Vom Linkskommunisten zum Ustascha-Freund

1926 fuhr der kroatische Kommunist Ante Ciliga voll Begeisterung in die junge Sowjetunion. Dort wurde er schnell zum Kritiker der sowjetischen Entwicklung. Zunächst sympathisierte er mit der trotzkistischen Opposition, der er aber bald vorwarf, lediglich Symptome zu kritisieren. Seitdem reklamieren einige rätekommunistische und anarchistische Gruppen Ciliga für sich. Das könnte sich jetzt ändern. Denn der Berliner Verlag Die Buchmacherei hat Ciligas Schrift über seine Jahre in der Sowjetunion aufgelegt und auch seinen weiteren Werdegang nicht verschwiegen. Genau schildert Ciliga das Leben in Sibirien, wohin er in den 1930er-Jahren mit vielen anderen Oppositionellen deportiert wurde. Auch die soziale Realität beschreibt der Autor präzise. So hatte sich 15 Jahre nach der Oktoberrevolution die Lohnschere wieder weit geöffnet: SpezialistInnen konnten jetzt 20 Mal so viel verdienen wie einfache ArbeiterInnen. Doch Ciliga kam zunehmend auch zu äußerst zweifelhaften Urteilen. So behauptete er, viele Sowjetmenschen würden auf eine Besetzung durch NS-Deutschland hoffen. Obwohl er in die USA hätte emigrieren können, kehrte er in das von der faschistischen Ustascha regierte Kroatien zurück. 1944 floh er vor den Tito-Partisanen nach Deutschland. „Er war neugierig auf die sozialen Verhältnisse in Deutschland zwischen dem NS-Staat und den Massen“, bagatellisiert der britische Historiker Stephen Schwartz im letzten Kapitel diesen Schritt. Anfang der 1990er-Jahre wurde Ciliga noch einmal auf unrühmliche Weise bekannt, weil der ultrarechte kroatische Präsident Tudjman Ciligas Angriffe auf die von der Ustascha ermordeten Juden wiederholte und damit einen internationalen Skandal ausgelöste. Als Stichwortgeber für Links- oder RätekommunistInnen taugt ein solcher Mann also keineswegs.

http://www.akweb.de/ak_s/ak556/04.htm

Peter Nowak

Ante Ciliga: Im Land der verwirrenden Lüge. Herausgegeben von Jochen Gester und Willi Hajek. Die Buchmacherei, Berlin 2010. 304 Seiten, 12 EUR

Klagen lohnt sich

 

Journalist gewinnt gegen Geheimdienst
Der Extremismus-Vorwurf ist als Waffe gegen Links recht wirksam. Gerichtsfest ist er nicht. Dies belegt der Fall eines Journalisten, der die Einstellung seiner geheimdienstlichen Beobachtung und Löschung seiner VS-Akte erreichte. Die Gerichtsentscheidung stärkt die Pressefreiheit in Zeiten der Extremismusdokrin

2:0 lautet der Ausgang des Matchs Friedrich Burschel gegen Geheimdienst. Der Publizist wehrte sich dagegen, dass ihn das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz (BfVS) seit einem Jahrzehnt beobachtet und in der Schublade »Linksextremismus« abgelegt hat. Die Stigmatisierung zum gefährlichen »Linksextremisten« fiel vor Gericht vollständig zusammen.

Die Einschätzung des Geheimdienstes fußte auf Artikeln, die Burschel zu Themen wie Antirassismus und Antifaschismus geschrieben, sowie auf Demonstrationen, die er angemeldet hatte, etwa den Weimarer Ostermarsch oder eine antifaschistische Demonstration in Gera. Aufgrund eines Negativvotums des BfVS entzog ihm das Bundespresseamt 2007 eine schon erteilte Akkreditierung zum G8-Gipfel in Heiligendamm.

Nun hat der Journalist vor Gericht die Löschung der VS-Dossiers und die Einstellung seiner Überwachung erreicht. Das Bundesamt nahm einen vom Verwaltungsgericht Köln angebotenen Vergleich an. Das Gericht stellte die Texte des Klägers und seine Demonstrationsanmeldungen dezidiert unter den grundgesetzlichen Schutz der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Es akzeptierte einen einzigen Artikel aus dem Jahr 2000 als Auslöser von geheimdienstlicher Tätigkeit, wies jedoch zugleich darauf hin, dass das nicht genug sei, Burschel zehn Jahre lang zu beobachten und einzuschränken.

Vor einem Jahr hatte das Kölner Gericht bereits die Beurteilung des Verfassungsschutzes für rechtswidrig erklärt. Es sei nicht ersichtlich geworden, dass Burschel für den G8-Gipfel eine Gefahr darstelle, urteilte es damals.

Die behördliche Stigmatisierung hatte spürbare Folgen für den Journalisten. Zweimal habe er durch den Stempel »linksextrem« seinen Job eingebüßt, erklärte Burschel. In der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« wurde er als Beispiel angeführt, dass Linksradikale in Initiativen zum Kampf gegen Rechts involviert seien und dort auch Gelder verwalten. Der Beweis des FAS-Autors: die rechtswidrige Verweigerung der Akkreditierung.

Auch wenn die Entscheidung nur für den konkreten Fall gilt, sieht Burschels Anwalt Alexander Hoffmann darin eine Ermutigung »nicht nur für Journalisten«, die vom Linksextremismus-Vorwurf betroffen sind. Journalisten haben sich zwar schön öfter erfolgreich gegen Akkreditierungsverweigerungen gewehrt. Die wenigsten klagten jedoch auf Löschung der Daten, die für die Entscheidung verantwortlich waren. Dabei hatte nicht nur Burschel damit Erfolg. Auch andere Gerichte entschieden bereits zu Gunsten von Journalisten, etwa im Fall von Matthias Monroy, der auf Gipfelproteste spezialisiert ist, oder im Falle des Publizisten Kamil Majchrzak, der für die polnische Ausgabe der »Le Monde Diplomatique« arbeitet.

Rückendeckung und Rechtsschutz bekam Burschel in seinem Verfahren von ver.di. Die Vorsitzende der Journalisten-Fachgruppe Ulrike Maercks-Franzen mahnt eine Änderung der Akkreditierungspraxis bei sportlichen und politischen Großveranstaltungen an, die die Rechte der Journalisten stärkt.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/187008.klagen-lohnt-sich.html

Peter Nowak

Journalist stoppt Überwachung

LINKSEXTREMISMUS Der Verfassungsschutz darf einen freien Journalisten nicht mehr observieren. Verdächtig machte ihn auch ein Aufruf zum Ostermarsch
BERLIN taz | Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfVS) darf den Journalisten Friedrich Burschel nicht mehr observieren lassen. Es kassierte in dieser Woche nun die zweite juristische Niederlage gegen den von ihnen als linksextrem eingestuften Burschel.

Ein Negativvotum des Verfassungsschutzes hatte 2007 dazu geführt, dass Burschel die schon gewährte Akkreditierung zum G-8-Gipfel in Heiligendamm wieder entzogen wurde. Schon im Frühjahr 2009 hatte das Verwaltungsgericht Köln entschieden, dass das BfVS rechtswidrig gehandelt hatte. Dieselbe Kammer empfahl jetzt dem Amt, sämtliche über Burschel gesammelten Daten zu löschen und seine Beobachtung einzustellen. Dieses nahm den Vorschlag an.

Gegenüber der taz äußerte sich Burschel erleichtert über den juristischen Erfolg. „Für mich hat das Urteil zur Folge, dass ich mich nicht mehr einem Hintergrundverdacht ausgesetzt sehe, der mein berufliches Leben enorm eingeschränkt hat. Zweimal habe ich auf indirektem Wege einen Job durch diesen Stempel „linksextrem“ eingebüßt, erklärte der Publizist.

Die Aufmerksamkeit der Verfassungsschützer erregte Burschel mit einem Artikel, in dem er sich kritisch mit der Kronzeugenregelung im Verfahren um die Revolutionären Zellen auseinandersetzte. In Burschels Akte waren neben Artikeln zu antifaschistischen und antirassistischen Themen aus verschiedenen Zeitschriften auch zahlreiche Demonstrationsanmeldungen aufgelistet, beispielsweise zu einem Ostermarsch in Weimar und einer Antifademonstration in Gera.

„Die Stigmatisierung des Klägers zum gefährlichen ,Linksextremisten‘ fiel vor Gericht wie ein Kartenhaus zusammen“, kommentierte der Kieler Rechtsanwalt Alexander Hoffmann, der Burschel vertreten hatte, den Ausgang der Klage. Damit könne auch für andere Personen, die von einem amtlichen „Linksextremismus“-Vorwurf betroffen sind, ein Anreiz geschaffen werden, dagegen juristisch vorzugehen.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=in&dig=2010%2F12%2F22%2Fa0057&cHash=d402bf4d37

Peter Nowak

Grüner Abschwung in Berlin

Ist Künast zu grün?

Viel zu feiern hat die SPD in diesen Tagen nicht. Da rechnet sie sich eine aktuelle Forsa-Umfrage der Berliner Zeitung zu den Wahlpräferenzen in Berlin schon als Erfolg an. Danach kommt die SPD in Berlin auf 27 % Prozent, was eigentlich in der Stadt, in deren Westteil sie lange Zeit absolute Mehrheiten erreichte, ein schlechtes Ergebnis ist.

Aber knapp 10 Monate vor der nächsten Abgeordnetenhauswahl ist die Hauptstadt-SPD bescheiden geworden. Schließlich steht die CDU mit 19 % noch schlechter da und müsste sich gar mit dem dritten Platz begnügen. Mit 25 % liefern sich die Grünen ein Kopf-an-Kopf-rennen mit der SPD. Dabei hatten sie seit Monaten die Nase vorn. Schließlich wurden die Grünen schon bei 30 % gelistet und schon gab es Diskussionen, ob sie sich dann die Union oder die SPD als Juniorpartner aussuchen.

Künast zu grün?

Wenige Wochen vor der Entscheidung der Politikerin Renate Künast für das Amt des Regierenden Bürgermeisters zu kandieren, waren die Erwartungen besonders hoch geschraubt worden. Doch kaum hatte sie ihre Bereitschaft bekundet, begann die Enttäuschung. Bei der grünennahen Taz konnte man den Auf- und Abschwung der Renate K. gut nachverfolgen. Schon Ende Oktober hieß es in einem Kommentar zu ihrer Kandidatur: „Es war der Hype aus Umfragen und Heilserwartungen, der ihr letztlich keine Wahl mehr ließ.“ Wenige Wochen später trat die „Ernüchterung nach dem Künast-Hype“ ein.

Die taz brachte auf den Punkt, dass mache an der grünen Basis Künast einfach zu grün ist. „Künast war kaum zur Kandidatin gewählt, da propagierte sie berlinweit Tempo 30 und legte zudem nahe, dass die Grünen langfristig das Gymnasium abschaffen könnten – wogegen es selbst parteiintern bei den Bildungsbürgerlichen einen Aufstand geben würde. Und erst jüngst stellte sie den Berliner Großflughafen, der 2012 eröffnen soll, in seiner Funktion als internationales Drehkreuz in Frage. Das überraschte umso mehr, als sich die Fraktionsspitze der Landes-Grünen in den vergangenen Monaten intensiv und durchaus erfolgreich um Anerkennung bei Unternehmen und Wirtschaftsverbänden mühte.“

Die bekannte Realopolitikerin avancierte gar zur Populistin, weil sie sich den geplante Flughafen Berlin-Brandenburg auch eine Nummer kleiner vorstellen konnte.

Sollten die Grünen also tatsächlich gemessen an den Umfragewerten vom Spätsommer 2010 bei den Wahlen einbrechen, ist die Schuldige schnell gefunden. Die lange umworbene Kandidatin war noch zu grün. Warum noch eine Abschaffung des Gymnasiums fordern, wenn ein Teil des gutverdienenden grünen Klientels dann wie bei der Volksabstimmung in Hamburg dagegen stimmt? Auch Öko-Ladenhüter wie Tempo 30 oder ein kleinerer Flughafen kommen bei vielen konsumbewussten und grün wählenden Lohas nicht mehr gut an. Die zahlen lieber schon mal einen ökologischen Ausgleich, als auf den Flug zu verzichten.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/148967

Peter Nowak

Studierende protestieren jetzt per Wahlurne

URABSTIMMUNG An der FU können Studierende über Verbesserungen abstimmen – ganz unverbindlich

Mindestens ein Drittel der Gesamtstudienleistung soll frei wählbar sein. Anwesenheitskontrollen für Studierende werden abgeschafft und der Master wird zum Regelabschluss. Die FU Berlin schafft 100 zusätzliche ausfinanzierte Professuren und verwendet künftig ausschließlich Ökostrom. Was sich wie der weihnachtliche Wunschzettel gestresster Studierender anhört, ist Teil einer Beschlussvorlage, über die alle KommilitonInnen der Freien Universität vom 11. bis zum 13. Januar 2011 in einer Urabstimmung befinden sollen.

Vorbereitet wird das Plebiszit am Campus von Studierenden, die bei Bildungsprotesten in diesem und im letzten Jahr für die Forderungen nach einer demokratischen Universität eingetreten sind. „Wir haben uns mit unseren Forderungen an den Zielen orientiert, die bei vergangenen Studierendenprotesten aufgestellt wurden“, sagte Mathias Bartelt von der AG Urabstimmung der taz. Damit solle Druck auf Hochschule und Politik ausgeübt werden. Bartelt verwies auf die Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes, die bis Mai 2011 erfolgt sein soll. Auch das Rahmenkonzept der Master- und Bachelorstudiengänge an der FU soll überarbeitet werden.

Die Wirtschaftswissenschaftsstudentin Anne Schindler befürchtet, dass die Interessen der Studierenden dabei unberücksichtigt bleiben. „Die Verschulung und Ökonomisierung der Universitäten wird mit den neuen Regelungen zugespitzt, die Studierenden mit repressiven Regulierungsmethoden schikaniert“, so das Mitglied des FU-Asta und der AG Urabstimmung.

Damit das rechtlich unverbindliche Plebiszit Druck entfalten kann, muss am Campus wohl noch kräftig mobilisiert werden. An einer Vollversammlung, auf dem das Projekt vorgestellt wurde, beteiligten sich Ende voriger Woche nur knapp 30 KommilitonInnen. Die Ankündigung sei zu spät erfolgt, meinte Bartelt, der trotzdem optimistisch ist, dass viele Studierende für eine „demokratische FU stimmen“ werden, und verwies auf die linken Mehrheiten im Studierendenparlament.

An den anderen Hochschulen dürfte der Ausgang der Urabstimmung mit Interesse verfolgt werden. Sowohl beim Asta der Technischen Universität als auch beim ReferentInnenrat der Humboldt-Universität hieß es auf Nachfrage, sei eine solche Initiative sei bei ihnen zurzeit nicht geplant.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2010%2F12%2F20%2Fa0145&cHash=fedbba1221

Peter Nowak

Mobilisierung und Vernetzung

Linke Internetplattform verbindet Umwelt mit sozialen Fragen

Auf der neuen Internetplattform www.nachhaltig-links.de bieten Umweltpolitiker der Linkspartei ein Forum, »das vereint, was zusammengehört: Gerechtigkeit und Ökologie, grüne Themen und linke Politik, Nachhaltigkeit und Fairness«.
»Weitere Jahre Schonzeit für Konzerne, die mit fossilen Energien ihr Geld verdienen.« So schätzt Eva Bulling-Schröter, die umweltpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, das Ergebnis der UN-Klimaverhandlungen in Cancún ein. Damit hebt sie sich deutlich von den vorsichtig positiven Einschätzungen der Ergebnisse des Gipfels durch viele Nichtregierungsorganisationen ab. Veröffentlicht hat die Politikerin ihr kritisches Resümee auf der Internetplattform www.nachhaltig– links.de, die von Umweltpolitikern ihrer Partei initiiert wurde.

 »Klimagerechtigkeit und ›Peak Oil‹ sind Menschheitsfragen. Die Auswirkungen der Klima-, Ressourcen- und Umweltkrise sind vor allem sozialer Art. Demokratische Auswege sind mit Kritik und Überwindung der kapitalistischen Herrschaft verknüpft. Die Partei DIE LINKE und die Bundestagsfraktion haben einiges dazu zu bieten. Das soll die neue Homepage sichtbar und nutzbar machen«, erklärt die Bundestagsabgeordnete Sabine Leidig gegenüber ND. Die Politikerin betont, dass für sie Ökologie und soziale Gerechtigkeit zusammengehören, was bei vielen Debatten im Umfeld der Grünen längst nicht immer der Fall sei. »Die Linke allgemein und die Partei im Besonderen sollten die Auseinandersetzung um solidarische post-fossile Perspektiven ins Zentrum der politischen Arbeit rücken. Unser neues Portal soll dabei zu einer wichtigen Ressource für Aktionen, Informationen und Reflexionen werden«, skizziert Leidig die Funktion der neuen Plattform.

Zu den interessanten Kontroversen, die dort dokumentiert werden, zählt die über Wirtschaftswachstum. »Wachstum ist an den Grenzen der Umwelt kein Medikament ohne gefährliche Nebenwirkungen. Können diese in Kauf genommen werden, weil Arbeitsplätze entstehen?«, fragt Elmar Altvater, emeritierter Politikprofessor an der Freien Universität Berlin. Für ver.di-Gewerkschaftssekretär Ralf Krämer hingegen steht nicht die Wachstumskritik, sondern ein sozial-ökologischer Umbau im Mittelpunkt. Der muss für ihn mit dem Abbau der Arbeitslosigkeit, Sicherung der Einkommen der Beschäftigten und Schaffung guter Jobs für diejenigen einhergehen, die ihre Arbeitsplätze im Zuge eines ökologischen Umbaus verlieren.

Neben der Anregung von Debatten soll die Internetplattform auch zur Mobilisierung dienen. Ob Stuttgart 21, die Castor-Transporte ins Wendland und nach Lubmin oder eine für den 22. Januar anlässlich der Grünen Woche in Berlin geplante Demonstration gegen Gentechnologie und Tierfabriken – auf www.nachhaltig-links.de gibt es dazu Informationen zum Runterladen und Weiterschicken. Nach dem Willen der Initiatoren der Plattform soll diese Mobilisierungs- und Vernetzungsfunktion ausgebaut werden.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/186844.mobilisierung-und-vernetzung.html

Peter Nowak

Teufelswerk?Neue Studie zur RGO –

 

 Stefan Heinz: „Moskaus Söldner? Der Einheitsverband der Metallarbeiter Berlins: Entwicklung und Scheitern einer kommunistischen Gewerkschaft“, VSA-Verlag, Hamburg 2010, 34,80 Euro, ISBN 978-389965-406-6

Das Argument, die Kandidatur auf eigenen Listen gefährde die Gewerkschaftseinheit und die Mitglieder solcher „alternativer“ Listen hätten aus der Geschichte nichts gelernt, ist bis heute verbreitet und wird manchmal bis hinein in die Gewerkschaftslinke vertreten. Damit wird auf die Endphase der Weimarer Republik Bezug genommen, als sich nicht nur SPD und KPD feindlich gegenüberstanden. Auch auf Gewerkschaftsebene lieferten sich der SPD-nahe Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) und die der KPD nahestehende Revolutionäre Gewerkschaftsopposition (RGO) heftige Auseinandersetzungen. Für manche war schon damals klar, wer hinter der Spaltung steht: „Ihr seht auf der anderen Seite das Werk von Moskau.  Teuflische Pläne, dem Hirn Moskauer Diktatoren entsprungen, mit den gemeinsten und verwerflichsten Mitteln, mit Lügen und Verleumdungen in Deutschland in Szene gesetzt, zum Schaden der deutschen Arbeiterklasse, zum Wohle der Kapitalisten“ (S. 442), so drosch die Ortsverwaltung des SPD-nahen Deutschen Metallarbeiterverbands (DMV) in einem Rundschreiben an ihre Mitglieder auf die linke Konkurrenz ein. Diese Lesart der Geschichte hat sich weitgehend durchgesetzt. Die RGO-Politik wird als Werk der Kommunistischen Internationale und des Zentralkomitees der KPdSU angesehen.

Der Berliner Politikwissenschaftler Stefan Heinz hat jetzt in einer monumentalen Arbeit diese These infrage gestellt. Heinz widmet sich auf 572 Seiten der Vorgeschichte, der Entstehung, der Arbeit und dem Ende des Einheitsverbandes der Metallarbeiter Berlins, des ersten Verbands innerhalb der RGO. Dazu wertete er eine Vielzahl von Akten aus den Archiven der beiden Gewerkschaftsverbände aus, aber auch Überwachungsprotokolle von Polizei und Gestapo, interne Berichte der KPD und der SPD sowie Artikel aus der linken Presse, die weder der KPD noch der SPD nahestand. An erster Stelle sind die Berichte der Publikation „Gegen den Strom“ zu nennen, die der Kommunistischen Partei Deutschlands – Opposition (KPO) verbunden war. Sie hatte schon früh für eine Zusammenarbeit aller Arbeiterparteien gegen den NS geworben und analysierte die Ereignisse rund um die Betriebsarbeit mit analytischer Schärfe und ohne parteipolitische Einseitigkeit. Für Heinz liegen die Wurzeln der RGO nicht in Moskau, sondern im Kampf gegen die Burgfriedenspolitik von SPD und Gewerkschaften während des ersten Weltkriegs. Damals hatte sich vor allem unter den Berliner Metallarbeitern ein Kreis linker Arbeiteraktivisten herausgebildet, die sich in Opposition zu den offiziellen Gewerkschaften befanden und während der Novemberrevolution 1918 die Räte als Alternative zu den durch die Burgfriedenspolitik kompromittierten Gewerkschaften propagierten. Viele dieser Aktivisten bildeten den Kern der Revolutionären Obleute, die entscheidenden Anteil am Ausbruch der Novemberrevolution hatten. Viele von ihnen engagierten sich auch im linken Flügel der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD). In den ersten Jahren der Weimarer Republik initiierten sie Proteste für eine Räteverfassung, die im Januar 1920 in Berlin von der Reichsregierung blutig unterdrückt wurden. Heinz beschreibt dies am Beispiel zweier führender Arbeiteraktivisten, die sich später in der RGO engagierten. „Arbeiter wie Hermann Braun und Karl Jarick erlebten erneut, wie der Ausnahmezustand über Berlin verhängt wurde und 42 Arbeiter bei Protesten ums Leben kamen“ (S. 391). Solche Erlebnisse bestärkten eine ganze Generation von Metallarbeiteraktivisten zum Widerstand gegen die offizielle ADGB-Politik. Dadurch standen sie zugleich immer am Rande des Ausschlusses und wurden mit allen administrativen Mitteln von der Gewerkschaftsbürokratie bestraft. Sie bildeten die Basis für die spätere RGO-Politik, wie Heinz betont.

„Ab 1930/31 konnten die ›roten Verbände‹ dort am ehesten Resonanz beanspruchen, wo bereits in der Anfangsphase der Weimarer Republik in der USPD auf Autonomie gerichtete Radikalpositionen in der Gewerkschaftsfrage vertreten wurden“ (S. 395).

Rationalisierung und Radikalisierung

Sehr gut zeigt Heinz auch die ökonomischen Aspekte auf, die die Herausbildung der RGO begünstigten. Da wären in erster Linie die Folgen der Rationalisierung zu nennen, wodurch vor allem im Metallbereich viele Arbeitskräfte freigesetzt wurden, was die kommunistischen GewerkschafterInnen besonders tangierte. So hieß es in dem Bericht einer kommunistischen Betriebszelle in den Berliner AEG-Werken aus dem Jahr 1926: „Wir haben durch die Rationalisierung 50 Prozent, darunter zwei Drittel unserer aktiven Genossen, verloren. Durch die fortgesetzte Akkordpreissenkung und die Einführung des Fließbandsystems haben unsere Genossen nicht mehr die Zeit und die Möglichkeit, eine größere mündliche Agitation während der Arbeitszeit betreiben zu können“ (S. 418). Zudem ging die ADGB-Bürokratie in der Endphase der Weimarer

 

Zeit verstärkt dazu über, Kollegen durch ihre Unterschrift bestätigen zu lassen, dass sie die Gewerkschaftspolitik der KPD nicht unterstützten. Wer sich weigerte, konnte ausgeschlossen werden. Die Zahl der Ausgeschlossenen  stieg schnell, als infolge der Weltwirtschaftskrise die Angriffe auf die Löhne und die erkämpften sozialen Rechte der Lohnabhängigen von Seiten der Wirtschaft und der Politik zunahmen. Als sich im  Herbst 1930 die staatlichen Schlichtungsstellen auf die Seite des Unternehmerlagers stellten und Lohnkürzungen festlegten, die vom ADGB akzeptiert wurden, war das der unmittelbare Anlass für die Gründung des Einheitsverbands der Metallarbeiter Berlin (EVMB), des ersten RGO-Verbands. Heinz weist nach, dass die Initiative zur Gründung nicht von der KPD-Führung oder der KI, sondern von der Basis ausging. Viele vom ADGB ausgeschlossene GewerkschafterInnen hatten schon lange auf eine eigene kommunistische Gewerkschaft gedrängt.

Kritik aus der KPD

Vor allem die vom ADGB Ausgeschlossenen und Gemaßregelten standen im EVMB auch für einen Kurs der strikten Abgrenzung von den alten Gewerkschaften und zogen sich damit schnell den Unmut der KPD zu. Vor allem, nachdem sich bald herausstellte, dass dem linken Verband eine massenhafte Abwerbung von Mitgliedern aus der alten Gewerkschaft nicht gelingen würde und dass vom EVMB organisierte Streiks deshalb bis auf seltene Ausnahmen erfolglos abgebrochen werden mussten, begann eine Auseinandersetzung mit den KPD-Gremien, die sich bis in die Phase der Illegalität beider Organisationen während des NS hinzog. Die Parteigremien warfen den roten Verbänden vor, die Bündnisarbeit mit den noch unorganisierten Kollegen zu vernachlässigen. „Ich habe in Berlin kontrolliert, dass die Funktionäre der EVMB seit Monaten nicht die reformistischen Zeitungen gelesen haben. Sie haben keinen Dunst, wie man die reformistischen Gewerkschaftsmitglieder für die Oppositionsarbeit im DMV gewinnen will“ (S.231), lautete die Kritik auf einer Sitzung der Kommunisten im Reichskomitee der KPD. Dabei handelte es sich um politische Gegensätze. Während die KPD eine linke Fraktionstätigkeit im DMV nicht aufgeben wollte, wurde eine solche Option immer unwahrscheinlicher, je mehr sich der EVMB als eigenständiger roter Gewerkschaftsverband verstand. Diese Auseinandersetzung sollte 1933/34 noch einmal an Schärfe gewinnen. Während die KPD die Taktik des trojanischen Pferdes propagierte und einen Eintritt von linken GewerkschafterInnen in die nazistische Deutsche Arbeitsfront vertrat, lehnten viele EVMBAktivistInnen diesen Schritt vehement ab. Der rote Verband hatte sich nach der Zerschlagung des ADGB in der Illegalität zunächst konsolidiert. Doch durch mehrere Verhaftungswellen wurden in den Jahren 1933 und 1934 die Strukturen des Verbandes empfindlich geschwächt. Im Zuge der von der KPD verfolgten Volksfrontpolitik, die eine Kooperation mit den Sozialdemokraten propagierte, wurde der EVMB von der KPDFührung schließlich aufgelöst, vor allem weil er die Volksfrontpolitik und den taktischen Eintritt in die DAF nicht mitmachen wollte. Doch viele der AktivistInnen setzten ihren Widerstand fort. Heinz zieht Verbindungen bis zur Uhrig-Gruppe, die während des zweiten Weltkrieges kommunistische Widerstandszellen in vielen Berliner Betrieben aufgebaut hatte. Nachdem die Gestapo ihnen auf die Spur gekommen waren, wurden viele ihrer Mitglieder hingerichtet.

Widerspenstige Genossen

Stefan Heinz hat in seinem Buch die Geschichte einer Generation von ArbeiteraktivistInnen  nachgezeichnet, die im Widerstand gegen die Kriegspolitik des ersten Weltkriegs politisiert, in den Wochen der Novemberrevolution radikalisiert wurden und die syndikalistische Tradition auch in der Auseinandersetzung mit den KPD-Strukturen verteidigt haben. „Ihr im ›roten Metallarbeiterverband‹ praktiziertes, oft widerspenstiges Verhalten gegenüber der eigenen Partei wandten einige Personen später auch in der SED an. Es führte nach den Worten Peschkes (eines EVMB-Aktivsten, P.N.) dazu, dass manche frühere EVMB-Führungskräfte wie er nur ungern als ›erste Garnitur‹ der Partei- und Staatsführung verwendet wurden“ (S. 474). Kennzeichnend  für die EVMB-Aktivisten sind nach Heinz unter anderem „Elemente syndikalistischer Politik, der radikale Anspruch und der sozialrevolutionäre Bewegungscharakter, die Forderung nach eigener Entscheidungsfreiheit, die Verweigerungshaltung bei Eingriffen von Außen“ (S. 475). Mit der gründlichen historischen Rekonstruktion dieser linken Gewerkschaftsopposition liegt eine gerade auch vor dem Hintergrund der aktuellen Krise verdienstvolle und interessante Studie vor – auch wenn das Buch aufgrund seines wissenschaftlichen Stils oft nicht ganz leicht zu lesen ist. Mit seinem Blick auf die Akteure vor Ort beantwortet Stefan Heinz zugleich auch die Frage des Titels: Das waren keine Söldner Moskaus – wie die RGO-AktivistInnen noch heute gerne dargestellt werden.

erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 12/10

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Peter Nowak

Karawane für Rechte von Flüchtlingen

Europäisch-afrikanisches Netzwerk ist Organisator
Eine internationale Kampagne will über die Gründe von Migration aufklären und gegen die EU-Flüchtlingspolitik protestieren
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Im Januar wird ein besonderes transnationales Projekt beginnen. Ausgehend von der malischen Hauptstadt Bamako wollen Flüchtlingsgruppen und europäische Antirassisten durch afrikanische Länder touren. Die Aktion wird maßgeblich getragen von der Assoziation der Abgeschobenen, die sich in Mali für die Wiedereingliederung von Menschen einsetzt, die aus europäischen Ländern ausgewiesen oder beim Versuch, Europa zu erreichen, zurückgeschickt wurden. Die Karawane soll in Senegals Hauptstadt Dakar enden, in der Anfang Februar das Weltsozialforum tagen wird.

 Während der Karawanentour wird es insbesondere um den Kampf für die Rechte der Flüchtlinge und die Kritik am EU-Grenzregime gehen. Nicht zuletzt weil vor der senegalesischen Küste eine Operation der EU-Grenzschutzbehörde Frontex läuft. Die Kritik an der Abschottung Europas wächst auch in anderen Ländern. So wurde im Oktober 2010 auf einer Konferenz in der marokkanischen Stadt Oujda die europäischen Migrationspolitik angeprangert.

Auf ihrer Tour will die Karawane unter dem Motto »Für Bewegungsfreiheit und gerechte Entwicklung« auch die Gründe für Migration ansprechen. So soll es um die Situation der Landwirtschaft in den afrikanischen Staaten und um den Klimawandel und die Folgen für die Menschen gehen.

Die Karawane wird vom Netzwerk Afrique-Europe-Interact organisiert. Dabei handelt es sich um eine Kooperation von Flüchtlings- und Antirassismusgruppen, an der Aktivisten aus Mali, Deutschland, Österreich und den Niederlanden beteiligt sind. Aus Deutschland wird das Netzwerk von der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migranten, The Voice Refugee Forum, der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh, NoLager Bremen, kein mensch ist illegal Hanau, dem Antirassistischen Plenum Blankenburg-Oldenburg und dem Flüchtlingsrat Hamburg unterstützt.

Mit der Organisation von Kampagnen in europäischen und afrikanischen Ländern entsteht eine neue Form der internationalen Kooperation. Dabei ging die Initiative zur Vernetzung vom afrikanischen Kontinent aus. Auf dem Weltsozialforum 2006 in Bamako war ein »Aufruf für den Respekt und die Würde aller Migrantinnen und Migranten« verabschiedet worden, der zur Grundlage für die Arbeit des transkontinentalen Netzwerks geworden ist.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/186650.karawane-fuer-rechte-von-fluechtlingen.html

Peter Nowak

Datenweitergabe rechtswidrig

Gericht stärkte Rechte von Journalisten

Das Wiesbadener Verwaltungsgericht hat kürzlich mit einer Entscheidung die Rechte von Journalisten gestärkt, die sich bei Großveranstaltungen akkreditieren wollen. Danach ist die Weitergabe von Journalistendaten an das NATO-Hauptquartier rechtswidrig.

Geklagt hatte Kamil Majchrzak, der unter anderem für die polnische Ausgabe der Le Monde Diplomatique berichtet. Für diese Zeitung wollte er auch über den NATO-Gipfel schreiben, der im April 2009 in Straßburg, Baden-Baden und Kehl stattgefunden hatte. „Ich hatte bereits im Januar 2009 über das Internet eine Akkreditierung beantragt. Die NATO übermittelte meine persönlichen Daten daraufhin dem BKA. Die Behörde in Wiesbaden glich diese mit dem polizeilichen Informationssystem INPOL ab. Auf dieser Grundlage empfahl das BKA der NATO, die Akkreditierung abzulehnen“, berichtet Majchrzak.
für die Datenweitergabe habe die gesetzliche Grundlage gefehlt, so das Wiesbadener Gericht. Das BKA dürfe laut Gesetz personenbezogene Daten an Dienststellen der Stationierungsstreitkräfte oder an eine internationale kriminalpolizeiliche Organisation übermitteln. Diese Voraussetzungen träfen aber nicht auf das NATO-Hauptquartier in Brüssel zu.
Es war nicht der erste juristische Erfolg, den Majchrzak mit Unterstützung von ver.di errungen hat. Schon Anfang April 2009 verpflichtete die 6.Kammer des Verwaltungsgerichts Wiesbaden das Bundeskriminalamt per Einstweiliger Anordnung, die negative Stellungnahme zur Presseakkreditierung zurückzunehmen. Bei dem Vorgang, so das Gericht, habe es sich um die Übermittlung personenbezogener Daten und damit um einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gehandelt. Das BKA legte gegen diese Entscheidung mit Erfolg Beschwerde ein. Der hessische Verwaltungsgerichtshof hob die Eilentscheidung aus formalen Gründen auf. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat dem Journalisten nun in der Sache Recht gegeben, aber Revision zugelassen.
Der Berliner Rechtsanwalt Sönke Hilbrans, der Majchrzak juristisch verteidigte, sieht in dem jüngsten Wiesbadener Urteil, das inzwischen rechtskräftig ist, positive Signale für die Rechte der Journalisten über den Fall seines Mandanten hinaus. „Die Entscheidung enthält insbesondere für die internationale Kooperation bei Akkreditierungsverfahren wichtige Hinweise. Nachdem sich für den Betroffenen und eine Anzahl anderer Journalisten schon zum G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm gezeigt hatte, dass die Datenabfragen vor Akkreditierungen rechtswidrig waren, kann diese Praxis jetzt auch für die NATO und andere internationale Organisationen nicht fortgesetzt werden, erklärte der Anwalt gegenüber M. Die Vorsitzende der dju Ulrike Maercks-Franzen mahnt eine Änderung der Akkreditierungspraxis bei sportlichen und politischen Großveranstaltungen an. Die dju hat sich zusammen mit dem Deutschen Presserat, der ARD und Verlegerverbänden auf Grundsätze und Eckpunkte bei der Akkreditierung geeinigt. Danach sollen Journalisten einen grundsätzlichen Rechtsanspruch auf Akkreditierung haben. Eine Ablehnung dürfe nur möglich sein, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Journalist durch sein Verhalten die Sicherheit stören könnte. Er muss darüber so rechtzeitig informiert werden, dass er Gelegenheit zu einer Stellungnahme hat.

http://mmm.verdi.de/archiv/2010/12/recht/datenweitergabe-rechtswidrig

   Peter Nowak

Aus Kreuzkölln wird Prenzlkölln

Während es in Neukölln für ALG-II-Beziehende kaum noch bezahlbare Wohnungen gibt, boomt der Sektor für 1-Euro-Jobs

Der Kiezspaziergang führte an Ladenlokalen vorbei, die von Künstler/innen im Schillerkiez zwischengenutzt werden. Aufgrund der steigendenen Mieten dürfte Nord-Neukölln für diese jedoch nur eine weitere Station auf der Suche nach bezahlbarem Wohn- und Arbeitsraum bleiben.

Trotz nasskaltem Wetter trafen sich am 24. Oktober fast hundert Personen zum Kiezspaziergang vor dem Neuköllner Stadtteilladen Lunte. Der Spaziergang war von Stadtteilinitiativen vorbereitet worden und sollte über Umstrukturierung und steigende Mieten im Schillerkiez informieren. Schon nach wenigen Metern verwies ein Aktivist der Vorbereitungsgruppe auf mehrere leer stehende Läden. „Hier war ein Eiscafé, dort ein Laden mit afrikanischen Spezialitäten, sie mussten wegen der steigenden Mieten schließen“, erklärte er. Dafür hätten in der letzten Zeit in der Gegend Beschäftigungsgesellschaften für 1-Euro-Jobs geöffnet. Die BBJ Servis gGmbH betreibt im Kiez eine Werkstatt für Möbel und Fahrräder. Die Beschäftigungsgesellschaft Tandem BQG berät Jugendliche, die sich auf Stellensuche befinden. Gleich mehrere Projekte im Schillerkiez unterhält die Bequit-Beschäftigungs- und
Qualifizierungsgesellschaft, beispielsweise 1-Euro-Jobber/innen, die als Aufsichtskräfte für mehr Sicherheit und Sauberkeit eine tägliche Tour durch den Kiez machen.

Hartz IV geht raus aus Neukölln“
Während tariflich bezahlte Arbeitsplätze verschwinden, boomen die 1-Euro-Jobs in Neukölln. Gleichzeitig können sich Menschen unter solchen Arbeitsbedingungen oft keine Wohnung mehr in dem Stadtteil leisten. „Hartz IV geht raus aus Neukölln“, bringt es der Immobilienmakler Cemal Düz, der im südlichen Schillerkiez ein Büro betreibt, diese Entwicklung auf den Punkt. Mieter- und Schuldnerberatungen rund um den Schillerkiez bekräftigen: Hartz-IV-Beziehende hätten kaum noch Chancen, Wohnungen
zu finden. Deswegen hat der Stadtteil schon wieder einen neuen Spitznamen bekommen. Kreuzkölln war gestern, heute wird schon von Prenzlkölln gesprochen. Die Entwicklung der Mieten lässt solche Vergleiche durchaus plausibel erscheinen: 9 Euro/qm und mehr sind bei Neuvermietungen in der Weisestraße keine Seltenheit. Bei Wohnungsbesichtigungen ist der Andrang groß, da sich viele Mieter/innen die noch höheren Mieten in Prenzlauer Berg oder in Friedrichshain nicht mehr leisten können.
Deshalb spricht der Stadtsoziologe Sigmar Gude davon, dass in Neukölln die weniger Armen mit den ganz Armen um Wohnraum streiten. Künstler/innen oder Akademiker/innen in prekären Arbeitsverhältnissen haben den Stadtteil entdeckt. Auf dem Spaziergang wurde auf Ladenlokale hingewiesen, die von Künstler/innen auf der Basis von Zwischennutzungsvereinbarungen als Arbeitsraum genutzt werden. Viele dieser Künstler/innen sind in den letzten Jahren in verschiedenen Stadtteilen von einer Zwischennutzung in die nächste gezogen. Auch in Neukölln dürfte ihr Bleiben nur von kurzer Dauer sein. Die ersten Ateliers sind schon wieder geschlossen.

Mietverträge nicht anerkannt

Wie sehr auch Künstler/innen von der Umstrukturierung in Neukölln betroffen sind, zeigte sich am Beispiel der Lichtenrader Straße 32. Dort führte der Kiezspaziergang direkt auf die Großbaustelle im Hinterhof. Dort wandelt die Immobilienfirma Tarsap, die das Haus neben vielen anderen im Schillerkiez erworben hat, die Fabriketagen in Eigentumswohnungen um. Mehrere Wohnungen sind schon verkauft, unter anderem an einen Filmproduzenten aus Prenzlauer Berg. In den Verträgen verpflichtet sich die
Tarsap gegenüber den Käufern, die Wohnungen mieterfrei zu machen, aber bislang wohnen in dem Haus noch einige junge Künstler mit gültigen Verträgen. Sie sind seit Monaten zahlreichen Schikanen wie abgestellten Heizungen oder ausgetauschten Schlössern ausgesetzt. Anfang 2011 werden die Gerichte über die Räumungsklagen entscheiden.

„Zum Zweck der Sanierung umfänglich entmietet“

Dieses Problem hat der Immobilienhändler Henning Conle, dem zahlreiche Häuser in Berlin und in anderen Städten gehören, beim Vorderhaus der Weisestraße 47 nicht mehr. Seit im August 2010 der letzte Mieter ausgezogen ist, steht das vierstöckige Haus komplett leer. Im Hinterhaus wohnen noch drei Mieter. Das Haus werde „zum Zweck der Sanierung umfänglich entmietet“, heißt  es in einem Prospekt, der sich an potenzielle Käufer von Eigentumswohnungen richtet. Einem alternativen Wohnprojekt, das das Haus kaufen wollte, wurde nach mehrmonatigen Verhandlungen von Henning Conle mitgeteilt, dass er das Gebäude selbst  sanieren wolle. Die Bauarbeiten haben noch nicht begonnen, dafür wurden am Haus zeitweise Transparente angebracht, deren Verfasser sich „gegen den spekulativen Leerstand“ und „für die Wiedervermietung der Wohnungen“ aussprechen.

Erwerbslose und Mieter zusammen
All das verdeutlicht, wie Mieter/innen in der Gegend die Aufwertungstendenzen rund um den Schillerkiez registrieren, dokumentieren und auch dagegen zu intervenieren versuchen. Im Stadtteilladen Lunte in der Weisestraße 53 finden monatlich Mietertreffen statt. „Dieser Treffpunkt gibt die Möglichkeit, dass sich Aktivisten verschiedener sozialer Bewegungen koordinieren“, betont Anne Seeck. Sie ist seit Jahren in der Erwerbslosenbewegung aktiv, die regelmäßig vor dem Jobcenter Neukölln Materialien verteilt, ALGII-Beziehende berät und auf Wunsch auch ins Jobcenter begleitet. Die Verbindung von Erwerbslosen- und Mieteraktivist/innen ist besonders wichtig in einem Stadtteil, in dem Hartz-IV-Beziehende kaum noch Wohnungen finden und gleichzeitig die 1-Euro-Jobs boomen.
Weitere Infos und Kontakt:
Stadtteilinitiative Schillerkiez
c/o Stadtteilladen Lunte
Weisestraße 53
E-Mail:
smashtaskforce@freenet.de
Internet: www.nk44.blogsport.

http://www.bmgev.de/mieterecho/mepdf/me344heft.pdf

Peter Nowak

Fehlende Solidarität

Europaweit wollen Gewerkschafter am Mittwoch gegen die Sparprogramme der Regierungen protestieren. Koordinierte Gegenwehr kommt aber kaum zustande

Wenn der Europäische Gewerkschaftsbund zu einem kontinentweiten Aktionstag gegen die Sparprogramme der Regierungen aufruft, heißt das nicht, dass auch alle Länder folgen. Zwar ist in Brüssel eine zentrale Demonstration des ETUC geplant, und nach Angaben des stellvertretenden Generalsekretärs Joël Decaillon soll es auch in Griechenland, Spanien, Frankreich, Dänemark und Tschechien Proteste geben. Deutschland kommt in dieser Aufzählung allerdings nicht vor.   Nach der geringen Resonanz bei den Aktionen gegen das Sparprogramm der Bundesregierung stellt sich die Frage nach der Zukunft der Krisenproteste
Schon beim europäischen Aktionstag Ende September hatten Attac und andere politische Initiativen dafür gesorgt, dass in der Bundesrepublik überhaupt erkennbare Aktivitäten zu verzeichnen waren. Nun wollen hierzulande nicht einmal mehr die Unermüdlichen vor Banken und Ministerien Transparente hochhalten. Nach den nur mäßig besuchten Krisenprotesten Ende November, die allgemein als Misserfolg gewertet worden waren, und den dezentralen Gewerkschaftsaktionen, die kaum eine Rolle in der Öffentlichkeit spielten, kann das niemanden mehr überraschen.

Auf den ersten Blick sieht es in den Nachbarländern anders aus. Sozialproteste mit wochenlangen Streiks und spektakulären Aktionen sorgten vor allem in Frankreich, Griechenland und Spanien für Aufsehen. Doch auch dort konnten die Sparprogramme nicht verhindert werden.

Von der Wut zur Resignation

In Großbritannien rückten Demonstranten sogar der Königsfamilie auf die Pelle. Doch während Studierende und Schüler Prinz Charles und seine Ehefrau Camilla auf der Fahrt zu einer Theateraufführung im Auto bedrängten, stimmte eine Mehrheit im Parlament den Sparbeschlüssen zu. Seitdem befindet sich der liberale Regierungspartner in einer desolaten Situation – im Wahlkampf hatte man eine Erhöhung der Studiengebühren noch definitiv ausgeschlossen. Ein Bruch der Koalition ist aber unwahrscheinlich. Schließlich dürften die Regierungsparteien kaum Interesse an Neuwahlen haben. Vor allem den Liberalen wird ein Desaster prognostiziert.

Daran wird die konservative irische Fianna Fail im kommenden Januar kaum vorbeikommen. Trotz der erwarteten Wählerstrafe hatte Regierungschef Brian Cowen darauf bestanden, das Kürzungsprogramm vor dem Urnengang zu verabschieden. In der vergangenen Woche hatten vor dem Dubliner Parlament gerade einmal rund 1.500 Menschen protestiert, Ende November waren es immerhin noch mehr als 10.000 – da hatten sämtliche Oppositionsparteien und Gewerkschaften zum Protest aufgerufen.

Der Schritt von der Wut zur Resignation ist offenbar klein, wie sich nicht nur im besonders von der Krise gebeuteten Irland zeigt. In Griechenland haben sich linke Parteien und Gewerkschaften für heute zwar wieder auf Streiks und Demonstrationen vorbereitet. Doch ob sie damit an die Massenaktionen im Frühling anknüpfen können, ist fraglich. Auch unter den Hellenen hat sich nach der langen Mobilisierung gegen das EU-Krisenpaket Ernüchterung breitgemacht. Schließlich hat die sozialdemokratische Regierung, unterstützt von der konservativen Opposition, den Sparkurs für alternativlos erklärt. Hinzu kam der Schock über den Tod von drei Bankangestellten, die ums Leben kamen, als Anfang Mai am Rande einer Protestaktion gegen die Sparpläne ein Brandsatz in ein Kredithaus flog.

Wandelndes Bewusstsein

Das linke griechischen Zeitungsprojekts TPTG erklärt das Abflauen der Proteste in Griechenland auch mit einen Wandel im Bewusstsein bei Teilen der Lohnabhängigen gegenüber dem Umgang mit den Staatsschulden. Bisher habe bei vielen die Überzeugung dominiert, da sie selbst keine Schulden gemacht haben, müssten sie auch nicht bereit sein, für die Tilgung Opfer zu bringen. Inzwischen sei aber auch unter Arbeitern und Angestellten die Meinung weit verbreitet, dass alle Opfer bringen müssten, damit es mit Griechenland wieder aufwärts geht.

Wahrscheinlich gibt es noch einen anderen Grund: Die zahlreichen Aufrufe zur Solidarität, die von den Protestierenden in Griechenland auf dem Höhepunkt der Aktionen ausgesandt worden waren, wurden in anderen Ländern weitgehend ignoriert. Auch in Deutschland mokieren sich viele lieber über die „Pleite-Griechen“, für die Steuerzahler in Deutschland nun Hilfsleistungen erbringen müssten. Solche Stimmungen, die keineswegs nur auf die Bundesrepublik beschränkt sind, haben eine länderübergreifende Solidarität verhindert. Schöne Worte aus Anlass von Aktionstagen können darüber nicht hinwegtäuschen.

http://www.freitag.de/politik/1049-fehlende-solidaritaet

Peter Nowak

Trotz des Sieges geht der Niedergang des Berlusconismus weiter

Zwei Stimmen haben am Ende den italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi im Amt gehalten, die Rede ist von Stimmenkauf
Bei der heutigen Abstimmung sprachen Berlusconi in der Abgeordnetenkammer in Rom 311 Parlamentarier das Misstrauen aus, 314 votierten für ihn. Vor der Abstimmung im Abgeordnetenhaus hatte Berlusconi im Senat selbst die Vertrauensfrage gestellt und diese erwartungsgemäß gewonnen. 162 Senatoren sprachen ihm das Vertrauen aus, 135 stimmten dagegen.

Damit hat sich im innerrechen Machtkampf zwischen dem Populisten Berlusconi und dem Postfaschisten Fini der Ministerpräsident vorerst durchgesetzt. Doch damit ist die Krise des Berluconismus keinesfalls beendet. Schon werfen ihm Kritiker vor, dass der Politiker seinen Abstimmungserfolg nur durch Stimmenkauf erzielen konnte. Auch die italienische Justiz hat Vorermittlungen in dieser Sache aufgenommen.

Wie angespannt die Situation in Italien ist, zeigte sich am Dienstag im und außerhalb des Parlaments. Während auf der Straße Berlusconi-Gegner mit der Polizei aneinander gerieten, musste die Sitzung im Parlament kurzzeitig unterbrochen werden, weil sich Abgeordnete im Parlament eine Schlägerei lieferten. Auslöser des Konflikts war die Erklärung der Abgeordneten Catia Polidori dem Fini-Lager den Rücken zu kehren und für Berlusconi zu stimmen. Auch zwei Abgeordnete der liberalkonservativen Antikorruptionspartei, die sich in den letzten Jahren besonders gegen Berlusconi profiliert hatte, setzten sich in den letzten Tagen für die Regierung ein. Weil beide in finanziellen Schwierigkeiten steckten, machen Mutmaßungen über Stimmenkauf die Runde.

Mit der Abstimmung hat Berlusconi eine Atempause gewonnen. Doch bei jeder wichtigen Parlamentsentscheidung werden die unklaren Mehrheitsverhältnisse im Parlament eine Rolle spielen.

Nicht alle mit Ausgang unzufrieden

Angesichts der angespannten wirtschaftlichen Situation Italiens hat die innenpolitische Situation auch Interesse bei Europas Nachbarländern gefunden. Vor allem bei den Eliten dürften viele über den Abstimmungserfolg des wirtschaftsfreundlichen Ministerpräsidenten zufrieden sein. Auch bei der italienischen Opposition dürften manche froh sein, dass Neuwahlen erst einmal vertagt wurden. Sie konnte trotz der vielen Skandale und der Krise des Berlusconismus davon nicht profitieren.

Fraglich ist, ob sich Fini von der Niederlage erholt oder ob seine neugegründete Bewegung wieder zerfällt. Schließlich hat sich am Dienstag gezeigt, dass das Berlusconi-Lager noch längst nicht aufgegeben hat. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist eine neue Protestbewegung, die sich vor allem an Italiens Universitäten gegen die Bildungsreform der Regierung gebildet hat. Ob die vollmundigen Erklärungen einiger ihrer Aktivisten, dass in Italien der Teufel los ist, wenn Berlusconi im Amt bleibt, allerdings mehr als Worte sind, muss sich vor der Weihnachtspause erst noch zeigen.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/148935

Peter Nowak

Weiter Schottern

Initiatoren der Aktion ziehen positive Bilanz

Mit etwas Abstand zu den Castor-Protesten im Wendland zogen die Initiatoren der Schottern-Kampagne Bilanz. Welches Potenzial hat die Aktionsform, bei der viele Menschen Steine aus dem Gleisbett entfernen? Im Kreis der Schottern-Anhänger stand am Ende fest: ausbau- und verbesserungsfähig. 
 
 Wenn es in der linken Szene ein Wort des Jahres gäbe, dann würde 2010 »Schottern« weit vorn stehen. Das massenhafte Entfernen von Steinen aus dem Gleisbett des Castorzuges sorgte aber auch in Medien und Politik für große Aufmerksam. In der Regierungserklärung des niedersächsischen Innenministers Uwe Schünemann am 10. November vor dem Landtag in Hannover hieß es: »Wir werden das Geschehen in der nächsten Zeit sorgsam auswerten und dabei auch betrachten müssen, inwieweit Linksextremisten bereits erfolgreich Teile des bürgerlichen Protestspektrums beeinflussen können.« Ausgewertet wird die Schottern-Aktion seit einigen Wochen auch von den Aktivisten selber.

Uneingeschränkt positiv bewertete Christoph Kleine von Avanti das Schottern. »Damit hat es die radikale Linke geschafft, in einem gesellschaftlichen Großkonflikt einen eigenen, wahrnehmbaren Punkt zu setzen.« Uwe Hiksch von den Naturfreunden meinte mit Blick auf das gesamte Castorprotestspektrum, dass gegenseitige Befürchtungen »teilweise abgebaut« worden seien. Die etablierte Anti-AKW-Bewegung bewerte die Aktionen der Schottern-Gruppe »als wertvollen Beitrag zum Gelingen des gesamten Protestes«.

Diese Einschätzung wurde auch von den meisten Teilnehmern eines Nachbereitungstreffens der Schottern-Aktion geteilt, zu dem die Interventionistische Linke (IL) am Sonntag nach Berlin geladen hatte. Das IL-Netzwerk hatte die Schottern-Aktion vorgeschlagen und wollte dabei an ihren Erfahrungen aus den Protesten gegen das G8-Treffen in Heiligendamm 2007 anknüpfen. Allerdings wurde von einzelnen Teilnehmern die Frage gestellt, ob dieser Geist von Heiligendamm nicht mittlerweile zum Mythos geworden ist. Ein Großteil der Aktivisten, die sich am Schottern beteiligten, habe sich nicht auf Heiligendamm bezogen.

Andere verwiesen auf Gemeinsamkeiten zwischen beiden Ereignissen. Bei beiden Aktionen sei die Vermittlung in verschiedene politische Lager gelungen und die Medien hätten ausführlich berichtet. Die Erfahrung, kollektiv zu handeln, sei zentral. Erst an zweiter Stelle spiele es eine Rolle, wie groß der Gleisabschnitt ist, der durch das Schottern unbrauchbar gemacht worden ist. In Texten hatten autonome Gruppen kritisiert, dass der reale Schaden der Schottern-Aktion wegen des schnellen Eingreifens der Polizei nicht sehr groß gewesen sei.

Auch ein Großteil der IL-Aktivisten räumte beim Nachbereitungstreffen selbstkritisch ein, im Vorfeld die Polizeipräsenz unterschätzt zu haben. »Wir haben nicht damit gerechnet, dass wir mehrere Polizeiketten überwunden müssen, um zu den Gleisen zu gelangen«, meinte ein Teilnehmer. Angesichts der hohen Zahl an Verletzten stellten manche die Vorstellung in Frage, dass die Öffentlichkeit Schutz vor zu großer Polizeigewalt bietet.

Mehrere Redner bezeichneten es zudem als Fehler, dass ein bestimmtes Gleisstück mitten im Wald zum Schottern ausgewählt wurde. Manche kritisierten auch, dass bei dem Medieninteresse an der Aktionsform die Kritik an der Energiewirtschaft kaum erwähnt wurde. Die Frage, ob das Konzept über den Castor-Widerstand hinaus anwendbar ist, wurde zwar aufgeworfen, blieb bei dem Treffen aber unbeantwortet. Insgesamt gab es jedoch in der Runde weitgehend Konsens, dass es sich lohne, die Aktion auszubauen und zu verbessern. Das niedersächsische Innenministerium dürfte also auch im nächsten Jahr Gelegenheit haben, die Schottern-Aktionen auszuwerten.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/186500.weiter-schottern.html

Peter Nowak

Kritik an Weißrussland

 Mit zwei internationalen Aktionstagen soll am 18. und 19. Dezember auf die politische Verfolgung von Anarchisten in Weißrussland aufmerksam gemacht werden. Seit September wurden dort 15 Menschen festgenommen. Fünf sind noch in Haft. Anlass für die Strafverfolgung waren Solidaritätsaktionen mit russischen Umweltschützern, die Oppositionellen sehen aber einen Zusammenhang mit den für Dezember geplanten Wahlen in ihrem Land. »Seit der Verhaftungswelle Anfang September wurden immer wieder Aktivisten vorgeladen, verschleppt, geschlagen und eingesperrt«, heißt es in einer Erklärung auf der Internetplattform Indymedia Belarus. Infoabende, Solidaritätskonzerte und Kundgebungen vor weißrussischen Botschaften sind vor allem in Polen, Ungarn und Rumänien angekündigt.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/186497.bewegungsmelder.html

Peter Nowak

Die Geschichte ist nicht zu Ende

FILM Der Regisseur William Perfetti blickt zurück auf 40 Jahre Hausbesetzergeschichte, von den Trebegängern Anfang der 70er bis zu den heutigen Musterhausentwicklern

„Das Rauch-Haus ist unser Haus, ihr kriegt uns hier nicht raus“, schallt es aus dem Demonstrationszug. Man trägt Parka und lange Haare und schreibt das Jahr 1971. Es geht um den Erhalt des frisch besetzten Georg-von-Rauch-Haus am Mariannenplatz, heute wohl das älteste noch existierende Berliner Hausprojekt in Selbstverwaltung. Die Szene ist ein Ausschnitt aus dem in den 70er-Jahren viel diskutierten Film „Das ist unser Haus“. Einige Szenen davon finden sich nun in einem neuen Film wieder: „20 Jahre Mauerfall – 20 Jahre Mainzer-Fall. Mit Willy unterwegs in Berlin“ heißt das Projekt, mit dem der italienische Filmemacher William Perfetti auf die fast 40-jährige Geschichte der Berliner InstandbesetzerInnenbewegung zurückblickt.

Perfetti beginnt Anfang der 70er Jahre und erinnert daran, dass es damals oft aus den Heimen geflohene Jugendliche waren, die auf Trebe gingen und Häuser besetzten. Diese Frühgeschichte der Westberliner BesetzerInennbewegung wird oft selbst von ehemaligen AktivistInnen vergessen, die erst in den frühen 80er Jahren aktiv wurden. Für Perfetti dagegen wurde damals die Stadt zum Experimentierfeld für eine andere Form von Zusammenleben, an die im kurzen sogenannten „Sommer der Anarchie“ 1990 in Ostberlin wieder angeknüpft wurde.

Videoschnipsel aus verschiedenen zeitgenössischen Filmen über die Mainzer Straße erinnern an die kurze Geschichte der besetzten Häuser vor der Räumung – etwa das Mainzer-Straßen-Fest im Sommer 1990 und einen Neonaziangriff einige Wochen zuvor. In den Kommentaren der damaligen Videos wurde immer betont, dass mit der Räumung der Mainzer Straße die gesamte soziale und alternative Bewegung Berlins diszipliniert werden sollte. Perfetti hingegen will zeigen, dass dies nicht gelungen ist – und die Räumung der Mainzer Straße nicht das Ende der Bewegung war.

Im zweiten Teil des Videos werden verschiedene Berliner Projekte vorgestellt, die seit den 90er Jahren in Berlin entstanden sind. Einige beziehen sich allerdings bewusst nicht auf die BesetzerInnenbewegung. So betont Carola Ludwig vom Friedrichshainer RAW-Tempel in der Revaler Straße, dass für sie und ihre MitstreiterInnen eine Besetzung nie zur Diskussion stand. Man habe immer auf eine enge Verbindung mit der Politik Wert gelegt. Hans-Georg Fischer, der seit 1990 in der Kreutziger Straße lebt und 1995 den Verein Southern Networks for Environment and Development (Soned) mitbegründete, zeigt am Beispiel der Kreutziger Straße 19 die Entwicklung vom besetzten Haus zum ökologischen Musterprojekt, das heute umweltfreundlich produzierten Strom an die Versorgungsunternehmen verkaufen kann.

Perfettis positive Sicht auf die Entwicklung vom Hausbesetzer zur alternativen Projekteszene wird unter den ZuschauerInnen sicher ebenso für Diskussion sorgen wie die häufigen und eigentlich für das Thema des Films überflüssigen „Tagesschau“-Ausschnitte zu Mauerfall und Wiedervereinigung.

 „20 Jahre Mauerfall – 20 Jahre Mainzer-Fall. Mit Willy unterwegs in Berlin“. Regie: William Perfetti. D 2010, 113 Min.
Ab 16. 12. um 18 Uhr im Lichtblick-Kino, Kastanienallee 77, Prenzlauer Berg. Am 18. und 19. 12. wird der Filmemacher bei den Vorführungen anwesend sein

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2010%2F12%2F15%2Fa0163&cHash=24df6d8b8d

Peter Nowak