Nachrichten aus der Krisenrepublik

Mit »Der Gewinn der Krise« legt Jörg Nowak seinen Debutfilm vor
Wie es den Dax und der Börse in der Finanz- und Wirtschaftskrise geht, ist das Thema der Massenmedien. Aber wie gehen die Lohnabhängigen und Erwerbslosen damit um? Dieser Frage widmete sich der Berliner Politikwissenschaftler und soziale Aktivist Jörg Nowak in seinem ersten Film.
 
Im Sommer 2009 ist der Filmemacher quer durch die Republik gefahren, um mit Menschen zu reden, die auf unterschiedliche Weise von der Krise betroffen sind. »Die Route hat sich an Zeitungsmeldungen über Entlassungen, Werksschließungen und Kämpfe in Betrieben orientiert. Befragt haben wir aber auch Leute, die wir auf der Straße getroffen haben oder die wir vorher schon kannten«, sagt Nowak.

Während elf anonymisierte Gesprächspartner aus Eisenhüttenstadt, Frankfurt am Main, Alzenau, Kaiserslautern, Stuttgart und Glückstadt berichten, wie sich ihr Leben in der Krise verändert hat, sehen wir ihr Wohn- und Arbeitsumfeld. Zwischen den Interviews zieht die deutsche Landschaft aus der Perspektive eines PKW am Betrachter vorüber. Der Verzicht auf zusätzliche Kommentare oder filmische Effekte erweist sich ebenso als Stärke des Films, wie der Verzicht auf Politiker und Gewerkschaftsfunktionäre als Gesprächspartner. So ist der Film frei von Phrasendreschern oder Berufsoptimisten.

Es dominiert ein gnadenloser kapitalistischer Realismus, wenn eine Frau aus Eisenhüttenstadt von ihren vergeblichen Bemühungen berichtet, als Altenpflegerin ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Selbst ein Job im Dreischichtsystem mit schlechter Bezahlung in Berlin war nicht von langer Dauer. Auch der Philosophiedoktorand aus Frankfurt/Main hat wenig Hoffnung auf einen einigermaßen gut bezahlten Job im Wissenschaftsbetrieb. Er sieht in den USA, wo 60-jährige Arbeiter von der Polizei aus ihren zwangsversteigerten Häusern geholt werden, einen Blick in die Zukunft des Kapitalismus. Doch er befürchtet, dass wir auch der nächsten Krise wieder unvorbereitet gegenüber stehen. Ein Beschäftigter des Automobilzulieferers Mahle aus dem nordbayerischen Alzenau hofft noch auf Unterstützung vom Staat. Die Belegschaft hatte gegen die drohende Schließung im Mai 2009 das Werk drei Tage besetzt. Die Arbeiter gaben ihren Widerstand erst auf, nachdem Bereitschaftspolizei aufmarschiert war und ein eingeflogener Gewerkschaftsfunktionär zur Beendigung des Kampfes aufrief und auf die juristischen Folgen bei einer Fortsetzung hinwies. Jetzt sind die Beschäftigten bis 2011 in Kurzarbeit geparkt.

An die Versprechungen der Politiker, die Kraft der Gewerkschaften oder eine autonome Interessenvertretung glaubt keiner der Gesprächspartner. So passt das regnerische Wetter in den letzten Filmsequenzen zur Stimmung.

»Der Gewinn der Krise«, D 2010, 45 Minuten, von Jörg Nowak. Premiere am 22. Mai, 17 Uhr, im Regenbogenkino, Lausitzer Straße 22, Berlin-Kreuzberg. Anschließend Diskussion mit den Filmemachern, der Kulturwissenschaftlerin Katja Diefenbach und den Gewerkschaftsexperten Willi Hajek.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/171418.nachrichten-aus-der-krisenrepublik.html

Peter Nowak