Traum von der afrikanischen Renaissance

Senegal, Gastgeber des nächsten Weltsozialforums, besinnt sich seiner Wurzeln
Der Hüne blickt siegesgewiss in die Zukunft. Mit der linken Hand reckt er ein Kind in die Höhe, mit der Rechten hält er eine Frau im Arm. Das »Monument der afrikanischen Renaissance« in der senegalesischen Hauptstadt Dakar ist unübersehbar.
Das Prestigeprojekt des Präsidenten Abdoulaye Wade wurde zum 50. Jahrestag der Unabhängigkeit des Landes mit großem Pomp eingeweiht. Doch vor allem unter Künstlern und Intellektuellen reißt der Spott nicht ab. »Wieso muss ein Denkmal der afrikanischen
Renaissance im Stil des sozialistischen Realismus errichtet werden? «, fragt der zwischen seiner Heimatstadt Dakar und Berlin pendelnde Künstler Mansour Ciss.
Die Frage ist leicht zu beantworten. Weil Präsident Wade auf seine unabhängige Außenpolitik Wert legt, hat er auch gute Kontakte zu
Staaten wie der Koreanischen Demokratischen Volksrepublik, aber auch zu Iran. Damit hat Wade mit der Politik von Leopold Senghor, der von 1960-80 Senegals Präsident war, gebrochen. Der erklärte Freund Frankreichs orientierte sich damals an der ehemaligen Kolonialmacht.  Auch in der Innenpolitik setzt Wade andere Akzente als Senghor, in dem er die Wolof, die Umgangssprache des Landes, aktiv förderte.
Während diese Sprache in großen Teilen der ländlichen Bevölkerung weit verbreitet ist, kommunizierte die Elite des Landes auf französisch. So war es eine Sensation, als der senegalesische UniversalgelehrteCheikh Anta Diop als Präsidentschaftskandidat einen Wahlkampf rein auf Wolof führte. Viele Stimmen bekam er übrigens nicht. Doch im heutigen Dakar ist nicht nur die größte Universität des Landes nach dem 1986 verstorbenen Diop benannt. Viele Wissenschaftler versuchen, seine Thesen der afrikanischen Renaissance zu aktualisieren. Die Cheikh-Anta-Diop-Universität in Dakar wird im Februar Treffpunkt für tausende Aktivisten aus aller Welt werden, wenn dort das 10. Weltsozialforum stattfindet.
Die in Senegal sehr aktive Zivilgesellschaft bereitet sich intensiv darauf vor. Viele ihrer Aktivisten sind Anhänger einer afrikanischen Renaissance. Anders als Wade verstehen sie darunter allerdings mehr als eine unabhängige Außenpolitik und die
Förderung von Wolof. Vor allem auf ökonomischem Gebiet könne von einer Unabhängigkeit keine Rede sein, meint Mansour Ciss. So
ist es kein Zufall, dass die Währung in Senegal wie in ganz Westafrika noch immer Franc heißt und an den Euro gekoppelt ist.
Mit seinem Afro-Projekt hat Ciss seine Kritik auf künstlerische Weise verarbeitet. Nach dem Vorbild  des Euros hat er Geldscheine einer nicht existierenden afrikanischen Gemeinschaftswährung gestaltet.
Auf mehreren Scheinen ist das Konterfei von Thomas Sankara abgebildet. Der Protagonist eines afrikanischen Sozialismus war von
1983 bis zu seiner Ermordung  1987 Präsident des westafrikanischen Staats Burkina Faso. Seine Popularität in der afrikanischen
Jugend, aber auch bei den sozialen Bewegungen ist ungebrochen. Besuchern des Sozialforums dürfte das Konterfei des afrikanischen
Che Guevara häufig begegnen. Nicht nur die Abschaffung von Luxusautos für die politische  Elite des Landes machte Sankara populär. Vor allem sein Konzept, für die Textilindustrie seines Landes traditionelle Stoffe des Landes statt europäischer Importe zu verwenden, stößt auf viel Unterstützung. Soziale Aktivisten Senegals sehen in diesem Konzept einer wirtschaftlichen Unabhängigkeit die Voraussetzung für eine afrikanische Renaissance, die sich nicht auf Symbolpolitik beschränkt.

 

Neues Deutschland, 22.6.2010