Wie staatsfern darf oder soll der Zivildienst sein?

Die Ausbreitung der Niedriglohnzone könnte unter der Ägide der Staatsferne besser gelingen

Bei der Diskussion über die Zukunft der Wehrpflicht tritt zunehmend eine sich darin anschließende Frage in den Vordergrund. Wie soll der Zivildienst ersetzt werden? Schließlich ist die Arbeit der Zivildienstleistenden vor allem im sozialen Bereich nicht mehr wegzudenken. Am 1. August 2010 waren in Deutschland insgesamt 48.913 Zivildienstleistende tätig. Insgesamt waren seit April 1961 zweieinhalb Millionen junge Männer als Zivildienstleistende tätig. In diesem Jahr trat in Westdeutschland das Zivildienstgesetz in Kraft.
   

Die mögliche Aussetzung der Wehrpflicht hat dazu geführt, dass mit einer gewissen Hektik Alternativen zum Zivildienst erarbeitet werden. Dabei stehen sich zwei Modelle gegenüber: der vom Bundesfamilienministerium favorisierte staatlich organisierte, freiwillige Zivildienst und ein von den sozialen Trägern organisierter sogenannter staatsferner Zivildienst, wie er vom Deutschen Roten Kreuz, der Diakonie, der Caritas und der Arbeiterwohlfahrt befürwortet wird.

„Unabdingbare Voraussetzung dafür, dass wir genügend Freiwillige gewinnen und funktionierende Strukturen erhalten können, ist aber eine klare Bundeszuständigkeit, eine auskömmliche Finanzausstattung und die Öffnung des freiwilligen Zivildienstes für Männer und Frauen“, heißt es in der Erklärung des Ministeriums, das dort deutlich macht, dass es die Koordination übernehmen will. Dieser Sichtweise hat sich auf Seiten der Sozialverbände lediglich der Paritätische Wohlfahrtsverband angeschlossen. „Neben dem Ausbau des Freiwilligen Sozialen Jahres kann auch der von Bundesfamilienministerin Schröder angeregte freiwillige Zivildienst eine attraktive Möglichkeit der Kompensation darstellen“, so eine Pressemitteilung des Paritätischen. Doch ist er aber in der weit verzweigten Szene der sozialen Träger solitär. Die wollen nämlich die Richtlinienkompetenz nicht an das Ministerium abgeben und pochen auf ihre Eigenständigkeit.

Gegen die Verstaatlichung des Zivildienstes

Kerstin Griese, die im Vorstand des Diakonischen Werks der EKD für die Sozialpolitik zuständig ist, sieht die Gefahr, dass das „bisher erfolgreich bestehende Freiwillige Jahr durch die Planungen der Ministerin unterlaufen“ werden könnte. „Dies darf nicht passieren. Das Freiwillige Soziale Jahr muss ausgebaut und finanziell ebenso ausgestattet werden wie ein möglicher freiwilliger Zivildienst“, fordert die Diakonie.

Auch die AWO lehnt einen staatlich organisierten Zivildienst entschieden ab. Die Caritas ist derselben Meinung: „Es sei nicht sinnvoll, neben den subsidiär organisierten Jugendfreiwilligendiensten staatliche Zivildienststrukturen als unnötige Parallelstruktur auszubauen.“ Der deutsche Kulturrat warnt vor einer „Verstaatlichung“ des Zivildienstes und bringt das eigentliche Anliegen der sozialen Träger gut auf den Punkt: „Es kann nicht sein, dass Jugendliche und junge Erwachsene den freien Trägern vom Staat abgeworben werden. In diesem Fall belebt Konkurrenz ganz sicher nicht das Geschäft.“

Diskussion um die Staatsferne

Hier wird mehr als in dem sehr freigiebig verwendeten Begriff „staatsfern“ deutlich, worum es den sozialen Trägern bei ihrer Kritik an den Plänen der Politik geht. Wie die Pin-AG die Deutsche Post so sehen sie eine staatliche Zivildienstagentur schlicht als Konkurrenz beim Kampf um Stellen und Gelder. Denn die Freiwilligen Dienste sind ein lukratives Geschäft, gerade weil die davon betroffenen Personen so wenig Lohn bekommen.

Der Begriff „staatsfern“, der jetzt gerne in der Diskussion verwandt wird, kann nicht verdecken, dass gerade die nicht staatlich organisierten freiwilligen Dienste im Sinne des Staatsinteresses zielführender sein können als eine Koordination durch die Politik. Denn Menschen sind eher bereit für wenig Geld zu arbeiten, wenn dafür soziale Träger und nicht staatliche Stellen verantwortlich sind. In der langen Debatte über die Bedeutung der Zivilgesellschaft wurde darauf schon oft hingewiesen. Dabei wurde auch das Missverständnis korrigiert, dass sich wohl noch in den Köpfen mancher konservativer Politiker gehalten hat und auch bei den Plänen des Bundesfamilienministers Pate gestanden haben dürfte.

Die von den sozialen Trägern für sich reklamierte Staatsferne hat nichts mit Kritik an den Zielen des Staats zu tun. Sie pochen nur auf eine im neoliberalen Staat selbstverständliche Arbeitsteilung. Schließlich ist schwer einzusehen, warum in einer Zeit, in der die Privatisierung zum Allheilmittel erklärt wird und selbst auf das Militär und das Gefängniswesen ausgedehnt wird, ausgerechnet beim Zivildienst der Staat die Koordination beansprucht.

Ausbreitung der Niedriglohnzone

Bei der Debatte um die Staatsferne wird verdeckt, dass sich die sozialen Träger mit der Politik darin einig sind, dass die Ausweitung des Niedriglohnsektors vor allem im sozialen Bereich selbstverständlich ist. Dabei sind die Auswirkungen auf die Lohn- und Arbeitsbedingungen gerade im Bereich der sozialen Dienste vorauszusehen. Der Druck auf die Löhne wird steigen, wenn die Freiwilligen mit den regulären Arbeitskräften konkurrieren.

Daher wäre aus einer gewerkschaftlichen Perspektive die Frage angebracht, warum diese Formen der Beschäftigung nicht in sozialpflichtige, tariflich bezahlte Jobs umgewandelt werden sollen. Diese Frage wird von der Dienstleistungsgewerkschaft verdi schon länger gestellt.

„Es ist ein Skandal, wenn gerade mühsam ein Mindestlohn von 8,50 Euro im Westen und 7,50 Euro im Osten für Pflegehilfskräfte eingeführt wurde, nun aber die Bundesregierung hingeht, um mehr als 30.000 Hilfskräfte für 3,75 Euro pro Stunde zu beschäftigen“, erklärte der verdi-Vorsitzende Frank Bsirske. Es ist gut möglich, dass sich ein solcher Niedriglohnsektor besser unter Federführung der freien Träger durchsetzen lässt, als wenn die Politik die Federführung beansprucht.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33196/1.html

Peter Nowak


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