Karlsruhe prüft deutsche Asylpolitik

Von der Beurteilung des griechischen Asylsystems hängt die Zukunft vieler Flüchtlinge ab

Der Rechtsschutz für Asylbewerber steht auf dem Prüfstand. Das Bundesverfassungsgericht verhandelt an diesem Donnerstag über die drohende Abschiebung eines Flüchtlings nach Griechenland. Das Verfahren könnte grundlegende Bedeutung für den Rechtsschutz von Asylbewerbern haben.
 

Heute findet vor dem Bundesverfassungsgericht eine mündliche Verhandlung statt, auf die Flüchtlingsorganisationen und Antirassismusgruppen große Hoffnung setzen. Der Rechtsschutz für Asylbewerber steht auf dem Prüfstand. Der Beschwerdeführer ist ein irakischer Staatsbürger, der bereits in Griechenland einen Asylantrag gestellt hatte, bevor er nach Deutschland kam. Deshalb entschied das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dass sein Antrag unzulässig sei und ordnete die Abschiebung nach Griechenland an. Das Bundesverfassungsgericht stoppte die Abschiebung im September vergangenen Jahres jedoch einstweilig. Sollte diese Entscheidung Bestand haben, könnte das Auswirkungen auf das gesamte Asylsystem der Europäischen Union haben, in der die Verantwortung für Flüchtlinge sehr ungleich verteilt ist.

Konkret geht es um das seit 2003 bestehende Dublin II-Abkommen. Nach der in der irischen Hauptstadt beschlossenen Verordnung ist der EU-Staat für die Abwicklung eines Asylverfahrens zuständig, den ein Flüchtling zuerst betritt. Deutschland ist das wegen seiner zentralen Lage nur selten. Im Jahr 2009 erklärte sich das Bundesamt für Migration bei etwa 33 Prozent aller in Deutschland gestellten Asylanträge für nicht zuständig und richtete ein Übernahmeersuchen an einen anderen europäischen Staat. Griechenland hingegen ist für Flüchtlinge aus Irak, Iran oder Nordafrika das Tor nach Europa: Ihre Fluchtwege führen sie zuerst an die Ägäis.

Der 30-jährige Iraker, dessen Klage in Karlsruhe verhandelt wird, fürchtet, in Griechenland kein ordentliches Asylverfahren zu bekommen. Seit Jahren weisen Flüchtlingsorganisationen, aber auch der Europarat auf die Überlastung des griechischen Asylsystems hin. Gerade erst ermahnte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR die Regierung in Athen, umgehend menschenwürdige Bedingungen in den Lagern zu schaffen und den Flüchtlingen Rechtssicherheit zu gewähren.

»Das Land ist eine asylrechtliche Wüste«, sagt der Geschäftsführer von Pro Asyl Günter Burkhardt. Das Asylsystem sei »völlig kollabiert«. Bereits der Zugang zu einem Asylverfahren ist nicht sichergestellt, bestätigt die griechische Rechtsanwältin Giota Masouridou. Ein Aufnahmesystem für Schutzsuchende sei nicht vorhanden. Die Anerkennungsquote in der ersten Instanz liege seit Jahren nur wenig über null Prozent, die zweite Rechtsinstanz wurde 2009 abgeschafft. Aktuell seien fast 50 000 Asylverfahren unbearbeitet. »Die Folgen für die in Griechenland gestrandeten Schutzsuchenden sind Rechtlosigkeit, willkürliche Inhaftierung, Obdachlosigkeit und Hunger«, so die Athener Asylexpertin Masouridou.

Wegen dieser Zustände haben mehrere europäische Länder die Abschiebungen nach Griechenland gestoppt, darunter Holland, Belgien, Norwegen und Großbritannien. In Dänemark wurden nach Interventionen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte seit diesem Sommer über 200 Abschiebungen gestoppt. Auch in Deutschland verweigerten Verwaltungsgerichte in über 300 Fällen die Überstellung nach Griechenland. Das Bundesverfassungsgericht intervenierte seit vergangenem Herbst zugunsten von 13 Asylsuchenden, weil dort womöglich »bedrohliche rechtliche Defizite« herrschten.

Von den obersten deutschen Richtern wird nun eine Grundsatzentscheidung erwartet. Der Zweite Senat will prüfen, ob die Bundesrepublik Flüchtlinge automatisch in einen Ersteinreisestaat abschieben darf oder ob die Betroffenen Anspruch auf eine gerichtliche Überprüfung haben. Dass überhaupt eine mündliche Verhandlung stattfindet spricht dafür, dass Karlsruhe dem Verfahren eine fundamentale Bedeutung beimisst. Das Urteil wird in einigen Wochen erwartet.

Die Bundesregierung wehrt Änderungen an ihrer Abschiebepolitik bis jetzt ab. Sie macht es sich leicht und verweist auf die formale Einordnung jedes EU-Mitgliedstaates als »sicher«. In einer kleinen Anfrage erklärte sie im Dezember: »Die Bundesregierung hält an ihrer Auffassung fest, dass Griechenland ein sicherer Drittstaat im Sinne von Artikel 16a Absatz 2 GG ist.« Vielleicht müssen sich die Politiker wieder einmal von Karlsruhe korrigieren lassen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/182883.karlsruhe-prueft-deutsche-asylpolitik.html

Peter Nowak

Bezirksamt klagt gegen Randnotiz

Mietvertrag für Haus in der Reichenberger Straße soll juristisch legitimiert werden

Im Rathaus Kreuzberg tagt heute ab 17 Uhr die Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Schon um 16.30 Uhr wollen sich soziale Initiativen und Mieterorganisationen vor dem Rathaus treffen, um gegen Mietsteigerungen in dem Stadtteil protestieren. Der konkrete Anlass  sind drohende Mieterhöhungen in der Reichenbergerstraße 63a um bis zu 25 %. Dabei haben die Bewohner bis 2020 gültige Verträge, die ihnen einen niedrigen Mietzins garantieren.  Die Vereinbarung wurde 1990 während des ersten SPD-AL-Senats zwischen dem Bezirksamt und dem Verein der Bewohner geschlossen. Doch das Bezirksamt Kreuzberg-Friedrichshain klagt gegen den  Vertrag und beschuldigt einen mittlerweile pensionierten Mitarbeiter, die Befristung auf 2020 eigenmächtig handschriftlich eingefügt zu haben. Es fordert eine Neuverhandlung  mit höheren Mieten und kürzeren Fristen. 
Der Kreuzberger  Bezirksbürgermeister Franz Schulz führt finanzielle und  juristische Gründe für die Klage  des Bezirks und die Forderung nach Neuverhandlungen an.  
Während mit den Hausbewohnern ein niedriger   Mietzins  vereinbart sei,  bekommen die Hauseigentümer, die   Immobilienfirma Heymann und Kreuels (H&K),  die  ortsübliche Miete. Die Differenz zahle das Bezirksamt. Schulz sieht darin eine Subventionierung, die auch  vom  Landesrechnungshof beanstandet werden könnte.
„ Sollte das Gericht entscheiden, dass der Vertag bis 2020 gilt, werden wir das selbstverständlich akzeptieren. Aber dann haben wir  Rechtssicherheit“, betont Schulz.
Die Bewohnerin der Reichenbergestraße Julia Plöger äußert  gegenüber ND  ihr Erstaunen, dass das Bezirksamt gegen einen vom ihm selber abgeschlossenen Vertrag vor Gericht geht und dabei noch ehemalige Mitarbeiter im Regen stehen lässt.  „Der günstige Vertrag war auch ein Ergebnis der Instandbesetzerbewegungen in den 80er Jahren. Die drohenden Mietererhöhungen hingegen sind ein Beispiel für die rapide steigenden Mieten im Stadtteil Kreuzberg. “ Ein anderer Hausbewohner betont, dass viele der jetzt in der Reichenbergestraße 63 wohnenden Bewohner sich die neuen Mieten nicht leisten können. Deswegen setzen sie auf Gegenwehr im Stadtteil und vernetzten sich mit anderen Initiativen. Am kommenden Sonntag soll mit einem  Kreuzberger Kiezspaziergang gegen Mietsteigerungen protestiert werden. Treffpunkt ist um 14 Uhr an der Ohlauer Brücke. Eine der Stationen wird die Reichenbergerstraße 63 sein.  
    
https://www.neues-deutschland.de/artikel/182822.bezirksamt-klagt-gegen-randnotiz.html?sstr=Reichenbergerstraße

Peter Nowak

Dem Haus am Kleistpark droht die Entwurzelung

 

KUNST Die Schöneberger Einrichtung erhält immer weniger Geld. Ihr möglicher Umzug sorgt für Proteste

Die Bezirksverordneten von Schöneberg-Tempelhof erwartet zur BVV-Sitzung am heutigen Mittwoch eine besondere Begrüßung: Vor dem Rathaus Schöneberg spielen AbsolventInnen der Musikschule Leo Kestenberg.

„Wir wollen die Politiker an ihre Verantwortung für die akut bedrohte Musikschule erinnern“, sagt Christiane Lange von der Elterninitiative der Musikschule. Bereits 2010 seien die Honorarmittel um 100.000 Euro gesenkt worden, 2011 soll es der doppelte Betrag sein. Es herrscht Aufnahmestopp. Viele Eltern fragen sich auch, ob die Schule im Haus am Kleistpark bleiben kann.

Das 1880 errichtete Gebäude beherbergt seit 1967 ein Kulturzentrum. Der Bezirk will es verkaufen, um 2,3 Millionen Euro für Reparaturen und Infrastruktur einzusparen. Für die jetzigen MieterInnen müssten neue Räume gefunden werden. Betroffen wären auch eine Galerie, mehrere Ateliers und das Kulturamt.

Jetzt wächst der Widerstand gegen den Verkauf. „Der kulturpolitische Schaden für Berlin und den Bezirk wäre viel größer als der erzielbare Spareffekt. Es würde Jahre dauern, einen neuen Standort zu etablieren“, warnt der Vorstandsvorsitzende des Berufsverbands Bildender Künstler (bbk), Herbert Mondry. Die kürzlich gegründete „Initiative Pro Haus am Kleistpark“ (Initiative proHaK) sammelte in wenigen Tagen über 1.000 Unterschriften, der Regierende Bürgermeister sprach sich für den Erhalt des Hauses aus.

Renovieren statt sanieren

Auch aus der Bezirkspolitik kommt Unterstützung für das Haus: SPD und Grüne wollen es erhalten und kostengünstige Varianten für die nötige Instandhaltung prüfen. Sinnvoller als die „Komplettsanierung“ sei eine Renovierung, die nur die gefahrlose Nutzung gewährleiste, erklärte der Fraktionschef der Schöneberger Grünen, Jörn Oltmann. Das Problem fehlender Toiletten ließe sich etwa mit einem Container lösen. Positives Beispiel für Maßnahmen zur Gefahrenabwehr, so Oltmann, sei die schon beschlossene Installation von Rauchmeldern und Entrauchungsklappen, Kostenpunkt zirka 140.000 Euro.

Der Widerstand scheint Wirkung zu zeigen. Gegenüber der taz erklärte Kulturstadtrat Dieter Hapel (CDU), ein Verkauf stehe aktuell nicht an, es gebe noch nicht einmal InteressentInnen. Das fehlende Geld für die Sanierung sei aber weiterhin ein großes Problem. Man wolle prüfen, ob ein Stiftungsmodell eine Lösung darstelle.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2010%2F10%2F27%2Fa0155&cHash=7a754c3d2f

PeterNowak

Frau, Mann, Mensch

Transsexuelle wehren sich gegen Diskriminierung

Vor zwölf Jahren wurde der PDS-Bürgermeister von Quellendorf abgewählt, nachdem er sich als Transsexueller geoutet hatte. Die Geschichte aus Sachsen-Anhalt zeigt, wie wenig Menschen gesellschaftlich akzeptiert sind, die sich nicht den Geschlechterrollen Frau oder Mann zuordnen. Es gibt »Transfrauen«, die äußerlich wie Männer aussehen und umgekehrt. Im Alltag und im Arbeitsleben sind sie in Deutschland zahlreichen Diskriminierungen ausgesetzt, die die »Aktion Transsexualität und Menschenrecht« in einem Report auflistet. Am Wochenende protestierten transsexuelle Menschen in 80 Ländern gegen ihre Diskriminierung in der Gesellschaft und ihre »Pathologisierung« durch Mediziner. Viele bezeichnen sich selbst als »Transmenschen«, weil sie die Reduzierung auf das Geschlechtliche ablehnen.

 In Krankheitskatalogen ist Transsexualität noch immer als »Geschlechtsidentitätsstörung« aufgeführt. In Berlin demonstrierten am Sonnabend rund 100 Menschen vor der Charité für die Streichung dieser Diagnose. Ein Redner kritisierte den Psychoanalytiker Klaus Beier vom Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin: »Er vermittelt in seinen Vorlesungen ein hochgradig diskriminierendes Bild von Transmenschen, das zudem nicht dem aktuellen Forschungsstand der Sexualwissenschaften entspricht.«

Die Schriften der US-Philosophin Judith Butler, die sich von den Kategorien der Zweigeschlechtigkeit verabschiedet, haben nicht nur innerhalb der Wissenschaft einen großen Einfluss. Sie trugen auch wesentlich zur Vernetzung von transsexuellen Menschen bei. Sie stand dabei nicht nur im Widerspruch zu vielen linken Bewegungen und Parteien, die die Geschlechterfrage allenfalls als Nebenwiderspruch betrachteten. Auch Teile der feministischen Bewegung wurden von den Transmenschen kritisiert, weil sie die Geschlechterordnung nicht in Frage stellten. Die überwiegend akademischen Organisationen konnten an der gesellschaftlichen Ausgrenzung wenig ändern.

Ausgrenzung bis zum Mord
Die Ablehnung von Transpersonen kann tödlich sein. Im Februar 2006 war die brasilianische Transsexuelle Gisberta Salce Juni in Portugal von einer Gruppe junger Männer gefoltert, vergewaltigt und schwer verletzt in einen Brunnen geworfen worden. Dort erlag sie ihren Verletzungen. Der Europäische Kommissar für Menschenrechte Thomas Hammerlberg schlug Alarm: »In meinen Gesprächen mit Nichtregierungsorganisationen, welche die Rechte von Transgender-Menschen verteidigen, zeigte sich, dass eine große Zahl ähnlicher Verbrechen nicht angezeigt werden. Einer der Gründe dafür scheint das mangelnde Vertrauen in die Polizei zu sein«, erklärte er.

Auch in den USA leben Transmenschen gefährlich. 1993 war Teena Brandon im Alter von 21 Jahren in Nebraska ermordet worden. Der Film »Boys don’t cry«, der ihre Geschichte später bekannt machte, sorgte international für Empörung und zur verstärkten Organisierung der Betroffenen. Der Aktionstag am Sonnabend wäre sonst nicht denkbar gewesen. »Es wurde deutlich, dass das internationale Netzwerk der Transmenschen funktioniert«, erklärte Dieter Lehmann, einer der Organisatoren des Berliner Aktionstages gegenüber ND.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/182788.frau-mann-mensch.html

Peter Nowak

Haider auch vom BND bezahlt?

Berichte über die Finanzierung seines Irak-Besuches werfen interessante Fragen auf

Auch mehr als zwei Jahre nach seinen Unfalltod beschäftigt der österreichische Rechtspopulist Jörg Haider noch immer die Medien. Waren es vor einigen Monaten Berichte über Haiders geheime Kassen, die den Rechtspolitiker auch bei seinen Anhängern desavouierten, vermeldet das österreichische Magazin Profil nun, Haider habe hohe Zuschüsse für seinen Irak-Flug im Mai 2002 vom deutschen Bundesnachrichtendienst bekommen (Grüße an die Achse des Bösen). Das war die zweite von insgesamt drei Irakreisen des österreichischen Rechtsaußen.
   

Nach Angaben des Blattes sollen die Kontakte über einen österreichischen Geschäftsmann abgewickelt worden sein. Der soll im Auftrag des BND Überflugs- und Landegenehmigungen organisiert und die Kosten für den Privatjet übernommen haben, mit dem der damalige Kärntner Landeshauptmann und Vorsitzender der rechten FPÖ im Mai 2002 zu seinem zweiten Flug nach Bagdad aufbrach und dort auch eine Millionenspende vom Saddam-Regime erhalten haben soll.

 Seine drei Besuche bei Hussein beschrieb Haider in einem Buch, das 2003 erschienen ist und in dem er seine scheinbar edlen humanitären, wirtschaftlichen und politischen Anliegen schilderte

Gegen Israel und den Westen

Dieser Deal, sollte er wirklich zustande gekommen sein, wäre aus zwei Gründen interessant: Haider war zwar vom Vorsitz der damaligen Regierungspartei FPÖ zurückgetreten, hatte sich zu dieser Zeit aber um so mehr als Rechtsaußenpolitiker profiliert, auf den sich extrem rechte Parteien in vielen europäischen Ländern bezogen haben. Ein Großteil von ihnen hatte sich damals auf Seiten des Irak positioniert und rief zu einer Unterstützung des Baath-Regimes aus. Ein Bindeglied war der Hass auf Israel und den Westen (Saddams rechtsextreme Freunde).

 Haiders Irakreisen sorgten vor allem in den USA für große Empörung und brachten die damalige Regierung von Österreich, in der die FPÖ vertreten war, in Erklärungsnöte. In offiziellen Stellungnahmen des Baath-Regimes wurde schon nach den ersten Haider-Trip nach Bagdad in antiisraelischer Diktion von einer „konzertierten Aktion gegen die internationale Verschwörung gegen den Irak“ geworben und von einem „Komplott der USA und des Zionismus gegen den Irak“ fabuliert.

Haider verteidigte seinen Saddam-Besuch als humanitäre Aktion. Er habe Geräte für eine Blutbank in Bagdad übergeben. Zudem berief er sich nach seiner Rückkehr aus dem Irak auf den damaligen Bundesaußenminister Fischer. „In diesem Fall bin ich erstmals in meinem Leben einer Meinung mit dem deutschen Außenminister Fischer, der sagt, man kann nicht mit unbewiesenen Behauptungen irgendwelche Staaten als böse hinstellen, um dann einen Vorwand für rüstungspolitische Initiativen zu haben.“

Damit wollte Haider an die wachsende Bewegung gegen den Irakkrieg in vielen europäischen Ländern anknüpfen. Allerdings wollten die meisten Kriegsgegner nicht das Baath-Regime sondern die irakische Bevölkerung vor den Krieg verteidigen. Lediglich extrem rechte und nationalistische Bewegungen unterschiedlicher Länder riefen zur Unterstützung des Baath-Regimes auf. Für diese Kreise war Haider nach seinen Saddam-Besuch noch mehr zum Idol geworden.

Der Jahre lang im Irak lebende Franz Limpl wird im Profil als geheimer Organisator der Irakreisen des österreichischen Rechtspolitikers vorgestellt. Er sagt zu den Interessen des Saddam-Regimes an diesen Besuchen:
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 Ich habe in einem persönlichen Gespräch von Saddam Hussein den Auftrag erhalten, eine Verbindung zum international bekannten „Revoluzzer“ Jörg Haider herzustellen und auszuloten, ob er bereit wäre, das Image des Iraks und auch jenes von Saddam Hussein in Europa positiv zu beeinflussen. Ich habe Haider darauf angesprochen, und er war sofort damit einverstanden.
Franz Limpl

Welches Interesse verfolgte der BND?

Die Frage ist nun, welches Interesse der BND mit seiner Finanzierung einer Haider-Reise verfolgt hat. Im Profil wird kolportiert, ihm sei es in erster Linie um die Überwachung von Haider gegangen:
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 Dem BND dürfte es im Jahr 2002 darum gegangen sein, die Nahost-Eskapaden Haiders zu kontrollieren. Wie weit der Geheimdienst auch andere Aktivitäten der Freiheitlichen im Irak gefördert und observiert hat, lässt sich derzeit nicht mit Sicherheit nachvollziehen. Die Überwachung des schillernden Rechtspopulisten soll den deutschen Schlapphüten aber mehrere hunderttausend Euro wert gewesen sein.

Aber ist es glaubhaft, dass der BND eine komplette Irakreise von Haider finanziert, nur um ihn überwachen zu lassen? Genau so gut könnte man fragen, ob nicht der BND von den Kontakten Haiders zu dem damals international isolierten Saddam-Regimes profitieren wollte. Schließlich versuchten zu dieser Zeit auch deutsche Wirtschaftskreise Kontakte mit dem irakischen Regime zu knüpfen. Laut Profil hat sich der BND bisher geweigert, zu der Finanzierung von Haiders Iraktrips Stellung zu nehmen. Nun fordern auch die Grünen Aufklärung.

„Das Bundeskanzleramt muss unverzüglich Rechenschaft darüber ablegen, ob Medienberichte zutreffen, dass der Bundesnachrichtendienst an der Vermittlung und Durchführung von zwei Reisen des österreichischen Rechtspopulisten Haider zum Diktator Saddam in 2002 beteiligt war und sogar bei dem Transfer von Millionen Dollar aus dem Irak an Haider nach Österreich geholfen hat“, fordert der grüne Bundestagsabgeordnete Hans Christian Ströbele.

Er erinnert daran, dass durch die Arbeit des parlamentarischen Untersuchungsausschusses in der letzten Legislaturperiode bekannt geworden ist, dass der BND kurz vor Beginn des Irakkrieges 2003 offenbar in Kenntnis und mit Zustimmung des irakischen Geheimdienstes zwei Mitarbeiter in Bagdad stationiert hatte (Der Kriegsverlauf im Irak). Diese sollen u.a., dem US-Militär Zielkoordinaten für Luftangriffe geliefert haben (Die Bundesregierung, der BND und der Irak-Krieg), „Es gibt sehr wohl noch offene Fragen“).

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33551/1.html

Peter Nowak

Rußige Politik

Regierung tut nichts gegen Feinstaub

Kein Aprilscherz: Ab 1. April 2011 sollen nach dem Willen von Schwarz-Gelb Dieselfahrzeuge ohne Partikelfilter von der bisher geltenden »Strafsteuer« befreit und die Beschränkungen für die Einfahrt in innerstädtische Umweltzonen gelockert werden. Zudem will das Bundeskabinett auf die geplante Mauterhöhung für abgasreiche Lastwagen verzichten, kritisierten in dieser Woche mehrere Umweltverbände, darunter der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND), der Naturschutzbund Deutschland (NABU) und der Verkehrsclub Deutschland (VCD). Offenkundig hat Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) nicht vor, die nach wie vor hohe Feinstaubkonzentration in Großstädten energisch zu bekämpfen. Dabei sind die Belastungen vor allem in verkehrsreichen Gegenden so hoch, dass die Giftpartikel praktisch 82 Millionen Menschen zu »Passivrauchern« machen. Das Krebsrisiko steigt dadurch ebenso wie die Gefahr von Herzkreislaufkrankheiten, warnen Umweltexperten.

Druck gibt es allerdings nicht nur von Umweltverbänden. Auch die EU-Kommission will angesichts des fortgesetzten Überschreitens der Grenzwerte bereits im November über ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik entscheiden. Dadurch könnten noch hohe Strafzahlungen auf Deutschland zukommen.

Das bietet den Umweltverbänden gute Möglichkeiten, ihre Kritik an die Öffentlichkeit zu tragen. Von ihnen wurde Röttgen wegen seiner unionsinternen Kritik an einer zu langen Laufzeitverlängerung bei Atomkraftwerken in der letzten Zeit viel zu lange geschont.

In der Feinstaubdebatte sollte es aber nicht bei Resolutionen bleiben. Warum machen Ökologen nicht auch mit Straßenaktionen deutlich, dass die Umweltverpester auf vier Rädern genauso inakzeptabel wie die alten Atomkraftwerke sind? Auch beim Kampf gegen die Feinstaubverursacher sollte nicht in erster Linie nach dem strafenden Staat gerufen werden. Ökologische Argumente für zivilen Ungehorsam gibt es auch hier.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/182562.russige-politik.html

Peter Nowak

Und am Ende ein Kanzler Trittin?

Den Grünen wird zur Zeit viel zugetraut: das Ministerpräsidentenamt in Baden-Württemberg, den Posten als Regierende Bürgermeisterin in Berlin und auch das Kanzleramt

Einen Spitznamen hat die Wunschkandidatin der Grünen für die Berliner Abgeordnetenhauswahl im September 2010 schon bekommen. „Granate Renate“ tituliert die Taz Renate Künast, über die in der Zeitung wochenlang gerätselt wurde. Tritt sie nun als Spitzenkandidatin der Grünen an oder nicht? Ihre Fans haben Umfragewerte präsentiert, die belegen sollen, dass die Ökopartei mit Künast besonders gute Chancen hätte, stärkste Partei in Berlin zu werden.
Solche Vorwahlmethoden sind von der Kandidatenkür in den USA bekannt. Mit Meldungen dieser Art bringen sich Kandidaten dort oft gerne selber in Stellung, bleiben aber offiziell dezent im Hintergrund. Sie können sich lange bitten lassen und ihre Bereitschaft zur Kandidatur inszenieren, als würden sie nur einem Ruf der Basis nachgeben. Sollte der Ruf aber nicht laut genug sein, kann der Politiker immer noch sagen, die Bereitschaft zur Kandidatur nie erklärt zu haben.

Im Fall Künast scheint der Ruf laut genug gewesen zu sein. Nicht nur die Taz hat sich für ihre Kandidatur interessiert. Allerdings hat die Politikerin ihre Bereitschaft zur Kandidatur nur indirekt erklärt. Auf der Webseite der Berliner Grünen wird die Politikerin noch nicht erwähnt. Für den 5. November laden die Grünen zu einem erweiterten Mitgliederabend mit Künast ins Berliner Museum für Kommunikation. Zwei Tage später auf der Landesdelegiertenkonferenz soll ihre Kandidatur dann offiziell bekannt gegeben werden.

Künast lässt sich herab

Dieses Prozedere stößt in dem grünen Umfeld nicht nur auf Sympathie. So überschrieb die Taz einen Kommentar mit: „Künast lässt bitten“. Dieser Gestus lässt noch erahnen, dass diese Partei einmal, lang, lang ist es her, gegen solche Machtspielchen bei den damals etablierten Parteien angetreten ist. Gerade in Westberlin, wo die Grünen lange Zeit Wert darauf legten, sich Alternative Liste zu nennen, war die Distanz zu den Etablierten besonders ausgeprägt.

Deshalb kann Christian Ströbele dort ohne große Unterstützung der Parteispitze sein Direktmandat holen und verteidigen. Seine Wahlplakate vermitteln den Eindruck, als hätte man dafür extra noch einmal sämtliche grünen und alternativen Träume und Ressentiments ausgepackt. Selbst der Spruch „Ströbele wählen, heißt Fischer quälen“ durfte nicht fehlen. Im Politalltag aber ist die grüne Basis realpolitisch genug, um mit einer Politikerin als Spitzenkandidatin anzutreten, die betont, von Fischer viel gelernt zu haben. Die gut inszenierte Kandidatenkür gehört dazu. Innerparteilich hatte sie damit Erfolg. Ihr potentielle Konkurrent Volker Ratzmann, der sich vom Anwalt der linken Szene Berlins zum Oberrealo, der auch mit der Union regieren würde, entwickelte, hat schon im Vorfeld deutlich gemacht, dass er Künast nicht im Wege stehen wird.

Nach allen Seiten offen

Nach ihrer offiziellen Kandidatur wird der Kampf um die gesellschaftliche Mehrheit beginnen. Der wird für Künast nicht so einfach wie ihr innerparteilicher Durchmarsch. Schließlich gibt es sowohl bei den bekennenden Konservativen in Westberlin, als auch in den Resten des Arbeitermilieus in beiden Teilen Berlins weiterhin große Vorbehalte gegen die Grünen, wenn sie auch in den letzten Jahren geschrumpft sind.

Eine Koalition mit den Grünen als Juniorpartner wird von keinem der beiden Blöcke ausgeschlossen. Schließlich hat Berlin Erfahrungen mit SPD-Grünen Regierungen. Die Chancen eines Bündnisses mit den Konservativen haben sich auch mit dem Rückzug von Friedbert Pflüger aus der Politik nicht verschlechtert. Der gescheiterte Herausforderer von Wowereit bei der letzten Abgeordnetenhauswahl stand in der Union für eine Öffnung zu den modernen Teilen des Bürgertums, das die Grünen repräsentieren.

Pflüger versuchte die Berliner Union nach dem Vorbild von Hamburg zu modernisieren. Jetzt könnte es der Union sogar passieren, dass sie im Duell zwischen Künast und Wowereit auf den 3. Platz rutscht und als Juniorpartner in eine von Künast geführte Regierung eintritt. Ein solches Szenario hätte vor 25 Jahren niemand auch nur zu denken gewagt. Damals galt die Alternative Liste in konservativen Kreisen als eine Ansammlung von linken Spinnern und Chaoten, die möglichst schnell wieder aus dem Parlament verschwinden sollten.

Genau so undenkbar wäre es vor 25 Jahren auch gewesen, dass ein amtierender Nato-Generalsekretär bei einer Konferenz der grünen Bundestagsfraktion reden und mit Applaus empfangen wird, wie es in diesen Tagen geschehen ist.

Trotz ihres Drangs nicht nur in die arithmetische, sondern auch in die politische Mitte mussten die Grünen immer noch befürchten, zwischen SPD und Union zerrieben zu werden. Durch Ihre nicht nur in Berlin historisch hohen Umfragewerte scheinen solche Probleme vorerst in den Hintergrund zu treten.

Auf den Weg zu einer Mittelpartei?

Der Politologe Lothar Probst analysiert den grünen Erfolg als eine Entwicklung von einer Funktions- zu einer Mittelpartei in einem sich verfestigenden 5-Parteien-System. Sie ist damit nicht mehr automatisch Mehrheitsbeschafferin von SPD oder Union, sondern kann in bestimmten Bundesländern eigene Kandidaten für das Amt zum Ministerpräsidenten aufstellen, die sogar Aussicht auf Mehrheiten haben. Dabei wäre ein grüner Ministerpräsident in Baden-Württemberg auf kultureller Ebene eine größere Überraschung, als eine Regierende Bürgermeisterin Künast.

In vielen ostdeutschen Bundesländern hingegen müssen die Grünen noch immer um das Überspringen der Fünfprozenthürde kämpfen. Zurzeit sind die Grünen in drei Landtagen nicht vertreten. In dieser Lage befindet sich auch die Linkspartei, die in ostdeutschen Bundesländern stärkste Partei werden kann und in westdeutschen Bundesländern wie Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz um den Einzug in den Landtag bangen muss.

Selbst die FDP, eigentlich eine klassische Funktionspartei, stellte in Baden-Württemberg nach 1945 den Ministerpräsidenten. Vor fast 10 Jahren, als das Duo Möllemann/Westerwelle das Projekt 18 ins Leben gerufen hatte, wurde kurzzeitig erneut auch die Möglichkeit von liberalen Ministerpräsidentenkandidaten ins Gespräch gebracht.

Kanzler Trittin?

Dafür ist ein möglicher Kanzler Trittin heute eine durchaus denkbare Option. Schließlich liegen in Umfragen SPD und Grüne gleichauf, gelegentlich liegen auch schon die Grünen vorn. Dabei handelt es sich freilich um Momentaufnahmen. Die gegenwärtige Regierungsmehrheit wird nichts unversucht lassen, um eine solche Konstellation als Gift für die Wirtschaft darzustellen.

Bei der Auseinandersetzung um das Projekt Stuttgart 21 ist eine solche Strategie schon deutlich erkennbar. Der grüne Co-Parteichef Özdemir hat in einem Taz-Interview darauf schon mit dem Bekenntnis geantwortet, keine „Dagegen-Partei“ zu sein und angekündigt, dass Regieren angesichts leerer Kassen „beinhart“ werden wird.

Bald dürften sich dann die Konflikte häufen, wie sie bei den bayerischen Grünen über die Winterolympiade 2018 ausgebrochen sind. Während ein Teil der Grünen diese Pläne unterstützt, beteiligen sich andere am Protestbündnis. Wegen solcher Konflikte macht sich bei einigen Grünen angesichts der hohen Umfragewerte schon Höhenangst breit. Schließlich sehen sie am Beispiel der FDP, wie schnell eine Partei in der Wählergunst abstürzen kann.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33540/1.html

Peter Nowak

Großer Bahnhof gegen „Stuttgart 21“

PROTEST Mit einem Sonderzug kommen am Dienstag 600 Aktivisten zum Demonstrieren nach Berlin

Am kommenden Dienstag wird der Widerstand gegen Stuttgart 21 nach Berlin getragen. Von 8 bis 17 Uhr soll an verschiedenen Orten in der Innenstadt gegen das Bahnprojekt in der schwäbischen Hauptstadt protestiert werden. Der extra für den Protestevent gecharterte Sonderzug der süddeutschen AktivstInnen wird am Dienstag um 8 Uhr am Berliner Hauptbahnhof eintreffen. Dort soll er vom Berliner „Schwabenstreich“ empfangen werden. In der Gruppe haben sich Menschen zusammengeschlossen, die sich für direkte Demokratie einsetzen.

Seit einigen Wochen organisieren sie jeden Mittwoch Kundgebungen am Potsdamer Platz (taz berichtete). Bisher hielt sich die TeilnehmerInnenzahl in Grenzen. Daher sind die etwa 600 TeilnehmerInnen hochwillkommen, die am Dienstag mit dem Sonderzug nach Berlin kommen wollen.

Vom Hauptbahnhof ist ein Kulturzug durch das Regierungsviertel geplant. Am Bundeskanzleramt soll Halt gemacht werden. Für Alexis Passadakis ist dort die richtige Adresse für den Protest. „Stuttgart 21 ist ein bundesweiter Konflikt. Kanzlerin Angela Merkel entscheidet federführend über die Mittel der Bahn“, meint das Mitglied von Attac.

Zeitgleich wird an der Schaubühne der kulturelle Protest geprobt. Ab 10.30 Uhr studiert der Theaterregisseur Volker Lösch dort mit AktivistInnen den „Berlin-Stuttgarter Bürgerchor“ ein. Die Premiere des Proteststücks ist am Potsdamer Platz. Dort beginnt ab 17 Uhr die Abschlusskundgebung des Aktionstages.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2010%2F10%2F22%2Fa0152&cHash=d47c835b6c

Peter Nowak

Vertrag ohne Vertrauen

Jurist sieht in Urteilsbegründung zu »Emmely« Stärkung von Beschäftigtenrechten

Die jetzt veröffentlichte Urteilsbegründung im Fall »Emmely« könnte Rechte von Beschäftigten stärken, meint ihr Anwalt – und fordert gleichzeitig eine Reform des Kündigungsrechts.
Die Kündigung der Berliner »Kaiser’s«-Kassiererin Emmely wegen zweier Pfandbons im Wert von 1,30 Euro sorgte in der ganzen Republik für Empörung. Nach einem Verfahren von insgesamt zweieinhalb Jahren gewann Emmely ihre Kündigungsschutzklage in der dritten Instanz vor dem Bundesarbeitsgericht im Juni 2010. Sie arbeitet seit Monaten wieder als Kassiererin.

Betriebszugehörigkeit zählt
Jetzt wurde die Urteilsbegründung veröffentlicht. »Dort finden sich einige Punkte, die die Rechte von Arbeitnehmern auch in der Zukunft stärken könnten«, meint Emmelys Rechtsanwalt Benedikt Hopmann. Ein wichtiger Punkt ist eine Neubestimmung des Begriffs des Vertrauens. Bei einer Verdachtskündigung genügte die Feststellung eines gestörten Vertrauensverhältnisses zwischen einem Beschäftigten und dem Chef. Das Bundesarbeitsgericht stellte fest: »Eine für lange Zeit ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört.

Da Emmely mehr als 30 Jahre ohne Beschwerden als Kassiererin gearbeitet hat, rechtfertigt ein Verdacht auf Unterschlagung von zwei Bons keine Kündigung. Hopmann sieht in dieser gerichtlichen Argumentation einen ersten Schritt, um den Begriff des Vertrauens aus dem Arbeitsrecht zu entfernen. »Schließlich handle es sich um ein Vertrags- und nicht um ein Vertrauensverhältnis«, betont der Jurist. Hopmann nannte einen weiteren Grund, um den Begriff des Vertrauens zu hinterfragen: »Im Nationalsozialismus wurde mit dem Verweis auf fehlendes Vertrauen massenhaft unliebsamen Arbeitern gekündigt«.

Emmelys Rehabilitation
In der Urteilsbegründung wurde ausdrücklich hervorgehoben, dass Emmelys Verhalten vor Gericht und ihren Kollegen gegenüber nicht zu beanstanden ist. Damit wurde die Einschätzung des Landesarbeitsgerichts korrigiert, das die Kassiererin beschuldigt hatte, im Prozess falsche Angaben gemacht und Kollegen der Unterschlagung der Flaschenbons beschuldigt zu haben. Diese Beschuldigungen seien in konservativen Medien und von Untenehmerverbänden aufgegriffen worden, um Emmely zu diskreditieren, so Hopmann. Höhepunkt war ein juristischer Aufsatz des Burschenschaftlers und Direktor des Zentrums für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht (ZAAR), Volker Rieble, in der Neuen Juristischen Wochenzeitschrift. Dort bezeichnete er Emmely als notorische Lügnerin.

Der Erfolg vor Gericht mache eine Reform des Kündigungsrechts nicht überflüssig, so Hopmann. Es müsse ausgeschlossen werden, dass in erstmaligen Bagatellfällen überhaupt gekündigt wird. Er lobte den Gesetzentwurf der Linksfraktion. Damit würden Verdachtskündigungen generell ausgeschlossen. Die von SPD und Grünen eingebrachten Entwürfe gingen da nicht weit genug, meint der Anwalt.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/182323.vertrag-ohne-vertrauen.html

Peter Nowak

Vom Blockieren zum Schottern

Radikalisiert sich der Anti-AKW-Protest?

Einige Mandatsträger der Linken müssen mit staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen rechnen. Sie haben neben Gewerkschaftern, Wissenschaftlern und politischen Aktivisten einen Aufruf zum Schottern unterzeichnet. Dieser vor wenigen Monaten noch völlig unbekannte Begriff hat es aus der politischen Szene mittlerweile in die Medien geschafft. Damit wird das Herauslösen von Steinen aus dem Gleisbett bezeichnet, auf dem im November 2010 der nächste Castor mit Atommüll nach Gorleben transportiert werden soll.

 Die Organisatoren verstehen diese Aktionsform als eine Weiterentwicklung des Anti-Atomprotests. In den letzten Jahres wurde im Rahmen der Aktion X-tausendmalquer mittels Blockaden der Castortransport verzögert. Die Aktion Schottern wurde im Wesentlichen von dem Bündnis Interventionistische Linke ausgearbeitet, das damit eine Aktionsform propagiert, die über bloße Demonstrationen hinausgeht und trotzdem auch für Menschen aus den sozialen Bewegungen und politischen Parteien vermittelbar ist. Die Unterstützerliste zeigt, dass das Kalkül in Bezug auf die Linke aufgegangen ist. Dass grüne Mandatsträger nicht darunter sind, lag nur an dem Beschluss der Organisatoren, diese auszusparen, weil sie diese Partei für zu etabliert hielten und deren Atomkompromiss ablehnen.

Ziviler Ungehorsam oder Straftat?

Grüne Mandatsträger und Organisatoren stehen allerdings neben den Jusos und Jochen Stay von X-tausendmalquer unter einer Solidaritätserklärung mit Castor schottern. Dort heißt es:

„Wir haben Verständnis für diese Aktionsform als ein Stoppschild für eine Politik, die Mensch und Umwelt hinten anstellt und verurteilen jeden Versuch einer Kriminalisierung derjenigen, die sich in dieser Form engagiert der Atomkraft entgegenstellen. Wir sehen diesen Akt des zivilen Ungehorsams als Ausdruck für das Streiten um die Unversehrtheit der jetzigen und der kommenden Generationen.“

Die Aktionsform hat zu heftigen Diskussionen geführt. Handelt es sich um eine legitime Aktion des zivilen Ungehorsams, auch wenn sie „vielleicht nicht vollständig durch das bürgerliche Gesetzbuch gedeckt sein sollte“, wie Florian Wilde vom Studierendenverband Die Linke.SDS erklärte? Oder ist das Schottern eine Straftat, wie es von der Gewerkschaft der Polizei, konservativen Politikern und der Staatsanwaltschaft heißt?

Auch von dieser Debatte können die Aktivisten profitieren. Nach den Erfahrungen der Mobilisierung gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 und den Neonaziaufmarsch in Dresden im Februar 2010 sorgten die Durchsuchung von linken Zentren und die Beschlagnahme von Computern und Materialien für einen Solidaritätsschub über das linke Spektrum hinaus. Bei der Schottern-Kampagne setzte diese Solidarisierung schon bei der Ankündigung von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und der Sperrung einer Internetseite ein. 
 http://www.heise.de/tp/blogs/2/148605

Peter Nowak

Stimme der Verrückten

30 Jahre Irren-Offensive: Von der Selbsthilfegruppe zur Menschenrechtsorganisation

Am vergangenen Sonnabend feierte die Berliner Irren-Offensive ihr dreißigstes Jubiläum. Doch noch hat sie ihre Ziele nicht ganz erreicht. 
 Anfang der 80er Jahre boomten die sozialen Bewegungen. Nicht mehr nur die Arbeitsverhältnisse, sondern die Familie, Wohnen, die Gesundheit und auch die Psychiatrie wurden Gegenstand politischer Interventionen. Menschen, die zum Teil traumatische Erfahrungen mit psychiatrischen Einrichtungen gemacht hatten, schlossen sich in vielen Städten zusammen und wehrten sich gegen Zwangsbehandlungen und gesellschaftliche Ausgrenzung. Die 1980 in Westberlin gegründete Irren-Offensive ist damals entstanden.

Die Gruppe fordert die Abschaffung aller psychiatrischen Einrichtungen und hinterfragt die Klassifizierung von Menschen als geisteskrank. Mochten die Aktivisten zunächst als »arme Irre« belächelt worden sein, zeigte sich schnell, dass sie mit ihren Aktionen an akademische Debatten jener Zeit anknüpften.

Das theoretische Rüstzeug der Irren-Offensive sind die Schriften des US-Psychiaters Thomas Szasz und des französischen Philosophen Michel Foucault, der mit dem Buch »Wahnsinn und Gesellschaft« zu einem Pionier der Psychiatriekritik avancierte. Im Mai 1998 wurde er sogar zum Namensgeber eines Psychiatrie-Kongresses, den die Irren-Offensive mit internationaler Beteiligung in der Berliner Volksbühne organisierte. Auf diesem Foucault-Tribunal fungierten neben Szasz und der mittlerweile verstorbenen Berliner Publizistin Gerburg Treusch-Dieter auch der emeritierte Politologieprofessor Wolf-Dieter Narr als Ankläger. Der prominente Bürgerrechtler gehört bis heute zu den Unterstützern der Irren-Offensive. Auf der Jubiläumsfeier am Wochenende wurde Narr für sein Engagement der Freiheitspreis der Organisation verliehen. Vorige Preisträger waren Thomasz Sasz und der Berliner Rechtsanwalt Thomas Saschenbrecker für sein juristisches Wirken gegen psychiatrische Zwangsmaßnahmen.

Für das Buch zum Jubiläum verfasste Narr gemeinsam mit Rechtsanwälten ein sozialwissenschaftlich-juristisches Memorandum. Darin betonen die Autoren, dass die Formel von der Unteilbarkeit der Menschenrechte impliziert, dass diese auch vor der Psychiatrie nicht haltmachen dürfe.

Die Realität sieht freilich oft anders aus. Auch wenn in den letzten 30 Jahren manche Psychiatriereform auf den Weg gebracht wurde, bestehen die Zwangsgesetze weiter, erklärt Irren-Offensive-Aktivistin Alice Halmi. Darunter versteht die Organisation die Einweisung in psychiatrische Kliniken sowie die Verabreichung von Medikamenten ohne Einwilligung der Betroffenen.

Das Selbstverständnis der Gruppe hat sich allerdings im letzten Jahrzehnt verändert. »In den ersten Jahren war die Irren-Offensive eine Selbsthilfegruppe von Psychiatrieerfahrenen. Jetzt versteht sie sich als Menschenrechtsorganisation«, so Halmi gegenüber ND. Die Erkenntnis, dass psychiatrische Zwangsmaßnahmen die Menschenrechte verletzen, sei durch das Foucault-Tribunal wesentlich angestoßen worden. Darüber hinaus setzt sich die Irren-Offensive für eine Rehabilitierung der während der NS-Zeit als geisteskrank ermordeten und die unmittelbar nach dem Krieg in psychiatrischen Einrichtungen verhungerten Menschen ein.

Das Patientenverfügungsgesetz, das seit einem Jahr in Kraft ist und die Rechte von Patienten stärkt, ist auch für die Anti-Psychiatrie-Aktivisten ein großer Schritt. Sie sehen darin einen Hebel, um sich gegen Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie zu wehren. Sie haben mit Unterstützung von Juristen eine besondere Variante der Patientenverfügung für Psychiatrien ausformuliert und ins Netz gestellt. Betroffene müssen zwar häufig gegenüber Ärzten um die Anerkennung der Erklärung kämpfen, doch juristisch ist die Lage eindeutig: Eine »medizinische« Behandlung gegen den schriftlich erklärten und aktuellen Willen eines »Patienten« wird zur Körperverletzung und jede erzwungene Unterbringung zur »Freiheitsberaubung«, heißt es auf der Homepage.

ww.patverfue.de

http://www.neues-deutschland.de/artikel/182237.stimme-der-verrueckten.html

Peter Nowak

Stuttgart: Lobbykritik I

Die Auseinandersetzung um das Bahnprojekt Stuttgart 21 wird auch virtuell geführt. Am Sonnabend legte die Nichtregierungsorganisation LobbyControl den Grundstein für das Internetprojekt Lobbypedia. Die Namensähnlichkeit zu dem Internetlexikon Wikipedia ist nicht zufällig. Auch Lobbypedia will sich der Software Mediawiki bedienen, um über politische und wirtschaftliche Entscheidungen zu informieren, die bei der Planung von Stuttgart 21 eine Rolle spielten. In den Planungsprozess involvierte Personen, Firmen, Verbände und Interessengruppen sollen benannt werden. Ein weiterer Themenbereich für Lobbypedia ist die Frage, wie ein 2004 verfolgter Bürgerentscheid verhindert worden ist. »Lobbypedia will nicht selber pro oder contra Stuttgart 21 Partei ergreifen, sondern die Strukturen und Machtverhältnisse hinter dem Bauprojekt offenlegen«, erklärte Elmar Wiegend von LobbyControl. Ziel ist der Aufbau eines allgemeinen Portals zur Bau- und Immobilienlobby in Deutschland.

www.lobbycontrol.de/blog

http://www.neues-deutschland.de/artikel/182238.bewegungsmelder.html

Peter Nowak

Haus am Kleistpark

Kampf um Kulturhaus

Das Bezirksamt Tempelhof / Schöneberg muss sparen. Deswegen will der zuständige Stadtrat für Bildung, Schule und Kultur, Dieter Hapel (CDU), eine über die Bezirksgrenzen hinaus bekannte Kultureinrichtung verkaufen.

Das Haus am Kleistpark in der Schöneberger Grunewaldstraße wurde 1880 als Königlich Botanischer Garten errichtet. Im Jahr 1967 wurde es zu einem Kulturzentrum umgewandelt. In der Galerie im Obergeschoss werden jährlich fünf Ausstellungen mit Werken internationaler Künstler präsentiert. Zudem haben in dem Gebäude die Musikschule, verschiedene Kulturvereine, Ateliers sowie das Kulturamt des Bezirks ihr Domizil. Sollte das Haus verkauft werden, müssten die Einrichtungen umziehen. Doch die Kulturinitiativen befürchten, dass die in Jahrzehnten gewachsenen Strukturen dadurch auseinander gerissen werden. Die Befürworter eines Verkaufs wollen die jetzigen Mieter auf Einrichtungen im gesamten Bezirk verteilen.

Doch mittlerweile formiert sich der Protest gegen den Verkauf. »Unklug und kurzsichtig«, nennt der Vorstandsvorsitzende des Berufsverbandes Bildender Künstler Berlin (bbk), Herbert Mondry, die Pläne des Bezirksamtes. »Der kulturpolitische Schaden wäre um vieles größer als der damit zu erreichende geringe Spareffekt. Es würde Jahre dauern, um einen neuen Standort zu etablieren«, warnt Mondry.

Doch nicht nur die Interessenverbände der Künstler wenden sich gegen den Verkauf. Denn die Einrichtungen in dem Haus werden von den Bewohnern intensiv genutzt. So setzt sich eine Elterninitiative für den Verbleib der Musikschule in dem Gebäude ein. Auch der Quartiersrat Schöneberger Norden hat sich für den Erhalt des Hauses ausgesprochen.

Mittlerweile haben sich auch die politischen Parteien der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) zu dem drohenden Verkauf positioniert. Während LINKE und Grüne eindeutig dagegen sind, legt sich die SPD nicht endgültig fest. In einem Antrag fordert die SPD, zu prüfen, wie die Kultureinrichtung erhalten und trotzdem Geld eingespart werden kann. Als Vorbild wird das Kulturhaus Bethanien in Kreuzberg genannt. Dort gibt es keine Zuwendungen mehr vom Bezirk. Reparaturen sollen aus Mieteinnahmen bezahlt werden. Wie damit die etwa 600 000 Euro aufgebracht werden können, die laut Haus am Kleistpark für Renovierungsarbeiten und behindertengerechte Zugänge notwendig wären, bleibt allerdings unbeantwortet.

Am morgigen Donnerstag um 17 Uhr will sich der Ausschuss für Bauen, Wohnen und Verkehr der BVV Tempelhof / Schöneberg im Schöneberger Rathaus mit den Perspektiven des Hauses am Kleistpark befassen. Auch die Gegner eines Verkaufs haben sich angekündigt.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/182253.haus-am-kleistpark.html

Peter Nowak

Jung, muslimisch, gewalttätig?

Sanem Kleff über die angebliche »Deutschenfeindlichkeit« an Schulen / Die Pädagogin leitet das Projekt »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage«

ND: Waren Sie überrascht über die aktuelle Debatte zur Deutschenfeindlichkeit an manchen Schulen? Kleff: Die Debatte hat mich überrascht, weil es sich hier um ein altbekanntes Phänomen handelt. Überall, wo es Mehrheiten und Minderheiten gibt, können solche Diskriminierungserfahrungen beobachtet werden. Dabei ist die Zusammensetzung dieser Gruppen beliebig. Wenn beispielsweise in einer Schule sehr viele Dänen und die Deutschen in der Minderheit sind, kann es  ebenso zu Mobbings kommen.

2.)   Hat man zulange Migranten nur als Opfer von Diskriminierung wahrgenommen?

         S.K.: Nein, denn man darf bei das gesellschaftliche Umfeld nicht vergessen. Es gibt  wenige Schulen, in denen Jugendliche mit migrantischen Hintergrund in der Mehrheit sind. In den meisten Schulen sind sie in der Minderheit und oft selber Diskriminierungen ausgesetzt ist.      

3.)   Was stört Sie an der aktuellen Debatte?                                                                                

 S.K.: Was mir nicht gefällt ist, dass sich ausgerechnet jetzt, wo das ganze Land scheinbar auf dem Sarrazin-Trip ist, Lehrer in dieser Weise zu Wort melden. Sie schreiben über altbekanntes mit dem Gestus, das wird man doch sagen dürfen. Sie verwenden den Begriff der Deutschenfeindlichkeit, der lange Zeit von der neuen Rechten gebraucht wird. Und sie verknüpfen das von ihnen kritisierte Verhalten mit dem angeblichen moslemischen Hintergrund der Schüler. Damit finden sie sich im Einklang mit einer veröffentlichten Meinung, wie sie von Sarrazin bis zu Alice Schwarzer und Hendrik M. Broder  vertreten wird.

4.)   Warum sollte die Religion aus der Debatte keine Rolle spielen?                                

S.K.: Weil es keine empirischen Belege für eine  besondere Gewalttätigkeit der Jugendlichen mit moslemischem Hintergrund gibt.      Es wird oft fälschlich der Eindruck erweckt, als wenn sich Jugendliche mit migrantischen Hintergrund in den Klauen von antiwestlichen, islamistische Gruppen befinden würden. Ich frage mich, welche Konsequenzen wir eigentlich daraus ableiten sollen, wenn eine Religion für ein bestimmtes FehlVerhalten verantwortlich gemacht wird.   

5.)   Wird die Schule wirklich immer mehr zur Kampfzone, wie manche Boulevardmedien suggerieren?            

S.K.: Es trifft nicht  zu, dass die Gewalt in den Schulen immer mehr um sich greift. Die Gewalt ist in den Schulen im letzten Jahrzehnt  zurück gegangen, wie durch Polizeiberichte belegt werden kann.       Zugenommen haben dagegen Mobbings und andere Diskriminierungen. So sind an manchen Schulen  „Jude“ oder  „du Opfer“ zu häufige Schimpfworten geworden. Eine Debatte über die angebliche Deutschenfeindlichkeit trifft das Problem dagegen nicht.

6.)     Wie können Pädagogen an den Schulen gegen solche Diskriminierungen von Minderheiten vorgehen?                                              

                                               S.K.:    Indem wir alle Formen von Diskriminierung ernst nehmen und die Elemente in den Schulen stärken, die sich dagegen zur Wehr setzen, Das Projekt Schule gegen Rassismus hat es deshalb immer abgelehnt, einzelne Diskriminierungsphänomene wie Antisemitismus, Homophobie,  Rassismus isoliert wahrzunehmen. Es gibt sehr viele pädagogische Instrumente um hier einzugreifen. Ich nenne hier nur stichwortartig den Einsatz von Streitschlichtern und Konfliktlotsen, aber auch den Aufbau  von Räumen und Zeiten, in denen die Auseinandersetzung mit den Schülern und ihren Problemen möglich ist.

Peter Nowak                                                      

Keine Ein-Punkt-Bewegung

Tausende protestierten am Samstag in Berlin gegen Hartz IV und Sparprogramm

»Weg mit Hartz ITausende protestierten am Samstag in Berlin gegen Hartz IV und SparprogrammV«, lautete die Parole, die auf vielen Transparenten und Bannern zu lesen war. Auch gegen die Rente mit 67 und das Sparpaket der Bundesregierung sprachen sich viele der Demonstranten aus, die aus der ganzen Republik am Samstag nach Berlin kamen und in zwei Zügen ihren Protest durch die Stadt trugen.

Die Angaben über die Teilnehmerzahl klaffen auseinander. Während die Polizei von rund 1800 Protestierenden sprach, nannte der Pressesprecher des Demobündnisses Fred Schirrmacher gegenüber ND die Zahl von knapp 7000 Menschen. Die Demozüge starteten in den Berliner Stadtteilen Pankow und Neukölln und vereinigten sich am Alexanderplatz zur Abschlusskundgebung. Dort spielte allerdings der Kampf gegen Hartz IV nicht die alleinige Hauptrolle. So wandte sich Oli Kube von der Jugendinitiative gegen Stuttgart 21 gegen das umstrittene Bahnprojekt und machte den Erwerbslosen Mut: Der Widerstand gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 zeige, dass Veränderungen wieder auf der Straße erkämpft werden.

Der Bildungsstreikaktivist Wanja Lange sprach sich für eine Kooperation mit den Erwerbslosen und den Kritikern des Sparpakets aus. Das Spektrum der Redner mache deutlich, dass die Montagsdemobewegung nicht nur gegen Hartz IV kämpft, betonte Schirrmacher gegenüber ND. »Uns wird fälschlicherweise immer vorgeworfen, eine Ein-Punkt-Bewegung zu sein. Doch wir wenden uns gegen die Arroganz der Politiker, wie sie aktuell bei Stuttgart 21, beim Sparprogramm der Bundesregierung und bei vielen anderen Themen deutlich wird.« Die Zeit für eine erstarkende Bewegung gegen die Bundesregierung sei reif. Schließlich habe sich die Bundesregierung zum »Brandstifter des sozialen Unfriedens« entwickelt.

Großen Applaus bekam Manfred Gabler vom Bundesverband Deutscher Milchviehhalter, der sich in seinen Redebeitrag mit dem Anliegen der Demonstranten solidarisierte. Wie viele andere Menschen in Deutschland könnten auch Milchbauern von ihrer Arbeit oft nicht mehr leben, weil die Milchpreise zu niedrig seien. Auf diese niedrigen Milchpreise seien aber viele Hartz-IV-Empfänger existenziell angewiesen, weil sie sich teurere Nahrungsmittel nicht leisten können. Um diesen Unterbietungswettbewerb zu durchbrechen, unterstützten die Milchbauern den Kampf der Erwerbslosen. Denn, wenn die mehr Geld in der Tasche haben, können sie auch höhere Preise bezahlen. Die Milchbauern hatten schon am 10. Oktober eine bundesweite Erwerbslosendemonstration in Oldenburg unterstützt, an der sich mehr als 3000 Menschen beteiligten.

Schirrmacher bedauerte am Samstag in Berlin, dass die Konkurrenzsituation unter den aktiven Erwerbslosen seit 2004 unverändert fortbestehe. Das Demobündnis vom Wochenende nennt sich bundesweite Montagsdemobewegung und macht damit schon im Namen deutlich, dass es sich auf die Proteste gegen Hartz IV vor sechs Jahren bezieht. Allerdings gab es schon damals politische Differenzen, die sich unter anderem an der Marxistisch-Leninistischen Partei (MLPD) festmachen. Während die unabhängigen Erwerbslosengruppen deren Beteiligung am Montagsdemobündnis kritisieren, werfen deren Sprechern den Kritikern Antikommunismus vor. Ein Großteil der Demoteilnehmer kann mit den Auseinandersetzungen wenig anfangen. Dass zeigte sich bei den Beiträgen am Offenen Mikrofon, wo die Protestierenden in kurzen Redebeiträgen ihre Anliegen vorbringen konnten. Einige Erwerbslose berichteten vom täglichen Kleinkrieg mit den Jobcentern und von den oft zeitraubenden Kampf um jeden Cent. Andere legten in ihren Beiträgen den Schwerpunkt auf lokalen Widerstand gegen Hartz IV oder Sparprogramme.

Auch Gewerkschafter melden sich am Offenen Mikrofon zu Wort und sprachen sich für eine bessere Zusammenarbeit zwischen Lohnabhängigen und Erwerbslosen aus. »Es muss verhindert werden, dass in den Betrieben von der Belegschaft immer wieder Zugeständnisse beim Lohnabbau und bei der Schleifung der Arbeiterrechte gemacht wird, nur um zu verhindern, dass man entlassen wird und in Hartz IV landet«, betonte eine Frau, die sich als IG-Metall-Mitglied vorstellte.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/182026.keine-ein-punkt-bewegung.html

Peter Nowak