Südafrika: Befreiung mit Fallstricken

Ein Sammelband liefert einen Blick hinter die WM-Kulissen am Kap der Guten Hoffnung
Die ersten Werbebanner für die Fußballweltmeisterschaft in Südafrika sind mittlerweile in deutschen Städten aufgetaucht. Wer sich über die sozialen und politischen Verhältnisse des Landes am Kap der Guten Hoffnung informieren will, der greife statt zu WM-Broschüren besser zu einem kürzlich im Verlag Assoziation A erschienenen Buch: »Südafrika – die Grenzen der Befreiung.«
 
Die eine Lesart über die Gesellschaft des heutigen Südafrika gibt es nicht. Deswegen kommen in dem Sammelband »Südafrika – Grenzen der Befreiung« 17 Wissenschaftler und Aktivisten aus und außerhalb von Südafrika zu Wort. Sie geben einen fundierten Überblick über ein Land, das bis zum Ende der Apartheid im Fokus der internationalen Linken stand. Die vor der Tür stehende WM wird nur in zwei von Romin Khan geführten Interviews gestreift. Während der Historiker Achille Mbembe moniert, die Regierung habe mit der konkreten Ausgestaltung der WM eine Chance auf eine Gesellschaftsumgestaltung verpasst hat, berichtet der aus Kongo stammende Straßenfriseur und soziale Aktivist Gaby Bikombo, was die WM für die Armen bedeutet. Um die Vorgaben des Weltfußballverbands zu erfüllen, sollen Bikombo und seine Kollegen während des Turniers von den Straßen verschwinden. Unterschiedlichen Sichtweisen stehen in dem Buch häufiger nebeneinander.

Was die unterschiedlichen Beiträgen vereint, sind die Probleme von sozialen Bewegungen, die in den letzten Jahren des Apartheid-Regimes gewachsen sind. Später wurden die sozialen Bewegungen zum großen Teil vom mächtigen Afrikanischen Nationalkongress (ANC) kooptiert oder an den Rand gedrängt. Dass dafür aber auch interne Probleme verantwortlich sind, zeigt Stephen Greenberg am Scheitern der Landlosenbewegung und Prishani Naidoo an den internen Konflikten des Antiprivatisierungsforums.

In dem Buch kommen kritische ANC-Mitglieder zu Wort, wie der Anti-Aids-Aktivist Zackie Achmad. Er sieht die Partei noch immer als ein Bollwerk gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Achmad und die Aktivistin Manisa Mali zeichnen in ihren Beiträgen ein wesentlich differenziertes Bild von der Aids-Politik der ANC-Regierungen, als ein Großteil der hiesigen Medien. So sehr sie die Ignoranz vom vorletzten Präsidenten Thabo Mkebi und seiner Gesundheitsministerin Manto Tshabalala-Msimang in der Frage der Aidsentstehung kritisieren, so machen sie doch deutlich, dass es in der Frage der Herstellung von wirksamen, günstigen Medikamenten sogar eine Zusammenarbeit gegen die Verbände der Pharmaindustrie gegeben hat.

Die letzten beiden Kapitel befassen sich mit dem Rassismus gegenüber Migranten aus anderen afrikanischen Ländern. Dabei geht der in der Arbeiterbildungsarbeit tätige Oupa Lehulere scharf mit der Position der größten südafrikanischen Gewerkschaft COSATU ins Gericht, der er vorwirft, sich hauptsächlich für die südafrikanischen Arbeiter zu engagieren. Für Lehulere ist der wachsende Rassismus in Südafrika nicht in erster Linie eine Folge der Verarmung sondern eine Niederlage linker Kräfte in der Arbeiterbewegung. Erst dadurch sei der Raum für rassistische Deutungsmuster der Armut geöffnet worden. Das Buch schließt mit einer Erklärung von Aktivisten aus Armensiedlungen in der Nähe von Durban, die sich wenige Tage nach den rassistischen Pogromen vom Mai 2008 in bewegenden Worten für einen gemeinsamen Kampf aller Unterdrückten ausgesprochen haben. Das Buch liefert einen guten Blick hinter die WM-Kulissen, die in den nächsten Monaten die Sicht auf die realen Lebensverhältnisse in Südafrika verstellen.

Jens Erik Ambacher, Romin Khan: Südafrika – die Grenzen der Befreiung. Verlag Assoziation A, Berlin/Hamburg, April 2010, 263 Seiten, 16 Euro.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/172053.suedafrika-befreiung-mit-fallstricken.html

Peter Nowak

Zahlen für die Krise

Nach der NRW-Wahl streitet die Bundesregierung über Mehrwertsteuererhöhungen und tabuloses Sparen. Wirtschaftsliberale wollen die Krise zur Schleifung sozialer Standards nutzen
Die Pessimisten könnten doch Recht haben. Nach der NRW-Wahl werde die schwarz-gelbe Bundesregierung die unpopulären Maßnahmen präsentieren, die sie mit Rücksicht auf die Wähler bisher in der Schublade gelassen hat, hieß es immer wieder. Nachdem unmittelbar nach der für CDU und SPD desaströs ausgegangenen NRW-Wahlen die Steuersenkungspläne in der Schublade verschwanden, ohne dass die FDP noch viel Widerstand entgegensetzten konnte, streitet die Bundesregierung nun leidenschaftlich über Steuererhöhungen.
   

Führende Unionspolitiker wollen den Mehrwertsteuersatz erhöhen und auch die erst im Dezember 2009 beschlossene Steuererleichterung für das Hotelgewerbe auf den Prüfstand stellen. Darüber ist die FDP, die diese Maßnahme als ersten Schritt in das von ihr propagierte Niedrigsteuerparadies für Mittelständler propagiert hatte, überhaupt nicht erfreut. Der liberale Wirtschaftsminister Brüderle und FDP-Generalsekretär Lindner haben mit ihrer Erklärung, dass es mit der FDP Steuererhöhungen nicht geben wird, wenig Spielraum für Kompromisse gelassen. Und ohne die FDP? Heißt dann die naheliegende Frage.

Droht eine Koalitionskrise?

Schließlich soll das Sparpaket auf einer Klausursitzung der Bundesregierung am 6. Und 7. Juni festgezurrt werden. Tatsächlich ist ein Ende der Koalition nicht ausgeschlossen.
Es hängt davon ab, ob die FDP ihre Perspektive eher in einer rechtsliberalen Bewegung sieht und sich als Rächer der enttäuschten Steuerbürger geriet, die sich in Online-Kommentaren im Handelsblatt ressentimentgeladen zu Wort melden, oder ob sie wie in der Vergangenheit als Funktionspartei agieren will. Es gibt Signale in beide Richtungen.

In NRW hatte sich die Landes-FDP mit ihrer Weigerung mit SPD und Grünen auch nur über eine Ampelkoalition zu reden, rechtsaußen positioniert. Mittlerweile gibt es aber auch innerparteilich Zuspruch für eine Ampelkoalition. Auch Westerwelle steht innerparteilich mittlerweile verstärkt in der Kritik. Eine kategorische Ablehnung jeglicher Steuererhöhungen könnte innerparteilich manche Risse kitten, denn darüber besteht weitgehend Einigung.

Doch schon über den neuesten Plan von Gesundheitsminister Rösler, Besserverdienende bei der Gesundheitsreform stärker zur Kasse zu bitten, gibt es bei den Liberalen Streit. Dass parallel zur Steuererhöhungsdebatte in der Union auch über Sparpläne debattiert wird, dürfte wiederum ganz im Sinne der FDP sein.

„Differenzierte Rasen-Mäher-Methode“

Am deutlichsten äußerte sich Roland Koch, der sich nach seinem angekündigten Rücktritt wohl auch nicht mehr so leicht in die Koalitionsdisziplin einbinden lässt. Die Bundesregierung habe nur die Wahl zwischen Steuererhöhungen und einem rigiden Sparprogramm ohne Tabus. Dabei griff er die schon vor einigen Wochen auch in seiner Partei heftig kritisierten Sparvorschläge bei der Bildung auf. Zudem regte Koch Kürzungen bei den Beschäftigungsmaßnahmen für Erwerbslose, den Steinkohlehilfen und den Subventionen für den öffentlichen Personen-Nahverkehr an.

Dieses Sparprogramm sei eine „differenzierte Rasenmäher-Methode“. Merkel lehnt Einschränkungen bei der Bildung weiter ab, bei den Förderprogrammen für Erwerbslose hingegen kann sie sich Einsparungen vorstellen. Auch Finanzminister Schäuble sieht bei Hartz IV-Leistungen weitere Einsparmöglichkeiten. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertag, Hans Heinrich Driftmann will nicht nur Leistungen für Arbeitslose auf den Prüfstand stellen. Er regte auch an, die von der großen Koalition beschlossene Rentengarantie abzuschaffen. Solche Vorschläge sollen deutlich machen, dass es beim Schleifen von Sozialstandards nun wirklich keine Tabus mehr geben dürfe.

Gesund- oder Kaputt-Sparen?

Der Sparzwang wird von der Bundesregierung und auch von der SPD als unhinterfragbarer Sachzwang hingestellt. Nur über die Frage, wo und wie gespart werden soll, wird gestritten. Auch im aktuellen Spiegel zeigen schon die Überschriften „Wie die Republik sich gesundsparen kann“ und „Wie die Bildungsausgaben gekürzt werden können“, dass sich hier ein Medium als Politikberatungsagentur geriert. Den Spardiskurs zu hinterfragen kommt den Redakteuren eines Blattes, das sich einst für seine kritische Berichterstattung loben ließ, nicht in den Sinn.

Doch in der Leserschaft gibt es hier durchaus kritische Töne. So bezeichneten in einer Umfrage mehrere User ein Sparprogramm als Gift für die Konjunktur. Damit stehen sie nicht allein. Die Grünen fordernt eine höhere Besteuerung von Besserverdienenden. Auch der DGB-Vorsitzende Sommer und gewerkschaftsnahe Ökonomen erinnern daran, dass die leeren Kassen in erster Linie die Folge einer Politik sind, die die Steuern für Vermögende gesenkt hat und sich mit der Schuldenbremse ohne Not einen Knebel ins Gesetz geschrieben hat, den sie jetzt als Sachzwang verkaufen will.

So ist es denn auch nicht die Wirtschaftskrise, die jetzt diese tabulosen Sparpläne erzwingt. Vielmehr wird die Krise als Argument genutzt, um soziale Standards zu schleifen, die Wirtschaftsliberale schon lange für entbehrlich hielten. Der Krisendiskurs ist dafür eine günstige Gelegenheit, weil sich zumindest in Deutschland die Vorstellung in weiten Kreisen der Bevölkerung durchgesetzt hat, dass man in Zeiten der Krise noch mehr Verzicht üben muss. Dieser Geist prägt auch die in der letzten Woche getroffenen Vereinbarungen zwischen der Opel-AG und den Gewerkschaften über die Standortsicherung.

Sorgt Spardebatte für Widerstand von unten?

Dass auch andere Reaktionen möglich sind, zeigte der Widerstand gegen das Krisenprogramm in Griechenland und die beginnenden Streiks gegen eine Anhebung des Rentenalters in Frankreich. Ob solche Aktionen auch in Deutschland auf Sympathie stoßen, könnte sich am 12. Juni zeigen.

Dann ruft ein bundesweites Antikrisen-Bündnis in Berlin und Stuttgart zu Demonstrationen unter dem Motto „Wir zahlen nicht für Eure Krise“ auf. Der Berliner Bündnissprecher Michael Prütz zeigte sich mittlerweile optimistisch, dass die Demonstrationen größer als erwartet werden. Die Debatte um die Sparpläne könnte dazu beitragen. Dann würde sich ein neuer Akteur zu Wort melden: die Bevölkerung, die in dem Streit der Politiker bisher als Bremsfaktor gar nicht mit eingeplant war.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32716/1.html

Peter Nowak

Widerstand gegen Gewerkschaftsausschlüsse

Alternative Kandidaturen für den Betriebsrat sind bei der IG Metall scheinbar nicht erwünscht
Mehr als 150 Gewerkschafter hatten sich am Samstagabend im ND-Haus in Berlin auf einer Veranstaltung mit oppositionellen Gewerkschaftern solidarisiert. Anlass sind drohende Ausschlüsse von Gewerkschaftern aus ihren Organisationen in den Daimler-Standorten Berlin, Kassel und Sindelfingen.
Die Berliner IG Metall hat kürzlich ein Untersuchungsverfahren gegen  Mitglieder aus dem Daimler-Werk in Berlin-Marienfelde eingeleitet, weil diese auf alternativen Listen zur offiziellen IG-Metall-Liste zum Betriebsrat kandidiert hatten. Die »Alternative offene Liste« zog mit fünf von 21 Sitzen in den Betriebsrat ein. Auch die Liste »Faire Basis« konnte einen Sitz erringen. Alle IG-Metall-Mitglieder, die auf diesen oppositionellen Listen kandierten, müssen nun mit Funktionsverboten oder gar einem Gewerkschaftsausschluss rechnen.

Hakan Göggoz, einer der Betriebsräte der Alternativen, ist davon nicht betroffen. Er hat erst nach seiner Kandidatur die IG-Mitgliedschaft beantragt, aber bisher keine Antwort erhalten. Göggoz berichtet, dass die IG-Metall-Mehrheit den oppositionellen Vertrauensleuten die Bestätigung verweigert. Felix Weitenhagen, Betriebsratsmitglied beim Berliner Siemens-Schaltwerk, nannte die Unvereinbarkeitsbeschlüsse der IG Metall gegen linke Organisationen ein Relikt des Kalten Krieges, das innerhalb der Gewerkschaften auch zunehmend in die Kritik gerate. Trotzdem sei diese Praxis in der letzten Zeit noch verschärft worden.

Der Journalist und langjährige Gewerkschafter Eckart Spoo setzte sich auf der Veranstaltung mit dem Vorwurf auseinander, die Oppositionellen würden die Einheit der Gewerkschaft gefährden. Zur Einheitsgewerkschaft gehörten historisch gesehen auch sozialistische und kommunistische Positionen. Wenn aber die IG-Metall-Mehrheit im Betriebsrätewahlkampf den Oppositionellen Antikapitalismus vorwerfe, würde diese Einheit von rechts in Frage gestellt, so Spoo.

Auch Tom Adler widersprach dem Vorwurf, eine kämpferische Politik schade der Gewerkschaft. Im Gegenteil hätte die IG Metall überall dort gute Ergebnisse abgeschnitten, wo kämpferische Positionen vertreten wurden, sagte der Untertürkheimer Daimler-Betriebsrat. Wo die Gewerkschaft für Co-Management bekannt sei, hätte sie dagegen schlechte Ergebnisse erzielt. Dass in Untertürkheim die Oppositionellen wieder auf der IG-Metall-Liste kandierten, sei das Ergebnis von Kompromissen beider Seiten. Adler wehrte sich gegen den Versuch, die gemeinsame Liste gegen die Oppositionellen in Berlin auszuspielen.

Gewerkschafter aus dem Publikum bekundeten ihre Unterstützung für die Oppositionellen und betonten ihre Forderung nach einer kämpferischen Gewerkschaftspolitik. »Viele Kollegen erklären, dass sie für die Durchsetzung von Lohnkürzungen keine Gewerkschaften brauchen. Für die Verteidigung von Arbeiterrechten aber sehr wohl«, brachte ein IG-Metaller die Stimmung der Basis auf den Punkt. Als eine zentrale Frage sehen die linken Gewerkschafter die Wiederaufnahme des Kampfes um eine Verringerung der Arbeitszeit. Die Forderung nach der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich prangte denn auch auf einem Transparent gleich neben dem Podium.

Unterstützung bekommen die Oppositionellen aber nicht nur aus dem Gewerkschaftsspektrum. Der Sprecher des Bündnisses »Wir zahlen nicht für Eure Krise«, Michael Prütz, kündigte an, die Gewerkschaftslinken würden am 12. Juni an der Spitze der Krisendemonstration in Berlin gehen, und einen zentralen Redner stellen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/171967.widerstand-gegen-gewerkschaftsausschluesse.html
Peter Nowak

Gebetsfreier Raum Schule?

 

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg verweist auf den durch die gewährten Gebete möglicherweise gefährdeten Schulfrieden
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, das einem islamischen Schüler kein Recht auf ein Gebet in der Schule einräumt, sorgt für Kontroversen.

Der Berliner Gymnasiast Yunus Mitschele hatte vor Gericht sein Recht einklagen wollen, in der Schule beten zu dürfen. Doch das Berliner Oberverwaltungsgericht hat jetzt entschieden, das die Schule das Gebet außerhalb des Religionsunterrichts grundsätzlich verbieten kann.

Damit hat es ein Urteil des Berliner Verwaltungsgerichtes aufgehoben, das dem Schüler das Recht zugestanden hatte, in der Schule einen Raum zum Beten zu erhalten.

In der Begründung ist das Gericht damals auf das im Grundgesetz festgeschriebene Recht auf die ungestörten Religionsausübung rekurriert.

„Der Kläger betrachtet das Verrichten der islamischen Ritualgebete zu den vorgeschriebenen Zeiten als für sich verbindlich; das Befolgen dieser Glaubensregel ist für ihn Ausdruck seines religiösen Bekenntnisses“, befand damals das Berliner Verwaltungsgericht.

Die Begründung des konträren Urteils der höheren Instanz liegt noch nicht schriftlich vor. In der mündlichen Begründung verwiesen die Richter auf den gefährdeten Schulfrieden, wenn in einer Schule unterschiedliche Kulturen und Glaubensrichtungen aufeinander treffen. Zudem argumentierten die Richter mit den begrenzten Ressourcen der Schulen:

„Denn die dem Kläger gewährten Vorkehrungen müssten bei vergleichbarer Interessenlage auch anderen Schülern gewährt werden, was gerade bei der Vielzahl der an der Schule vertretenen Religionen und Glaubensrichtungen angesichts begrenzter personeller und sächlicher Ressourcen der Schule die organisatorischen Möglichkeiten sprengen und die Konfliktlage auch nicht vollends beseitigen würde.“

Der Gerichtskommentator Christian Rath nannte das Urteil „völlig überzogen“. Die von ihm interviewte Juristin Kirsten Wiese von der Humanistischen Union sieht gar die Religionsfreiheit infrage gestellt. Dass die Forderung nach der Trennung von Schule und Religion eigentlich eine alte emanzipatorische Forderung ist, bleibt dabei unerwähnt. Dann müssten aber alle Religionen gleich behandelt haben.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/147722

 

Peter Nowak

Haustarif und Mindestlohn

Der Kampf um den Mindestlohn in der Postbranche geht weiter
Ver.di will Haustarifverträge in der Briefdienstbranche abschließen. Der Postmindestlohn ist deshalb nicht vom Tisch.
Ver.di will Haustarifverträge für Briefzusteller. »Wir werden die Unternehmen der Briefdienstebranche, bei denen wir auseinandersetzungsfähig sind, zu Verhandlungen über Haustarifverträge auffordern«, kündigte die stellvertretende ver.di-Vorsitzende, Andrea Kocsis am Mittwoch an. Den entsprechenden Beschluss habe die Tarifkommission gefasst, nachdem die Vertreter des Arbeitgeberverbandes Neue Brief- und Zustelldienste (AGV NBZ) einer Einladung zu Tarifverhandlungen vorige Woche nicht gefolgt waren.

Nach einer Erhebung der Bundesnetzagentur sind Stundenlöhne von bis zu 5,50 Euro bei den Briefdiensten nichts Ungewöhnliches. Der von der Bundesregierung verordnete Branchenmindestlohn für Briefzusteller von 9,80 pro Stunde war Ende Januar vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wegen eines Verfahrensfehlers gekippt worden. Mit dem Auslaufen der Mindestlohnverordnung zum 30. April hatte die Bundesregierung die Tarifparteien beauftragt, die vertraglichen Voraussetzungen für eine neue Verordnung zu schaffen.

Am vergangenen Donnerstag hatte ver.di einen neuen Anlauf gestartet, doch der Stuhl des NBZ-Präsidenten Florian Gerster blieb leer. Der ehemalige SPD-Politiker und spätere Chef der Bundesarbeitsagentur erklärte gegenüber der Tageszeitung »Welt«, er sei grundsätzlich zu Gesprächen bereit, wenn ver.di von seinen Lohnforderungen abgeht. Ver.di versicherte dagegen, noch keine Lohnforderungen gestellt zu haben. »Das Nichterscheinen von Herrn Gerster oder seiner Mannschaft lässt uns ernsthaft an der Bereitschaft des AGV NBZ zweifeln, mit uns tatsächlich einen Tarifvertrag abzuschließen», monierte Andrea Kocsis.

Die Zweifel hat Florian Gerster bestärkt, als er in der »Welt« androhte, sein Verband könne jederzeit mit einer anderen Gewerkschaft verhandeln. Schon in der Vergangenheit versuchten die Unternehmerverbände durch Verhandlungen mit kleinen Gewerkschaften, der Auseinandersetzung mit ver.di aus dem Weg zu gehen und die Löhne zu drücken. In dem Zusammenhang geriet auch die heutige niedersächsische Sozialministerin Aygül Özkan (CDU) in die Kritik. Sie soll laut Medienberichten vor zwei Jahren für die deutsche Tochter des niederländischen TNT-Konzerns einen Tariflohn von 7,50 Euro in der Stunde ausgehandelt haben. Sie führte die Verhandlungen mit der Christlichen Gewerkschaft Postservice und Telekommunikation. Ver.di hatte jedoch den seinerzeit geltenden Mindestlohn von 9,80 Euro mit der Post ausgehandelt. »Da ihr als Juristin bekannt gewesen sein muss, dass damals ein Postmindestlohn von 9,80 Euro galt, hat Özkan mit ihren Löhnen die Grenze zur Sittenwidrigkeit überschritten«, kritisierte der Frankfurter Arbeitsrechtler Otto Ernst Kempen.

»Durch immer höhere Zielvorgaben, weniger Personal und steigende Krankenstände wächst der Druck«, zitiert die Gewerkschaftszeitung ver.di-Publik Mitarbeiter der Zustellbranche. Auch der Bundesvorsitzende der nicht bei ver.di organisierten Kommunikationsgewerkschaft DPV (DPVKOM) Volker Geyer warnte vor einer Verschärfung des Lohn- und Sozialdumping in der Zustellbranche. Der DPV sammelte kürzlich rund 20 000 Unterschriften für einen neuen Mindestlohn.

Die Frage wird nun sein, ob die Gewerkschaften auch zu schärferen Kampfmitteln greifen. Die jüngste Forderung nach Haustarifverträgen klingt eher defensiv, auch wenn verbal am Mindestlohn festgehalten wird.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/171792.haustarif-und-mindestlohn.html

Peter Nowak

Afghanistankrieg ungeschönt und ungefiltert

Ein preisgekrönter Dokumentarfilm erregt die dänische Öffentlichkeit
„Was kümmert mich, wenn hier ein Mädchen stirbt. Pech, wie verschüttete Milch. Es sterben so viele Leute.“ Das ist eine der Passagen, die derzeit in der dänischen Öffentlichkeit erregt diskutiert werden. Es ist das Statement eines dänischen Soldaten im Afghanistaneinsatz. Sie stammt aus dem Film Armadillo, der beim Filmfestival in Cannes preisgekrönt wurde.

Der dänische Filmemacher Janus Metz hat für seinen Dokumentarfilm die dänischen Soldaten in Afghanistan über Monate begleitet. Er wollte das wahre Gesicht des Krieges in Afghanistan zeigen. Das ist ihm gründlich gelungen und hat jetzt in dem skandinavischen Land zu einer kritischen Debatte über das militärische Engagement am Hindukusch geführt.

Obwohl bereits 29 dänische Soldaten in Afghanistan ums Leben gekommen sind, war der Einsatz der 750 ISAF-Soldaten, die dort vor allem in der Provinz Helmand aktiv sind, bisher kaum Gegenstand einer öffentlichen Diskussion. Das hat Armadillo verändert. Denn der Film konterkariert das offizielle dänische Selbstbild von den Soldaten als eine Art bewaffneter Hilfs- und Menschenrechtsorganisation. Die im Film zitierten Soldaten machen nämlich deutlich, dass sie nicht aus politischen Gründen, sondern wegen des persönlichen Kicks in Afghanistan sind.
„Fuck, war das fett! Da lagen vier und röchelten. Taktaktaktak, wir halten drauf, 30, 40 Schuss in den einen. Da kriecht keiner mehr weg, wenn wir da waren. Fucking fett! Jetzt ist man im Krieg gewesen!“, so äußert sich ein Soldat, der den Krieg als eine Art Computerspiel in Realität begreift.

Schon sprechen manche Kriegsgegner von einem dänischen Vietnam. In den späten 60er und frühen 70er Jahren sorgten Filme in den USA dafür, dass sich eine realistische Sicht auf den Vietnamkrieg verbreitete und die Opposition gegen den Krieg wuchs.

 
 

Übrigens steht ein ähnlicher Film über die deutschen Soldaten in Afghanistan noch aus. Der Film Der Tag der Spatzen handelt von dem Versuch des Filmemachers Philipp Scheffners, sich dem Thema Militarisierung in Form eines politischen Naturfilms anzunähern. „Wir wollten nie nach Afghanistan, erklärt Philipp Scheffner, und sein Film beweist, dass man das, was dort geschieht, unter Beteiligung der Bundeswehr nicht filmen kann“, schreibt die FAZ. Warum eigentlich nicht?.

http://www.heise.de/tp/blogs/6/147703

Peter Nowak

Kritisch bis in die Schnipsel

Das Filmfestival Globale mit Beiträgen zu Arbeitswelt, Emanzipation und Israel
 
Einblicke in die internationale Arbeitswelt: Szene aus dem Film »Terra Extrema«
Foto: Globale
»Wir haben keinen Slogan. Wir haben etwas zu zeigen.« So wirbt das am heutigen Donnerstag beginnende globalisierungskritische Filmfestival Globale für sich. Bis zum 2. Juni werden im Kino Moviemento in Kreuzberg und in den Räumen des Vereins allmende e.V. gesellschaftskritische Filme gezeigt. Daneben gibt es eine Reihe von Diskussionsveranstaltungen, bei denen auch der selbstkritische Rückblick auf die eigene Geschichte nicht fehlen soll.

Im Jahr 2003 startete eine Gruppe junger Kunstschaffender, Studierender und Gewerkschafter die erste Globale. Damals hatte die globalisierungskritische Bewegung gerade ihren Zenit überschritten und das Festival sollte Bilder liefern, die mehr als nur Propaganda waren. Damals machte das Zauberwort vom Medienaktivismus die Runde. Im Jahr 2010 bietet das Festival nun die Gelegenheit, ein Resümee zu ziehen. Was ist aus der Idee der Demokratisierung der Medien geworden? Hat das Internet wirklich die Spielräume für politisches Handeln erweitert? So lauten denn auch einige der Fragen, denen sich am Samstag ab 14 Uhr eine Diskussionsrunde widmet.

Noch aus der 68er-Bewegung und ihren Nachwirkungen stammt ein weiteres Zauberwort: die sexuelle Revolution. Eine Filmreihe widmet sich der Frage, ob der Traum von Ausbruch aus alten Zwängen nicht zu neuer Frauenunterdrückung geführt hat und ob im Porno noch emanzipatorische Elemente zu finden sind. Dass die Globale heiße Eisen nicht scheut, zeigt auch die Reihe zum Thema Israel. Dabei soll nicht der die deutschen Linken polarisierende Streit über das Verhältnis zwischen Palästinensern und Israelis, sondern die unterschiedlichen Facetten innerhalb der israelischen Gesellschaft im Mittelpunkt stehen. Die wachsende Bedeutung von orthodoxen jüdischen Gemeinden in Israel wird ebenso Thema eines Filmes sein, wie die Bedeutung der Marke Jaffa-Orangen, die in Israel nicht nur geschätzte Exportprodukte sind, sondern auch ein Symbol für die Fruchtbarmachung der Wüste. Ein weiterer Film widmet sich der der Frage, wie linke Israelis über ihren Staat denken.

Wie in den vergangenen Jahren werden auch auf dieser Globale im Komplex »Labour-Movies« Themen aus der Arbeitswelt im Mittelpunkt stehen. Dabei wird es um den Konflikt im Berliner Kino Babylon ebenso gehen, wie um einen langjährigen, am Ende erfolgreichen Streik im mexikanischen Reifenwerk Euskadi. Im Film »Der Gewinn der Krise« geht es um die Frage, wie Menschen mit den Krisenfolgen umgehen. »Die Fragen nach den politischen Spielräumen in der ›Krise‹ werden sowohl im Film als auch in den Diskussionen einen wichtigen Stellenwert haben«, erklärt Globale-Sprecher Tobias Hering. Allerdings hat die Globale nicht erst wegen der momentanen Krise einen kapitalismuskritischen Anspruch, betont er. Zudem sieht es Hering als einen besonderen Erfolg, dass die Globale auch im sechsten Jahr ihre Unabhängigkeit bewahrt hat und den gerade bei Kulturprojekten häufigen Weg der Kommerzialisierung erfolgreich umgehen konnte.

Zudem hat die Globale auch den zweiten Teil des Begriffs »Medienaktivismus« immer ernst genommen. So findet am 30. Mai um 17 Uhr eine Videovorführung vor dem Ausreisezentrum in der Motardstraße in Berlin-Spandau statt, in dem geduldete Flüchtlinge leben. Und am 6. Juni findet als Abschlussaktion der Globale um 17 Uhr ein kritischer Rundgang durch das Deutsche Historische Museum statt. Dabei soll 125 Jahre nach der Berliner Afrikakonferenz ein kritischer Blick auf den deutschen Kolonialismus geworfen werden. Ab 20.30 Uhr soll es dann an der Temporären Kunsthalle Filmschnipsel zum Thema geben.

Mittlerweile hat die Globale in verschiedenen deutschen Städten, aber auch in Polen und Uruguay Nachahmer gefunden.

Bis 2. Juni, Moviemento, Kottbusser Damm 22, weitere Infos unter www.globale-filmfestival.org

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/171734.kritisch-bis-in-die-schnipsel.html

Peter Nowak

Totalausstieg mit Comeback-Fenster

Koch verabschiedet sich aus der Politik – vorerst
Für seine Gegner war der hessische Ministerpräsident Roland Koch eine Art moderner Franz-Josef Strauß. Wie einst der bayerische CSU-Politiker verstand sich auch Koch auf das Polarisieren.
   

1999 brachte er der rot-grünen Bundesregierung eine innenpolitische Niederlage bei, als er die damalige hessische Landtagswahl zum Plebiszit über die von der Bundesregierung geplante doppelte Staatsbürgerschaft machte und dabei auch vor einer Unterschriftenkampagne mit rassistischen Untertönen nicht zurückschreckte. Nachdem die Hessen-CDU damit die Wahl gewonnen hatte, strich die Regierungskoalition die ursprünglichen Pläne eines modernisierten Ausländerrechts stark zusammen. Auch in der Umweltpolitik blieb der erklärte Befürworter des Weiterbetriebs von Atomkraftwerken auf Rechtskurs. Anders als sein NRW-Kollege Rüttgers stand er deshalb auch nie in dem Ruf, mit den Grünen koalieren zu wollen.

Sein Rücktritt wurde seit Jahren immer wieder gefordert. Doch er schien ähnlich wie seinerseits Strauß als Steh-auf-Männchen der Politik die Kritik an seinen konservativen Wahlkampfstil ebenso zu überstehen wie Untersuchungen über geheime Parteikassen und ähnliche Affären. Als Koch und seine hessische CDU 2008 mehr als 10 Prozent der Wählerstimmen verloren hatten und seine sozialdemokratische Konkurrentin Ypsilantis große Zugewinne verzeichnete, schien die Ära Koch in Hessen schon vorbei. Doch da sich die SPD über der Frage einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei zerstritt und der rechte Parteiflügel ihr die Gefolgschaft verweigerte, kam bei den Neuwahlen Kochs Comeback. Spätestens zu diesem Zeitpunkt schienen sich auch seine vielen Gegner und Kritiker mit dem ewigen Koch abgefunden zu haben.

Umso überrascht waren sie, dass der Politiker heute auf einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz nicht nur seinen Rücktritt vom Amt des hessischen Ministerpräsidenten am 31. August ankündigte. Er verzichtet auch auf eine erneute Kandidatur zum hessischen CDU-Vorsitzenden, legt sein Amt als Landtagsabgeordneter nieder und er will auch nicht mehr für das Amt des stellvertretenden CDU-Vorsitzenden kandieren.

Dieser Totalausstieg aus der Politik überrascht viele politische Beobachter. Dass Koch, allen gegenteiligen Bekundungen zum Trotz, nach 12 Jahren Hessen den Rücken kehren wollte, hatten viele erwartet. Allerdings waren ihm immer bundespolitische Ambitionen nachgesagt worden. Schließlich hatte er sich in den letzten Jahren nicht nur in Interviews und Erklärungen in bundespolitische Angelegenheiten eingemischt. Gemeinsam mit dem SPD-Politiker Steinbrück erstellte er schon 2003 eine Liste zum Subventionsabbau, die in Zeiten der Wirtschaftskrise wieder verstärkt in die Diskussion gebracht wird. Mit seinem letzten bundespolitischen Vorstoß von massiven Finanzkürzungen auch im Bildungsbereich (Roland Koch bläst zum Angriff auf die Bildung) stieß er allerdings nicht nur bei politischen Gegnern sondern auch in seiner eigenen Partei auf starke Kritik.

Souveräne Entscheidung

Koch bestritt auf der Pressekonferenz alle Spekulationen, dass sein Rücktritt eine Folge dieser Kritik sein könnte. Sein Entschluss habe vielmehr schon fast ein Jahr festgestanden und sei einem kleinen Kreis von Spitzenpolitikern, unter anderem der Bundeskanzlerin, bekannt gewesen.
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 Lassen Sie mich zum Abschluss eines noch hinzufügen: Ich bin der erste hessische Ministerpräsident, der aus souveräner eigener Entscheidung das Amt aufgibt.

Er werde nicht sofort in ein Amt wechseln, aber auch nicht lange auf der Pensionärsliste stehen, erklärte Koch zu seinen Zukunftsplänen. Allerdings ist es sehr wahrscheinlich, dass er einen Posten in der Wirtschaft schon in Aussicht hat.

Vor ihm haben diesen Weg aus der Politik in die besser bezahlte Wirtschaft zahlreiche Vertreter von SPD, Union, FDP und auch der Grünen angetreten. Manche nach Wahlniederlagen wie der SPD-Rechte Wolfgang Clement, andere wie Kochs Parteifreund Friedrich Merz haben ihren Abschied aus der Politik mit offener Kritik an dem Zustand ihrer eigenen Partei und der Bundesregierung verbunden. Bei Koch finden sich auch bei seinem Rücktritt solche Töne nicht. Dabei galt er lange Zeit als konservativer Konkurrent von Merkel innerhalb der Union.

Nachdem allerdings der innerparteiliche Machtkampf zu ihren Gunsten entschieden war, betonte er nach Außen immer seine Loyalität zur Bundeskanzlerin. Deshalb wurde auch die von ihm losgetretene Spardebatte im Bildungsbereich von Beobachtern als erste Distanzierung von einer nach den NRW-Wahlen auch innerparteilich in die Kritik geratenen Bundeskanzlerin interpretiert. Mit seinem Totalrücktritt hat sie zumindest von dieser Seite keine Konkurrenz zu befürchten, vorerst.

Sollte es weitere Wahlniederlagen der Union geben und Merkels Führungsanspruch ernsthaft gefährdet sein, könnte auch für Koch wieder die Stunde kommen. Ausgeschlossen hat er das nicht. Zur Zeit kann Merkel allerdings mit der Entwicklung in NRW zufrieden sein, nachdem SPD und Grüne mit der Absage an eine Koalition mit der Linkspartei den Weg von einer von einen CDU-Politiker geführten großen Koalition geebnet haben. Diese liegt durchaus im Interesse einer Kanzlerin, die sich damit wegen dem Verlust der schwarz-gelben Bundesratsmehrheit innenpolitisch deutlicher von der ungeliebten FDP distanzieren kann.

Wie weiter in Hessen?

Für die Hessen-CDU ist Kochs Totalrücktritt eine große Zäsur. Denn alle möglichen Nachfolger sind umstritten. So wird dem Favoriten in der Nachfolgedebatte, dem bisherigen hessischen Innenminister Volker Bouffier vorgeworfen, bei der Benennung eines Gießener Parteifreundes zum Chef der hessischen Bereitschaftspolizei das gesetzliche Prozedere sehr eigenwillig ausgelegt zu haben. Die Opposition spricht sogar von Rechtsbruch und forderte seinen Rücktritt.

Mit Silke Lautenschläger hat im Windschatten von Koch eine der wenigen Frauen der Hessen-CDU ihren Ausstieg aus der Politik angekündigt. Wie dünn das Personaltableau der hessischen CDU ist, zeigte sich auch daran, dass sie nach dem Rücktritt von Verteidigungsminister Franz-Josef Jung nicht mehr im Kabinett vertreten sind. Wer auch immer Koch nachfolgt, an seiner Politik dürfte sich wenig ändern. So werden wohl der Asta der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universität und die hessische LandesAstenkonferenz mit ihrer Einschätzung Recht behalten, dass eine Politikänderung nach Kochs Rückzug nicht zu erwarten ist.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32685/1.html

Peter Nowak

Berufsverbot für Heavy-Metal-Musiker?

Baden-Württemberg: Behörden verlangen von einem Lehramtsanwärter, dass er sich nachweislich von seiner Musikrichtung distanziert
Die Metal-Band Debauchery macht zurzeit auf ungewöhnliche Weise Schlagzeilen. Der Sänger und Gitarrist der Band, Thomas Gurrath, darf wegen seiner musikalischen Nebentätigkeit in Baden-Württemberg nicht als Ethiklehrer unterrichten. Der Student für Politik, Ethik und Geschichte auf Lehramt hat am 1. Januar 2010 im Stuttgarter Hegelgymnasium sein Referendariat begonnen. Doch als Gurraths Seminarleiter, bei dem er auch seine musikalischen Auftritte anmeldet, im Zuge einer Internetrecherche auf das Plattencover der Band stößt, ist es mit dem Schulfrieden vorbei. Die Schulrektorin wird verständigt, die Gurrath zum Gespräch vorlädt. Gurrath berichtet, er sei von der Rektorin im Laufe des Gesprächs als psychisch krank bezeichnet worden.

„Sie kündigte eine Attestpflicht für mich an und sagte, sie werde die Lehrerschaft über mich informieren, damit sie wissen, mit wem sie es zu tun hätten. Zusätzlich wurden alle Fachleiter informiert“, beschreibt der Referendar das Gespräch.

Gurrath wird schließlich vor die Alternative gestellt, entweder sein Engagement als Musiker aufzugeben oder als Lehrer zu kündigen. Er entscheidet sich für Letzteres. Doch damit gibt sich das Stuttgarter Regierungspräsidium nicht zufrieden. Es will Gurrath erst dann wieder als Lehrer einstellen, wenn er „(…) den Nachweis erbringt, dass er sich von seiner bisherigen Musikrichtung (…) über einen Zeitraum von drei Jahren distanziert hat (…)“.

Der Hamburger Rechtsanwaltes Niels Bialeck sieht speziell für diese Distanzierungsaufforderung keine juristische Grundlage. „Allein von einer Nebentätigkeit als Musiker auf die persönliche Nichteignung zu schließen, überspannt in meinen Augen eklatant den Spielraum, den ein staatlicher Dienstherr bei der Beurteilung seiner Anwärter hat“, so der Jurist.

Mit dieser Auflage, die ein faktisches Berufsverbot zumindest für staatliche Schulen darstellt, werden sich demnächst die Gerichte befassen. Denn Gurrath will dagegen klagen. Im Internet wird schon gegen das „Berufsverbot“ für Gurrath mobilisiert. Ein längerer Beitrag im Feuilleton der Welt hat aus der Provinzposse endgültig einen Fall gemacht, der bundesweit auf Aufmerksamkeit stößt.

http://www.heise.de/tp/blogs/6/147684

Peter Nowak

Gedenkort oder ein besseres Hotel?

 

Kein Mensch ist asozial – Arbeitskreis wendet sich gegen die Verfolgung von Armen

 

Der Begriff »asozial« dient bis heute zur Stigmatisierung
und Ausgrenzung von Menschen. Der damalige Wirtschaftsminister
und vielseitige Wirtschaftslobbyist Clement hat sich
im Zuge der Einführung von Hartz IV mit der Hetze gegen Erwerbslose
hervorgetan. Doch der Begriff hat eine Geschichte, die
oft wenig bekannt ist. Das will Arbeitskreis der »Marginalisierte
– gestern und heute« ändern. Er vereint Aktivisten von
Erwerbsloseninitiativen, Gewerkschaften oder antifaschistischen
Gruppen. »Wir beschäftigten uns mit den Ursachen, Erscheinungsformen
und Auswirkungen der Ausgrenzung und Verfolgung von Menschen, die vom gesellschaftlichen Reichtum an Waren und Gütern, Kultur sowie sozialen
Beziehungen ausgeschlossen sind«, fasst Anne Allex die
Arbeit des von ihr mitbegründeten Arbeitskreises zusammen. In
den knapp zwei Jahren des Bestehens hat er schon mehrere Veranstaltungen
und Ausstellungen konzipiert, die sich mit der Ausgrenzung
und Stigmatisierung von Menschen befassten. Die letzte Veranstaltungsreihe zeigt das Schicksal von vier Heimkindern von der Nazizeit bis in die
Gegenwart. Auch ver.di gehört zu den Kooperationspartnern.

Aktualitätsbezug ist wichtig.
»Die Stigmatisierung und Verfolgung von sogenannten Asozialen
und schwer Erziehbaren war in beiden deutschen Staaten nach
1945 keineswegs zu Ende«, betont Allex. Dem Arbeitskreis gehe
es darum, deutlich zu machen, dass kein Mensch asozial ist und
dass es kein unwertes Leben gibt. Die Aktivisten kämpfen um einen
Gedenkort für die Opfer der Asozialenverfolgung im ehemaligen
Berliner Arbeitshaus in der Rummelsburger Bucht. Seit 1876
sind dort Tausende als asozial stigmatisierte Menschen eingeliefert
worden. In der NS-Zeit diente das Gebäude als Arbeitslager
und Gefängnis für sogenannte unerwünschte Personen. Es
war Teil des NS-Terrorsystems, betont AK-Mitglied Lothar Eberhardt.
Eine Tafel, die an die Opfer erinnern soll, sei aber dort bis
heute nicht angebracht worden. Mittlerweile ist die Rummelsburger
Bucht ein begehrtes Wohngebiet. Als Geheimtipp für »Kenner
und Liebhaber Berlins« wirbt das Hotel »Das andere Haus 8«
im ehemaligen Arbeitshaus um Gäste. Eine Übernachtung in einer
»individuell eingerichteten, ehemalige Zellen, teilweise mit
Wasserblick«, kostet 40 Euro pro Nacht. Ein Gedenkort an dieser
Stelle, wie ihn der AK Marginalisierte fordern, könnte wertmindernd
sein.
In zwei Veröffentlichungen werden die Aktivitäten des Arbeitskreises
dokumentiert. Ein Sonderheft der Zeitschrift Telegraph beschäftigt
sich ebenso mit der Geschichte der Armenverfolgung wie
ein im Verlag AG Spak herausgegebenes Buch.

Peter Nowak

Allex, Anne/ Kalkan, Dietrich (Hg.):
ausgesteuert – ausgegrenzt …angeblich
asozial AG Spak, 351 S., 28 Euro,
ISBN 978-3-930-830-56-5 2009. Homepage
http://dju-berlinbb.verdi.de/publikationen/data/Sprachrohr-02_2010-als-PDF.pdf

Südafrika hinter den WM-Kulissen

In 17 Aufsätzen geben SoziologInnen, PolitologInnen und JournalistInnen, die alle auch Teil von politischen und sozialen Bewegungen sind, einen Überblick über die Lebensverhältnisse in Südafrika. Die bevorstehende WM wird nur in zwei von Romin Khan geführten Interviews gestreift. Während der Historiker Achille Mbembe meint, die Regierung habe mit der Ausgestaltung der WM eine Chance auf eine Gesellschaftsumgestaltung verpasst, berichtet der Straßenfriseur und soziale Aktivist Gaby Bikombo über die Schwierigkeiten von Straßenhändlern und Armen während der WM. Die Regierung will die Vorgaben der FIFA erfüllen, was für Bikombo und seine Kollegen Vertreibung und weitere Verarmung bedeuten kann. In anderen Beiträgen werden die Probleme von sozialen Bewegungen deutlich, die in den letzten Jahren des Apartheid-Regimes gewachsen sind und später vom allmächtigen ANC kooptiert oder an den Rand gedrängt wurden. Dass dafür aber auch interne Probleme verantwortlich sind, wird am Scheitern der Landlosenbewegung und an den internen Konflikten des Antiprivatisierungsforums gezeigt. Auch kritische ANC-Mitglieder kommen zu Wort, wie der Anti-Aids-Aktivist Zackige Achmad. Er sieht die Partei noch immer als ein Bollwerk gegen Xenophobie und Rassismus. Achmad und die Aktivistin Manisa Mali zeichnen in ihren Beiträgen ein wesentlich differenziertes Bild von der Aids-Politik der ANC-Regierung als ein Großteil der hiesigen Medien. Die letzten beiden Kapitel befassen sich mit dem Rassismus gegenüber MigrantInnen aus anderen afrikanischen Ländern. Dabei geht der in der Arbeiterbildungsarbeit tätige Oupa Lehulere scharf mit der Position der größten südafrikanischen Gewerkschaft Costa ins Gericht. Das Buch schließt mit einer Erklärung von AktivistInnen aus Armensiedlungen in der Nähe von Durban, die sich wenige Tage nach den rassistischen Pogromen im Mai 2008 für einen gemeinsamen Kampf aller Unterdrückten aussprachen.

 

http://www.akweb.de/ak_s/ak550/16.htm

Peter Nowak

Griechen haben noch Freunde in Berlin

PROTEST Mehrere hundert Menschen demonstrieren gegen die Finanzpolitik der Bundesrepublik und der EU. Viele drücken damit zugleich ihre Solidarität mit den Demonstrationen in Griechenland aus
Rund 300 Menschen folgten am Mittwochabend einem Aufruf eines linken Solidaritätskreises mit der griechischen Bevölkerung: Sie kamen zu einer Demonstration gegen die Finanzpolitik Deutschlands und der EU. Mit Slogans wie „Von Athen bis Berlin: Die Banken und Konzerne müssen zahlen“ auf Deutsch, Türkisch und Griechisch zogen die Teilnehmer vom Bundesfinanzministerium zur EU-Vertretung am Pariser Platz.

Dabei hatten die unterschiedlichen Spektren der Linken durchaus unterschiedliche Anliegen. Das globalisierungskritische Netzwerk Attac forderte vor allem eine bessere staatliche Regulierung. Es kritisierte die Sparvorgaben von EU und Internationalen Währungsfonds (IWF). Pedram Shaya vom Attac-Koordinierungsrat nannte deren Politik verbrecherisch.

Prügel vom IWF

Auf der Demonstration führte eine Attac-Theatergruppe die vermeintlichen Folgen dieser Politik vor: Vier in weiße Overall gekleidete und angekettete Gefangene, die die Renten, die Löhne, die Gesundheit und die Bildung symbolisieren sollten, wurden von einer Dame und einem Herren, die mit Siemens und IWF etikettiert waren, mit Gummiknüppeln traktiert.

Große Aufmerksamkeit fand das Transparent „Für die Faulheit – Griechenland überall“, das von AktivistInnen der rätekommunistischen Gruppe „Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft“ getragen wurde. Damit wollten sie die Hetze gegen die „faulen Griechen“ karikieren, die nicht nur in Boulevardmedien zu lesen ist.

Erst Mitte Mai hatte sich der Solidaritätskreis aus sozialen Gruppen und in Berlin lebenden GriechInnen gegründet. Lampros Savvidis, einer der Sprecher, betonte gegenüber der taz, dass in Deutschland die Krise im Massenbewusstsein noch immer nicht angekommen sei: „Wenn man sich anschaut, wie reibungslos in Deutschland die Agenda-2010-Politik durchgesetzt werden konnte, dann können die Menschen in Deutschland von den Lohnabhängigen in Griechenland einiges lernen.“

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2010%2F05%2F21%2Fa0064&cHash=140e1431fa

Peter Nowak

Nachrichten aus der Krisenrepublik

Mit »Der Gewinn der Krise« legt Jörg Nowak seinen Debutfilm vor
Wie es den Dax und der Börse in der Finanz- und Wirtschaftskrise geht, ist das Thema der Massenmedien. Aber wie gehen die Lohnabhängigen und Erwerbslosen damit um? Dieser Frage widmete sich der Berliner Politikwissenschaftler und soziale Aktivist Jörg Nowak in seinem ersten Film.
 
Im Sommer 2009 ist der Filmemacher quer durch die Republik gefahren, um mit Menschen zu reden, die auf unterschiedliche Weise von der Krise betroffen sind. »Die Route hat sich an Zeitungsmeldungen über Entlassungen, Werksschließungen und Kämpfe in Betrieben orientiert. Befragt haben wir aber auch Leute, die wir auf der Straße getroffen haben oder die wir vorher schon kannten«, sagt Nowak.

Während elf anonymisierte Gesprächspartner aus Eisenhüttenstadt, Frankfurt am Main, Alzenau, Kaiserslautern, Stuttgart und Glückstadt berichten, wie sich ihr Leben in der Krise verändert hat, sehen wir ihr Wohn- und Arbeitsumfeld. Zwischen den Interviews zieht die deutsche Landschaft aus der Perspektive eines PKW am Betrachter vorüber. Der Verzicht auf zusätzliche Kommentare oder filmische Effekte erweist sich ebenso als Stärke des Films, wie der Verzicht auf Politiker und Gewerkschaftsfunktionäre als Gesprächspartner. So ist der Film frei von Phrasendreschern oder Berufsoptimisten.

Es dominiert ein gnadenloser kapitalistischer Realismus, wenn eine Frau aus Eisenhüttenstadt von ihren vergeblichen Bemühungen berichtet, als Altenpflegerin ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Selbst ein Job im Dreischichtsystem mit schlechter Bezahlung in Berlin war nicht von langer Dauer. Auch der Philosophiedoktorand aus Frankfurt/Main hat wenig Hoffnung auf einen einigermaßen gut bezahlten Job im Wissenschaftsbetrieb. Er sieht in den USA, wo 60-jährige Arbeiter von der Polizei aus ihren zwangsversteigerten Häusern geholt werden, einen Blick in die Zukunft des Kapitalismus. Doch er befürchtet, dass wir auch der nächsten Krise wieder unvorbereitet gegenüber stehen. Ein Beschäftigter des Automobilzulieferers Mahle aus dem nordbayerischen Alzenau hofft noch auf Unterstützung vom Staat. Die Belegschaft hatte gegen die drohende Schließung im Mai 2009 das Werk drei Tage besetzt. Die Arbeiter gaben ihren Widerstand erst auf, nachdem Bereitschaftspolizei aufmarschiert war und ein eingeflogener Gewerkschaftsfunktionär zur Beendigung des Kampfes aufrief und auf die juristischen Folgen bei einer Fortsetzung hinwies. Jetzt sind die Beschäftigten bis 2011 in Kurzarbeit geparkt.

An die Versprechungen der Politiker, die Kraft der Gewerkschaften oder eine autonome Interessenvertretung glaubt keiner der Gesprächspartner. So passt das regnerische Wetter in den letzten Filmsequenzen zur Stimmung.

»Der Gewinn der Krise«, D 2010, 45 Minuten, von Jörg Nowak. Premiere am 22. Mai, 17 Uhr, im Regenbogenkino, Lausitzer Straße 22, Berlin-Kreuzberg. Anschließend Diskussion mit den Filmemachern, der Kulturwissenschaftlerin Katja Diefenbach und den Gewerkschaftsexperten Willi Hajek.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/171418.nachrichten-aus-der-krisenrepublik.html

Peter Nowak

Einknickende Hochschulen

Hessens Landesregierung steht in diesen Tagen selbst in den eigenen Reihen wegen ihrer Kürzungspläne im Bildungsbereich in der Kritik. Und nun bescheren ihr ausgerechnet die Hochschulpräsidenten, die vor einigen Wochen noch den Widerstand proben wollten, einen Erfolg. Sie knickten vor der Landesregierung ein und unterzeichneten die Hochschulpläne. Dabei hatten die hessischen Wissenschaftler präzise die Folgen ausgemalt, die die Einsparungen von 34 Millionen Euro für die Bildungslandschaft bedeuten. Die Qualität de Ausbildung wird weiter sinken und der Wissenschaftsbetrieb noch mehr als bisher zum Niedriglohnsektor.

Nach dem schnellen Einknicken der Hochschulleitungen muss sich nun zeigen, ob die Gewerkschaften, die Studierenden und die Schüler in der Lage sein werden, den Protest fortzusetzen. Die ersten Anzeichen sind hoffnungsvoll. In Gießen, Marburg und Frankfurt am Main gab es bereits Demonstrationen und eine Autobahnbesetzung, nachdem die Unterzeichnung des Vertrags bekannt geworden war. Setzen sie die Proteste fort, könnten die hessischen Kommilitonen sogar eine Pilotfunktion für die Neuformierung von Bildungs- und Antikrisenprotesten auch über das Bundesland hinaus bekommen. Deswegen ist Entiwcklung, die sich dieser Tage im AStA der Frankfurter Goethe-Universität vollzogen hat, ein falsches Signal. Während durch die Bündnispolitik der Jusos mehrere an den Protesten aktive Hochschulgruppen draußen bleiben, sitzt mit Willy Witthaut nun ein FDP-Mitglied in der Studentenvertretung, das nach Angaben der ebenfalls ausgegrenzten Grünen Hochschulgruppe bei der Kandidatenbefragung mit dem Begriff Hochschulpakt nichts anfangen konnte. Doch auch in der Vergangenheit haben protestierende Studenten nicht um Erlaubnis des AStA gebeten und die linken Hochschulgruppen können auch auf Hochschulebene den außerparlamentarischen Protest üben.

Der Autor ist freier Journalist und lebt in Berlin.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/171388.einknickende-hochschulen.html

Peter Nowak

Sind wir alle Griechen?

Soziale Initiativen wenden sich gegen antigriechische Stimmung und erklären sich mit griechischen Protesten solidarisch
Vor einigen Monaten hatten die Medien das Ende der Finanz- und Wirtschaftskrise herbei geschrieben. Doch durch die Debatte über die Euroschwäche und die Rettungspakete für die griechische Wirtschaft ist das Krisenbewusstsein wieder in den gesellschaftlichen Diskurs zurück gekehrt.

Am vergangenen Mittwoch hatten soziale Initiativen unter dem Motto „Von Athen bis Berlin – Wir zahlen nicht für Eure Krise“ zu einer Demonstration durch Berlin-Mitte aufgerufen, ca. 300 Teilnehmer waren gekommen. „Die Zahl entsprach unseren Erwartungen. Schließlich war die Zeit der Mobilisierung extrem kurz“, meinte Florian Becker vom Krisenbündnis gegenüber Telepolis. Erst Mitte Mai hatte sich in Berlin ein Solidaritätskreis gegründet, der sich in der ersten Presseerklärung gegen eine antigriechische Stimmung in deutschen Medien wandte und mit den Teilen der griechischen Bevölkerung solidarisch erklärte, die gegen den mit dem Rettungsplan verbundenen Sparauflagen und Kürzungen protestierten und streiken.

In zahlreichen Redebeiträgen hoben Vertreter verschiedener sozialer Organisationen, aber auch griechische Verbände in Berlin hervor, dass es in Griechenland die bisher stärksten europäischen Proteste gegen das Abwälzen der Krisenlasten auf die Bevölkerung gäbe. Mit Parolen wie „Wir sind alle Griechen“ oder „Wir müssen griechisch lernen“ wurde ein Ausbreiten des Widerstands auch in andere Länder propagiert.

In Deutschland sind in den nächsten Wochen einige Antikrisenaktivitäten geplant. So soll auf einem Workshoptag am 5.Juni in Berlin die Krise theoretisch ergründet werden. Auf Demonstrationen in Berlin und Stuttgart soll am 12. Juni gegen die unterschiedlichen Auswirkungen der Krisenpolitik wie Bildungsabbau, Lohnverzicht und Bildungsabbau demonstriert werden.

Dort wird mit griechischen Verhältnissen sicher nicht zu rechnen sein, aber das Krisenbewusstsein in Teilen der Bevölkerung wächst. Das zeigt auch der Film Der Gewinn der Krise, in dem 9 Menschen aus 6 Städten berichten, welche Auswirkungen die Krise auf ihr Leben hat. Vertrauen in Politiker ist bei den Gesprächspartnern kaum vorhanden, aber auch die Bereitschaft zu Protest findet sich nur vereinzelt.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/147664

Peter Nowak