritte. Telepolis sprach mit dem Gründer des Zentrums für politische Schönheit Philipp Ruch über die Gründe.

Ist der Verzicht der Deutschen Bank auf die Klage ein Erfolg der Internetproteste?

Philipp Ruch: Das kann man so sehen. Nach Bekanntwerden eines Eingriffsversuchs der sonst so kunstaffinen Deutschen Bank in die Kunstfreiheit wurde der Film zum Gesprächsthema Nummer 1 im Internet. Nach den ersten Agenturmeldungen über den Fall hagelte es Kritik auf der Facebook-Seite der Bank. Die Deutsche Bank wird aber eher wegen des Interesses von drei überregionalen Zeitungen eingelenkt haben. Sie dachte wohl, damit wäre die Sache aus der Welt.

Wurde nicht vor allen wegen der drohenden Eingriffe in die Kunst protestiert?

Philipp Ruch: Die Kunst war nur der Anlass. Es ging von Anfang an um die unmoralischen Geschäfte mit dem Hunger von Millionen Menschen. Bis heute hält der Proteststurm an. Ich fürchte, die Bank wird sich bald erklären müssen.

Hätten Sie das Interview nicht autorisieren müssen?

Philipp Ruch: Ich bin kein Jurist. Es ist aber schon verwunderlich, dass die Bank, die das Leben und die Rechte hunderttausender Menschen qualitativ dramatisch verschlechtert, sich bei uns über die Verletzung von Gesetzen beschweren will.

Gab es Einigungsversuche im Vorfeld?

Philipp Ruch: Wir hatten im Vorfeld Gespräche mit drei verschiedenen Abteilungen der Bank, in denen wir eine nichtöffentliche Einigung erzielen wollten. Alle drei Stellen verhielten sich dabei ziemlich merkwürdig. Ich habe selten erlebt, dass Menschen, die professionell Öffentlichkeitsarbeit betreiben wollen, so wenig Sensibilität für die Bedeutung von Strafanzeigen seitens der Deutschen Bank gegenüber Aktionskünstlern besitzen. Insbesondere der Pressesprecher kam uns zeitweise wie eine schlechte Kopie von Achilles vor, der nicht weiß, wann man Gefühle zulässt und wann man schweigt. Er drohte mir ernsthaft mit zwei Jahren Gefängnis. Ich weiß ja nicht, in welchen Ländern er sich so herumtreibt. Aber in jedem Fall wäre ihm eine Welt genehm, in der Menschen für unliebsame Werke in Haft kommen.

Wie konnten Sie den Banksprecher überhaupt zu einem Interview gewinnen?

Philipp Ruch: Indem wir anriefen, uns als Dokumentarfilmreporter zu erkennen gaben und nach einem Interview fragten. Danach hat er uns eine halbe Stunde mit dem Nutzen von Nahrungsmittelspekulationen vollgequatscht. Daraufhin habe ich ihm vom Nutzen gigantischer Freiluftgulags vorgeschwärmt, die so groß sind wie Staaten. Da war dann erst mal Ruhe.

Hatten Sie Schwierigkeiten, Vertreter aus Wirtschaft und Politik vor die Kamera zu bekommen?

Philipp Ruch: Nein. Die großen Akteure warten darauf. Das Thema findet keine Beachtung. Das Zentrum für Politische Schönheit nimmt sich generell nur schwersten Menschenrechtsverletzungen an. Die sind allesamt „under-reported“, wie es im Englischen heißt. Wie kann es sein, dass Deutschland heute drittgrößter Waffenhändler der Welt ist? Wie kann es sein, dass im Kongo über sechs Millionen Menschenleben vernichtet werden, ohne dass wir es mitbekommen?
http://www.heise.de/tp/artikel/36/36117/1.html
Peter Nowak

Das Afrikabild der Spendenwerber

Ein Film untersucht die Spuren des Kolonialismus in den Hilfskampagnen für Afrika
Weihnachtszeit ist Spendenzeit. Plakate, die an Hunger und Elend in Afrika erinnern, finden sich in diesen Tagen besonders häufig auf Werbeflächen. Über das dort vermittelte Bild von Afrika allerdings rümpfen Kritiker die Nase.

»Ohne Eltern fällt das Leben schwer«, ist ein Bild überschrieben, das eine Mutter mit ihrem weinenden Kind zeigt. Im Hintergrund sollen verdorrte Bäume die Folgen der Dürre in vielen Ländern Afrikas symbolisieren. »Schützen Sie Zukunft«, lautet der Titel über dem Plakat eines schwarzen Kindes, das mit freiem Oberkörper in die Kamera blickt. Kinder und Mütter sind häufige Motive auf den Plakaten, die zu Spenden aufrufen. In der Regel werden sie in einer ländlichen Umgebung fotografiert. Im Hintergrund sieht man Savannen und dörfliche Hütten. Damit wird ein falsches Bild über das Leben in Afrika gezeichnet, lautet die These des Films »White Charity«, der vor Kurzen angelaufen ist.

Die Filmemacher Carolin Philipp und Timo Kiesel lassen dort sowohl Kritiker der Plakatmotive als auch Mitarbeiter von Nichtregierungs- und Hilfsorganisationen zu Wort kommen. Herausgekommen ist ein informativer Beitrag, der einen anderen Blick auf eine Wohltätigkeitsindustrie wirft, die oft schon deshalb außerhalb jeder Kritik steht, weil sie ja einem guten Zweck dient, wie es immer heißt.

Für die Schriftstellerin und Literaturdozentin an der Berliner Humboldt-Universität, Grada Kilomba, reproduzieren die meisten Plakate Klischees über Afrika. So werde bei den Bildern von halbnackten Kindern vor ländlichen Hütten ausgeblendet, dass die Mehrheit der afrikanischen Bevölkerung längst in Städten lebt. »Ausgemergelte Gestalten, die hilfesuchend nach Europa blicken« kurbeln die Spendenbereitschaft an, moniert die New Yorker Literaturwissenschaftlerin Peggy Piesche. Damit habe sich das Afrikabild in den zwei Jahrhunderten kaum geändert. Das Bild vom modernen aufgeklärten weißen Europäer, der mit seiner Spende ein wenig Zivilisation nach Afrika bringt, wird auch auf mehreren der in dem Film analysierten Plakate weiter gezeichnet.

Sascha Decker von der Kindernothilfe, der in dem Film die Spendenwerbung verteidigt, bestätigt allerdings die Kritiker indirekt. Seine Vermutung, dass die Spendenbereitschaft schnell sinken würde, wenn statt spärlich bekleideter Kinder Jugendliche in Internetcafés in Lagos oder einer anderen afrikanischen Metropole auf den Plakaten präsentiert würden, trifft sich mit deren These, dass sich ohne traurige Kinderaugen kaum Spendengelder akquirieren ließen. Donuta Sacher, die seit Jahren in der NGO-Szene aktiv ist und auch für die Welthungerhilfe arbeitet, spricht die Herausforderungen an, vor denen Werber für Afrika-Spendenkampagnen stehen. Sie müssen schließlich in erster Linie nicht das Attac-Mitglied, sondern den christlichen Handwerker und die konservative Lehrerin ansprechen. Daher fehlen bei den Plakatmotiven meist auch die kleinsten Hinweise auf Ursachen und Hintergründe von Hunger und Elend in Afrika. Könnten die verkrüppelten Bäume im Hintergrund des Fotos vielleicht ihre Ursache im Umweltverhalten des globalen Nordens haben? Diese Frage darf natürlich gar nicht erst gestellt werden.

»Wir haben das Format Film gewählt, um komplexe Zusammenhänge in unterhaltsamer Form auch Menschen zu präsentieren, die kein Buch zum Thema Postkolonialismus lesen würden«, erklärte Kiesel gegenüber »nd«. Im Internet kann der Film unter www.whitecharity.de kostenlos heruntergeladen werden. Aber auch eine DVD ist dort käuflich zu erwerben.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/213682.das-afrikabild-der-spendenwerber.html
Peter Nowak

Auf die Tastatur gehauen

Nach über einem halben Jahr Arbeitskampf stehen die streikenden Redakteure beim Schwarzwälder Boten kurz vor dem Erfolg.

Es könnte ein bedeutender Tag für die Redakteure des Schwarzwälder Boten werden, die sich seit Mitte Mai im Arbeitskampf befinden. Vor einigen Tagen setzten sie ihren Streik für Verhandlungen aus. Denn am Dienstag kommt es zur dritten und nach Einschätzung von Gewerkschaftern entscheidenden Tarifverhandlung zwischen Verdi und dem Deutschen Journalisten-Verband einerseits und der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH) andererseits. Zu dieser Holding gehören neben dem Schwarzwälder Boten noch die Stuttgarter Zeitung, die Stuttgarter Nachrichten und die Süddeutsche Zeitung, die großen Printmedien aus Südwestdeutschland also. Geschäftsführer sowohl der Holding als auch des Schwarzwälder Boten ist Richard Rebmann, der erklärte Lieblingsfeind der Streikenden.

»Herzlich willkommen im Niedriglohn-Sektor von Dr. Rebmann«, lautet ein Slogan, den man im Streikblog häufiger lesen kann. Rebmann war es, der im März 2011 den Schwarzwälder Boten mit damals noch 430 Beschäftigten in zwei Gesellschaften aufgliederte: eine für die Redaktionen, die andere für die Anzeigenabteilung und die Geschäftsführung. Bereits 2008 war der »Grafikbote« gegründet worden, mit dem die Druckvorstufe ausgegliedert wurde. Deren Betrieb soll jetzt ganz eingestellt werden. Dafür sollen die Beschäftigten von einer konzerneigenen Leiharbeitsfirma mit niedrigeren Löhnen und schlechteren Arbeitszeiten übernommen werden.

Auch im Redaktionsbereich wurde gespart, wie Verdi an einigen Beispielen aufzeigte. So sollen die von der Redaktionsgesellschaft des Schwarzwälder Boten neu eingestellten Volontäre mit abgeschlossenem Studium im ersten Jahr nur noch 1 228,50 Euro statt wie bisher 1 755 Euro verdienen – ein Minus von 30 Prozent. Und davon sind nur 877,50 Euro als reguläres Gehalt deklariert, der Rest wird von der Geschäftsführung als jederzeit widerrufbare »freiwillige Zulage« verstanden. Außerdem wurden die Arbeitszeit auf 40 Stunden erhöht, die Zahl der Urlaubstage von 30 auf 27 im Jahr gesenkt sowie das Urlaubs- und Weihnachtsgeld komplett gestrichen. Daher sprach Verdi von Gehaltsverlusten bis zu 50 Prozent bei jungen Journalisten.

Aufgrund der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen traten am 20. Mai knapp 40 Prozent der Redakteure in den Streik. Die Kampfbereitschaft war für alle Beteiligten überraschend. »Es gab keine Streikkultur in der 175jährigen Geschichte des Schwarzwälder Boten. Das ist auch für die Geschäftsführung eine völlig neue Erfahrung«, sagt ein Betriebsratsmitglied, das namentlich nicht genannt werden will, der Jungle World. Ihm zufolge sei den Redakteuren durch die Umstrukturierungen bei der Druckvorstufe, die drei Jahre zuvor noch widerstandslos über die Bühne gingen, klar geworden, was die Ausgliederung für sie bedeute.

Dass sich der Arbeitskampf so lange hinzog – insgesamt gab es 96 Streiktage –, ist vor allem der Geschäftsführung geschuldet, die sich Verhandlungen lange verweigerte. Rebmann argumentierte, nicht seine Holding, sondern die ausgegliederte Geschäftsführung im Schwarzwälder Oberndorf sei zuständig. Diese Haltung musste er Anfang Dezember aufgeben, nicht nur wegen der Ausdauer der Streikenden, sondern auch wegen der Unterstützung, die der Arbeitskampf in der Zeitungsbranche erfuhr. »Wir fürchten, dass dieses Verhalten in anderen Verlagshäusern Schule machen könnte, wenn die Führung des Schwarzwälder Boten sich mit ihrer Vorgehensweise durchsetzt«, begründeten Redakteure und Volontäre des Mannheimer Morgen und des Südhessen Morgen ihre Solidarität mit den Streikenden. Ähnliche Erklärungen wurden in den vergangenen Wochen zahlreich an den »Streikboten« geschickt. So nennt sich die von den Redakteuren gestaltete Streikzeitung im Internet, die über Aktionen rund um den Arbeitskampf informiert. Von einer möglichen Signalwirkung redet auch das Betriebsratsmitglied: »Die Kollegen befürchten, dass die Aufspaltung des Schwarwälder Boten nur der Auftakt in der Branche ist.« Immerhin sei die SWMH der zweitgrößte Konzern in der Branche und setze Maßstäbe.

Mit verschlechterten Arbeitsbedingungen sehen sich derzeit viele in der Zeitungsbranche Tätige konfrontiert. Am meisten haben die freien Journalisten darunter zu leiden, denen eine Honorarkürzung oftmals nicht einmal angekündigt wird. So schildert ein Musikredakteur der Jungle World seine Erfahrungen mit der Lausitzer Rundschau: »Nach 15 Jahren regelmäßiger und dauerhafter freier Mitarbeit wurde bei mir das Zeilenhonorar um zwei Drittel gekürzt, ohne mich darüber zu informieren. Das konnte ich nur meinen Kontoauszügen entnehmen.« Er sollte für ein Zeilenhonorar von zehn statt wie bisher 31 Cent Artikel liefern. Seine Beschwerden hatten keinen Erfolg. »Die einzige Reaktion des Chefredakteurs bestand darin, in wenigen Zeilen darauf hinzuweisen, dass meine freie Mitarbeit nun beendet sei, und mir ›viel Glück‹ auf meinem weiteren Arbeitsweg zu wünschen.« Jener Chefredakteur hatte im Sommer 2010 seinen Dienst angetreten, um die Zeitung durch Einsparungen, unter anderem bei den Gehältern, zu sanieren. Obwohl dem Musikredakteur zufolge auch unter den festangestellten Redakteuren die Unzufriedenheit darüber groß war, sei es zu keinem Widerstand gegen die Einschnitte gekommen. Zu groß sei bei vielen die Angst gewesen, entlassen zu werden, wenn man sich zu sehr exponiere.

Eine solche Stimmung ist in der Zeitungsbranche weit verbreitet und erschwert die Solidarität. So sicherten auch beim Schwarzwälder Boten 15 freie Journalisten das Erscheinen einzelner Lokalausgaben während des Ausstands. Die Gewerkschaften sprechen von Streikbruch. Sollte es nächste Woche zu einem für die Beschäftigten akzeptablen Ergebnis kommen, dürften nicht nur bei den Kollegen des Schwarzwälder Boten die Sektkorken knallen. Sie hätten damit gezeigt, dass Arbeitskämpfe in der Zeitungsbranche möglich sind und sogar erfolgreich sein können.
http://jungle-world.com/artikel/2011/50/44520.html
Peter Nowak