Erwerbsloser bekommt Hausverbot im Jobcenter

AMT Neuköllner soll Sachbearbeiter bedroht haben – er bestreitet das. Rund 60 Hausverbote pro Jahr
„Hiermit verbiete ich Ihnen vom Tag der Zusendung dieses Schreibens für die Dauer eines Jahres, die Liegenschaft des Jobcenters Neukölln zu betreten“, teilte Konrad Tack, Geschäftsführer des Neuköllner Jobcenters, dem Erwerbslosen Peter B. per Einschreiben mit. Er habe bei seinem letzten Termin im Jobcenter seinen Sachbearbeiter bedroht und den Geschäftsablauf gestört, so die Begründung.

Peter B. bestreitet, den Mitarbeiter bedroht zu haben. Er sei aber erregt gewesen und habe mit der flachen Hand auf den Tisch geschlagen, weil ihm zum wiederholten Mal eine Weiterbildung zum Veranstaltungsfachwirt verweigert worden sei. Der 47-jährige Neuköllner, der seit einem schweren Autoanfall zu 70 Prozent arbeitsunfähig ist, will in einer Konzertagentur arbeiten. Vom Jobcenter werde die Förderung mit der Begründung abgelehnt, nach 16-jähriger Arbeitslosigkeit fehle ihm die Berufserfahrung.

Der Sprecher der Berliner Arbeitsagenturen, Uwe Mählmann, erklärt, aus Datenschutzgründen zu dem Fall keine Auskunft geben zu können. Hausverbote seien allerdings keine Seltenheit, die Arbeitsagenturen würden etwa 60 im Jahr aussprechen, „deren Befristung von einen Tag bis zu einen längerfristigen Zeitraum reichen kann“.

Aussprechen kann ein Hausverbot nur der Geschäftsführer, sagt Harald Thome vom Erwerbslosenverein Tacheles e. V. Der Betroffene müsse allerdings zuvor die Möglichkeit haben, den Vorgang aus seiner Sicht darzulegen. Zudem könne der Erwerbslose innerhalb einer Frist Widerspruch gegen das Hausverbot einzureichen, der von einer aus Mitgliedern der Jobcenter-Verwaltung bestehenden Beschwerdestelle entschieden wird.

Das Problem: Von Hausverboten betroffene Erwerbslose sind nicht vom Nachweis bestimmter Pflichten, etwa der Vorlage von Bewerbungen, befreit. Dazu können sie vom Jobcenter geladen werden. Für diese Termine wird das Hausverbot außer Kraft gesetzt. „Schwierig wird es in den Fällen, in denen Erwerbslose selber mit dem Jobcenter in Kontakt treten wollen, etwa um einen Antrag zu stellen“, sagt Martin Künkler von der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen. Theoretisch könnten sie ihre Anliegen zwar schriftlich einreichen, doch in der Praxis habe sich gezeigt: Ohne persönliches Erscheinen würden die Anträge häufig liegen bleiben.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2010%2F12%2F01%2Fa0156&cHash=5391150458

Peter Nowak

Nix los mit der sozialen Bewegung?

Der geringe Widerstand gegen die Sparpakete macht die außerparlamentarische Linke ratlos
Etwa 3000 Menschen haben vergangenen Freitag in der Nähe des Berliner Reichstags gegen das Sparpaket der Bundesregierung protestiert. Ein Drittel davon Berliner Schüler, die sich den Protesten angeschlossen haben. Die von den beschlossenen Kürzungen am meisten betroffen sind, die Ärmsten der Gesellschaft, waren hingegen zu Hause geblieben. Martin Behrsing vom Erwerbslosenforum Deutschland schlägt deshalb eine politische Richtungsänderung vor. Statt der Betroffenen solle die Mittelschicht mobilisiert werden. Den sozialen Bewegungen müsse es gelingen, »exponierte Vertreter der bürgerlichen Mitte für das Anliegen der Deklassierten zu gewinnen, um die soziale Frage als das solidarisch verbindende Element weiter Teile unser Gesellschaft in den Vordergrund zu rücken, ohne sich von der bürgerlichen Mitte vereinnahmen zu lassen«.
Solche konkreten Vorschläge sind wenige Tage nach der Aktion in der Nähe des Bundestages noch selten. Die Ratlosigkeit ist bei vielen Aktivisten groß. Klar ist für viele nur, der heiße Herbst war kälter erwartet.

 Das wurde auf einer Konferenz des bundesweiten Krisenprotestbündnisses in Berlin am vergangenen Wochenende deutlich. Dort wurde eine selbstkritische Analyse angemahnt. Man müsse darüber reden, warum es der sozialen Bewegung nicht gelungen sei, in diesem Herbst einen Punkt zu setzen, meinte Guido Grüner von der Arbeitslosenselbsthilfe (ALSO). Die Organisation hatte mit einer bundesweiten Erwerbslosendemonstration am 10. Oktober die Proteste dieses Herbstes eingeläutet. Aber das Ziel, dass Erwerbslose überall da, wo sich Politiker der Hartz-IV-Parteien treffen, mit Kochtopf und Löffel Krach schlagen, sei bisher nicht erreicht worden, stellte Grüner fest.

Ein Gewerkschafter sieht in der veränderten wirtschaftlichen Situation einen Grund für die aktuelle Protestflaute. Vor einem Jahr habe kaum jemand für möglich gehalten, dass sich die Wirtschaft so schnell wieder erhole und der Anteil der Erwerbslosen und Kurzarbeiter zurückgehe.

Auch die linke Organisation Avanti sieht in der falschen Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung einen Grund für den Misserfolg. »Kaum jemand hat damit gerechnet, dass die Bundesregierung binnen kurzer Zeit 480 Milliarden Euro mobilisieren würde und schon zwei Jahre nach dem Crash der Finanzwelt ein ›Jobwunder‹ und Wirtschaftswachstum verkünden könnte«, schreibt Avanti in einer Stellungnahme und kommt zu dem ernüchternden Fazit: »Bislang ist der Versuch, die ökonomische in eine politische Krise zu überführen, gescheitert.« Das trifft vor allem auf die Versuche zu, in den sozialen Protesten die Aktionsform der Blockade zu verankern. Eine für den 18. Oktober in Frankfurt am Main geplante Bankenblockade war von den Organisatoren wegen zu geringer Resonanz kurzfristig abgesagt worden. In Berlin scheiterte die »Bundestagsbelagerung« am Freitag ebenfalls.

Florian Wilde, Bundesvorstand des Studierendenverbandes Die Linke.SDS, betrachtet nicht nur in Deutschland die Krisenproteste mit Ernüchterung. »In vielen europäischen Nachbarländern gab es viel größeren Widerstand und auch Streiks. Aber die Verabschiedung der Spar- und Kürzungsbeschlüsse konnte in keinem Land verhindert werden.«

http://www.neues-deutschland.de/artikel/185427.nix-los-mit-der-sozialen-bewegung.html

Peter Nowak

Dunkelziffer dürfte viel höher sein

Wolf-Dietrich Molzow unterstützt die Klage gegen Bayer-Schering
  
ND: Was fordern Sie von Bayer-Schering?
Molzow: Die Firma soll die Verantwortung übernehmen und für die Schäden aufkommen, die durch die Anwendung von Duogynon entstanden sind. Als erstes muss die Firma die Akten öffentlich machen, die vorhanden sein müssen.

Gibt es Schätzungen über die Zahl der Betroffenen?
Es haben sich in der letzten Zeit bei André Sommer etwa 200 Menschen gemeldet. Die Dunkelziffer dürfte aber viel höher sein. Viele Betroffene scheuen die Öffentlichkeit. Zudem dürfte in vielen Fällen der Zusammenhang zwischen körperlichen Schädigungen und der Einnahme von Duogynon noch gar nicht bekannt sein.

Wann haben Sie selber Ihre Missbildungen – ca. 30 cm lange knielose Beine mit nur einem gebogenen Knochen, mangelhaft ausgebildete Hüftgelenke und verkürzte Oberarme – mit dem Medikament in Verbindung gebracht?
Nachdem der Gynäkologe meiner Mutter seine Praxis aus Altersgründen geschlossen hatte, sprach dessen Sprechstundenhilfe meine Mutter auf der Straße an und sagte, das seien die Folgen der Duogynon-Injektion. Meine Mutter hat allerdings nichts unternommen.

Sind Sie in der Angelegenheit aktiv geworden?
Ein Rechtsanwalt, der auf Fälle von Schädigungen durch Medikamente spezialisiert ist, gab mir die Auskunft, ich müsse mir einen Gutachter suchen, der den Zusammenhang zwischen meiner Schädigung und der Einnahme von Duogynon durch meine Mutter bestätigt. Dies dürfte aber sehr schwierig sein. Mittlerweile ist das öffentliche Interesse an den Folgen von Ärzte- und Medikamentenfehlern jedoch gewachsen.

Der Contergan-Skandal ist immer noch der bekannteste Fall.
Er ist auch ein trauriges Beispiel. Das Verfahren wurde gegen die Zahlung einer Geldsumme eingestellt, die bei 1000 Betroffenen über 50 Jahre verteilt für monatlich knapp 200 DM ausgereicht hätte. Man hatte nicht gedacht, dass es so viele Opfer dieses Medikaments gibt und dass sie so lange leben.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/185344.dunkelziffer-duerfte-viel-hoeher-sein.html

Interview: Peter Nowak

Sieg für die Schweizer Sarrazin-Partei

Die von der SVP initiierte Volksabstimmung zur „Ausschaffung von kriminellen Ausländern“ wurde bei einer hohen Wahlbeteiligung von knapp 53 % der Abstimmenden unterstützt
Die rechtskonservative Schweizer Volkspartei jubelt. „Das Schweizer Volk sagt ja zur Ausschaffung krimineller Ausländer“, heißt es auf ihrer Homepage. Die von der SVP initiierte Ausschaffungsinitiative wurde bei einer hohen Wahlbeteiligung von knapp 53 % der Abstimmenden unterstützt. Sie lautet im Wortlaut:

„Sie (die Ausländerinnen und Ausländer) verlieren unabhängig von ihrem ausländerrechtlichen Status ihr Aufenthaltsrecht sowie alle Rechtsansprüche auf Aufenthalt in der Schweiz, wenn sie:
a. wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts, wegen einer Vergewaltigung oder eines anderen schweren Sexualdelikts, wegen eines anderen Gewaltdelikts wie Raub, wegen Menschenhandels, Drogenhandels oder eines Einbruchsdelikts rechtskräftig verurteilt worden sind; oder
b. missbräuchlich Leistungen der Sozialversicherungen oder der Sozialhilfe bezogen haben.“

Außerdem werden die Strafen für eine illegale Einreise in die Schweiz und die Missachtung des Einreiseverbots verschärft.

Zur Wahl stand auch noch eine moderate Verschärfung des Ausländerrechts, die die bürgerlichen Parteien jenseits der SVP unterstützt haben, die aber keine Mehrheit bekommen hat. Grüne, Sozialdemokraten und die linkssozialistische Partei der Arbeit haben zur Ablehnung beider Initiativen aufgerufen.

In den letzten Wochen war in der Schweiz eine heftige Diskussion darüber entbrannt, ob aus taktischen Gründen die moderate Verschärfung unterstützt werden soll, um den SVP-Entwurf ins Leere laufen zu lassen. Gegner einer solchen Taktik warnten davor, aus Angst vor der SVP Verschärfungen des Ausländerrechts zuzustimmen. Sie wiesen darauf hin, dass die beschlossene Verschärfung mit internationalen Verträgen kollidiert und deshalb von der Europäischen Justiz gekippt werden kann. Allerdings wurde dieser Einwand auch schon beim Minarettverbot geäußert, das noch in Kraft ist.

Auch dieser Vorstoß war von der SVP initiiert worden und hatte europaweit große Beachtung gefunden. Vor allem die europäischen Rechtsparteien sehen in der SVP ihr großes Vorbild. So erklärte der österreichische FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache nach dem Erfolg der Ausschaffungsinitiative:

„Die Schweizer führen uns wieder einmal vor, wie es geht.“

Die SVP, die von einem Rundfunkkorrespondenten als Schweizerische Sarrazin-Partei bezeichnet wurde, nutzt das Instrument der Volksabstimmung zur Durchsetzung ihrer Politik. Die hiesige Sarrazin-Debatte lässt vermuten, dass in Deutschland bei solchen Volksabstimmungen die Ergebnisse nicht viel anders als in der Schweiz wären.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/148830

Peter Nowak

Klimaschutz mit Haken

Keine Standards für Menschenrechte

Pünktlich zum Klimagipfel im mexikanischen Cancún veröffentlicht die Heinrich Böll Stiftung eine Studie, die sich kritisch mit den Klimafinanzhilfen befasst. »Milliardensummen aus öffentlichen Quellen werden für den internationalen Klimaschutz in Entwicklungsländern benötigt, doch es gibt keine qualitativen Standards dafür«, moniert Barbara Unmüßig von der grünennahen Stiftung. Es bestehe sogar die Gefahr, dass die Finanzhilfen Menschenrechtsverletzungen und neue Umweltzerstörungen förderten.

 Die hiesige Energiediskussion zeigt überdies, wie schnell sogar Atomkraftwerke zu Klimarettern hochgejubelt werden. Ähnliches geschieht im globalen Süden mit Monokulturen für die Gewinnung von Biotreibstoffen. Diese profitträchtige Entwicklung bedroht nicht nur die Ernährungsgrundlage vieler Menschen, sie ist auch wesentliche Triebkraft der klimaschädlichen Abholzung von Urwäldern.

Die aktuelle Studie will mit einem Kriterienkatalog für förderwürdige Klimaprojekte verhindern, dass im Namen des Klimaschutzes Menschenrechte unter die Räder kommen. Doch Papier ist geduldig. Zur konkreten Umsetzung braucht es Druck von sozialen Bewegungen vor Ort. Daher sind zwei Punkte in der Studie besonders wichtig.

Künftig sollten vom Klimawandel Betroffene an den Entscheidungen für Klimaschutzprojekte beteiligt werden. Notwendig sei außerdem die Einrichtung von unabhängigen Beschwerdemechanismen, so dass die Betroffenen, etwa Kleinbauern, Frauen oder indigene Bevölkerungsgruppen, öffentlich Rechenschaft für fehlgeschlagene Projekte einfordern können. Damit könnte man beim Gastgeberland der Klimakonferenz anfangen. Ein in der Provinz Oaxaca geplantes Windkraftprojekt nütze nur den Politikern und den reichen Bauern, während die Region dadurch noch mehr verarme, kritisieren soziale Gruppen aus der Region.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/185214.klimaschutz-mit-haken.html

Peter Nowak

Rote Karten an der Siegessäule

Nach der geringen Resonanz bei den Aktionen gegen das Sparprogramm der Bundesregierung stellt sich die Frage nach der Zukunft der Krisenproteste
„Ohne die Beteiligung der Schüler wäre die Aktion ein totales Desaster geworden“ – das Urteil eines Erwerbslosenaktivisten mag hart klingen. Nach der nur mäßig besuchten Protestaktion anlässlich der Verabschiedung des schwarz-gelben Haushalts im Bundestag am Freitag teilten allerdings viele Teilnehmer die ernüchternde Einschätzung. Mehrere Tausend Menschen hatten zunächst an einer Kundgebung vor dem Brandenburger Tor teilgenommen, später setzte sich noch ein Demonstrationszug in Richtung Großer Stern in Bewegung. Ein Drittel der etwa 3.000 Teilnehmer waren Berliner Schüler, die dem Aufruf des Bündnisses „Bildungsblockaden einreißen“ gefolgt sind.
 Angesichts der geringen Resonanz konnte von einer Bundestagsbelagerung an diesem Tag keine Rede sein. Alle Versuche, auch nur in die Nähe des Gebäudes zu kommen, wurden von der massiv auftretenden Polizei verhindert. Am Ende wurden in der Nähe der Siegessäule rote Karten gegen das Sparpaket hochgehalten. Als dann noch von einem Lautsprecherwagen fälschlich verkündet worden war, dass die unweit gelegene Bundeszentrale der CDU besetzt worden sei, machte sich eine große Polizeiarmada auf den Weg – immerhin konnte rund 1.000 Menschen mit einer weiteren Kundgebung den freitäglichen Autoverkehr für einige Zeit lahmlegen.

Soll das der Höhepunkt des monatelang vorbereiteten heißen Herbstes des sozialen Bewegungen gewesen sein? Die misslungene Bundestagsbelagerung dürfte vorerst der letzte Versuch gewesen sein, unter dem Label „Krisenproteste“ auf die Straße zu mobilisieren. Im Frühjahr 2009 waren die ersten Aktionen unter dem Motto „Wir zahlen nicht für Eure Krise“ organisiert worden. Die Resonanz war nicht berauschend, aber die Organisatoren hielten sie für ausbaufähig. Immerhin hatten zu jener Zeit auch die bürgerlichen Medien außerhalb des Feuilletons mitunter Marx zitiert und entdeckt, dass der Kapitalismus ein Verfallsdatum haben könnte.

Harmlose Gewerkschaften

Doch schnell zeigte sich, dass die Mehrheit der Gewerkschaften bei den Krisenprotesten nicht mitziehen würde. Vor allem die IG Metall propagierte im Schulterschluss mit den Unternehmern die Standortverteidigung, setzte auf Abwrackprämie und Kurzarbeiterregelung. Derweil übten sich die Organisatoren der Krisenproteste in Zweckoptimismus und redeten sich ein, die Bewegung werde doch noch wachsen, wenn die Krise bei den Menschen angekommen ist und die Bundesregierung endlich die Sparprogramme vor legen würde, die sie wegen der Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen lange in den Schubläden behalten hatte.

Im November 2010 muss dies als Selbsttäuschung erkannt werden. Die Bundesregierung hat mit der Gesundheitsreform und dem Sparpaket Maßnahmen eingeleitet, die Millionen Menschen in Zukunft massiv belasten werden. Der Protest dagegen wurde jedoch kaum wahrgenommen. Selbst Demonstrationen mit einer fünfstelligen Teilnehmerzahl – im Rahmen der Aktionswochen des DGB gegen das Sparpaket – fanden auf den Medien nur auf hinteren Seiten Platz. Was nicht zuletzt daran lag, dass die Aktionen derart konstruktiv angelegt waren, dass sie den Medien zu harmlos schien. Das Krisenbündnis musste auf seine eigenen Kräfte zurückgreifen – und die sind,  wie sich nicht erst am 26. November zeigte, sehr schwach.

Frustrierte Aktivisten

Das zeichnete sich schon ab, als die monatelang vorbereitete und für den 18. Oktober geplante Blockade von Großbanken in Frankfurt/Main wegen zu geringer Resonanz abgesagt werden musste. Bis auf einige hämische Artikel gab es in linken Medien und Internetforen kaum eine Auseinandersetzung darüber. Dafür wuchs der Frust bei den Aktivisten, die viel Zeit und Kraft in die Vorbereitung gesteckt hatten. Wie die Bankenblockade hatte auch die Bundestagsbelagerung das Ziel, die sozialen Proteste zu radikalisieren und Möglichkeiten des Widerstands jenseits von Demonstrationen aufzuzeigen. In beiden Fällen ist man nicht näher gekommen.

Auf einer Konferenz des bundesweiten Krisenprotestbündnisses wurde im Anschluss an die Berliner Demonstration am Freitag eine selbstkritische Analyse angemahnt. Man müsse jetzt ernsthaft darüber reden, warum es der sozialen Bewegung nicht gelungen sei, in diesem Herbst einen Punkt zu setzen, forderte Guido Grüner von der Arbeitslosenselbsthilfe. Ein Gewerkschafter bemängelte die überholte Krisenanalyse des Bündnisses. Den raschen Wirtschaftsaufschwung habe vor einem Jahr niemand für möglich gehalten. Statt der Krise komme nun mit sinkenden Arbeitslosenzahlen und weniger Kurzarbeit der Aufschwung „bei den Menschen in den Betrieben“ an – ein Aufschwung, der allerdings erkauft ist mit der Zunahme von prekären Beschäftigungsverhältnissen und Niedriglöhnen, die mit Hartz IV aufgestockt werden müssen. Für viele Erwerbslose wiederum findet die Krise nicht auf dem Börsenparkett statt, sondern bei Schikanen in Jobcentern und Beschäftigungsmaßnahmen. Ein Bündnis gegen diese Krisen im Leben vieler Menschen ist bisher nicht in Sicht.

http://www.freitag.de/politik/1047-rote-karten-an-der-siegessaeule

Peter Nowak

Der heiße Herbst ist ausgefallen

Nach den geringen Teilnehmerzahlen bei den Protesten gegen das Sparprogramm der Bundesregierung beginnt die Fehleranalyse
Ca. 3.000 Menschen haben gestern in der Nähe des Berliner Abgeordnetenhauses gegen das Sparpaket der Bundesregierung protestiert, das an diesem Tag beschlossen wurde.

Erst am Vortag wurde die geplante Demonstration gerichtlich genehmigt. Sie war wegen der Teilnahme von zwei antifaschistischen Gruppen verboten worden, weil das Landeskriminalamt befürchtete, dass ein Teil der Demonstranten in die Bannmeile eindringen könnte, um in die Nähe des Parlaments zu kommen. Diese Versuche gab es auch. Doch zur großen Überraschung der Polizei tauchte ein Teil der Demonstranten vor der Parteizentrale der CDU auf. Auch wenn ein großes Polizeiaufgebot den Zugang verhinderte, äußerten sich viele Aktivisten zufrieden mit dieser Aktion. Zumal die anderen Ziele des Protestes nicht wurden. Der Bundestag konnte nicht, wie angekündigt, belagert werden. Das Zücken von Roten Karten mehr als 2 Kilometer entfernt davon, war nicht einmal eine symbolische Aktion.

Die Gesamtbilanz des Aktionstages fällt noch viel negativer aus, wenn man berücksichtigt, dass der 26. 11. der Höhepunkt des heißen Herbstes der sozialen Bewegungen gegen die Krisenpolitik der Bundesregierung sein sollte Er begann mit einer lautstarken Erwerbslosendemonstration in Oldenburg. Doch schon die für den 18.Oktober geplante Bankenblockade in Frankfurt/Main musste wegen zu geringer Beteiligung abgesagt werden.

Im Rahmen der gewerkschaftlichen Aktionswochen gegen die Politik der Bundesregierung gab es in den letzten Wochen durchaus Demonstrationen mit einer Teilnehmerzahl im fünfstelligen Bereich. Auch an regionalen Protesten gegen die Sparpolitik, beispielsweise in Dresden, nahmen viele Menschen teil. Darauf wiesen Redner auf der Aktionskonferenz des bundesweiten Sozialprotestbündnisses in Berlin hin, das im Anschluss an die Demonstration begann. Dort äußerten viele Aktivisten ihre Ratlosigkeit angesichts der ausbleibenden Sozialproteste in Deutschland.

Selbstkritische Analyse angemahnt

Guido Grüner von der Oldenburger Arbeitslosenselbsthilfe plädierte dort für eine gründliche, selbstkritische Analyse der Krisenproteste. Ein Gewerkschafter wies darauf hin, dass ein Grund für die Protestflaute auch in der schnellen Erholung der Wirtschaft in Deutschland liege. Es handele sich dabei nicht nur um Propaganda der Bundesregierung, wie der Rückgang der Zahlen für die Kurzarbeit zeigt.

Auf diesen Aspekt wies auch das Bündnisprojekt Avanti in seiner Auswertung hin. „Bislang ist der Versuch, die ökonomische in eine politische Krise zu überführen, gescheitert. Bedeutsam hierfür war die relative Stabilität der bundesdeutschen Wirtschaft und die im weltweiten Vergleich enormen Finanzreserven, aber auch die geschickte Verzögerung der ‚gefühlten Krise‘ durch die Regierung.“ 
 
http://www.heise.de/tp/blogs/8/148822

Peter Nowak

Mindestlohn für den Standort Deutschland

Wegen der im Mai 2011 in Kraft tretenden Freizügigkeit für Arbeitskräfte aus Osteuropa sind scheinbar in Deutschland nun auf einmal alle für einen Mindestlohn – nur die FDP ziert sich noch
Eigentlich wollte die Bundesregierung die Chaoswochen hinter sich lassen, in denen sich die Koalitionäre auf offener Bühne stritten. Und dann das. Die FDP ändert bei der Frage eines Mindestlohns für Leiharbeiter innerhalb von Stunden ihre Position. Da war am vergangenen Donnerstag schon verkündet worden, dass auch die FDP ihren Widerstand aufgegeben hat, dann kam prompt das Dementi. Der liberale Fraktionsvize Heinrich Kolb betonte, seine Partei sehe in dieser Angelegenheit nach wie vor keinen Handlungsbedarf. Damit stellt sich die FDP gegen ein ganz breites Bündnis, das von der Linken über die SPD, die Grünen bis zur Union, den Bundesländern, den Gewerkschaften und auch Wirtschaftsvertretern reichte.
   

Faire Entlohnung statt Mindestlohn

Die von Kolb vorgetragene Alternative könnte allerdings auch bei Gewerkschaftern auf Zustimmung stoßen:

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 Wir wollen daher den Grundsatz des equal pay (gleicher Lohn für gleiche Arbeit) im Bereich der Zeitarbeit stärken. Die Angleichung an die Entlohnung der Stammbelegschaft des Entleihers ist sachgerecht und dient den Interessen der Zeitarbeitnehmer besser als ein Mindestlohn für die Zeitarbeitsbranche, den die FDP ablehnt.
Heinrich Kolb

 Auch die Begründung konnte direkt aus einem Think Thank der Gewerkschaften kommen:
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 Die mit den Hartz-Gesetzen seinerzeit von der rot-grünen Bundesregierung in das Arbeitnehmerüberlassungs-Gesetz (AÜG) eingeführte Tariföffnungsklausel hat zu einer Umkehrung des Regel-Ausnahmeverhältnisses geführt: Die Entlohnung der Zeitarbeitnehmer wird heute zu fast 100% per Zeitarbeits-Tarifvertrag festgelegt. Die Gleichbehandlung mit der Stammbelegschaft ist dahinter nahezu vollständig zurückgetreten.
Heinrich Kolb

Allerdings will die FDP das Prinzip equal pay in der Leiharbeitsbranche erst nach einer Anlernzeit anwenden.

Deutschland im November 2010. Die ganz große Volksfront für den Mindestlohn und die FDP stattdessen für gleichen Lohn für gleiche Arbeit? Hat also der Neoliberalismus endgültig abgedankt, wie verschiedene Experten im letzten Jahr auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise prophezeiten?

Nein, der ungewohnte Frontverlauf in Sachen Mindestlohn kommt nicht daher, dass alle ihr soziales Gewissen entdeckt haben. Es geht vielmehr um den Wirtschaftsstandort Deutschland. Im Mai 2011 tritt die Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus den neuen osteuropäischen EU-Ländern in Kraft. Zeitarbeitsfirmen mit Sitz in Polen könnten dann nach derzeitiger Rechtslage billige Arbeitskräfte nach Deutschland verleihen, die nicht den deutschen Tarifen unterliegen. Schon gibt es in der deutschen Zeitarbeitsbranche Überlegungen, mittels Tochterfirmen in Deutschland die Löhne zu drücken. Wirtschaftsexperten gehen davon aus, dass deutsche und nicht polnische Unternehmen von der Arbeitnehmerfreizügigkeit am meisten profitieren werden.

Allerdings ist die Zeitarbeitsbranche nur eine Gruppe innerhalb der deutschen Wirtschaft. Ein großer Teil der in der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände zusammengeschlossenen Unternehmensvertretern sieht in ihnen Konkurrenten, die polnische Tarifverträge auch nutzten könnten, um sich Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Teilen der Wirtschaft zu sichern. Darin liegt auch der Grund, warum sich der BDA-Präsident Dieter Hundt dafür einsetzt, dass der geltende Mindestlohn auch auf die ausländischen Zeitarbeitsfirmen ausgedehnt wird.

In dieser Frage treten die Interessenkonflikte zwischen verschiedenen Fraktionen der Wirtschaft besonders deutlich zu Tage. Aber solche Gegensätze gibt es auch in anderen Fragen häufig. Politiker, aber auch Interessenverbände sind in der Regel bestrebt, diese Widersprüche möglichst auszugleichen und erst gar nicht in die öffentliche Debatte zu bringen. Bei der Mindestlohndebatte ist das noch nicht gelungen. Gerade deswegen ist der Druck auf die FDP groß. Schon ist von einer Paketlösung die Rede. Danach würde die FDP einem Mindestlohn auch für ausländische Lohnabhängige akzeptieren, wenn die Weiterbildungsbranche und die Briefdienstleistungen aus dem Arbeitnehmerentsendegesetz gestrichen würden. Flächendeckende Mindestlöhne wären dann für diese Branchen nicht mehr möglich.

Angst vor den „Billigpolen“

Die Kontroverse ist noch nicht beendet. Doch auffällig ist, dass die Befürworter des Mindestlohns in der Regel nicht mit sozialen Argumenten, sondern mit Standortverteidigung auftrumpfen.

„Aber es ist auch bezeichnend, dass erst dann, wenn wieder der vermeintliche „Billiglöhner“ aus Polen vor der Tür steht, selbst liberale Politiker der Einführung einer Lohnuntergrenze in Deutschland doch nicht so abgeneigt sind“, schreibt eine Kommentatorin in der Taz. In diesem Szenario wird die Diskussion um die Einführung einer sozialen Maßnahme für alle Arbeitnehmer unabhängig von ihrer Herkunft mit der Angst vor den „Billigpolen“ orchestriert. Damit werden wieder neue Spaltungslinien aufmacht. Wer in den 90er Jahren verfolgt hat, wie polnische und andere osteuropäische Bauarbeiter zu Sündenböcken stilisiert und bei einer Bauarbeiterdemonstration sogar angegriffen worden sind, muss solche Töne äußerst kritisch sehen.

Auch der DGB argumentiert bei dieser Frage zwiespältig. In einer Meldung geht er immerhin darauf ein, dass auch deutsche Firmen von der Arbeitnehmerfreizügigkeit profitieren:
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 Dem Chef des Unternehmerverband für grenzüberschreitend tätige Zeitarbeitsfirmen IPP, Tomasz Major, zufolge gründen derzeit deutsche Leiharbeitsunternehmen Niederlassungen in Polen. „Einige haben von polnischen Rechtsanwälten Firmentarifverträge aufsetzen lassen, in denen Dumping-Stundenlöhne von vier, fünf Euro stehen.“
DGB

Wegen der deutlich gesunkenen Arbeitslosigkeit in Polen erwarte Deutschland aber „keine Flut“, wird Jerzy Golbik, Geschäftsführer des Leiharbeitsunternehmens Personnel International, zitiert. Wenn der Satz auch Entwarnung geben soll, werden doch Metaphern verwendet, die die Angst vor Kollegen aus dem Ausland eher verstärken. Dabei gibt es in der deutschen Arbeits- und Wirtschaftsgeschichte gute Beispiele, wie eine große Zahl von polnischen Arbeitskräften Ende des 19.Jahrhunderts ins Ruhrgebiet eingewandert ist und sich schnell zu einer der Stützen der damals entstehenden Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung entwickelte. „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit unabhängig von der Herkunft der Arbeiter“ lautete damals die Forderung.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33733/1.html

Peter Nowak

Unterwegs zum Nulltarif

Kampagne diskutierte kostenlosen Nahverkehr

 
Kostenlos mit Bussen und Bahnen im öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) unterwegs sein – dieses ehrgeizige Ziel hat sich die Kampagne »Berlin fährt frei« gestellt. Mit Buttons, Aktionen in der U-Bahn und der Webseite http://berlin-faehrt-frei.de/ für ihr Anliegen geworben. Am Mittwoch stellten sich die Aktivisten der Diskussion mit Vertretern von sozialen Initiativen, Gewerkschaften, Erwerbslosen- und Umweltverbänden.

 So unterstützte der  ver.di Betriebsgruppenvorstand der Vertrauensleute der BVG  Rainer Döring die Bemühungen, den öffentlichen Nahverkehr so günstig für möglich zu gestalten. Allerdings müsse man sich dann um Finanzierungsquellen bemühen. Schließlich darf es keine Lohneinbussen für  die  Beschäftigten geben, betonte der Gewerkschafter. Ein Vertreter der Gruppe „für eine  linke Strömung“  sieht das Grundrecht auf Mobilität  durch  einen  kostenlosen ÖPNV umgesetzt. Auch Uwe Hiksch von den Naturfreunden betonte, sein Verband vertrete das Recht auf Mobilität seit seiner Gründung. Einwände gegen einen kostenlosen ÖPNV kamen hingegen von einem Vertreter des Verkehrsclubs Deutschland (VCD).   

Wenn Radfahrer und Fußgänger  in die kostenlosen Bahnen und Busse umstiegen, aber nicht die Autofahrer, könnte die Luftverschmutzung sogar noch steigen, befürchtete er, erntete aber  Widerspruch. Rainer Wahls von der AG Soziales Berlin, der auch in einem Friedrichshainer Stadtteilladen mitarbeitet, erklärte, dass viele Autofahrer umsteigen würden, wenn der ÖPNV kostenlos wäre. Jutta von einer Erwerbslosengruppe aus Neukölln erinnerte daran, dass viele  Menschen mit geringen Einkommen gezwungen sind, zu Fuß zu gehen oder Fahrrad zu fahren, weil sie sich kein Ticket leisten können. Sie erinnerte auch an den hohen Anteil von Strafgefangenen wegen mehrmaligen Schwarzfahrens.

Eine Teilnehmerin der letzten öffentlichen  Kampagne „Berlin fährt frei“ musste die Erfahrung machen,  dass  das Tragen des Buttons mit dem Motto reichte, um von Kontrolleuren als vermeintlicher Schwarzfahrer festgehalten und erkennungsdienstlich behandelt zu werden. Dabei besaß die Aktivistin einen Fahrschein. Die  Buttons sollen jetzt stärker verbreitet werden, um deutlich zu machen, dass hier um eine politische Forderung  vertreten wird. Im nächsten Jahr soll eine Veranstaltungsreihe,  die auf dem Hearing angesprochenen Punkte vertiefen. Zudem will die Kampagne  mit ihrer Forderung auch in den Wahlkampf zum Berliner Abgeordnetenhaus intervenieren.  

https://www.neues-deutschland.de/artikel/185047.unterwegs-zum-nulltarif.html?sstr=Berlin|fährt|frei

  Peter Nowak

Repression verfeinert

Den Betreibern der   linken Berliner Buchläden  Schwarze Risse und 021 wurden vor wenigen Tagen Anklageschriften wegen des Verstoßes gegen das Waffengesetz und Befürwortung von Straftaten zu gestellt. Der Grund sind Broschüren, Plakate und Flyer zu verschiedenen politischen Themen, die in den Buchläden ausgelegt werden. Zu den inkriminierten Schriften gehört die Autonomenzeitschrift Interim ebenso, wie antimilitaristische Flugblätter und Plakate. Deswegen gab es bei den Buchläden allein in diesem Jahr sechs polizeiliche Durchsuchungen (ND berichtete).
Die Buchläden wehren sich dagegen und haben die Kampagne „Unzensiert lesen“ gestartet.  Die ging vor einigen Tagen  mit einer gutbesuchten Veranstaltung in Berlin an die Öffentlichkeit. 
Der Hamburger Publizist und Rechtsanwalt Oliver Tolmein hält von der These, dass die Repression immer schlimmer wird. Er verwies auf den sogenannten Deutschen Herbst in den späten 70er Jahren. Damals wurden Teilnehmer von angemeldeten Anti-AKW-Demonstrationen bei der Anfahrt von einem großen Polizeiaufgebot  auf Autobahnen gestoppt. Vermeintliche Drucker und Herausgeber der linken Zeitschrift Radikal wurden teilweise über einen längeren Zeitraum inhaftiert. Die gerichtlichen Verfahren zogen sich über  längere Zeit hin. Dennoch gibt die Zeitschrift Radikal mit größeren Pausen  bis heute. Die staatliche Repression hat in dem Fall ihr Ziel nicht erreicht, so Tolmein.
Ein Mauseklick mit strafrechtlichen Folgen
Dass sich mit der Entwicklung der technischen Möglichkeiten auch die Repression verfeinert, zeigte die Bloggerin Anne Roth an neueren Entwicklungen bei der strafrechtlichen Verfolgung von inkriminierten Äußerungen im Internet. So kann es  schon strafrelevant sein, wenn ein User auf Facebook den „Gefällt mir“ Button anklickt, um damit  politische Inhalte, wie etwa das Schottern des Castorgleises oder die Blockade eines Naziaufmarsches,  zu bewerteten. 
  Neue Extremismusklausel
Auf eine andere Form staatlicher Restriktion ging der Politologie Fritz Burschel ein. Vor allem in unionsregierten Bundesländern sollen zivilgesellschaftlichen Gruppen, die in den letzten Jahren im Kampf gegen Neonazis auch von staatlichen Stellen finanziert werden, eine Klausel unterzeichnen, in der sich nicht nur selber zur „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ bekennen sollen. Sie sollen auch sicherstellen, dass ihre Bündnispartner auf dem Boden der fdgo stehen. Diese Praktiken erinnern an die 70er Jahre, als in Westdeutschland  Bewerber für den öffentlichen Dienst auf ihre Verfassungstreue geprüft wurden. Schon eine Unterschrift für eine linke Initiative oder die Mitgliedschaft in der DKP reichte aus, um als Verfassungsfeind zu gelten und deswegen nicht Lehrer, Briefträger oder Lokführer werden zu können. Die BRD geriet wegen dieser Praxis im In- und Ausland stark in die Kritik und selbst frühere Verfechter des Radikalenerlasses bezeichneten ihn später als Fehler.
 Dazu trug im Wesentlichen eine Bewegung bei, die bis von der radikalen Linken bis in gewerkschaftliche und liberale Kreise reichte.   Die Solidaritätskampagne für die linken Buchläden steht dagegen noch am Anfang aber ist am Wachsen. So haben am vergangenen Wochenende auf der Linken Buchmesse in Nürnberg knapp 20 Verlage, darunter auch der Neues Deutschland Druckerei- und Verlag GmbH,  eine Unterstützungserklärung mit den Läden verfasst.   Sollten die juristischen Verfahren in Gang kommen, dürfte die Liste noch länger werden. 

https://www.neues-deutschland.de/artikel/184822.repression-verfeinert.html?sstr=Repression|verfeinert
Peter Nowak

Gestapo-Lager, KZ, Zwangsarbeiter-Hölle

Gestapo-Lager, KZ, Zwangsarbeiter-Hölle
GESCHICHTE Ein neuer Verein will sich mit der NS-Vergangenheit des Flughafengeländes Tempelhof befassen. Grabungen geplant

Am Montagabend hat sich der „Förderverein zum Gedenken an Nazi-Verbrechen um und auf dem Tempelhofer Flugfeld“ konstituiert. Rund 40 Personen folgten den Ausführungen von Beate Winzer, die seit fast 25 Jahren für eine Gedenkstätte für die NS-Opfer von Tempelhof kämpft.

Die historische Debatte um Tempelhof wurde lange fast ausschließlich auf die Ereignisse des Jahres 1948 – also die Luftbrücke – und den Kalten Krieg reduziert, so Winzer. „Dass sich auf dem Gelände 1933 ein Gefangenenlager der SS und der Gestapo sowie 1934 bis 1936 ein Konzentrationslager befand, wird kaum wahrgenommen.“ Der Verein will die braune Geschichte des Areals in Zusammenarbeit mit der Topographie des Terrors erforschen und zur Spurensicherung Grabungen durchführen.

Zur Historie des KZ auf dem Gelände gebe es zahlreiche historische Quellen. Schließlich war es als „Hölle am Columbiadamm“ in den ersten Jahren des NS-Regimes zum Inbegriff des braunen Terrors geworden. Allerdings seien noch viele Fragen offen, erklärte Frieder Böhne, der sich seit Jahrzenten bei den Vereinigten der Verfolgten des Naziregimes-Bund der AntifaschistInnen (VVN/BdA) für die Geschichtsaufarbeitung einsetzt. Ein Forschungsgegenstand könnte die Verfolgung Homosexueller durch die Nazis am Beispiel des KZ Columbiadamm sein. Dort habe zeitweise fast die Hälfte der Gefangenen aus Homosexuellen bestanden.

Schwieriger ist die Quellenlage bei den Zwangsarbeitslagern, die sich bis 1945 auf dem Areal befanden. Tausende meist sowjetische Kriegsgefangene mussten dort für die deutsche Kriegswirtschaft schuften. Tempelhof war eines der Zentren der deutschen Luftrüstung. „Jeder zehnte deutsche Bomber wurde hier produziert“, so Winzer.

Aus dieser Zeit gibt es kaum noch Spuren. Die Holzbaracken wurden schon kurz nach Kriegsende abgetragen. In Zeiten des Kalten Krieges war eine Erinnerung an die braune Geschichte des Areals nicht vorgesehen. Erst 1994 wurde unter der Ägide des damaligen Tempelhofer Bezirksstadtrats für Volksbildung, Klaus Wowereit, ein Mahnmal für die KZ-Insassen gegenüber dem Tempelhofer Feld errichtet.

Manfred Kühne von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung erklärte, dass seine Behörde erst nach der Öffnung des Flughafenareals aktiv werden konnte. Mittlerweile befasse sich eine Arbeitsgruppe mit der NS-Geschichte. Die genaue Formulierung des Forschungsauftrags müsse allerdings ebenso geklärt werden wie die Finanzierung. Allerdings hält es Kühne für realistisch, dass im kommenden Frühjahr erste Gedenktafeln mit Hinweisen auf KZ und Zwangsarbeit auf dem historischen Gelände aufgestellt werden.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2010%2F11%2F24%2Fa0145&cHash=f802d1673a

Peter Nowak

Protest vor dem Reichstagsgebäude teilweise verboten

 

Berliner Polizei verbietet Demonstration gegen Sparpaket, weil zwei antifaschistische Gruppen dazu mit aufrufen

Die Debatte um den neuen Haushalt hat heute im Bundestag begonnen. In diesem Rahmen soll am kommenden Freitag auch das Sparpaket beschlossen werden, das Einschnitte unter anderem bei Erwerbslosen und Rentnern vorsieht. Dagegen ruft seit Monaten ein breites Bündnis unter dem Motto Sparpakete stoppen am 26. November zur Belagerung des Bundestags auf. Heute hat die Berliner Polizei die geplante Demonstration verboten. Lediglich eine Kundgebung am Brandenburger Tor wurde genehmigt.

Im Vorfeld waren verschärfte Auflagen für die Proteste angekündigt werden, weil am 26. November der russische Präsident Putin zu Besuch in Berlin ist. Dieser Staatsbesuch spielt nun in der Verbotsverfügung keine Rolle mehr. Auch die erhöhte Sicherheit anlässlich der Terrorwarnungen, von denen auch der Reichstag betroffen ist, wird in dem Bescheid nicht erwähnt. Die Sicherheitsbehörden sehen offenbar doch in der Berliner linken Szene die größere Gefahr.

In der Begründung zum Verbot wird darauf verwiesen, dass zu den Protesten neben Untergliederungen der Linken, gewerkschaftlichen und sozialen Gruppen auch die Antifaschistische Linke Berlin und die Antifaschistische Revolutionäre Aktion aufrufen. Bei beiden Gruppen bestünde die Gefahr, dass sie in die Bannmeile um den Reichstag vordringen könnten und so die Sicherheit gefährden würden, begründete das Berliner Landeskriminalamt das Verbot.

Der Pressesprecher des Protestbündnisses Michael Prütz kündigte juristische Schritte gegen das Verbot an. Damit will er nicht nur die Proteste gegen das Sparpaket in der geplanten Form durchsetzen, sondern auch gegen die Einschränkung des Demonstrationsrechtes vorgehen. „Schließlich gab es in der Vergangenheit zahlreiche Demonstrationen, zu denen auch die beiden Organisationen mit aufgerufen haben, die jetzt als Begründung für das Verbot genannt werden.“ Sollte das Beispiel Schule machen, könnten in Zukunft viele Demonstrationen verboten werden, befürchtet nicht nur Prütz. Auf einer von dem Bündnis geplanten Pressekonferenz wird auch die Bezirksvorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Berlin sprechen. 
 http://www.heise.de/tp/blogs/8/148798

Peter Nowak

Grüne Angst vor dem Höhenflug

Die Umfrageergebnisse bereiten den Grünen nicht nur Freude, wie sich auf ihrem Parteitag in Freiburg am Wochenende zeigte
„Oben bleiben“, das Motto der Stuttgarter S-21-Gegner hätten viele Delegierte des Grünen Parteitags am Wochenende in Freiburg gerne übernommen. Doch die Parteitagsregie hat erkannt, dass soviel Populismus und das Schielen auf die Wahlumfragen medial nicht gut angekommen wären. Auf die Idee, das Motto des Castorwiderstands von Gorleben „Wir stellen uns quer“ zu übernehmen, ist selbst der linke Flügel nicht gekommen. Die Zeiten, in denen solche Parolen auf grünen Parteitagen Mehrheiten bekommen haben, sind lange vorbei.
   

Die Grünen bereiteten sich darauf vor, in künftigen Landesregierungen und vielleicht auch im Bund (Und am Ende ein Kanzler Trittin?) die Rolle des Juniorpartners zu verlassen und selber zur stärksten Partei zu werden. Ganz Optimistische träumen schon davon, in Baden-Württemberg das Ministerpräsidentenamt und in Berlin den Posten des Regierenden Bürgermeisteramts für die Partei zu reklamieren. Schon machen sich die Parteistrategen Gedanken, wie man der Parteibasis schonend beibringt, dass auch bei einer solchen Konstellation keineswegs die ökologische Republik ausgerufen wird und die grünen Parteitagsbeschlüsse nicht im Gesetzblatt stehen werden.

Eigentlich hatte man gemeint, dass die Grünen diese Phase längst hinter sich haben. Schließlich waren sie in unterschiedlichsten Konstellationen an Landesregierungen und sieben Jahre an der Bundesregierung beteiligt. Aber in allen Fällen befanden sie sich in der Rolle des Juniorpartners und mancher sah die Ursache von ungeliebten Beschlüssen darin, nun mal der kleinere Partner in der Koalition zu sein.

 Wenn dieses Argument wegfallen sollte und die Grünen auch unter einer Regierenden Bürgermeisterin Künast oder einem Ministerpräsidenten Kretschmann merken, dass sie nur an der Regierung, aber nicht an der Macht sind, dann sind sie endlich die ganz normale Partei, die viele ihrer Mitglieder schon lange sein wollen und einige wenige fürchten. So stellen sich schon manche die Frage, ob Stuttgart 21 nicht eher mit einer starken außerparlamentarischen Opposition verhindert werden kann, in der die Grünen ein Teil sind, als von einen grünen Ministerpräsidenten, der gar nicht so viele Möglichkeiten hat, das Projekt zu stoppen, aber den außerparlamentarischen Protest eher schwächt.

Schmerzhafte Entscheidungen

Um solche für die Wahlchancen nicht sonderlich geeignete Fragen erst gar nicht aufkommen zu lassen, haben führende grüne Politiker ihren Diskurs verändert. Seit die Grünen von der Unionschefin zum Hauptgegner erklärt wurden, ist die Diktion führenden Politiker staatstragender geworden. So redet Jürgen Trittin von einer Politik „Jenseits der Illusionen“ und wie alle Parteipolitiker von den künftigen schmerzhaften Entscheidungen und vom Haushaltsvorbehalt, der auch bei den Grünen künftig das Wünschbare vom Möglichen scheidet. Trittin hat auch schon erkannt, dass einer gestärkten grünen Partei auch der konservative Gegenwind heftiger entgegenwehen wird.

Kaum hat Künast in Berlin für mehr Tempo 30-Zonen geworben, machen die Autolobby und konservative Boulevardmedien mobil. In Berlin-Kreuzberg muss sich der grüne Bezirksbürgermeister mit Mietern auseinandersetzen, die nicht einsehen wollen, dass sie nach einer ökologischen Sanierung ihrer Wohnungen viel mehr zahlen sollen.

Wie sich die kräftigen Strompreiserhöhungen, die führende Stromkonzerne mit Verweis auf die gestiegenen Kosten für die Erneuerbaren Energien angekündigt haben, auf die Wahlpräferenzen auswirken, ist noch völlig offen. Doch gerade Menschen mit geringen Einkommen dürften damit kaum für Alternativenergie und die für sie werbenden Politiker zu gewinnen sein.

Gegen den Standort Gorleben und die Olympiade in München

Auf dem Parteitag in Freiburg war der der Widerspruch zwischen einer Realpolitik, die sich schon der Logik des Machbaren verschrieben hat, und einer Position, die sich auf gewisse grüne Grundsätze stützt, an mehreren Stellen zu beobachten. Am grünen Vorzeigethema Gorleben konnte ein Streit erst kurz vor Beginn des Parteitags beigelegt werden. Während im Leitantrag zur Energiepolitik der Standort Gorleben für ein Endlager nicht vollkommen ausgeschlossen werden sollte, konnte sich die kritische Basis durchsetzen. Nun soll ein Endlager nur noch außerhalb von Gorleben gefunden werden. Die Grünen wissen aber auch, dass, wo immer neue Projekte ins Auge gefasst werden, sich Initiativen unter Einschluss der lokalen Grünen dagegen wenden werden.

In der Frage der Münchner Olympiabewerbung 2018 konnte der Streit nicht mehr vor dem Parteitag geschlichtet werden. Eine knappe Mehrheit der Delegierten lehnte die Olympiabewerbung ab und Claudia Roth, die bisher für ihre Partei im Kuratorium der Bewerbergesellschaft gesessen hat, zieht sich zurück. Die übrigen Parteien hatten einmal mehr Gelegenheit, auf die „Dagegen-Partei“ zu schimpfen. Allerdings wurden sowohl die Olympiabefürworterin Roth als auch der Co-Vorsitzende Cem Özdemir mit guten Ergebnissen in ihren Ämtern bestätigt.

Von der Wohlfühl- zur Enteignungspartei?

Auch bei der Bürgerversicherung als Alternative zur Kopfpauschale im Gesundheitswesen folgten die Delegierten den zahmen Vorgaben der Parteigremien nicht. Sie beschlossen mehrheitlich, bei der Einführung einer Bürgerversicherung im Gesundheitssystem die Beitragsbemessungsgrenze auf 5.500 Euro zu erhöhen. Dieser Beschluss dürfte noch inner- und außerparteiliche Nachwirkungen haben.

Ein Kommentator der konservativen „Welt“ sieht die Grünen auf dem Weg zu einer Enteignungspartei und spricht von einem „Anschlag auf die Mitte der Gesellschaft“. Seit die CDU die Grünen zum Hauptgegner erklärt und schwarz-grüne Allianzen als nicht sinnvoll bezeichnet hat, kehren im rechten Blätterwald die alten Beißreflexe zurück. Selbst von Konservativen wurde gegenüber den Grünen solch schweres ideologisches Geschütz in letzter Zeit kaum noch aufgefahren. Es erinnert eher an die medialen Reaktionen aus einer Zeit, als Ökolinke wie Thomas Ebermann und Jutta Ditfurth wesentlich die Politik der Grünen bestimmten. Diese Zeiten sind aber endgültig vorbei.

Parteimitbegründerin Ditfurth erklärte im Interview mit dem Deutschlandfunk, dass die Grünen der 80er Jahre und die heutige Partei zwei völlig verschiedene Projekte sind. Über die aktuelle Zusammensetzung der Mitgliedschaft sagt Ditfurth:
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 Das eine ist, es gibt – und das ist eher das, was mich verwundert hat – ja immer noch einen Teil grüner Wählerschaft, die immer sagen, wir wollen es gar nicht so genau wissen, wir möchten aber gerne glauben dürfen, dass die Grünen immer auch noch ein ganz klein bisschen links sind, und diese Menschen werden demnächst aufwachen, weil sie mitkriegen, dass das, was den Grünen an neuen Mitgliedern und an neuen Wählern zufließt, dermaßen erzkonservativ ist, aber gerne mit gutem Gewissen, das sein möchte.
Jutta Dittfurth

Diese neue Mitglieder- und Wählerschicht könnte aber zu dem Klientel gehören, die bei dem beschlossenen Modell der Bürgerversicherung selber zur Kasse gebeten wird, wie die taz anmerkt. Parteiinterne Kritiker des Beschlusses wie Theresa Schopper erklärten nachher: „Wir müssen auch nach dem Parteitag erhobenen Hauptes über den Dorfplatz gehen können – ohne von wütenden Beamtinnen und Architektinnen beschimpft zu werden.“

Der weitere parteiinterne Umgang mit dem Beschluss könnte zum Lackmustext für die Grünen werden. Sie sind längst eine linksliberale Partei mit einer bürgerlichen Klientel und wenig Interesse an sozialen Themen. Ein linksliberaler Vordenker war in den frühen 70er Jahren Karl-Hermann Flach, der bei der FDP Liberalismus und soziale Demokratie versöhnen wollte. Die damals verabschiedeten Freiburger Thesen könnten für die Grünen als Erbin der Linksliberalen von Interesse sein. Doch wie viel soziale Gerechtigkeit ist das grüne Klientel bereit mitzutragen, wenn sie selber dafür zahlen soll? Sollte dieser Konflikt offen ausbrechen, könnte es mit den grünen Höhenflügen schnell vorbei sein. Parteipolitische Konkurrenz scheint aber für die Grünen zurzeit die geringste Sorge. Die Piratenpartei beispielsweise, die vor einem Jahr durchaus als Konkurrent für die Grünen wahrgenommen wurde, fand auf ihrem Parteitag in Chemnitz nur eine begrenzte öffentliche Resonanz.

Peter Nowak

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33705/1.html

Erneuerbare Preistreiber?

Für die Stromverbraucher beginnt das neue Jahr mit schlechten Nachrichten. Mit EnBW, RWE und Vattenfall haben gleich drei führende Energieversorger für 2011 Erhöhungen der Strompreise um bis zu zehn Prozent angekündigt. Dabei sind seit der Liberalisierung der Energiemärkte in der EU im Jahre 1998 die Strompreise in Deutschland bereits um ca. 40 Prozent gestiegen. Fast jedes Jahr fanden die Konzerne einen Anlass, an der Preisschraube zu drehen.

 Die besonders drastischen Erhöhungen im kommenden Jahr werden von der Stromwirtschaft mit dem unerwartet großen Zuwachs der erneuerbaren Energien begründet. Das einst von Rot-Grün auf den Weg gebrachte Gesetz für die Erneuerbaren Energien (EEG) regelt, dass dieser Strom zu einem bestimmten Preis von den Energiekonzernen abgenommen und ins Netz eingespeist werden muss. Damit sollten umweltfreundliche Energien subventioniert werden.

Gegen das EEG sind die Energiewirtschaft und die ihnen nahestehenden Politiker von Anfang an Sturm gelaufen. Dabei wird in der Diskussion gern unterschlagen, dass Subventionen für aus Kohle, Erdöl oder Atomkraft erzeugten Strom viel höher sind, als die Förderung der Erneuerbaren. Und diese Kosten werden auf den Stromrechnungen der Kunden nicht ausgewiesen.

Wie bei der Ökosteuer ist auch bei der Subventionierung der Erneuerbaren deren soziale Blindheit zu kritisieren. Sozialtarife für Menschen mit niedrigen Einkommen könnten verhindern, dass wieder einmal der Umweltschutz gegen soziale Belange ausgespielt wird.

Das Mitglied des Landesvorstands der Linken in Nordrhein-Westfalen, Thies Gleiss, schlägt als praktikables Modell ein kostengünstiges Stromkontingent für alle Verbraucher vor. Jede weitere Nutzung würde dann schnell teurer werden. Mit solchen Forderungen sollte sich auch die Umweltbewegung stärker befassen. Sonst könnte es passieren, dass die Erneuerbaren statt den Energiekonzernen als Preistreiber hingestellt werden und die Lobby der schmutzigen Energien davon profitiert.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/184655.erneuerbare-preistreiber.html

Peter Nowak

Ethecon-Preise für eine bessere Welt

Stiftung ehrt das Engagement von Flüchtlingsaktivist Elias Bierdel und übt scharfe Kritik an BP

Am Wochenende wurden in Berlin die diesjährigen Preise der Stiftung Ethik & Ökonomie (Ethecon) verliehen.
Als Stiftung, deren Leitmotiv eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung ist, bezeichnet Axel Köhler-Schnura Ethecon. Er ist Mitbegründer und Vorstandsmitglied der Stiftung für Ethik & Ökonomie, die seit 2006 jährlich je einen Positiv- und einen Negativpreis verleiht. Am Wochenende lud Ethecon in den Berliner Pfefferberg zur diesjährigen Auslobung. Zur Eröffnung hielt Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, eine mit viel Applaus bedachte Rede zum Anti-Atom-Widerstand.

Der Positivpreis »Blue Planet Award«, der für herausragende Leistungen zu Schutz und Rettung des »Blauen Planeten« verliehen wird und in diesem Jahr von der Düsseldorfer Fotokünstlerin Katharina Mayer gestaltet wurde, ging an Elias Bierdel. Der Flüchtlingsaktivist war 2004 wegen der Rettung von Flüchtlingen auf dem Schiff »Cap Anamur« kurzzeitig in Italien inhaftiert worden. Bierdel geißelte in seiner Dankesrede das Zusammenwirken deutscher und italienischer Politiker, das zur Diffamierung und jahrelangen juristischen Verfolgung der Flüchtlingsretter führte. Erst 2009 wurden er und der ebenfalls angeklagte »Cap-Anamur«-Kapitän Stephan Schmidt endgültig freigesprochen.

Bierdel wies darauf hin, dass mehrere Fischer, die Flüchtlinge aus Seenot gerettet haben, nicht so viel Glück hatten und verurteilt wurden. Der Begründer der Organisation »Borderline Europe« erinnerte in seiner sehr emotionalen Rede daran, dass auf der einen Seite alle Welt jubelte, als die Mauer in Berlin fiel. Auf der anderen Seite wird ignoriert, dass in der EU ein Grenzregime errichtet worden sei, das viel perfider und mörderischer ist, als es die innerdeutsche Grenze je war. Auch Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass stellte in seiner Solidaritätsadresse die »Festung Europa« an den Pranger: »Wo Menschen zu Tausenden einfach verschwinden können, ohne dass darüber gesprochen wird, wo im Namen der Sicherheit Kanonenboote auf Flüchtlinge losfahren, da sehen wir, wie das demokratische Europa sein letztes moralisches und politisches Kapital verspielt.«

Der Negativpreis von Ethecon geht an den britischen Ölkonzern BP, der nicht erst seit der Katastrophe im Golf von Mexiko jegliche Glaubwürdigkeit verloren hat. Der ehemalige Geschäftsführer Tony Hayward, sein Nachfolger Bob Dudley und der Vorstandsvorsitzende Carl-Henric Svanberg haben sich den »Black Planet Award 2010«, einen von einem Jugendlichen mit schwarzer Farbe bemalten Billigglobus, nach Ansicht von Winfried Wolf redlich verdient. In seiner Schmährede erinnerte der Chefredakteur der globalisierungskritischen Zeitschrift »Lunapark21« an eine ganze Reihe von Unfällen in der Verantwortung von BP, die auf Versäumnisse der Konzernführung zurückzuführen seien. Wolf betonte, dass der Schmähpreis zwar nur an die BP-Verantwortlichen geht, aber die gesamte Ölindustrie auf dem Pranger stehe. Im Zeitalter knapper werdender Reserven werde mit Tiefseebohrungen sowie Projekten in der Arktis immer rücksichtsloser nach Öl gesucht. Dass die Interessen der Bewohner dabei keine Rolle spielen, machte die US-Fischerin Diane Wilson in einem Grußwort deutlich. Sie wurde zu 800 Tage Haft auf Bewährung verurteilt und darf in dieser Zeit Washington nicht betreten. Grund: Während einer Senatsanhörung des damaligen BP-Geschäftsführers Tony Hayward protestierte sie lautstark und übergoss sich mit einer ölähnlichen Flüssigkeit. Im Gegensatz zu ihr wurde bisher gegen keinen einzigen BP-Verantwortlichen auch nur Anklage erhoben.

Aktivistin Wilson will den Negativpreis an BP aushändigen. Wie in den vergangenen Jahren soll auch in diesem Jahr die Übergabe des »Black Planet Award« mit politischen Aktionen verbunden werden. Dazu zählt auch die Veröffentlichung eines Dossiers in mehreren Sprachen, in dem dem Ethecon die Preisverleihung begründet.

Peter Nowak

http://www.neues-deutschland.de/artikel/184651.ethecon-preise-fuer-eine-bessere-welt.html