Weiter Schottern

Initiatoren der Aktion ziehen positive Bilanz

Mit etwas Abstand zu den Castor-Protesten im Wendland zogen die Initiatoren der Schottern-Kampagne Bilanz. Welches Potenzial hat die Aktionsform, bei der viele Menschen Steine aus dem Gleisbett entfernen? Im Kreis der Schottern-Anhänger stand am Ende fest: ausbau- und verbesserungsfähig. 
 
 Wenn es in der linken Szene ein Wort des Jahres gäbe, dann würde 2010 »Schottern« weit vorn stehen. Das massenhafte Entfernen von Steinen aus dem Gleisbett des Castorzuges sorgte aber auch in Medien und Politik für große Aufmerksam. In der Regierungserklärung des niedersächsischen Innenministers Uwe Schünemann am 10. November vor dem Landtag in Hannover hieß es: »Wir werden das Geschehen in der nächsten Zeit sorgsam auswerten und dabei auch betrachten müssen, inwieweit Linksextremisten bereits erfolgreich Teile des bürgerlichen Protestspektrums beeinflussen können.« Ausgewertet wird die Schottern-Aktion seit einigen Wochen auch von den Aktivisten selber.

Uneingeschränkt positiv bewertete Christoph Kleine von Avanti das Schottern. »Damit hat es die radikale Linke geschafft, in einem gesellschaftlichen Großkonflikt einen eigenen, wahrnehmbaren Punkt zu setzen.« Uwe Hiksch von den Naturfreunden meinte mit Blick auf das gesamte Castorprotestspektrum, dass gegenseitige Befürchtungen »teilweise abgebaut« worden seien. Die etablierte Anti-AKW-Bewegung bewerte die Aktionen der Schottern-Gruppe »als wertvollen Beitrag zum Gelingen des gesamten Protestes«.

Diese Einschätzung wurde auch von den meisten Teilnehmern eines Nachbereitungstreffens der Schottern-Aktion geteilt, zu dem die Interventionistische Linke (IL) am Sonntag nach Berlin geladen hatte. Das IL-Netzwerk hatte die Schottern-Aktion vorgeschlagen und wollte dabei an ihren Erfahrungen aus den Protesten gegen das G8-Treffen in Heiligendamm 2007 anknüpfen. Allerdings wurde von einzelnen Teilnehmern die Frage gestellt, ob dieser Geist von Heiligendamm nicht mittlerweile zum Mythos geworden ist. Ein Großteil der Aktivisten, die sich am Schottern beteiligten, habe sich nicht auf Heiligendamm bezogen.

Andere verwiesen auf Gemeinsamkeiten zwischen beiden Ereignissen. Bei beiden Aktionen sei die Vermittlung in verschiedene politische Lager gelungen und die Medien hätten ausführlich berichtet. Die Erfahrung, kollektiv zu handeln, sei zentral. Erst an zweiter Stelle spiele es eine Rolle, wie groß der Gleisabschnitt ist, der durch das Schottern unbrauchbar gemacht worden ist. In Texten hatten autonome Gruppen kritisiert, dass der reale Schaden der Schottern-Aktion wegen des schnellen Eingreifens der Polizei nicht sehr groß gewesen sei.

Auch ein Großteil der IL-Aktivisten räumte beim Nachbereitungstreffen selbstkritisch ein, im Vorfeld die Polizeipräsenz unterschätzt zu haben. »Wir haben nicht damit gerechnet, dass wir mehrere Polizeiketten überwunden müssen, um zu den Gleisen zu gelangen«, meinte ein Teilnehmer. Angesichts der hohen Zahl an Verletzten stellten manche die Vorstellung in Frage, dass die Öffentlichkeit Schutz vor zu großer Polizeigewalt bietet.

Mehrere Redner bezeichneten es zudem als Fehler, dass ein bestimmtes Gleisstück mitten im Wald zum Schottern ausgewählt wurde. Manche kritisierten auch, dass bei dem Medieninteresse an der Aktionsform die Kritik an der Energiewirtschaft kaum erwähnt wurde. Die Frage, ob das Konzept über den Castor-Widerstand hinaus anwendbar ist, wurde zwar aufgeworfen, blieb bei dem Treffen aber unbeantwortet. Insgesamt gab es jedoch in der Runde weitgehend Konsens, dass es sich lohne, die Aktion auszubauen und zu verbessern. Das niedersächsische Innenministerium dürfte also auch im nächsten Jahr Gelegenheit haben, die Schottern-Aktionen auszuwerten.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/186500.weiter-schottern.html

Peter Nowak


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