Die Linke – Motor eines Politikwechsels?

In einem Strategiepapier wird vorgestellt, wie die Partei koalitions- und regierunsfähig gemacht werden könnte

Bis zur Bundestagswahl sind noch drei Jahre Zeit und doch bereiten sich die Parteien schon darauf vor. Die Linkspartei hat jetzt ein Strategiepapier vorgelegt, in dem sie ihre Pläne für die nächsten Jahre skizziert. Dabei macht die Partei schon im Titel deutlich, dass sie zu einem Motor für den Politikwechsel werden will. In dem Papier wird dieses Vorhaben dann konkretisiert. Es gehe um die Schaffung anderer gesellschaftlicher und parlamentarischer Mehrheiten. Diese sind aber ohne SPD und Grüne nicht denkbar. Deshalb wird im Strategiepapier offen formuliert, was bisher bei der Linkspartei ein Reizthema ist.

„Auf dieser Grundlage kann die Linke offensiv für die Abwahl von Schwarz-Gelb auch durch ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis kämpfen“, heißt es in dem Papier. In ihm wird aber auch das Dilemma angesprochen, dass SPD und Grüne sicherlich auch einen Regierungs-, nicht aber einen Politikwechsel im Sinne der Linken anstreben. Die Partei könnte sich dann schnell in die Rolle einer bloßen Mehrheitsbeschafferin für eine Politik wiederfinden, die an der Basis mehrheitlich gar nicht mitgetragen wird. Damit aber würde sie bald Mitglieder und Wählerstimmen verlieren. Verweigert sie sich aber einer solchen Funktion und wagt es eigene Forderungen zu stellen, könnte sie schnell als Verhinderung einer rot-grünen Reformpolitik gebrandmarkt werden.

Die aktuelle Diskussion in Nordrhein-Westfalen zeigt, was auf die Partei im Bund zukommen würde, wenn sie durch das Wahlergebnis zwischen SPD-Grünen und schwarz-gelben Block zum Zünglein an der Waage würde. Selbst bei Themen, wo es zwischen SPD, Grünen und Linken eigentlich eine gemeinsame Basis geben müsste, wenn es nach dem Wahlprogramm geht, hakt es bei der Umsetzung. Wie bei einen Pokerspiel geht es schließlich darum, wer mehr Angst vor Neuwahlen hat. Schnell wird auf diese Weise aus einer Debatte über politische Inhalte ein Gezerre über Umfragewerte.

Die Linke spricht in dem Strategiepapier die Problematik an, für die Ablösung der gegenwärtigen Regierungskoalition auf Parteien angewiesen zu sein, die wesentliche Ziele der Linken nicht teilen. Deshalb schlägt sie vor, nicht auf eine Änderung der Politik von SPD und Grünen zu warten, ihre eigenen Vorschläge in der Öffentlichkeit zu popularisieren und damit die anderen Parteien unter Druck zu setzen. Damit würde die Partei zum Motor für einen Politikwechsel.

Soziale Themen im Mittelpunkt

An erster Stelle sehen die Verfasser des Papiers die Sozialpolitik. Gerechte Steuern, höhere Hartz IV-Regelsätze, die Einführung eines Mindestlohns, einer solidarischen Gesundheitsversorgung und einer Rente, die vor Armut schützt, lauten hier die Forderungen hinter den Bindestrichen. An zweiter Stelle wird die Formulierung einer Friedenspolitik, die zivile Konfliktlösungsmethoden mit nichtmilitärischen Mitteln stärken soll, gefordert. An letzter Stelle sieht sich die Linke auch als Interessenvertreterin des Ostens, wo die PDS als mitgliederstärkste der beiden Gründungsparteien ihre Basis hatte.

Dass dieser Punkt in dem Papier an letzter Stelle steht, macht deutlich, dass die Linke eines zumindest geschafft hat: Den der PDS anhaftende Ruf, ein Traditionsverein der Wendeverlierer aus dem Osten zu sein, hat sie weitgehend verloren. Das zeigten auch die Reaktionen auf die Vorlage des Strategiepapiers. Selbst die schärfsten Kritiker bedienen diese Art der Kritik kaum noch.

Wie hältst Du es mit dem Regieren?

Dort wird vielmehr beobachtet, ob und wie die Linke es schafft, für ein Bündnis mit SPD und Grünen zu kämpfen und die aktuelle Politik der beiden Parteien zu kritisieren. Diese Frage wird vor allem dann interessant, wenn die Formelkompromisse, wie sie auch in dem Strategiepapier in großer Zahl vorkommen, in konkrete Politik umgesetzt werden sollden.

So heißt es in dem Papier, dass die Bundeswehr in eine Friedensarmee umgewandelt werden soll. Sarah Wagenknecht, die Kritikerin einer zu starken Anpassung der Linken, versteht unter dieser vagen Formulierung die Forderung nach radikaler Abrüstung, ja sogar nach Abschaffung der Bundeswehr. Wie wird sie reagieren, wenn ein Bündnis aus SPD und Grünen die Zustimmung der Linken für eine aus Spargründen schrumpfende Bundeswehr verlangt? Je mehr sich die Linke auf eine solche Logik einlässt, desto größer wird auch die Distanz zu den außerparlamentarischen Bewegungen, die nach den Vorstellungen der Autoren des Strategiepapiers Druck auf die anderen Parteien ausüben sollen.

In Berlin zeigte die Diskussion um die Wasserprivatisierung, dass die dort mitregierende Linke durch die Initiative zu einem Volksbegehren und die Veröffentlichung der Verträge zur Wasserprivatisierung selber unter Druck geraten ist. Im benachbarten Brandenburg drohen Bürgerinitiativen der aus SPD und Linken bestehenden Landesregierung wegen der geplanten Einlagerung von CO2-Abfall mit einem brandenburgischen Stuttgart 21. Je mehr sich die Linke selber in Regierungs- oder Tolerierungspositionen begibt, desto größer wird die Anzahl solcher und ähnlicher Initiativen.

Zwischen einer Lafontaine- und einer Mosaiklinken?

Dieses nun wahrlich nicht neue Problem wird von zahlreichen Projekten, die ein politisches Klima für ein wie auch immer geartetes Bündnis zwischen SPD, Grünen und Linken schaffen wollen, eifrig diskutiert. Besonders das Innenpolitikressort der Wochenzeitung Freitag widmet sich den auch Crossover genannten Anliegen. Der Innenpolitikredakteur des Freitag Tom Strohschneider ist auch für eine der zentralen Internetprojekte zu dieser Thematik verantwortlich.

Mit dem Institut für solidarische Moderne wurde das Crossover-Projekt in Richtung Grüne und SPD ausgeweitet. Mit den in der theoretischen Tradition von Antonio Negri stehenden Philosophen Thomas Seibert gehört auch ein Mitglied der außerparlamentarischen Interventionistischen Linken zu dessen Mitbegründern. Seibert entwirft in seinem vieldiskutierten Text das Bild einer Mosaiklinken mit einer Arbeitsteilung zwischen außerparlamentarischen Bewegungen und Reformlinken an der Regierung. Er fordert von der Linkspartei mehr Bereitschaft zum Mitregieren.
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 So hätte sich hierzulande die Partei Die Linke endlich ernsthaft dem Format einer Partei neuen Typs anzumessen, zu dem sie sich doch regelmäßig bekennt – und das gerade in der mittelfristig realpolitischen Perspektive auf eine rot-rot-grüne Besetzung der Staatlichkeit. Das wird die Bewegungen unter Zugzwang setzen, nicht nur ihre Spontaneität, sondern auch ihre Autonomie zu stärken – eine Aufgabe, in der besonders das Vermögen ihrer radikalen Ränder gefordert ist, die dazu nötige Reibung zu erzeugen.
Thomas Seibert

Ähnliche Debatten werden auch auf internationaler Ebene in Teilen der ehemaligen globalisierungskritischen Bewegung geführt. Welchen Einfluss sie haben, wenn die Linke tatsächlich, in welcher Form auch immer, in eine Bundesregierung eingebunden ist, bleibt offen. In Berlin und Brandenburg, wo die Linken mitregieren, scheinen diese Debatten zumindest weder die Partei noch die außerparlamentarischen Bewegungen zu interessieren.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33610/1.html

Peter Nowak

Marx statt Mohammed

Eine Anatomie des kurdischen Freiheitskampfes

PKK – diese drei Buchstaben stehen für die kurdische Arbeiterpartei, die in Deutschland noch immer mit Gewalt und Fanatismus in Verbindung gebracht wird. Die Partei und alle ihre ihr nahestehenden Organisationen sind in Deutschland verboten. Und immer wieder werden deren Aktivisten zu hohen Haftstrafen verurteilt.

Wer sich über die Hintergründe der kurdischen Nationalbewegung informieren will, kann jetzt auf ein umfangreiches wie informatives Buch zurückgreifen, das von zwei Autoren verfasst wurde, die sich seit Jahren mit der kurdischen Frage und dem kurdischen Freiheitskampf befassen: von der Karlsruher Rechtsanwältin Brigitte Kiechle und dem Berliner Historiker Nikolaus Brauns.

Brauns geht ausführlich auf die Vorgeschichte und Gründung der PKK ein, die ihre Wurzeln in der radikalen Linken der 60er und 70er Jahre hat. Von Anfang an war Abdullah Öcalan die zentrale Figur der Bewegung. 1972 war er beim Verteilen linker Flugblätter verhaftet und musste sieben Monate in einem Militärgefängnis verbringen, wo er seine endgültige politische Prägung erfuhr. Nach der Haft verkündete der junge Öcalan: »Mohammed hat verloren, Marx hat gewonnen.«

Brauns berichtet, wie sich die PKK nach dem Militärputsch von 1980 politisch festigen konnte, während die Linke weitgehend zerschlagen wurde. Vor allem junge Aktivisten mit proletarischem Hintergrund stießen damals zur PKK. Darin sieht der Historiker auch eine Begründung für die Militanz, mit der diese auf vermeintlichen Verrat reagierte. Dutzende junger Männer und Frauen, die sich der PKK anschließen wollten, wurden willkürlich als vermeintliche Spione getötet. Darunter waren auch ein Dutzend Studierende aus Eskisehir, die nach ihrer Ankunft im Guerillacamp exekutiert wurden, nur weil eine junge Frau unter ihnen als Tochter eines Polizisten ausgemacht wurde. Mittlerweile ist ein großer Teil der Mitbegründer der PKK ermordet, einige von den eigenen Genossen. Es spricht für das Buch, dass dieses dunkle Kapitel in der PKK-Geschichte nicht verschwiegen, zugleich jedoch die kurdische Bewegung nicht auf diese oder andere Verbrechen reduziert wird.

Brauns verweist darauf, wie der Kampf der PKK auch die unterdrückte kurdische Bevölkerung in Syrien und Iran mobilisierte. Aktivisten der iranischen Partei für ein freies Leben in Kurdistan (PJAK) sind vom Mullah-Regime in Teheran besonders bedroht. Mehrere der in den letzten Monaten hingerichteten Oppositionellen sollen dieser Strömung nahegestanden haben. Während das iranische Regime die PJAK als von den USA gesteuert diffamiert, bekämpft die Administration in Washington diese wiederum wegen mangelnder Distanz zur PKK.

Ausführlich setzen sich Brauns und Kiechle mit der islamischen AKP-Regierung auseinander. Sie diskutieren, wie sich ein EU-Beitritt der Türkei auf die Lage der Kurden auswirken würde. Sie zeigen sich im Gegensatz zu anderen Autoren diesbezüglich skeptisch. Im letzten Kapitel bilanzieren Brauns und Kiechle, dass die kurdische Bewegung die Inhaftierung Öcalans und nachfolgende innerparteiliche Machtkämpfe, Umbenennungen und Neugründungen relativ gut überstanden habe. Eine Emanzipation der Kurden hält das Autorenduo jedoch nur im Rahmen einer internationalen antikapitalistischen Bewegung für möglich. Brauns und Kiechle verweisen darauf, dass zahlreiche kurdische Organisationen innerhalb der türkischen Linken eine wichtige Rolle spielen. Das aktuelle Wiederaufleben der Kämpfe in Kurdistan ist auch eine Folge der Enttäuschungen über die gegenwärtige Politik in Ankara.

In einem speziellen Kapitel geht Brigitte Kiechle auf die Rolle der Frauen in der kurdischen Bewegung ein. Ihr Fazit: »Im Vergleich zu anderen Parteien und politischen Strömungen in der Türkei, in Kurdistan und in dem gesamten Nahen und Mittleren Osten fällt die PKK durch eine hohe Beteiligung von Frauen im politischen und militärischen Bereich und eine intensive Diskussion über die Geschlechterverhältnisse und die Befreiung der Frau auf.« Dies ist nur ein Aspekt, der in der hierzulande üblichen einseitigen Beurteilung des kurdischen Freiheitskampfes ignoriert wird oder schlichtweg nicht bekannt ist.

Nikolaus Brauns/Brigitte Kiechle: PKK – Perspektiven des kurdischen Freiheitskampfes. Zwischen Selbstbestimmung, EU und Islam. Schmetterling Verlag, Stuttgart 2010. 510 S., geb., 26,80 €.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/183357.marx-statt-mohammed.html

Peter Nowak

Wird der Hirschhof privatisiert?

Anwohner/innen wollen, dass die Grünfläche in der Hofanlage nicht mehr öffentlich zugänglich ist

„Eine Straße mit brüchigem Charme und aufmüpfiger Vergangenheit“, charakterisierte Die Zeit vor einigen Jahren die Oderberger Straße im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Das ist lange her. Schon seit Jahren geben dort die Eigenheimbesitzer den Ton an, und sie haben wenig Verständnis für die letzten Reste der aufmüpfigen Vergangenheit. Das zeigt sich sehr deutlich am Streit um die Nutzung des Hirschhofs, der sich bereits über mehrere Jahre hinzieht. Erst wurde um den Zugang, jetzt über eine mögliche Privatisierung gestritten.

Hirschhof ist der Name einer zusammenhängenden Hofanlage an der Oderberger Straße. Noch zu DDR-Zeiten legten Anwohner/innen dort einen Garten an, der ab Mitte der 80er Jahre zu einem Treffpunkt der alternativen Szene in Prenzlauer Berg wurde. Da die Verantwortlichen in der DDR diese Entwicklung nicht gerne sahen, sollten die Altbauten abgerissen werden. Doch die Mieter/innen wehrten sich mithilfe der Wohnbezirksausschüsse (WBA) erfolgreich. Auch nach der Wende blieben die Bewohner/innen der Gegend rebellisch, und Proteste wurden unter dem Kürzel WBA organisiert. Doch dahinter verbarg sich dann die Initiative „Wir bleiben alle“, die die ersten Ostberliner Proteste gegen die Verdrängung der Bevölkerung mit
geringem Einkommen organisierte. Trotz allem konnte die Aufwertung nicht aufgehalten werden und die meisten Mietwohnungen wurden in Eigentumswohnungen umgewandelt.

Kein Gemeinschaftsprojekt hinter dem Haus

Nicht wenige der recht jungen Bewohner dürfte die Nähe des Mauerparks motiviert haben, in die Oderberger Straße zu ziehen. Auch die breiten Gehwege mit den in Eigenleistung von Mieter/innen angelegten Begrünungen machen die Straße attraktiv. Im vergangenen Jahr, als die Sanierung der Oderberger Straße anstand, haben die Anwohner/innen die Bäume, Blumenbeete und Sitzecken nicht ohne Erfolg verteidigt. Doch mit einem Gemeinschaftsgarten hinter dem eigenen Haus können sich nicht alle
anfreunden. Im Oktober 2004 sperrte der Besitzer der Oderbergerstraße 15 den Zugang zum Hof. „Deshalb hat sich das Bezirksamt die Flächen der Oderberger Straße 19 vom Liegenschaftsfonds gesichert und von dort zunächst den Zugang zum inneren Bereich des Hirschhofs geschaffen und kann nun dort auch an der Erweiterung des Hirschhofs bauen“, erklärte der Bezirksbürgermeister von Pankow Matthias Köhne dem MieterEcho. Auf dem Gelände des Hirschhofs soll eine öffentliche Grünfläche entstehen, die vor
allem Kleinkindern, Kindern bis 12 Jahren, Familien und Senioren Nutzungsräume bieten soll. Obwohl die Bauarbeiten schon begonnen haben, ist der Zugang zum Hirschhof weiter umstritten. Die Besitzer von Eigentumswohnungen aus den angrenzenden Häusern klagen gegen das Bezirksamt Pankow, weil sie einen Teil des Geländes eingezäunt haben wollen. In der ersten Instanz haben sie gewonnen. Das Bezirksamt ist in Berufung gegangen und will nachweisen, dass sich auf dem Areal auch früher schon eine Grünanlage befand. Dann würde das Grünanlagengesetz gelten und die öffentliche Nutzung wäre legitim. Sollte das Bezirksamt auch in der zweiten Instanz unterliegen, könnte zumindest ein Teil des Hirschhofs für die Allgemeinheit verschlossen bleiben und endgültig privatisiert werden.

http://www.mieterecho.de/mieterecho/mepdf/me343heft.pdf

Peter Nowak

aus:  ME 343 / November 2010

Kampf um Mitte

Auf dem Linienhof soll ein Baugruppen-Projekt entstehen

Lange Zeit hat der Linienhof in der Kleinen Rosenthaler Straße 9 in Berlin-Mitte kaum Schlagzeilen gemacht. Seit 1991 schrauben Anwohner/innen mit Einwilligung des damaligen Besitzers auf dem Grundstück an ihren Autos und Fahrrädern. Auch Kulturprojekte proben dort. Doch seit eine Baugruppe auf dem Gelände ein Mehrgenerationenhaus errichten will, ist es mit der Ruhe vorbei. Die Nutzer/innen des Linienhofs wollten das Domizil nicht räumen, verkündeten sie auf Transparenten.

Nach Ansicht von Linienhofnutzer Jürgen Leineweber müssten zumindest einige Mitglieder der Baugruppe dieses Anliegen verstehen.
Denn zu ihnen gehört etwa der Publizist Mathias Greffrath, der sich mit seinen globalisierungskritischen Texten im Umfeld der Organisation attac positioniert hat. Doch dieser weist jede Kritik zurück. Als die Baugruppe
2007 das Gelände kaufte, hätten dort lediglich einige alte Autos herumgestanden und man habe den Nutzer/innen finanzielle Umzugshilfen angeboten. Zudem moniert Greffrath, dass sich niemand namentlich
zu erkennen gegeben habe.
Rechtsanwalt Moritz Heusinger erklärte dem MieterEcho, er habe sowohl Herrn Greffrath als auch der zuständigen Polizeidienststelle mitgeteilt, dass er die Nutzer/innen juristisch vertritt. „Es handelt sich um ein Nutzungsverhältnis, das regulär gekündigt werden muss“, beschreibt Heusinger die rechtliche Situation. Schließlich seien die Nutzer/innen
Anfang der 90er Jahre von damaligen Eigentümer zur Nutzung des Grundstücks ermuntert werden, damit es nicht brach liege.
Bei einer formellen Kündigung müsste auch die Baugruppe die Namen aller Mitglieder benennen, was bisher nicht geschehen sei,betont Heusinger.

 Baugruppen in der Kritik

Der Konflikt um den Linienhof hat die Rolle der Baugruppen stärker in den Mittelpunkt gerückt. „Sie werden in den letzten Jahren vom Berliner Senat zunehmend zumindest ideell gefördert, um eine finanzkräftige Mittelschicht in den zentral gelegenen Stadtteilen zu etablieren“, erklärt ein Teilnehmer einer Protestveranstaltung auf dem Linienhof.
„Während Mitglieder von Baugruppen von der Aufwertung eines Stadtteils wegen der Wertsteigerung ihres Eigentums profitieren,wird für Mieter das Wohnen teurer.“
Und eine Aktivistin der Alt-Treptower Stadtteilinitiative Karla Pappel ergänzt: „Die Folge sind oft Mieterhöhungen in der Nachbarschaft und damit verbunden eine Verdrängung von Bewohnern mit geringen Einkommen.“
In Treptow haben sich mehrere Baugruppen angesiedelt. Es sei durchaus keine
Seltenheit, dass Mitglieder von Baugruppen früher Hausbesetzer/innen waren oder wie Greffrath in sozialen Bewegungen aktiv sind, stellte die Aktivistin fest. Deshalb würden viele Baugruppen mit Begriffen wie „kollektives Wohnen“ hantieren, die im Umfeld von sozialen Bewegungen entstanden seien. Damals sei es um Aneignung gegangen, heute gehe es um Eigentumsbildung.

 http://www.mieterecho.de/mieterecho/mepdf/me343heft.pdf

Peter Nowak

aus:  ME 343 / November 2010

Juristen zu Stuttgart 21

 Die Kritiker des Projekts Stuttgart 21 bekommen nun auch juristischen Beistand. Im Arbeitskreis »Juristen zu Stuttgart 21« haben sich ca. 30 Juristen unterschiedlicher beruflicher Stellungen zusammengeschlossen. Sie wollen nicht nur die Verantwortlichen für den harten Polizeieinsatz vom 30. September gegen Kritiker des Bahnprojekts ermitteln, sondern auch Meldungen nachgehen, nach denen Polizisten, die sich kritisch mit den Einsatz auseinandersetzen, innerhalb ihrer Behörde starkem Druck ausgesetzt sind.

In ihrer ersten Stellungnahme begrüßt die Organisation den Untersuchungsausschuss zum Polizeieinsatz in Stuttgart. Die Juristen sind der Überzeugung, dass eine Klage zur Feststellung der Rechtswidrigkeit des Einsatzes (Fortsetzungsfeststellungsklage) zulässig und begründet wäre.

Peter Nowak

http://www.neues-deutschland.de/artikel/183281.bewegungsmelder.html?sstr=Juristen|gegen|Stuttgart

Flugblattrazzia im Buchladen

Linke Läden regelmäßig betroffen / Solidaritätsaktion gestartet

Linke Buchläden sehen sich regelmäßig mit polizeilichen Durchsuchungen und der Beschlagnahmung ihrer Computer konfrontiert. Grund dafür sind die ausliegenden Flugblätter und Broschüren. Die Buchladenbetreiber wollen sich jedoch nicht als Zensurbehörden vorschalten lassen und verteidigen »unabhängige und unkontrollierte Medien«.

Schon sechs Mal haben die Berliner Buchläden Schwarze Risse, 021 und M99 in diesem Jahr Polizeibesuch bekommen. Dabei galt das behördliche Interesse nicht den Büchern in den Verkaufsregalen, sondern Flugblättern und Broschüren, die von politischen Gruppen in den Buchläden ausgelegt wurden. Mal war ein Flugblatt des Berliner Büros für Antimilitaristische Maßnahmen, mal die Autonomenpublikation Interim Grund für die Polizeibesuche.

Am Vormittag des 26. Oktober fanden neben der Interim auch Plakate des Anti-Castor-Widerstands, die zum Castor-Schottern aufrufen, das Interesse der Polizei. Doch den Antrag, auch wegen dieser Plakate einen Durchsuchungsbeschluss auszustellen, lehnte die Staatsanwaltschaft ab. Neben den inkriminierten Schriftstücken werden auch regelmäßig die Computer der linken Buchläden beschlagnahmt und erst einige Tage später zurückgegeben. Das sorgt bei den Buchhändlern für großen Unmut. »Es ist wohl nicht davon auszugehen, dass die Hersteller und Verteiler inkriminierter Texte sich bei uns per E-Mail ankündigen. Dagegen könnte bei Kunden, die elektronisch ein Buch bestellen wollen, Verunsicherung eintreten, ob nicht womöglich ihre Daten gespeichert werden«, meint ein Mitarbeiter der Schwarzen Risse.

Der Berliner Rechtsanwalt Sven Lindemann, der den Buchladen juristisch vertritt, will genau beobachten, was weiter passiert: »Bei den bisherigen Durchsuchungen wurden die Computer nach Angaben des Landeskriminalamts nicht gespiegelt, sondern lediglich mit Hilfe von Schlagwörtern durchsucht. Wenn sich in den laufenden Verfahren herausstellen sollte, dass doch kopiert wurde, müssten die Daten nach Einstellung des Verfahrens gelöscht werden«, erklärte Lindemann. Die Beschlagnahmung der Computer stellt für ihn einen wesentlichen Kritikpunkt dar: »Es werden bei solchen Durchsuchungen nicht nur die inkriminierten Zeitungen beschlagnahmt, sondern es wird in nicht unerheblicher Weise in den Gewerbebetrieb eingegriffen. Den Buchhändlern wird ihre berufliche Tätigkeit erschwert und ihnen wird ohne Begründung unterstellt, dass sie Kenntnis vom Inhalt der jeweilig beanstandeten Zeitschriften hätten.«

Nach der gängigen Rechtsprechung sind Buchläden nicht verpflichtet, alle ausgelegten Publikationen und Flugschriften nach möglichen strafbaren Inhalten zu durchforsten. Lindemann vermutet, dass die Berliner Staatsanwaltschaft diese gängige Rechtsprechung revidieren will.

Auch der Geschäftsführer von Schwarze Risse, Frieder Rörtgen, sieht in den Razzien eine politisch motivierte Kampagne der Staatsanwaltschaft. »Die Buchläden sollen unter Druck gesetzt werden, damit sie als vorgeschaltete Zensurbehörde des Staates agieren.« In einer gemeinsamen Erklärung appellieren die betroffenen Buchläden: »Verteidigen wir unabhängige und unkontrollierte Medien!« Der Ruf wird gehört. In den letzten Tagen gab es in Berlin Protestdemonstrationen gegen die Razzien. Mittlerweile werden Unterschriften für eine Solidaritätserklärung mit den Läden gesammelt. Für den 17. November ist im Berliner Festsaal Kreuzberg eine Veranstaltung für die Buchläden geplant, an der unter anderem die Bloggerin Anne Roth und der Jurist und Publizist Oliver Tolmein teilnehmen werden.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/183327.flugblattrazzia-im-buchladen.html?sstr=linke|Buchläden

Peter Nowak

Mythos Volksabstimmung und direkte Demokratie

Während manche hoffen, Projekte wie Stuttgart 21 wären mit Volksabstimmungen und direkter Demokratie unmöglich, hoffen Politiker damit, die Bürger besser einbinden zu können.

Manche Medienvertreter sahen schon mal wieder eine Zeitenwende am Horizont, nur weil die Vermittlungsbemühungen rund um das Projekt Stuttgart 21 live übertragen worden sind. Doch die Superlative dürften eine kurze Lebensdauer haben. Während anlässlich der ersten Live-Übertragung noch von einer „beispiellosen öffentlichen Schlichtungsrunde“ die Rede war, machte sich bei der zweiten Runde schon Ernüchterung breit. Erst stritt man sich darüber, ob die Bahn die Friedenspflicht einhält und dann verstrickten sich der grüne Tübinger Oberbürgermeister Palmer und der für die technische Abwicklung des Projekts Stuttgart 21 zuständige Volker Kefer in komplizierten Details über die Auslastung des Bahnknotens Stuttgart.
   

Hier wurde deutlich, dass die Liveübertragung schon beim zweiten Mal kein Thema war. Warum auch? Schließlich werden hier die Möglichkeiten der modernen Technik genutzt. Ein Meilenstein für die Demokratie ist das noch lange nicht. Schließlich gibt es auch regelmäßig Liveübertragung von den Debatten aus dem Bundestag. Das die aber selten in den Medien wahrgenommen werden und auch nur in wenigen Fällen hohe Einschaltquoten haben, liegt daran, dass sich eben viele Menschen nicht dafür interessieren.

In den USA, wo sogar die Tagungen der Sonderausschüsse live übertragen werden, sorgte vor allem die Aufarbeitung der Clinton-Lewinksy-Affäre und besonders der Versuch, gegen Clinton ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten, für Rekorde bei den Einschaltquoten. Allein an diesem Beispiel wird manche naive Vorstellung widerlegt, dass allein eine Liveübertragung solcher Debatten schon der Demokratie förderlich sei. Denn die Debatten der Clinton-Jäger bewegten sich auf dem Niveau von Bild TV.

Auf dieser Ebene dürfte die Debatte um Stuttgart 21 nicht enden. Hier könnte eher eine zu spezielle Diskussion den Kreis der Zuschauer dezimieren. Dass schon bei der zweiten öffentlichen Sitzung ein Techniker und ein Parteipolitiker das große Wort führten und die in letzter Zeit so viel zitierten Männer und Frauen von der Straße nur in einer Statistenrolle blieben, sollte zumindest Anlass zur Skepsis sein, wenn im Gefolge der Debatte um Stuttgart 21 von neuen Formen der Partizipation geredet wird.

Vom Ausrufen der Dagegen- und Barrikaden-Republik

Nun ist es die Methode von Medien, möglichst immer gleich Stempel aufzudrücken und einzelne Phänomene zu verallgemeinern. Sicher war der Protest von Stuttgart für deutsche Verhältnisse beachtlich, wenn man sich aber vergegenwärtigt, dass im Nachbarland Frankreich in der letzten Woche ein Großteil der Raffinerien belagert waren und in der Folge der Benzinmangel den Alltag vieler Menschen bestimmte, relativeren sich die Ereignisse von Stuttgart erheblich. Gemessen an der medialen Beachtung, die die Auseinandersetzung um das Bahnprojekt hier bekommt, hätte man in Frankreich von einer vorrevolutionären Situation reden müssen.

Auffällig ist die völlige Geschichtslosigkeit, die sich in der Berichterstattung über die Stuttgarter Proteste konstatieren lässt. Da wird der Eindruck erweckt, als wären nun das erste Mal bisher politisch nicht in Erscheinung getretene Bürger auf die Straße gegangen, wodurch die Proteste auch eine besondere Qualität bekommen hätten. Als wäre nicht die Anti-AKW-Bewegung das prägnanteste Beispiel eines solchen Bürgerprotestes, dem sich die Linken danach anschlossen. Oder als hätte es nicht Anfang der 80er Jahre eine Fülle von Bürgerinitiativen quer durch die Republik gegeben, wo Menschen wie jetzt in Stuttgart darüber klagten, dass ihre ganz persönlichen Belange von den Parteipolitikern nicht wahrgenommen werden.

Viele dieser Bürgerinitiativen haben im Laufe der Jahre allerdings ihr Verhältnis zu den Parteien verändert. Oft gibt es ein Verhältnis der friedlichen Koexistenz mit verteilten Rollen. Auf der größeren Politik haben sich viele Bürgerinitiativen zu Nichtregierungsorganisationen entwickelt, die heute auch von offiziellen Politikern anerkannt und geschätzt werden. Sie haben gerade nicht, wie in den frühen 80er Jahren manche befürchteten oder erhofften, die Parteipolitik ersetzt, sondern arbeiten ihr zu. Sie dienen sogar manchmal als Frühwarnsystem für die offizielle Politik. Zumindest die schlaueren Politiker aus den unterschiedlichsten Spektren erkennen diese Rolle an.

Vor knapp 10 Jahren war es dann die Bewegung von Seattle, später auch die globalisierungskritische Bewegung genannt, die die hiesigen Medien ins Vibrieren brachte. Auch damals wurde schon die Frage gestellt, ob sich jetzt eine neue Bewegung etabliert, die die politischen Pläne von Staaten und Organisationen wie dem IWF und der Weltbank ins Wanken bringt. Diese Art der Berichterstattung hat auch vielen Bewegungsaktivisten geschmeichelt, weil sie einen politischen Einfluss suggerierte, den die globalisierungskritische Bewegung zumindest in Deutschland nie gehabt hatte.

Nun wird mit dem Begriff Stuttgart 21 eine ähnliche Labelpolitik betrieben. Darunter werden eigenständige Bewegungen wie der Widerstand gegen den Castortransport dann im Zweifel ebenso subsumiert wie Villenbesitzer am Rande von Berlin, die sich über die Änderung von Flugrouten beim Flughafen Berlin-Brandenburg-International beschweren. Das Label Stuttgart 21 rückt sie jetzt in einen überregionalen Protestkontext, obwohl es solche lokalen Widerstände gegen Verkehrsprojekte immer gegeben hat. Absurd ist es nur, deswegen eine Dagegen-Republik oder gar eine Barrikaden-Republik mit einer Protestwelle, die ein Spiegel-Schreiber durch Deutschland rollen sieht, herbei zu halluzinieren.

Von der Volksabstimmung zum gesunden Volksempfinden

Das Pendant zu diesen Szenarien sind manche akademischen Bewegungssurfer, die sicher bald auch ein entsprechendes Buch zum Phänomen Stuttgart 21 auf dem Markt werfen werden. Einer dieser Bewegungssurfer, der Sozialpsychologe und Kulturwissenschaftler Harald Welzer, der in der letzten Dekade kaum ein aktuelles Thema ausließ, hat im Taz-Interview auch schon einige Konsequenzen aus Stuttgart 21 formuliert. Heraus kommen Banalitäten wie:
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 An verschiedenen Stellen unserer Republik regt sich Protest dagegen, sich Entscheidungen aufoktroyieren zu lassen, die man als Teil des politischen Gemeinwesens nicht zu tragen bereit ist… Der allgemeine Nenner ist, dass sich die Leute nicht mehr durch die traditionelle Parteienpolitik vertreten fühlen, und das trifft die Volksparteien im Allgemeinen. Insofern wird diese Art von Protest auch nicht zurückgehen.
Harald Welzer

Solche Einschätzungen waren schon in den frühen 80er Jahren häufig zu lesen. Wenn Welzer dann das Lob der Kleinteiligkeit anstimmt und auch in Protesten von Villenbesitzern gegen die Flugrouten keinen Wohlstandsegoismus wahrnehmen will, merkt man, dass seine ständige Berufung auf den Bürger eben nicht nur Rhetorik ist. Hier wird tatsächlich der mündige Bürger beschworen, der seine Interessen auch im außerparlamentarischen Raum im Zweifel besser durchzusetzen vermag, als ein Hartz-IV-Empfänger oder eine migrantische Familie. Nicht erst der Ausgang der Volksabstimmung zur Schulreform in Hamburg machte deutlich, dass man auch mittels Volksabstimmungen eine knallharte Lobbypolitik für die Besserverdienenden und Besservernetzten betreiben kann.

In der Schweiz, wo Volksabstimmungen, Teil des politischen Systems sind, ist diese Erkenntnis nicht besonders überraschend. Nur in der deutschen Debatte hat man gelegentlich den Eindruck, es könnte die reine direkte Demokratie ausbrechen, die die gesellschaftlichen Ausbeutungs- und Ausgrenzungsmechanismen ignorieren kann. Wenn, wie in Hamburg geschehen, Benachteiligungen von sozial schwächeren Menschen durch Volksabstimmungen bestätigt werden können, sind nicht mehr die Politiker verantwortlich. Die Ausgegrenzten sind direkt mit einem sogenannten Volkswillen konfrontiert, in das sich bei manchen Themen auch schnell das „gesunde Volksempfinden“ mischen kann. Eine direkte Demokratie, die über den Wohnort von Straftätern oder über die Sanktionen für Flüchtlinge und Langzeiterwerbslose entscheiden könnte, wäre hier und heute eher eine Horrorvorstellung.

Neue Herrschaftstechniken

In der letzten Zeit hat sich auch bei manchen Freunden der direkten Demokratie etwas mehr Realismus breit gemacht. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit im Berliner Vorwahlkampf einen Vorschlag lanciert, nach dem auch Politiker vor der Bestätigung eines Großprojekts die Bevölkerung befragen könnten, geriet unter Populismusverdacht. Allerdings ist die Begründung des befragten Politologen nicht stimmig, wenn er die Schweiz als positives Gegenbeispiel anführt:
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 Das Referendum in der Schweiz ist als Kontrollinstrument von unten konzipiert. Das heißt, die Bürger sammeln Unterschriften und stellen dann ein Verwaltungsvorhaben auf den Prüfstand. Herr Wowereit will, dass die Regierung die Möglichkeit hat, ein Referendum durchzuführen.

Nicht nur das Volksbegehren über das Minarettverbot hat verdeutlicht, dass in der Schweiz Volksbegehren immer wieder zu populistischen Zwecken eingesetzt werden und die Unterschriften sammelnden Bürger nicht selten Mitglieder von den unterschiedlichen Parteien nahestehenden Vorfeldorganisationen sind, die mittels Volksabstimmung ihre Programmatik durchsetzen wollen. Die rechtskonservative SVP ist damit öfter besonders erfolgreich, aber auch andere Parteien bedienen sich dieser Methoden.

Bisher waren die meisten deutschen Politiker, mit Ausnahme der Grünen, gegenüber dem Instrument der Volksbefragung reserviert eingestellt. Das könnte sich jetzt ändern und gerade hierin könnte ein Langzeitergebnis der Debatte um Stuttgart 21 liegen. Denn dass man in Zukunft bei solchen Projekten die Bürger besser einbinden und mitnehmen muss, dieser Erkenntnis verschließen sich heute selbst Unionspolitiker nicht mehr. Sehr prägnant hat der SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Friedrich in einen Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau auf den Punkt gebracht, wie der Einbau plebiszitärer Elemente in das deutsche Verfassungssystem neue Herrschaftstechniken etablieren könnte:
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 Gerade umstrittene Entscheidungen oder Großprojekte können dadurch besser legitimiert werden und eine breitere Unterstützung finden, als dies über parlamentarische Beschlüsse allein möglich ist. Volksbegehren und Volksabstimmungen entwerten keinesfalls parlamentarische Entscheidungsverfahren, sondern verstärken sie.
Peter Friedrich

Doch die erste Übung in mehr direkter Demokratie ging für die Parteien gründlich schief. Am vergangenen Freitag lehnten im Stuttgarter Landtag CDU und FDP einen Antrag der SPD nach einer Volksabstimmung zu Stuttgart 21 vor der Landtagswahl im kommenden März ab. Die Grünen enthielten sich, mit der Begründung, die SPD wolle mit der Befragung das Projekt durch die Bevölkerung bestätigen lassen. Die Grünen aber haben aber wohl auch nicht genug Zutrauen in die vielzitierten mündigen Bürger, dass die das Kalkül durchschauen und gegen Stuttgart 21 stimmen könnten.

Auch der Vorwahlkämpfer Wowereit hat, aller Rhetorik vom mündigen Bürger zum Trotz, jetzt gleich zwei Schlappen innerhalb weniger Tage hinnehmen müssen. Erst erreichte ein Volksbegehren, das die Offenlegung von Geheimverträgen zur Berliner Wasserprivatisierung fordert, das notwenige Quorum an Unterschriften, damit es weiter betrieben werden kann (Berliner dürfen voraussichtlich über die Offenlegung von Geheimverträgen abstimmen). Dann veröffentlichte die Taz Auszüge aus diesen Verträgen, wodurch die Vermutungen der Kritiker in Bezug auf die Gewinnzusagen an private Firmen bestätigt wurden.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33591/1.html

Peter Nowak