Monopoly in Friedrichshain

Townhouses und Modernisierungen vertreiben Mieter/innen

„Friedrichshain ist auf eine einzigartige Weise modern und lockt mit genau der richtigen Mischung. (…) Voller Energie fand die positive Verwandlung des Quartiers vor mehr als 10 Jahren am Simon-Dach-Kiez ihren Anfang und setzte sich im Samariterviertel fort.“ So eine Werbeschrift, mit der die Townhouses im Parkquartier Dolziger einer einkommensstarken Klientel für einen Quadratmeterpreis von 3.480 Euro vermittelt werden sollen. Projekte wie das Parkquartier Dolziger sind keine Ausnahme in Friedrichshain. Mit dem dortigen Bauboom verschwinden die letzten Brachen und unsanierten Gebäude.

 Manchmal gibt es dabei noch Störfaktoren, beispielsweise Mieter/innen mit rechtsgültigen Verträgen, wie in der Boxhagener Straße 70-72. Der Häuserkomplex wurde vom Projektentwickler PSG gekauft, der dort Townhouses errichten will. Davon erfuhren die verbliebenen 9 Mietparteien, darunter ein dort seit fast 60 Jahren wohnender Rentner, aus dem Internet, als der Umbau schon im vollen Gange war. Die Mieter/innen klagen über Schikanen, wie dass sie den Keller und die Mülltonnen nicht mehr benutzen durften. Mehrere dieser Verbote wurden von Gerichten ausgesetzt. Allerdings konnten sich die Eigentümer mit ihren Begehren durchsetzen, im Winter ein Treppenhausfenster zu entfernen, was nachfolgend zum Platzen der Wasserrohre führte. Das Ziel, die Mieter/innen zu vertreiben, wurde von der Rechtsanwältin der PSG offen ausgesprochen, denn nach einer Vollsanierung sei das Gelände besser zu vermarkten.

„Lindnerbetroffene“ vernetzen sich
Auch die Mieter/innen in der Boxhagener Straße 84 verfolgen aufmerksam, was nach dem Eigentümerwechsel mit ihrem Haus passiert. Der Häuserkomplex ist im letzten Jahr vom Tierschutzverein an die Lindner Wohnbauten GmbH verkauft worden, die in Berlin rund 70 Häuser besitzt. Mittels eines Blogs haben sich die Bewohner/innen vernetzt und tauschen Erfahrungen aus. Vor allem bei der Sanierung des Vorderhauses der Boxhagener Straße 84 seien Mieterrechte oft nicht eingehalten und Baumaßnahmen nicht angekündigt worden, sagen die Mieter/innen über ihre Situation. Auch sei ein Baugerüst länger als nötig vor dem Haus aufgestellt gewesen. Ihre Intervention war nicht erfolglos: „Am Anfang waren die Eigentümer uns gegenüber sehr ablehnend. Zurzeit ist erst einmal ein Waffenstillstand eingetreten“, so ein Mieter zur aktuelle Lage. Doch die Mieter/innen bleiben wachsam. „Noch haben wir eine gute Ausgangssituation. Die meisten Mieter kennen sich schon und wir verständigen uns auf gemeinsame Schritte.“ Allerdings seien schon während der ersten Sanierungsphase einige Mieter/innen ausgezogen. Die Wohnungen werden nicht neu vermietet und stehen leer. Das bestärkt die Mieter/innen in der Vermutung, dass die Eigentümer kernsanieren wollen, zumal auf dem Nachbargrundstück ein „Biohotel“ hochgezogen wird. „Touris kills our kiez“ hat jemand in schlechtem Englisch an die Fassade der Boxhagener Straße 84 gesprüht.

Nach Vollsanierung besser zu vermarkten
„Wir schließen“, verkünden große Schilder am Bekleidungsladen in der Frankfurter Allee 55. Der Auszug ist nicht ganz freiwillig. Nachdem die SEP-Invest GmbH das Haus gekauft und mit der Sanierung begonnen hatte, wurden zunächst einige stille Besetzer auf die Straße gesetzt, die dort mehrere Monate gelebt hatten. Aus Protest malten sie Schilder, um sich gegen ihre rabiate Vertreibung zu beschweren. „Wir hatten keine Zeit, um Sachen zu packen, sondern mussten sofort das Haus verlassen“, klagte eine von dem Vorgehen betroffene ältere Frau. Sie hatte Angst vor den Bauarbeitern, die ihr mit Schlägen gedroht hätten, wenn sie das Haus nicht verließe. Aber auch die Mieter/innen mit gültigen Verträgen sehen sich in ihren Rechten verletzt. „Mein Briefkasten war verschwunden, es gab kein Wasser, deshalb konnte ich nicht mehr in der Wohnung bleiben“, beschreibt eine Mieterin, die seit 10 Jahren in dem Haus wohnt, ihre Situation.    Die wenigen Beispiele zeigen, dass das in Immobilieninseraten beschworene „neue Friedrichshain“ für viele Mieter/innen keinen Raum mehr bieten wird.

 http://www.bmgev.de/mieterecho/archiv/2011/detailansicht/article/monopoly-in-friedrichshain.html

MieterEcho 349 / September 2011

Peter Nowak

Abrissprogramm in Schöneberg

In Schöneberg soll Sozialer Wohnungsbau Nobelwohnungen weichen

„Aufbauprogramm 1964“. Das Schild mit dem Berliner Bären kündet am Eingang der Barbarossastraße 59 in Schöneberg von einer Zeit, als in Westberlin durch Sozialen Wohnungsbau bezahlbarer Wohnraum mit guter Ausstattung errichtet wurde. Wer heute durch die Wohnungen geht, findet sie überwiegend noch in gutem Zustand. Die meisten Wohnungen haben lackierte Dielen und geflieste Bänder. Doch sie stehen leer und sind unverschlossen. In mehreren Etagen wurden die Heizungsrohre entfernt. Der Barbarossastraße steht ein „Abbruchprogramm 2011“ bevor.

 Das Gebäude mit 106 Mietwohnungen soll nach den Plänen des Projektentwicklers Hochtief abgerissen werden. Schon seit Monaten werden die Mieter/innen in Einzelgesprächen zum Auszug überredet. Wer durch die vielen leeren Wohnungen geht, sieht den Erfolg dieser Strategie. Hannah Wiesniewska gehört zu den Mieter/innen, die bleiben wollen. „Eine solch preiswerte Wohnung finde ich in Berlin nicht mehr“, erklärt sie. Zudem blickt sie vom Balkon ihrer Wohnung in der fünften Etage direkt auf den Alice-Salomon-Park, einem kleinen Idyll mitten in Schöneberg. „Wenn ich hier sitze, ist es für mich wie Urlaub“, sagt Wiesniewska. Sie befürchtet, dass im Park einige Bäume gefällt werden, wenn die Neubaupläne von Hochtief umgesetzt werden. Schließlich ist im Bebauungsplan von einer „Besonnung des Hofs durch den südlichen Durchgang“ die Rede, wo bisher die Parkbäume für Schatten sorgen. Mit dem Neubau wäre zudem der Verlust von rund 2000 qm Grünfläche auf dem Grundstück Barbarossastraße 59/60 verbunden. Dort soll der Südflügel des neuen Gebäudes mit hochwertigen Wohnungen errichtet werden

Keine Hilfe von der Bezirkspolitik
Die Mieter/innen des Hauses wandten sich mehrfach an die Bezirkspolitiker, um sie davon zu überzeugen, dass eine Sanierung des Gebäudes aus sozialen und ökologischen Gründen die bessere Lösung wäre. Doch dabei stießen sie auf taube Ohren. Die Bezirksverordnetenversammlung stimmte für den  Abriss, obwohl der Baustadtrat Bernd Krömer (CDU) dabei erklärte, dass die Mieter/innen zu ihren jetzigen Konditionen in der Gegend „wohl nichts finden werden“. Er steht hinter den Neubauplänen von Hochtief und auch die Vertreter von SPD und B90/Grüne haben sich nicht widersetzt. Dabei ist die Barbarossastraße 59 nur ein Pilotprojekt, denn der Bezirk will in der Gegend weitere Gebäude aus den 60er Jahren abreißen. Eine „schrittweise und grundstücksbezogene Rekonstruktion oder Anlehnung an historische Baufluchten“ soll „die Qualität des Viertels aufwerten und weiterentwickeln“, heißt es im Bebauungsplan. Im Klartext sollen die im Zuge des Sozialen Wohnungsbaus errichteten Häuser und ihre Mieter/innen Platz machen für die von der Politik umworbenen Besserverdienenden, um das Viertel aufzuwerten.

Juristischer Ausgang offen
Von der Politik werden diese Bauvorhaben gefördert, behindert werden sie von Mieter/innen, die sich nicht vertreiben lassen. Mittlerweile laufen Räumungsklagen gegen die renitenten Mieter/innen. Der Rechtsanwalt Fred Skroblin, der mehrere Mieter/innen vertritt, hält den juristischen Ausgang für offen. Das zeige sich auch daran, dass den Mieter/innen Prozesskostenbeihilfe gewährt wurde, was die Aussicht auf einen möglichen Erfolg im Gerichtsverfahren voraussetzt. Hochtief begründet den geplanten Abriss mit einer mangelnden wirtschaftlichen Verwertbarkeit des Hauses in seinem jetzigen Zustand (zur Verwertungskündigung siehe MieterEcho Nr. 339/März 2010). Das Gericht muss entscheiden, ob der Wunsch eines Eigentümers nach hohen Gewinnen über den Mieterinteressen steht. Skroblin ist bereit, bis zum Bundesgerichtshof zu gehen, um die Mieterrechte durchzusetzen.

http://www.bmgev.de/mieterecho/archiv/2011/detailansicht/article/abrissprogramm-in-

schoeneberg.html

 MieterEcho 349 / September 2011

Peter Nowak

Aktionstage gegen Überwachung

Demonstration und Workshops in Brüssel

Der Kampf gegen Vorratsdatenspeicherung, Überwachung und Zensur wird zum europäischen Thema. Am Wochenende findet in Brüssel ein europaweites Treffen von Bürgerrechtlern, Datenschützern und zivilgesellschaftlichen Initiativen unter dem Motto »Freiheit statt Angst« statt.
Das Bündnis fordert neben der Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung die Abkehr von den Plänen zur Einführung der sogenannten Fluggastdatenspeicherung. Außerdem sollen die EU-Politiker für ein freies und unzensiertes Internet mit gleichen Rechten für alle eintreten. Die drei Aktionstage haben jeweils unterschiedliche Schwerpunkte, die unter den Stichworten Protest, Vernetzung und Lobbying zusammengefasst werden können. Vom Samstag bis zum Montag sind Demonstrationen, Workshops, Vorträge und Diskussionen geplant.

Mit einer Demonstration, die am Samstag um 14 Uhr vor dem EU-Parlament beginnt und vom europäischen Viertel in die Brüsseler Innenstadt führt, beginnen die Aktionstage. Der Sonntag steht im Zeichen der Vernetzung. In Workshops, Vorträgen, Diskussionen und Kleingruppen wollen Initiativen aus ganz Europa über ihre Projekte im Kampf gegen die Vorratsdatenspeicherung und Überwachung austauschen. Am kommenden Montag wollen sich die Datenschützer mit Politikern treffen. »Der Austausch findet nicht allein zwischen Datenschützern und Nichtregierungsorganisationen statt, sondern auch mit hochrangigen Verantwortlichen aus Europaparlament und der EU-Kommission«, betont Michael Ebeling vom »AK Vorrat« gegenüber ND. Die Organisation engagiert sich in Deutschland seit Jahren gegen die Vorratsdatenspeicherung und hat auch die Aktionstage in Brüssel mitorganisiert.

Für den »AK Vorrat« ist der Gang nach Brüssel folgerichtig. »Schließlich kommen von dort immer wieder Vorschläge, die darauf abzielen, das Internet europaweit zu zensieren oder Nutzern das Internet als Strafe für Urheberrechtsverletzungen abzuschalten«, moniert die Mitorganisatorin der Aktionstage Kirsten Fiedler. Dabei wird die Position der Datenschützer auch von europäischen Regierungen geteilt. So lehnen Tschechien, Rumänien und Zypern jede Datenspeicherung ab. Diese Position soll auch auf den Brüsseler Aktionstagen im Mittelpunkt stehen. »Die Botschaft lautet, die Vorratsdatenspeicherung ist per se nicht mit unseren Grundrechten vereinbar und muss in jeder Form verhindert werden«, betont Ebeling.

Peter Nowak

Bier und Päckchen, Kippen und Ausbeutung

Alles locker am Spätkauftresen? Oftmals nicht für die Beschäftigten
Zehn Stunden Arbeit am Tag statt Minijob, nur der Lohn ist der gleiche. Erstmals will sich ein Berliner Spätkaufbeschäftigter vor dem Arbeitsgericht gegen die fiesen Arbeitsbedingungen wehren.

Daniel Reilig* gehörte zum wachsenden Heer von Minijobbern. 20 Stunden im Monat wollte er in einem Spätkaufladen im Berliner Stadtteil Friedrichshain seine Hartz-IV-Bezüge durch eine Vergütung von 120 Euro aufbessern. So steht es in dem Vertrag, den Reilig mit dem Besitzer mehrerer Spätkaufläden abgeschlossen hat. Doch sein Arbeitsalltag sah ganz anders aus.
Campact – Waffen

»Ich arbeitete sechs Tage die Woche bis zu zehn Stunden täglich. Ich hatte in dieser Zeit auch keine Mittagspause«, erklärt Reilig gegenüber ND. Bei einem Imbiss in der Nachbarschaft habe er Menüs bestellt, die er an seinen Arbeitsplatz verzehren konnte, wenn er gerade keine Kunden zu bedienen hatte. Dass sei selten gewesen, denn im Spätkauf waren ein Internetcafé, ein Getränke- und Zeitschriftenvertrieb und ein Hermes-Versanddienst integriert.

Der Chef von Reilig behauptet, seine Brüder hatten in den Läden fast rund um die Uhr gearbeitet. Reilig hingegen sei nur 20 Stunden im Monat dort tätig gewesen. Wenn er sich dort länger aufgehalten hat, sei das freiwillig gewesen. Er droht Reilig mit einer Klage, wenn er seine Beschreibung der Arbeitsbedingungen weiterhin aufrecht erhält. Der hat in einer Eidesstattlichen Erklärung seine Version bekräftigt, die von einigen regelmäßigen Kunden des Spätkaufs bestätigt wird. Er habe sich immer wieder gefragt, ob Reilig keine Freizeit habe, weil er rund um die Uhr hinter der Kasse gesessen hat, erklärte ein Anwohner, der in dem Laden regelmäßig einkauft. Diese Angaben will er beim Prozess vor dem Arbeitsgericht wiederholen.

Dort will Reilig den Lohn für seine tatsächliche Arbeitszeit einklagen. Nach Angaben seines Anwaltes Klaus Stähle stehen die Chancen gut. Wichtig sei aber, dass er durch Zeugenaussagen oder andere Belege seine tatsächliche Arbeitszeit nachweisen kann. Bisher ist dem Arbeitsrechtler kein weiterer Fall bekannt, wo sich ein in einem Spätkauf Beschäftigter juristisch wehrt. Gründe seien die informellen Arbeitsbeziehungen in der Branche und mangelnde Information der Beschäftigten über ihre Rechte. So sei vielfach auch nicht bekannt, dass Menschen mit geringen Einkommen Prozesskostenbeihilfe beantragen können, um ihre Rechte einzuklagen.

Auch Erika Ritter, bei ver.di Berlin-Brandenburg für den Handel zuständig, kennt keinen Fall, wo sich ein Spätkauf-Beschäftigter an die Gewerkschaft gewandt hat, um seine Rechte durchzusetzen. Auch sie bewertet die Erfolgsaussichten als gut. Ließe sich nachweisen, dass der in Berlin geltende Tarifvertrag um mehr als 30 Prozent unterschritten wird, sind die Arbeitsbedingungen sittenwidrig. Das kann bei einem Stundenlohn von unter acht Euro der Fall sein.

Ein Grund für die geringe Organisierungsbereitschaft liegt für Ritter darin, dass es sich überwiegend um Familienbetriebe handelt, in denen die gesamte Verwandtschaft rund um die Uhr für wenig Geld schuftet. Dabei würden die Arbeitsbedingungen im Einzelhandel immer schlechter. Vor allem die Konkurrenz der Supermärkte und Discounterketten sorgte für großen Druck und verringere die finanziellen Spielräume. Die anarchosyndikalistische Gewerkschaft FAU will mit einer Kampagne beginnen, um die Beschäftigen in dieser Branche verstärkt über ihre Rechte zu informieren. Eine erfolgreiche Klage von Reilig könnte dabei helfen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/206864.bier-und-paeckchen-kippen-und-ausbeutung.html

Peter Nowak

Islamisten zu früh verhaftet?


Den Ermittlungsbehörden könnten die Beweise für einen angeblich in der Berliner Islamistenszene geplanten Anschlag fehlen

Die Aufregung war groß, als kurz vor dem zehnten Jahrestag des Anschlags auf das WTC und das Pentagon zwei angebliche Islamisten in Berlin verhaftet und mehrere islamische Einrichtungen in den Stadtteilen Kreuzberg, Neukölln und Wedding durchsucht wurden. Der Haftbefehl wurde wegen Flucht- und Verdunkelungsgefahr erlassen. Doch wie lange er bestehen bleibt, ist derzeit offen.

Den Ermittlungsbehörden dürfte es nicht leichtfallen, den Beschuldigten konkrete Straftaten nachzuweisen. Dass sie der islamistischen Szene angehören, dürfte allein nicht strafrelevant sein. Nur das aber scheint zur Zeit zweifelsfrei festzustehen. Der Polizeieinsatz erfolgte, nachdem sie größere Mengen Chemikalien und Kühlpads bestellt hatten. Salzsäure und Kühlpads sind für sich genommen noch keine verdächtigen Utensilien, selbst wenn sie in größeren Mengen gekauft werden. Wenn zwei Männer mit Verbindung zur Islamistenszene solche Chemikalien aber in großen Mengen horten, ist Gefahr im Verzug, lautete die Devise der Ermittlungsbehörden.

Diese Sichtweise mag in den Boulevardmedien und in großen Teilen der Bevölkerung auf große Zustimmung stoßen. Aber bei einer juristischen Bewertung der Angelegenheit geht es um Fakten. Und da könnte der frühe Zugriff eher hinderlich sein. Denn bisher ist weder klar, was die Männer geplant haben, selbst ob es überhaupt ein konkreten Anschlagsvorhaben gab, ist nicht erwiesen. Sollten die Männer keine Aussagen dazu machen und den Ermittlungsbehörden nicht der Zufall oder ihre Verbindungsleute in die Islamistenszene zur Hilfe kommen, könnten diese straffrei ausgehen. Die Bundesanwaltschaf hat die Angelegenheit schon heruntergestuft, indem sie erklärte, nicht selber die Ermittlungen zu übernehmen. Die Bundesanwaltschaft schaltet sich grundsätzlich ein, wenn Straftaten vorliegen, die für die Staatssicherheit von Bedeutung sind.

Festnahme vor symbolträchtigem Datum?

Schon gibt es Kritik an dem Zeitpunkt des polizeilichen Zugriffs gegen die Berliner Islamistenszene. Selbst in der konservativen Presse heißt es bedauernd: „Nach juristischen Maßstäben sind die Verdächtigen sehr früh aufgeflogen – fast zu früh. Mit den bislang vorliegenden Indizien lässt sich möglicherweise nur schwer der Nachweis führen, dass ein konkreter Terroranschlag geplant war oder dass eine neue Terrorzelle entstanden ist.“

Unklare Aussagen gab es in der Presse zu den Gründen der Terminierung der Polizeiaktion. Während in einigen Meldungen betont wurde, der Zugriff habe nichts mit dem Jahrestag der Anschläge in den USA zu tun, zitierte die gewöhnlich gut aus der Welt der Sicherheitsdienste informierte Welt am Sonntag aus einem als geheim deklarierten Schreiben des BKA, aus dem das Gegenteil hervorgeht (Das Terrorspiel).

„Das Bundeskriminalamt (BKA) fürchtet, dass islamistische Terroristen im Umfeld des zehnten Jahrestages der Angriffe in den USA auch in Deutschland neue Anschläge verüben könnten. Das geht aus einem vertraulichen Schreiben des BKA an Bundesministerien und Sicherheitsbehörden vom 25. August hervor, das der „Welt am Sonntag“ vorliegt. In dem Geheimpapier mit dem Titel „Gefährdungslage islamistischer Terrorismus zum 11. September 2011“ steht, dass es ernst zu nehmende Überlegungen des Terrornetzwerkes Al-Qaida gebe, „wonach unter anderem möglichst zum 10. Jahrestag der Attentate vom 11. September 2001 Anschläge gegen US-amerikanische Interessen wünschenswert seien“, so das konservative Blatt. Sollte mit den Festnahmen diese Prophezeiung der Öffentlichkeit plausibel gemacht werden? Zumindest ließen es sich konservative Politiker nicht nehmen, die Festnahmen als Beweis für das Gefährdungspotential durch Islamisten heranzuziehen und eine Verschärfung der Sicherheitsgesetze zu fordern.

So heißt es in einer Erklärung der hessischen Landesregierung und des hessischen Innenministeriums zum Jubiläum des Anschlags nicht nur, dass die islamistische Gefahr seit dem 11.9.2001 stetig gewachsen sei. Es wird gleichzeitig eine Mahnung an die FDP gerichtet, ihren Widerstand gegen weitere Sicherheitsgesetzte aufzugeben.

Unklare Bedrohungsszenarien?

„Vor dem Hintergrund der anhaltenden Bedrohung durch sogenannte „Homegrown-Netzwerke“ erneuerte der Innenminister auch seine Forderung nach der Wiedereinführung der Mindestspeicherfrist. Die Sicherheitsbehörden seien dringend auf dieses fehlende Instrument der Terrorbekämpfung angewiesen, um der Bedrohung möglichst effektiv begegnen zu können“, heißt es in der Erklärung. Bundeskanzlerin Merkel wies bei ihrer Forderung, an Wachsamkeit gegenüber dem islamistischen Terror nicht nachzulassen, explizit auf die beiden in Berlin Verhafteten. Ähnliche Warnungen kamen von Berlins Innensenator Körting.

In der CO-Galerie findet sich kürzlich eröffneten sehenswerten Ausstellung unheimlich vertraut – Bilder vom Terror auch das Foto eines Mannes, der so aussieht, wie man sich einen Islamisten vorstellt und der grimmig aus einem Fenster blickt auf dem ein Kaktus steht. Der Fotograf will damit die diffusen Bedrohungsszenarien deutlich machen, heißt es in dem Begleittext. Es ist gut möglich, dass die Berliner Polizeiaktion.

http://www.heise.de/tp/artikel/35/35495/1.html

Peter Nowak

Energiekonzerne und Erneuerbare – kritische Bedingungen?

Ist es schwieriger, die Energiekonzerne zu kritisieren, wenn sie statt in Atomkraftwerke in erneuerbare Energien investieren? Diese Befürchtung äußert Peter Schüren von der Bildungsgemeinschaft SALZ e.V.

Die linke Denkfabrik beteiligt sich an der Vorbereitung eines Kongresses, der den Machtmissbrauch der Energiekonzerne in die Öffentlichkeit bringen will. Vorbild ist das Bankentribunal von Attac im letzten Jahr in Berlin. Vor einigen Tagen gab es ein erstes bundesweites Vorbereitungstreffen in Hamm in Nordrhein-Westfalen, wo noch immer die Ruine eines nie in Betrieb genommenen Hochtemperaturreaktors von einer verfehlten Energiepolitik zeugt, an der Politik und Konzerne gleichermaßen beteiligt waren. Im Oktober soll der Vorschlag eines Tribunals über E.on und Co. im Attac-Koordinierungsrat diskutiert werden. Bis darin sollen noch andere Kooperationspartner gewonnen werden. Es muss sich zeigen, ob es auch gelingt, Gewerkschaften mit ins Boot zu holen, wo immer noch mancher den Atomausstieg als Arbeitsplatzkiller sieht. Auf dem geplanten Kongress sollen die Arbeitsbedingungen der im Energiesektor Beschäftigten ebenso eine Rolle spielen, wie der Umgang mit den Kunden. Tatsächlich gibt es auch ohne AKW genügend Gründe, die Profitlogik infrage zustellen, die in der Energiewirtschaft wie an anderen Branchen prägend ist. In der Vergangenheit hatten Kampagnen gegen einzelne Konzerne wie Siemens oder Vattenfall nie die Mobilisierungskraft entwickelt, die die AKW-Gegner beim Widerstand gegen Aufbereitungsanlagen und Castortransporte erreichten. Nicht zuletzt diese Protestaktionen haben die Kosten für den Weiterbetrieb der AKW so hoch getrieben, dass das Geschäft mit der erneuerbaren Energie heute durchaus genauso profitabel ist. Es wird sich zeigen, ob es auf einem Kongress gelingt, neue Hebel zu finden, die Profitlogik der Energiekonzerne zu durchbrechen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/206473.kritische-bedingungen.html

Peter Nowak

Dokumente unter Verschluss

Erschwert eine der bedeutendsten Sammlungen zu NS-Verbrechen die Recherchen zu Zwangsarbeit und Holocaust? Diesen schweren Vorwurf richtet der Berliner Historiker Bernhard Bremberger an den Internationalen Suchdienst (ITS) in Bad Arolsen.

Der ITS entstand aus einem Suchbüro der Alliierten, das 1943 beim Britischen Roten Kreuz in London eingerichtet worden war. Lange Zeit war Außenstehenden der Einblick in die Akten grundsätzlich verwehverwehrt. Selbst Archivare der Gedenkstätte Buchenwald hatten keinen Zugang, obwohl mehr als 90 Prozent der Akten zum Konzentrationslager Buchenwald beim ITS lagern. Erst auf Drängen der USA und vieler Wissenschaftler wurde der ITS 2007 für die internationale Forschung geöffnet.
„!Elektronische Kopien des Gesamtbestandes an einzelne Staaten werden problemlos herausgegeben. Wenn es aber um einzelne, nicht in Institutionen eingebundene Forscher geht, betreibt der IST weiterhin seine alte  Politik“, klagt Bremberger. So seien ihm sämtliche im Januar 2011 bestellten Kopien van Unterlagen verweigert worden.
Gegenüber ND schildert der Historiker die Auswirkungen dieser Restriktionen auf seine  Forschungsarbeit. Im letzten Jahr ging es beispielsweise über den Mord an kranken  Zwangsarbeitern. „Ein entsprechendes Dokument, das dies erstmals belegt,   wurde mir von Arolsen vorenthalten. Ich konnte das Ganze bei einem Vortrag nicht belegen und daher auch nicht mit entsprechendem Nachdruck in  die Forschung einbringen“.
Aktuell forscht  er zu Zwangsarbeit in Neukölln. „Durch  die zurückgehaltenen Listen könnte die Zahl der hier bekannten Zwangsarbeiterlager um ein vielfaches steigen“, so Bremberger. Auch für die Holocaustforschung wichtige Informationen  über die Zwangsarbeit beim Gaswagenhersteller Gaubschat würden  einstweilen unter Verschluss bleiben. Ein Schreiben  Brembergers  an die Genfer Zentrale des Roten Kreuzes blieb  bisher ohne  Antwort.
Er ist nicht der einzige Kritiker der ITS-Nutzerordnung. So moniert der Historiker Klaus Graf im Fachblog  Archivalia: „Der ITS nimmt für sich in Anspruch, nach Willkür Entscheidungen über den dauerhaften Ausschluss von Benutzern zu treffen“  Graf zitiert einen Passus aus der Benutzerordnung, der es dem ITS-Direktor erlaubt, „den weiteren Zugang zu den Archiven und Unterlagen nach freiem Ermessen“ zu verweigern.
Die Pressesprecherin des ITS Kathrin Flor erklärte gegenüber ND, ihr sei nur  Brembergers Beschwerde über die Nutzerordnung bekannt. Sie kündigte an, „die archivarischen Grundbegriffe für alle Forscher transparenter definieren“ zu wollen, weil Missverständnisse aufgekommen zu sein scheinen, was ein ganzer Aktenbestand oder eine Sammlung konkret bedeute. „Es ist üblich, dass ein Archiv keine ganzen Aktenbestände oder Sammlungen abgibt. Vielmehr erhält ein Historiker Kopien entsprechend seinem Forschungsanliegen“, betont Flor.
Die Bundesregierung besitzt keine Kopien der beim ITS gespeicherten Datensätze, die sie für die Forschung zur Verfügung stellen  könnte,  erklärte ein Sprecher    als Antwort auf eine kleine Anfrage der  innenpolitischen Sprecherin der Linkspartei.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/206290.dokumente-unter-verschluss.html

Peter Nowak

Endstation Rechteversteher

Der SPD-Politiker Mathias Brodkorb erhielt bisher viel Lob für seinen Einsatz gegen Nazis. Als Kämpfer gegen den Extremismus engagiert er sich mittlerweile aber auch für die vermeintlich bedrohte Meinungsfreiheit von Rechtskonservativen und Neurechten.

Von den Landtagsabgeordneten in Mecklenburg-Vorpommern, die sich am Wochenende zur Wahl stellten, ist der SPD-Mandatsträger Mathias Brodkorb sicher einer der bekannteren. Ein Vogel hat ihm bundesweite Aufmerksamkeit eingebracht: der schmalbrüstige Storch Heinar. Mit dem Maskottchen und der gleichnamigen Kampagne erwarb sich Brodkorb einen Ruf als Streiter gegen die NPD. Storch Heinar ist eine Persiflage auf die bei Nazis lange Zeit beliebte Modemarke Thor Steinar. Deren Betreiber klagten erfolglos gegen die Verwendung des Symbols. Der eigentliche Gewinner der Aus­einandersetzung war Brodkorb, der so als der Sozialdemokrat bekannt wurde, der den Rechts­extremen eine juristische Niederlage bereitete. »So intelligent kann Antifaschismus sein«, lobte die FAZ.

Spiegel Online erkannte sogar einen ganzen »Storch-Heinar-Kosmos«, den der umtriebige SPD-Landtagsabgeordnete geschaffen habe. Der Storch kam im gerade beendeten Landtagswahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern wieder zum Einsatz, die Kampagne wurde auch nach Berlin exportiert. Doch Brodkorb hat sich nicht nur einen Vogel ausgedacht. Auch mit der Internetseite »Endstation Rechts«, die er gemeinsam mit Parteifreunden betreibt, betätigt er sich politisch – und das nicht nur gegen Nazis.

»Just in dem Jahr, in dem der demokratische Verfassungsstaat den 60. Geburtstag seines Grundgesetzes feiert – dem nicht ohne Grund das Konzept der wehrhaften Demokratie zugrunde liegt – empören sich einige darüber, dass eine demokratische Regierung in einem demokratischen Verfassungsstaat ein Programm gegen Anti-Demokraten auf den Weg bringen will«, schrieb er dort vor zwei Jahren an die Kritiker der Extremismustheorie gerichtet. »Endstation Rechts« rief im vergangenen Jahr zu »Extremismuswochen« auf, bei denen auch solche Kritiker zu Wort kamen. Eingeleitet wurde der Themenschwerpunkt aber mit einem Beitrag von Eckhard Jesse. Der an der Universität Chemnitz lehrende Politologe, der von dem Antisemitismusforscher Jens Rensmann und dem Historiker Wolfgang Wippermann zum Umfeld der sogenannten Neuen Rechten gezählt wird, beschäftigte sich auch auf »Endstation Rechts« mit seinen Lieblingsthema: »Die NPD und die Linke – ein Vergleich zwischen einer harten und einer weichen Form des Extremismus«.

Der Beitrag löste kurzzeitige Verwirrung in der Linkspartei in Mecklenburg-Vorpommern aus. Nachdem Brodkorb versicherte hatte, dass er sich die Ansichten Jesses nicht zu eigen mache, waren die »Linken«, die auch in der Opposition mehrheitlich der Zeit nachtrauern, als sie in der Landesregierung Juniorpartner der SPD waren, schnell wieder beruhigt, zumal er die Mitglieder der »Linken«, bei deren Vorgängerpartei PDS er in den neunziger Jahren selbst Mitglied war, weitgehend vom Extremismusverdacht freisprach. Dafür wächst die Kritik von Antifa-Gruppen an Brodkorb. Die Aufrufe, die Zusammenarbeit mit ihm und »Endstation Rechts« einzustellen, häufen sich.

Denn Brodkorb bemüht sich bereits seit längerem, diejenigen Rechtsextremen zu verteidigen, die mit der NPD und ihrer offen zur Schau getragenen Ideologie aus Antisemitismus und Rassismus nichts zu tun haben wollen. In der Wochenzeitung Freitag trug der SPD-Politiker im Juli eine engagierte Verteidigung von Martin Böcker vor, dem Chefredakteur von Campus, der Zeitung der Bundeswehruniversität München. Dieser war kritisiert worden, weil er dort eine Debatte des neurechten Instituts für Staatspolitik (IFS) beworben hatte, das im Jahr 2000 im Umfeld der Jungen Freiheit gegründet worden war. Zudem wurde bekannt, dass Böcker selbst für Publikationen des IFS geschrieben hatte. Brodkorb bemängelte die fehlende Unterstützung der Leiterin der Bundeswehrhochschule, Merith Niehuss, für Böcker. »Schon aus Gründen der akademischen Selbstachtung hätte Niehuss den Chefredakteur wegen besagter Anzeige rüffeln können und ansonsten die Versuche von Medienvertretern und Politikern entschieden zurückweisen müssen, die geistige Freiheit in ihrer Institution beschneiden zu wollen. Oder weiß man heutzutage in einer Bundeswehruniversität nicht mehr, was Haltung bedeutet und dass Demokratie ohne Meinungsfreiheit und Meinungsstreit nicht zu haben ist?« echauffierte sich Brodkorb.

In einer Replik, die ebenfalls im Freitag abgedruckt wurde, kritisierte David Begrich den Sozialdemokraten scharf. »Seit einigen Jahren ist er in der Rolle des ›Neue-Rechte-Verstehers‹ zu sehen, der etwa im Fall des Campus-Chefredakteurs Böcker für die Meinungsfreiheit ficht«, schrieb der Mitarbeiter der Arbeitsstelle Rechtsextremismus des Magdeburger Vereins »Miteinander«. Damit trage Brodkorb zur »diskursiven Aufwertung« der neurechten Publizisten bei. Begrich bescheinigte seinem Kontrahenten zwar Verdienste bei der Differenzierung zwischen dem rechtskonservativen und dem nazistischen Milieu. Doch die Kritik an Brodkorb war deutlich. »Seine Inschutznahme neurechter Positionen unter dem Label des Konservatismus wertet ein politisches Milieu auf, in dem einem autoritären Dezisionismus das Wort geredet und die liberale Demokratie als dekadent denunziert wird.«

Kürzlich hat sich Brodkorb einem weiteren Thema gewidmet. »Singuläres Auschwitz? Ernst Nolte, Jürgen Habermas und 25 Jahre Historikerstreit«, lautet der Titel eines von ihm im Adebar Verlag herausgegebenen Sammelbandes, in dem so unterschiedliche Autoren wie Alan Posener, Heinrich August Winkler, Wolfgang Wippermann und auch Ernst Nolte selbst zu Wort kommen. Nachdem in der FAZ ein Vorabdruck des Beitrags des Rostocker Historikers Egon Flaig erschienen war, erhielt das Buch auch die gewünschte Aufmerksamkeit. Flaig sorgt sich in seinen Ausführungen um nichts Geringeres als die »deutsche Normalität«. »Dauerhaft bestehen – auch im europäischen Rahmen – kann das deutsche Volk nur als ein normales, nicht als ein stigmatisiertes. Die Normalität ist das Grundrecht jeder Generation auf Erden.« Doch dabei belässt er es nicht. »Die Deutschen sollten ein abnormales Volks sein. Abnormalität, als Dauerzustand, verhängt von moralisierenden Fanatikern? Kann das gut gehen?« fragte er.

Zwei von ihm ausgemachte »Fanatiker« nennt Flaig namentlich: Jürgen Habermas, dem er Methoden des »Lumpenjournalismus« unterstellt, und den Historiker Dan Diner. Diesem wirft er vor, Denkverbote erlassen und sich der »Sprache des moralischen Terrors« bedient zu haben. Flaigs Lamento über die »pestartige Virulenz der Political Correctness und des Gutmenschentums« ist seit langem auch von Rechtsextremen aller Altersstufen zu vernehmen. Brodkorb macht sich die Ausführungen von Flaig zwar nicht zu eigen, verschafft ihnen aber öffentlich Gehör. Erst durch die Publikation in dem von ihm herausgegebenen Sammelband wird ein Beitrag, der sonst in der Jungen Freiheit gelandet wäre, auch in Kreisen diskutiert, die bisher nicht so deutlich zu formulieren wagten, dass ein Philosoph, der sich des »Lumpenjournalismus« bediene, und ein jüdischer Historiker Deutschlands Normalität sabotiert hätten.

http://jungle-world.com/artikel/2011/36/43939.html

Peter Nowak

Gegen Vorratsdatenspeicherung in jeder Form

„Freiheit statt Angst“: ein Demonstrationsbündnis mobilisiert für einen besseren Datenschutz

Der Kampf gegen die Vorratsdatenspeicherung steht im Mittelpunkt der Demonstration Freiheit statt Angst, zu der für den morgigen 10. September zahlreiche zivilgesellschaftliche und staatskritische, linke Initiativen, Parteien und Gewerkschaften nach Berlin aufrufen.

Michael Ebeling vom AK Vorrat, der die Demonstration vorbereitet, betont gegenüber Telepolis, die Konzentration auf dieses zentrale Datenschutzthema sei eine Konsequenz der Auswertung der Demonstration im letzten Jahr. Damals seien zu viele unterschiedliche Themen angesprochen worden, was zu Unschärfen in den politischen Aussagen und zum Rückgang der Teilnehmerzahlen geführt habe. Die Konzentration auf das originäre Thema Vorratsdatenspeicherung habe aber ganz aktuelle Gründe.

Der Druck der Datenspeicher-Befürworter in Deutschland und in Europa wachse und zeige Wirkung, betonte Ebeling mit Verweis auf aktuelle Pläne der FDP, die Speicherung der IP-Daten zuzulassen. Demgegenüber stellt Ebeling die Position des Demobündnisses klar:

„Die Vorratsdatenspeicherung ist per se nicht mit unseren Grundrechten vereinbar und muss in jeder Form verhindert werden.“

Mit dieser Position sei man im EU-Rahmen nicht isoliert, wie es die Befürworter der Datenspeicherung immer wieder darstellen, betont Ebeling mit Verweis auf Länder wie Tschechien, Rumänien und Zypern, die jede Datenspeicherung mit Verweis auf ihre Grundrechte ablehnen.

Die Datenschützer haben sich schon längst europaweit vernetzt. Unter dem Motto Freedom not Fear sind am nächsten Wochenende Aktionstage in Brüssel geplant. Neben einer Demonstration und einem Workshop stehen dort auch Gespräche mit EU-Parlamentariern auf dem Programm.

Bündnis mit der Facebookgeneration?

Wie in der Vergangenheit sind auch morgen gewerkschaftliche Organisationen wieder ein Teil des Demonstrationsbündnisses. Die verdi-Jugend weist in ihren Mobilisierungsaufruf auch auf die massive Datenspeicherung anlässlich der Proteste gegen einen Naziaufmarsch im Februar 2011 in Dresden hin.

Auch der vorerst nach Protesten von der Politik gestoppte elektronische Entgeld-Nachweis soll in veränderter Form wieder vorgelegt werden. Deshalb ist für die Gewerkschaften die Ablehnung dieser Form einer Vorratsdatenspeicherung ein wichtiges Thema ihrer Mobilisierung. Während die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Organisationen im Bündnis routiniert verläuft, müssen sich die Datenschützer die Frage stellen, wie sie eine Kooperation mit der Facebookgeneration hinkriegen.

Damit sind die vielen jungen durchaus nicht unpolitischen Personen gemeint, die sich im Internet zu allen möglichen Anlässen koordinieren und dabei freiwillig und ohne jede gesetzliche Vorgabe freigiebig mit ihren Daten umgehen. Das Problem wird durchaus erkannt. Mit Projekten wie den Freiheitsrednern, die in Schulen, Universitäten und Vereinen für den Wert der Privatsphäre werben, soll den sorglosen Umgang mit den eigenen Daten entgegengewirkt werden. Denn neben juristischen Siegen auf nationaler und europäischer Ebene und erfolgreichen Demonstrationen ist eine Zusammenarbeit mit dieser Internetgeneration für einen langfristigen Erfolg der Datenschutzbewegung unabdingbar.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150437

Peter Nowak

Organisieren statt Lamentieren

Eigeninitiative und Solidarität: Über den Arbeitskampf an der Schwedischen Schule Berlin
Ein Lehrer organisiert die Belegschaft einer schwedischen Schule in Berlin, erreicht die Verbesserung von Arbeitsbedingungen – und ist überrascht über die Solidarität von Schülern und Eltern.

»Die Schwedische Schule in Berlin bietet ein geschütztes, sicheres schulisches Umfeld mit Zweisprachigkeit und Unterricht in kleinen Gruppen, angeleitet durch kompetente Pädagogen«, heißt es auf der Homepage der Lerneinrichtung in Berlin-Wilmersdorf. Sie wird von über 50 Schülern, vor allem Kinder von in Deutschland lebenden schwedischen Künstlern und Diplomaten, besucht.

An dieser Schule gelang es einem engagierten Gewerkschafter, die Arbeitsbedingungen entscheidend zu verbessern. Im Sommer 2010 nahm Johnny Hellquist die Arbeit in Berlin auf und war über die dortigen Arbeitsbedingungen empört. »Es gab weder Arbeitsverträge, noch Lehrerzimmer oder Arbeitsräume. Eine Stunde pro Woche arbeiteten wir unentgeltlich in der Schule und mussten uns auch darauf einstellen, bei Klassenfahrten und an vereinzelten Wochenenden unsere Arbeitskraft unbezahlt zur Verfügung zu stellen«, berichtete er gegenüber ND. Bei seinen sechs Kollegen stieß er sofort auf offene Ohren, als er Treffen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen organisierte. Die Lehrer hatten mehrmals die schwedische Akademikergewerkschaft über die prekären Arbeitsbedingungen in Berlin informiert. Die hatte allerdings bedauernd mitgeteilt, in Deutschland nicht eingreifen zu können. Ein Kontakt zur hiesigen GEW wurde ihnen nicht vermittelt. In Schweden existieren drei gewerkschaftliche Dachverbände, die getrennt Arbeiter, Angestellte und Akademiker vertreten und sozialpartnerschaftlich orientiert sind. Lediglich der anarchosyndikalistische Gewerkschaftsverband SAC, in dem Hellquist organisiert war, setzt auf gemeinsame Organisierung von Arbeitern, Angestellten und Akademikern. Die SAC spielt mit ihren über 6000 Mitgliedern als kämpferische Gewerkschaft eine wichtige Rolle auch in schwer organisierbaren Branchen. In Berlin war Hellquist erfolgreich. Als die Lehrer kollektiv die Teilnahme an einer weiteren Klassenfahrt ohne Bezahlung verweigerten, kam der Durchbruch. Ab Herbst 2011 erhalten alle Pädagogen erstmals schriftliche Arbeitsverträge. Alle Arbeitsstunden und Klassenfahrten werden künftig bezahlt. Zudem wurde ein Arbeits- und ein Lehrerzimmer in der Schule eingerichtet.

Für diesen Erfolg macht Hellquist neben der Organisierung der Kollegen auch die Unterstützung durch Eltern und Schüler verantwortlich. Die zeigte sich am 29. Mai, als dem engagierten Gewerkschafter von der Direktion mitgeteilt wurde, dass sein Arbeitsvertrag nicht verlängert werde. Er wurde aufgefordert, die Schlüssel abzugeben und das Schulgelände sofort zu verlassen. Diese Disziplinierungsmaßnahme war für Hellquist ein Ansporn zum Widerstand: »Abends schrieb ich einen langen Brief an die Eltern, in dem ich sie über das ganze Drama aufklärte und ihnen vorschlug, an die Schuldirektorin und den Vorstand zu schreiben und ihre Meinung kundzutun«, erzählt er. Über die Reaktion war er selber erstaunt. Schüler richteten auf »Facebook« eine Seite mit dem Titel »Wir wollen Johnny zurück« ein, 20 Eltern drohten mit der Besetzung des Schulgebäudes, wenn die Entlassung von Hellquist nicht zurückgenommen wird. Am nächsten Tag kam die Schulleitung der Forderung nach. »Weniger Lamentieren – mehr Organisieren«, dieses Fazit zieht Hellquist aus seinen Erfahrungen, die er auf viele Arbeitsbereiche für übertragbar hält.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/206337.organisieren-statt-lamentieren.html

Peter Nowak

Schweizer Ausgrenzungen

Kritik am Umgang mit Behinderten

»Berufsbildung für alle – auch für Jugendliche mit Behinderungen«, so lautet das Motto einer Petition, für die bis zum 1. September in der Schweiz Unterstützungsunterschriften gesammelt wurden.

Die Initiative wird von führenden Behindertenorganisationen getragen. Unterstützung erhält sie von Schweizer Politikern aus fast allen politischen Lagern, außer der rechtskonservativen SVP. Die Petition ist eine Antwort  auf einen Vorstoß des Schweizer Bundesrats, der weitere  Einsparungen  zur Sanierung der Invalidenversicherung plant. Dafür sollen Jugendliche mit Behinderung schlechter gestellt werden, Ihnen soll eine Berufsausbildung nur noch dann finanziert werden, wenn eine gewisse Perspektive besteht, dass sie später  einen Lohn erwirtschaften, von dem sie leben können. Zwei Drittel der heutigen Auszubildenden, die über die Invalidenversicherung eine Lehrstelle finanziert bekommen, würden   leer ausgehen, wenn diese Regelung umgesetzt wird, befürchten Sozialexperten. Sie verweisen auf die Folgen für die Betroffenen. „Es ist inakzeptabel, dass Jugendliche mit  Behinderung aus reinen Rentabilitätsüberlegungen die Berufsausbildung verwehrt wird“, kommentiert der linke Schweizer Vorwärts die Kürzungspläne. „Erst der Profit – dann der Mensch“, fasst die Zeitung die Logik der Sparbeschlüsse zusammen
Die Kritik an den Plänen reicht bis weit ins bürgerliche Spektrum. Behindertenorganisationen verweisen in Pressemitteilungen darauf, dass Menschen mit Behinderung durch die Pläne Lebenschancen genommen werden. „Bereits im Alter von sechzehn bis achtzehn Jahren soll darüber entschieden werden, ob Jugendlichen mit Behinderung eine Ausbildung zu- oder abgesprochen wird. Und dies aufgrund von Erwägungen, ob die erbrachte Arbeitsleistung eines Tages ausreichend wirtschaftlich verwertbar sein wird oder nicht“, monieren die Kritiker der Sparmaßnahme. Sie weisen auch daraufhin, dass bei der Invalidenrente seit Jahren Kürzungen und  Verschlechterungen  beschlossen worden sind. Immer seien sie mit wirtschaftlichen Notwendigkeiten begründet worden und immer sei bei den Menschen mit wenig Einkommen gespart worden. „Mit einer unappetitlichen Missbrauchsdebatte bei den Sozialleistungen und Steuergeschenken an die Reichen lässt sich die Invalidenversicherung jedenfalls nicht sanieren“, monieren linke Kritiker  dieser Politik
Von der Verschlechterung der sozialen Standards sind auch in der Schweiz vermehrt   Menschen betroffen, die noch Arbeit haben. Erst vor wenigen Wochen forderte der Schweizer Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt  längere Arbeitszeiten und Lohnkürzungen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/205783.schweizer-ausgrenzung.html?sstr=Peter|NowakPeter Nowak

Angemessener Lohn statt zusätzliche Jobs

Psychiatrie-Beschäftigte protestieren in Berlin
Am heutigen Mittwoch wollen Psychotherapeuten in Ausbildung (PiA) in Berlin erneut mit einem Aktionstag auf ihre schlechten Arbeitsbedingungen aufmerksam mach
en.

Mit einem Demonstrationszug von der Berliner Charité zum Bundesgesundheitsministerium wollen sie ihre Forderungen nach angemessener Vergütung und einer Reform der Ausbildung auf die Straße tragen.

„Die Route wurde bewusst gewählt, betont Sarah Eckardt vom Vorbereitungskreis des Aktionstages. „Unsere Forderungen richten sich sowohl an die Berliner Kliniken als auch an die Politik“, betont sie gegenüber ND. Es sei die Verantwortung der Kliniken, die Mitarbeiter angemessen zu entlohnen und gesunde Arbeitsbedingungen bereitzustellen. Von der Politik wird eine Änderung des Psychotherapeutengesetzes gefordert. Dort seien die Pflichten der PiA geregelt, über deren Rechte aber findet sich nichts, moniert Eckardt..
„Einige Kliniken berufen sich auf dieses Gesetz und argumentieren, da die Entlohnung der PiA nicht gesetzlich geregelt ist, brauchen sie nicht bezahlt zu werden“, schildert sie die Arbeitsbedingungen ihrer Kollegen. Deshalb sind viele PiA gezwungen, einer weiteren Tätigkeit nachzugehen, um zu überleben. Die 3-5jährige Ausbildung zum Psychotherapeuten setzt ein abgeschlossenes Hochschulstudium der Psychologie oder der Sozialpädagogik voraus und ist notwendig zur Erlangung de Approbation. Sie ist in den ersten anderthalb Jahren mit einer praktischen Tätigkeit in psychiatrischen Kliniken von durchschnittlich 30 Stunden pro Woche verbunden. Obwohl dort die angehenden Psychotherapeuten meist die gleiche Arbeit wie die approbierten verrichten, werden sie meist gering oder gar nicht bezahlt


Vereinbarung mit leeren Klauseln.

Der Dienstleistungsgewerkschaft sind diese Zustände schon lange bekannt. „Viele angehenden Psychotherapeuten und deren Familien leben unter dem Existenzminimum und behandeln ihre Patienten auf hohem Niveau für unter 1 Euro pro Stunde,“ heißt es in einer Stellungnahme der Gewerkschaft. Bei ver.di wurde eine Arbeitsgruppe für die besondere Problematik der PiA eingerichtet. Dort wurde ein Mustervertrag ausgearbeitet, der nach den Vorstellungen der Kollegen künftig gelten soll. „Statt der bisher üblichen Praktikumvereinbarungen voller leerer Klauseln fordern wir schriftliche Verträge der Klinken für unsere praktische Tätigkeit“, betont Eckardt. Sie sieht mit dem Anliegen des Aktionstages auch die Interessen der Patienten vertreten. Schließlich leide die Qualität der psychotherapeutischen Arbeit unter mangelnder Entlohnung „ Wir wollen die bestmögliche Versorgung der Patienten und sehen diese immer wieder durch Einsparungen und Kürzungen an den Kliniken gefährdet“, berichtet Eckardt aus dem Berufsalltag ihrer Kollegen. Ähnliche Berichte sind mittlerweile auch aus vielen Bereichen des Gesundheits- Pflegebereichs zu hören. Allerdings ist eine Koordinierung der sehr fragmentierten Beschäftigtenstruktur im Gesundheits- Pflegebereich nicht einfach. „Wir würden uns gerne weiter vernetzen“, betont Eckardt.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/206131.angemessener-lohn-sta

tt-zusaetzliche-jobs.html?sstr=Peter|Nowak

Peter Nowak

Labournet.tv

Labournet.tv (http://de.labournet.tv/) ging im Januar 2011 online und wird seitdem zügig ausgebaut. Das Projekt ist Teil der Internetplattform Labournet, die sich seit 1999 als „Treffpunkt für Ungehorsame mit und ohne Job“ für die Stärkung gewerkschaftlicher und sozialer Gegenmacht einsetzt. Bei Labournet.tv werden Videos und Filme zu den auf Labournet dokumentierten Berichten über soziale Kämpfe in aller Welt ins Netz gestellt. „Über Filme lassen sich globale Zusammenhänge der Ausbeutung und der Gegenwehr besonders gut veranschaulichen“, begründet Bärbel Schönafinger den Fokus auf dieses Medium. Die Berliner Kulturwissenschaftlerin und Filmemacherin betreut das von der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt mit einer halben Stelle geförderte Projekt Labournet.tv.
Was bislang nur auf kommerziellen Videoplattformen oder in unzugänglichen Filmarchiven aufbewahrt war, soll auf labournet.tv konzentriert gesammelt werden. Die mittlerweile über 250 dokumentierten Videos und Filme sind denkbar unterschiedlich und sprechen verschiedene Zielgruppen an. Wer auf Theorie Wert legt, kann sich von dem Kölner Publizisten und Übersetzer Christian Frings kenntnisreich in zwei aktuelle Werke der marxistischen Theorie einführen lassen.
Auch, wer sich über aktuelle soziale Kämpfe informieren will, wird auf Labournet.TV schnell fündig. Dafür sorgt die benutzerfreundliche Gliederung auf der Webseite des Filmarchivs. Der virtuelle Besucher kann unter den Obertiteln, „Länder“, „Branchen“. „Kampffelder“, „Umwälzung“ und „Widerstandsbewegungen“ auswählen. Dort finden sich jeweils zahlreiche Unterpunkte.
So können Filmdokumente aus 30 Ländern angeklickt werden und geben Einblicke in einen oft kaum bekannten Alltag in den jeweiligen Regionen. Unter dem Stichwort Philippinen ist „Blue Elephants“, ein 14 minütiger Filmbeitrag über den Alltag von Arbeitsmigranten in den südostasiatischen Staaten zu finden. Ein Dutzend Filmbeiträge findet sich aus Italien. Darunter ist eine dreieinhalb minütige Dokumentation über die Straßenproteste vom 12. Dezember letzten Jahres, als Berlusconi zum Unmut vieler Demonstranten ein wichtiges Misstrauensvotum gewann ebenso zu finden, wie ein einstündiger Film über den Fiatstreik.
Neben der klassischen Lohnarbeit und der gewerkschaftlichen Organisierung kommen in dem audiovisuellen Archiv Aktionen von Migranten und Erwerbslosen nicht zu kurz. So sind aus Deutschland mehrere Dokumentationen über Proteste in und vor Jobcentern neben einem Filmbericht über einen Hungerstreik von Leiharbeitern bei VW dokumentiert. Auch Wadans Welt, ein Film über den Arbeitsplatzabbau auf einer Werft in Wismar kann ebenso heruntergeladen werden wie unter der Rubrik Großbritannien der Film „The Navigators“ von Ken Loach, der die Folgen der Privatisierung bei der englischen Bahn beschreibt. Weitere Filme aus der Arbeitswelt werden auf die Seite gestellt, so weit es die Nutzerrechte zulassen, so Schönafinger. Schon jetzt ist es ein Fundus für die filmische Geschichte der sozialen Kämpfe gestern und heute.

http://mmm.verdi.de/archiv/2011/08-09/rundfunk/schon-entdeckt-labournet-tv

    Peter Nowak

TÜV-Nord sorgt nicht für Sicherheit

Hälfte der Mitarbeiter von Bildungszentren soll ihren Arbeitsplatz verlieren. Der Bund kürzt Bildungsmaßnahmen und trifft damit auch die Beschäftigten in Bildungszentren.
»Wir machen die Welt sicherer«, lautet das Motto des Dienstleistungsunternehmens TÜV-Nord, das bei der Zertifizierung von technischen Geräten, Fahrstühlen oder Fabriken weltweit tätig ist. Doch viele Mitarbeiter der TÜV-Nord-Bildung können den Slogan nur als Hohn entfinden. Sei sollen Lohnkürzungen von bis zu 20 % hinnehmen. Die Hälfte der Beschäftigten sollen den Arbeitsplatz verlieren, weil 17 von 40 Bildungszentren schließen müssen.
Betroffen davon sind Standorte in der ganzen Republik davon einige in Mecklenburg-Vorpommern. Die Lausitzer Rundschau hatte Ende August aus einem Schreiben der TÜV-Geschäftsführung zitiert, in dem es hieß: „Mittelfristig werden wir auch die Bildungszentren in Cottbus, Erkelenz, Geilenkirchen, Hagen, Hückelhoven und Waren schließen müssen“. Ein Konzernsprecher erklärte allerdings, dass für den Standort Cottbus noch eine Lösung gesucht werde, weil die Auftragslage gut sei. Mehrere Mitarbeiter klagen über die widersprüchlichen, nervenzerrenden Angaben zur Zukunft des Cottbuser Standortes. Zudem haben sie mit Lohnkürzungen zu rechnen. Über die Tarife wird zur Zeit neu verhandelt. Der zuständige Bezirksleiter der IG-Bergbau, Chemie, Energie Ralf Hermwapelhorst nannte die Kürzungspläne Geschäftsführung so nicht hinnehmbar. Der Gewerkschaftler verwies darauf, dass schon bisher ihre Löhne unter denen in der Industrie lagen. Gesttern wurden die Tarifverhandlungen abgebrochen .

Geschlossen werden soll das erst im letzten Jahr eröffnete TÜV-Nord-Bildungszentrum in Waren-West in Mecklenburg-Vorpommern, wie der TÜV-Nord-Pressesprecher Sven Ulbrich bestätigte. Dort absolvieren 18 Jugendliche zurzeit ihre Ausbildung in Berufen des Bausektors. Die können sie nach Angaben von Ulbrich beenden, weil die Finanzierung bis 2013 gesichert ist.

Massive Kürzungen bei Bildungsmaßnahmen

Erst vor einem Jahr war die Gesellschaft von der TÜV-Nord von der RAG-Bildung gekauft worden. Damals hofften die Mitarbeiter, dass damit ihre Arbeitsplätze gesichert sind. Schließlich wurde beim Verkauf der Gesellschaft ein Beschäftigungsrahmenvertrag vereinbart, in dem Kündigungen in den nächsten drei Jahren ausgeschlossen werden. Die Klausel galt allerdings nicht für Kündigungen aus wirtschaftlichen Gründen. Daher war die Überraschung groß, als die Belegschaft im Mai 2011 in einem Schreiben der TÜV Nord AG vom Mai 2011 darüber informiert wurden, dass Verluste in den vergangenen neun Monate“ zum vollständigen Eigenkapitalverzehr” geführt hätte und massive Einsparungen notwendig seien. Der Grund für die finanzielle Misere liegt in den massiven Kürzungen von Bildungsmaßnahmen durch das Bundesministerium für Bildung, die zu einem Rückgang im Bereich staatlich geförderter Bildungsmaßnahmen geführt hat. Neben den Erwerblosen sind die Mitarbeiter der Bildungseinrichtungen die Hauptbetroffenen dieser Einschnitte. Doch zu gemeinsamen Protesten kam es nicht. Während die Gewerkschaften von Anfang an auf konstruktive Verhandlungen und die Erstellung eines Sozialplans setzten, gab es in der Belegschaft von TÜV-Nord auch andere Stimmen. So äußerte der Tüv-Nord-Mitarbeiter des Standorts Hückelhoven Thomas Wasilewski gegenüber ND massive Kritik an Geschäftsleitung und Betriebsrat. „Wer sich so gut am Arbeitsmarkt auskennt wie die TÜV Nord Bildung, hätte auch einmal über Arbeitszeitmodelle oder Kurzarbeit nachdenken sollen“, meinte er. Schließlich wirft das Unternehmen mit dem Slogan “Wir entwickeln Kompetenzen“. Dem Betriebsrats wirft Wasilewski vor, nicht auf eine Gesamtbetriebsversammlung aller TÜV-Nord-Standorte gedrängt zu haben, wie sie vor allem von Beschäftigten in Ostdeutschland gefordert wurden, die als erste entlassen werden.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/205888.tuev-nord-sorgt-nicht-fuer-

sicherheit.html?sstr=TÜV|Nord

Peter Nowak

Das Phänomen der Naxaliten

Lutz Getzschmann legt eine detaillierte Studie über maoistische Gruppen in Indien vor

Seit rund 40 Jahren kämpfen maoistische Gruppen in Indien für eine »Volksdemokratische Revolution« – die sogenannten Naxaliten. Der Frankfurter Politologe Lutz Getzschmann hat eine umfangreiche Untersuchung über die Geschichte und die politische Praxis der Naxaliten vorgelegt.

Der indischen Regierung ist sie seit langem ein Dorn im Auge: Die Naxaliten-Bewegung, deren Name auf das Dorf Naxalbari im Bundesstaat West-Bengalen zurückgeht. Die Regierung versucht seit geraumer Zeit ihr mit einer Doppelstrategie aus militärischer Offensive und Entwicklungsprojekten beizukommen.

In der letzten Zeit hat sich die innenpolitische Situation in vielen indischen Bundesstaaten enorm verschärft. Die Zahl der ermordeten Bäuerinnen und Bauern wächst. Die indischen Behörden erklären offiziell, bei den Toten handele es sich um Naxaliten, eine bewaffnete kommunistische Bewegung mit maoistischen Wurzeln. Viel war bisher über diese Bewegung hierzulande nicht bekannt. Jetzt hat der Frankfurter Politologe Lutz Getzschmann eine umfangreiche Untersuchung über die Geschichte und die politische Praxis der Naxaliten vorgelegt. Der Name stammt von der indischen Provinz Naxalbari, wo 1967 ein Bauernaufstand ausbrach, der zu einem Weckruf für die indische Linke jenseits der damals schon sozialdemokratisierten kommunistischen Parteien wurde. Auch viele junge Linke von den Universitäten der indischen Metropolen begannen sich für die Kämpfe auf dem Land zu interessieren. Die intellektuellen studentischen Linken und die bäuerlichen Aktivisten sind noch heute die beiden Säulen der Naxalitenbewegung, deren Geschichte Getzschmann in dem Buch sehr gründlich aufarbeitet. Der Autor zeigt dabei, dass sie trotz vieler Niederlagen noch immer ein Faktor der indischen Politik. Er verschweigt auch nicht teilweise gravierende politischen Fehler der Naxaliten in den letzten Jahrzehnten. So hätten sich einige der von den Naxaliten initiierten Auseinandersetzungen, die als ländliche Klassenkämpfe angelegt waren, ethnisiert und zu blutigen Kastenkriegen entwickelt. Getzschmann zeichnet auch die Spaltungen innerhalb der naxalitischen Bewegung nach.
Er skizziert den politischen Kontext, in dem sich die Bewegung entwickeln konnte und zeigt auch ihre Grenzen auf. So gelang es ihnen bisher nicht, sich auch in den Metropolen festzusetzen. Vielmehr leisten die universitären Kader Unterstützung für die ländlichen Kämpfe. Als Beispiel für einen Fehler auf theoretischem Gebiet führt er die Etappentheorie an, die die Naxaliten als maoistisches Erbe och mit sich rumschleppen. Sie besagt, dass nicht der Sozialismus sondern eine „neue Demokratie“ in Indien auf der Revolutionsagenda stehe.
Auch die Betrachtung Indiens als semifeudalistischer und halbkolonialistischer Staat gehe an der Realität der heutigen aufstrebenden Weltmacht Indien vorbei.
Gerade diese Entwicklung könnte dafür sorgen, dass die Naxaliten zunehmend unter staatlichen Druck geraten. Mehrere der Provinzen, diese Bewegung stark ist, werden zunehmend für das indische aber auch das ausländische Kapital interessant. Dort finden sich wichtige Bodenschätze, die sich profitabel verwerten lassen. Bei diesen Plänen stören Bewohner und soziale Bewegungen, die sich gegen die kapitalistische Durchdringung dieser Provinzen wehren, weil die ihnen ihre Existenzgrundlagen raubt. Unter dem Deckmantel der Naxalitenverfolgung könnte die indische Aufstandsbekämpfung gegen die gesamte soziale Bewegung weiter zu nehmen. Getzschmann hat daher mit seinen Buch zur richtigen Zeit die Naxalitenbewegung in den Fokus der deutschsprachigen Linken gerückt.

Getzschmann Lutz, Naxaliten – Agrarrevolution und kapitalistische Modernisierung, Neuer ISP-Verlag, Köln, 2011, 415Seiten, 32 Seiten, IBN 978-3-89900-025-2

https://www.neues-deutschland.de/artikel/206059.das-phaenomen-

der-naxaliten.html?sstr=Naxaliten

Peter Nowak