Totalausstieg mit Comeback-Fenster

Koch verabschiedet sich aus der Politik – vorerst
Für seine Gegner war der hessische Ministerpräsident Roland Koch eine Art moderner Franz-Josef Strauß. Wie einst der bayerische CSU-Politiker verstand sich auch Koch auf das Polarisieren.
   

1999 brachte er der rot-grünen Bundesregierung eine innenpolitische Niederlage bei, als er die damalige hessische Landtagswahl zum Plebiszit über die von der Bundesregierung geplante doppelte Staatsbürgerschaft machte und dabei auch vor einer Unterschriftenkampagne mit rassistischen Untertönen nicht zurückschreckte. Nachdem die Hessen-CDU damit die Wahl gewonnen hatte, strich die Regierungskoalition die ursprünglichen Pläne eines modernisierten Ausländerrechts stark zusammen. Auch in der Umweltpolitik blieb der erklärte Befürworter des Weiterbetriebs von Atomkraftwerken auf Rechtskurs. Anders als sein NRW-Kollege Rüttgers stand er deshalb auch nie in dem Ruf, mit den Grünen koalieren zu wollen.

Sein Rücktritt wurde seit Jahren immer wieder gefordert. Doch er schien ähnlich wie seinerseits Strauß als Steh-auf-Männchen der Politik die Kritik an seinen konservativen Wahlkampfstil ebenso zu überstehen wie Untersuchungen über geheime Parteikassen und ähnliche Affären. Als Koch und seine hessische CDU 2008 mehr als 10 Prozent der Wählerstimmen verloren hatten und seine sozialdemokratische Konkurrentin Ypsilantis große Zugewinne verzeichnete, schien die Ära Koch in Hessen schon vorbei. Doch da sich die SPD über der Frage einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei zerstritt und der rechte Parteiflügel ihr die Gefolgschaft verweigerte, kam bei den Neuwahlen Kochs Comeback. Spätestens zu diesem Zeitpunkt schienen sich auch seine vielen Gegner und Kritiker mit dem ewigen Koch abgefunden zu haben.

Umso überrascht waren sie, dass der Politiker heute auf einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz nicht nur seinen Rücktritt vom Amt des hessischen Ministerpräsidenten am 31. August ankündigte. Er verzichtet auch auf eine erneute Kandidatur zum hessischen CDU-Vorsitzenden, legt sein Amt als Landtagsabgeordneter nieder und er will auch nicht mehr für das Amt des stellvertretenden CDU-Vorsitzenden kandieren.

Dieser Totalausstieg aus der Politik überrascht viele politische Beobachter. Dass Koch, allen gegenteiligen Bekundungen zum Trotz, nach 12 Jahren Hessen den Rücken kehren wollte, hatten viele erwartet. Allerdings waren ihm immer bundespolitische Ambitionen nachgesagt worden. Schließlich hatte er sich in den letzten Jahren nicht nur in Interviews und Erklärungen in bundespolitische Angelegenheiten eingemischt. Gemeinsam mit dem SPD-Politiker Steinbrück erstellte er schon 2003 eine Liste zum Subventionsabbau, die in Zeiten der Wirtschaftskrise wieder verstärkt in die Diskussion gebracht wird. Mit seinem letzten bundespolitischen Vorstoß von massiven Finanzkürzungen auch im Bildungsbereich (Roland Koch bläst zum Angriff auf die Bildung) stieß er allerdings nicht nur bei politischen Gegnern sondern auch in seiner eigenen Partei auf starke Kritik.

Souveräne Entscheidung

Koch bestritt auf der Pressekonferenz alle Spekulationen, dass sein Rücktritt eine Folge dieser Kritik sein könnte. Sein Entschluss habe vielmehr schon fast ein Jahr festgestanden und sei einem kleinen Kreis von Spitzenpolitikern, unter anderem der Bundeskanzlerin, bekannt gewesen.
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 Lassen Sie mich zum Abschluss eines noch hinzufügen: Ich bin der erste hessische Ministerpräsident, der aus souveräner eigener Entscheidung das Amt aufgibt.

Er werde nicht sofort in ein Amt wechseln, aber auch nicht lange auf der Pensionärsliste stehen, erklärte Koch zu seinen Zukunftsplänen. Allerdings ist es sehr wahrscheinlich, dass er einen Posten in der Wirtschaft schon in Aussicht hat.

Vor ihm haben diesen Weg aus der Politik in die besser bezahlte Wirtschaft zahlreiche Vertreter von SPD, Union, FDP und auch der Grünen angetreten. Manche nach Wahlniederlagen wie der SPD-Rechte Wolfgang Clement, andere wie Kochs Parteifreund Friedrich Merz haben ihren Abschied aus der Politik mit offener Kritik an dem Zustand ihrer eigenen Partei und der Bundesregierung verbunden. Bei Koch finden sich auch bei seinem Rücktritt solche Töne nicht. Dabei galt er lange Zeit als konservativer Konkurrent von Merkel innerhalb der Union.

Nachdem allerdings der innerparteiliche Machtkampf zu ihren Gunsten entschieden war, betonte er nach Außen immer seine Loyalität zur Bundeskanzlerin. Deshalb wurde auch die von ihm losgetretene Spardebatte im Bildungsbereich von Beobachtern als erste Distanzierung von einer nach den NRW-Wahlen auch innerparteilich in die Kritik geratenen Bundeskanzlerin interpretiert. Mit seinem Totalrücktritt hat sie zumindest von dieser Seite keine Konkurrenz zu befürchten, vorerst.

Sollte es weitere Wahlniederlagen der Union geben und Merkels Führungsanspruch ernsthaft gefährdet sein, könnte auch für Koch wieder die Stunde kommen. Ausgeschlossen hat er das nicht. Zur Zeit kann Merkel allerdings mit der Entwicklung in NRW zufrieden sein, nachdem SPD und Grüne mit der Absage an eine Koalition mit der Linkspartei den Weg von einer von einen CDU-Politiker geführten großen Koalition geebnet haben. Diese liegt durchaus im Interesse einer Kanzlerin, die sich damit wegen dem Verlust der schwarz-gelben Bundesratsmehrheit innenpolitisch deutlicher von der ungeliebten FDP distanzieren kann.

Wie weiter in Hessen?

Für die Hessen-CDU ist Kochs Totalrücktritt eine große Zäsur. Denn alle möglichen Nachfolger sind umstritten. So wird dem Favoriten in der Nachfolgedebatte, dem bisherigen hessischen Innenminister Volker Bouffier vorgeworfen, bei der Benennung eines Gießener Parteifreundes zum Chef der hessischen Bereitschaftspolizei das gesetzliche Prozedere sehr eigenwillig ausgelegt zu haben. Die Opposition spricht sogar von Rechtsbruch und forderte seinen Rücktritt.

Mit Silke Lautenschläger hat im Windschatten von Koch eine der wenigen Frauen der Hessen-CDU ihren Ausstieg aus der Politik angekündigt. Wie dünn das Personaltableau der hessischen CDU ist, zeigte sich auch daran, dass sie nach dem Rücktritt von Verteidigungsminister Franz-Josef Jung nicht mehr im Kabinett vertreten sind. Wer auch immer Koch nachfolgt, an seiner Politik dürfte sich wenig ändern. So werden wohl der Asta der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universität und die hessische LandesAstenkonferenz mit ihrer Einschätzung Recht behalten, dass eine Politikänderung nach Kochs Rückzug nicht zu erwarten ist.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32685/1.html

Peter Nowak