Perspectives on Drug Free Culture

Perspectives on Drug Free Culture
Regie: Marc Pierschel und Michael Kirchner
Deutschland 2009
von Peter Nowak
Der Film setzt sich kritisch mit der Straight-Edge-Bewegung auseinander.
Sie waren jung, gesundheitsbewusst und hassten Drogen. Die Rede ist von den Begründern und Protagonisten einer der wohl verkanntesten subkulturellen Bewegungen der letzten Jahre: der Straight Edge-Bewegung.

«Straight Edge» heißt klare Linie. Für die sog. «Edger» hieß das, keine Drogen zu nehmen und sich mindestens fleischlos, in der Regel aber vegan zu ernähren, also auf alle tierischen Produkte in der Nahrung zu verzichten.
Diesen Anspruch nahmen die Mittelstandskinder ernst, die Ende der 70er Jahre in den Großstädten der USA vor allem ein Ziel hatten: nicht in der Gosse zu landen. Sie grenzten sich damit von dem oft extensiven Drogenkonsum der Subkulturen ab, die sie selber kannten. Denn zu dieser Zeit war der Gebrauch dieser Mittel – anders als noch Ende der 60er Jahre – nicht mehr mit Befreiung der Sinne sondern mit dem oft gar nicht so romantischen Leben der regelmäßigen Drogenkonsumenten verbunden.

Als Reaktion auf diese Erfahrungen entwickelte sich eine Subkultur, die auf Drogenfreiheit, ein gesundes Leben und auch auf konservative Werte setzt. Die in Münster lebenden Filmemacher Marc Pierschel und Michael Kirchner haben sich in ihrem Film Edge auf eine sehr sympathische Weise mit dieser in die Jahre gekommenen Subkultur auseinandergesetzt. Sie haben sie weder romantisiert, noch denunziert, und auch mit manchen Mythen aufgeräumt.

Dazu gehört die verbreitete Ansicht, die Straight Edge-Bewegung propagiere eine Asexualität. Doch mehrheitlich wanden sich die Straight-Edger gegen einen häufigen Partnerwechsel. Auch hier trafen sie in den frühen 80er Jahren, als der Schrecken über die damals neue Krankheit Aids groß war, auch bei Jugendlichen auf offene Ohren.

Leider werden diese gesellschaftlichen Umstände, ohne die die große Bedeutung der Edge-Bewegung nicht erklärbar ist, im Film nur angedeutet. Dafür werden Musiker der unterschiedlichen Bands interviewt, die der Bewegung erst die große subkulturelle Bedeutung gaben. Die Punk Band Minor Threat, die den Begriff Straight Edge prägte, gehört ebenso dazu, wie der Rapper Ray Cappo oder die Hard-Core-Combo Youth of Today, die Mitte der 80er Jahre die Edge-Bewegung mit gemeinhin links codierten politischen Themen verband. Hierin liegt der Grund, dass diese Subkultur bis heute junge, moralische Gymnasiasten in ihren Bann zieht.

Dass die Edge-Bewegung generell emanzipatorische Inhalte habe, ist einer der Mythen, die der Film dekonstruiert. So wird mit der Band Terror Edge eine Combo vorgestellt, die für eine menschenfeindliche Strömung steht. Diese Strömung ist auch die Grundlage einer offen rechtsradikalen Straight-Edge-Bewegung. Mittlerweile gibt es in Deutschland Rechtsradikale, die gesunde Ernährung und den Kampf gegen Drogen mit rassistischen und antisemitischen Elementen kombinieren und sich dabei auf Ahnherren in der NS-Bewegung berufen. Leider fehlt auch dieser Aspekt in dem ansonsten informativen Film.

Das junge Zielpublikum wird dadurch angesprochen, dass zwischen den einzelnen Szenen und Interviews im Film immer wieder Internetrecherche betrieben wird. Auch die Musikbeispiele kommen aus dem Netz. Einige Rezensenten monieren, dass die Musikbeispiele nur von You-Tube und My-Space kommen. Aber abgesehen davon, dass das vermutlich finanzielle Gründe hat, ist ein Plus des Films, dass der Fokus auf die kritische Auseinandersetzung, und nicht auf das Konsumieren einer Jugendkultur gelegt wird.

Ab Mai als DVD erhältlich unter www.compassionmedia.org/ oder www.theedgeprojectmovie.com/.

 http://www.sozonline.de/2010/04/pierschelkirchner-edge/#more-705

Peter Nowak

Polizei macht Jagd auf „Interim“

Am Donnerstag hat die Polizei die Schwarze-Risse-Buchläden im Mehringhof und der Kastanienallee sowie den Buchladen 021 und den Laden des Antifa-Versand Red Stuff durchsucht. Begründet wurde dies mit der Suche nach aktuellen Ausgaben der autonomen Publikationen Interim und Prisma. Dort sollen, so der Vorwurf der Ermittlungsbehörden, Bastelanleitungen für Molotowcocktails abgedruckt sein. In dem Buchladen Schwarze Risse wurde außerdem nach älteren Ausgaben und der Zeitungen Interim und Radikal gesucht. In allen durchsuchten Läden wurden Computer beschlagnahmt.

Schon am Mittwochnachmittag war der Kreuzberger „Gemischtwarenladen mit Revolutionsbedarf“ M99 ebenfalls wegen der Interim und Prisma durchsucht und der Computer beschlagnahmt worden. Ladeninhaber Hans-Georg Lindenau erklärte der taz: „Das war die 49. Durchsuchung in dem Laden. Die Beamten haben mir die fünfzigste schon angekündigt.“ Sowohl der M99 als auch Schwarze Risse waren bereits in der vergangen Woche gefilzt worden.

www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2010%2F04%2F30%2Fa0223&cHash=34726abb24

Wechsel – nicht Wahlempfehlung

 Ver.di übt mit Kampagne vor den NRW-Wahlen Kritik an der Landesregierung
Ver.di protestierte in Köln gegen die desolate Finanzlage der Kommunen. Die Kampagne für einen Politikwechsel in Nordrhein-Westfalen soll noch bis 100 Tage nach der Wahl weiterlaufen. 
 
Am Mittwochvormittag erlebte Köln eine Alarmübung der besonderen Art. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di brachte an der Hohenzollernbrücke zwischen Dom und Messegelände große Transparente an, auf denen vor dem finanziellen Ausbluten der Kommunen gewarnt wurde. Nach Feststellung des Städtetages Nordrhein-Westfalen erreichte 2009 nicht einmal jede zehnte Mitgliedskommune einen echten Haushaltsausgleich, mehr als ein Drittel der kreisfreien Städte waren Haushaltssicherungskommunen, in diesem Jahr werden es nahezu 60 Prozent sein. Bisher weigert sich die schwarz-gelbe Landesregierung, die Kommunen an den eingenommenen Landessteuern zu beteiligen.

»Vor diesem Hintergrund bin ich sehr gespannt, wie sich NRW zu den Plänen der überwiegend schwarz-gelb besetzten Regierungskommission zur Gemeindefinanzierung stellt«, sagte der ver.di-Bundesvorsitzende Frank Bsirske laut einer Mitteilung. Er sprach in dem Zusammenhang von einem »Generalangriff auf die finanzielle Basis der Kommunen«.

Die symbolische Brückenbesetzung im Stil von Greenpeace ist nicht die einzige Aktion, die ver.di zurzeit in NRW organisiert. Mit der Kampagne »Weiter so war gestern« meldet sich die Gewerkschaft seit Wochen im laufenden Landtagswahlkampf zu Wort. In der Vergangenheit haben Gewerkschaften mit Wahlprüfsteinen in laufende Wahlkämpfe eingegriffen. Doch in NRW belässt es ver.di nicht bei Presseerklärungen, sondern geht auf die Straße. Neben der Finanzarmut der Kommunen ist die Bildungspolitik eine weitere Säule der Kampagne. Unter dem Motto »Wähle Deine Bildungsperspektive« organisierte ver.di am 22. April gemeinsam mit Jugendverbänden einen Aktionstag. Die Teilnehmer wandten sich mit Transparenten und Sprechblasen sowohl gegen Studiengebühren als auch gegen die Misere im Ausbildungsbereich. Der dritte Schwerpunkt der Kampagne ist der Kampf für einen Mindestlohn.

Dass die Forderungen mit der konservativ-liberalen Landesregierung nicht umgesetzt werden können, ist evident. Doch um eine Wahlempfehlung geht es der Gewerkschaft nicht. »Wir fordern vielmehr einen Politikwechsel«, betonte die nordrhein-westfälische ver.di-Landesleiterin Gabriele Schmidt gegenüber ND. In den nächsten Tagen stehen noch weitere Termine auf der Agenda. So wollen die ver.di-Kollegen aus Münster am 4. Mai den FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle auf ihre Weise begrüßen. Am 5. Mai beteiligt sich ver.di an einer Demonstration gegen Studiengebühren in Düsseldorf. Manche Aktivisten beschränken ihre Kritik allerdings nicht nur auf die schwarz-gelbe Landesregierung. So kritisieren Attac-Gruppen aus NRW den DGB-Vorsitzenden von NRW und designierten Arbeitsminister im SPD-Schattenkabinett, Guntram Schneider, weil der gemeinsam mit der wirtschaftsliberalen Bertelsmann-Stiftung ein Seminar zur Finanznot der Kommunen organisiert hat.

Die ver.di-Kampagne wird am Wahlabend nicht zu Ende sein, sondern danach noch 100 Tage fortgeführt. »Wir wollen damit die Koalitionsgespräche begleiten und alle Parteien dort mit unseren Forderungen konfrontieren«, betont Schmidt.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/170100.wechsel-8211-nicht-wahlempfehlung.html

Peter Nowak

EU-Behörde nennt italienische Flüchtlingspolitik inhuman

Die Deportationen von Flüchtlingen auf hoher See verstoßen gegen grundlegende Rechte, zudem würde unverhältnismäßig Gewalt angewendet und die Flüchtlinge nicht mit den nötigen Lebensmitteln versorgt
Die italienische Flüchtlingspolitik verstößt gegen humanitäre Grundsätze. Diese von Flüchtlingsgruppen schon lange vertretene Meinung wurde nun vom Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) bekräftigt. In seinem gerade veröffentlichten Landesbericht zu Italien befasste sich die Delegation mit der italienischen Praxis, illegale Migranten, die sich der italienischen südlichen Mittelmeerküste nähern, bereits auf See abzufangen und nach Libyen zurückzuschicken. Mehrere dieser Deportationen auf hoher See sind in dem Bericht dokumentiert.

Der Delegationsleiter des Antifolterkomitees Jean-Pierre Restellini fand bei der Vorstellung des Berichts deutliche Worte gegen diese Praxis: „Halbverhungerte Bootsflüchtlinge in dieses Land zu schicken, wo ihnen Folter und schwere Misshandlungen drohen, ist eine Missachtung aller internationalen Regeln.“

Zumal bekannt ist, dass in den lybischen Abschiebezentren katastrophale Zustände herrschen, was ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch nachgewiesen hat. Das Antifolterkomitee forderte die italienische Regierung zum Überdenken ihrer Flüchtlingspolitik, besonders der Abschiebungen nach Lybien, auf. Es wies darauf hin, dass Italien selber lange ein Auswandererland war und es daher besonders unverständlich ist, dass sich die Regierung so inhuman gegen Migranten verhält.

Die italienische Flüchtlingspolitik wird die europäischen Gremien weiter beschäftigten. 24 Flüchtlinge aus Eritrea und Somalia, die von Italien nach Lybien abgeschoben wurden, haben eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht. Italien ist allerdings nicht das einzige EU-Land, das wegen der Flüchtlingspolitik kritisiert wird. So monieren Menschenrechtsgruppen die Behandlung von Flüchtlingen in Griechenland und auch Deutschland steht vor allem wegen der Residenzpflicht für Flüchtlinge und ihrer Abschiebepolitik immer wieder in der Kritik.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/147524

Peter Nowak

Bundeswehr durch Satireflyer bedroht?

Berliner LKA durchsucht Räume antimilitaristischer Gruppen
„Feste feiern, wie sie fallen“, lautet die Überschrift. Darunter findet man eine männliche Person in Bundeswehruniform und Tiermaske. In seinem Rücken ist unverkennbar das Ehrenmal für die gefallenen Soldaten zu erkennen. Diese von antimilitaristischen Gruppen produzierten Satireflyer haben in den vergangenen Tagen zu zwei Polizeirazzien in Berlin geführt.

Letzte Woche war der Buchladen Schwarze Risse und am letzten Montag ein Internetserver betroffen. Dort wurde neben den Serverräumen auch die Privatwohnung eines Mitarbeiters durchsucht. Während die schon beschlagnahmten Computer im Serverraum auf Beschluss der Staatsanwaltschaft wieder zurückgegeben wurden, ohne dass Daten kopiert wurden, beschlagnahmten Beamte in der Wohnung zwei Computer.

Das Berliner LKA begründete die Suche nach den Verantwortlichen für den Flyer mit der Verletzung des Sicherheitsgefühls der Bundeswehrsoldaten im Ausland und ihrer Angehörigen. Die Flyer seien geeignet, „den im Ausland stationierten Soldaten der Bundeswehr ein Lebensrecht abzusprechen und durch den Aufruf zum Feiern auch das Sicherheitsgefühl der Bundeswehrangehörigen und deren Familien stark zu beeinflussen“.

Der politische Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen Monty Schädel hingegen sieht im Gespräch mit Telepolis die Razzien im Zusammenhang mit der verstärkten Debatte über den Afghanistan-Einsatz nach dem Tod von Bundeswehrsoldaten:

„Es ist ein Skandal, dass Kritiker des Kriegseinsatzes mit staatlicher Repression konfrontiert werden, während gleichzeitig die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen den für das ‚Kundus-Bombardement‘ verantwortlichen Oberst Klein eingestellt werden.“

Er verweist darauf, dass die Satireaktion durch die antimilitaristischen Gruppen bereits beendet war und schon vor Monaten mehrere von Bundeswehrverbänden angestrengte Klagen gegen den Satireflyer eingestellt worden sind. Deswegen sieht Schädel in den jüngsten Razzien den Versuch, antimilitaristische Zusammenhänge auszuforschen.

Auch liberale Kolumnisten warnen davor, dass Kriegsgegner mit der steigenden Zahl gefallener deutscher Soldaten verstärkt unter Druck gesetzt werden könnten. So sagte etwa der konservative Bundeswehr-Professor Michael Wolfssohn, dass Kriegskritiker unfreiwillig das Geschäft der Taliban betreiben könnten, weil diese Opposition in den Heimatländern der Soldaten als Argumente für ihren Widerstand verwenden könnten.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/147518

Peter Nowak

86 Stunden hinterm Steuer

Gewerkschaften: EU weicht Arbeitszeitrichtlinie für Lkw-Fahrer auf
Die Europäische Transportarbeiterföderation (ETF), in der europäische Gewerkschaften, darunter auch ver.di, zusammengeschlossen sind, schlägt Alarm. Sie befürchtet, dass das Europäische Parlament die Arbeitssituation für selbstständige Lkw-Fahrer massiv verschlechtern könnte. 
 
Es geht um eine Verordnung, die die Lenk- und Ruhezeiten für die Fahrer von Lkw über 3,5 Tonnen regelt. Ihre Arbeitszeit darf zurzeit 48 Wochenstunden in der Regel nicht überschreiten. Ausnahmsweise allerdings darf sie auf 60 Wochenstunden ausgedehnt werden, wenn sie im Anschluss vier Monate lang wieder 48 Stunden beträgt. Seit dem 22. März 2009 fallen auch selbstständige Lkw-Fahrer unter diese Verordnung. Dagegen mobilisieren die Verbandsvertreter der Transportwirtschaft seit Monaten. In der letzten Legislaturperiode konnten sie die EU-Kommission auf ihre Seite ziehen. Allerdings wies das EU-Parlament im Mai 2009 den Kommissionsvorschlag zurück, die privaten Lkw-Fahrer aus der Verordnung herauszunehmen.

Laut Geschäftsordnung müssen zurückgewiesene Anträge noch einmal beraten werden. Deshalb steht das Thema demnächst erneut auf der Tagesordnung des EU-Parlaments. Die Gewerkschafter sehen die Abstimmung mit Sorge: »Bei der Neuwahl des EU-Parlaments wurden die konservativen und wirtschaftsliberalen Kräfte gestärkt. Deshalb ist eine neue Ablehnung der Verordnung nicht gesichert«, sagte Malene Volkers vom ver.di-Bundesvorstand gegenüber ND. Bei ihrer Lobbyarbeit in den letzten Wochen sei ihr zudem aufgefallen, dass sich viele neue Europaabgeordnete nicht genügend in die komplexe Materie eingearbeitet haben. »Es bestehen teilweise gravierende Informationslücken über die Folgen, wenn private Lkw-Fahrer bis zu 86 Wochenstunden hinter dem Lenkrad sitzen dürfen«, so Volkers.

An erster Stelle nennt sie Sicherheitsbedenken für das europäische Transportwesen. Schließlich habe der Sekundenschlaf von Fahrern in der Vergangenheit gravierende Unfälle verursacht. Bei einer Annahme der Verordnung würde zudem der Druck auf die Fahrer zunehmen, als Scheinselbstständige zu arbeiten, befürchtet die Gewerkschafterin. Schon heute sind von den rund 52 000 Unternehmen im gewerblichen Güterkraftverkehr in Deutschland sieben Prozent Einzelunternehmer und 60 Prozent Kleinstbetriebe. »Das Ziel muss sein, alle Lkw-Fahrer vor Selbstausbeutung zu schützen, ob Scheinselbstständige oder Selbstständige«, betont Volkers. Die Annahme der EU-Verordnung würde das gegenteilige Signal aussenden. Dagegen wollen Gewerkschaften europaweit mobilisieren.

Ver.di beteiligt sich an einem Lkw-Konvoi, mit dem die ETF gegen die Verwässerung der Arbeitszeitrichtlinie protestiert. Er startete am Montag im niederländischen Utrecht und machte am Nachmittag in Düsseldorf Station. Am Mittwoch, wenn die EU über die Richtlinie entscheidet, sollen die Lkw in Brüssel ankommen. Weitere Stationen auf der Fahrt durch sechs europäische Länder sind Schengen und Paris.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/169900.86-stunden-hinterm-steuer.html

Peter Nowak

Alle Optionen offen in NRW

Trotz einer Neuauflage der rot-grünen Debatte vor den Landtagswahlen in NRW sind zurzeit auch große Koalitionen oder schwarz-grüne Bündnisse denkbar
Gegen drei linke Parteien richtete sich die Polemik auf dem FDP-Bundestagsparteitag, der am Sonntag in Köln zu Ende gegangen ist. Gemeint sind damit die Linkspartei, die SPD und die Grünen, die nach Überzeugung der Liberalen eine Koalition in dem Bundesland eingehen werden, wenn es die Zahlen hergeben. Nur aus Rücksicht auf den Koalitionspartner hat in Köln niemand im Eifer des Gefechts vor einer vierten linken Partei, der Union, gewarnt. Dass die in den Augen der Wirtschaftsliberalen zu sozialdemokratisiert ist, hatte Westerwelle in der Vergangenheit öfter gesagt. Auch in Köln schonte er seinen Koalitionspartner nicht. Wieder einmal ist es die Steuerpolitik, die für Zwist sorgt. Finanzminister Schäuble, der in den letzten Tagen mehrmals betonte, dass für ihn die Haushaltskonsolidierung und nicht Steuererleichterungen erste Priorität hat, gilt bei den Liberalen seit Langem als Buhmann.
   

Hellenen statt Hartz IV-Empfänger

Auf dem Parteitag forderte der Landesvorsitzende der NRW-Liberalen Andreas Pinkwart einmal wieder dazu auf, endlich mit der Umsetzung der Steuererleichterungen zu beginnen, die schließlich im Koalitionsvertrag vereinbart worden waren. Besonders erbost sind die Liberalen, dass Schäuble und die Mehrheit der Union auch das am Wochenende verabschiedete FDP-Steuerkonzept für nicht umsetzbar halten. In den Augen der FDP-Führung handelt es sich dabei schon um einen Kompromiss. Schließlich wollen die Liberalen nun pro Jahr die Steuern um 16 Milliarden senken, vor der Bundestagswahl wurde noch der doppelte Betrag genannt. Auf die häufig gestellte Frage, wo denn das Geld herkommen soll, griff Pinkwart das rechtspopulistische Argument auf, dass ja für die Sanierung des griechischen Haushalts auch Geld vorhanden wäre.

„Das Spottwort vom ‚anstrengungslosen Wohlstand‘ macht auf den Parteitagsfluren einmal mehr die Runde; diesmal sind die Hellenen damit gemeint, nicht die Hartz-Empfänger“, heißt es süffisant in der Zeit. Parteichef Westerwelle formulierte diplomatischer, als er beschwor, dass nicht nur für die Bankenrettung und die europäische Solidarität, sondern auch für den Mittelstand Geld da sein müsse. Mit der auf dem Podium platzierten Tafel mit dem Motto „Arbeit muss sich lohnen“ und der Deutschlandfahne im Hintergrund knüpfte die Parteiregie an die von Westerwelle ausgelösten heftigen Debatten um die Leistung für und von Hartz IV-Empfängern an.

 

Die Polemik dürfte in den nächsten Tagen weitergehen. Längst geht nicht mehr nur um den Fortbestand der gegenwärtigen schwarz-gelben Koalition in NRW, sondern um den Einzug der FDP in das Landesparlament. Nach einer Umfrage könnte die FDP sogar in der Nähe der Fünfprozenthürde ztehen. Zudem haben sie mit ihrer Warnung vor einer Linksfront kein Alleinstellungsmerkmal.

Unbewusst in die Ypsilanti-Falle getappt?

Die Union versucht in letzter Zeit alles, um die SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft als zweite Andrea Ypsilanti hinzustellen, die bekanntlich vor den Landtagswahlen in Hessen eine Kooperation mit der Linkspartei ausgeschlossen hat und später beim Versuch einer Zusammenarbeit an Abgeordneten aus der eigenen Partei gescheitert ist.

Kraft hat es ihren Gegnern leicht gemacht, indem sie bei einer Talk-Show eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei nach Wahl kategorisch ausgeschlossen hat. Vorher hatte Kraft immer darauf geachtet, den Fehler der hessischen Parteikollegin, sich eindeutig festzulegen, zu vermeiden. Daher hat das Statement von Kraft auch in der eigenen Partei für Verwirrung gesorgt. Ist sie unbewusst in die Ypsilanti-Falle getappt?

Anders als in Hessen, wo Ypsilanti auf Druck der Parteiführung eine Zusammenarbeit mit der Linken ausschlossen hatte, hat die SPD diese Fragen den Landesverbänden mittlerweile überlassen, so dass Kraft auch nicht mehr die Verantwortung auf die Parteigremien abschieben kann. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie mit ihrer Absage an jede Zusammenarbeit an die Linkspartei die verlorengegangen Wähler zurückgewinnen will, die aus Ärger über Hartz IV nach links gegangen sind. Die Berufung des DGB-Vorsitzenden von NRW, Guntram Schneider, in das Schattenministerium der SPD-Kandidatin war schon ein Signal an diese enttäuschten Sozialdemokraten. Dabei werden unter Umständen einige derjenigen erreicht, die sich ganz aus der Politik zurück gezogen hatten, nicht aber diejenigen, die bei der Linkspartei aktiv geworden sind.

Die Linkspartei hat zudem in einer parteiinternen Abstimmung den Weg für die von den Gremien favorisierten Doppelspitze freigemacht, so dass zumindest vor der Wahl keine großen parteiinternen Querelen zu erwarten sind. Würde die Linke allerdings in NRW, wo sich auch der Ex-Parteichef Lafontaine noch einmal stark engagiert, scheitern, wäre das eine Steilvorlage für die Reformer in den Ost- und Westlandesverbänden.

Renaissance von Rot-Grün?

In den letzten Wochen wurde ein rot-grünes Revival an der Ruhr regelrecht herbei geschrieben. Meinungsforscher sprechen gar von einem Stimmungsumschwung zugunsten von rot-grün. „Rot-Grün atmet wieder“ kommentiert die Frankfurter Rundschau.

Im selben Blatt veröffentlichten die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles und die und Bundesgeschäftsführerin der Grünen Steffi Lemke ein gemeinsames Papier, in dem sie für einen gezähmten Kapitalismus eintreten und damit die Diskussion über ein sozialökologisches Konzept wieder beleben. Die gleiche Intention hatte auch eine gemeinsame Pressekonferenz von führenden Politikern von SPD und Grünen in Berlin, auf der beide Parteien für einen Regierungswechsel in NRW warben. Dass dabei SPD-Chef Sigmar Gabriel die Grünen als die eigentlichen Liberalen bezeichnete, mit denen man anders als mit der FDP koalieren könne, ist mehr als Wahlkampfrhetorik. Tatsächlich sind die Grünen heute so bürgerlich, dass es gar nicht mehr selbstverständlich ist, dass sie überhaupt mit der SPD regieren wollen.

Daher warnen manche aus dem grünen Lager ein neues rot-grünes Projekt aus dem Ärmel zu zaubern. Die Kritiker sehen in dem neuen Hype um Rot-Grün einen Versuch der SPD und auch mancher Parteifreunde, die Grünen von einer Koalition mit der Union nach den NRW-Wahlen abzuhalten. Diese Kombination wird von führenden Grünen und Konservativen in dem Bundesland seit Monaten als interessante Konstellation in Erwägung gezogen und die Umfragen scheinen ihnen Recht zu geben.

Union entdeckt grüne Symbolpolitik

Selbst ein mögliches Scheitern des schwarz-grünen Bündnisses in Hamburg an der Schulpolitik muss nicht das Ende solcher Koalitionsbestrebungen sein. Schließlich zerbrach auch die erste rot-grüne Koalition in Hessen schnell am Streit um die Hanauer Nuklearfabriken und erlebte bald eine Neuauflage.

Die aktuelle unionsinterne Debatte um die designierte niedersächsische Sozial- und Integrationsministerin Aygül Özkan könnte Aufschluss darüber geben, wie viel Grün den Konservativen zurzeit schon zuzumuten ist. Özkan plädiert im Gegensatz zur Unionsmehrheit für eine Aufnahme der Türkei in die EU und hat mit ihren Vorschlag, alle religiösen Symbole, also auch das christliche Kreuz, aus den Schulen zu entfernen, für Empörung in Unionskreisen gesorgt. Bisher hält die niedersächsische CDU an ihrer Kandidatin fest. Sollte ihre Wahl scheitern, wäre es auch ein Rückschlag für mögliche schwarz-grüne Bündnisse. Sollte sich Özkan aber durchsetzen, wäre es auch als Geste an die Grünen zu verstehen, bei der der Ökopartei so wichtigen Symbolpolitik der SPD wieder einmal voraus zu sein. Im Schattenkabinett von Kraft ist mit Zülfiye Kaykin ebenfalls eine Frau mit Migrationshintergrund vertreten.

Ob rot-grün, schwarz-grün oder große Koalition: Zwei Wochen vor der Wahl sind in NRW noch alle Varianten möglich. Nur die Fortsetzung der bisherigen Koalition erscheint am unwahrscheinlichsten.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32520/1.html

Peter Nowak

Nach dem Ölzeitalter

Eine Berliner Ausstellung widmet sich der Stadt der Zukunft
Auch wenn sich die Experten noch streiten, wann das Erdöl zu Ende geht, für das Leben danach ist ein Vorlauf an guten Ideen nötig. Die sind Thema in der Ausstellung »Post-Oil City – Die Stadt nach dem Öl«, die am Freitag in Berlin eröffnet wurde.
Es könnte die Zapfsäule der Zukunft sein, die am Donnerstagabend einige Stunden vor der Berliner IFA-Galerie stand. Es war eine Ladestation für Elektroautos. Wer die Ausstellung über das Leben nach dem Erdöl besuchen will, sollte etwas Zeit mitbringen. Auf zahlreichen Tafeln wurde die Geschichte der Nachhaltigkeit bis weit in die Vergangenheit zurückverfolgt. Vermutlich nicht nur für Laien eine verblüffende Erkenntnis: Bereits nach dem großen Erdbeben von Lissabon im Jahre 1755 begann die systematische Sammlung von Umweltdaten. Der erste Großmarkt am Stadtrand hingegen wurde in den USA vor knapp 50 Jahren eröffnet und der Begriff »ökologischer Fußabdruck« ist ab 1994 nachweisbar. Interessant ist es auch, die Konjunktur der heute wieder favorisierten Stadtgärten in Zeiten wirtschaftlicher Krisen und Verelendung von Teilen der Bevölkerung zurückzuverfolgen.

 Ein wichtiger Teil der Ausstellung befasst sich mit bis in die 60er Jahre zurückreichenden Lösungsansätzen für die Probleme der Städte bei Verkehrsverringerung, Müllvermeidung und Nachhaltigkeit. Damals waren Elektroautos ebenso in der Planung wie ein System von Kabinentaxis, die als eine Art Schwebebahn überirdisch fahren und den Autoverkehr in den Großstädten reduzieren helfen sollten. Obwohl diese Modelle weit entwickelt waren, scheiterte die Umsetzung am billigen Benzin und der Autolobby. Die Konjunktur solcher Alternativen nach der ersten Ölkrise blieb kurzlebig.

Als Beispiel für aktuellen nachhaltigen Städtebau werden Projekte CO2-freier Städte an der Meerenge von Formosa zwischen China und Taiwan ebenso vorgestellt wie eine energieautarke Stadt in Äthiopien oder die arabische Ökocity Masdar. Allerdings fragt man sich, bei den Betrachtungen der Fotos und Videoinstallationen, ob diese mondäne Lebenswelt für die Mehrheit der Bevölkerung überhaupt begehbar ist. Denn die kommt dort nicht vor. Anders ist es bei der High-Line, einer 2,3 Kilometer langen, stillgelegten Hochbahntrasse im Westen von New York, die von der Natur zurück erobert worden ist. Es waren Stadtteilinitiativen, die dafür kämpften, daraus einen öffentlich zugänglichen Park zu machen. Auch über die Renaturierung des ehemaligen Flughafens Tempelhof in der Berliner Innenstadt machen sich Anwohnerinitiativen Gedanken. Doch diese erwänt die Ausstellung nicht. Stattdessen wird ein Eco-Tec-Projekt vorgestellt, für deren Realisierung »ein kreatives, wissenschaftsfreundliches Klima« erzeugt werden soll, wie es in den Erläuterungen heißt. Damit wird deutlich, dass auch nachhaltige Projekte an den Bedürfnissen von engagierten Initiativen vorbei geplant werden können.

Die Ausstellung ist bis 18. Juli in der IFA-Galerie Berlin, Linienstraße 139/140 (Dienstag – Sonntag von 14-20 Uhr, sonnabends 12-20 Uhr) zu sehen. Der Eintritt ist frei.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/169808.nach-dem-oelzeitalter.html

Peter Nowak

Unmut über Kürzungspläne bei hessischen Hochschulen

 

Schwarz-gelbe Regierung will 30 Millionen Euro im Bildungsbereich einsparen

Das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst hat mit den Eckdaten für den Hochschulpakt 2005-2011 für Unmut gesorgt. Damit will die schwarz-gelbe Landesregierung rund 30 Millionen Euro im Bildungsbereich bei den Hochschulen einsparen, was deren „Solidaritätsbeitrag“ genannt wird.

Am 23. April verdeutlichten verschiedene Interessengruppen auf einer Pressekonferenz die möglichen Folgen. „Die von der Landes- bzw. Bundesregierung in den letzten Jahren implementierte Konkurrenz der Hochschulen und Fachbereiche untereinander um begrenzte Erfolgsbudgets wirkt sich bei ihnen am stärksten aus. Nicht Lehre und sinnvolle Forschung, sondern Prestigeprojekte und Selbstvermarktung kennzeichnen die Ausrichtung der Fachbereiche und Universitäten“, moniert Jan Beberweyk vom AStA der Marburger Universität. Schon heute sind die hessischen Hochschulen je nach Standort bis zu 150 % überlastet. Teilweise seien die Lehr- und Forschungsmittel veraltet.

Fast 300 Professoren und Dekane der Universität Marburg appellierten an die hessischen Landtagsabgeordneten, die Kürzungspläne zu überdenken, und warnen vor der Gefährdung des „Wissenschaftsstandortes Hessen“.

Die GEW-Hessen sieht sieht eher die Lebensbedingungen der Beschäftigten im Wissenschaftsbetrieb gefährdet, wo mittlerweile prekäre Arbeitsbedingungen Einzug halten. Das ist auch die Sorge von verdi und dem DGB-Hessen-Thüringen, die die Ursachen für die Unterfinanzierung der Kommunen in der Steuerpolitik sehen. So hätten alle Steueränderungen seit 1998 in Hessen zu Einnahmeausfällen von 1,2 Milliarden Euro geführt. Die Gewerkschaften bieten der Landesregierung eine konstruktive Zusammenarbeit an.

Ob es zu größeren Protesten gehen die Sparpläne kommt, dürfte davon abhängen, ob sich der Unmut über Marburg hinaus ausbreitet und wie mobilisierungsbereit die Studierenden sind. Die haben in den vergangenen Jahren durch ausdauernde Proteste die Studiengebühren so in Verruf gebracht, dass sie von einer temporären parlamentarischen Mehrheit aus SPD, Linkspartei und Grünen abgeschafft und auch von der aktuellen konservativ-liberalen Majorität nicht wieder eingeführt wurden.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/147499

Peter Nowak

Kritik an Abkommen

Gewerkschafter gegen EU-Freihandelspakt mit Kolumbien
Das EU-Freihandelsabkommen mit Kolumbien, das im Mai unterzeichnet werden soll, stößt auf heftige Kritik.
Obwohl Kolumbien für Gewerkschafter das gefährlichste Land der Welt ist, soll am 18.Mai während des EU-Lateinamerikagipfels in Madrid ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem lateinamerikanischen Land unterzeichnet werden.

Dagegen wollen am Samstag von 12 bis 14 Uhr auf den Berliner Wittenbergplatz Gewerkschafter und Nichtregierungsorganisationen protestieren. Auf der Kundgebung, zu der auch ver.di-Berlin und der Arbeitskreis Internationalismus der IG Metall aufrufen, sollen die Fotos der im letzten Jahr in Kolumbien ermordeten 41 Gewerkschafter gezeigt werden. Seit dem Amtsantritt des Präsidenten Uribe 2002 sind über 500 Gewerkschafter getötet worden. »In den letzten Jahren wurden in Kolumbien tausende Menschen ermordet, allein weil sie sich für ihre sozialen und politischen Rechte engagieren«, erklärt Jochen Gester vom Arbeitskreis Internationalismus. »Wir wollen uns mit den Gewerkschaftern solidarisieren, die trotz der ständigen Drohungen nicht aufgeben«, erläutert die Berliner Filmemacherin Bärbel Schönafinger, die in mehreren Dokumentarfilmen die Missachtung der Gewerkschaftsrechte in Kolumbien thematisierte.

Von den kolumbianischen Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften wird das Freihandelsabkommen abgelehnt, weil sie eine Legitimierung der repressiven Politik gegen Gewerkschafter und die Missachtung der Arbeiterrechte befürchten. Unterstützung bekommen sie dabei von der Gewerkschaft IG Bauen Agrar Umwelt, die in einem Positionspapier wegen der schlechten Menschenrechtslage in Kolumbien den Stopp der Verhandlungen fordert.

Auch im EU-Parlament regt sich Widerstand. Die grünen Europaabgeordneten Sven Giegold und Ulrike Lunacek bezeichnen das Abkommen als »Schandfleck für die Europäische Union, das weder menschenrechtlichen noch ökologischen Kriterien genügt«.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/169665.kritik-an-abkommen.html

Peter Nowak

Keine Fahnenflucht im Bundestag

Für die Bundeskanzlerin wird Deutschland weiterhin am Hindukusch verteidigt
   

Keine großen Überraschungen gab es bei der heutigen Debatte über den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr im Bundestag. In ihrer Regierungserklärung versicherte Bundeskanzlerin Merkel den in Afghanistan eingesetzten Bundeswehrsoldaten ihre volle Unterstützung. Bei ihrer Verteidigung des Afghanistan-Engagements bezog sie sich ausdrücklich auf den vormaligen SPD-Bundesverteidigungsminister Peter Struck, der für seine Aussage, Deutschlands Sicherheit werde am Hindukusch verteidigt, viel Kritik einstecken musste.

 Dass afghanische Frauen heute mehr Rechte als früher haben, dass Mädchen zur Schule gehen dürfen, dass Straßen gebaut werden und dass vieles, vieles mehr geschafft wurde, ist das Ergebnis unseres Einsatzes in Afghanistan. Das lohnt sich, und das ist mancher Mühe wert. 
 

Dadurch alleine könnte der Einsatz unserer Soldaten dort aber nicht gerechtfertigt werden. In so vielen anderen Ländern dieser Welt werden die Menschenrechte missachtet, werden Ausbildungswege verhindert, sind Lebensbedingungen katastrophal – und trotzdem entsendet die internationale Gemeinschaft keine Truppen, um sich dort militärisch zu engagieren. Nein, in Afghanistan geht es noch um etwas anderes. Der berühmte Satz unseres früheren Verteidigungsministers Peter Struck bringt das für mich auf den Punkt. Er sagte vor Jahren: Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt.
Bundeskanzlerin Merkel in der Regierungserklärung

Auch die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP übte sich im „Weiter so“ und wies alle Forderungen nach Änderungen des Afghanistan-Mandats zurück. Die waren von SPD-Chef Sigmar Gabriel in der Frankfurter Rundschau formuliert worden.

Weil Gabriel und nicht Frank-Walter Steinmeier in der Afghanistandebatte für die SPD gesprochen hat und SPD-Politiker aus der zweiten Reihe über einen schnelleren Abzug nachgedacht haben, wurden die Sozialdemokraten aus Kreisen der Regierungskoalition der Fahnenflucht geziehen. Doch Gabriel bekräftigte, dass seine Partei hinter dem Einsatz stehe, warnte aber, dass die Unterstützung der Bevölkerung verloren gehen könnte und sich die Gesellschaft nicht an die steigende Zahl der Toten gewöhnen dürfte. Wobei er die Bundeswehrsoldaten und die getötete afghanische Bevölkerung meinte.

Jürgen Trittin kritisierte als Sprecher der Grünen vor allem, das Bundeswehrmandat sei schwammig und die Soldaten wüssten oft nicht, wofür sie ihre Köpfe hinhalten. Die Linkspartei wiederholte erwartungsgemäß ihre Forderung nach einem schnellen Abzug der Bundeswehr und sah sich in ihrer Auffassung bestätigt, dass es keine militärische Lösung am Hindukusch gäbe.

Soldatenprosa in liberalen Medien

So blieben im Bundestag alle bei ihrer Fahne. In der gesellschaftlichen Debatte wird aber der Ton gegen Abzugsbefürworter rauer. So gab es im Feuilleton der liberalen Frankfurter Rundschau in den letzten Tagen gleich zwei längere Beiträge, die es für verantwortungslos halten, „wenn Prenzlau und Hannover Nein sagen“ und die durchaus zivile Leserschaft damit aufklären, dass „unsere Soldaten“, wenn sie in Afghanistan sterben, ihrem Land „dienen“, um, „wenn es darauf ankommt, das Höchste zu opfern, was ein Mensch hat: das eigene Leben“.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32500/1.html

Peter Nowak

Auf dem Weg zur Staatsraison

Wer mit dem Totalitarismus- und Extremismusbegriff hantiert, kann keine Kritik an Staat, Nation und Kapital üben.

Man kann die Personen, die sich vor einigen Wochen unter dem Namen »Militante Gruppe Leipzig« zu Wort gemeldet haben, aus vielerlei Gründen heftig kritisieren. Doch ist es wirklich nur der Ärger über deren spätpubertäres Gehabe, wenn einer Autorin des monatlichen Newsflyers des Leipziger Kulturzentrums Conne Island, dem CEE IEH, im März nur Verbalinjurien einfallen: »Militante Gruppe Leipzig – du mieses Stück Scheiße. Geh nach Hause, dich kann niemand leiden«? Oder soll mit der Schimpfkanonade eine Gruppe denunziert werden, weil sie den Anspruch formuliert, die revolutionäre Überwindung des Kapitalismus mit einer durchaus fragwürdigen Alltagsmilitanz zu verbinden?

Diese Frage kann man sich schon deshalb stellen, weil in einer anderen Ausgabe des CEE IEH Hannes Gießler gegen den »eingeübten linksradikalen Herdenreflex gegen die Totalitarismusthe­orie« polemisiert. Im Laufe der Geschichte wurden der Linken schon die Reflexe gegen das staatliche Gewaltmonopol, das freie Unternehmertum und die soziale Marktwirtschaft erfolgreich ausgetrieben. Daraus sind unter anderem die SPD, die Grünen und als aktuelles Studienobjekt »Die Linke« entstanden.

Deren Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus hat erst im März unter Beweis gestellt, dass sie unter keinem »Herdenreflex gegen die Totalitarismustheorie« leidet, als sie gemeinsam mit der CDU, der SPD und den Grünen im Abgeordnetenhaus eine Resolution verabschiedete, in der es unter anderem heißt: »In den letzten Monaten ist es in unserer Stadt zu einer Reihe von Anschlägen gekommen, von denen eine Vielzahl dem linksextremistischen Spektrum zuzuordnen ist. Mit großer Besorgnis stellen wir fest, dass die Zahl der aus diesem Spektrum stammenden Straftaten von 2008 auf 2009 enorm angestiegen ist. Neben brennenden Autos gab es u.a. Angriffe auf Polizeistationen, Jobcenter und Baustellen.«

»Extremismus – Politiker machen Front gegen linke Gewalt«, applaudierte die Berliner Morgenpost. Kritische Töne zu dieser temporären Nationalen Front im Roten Rathaus kamen von der Landesarbeitsgemeinschaft Antifaschismus in der Berliner Linkspartei: »Geradezu gefährlich, dass die Fraktion ›Die Linke‹ im Abgeordnetenhaus sich mit der gemeinsamen Erklärung daran beteiligt, Ursachen und Wirkung nicht in Beziehung zu setzen und gemeinsam zu thematisieren, und so auch linke Akzeptanz der Umverteilungspolitik der Bundesregierungen, insbesondere seit der Agenda 2010, signalisiert. Zugleich beteiligt sich die Fraktion damit an der Kriminalisierungskampagne gegen soziale Bewegungen nach dem Konzept ›Teile und Herrsche!‹. Politische Kampfbegriffe wie Linksextremismus dienen allein der Spaltung von gesellschaftlichem Widerstand und gehören nicht in den Wortschatz einer solidarischen Linken. Aktionsformen sind nicht verallgemeinerbar und müssen auch nicht von allen Gruppen und Personen geteilt werden. Dass die Aktionsform nicht geteilt wird, darf aber nicht dazu führen, sich mit dem politischen Gegner gemein zu machen.«

Wie totalitarismustheoretische Ansätze historisch zur Kriminalisierung linker gesellschaftlicher Alternativen beigetragen haben, kann am Fall des linken Gewerkschafters Viktor Agartz verdeutlicht werden. Der Theoretiker einer kämpferischen Gewerkschaftspolitik und scharfe Kritiker der gesellschaftlichen Restauration in der BRD der fünfziger Jahre sowie deren Umsetzung durch die DGB-Führung wurde mangels Beweisen von der Anklage freigesprochen, mit seinen Kontakten zum FDGB der DDR Landesverrat begangen zu haben. Die damals dominante Totalitarismus­theorie hatte aber zur Folge, dass Agartz aus der Gewerkschaft ausgeschlossen und seine politische Position gesellschaftlich marginalisiert wurde. Agartz war einer von Tausenden, die in den fünfziger und sechziger Jahren in der BRD beim unter dem Label des Antitotalitarismus geführten Kampf gegen die Linke unter die Räder kamen. In den siebziger Jahren wurde diese Ausgrenzung durch das Instrument der Berufsverbote erleichtert.

Sarah Uhlmann von der Initiative gegen jeden Extremismusbegriff hat in ihrem Beitrag (Jungle World 15/2010) darauf hingewiesen, dass man mit der Extremismusformel keine Kritik an Staat, Nation und Kapital üben kann. Den Beweis haben zuvor Mario Möller (13/2010) und Sebastian Voigt (14/2010) in ihren Texten geliefert: Mag Möller auch für sich beanspruchen, einer angeblichen Mitte der Gesellschaft nicht das Wort reden zu wollen, lassen seine nachfolgenden Auslassungen gar keine andere Konsequenz zu: »Rechte wie linke Ideologen stehen für die Verherrlichung des Kollektivs gegen das Individuum und die Ablehnung der auf Vermittlung basierenden bürgerlichen Gesellschaft.« Diese beiden Prämissen sind reine Ideologie. Die Vermittlung in der bürgerlichen Gesellschaft bedeutet die Zurichtung des Subjekts durch die Zwänge der Kapitalverwertung. Um dagegen anzukämpfen, bedarf es kollektiver Strukturen, die erst die Voraussetzungen für eine Gesellschaft schaffen können, in der jeder Mensch ohne Zwang individuell sein kann. Übrigens ist die Frontstellung gegen den Kollektivismus ein stehender Topos, wenn es in der Geschichte gegen die Organisierungsversuche der Ausgebeuteten und Unterdrückten gegangen ist. Auf ihn haben sich schon die Staatsapparate beim Kampf »gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie« in der Bismarck-Ära bezogen. Bei der Begründung des KPD-Verbots fehlte die Volte gegen den Kollektivismus ebensowenig wie in der Propaganda der Unionsparteien in den siebziger und achtziger Jahren mit ihrem Motto »Freiheit statt Sozialismus«.

Sebastian Voigt stimmt dem schon zitierten CHE IEH-Autoren Gießler in der Einschätzung zu: »Den Begriff Totalitarismus im Ganzen abzulehnen, ist reflexhafte Abwehr der Linken gegen die Auseinandersetzung mit der eigenen verbrecherischen Tradition.« Dabei wird vergessen, dass die Totalitarismustheorie das ideologische Werkzeug war, mit dem die Nutznießer, Profiteure, Täter und Mitläufer des NS-Regimes in Westdeutschland wieder Staat machen konnten. Damit wurde in der BRD die Grundlage dafür geschaffen, dass am 17. August 1956 die KPD verboten werden konnte. Wenige Wochen später konnte das Bundesministerium für Verteidigung bekannt geben, dass SS-Offiziere bis zum Rang des Obersturmbannführers mit ihren alten Rängen in die Bundeswehr eingestellt werden dürfen, wenn sie den Nachweis einer positiven Einstellung zur Demokratie erbringen.

Während also die alten Nazis nur glaubhaft die Totalitarismustheorie verinnerlichen mussten, wurde ehemaligen Widerstandskämpfern gegen das NS-Regime von den Richtern nicht selten als strafverschärfend zur Last gelegt, dass ihnen selbst ein Aufenthalt in einem Konzentrationslager die kommunistischen Flausen nicht ausgetrieben hatte. Über diese historischen Zusammenhänge sollte sich im Klaren sein, wer meint, sich heute in irgendeiner Form positiv auf die Totalitarismustheorie berufen zu können.

Um Stalinismus, Nominalsozialismus, Reformismus und andere unter dem linken Label firmierende Irrwege zu kritisieren, braucht man erst Recht keine Hilfskrücken aus dem Fundus des Extremismusansatzes. Es gibt in der linken Theoriegeschichte eine Vielzahl von Autoren, die diese Fehlentwicklungen kritisieren. Viele von ihnen gerieten unter Extremismusverdacht. In Zeiten eines linken Aufbruchs, wie in Westdeutschland um 1968, wurden deren Schriften viel gelesen und hatten einen wichtigen Anteil an der linken Theoriebildung. Diese linken Theorie-Arbeiter handelten die linken Irrwege nicht als Verbrechens- oder Kriminalgeschichte mit fein säuberlich getrennten Täter- und Opfergruppen ab. Sie unterzogen vielmehr die theoretischen und praktischen Fehlentwicklungen von linken Bewegungen einer materialistischen Analyse. Sie konnten sich dabei auf Karl Marx berufen, der nach der Niederschlagung der Pariser Kommune nicht in Klagen über die Verbrechen der Aufständigen ausbrach, sondern die Fehler der Kämpfenden analysierte. Das ist ein entscheidender Unterschied zu Gießler und vielen anderen, die in der Diktion von Pastor Gauck über die linke Verbrechensgeschichte lamentieren.

Wer übrigens, wie Gießler, die Ermordung politischer Gegner als ein Kennzeichen von rechten und linken Diktaturen betrachtet, scheint über die Funktionsweise bürgerlicher Herrschaft Illusionen zu hegen. Aber vielleicht ist eine Selbstaufklärung auch gar nicht erwünscht. Schließlich entdecken in Zeiten einer marginalen Linken unterschiedliche, einst gesellschaftskritische Gruppierungen die ominöse politische Mitte. Der positive Bezug auf die Totalitarismustheorie ist dann nur eine logische Konsequenz. Denn eines lehrt die Geschichte der Unterwerfung linker Bewegungen unter die Staatsraison: Wer in der Mitte der Gesellschaft mitspielen will, muss das staat­liche Gewaltmonopol ebenso wie die staatliche Kriegsbereitschaft anerkennen, darf die hiesige Marktwirtschaft nur in Details, ausländische Kapitalisten umso mehr kritisieren und muss die linken Reflexe gegen die Totalitarismustheorie überwinden.

http://jungle-world.com/artikel/2010/16/40788.html

Peter Nowak

Warum noch Krisen-Proteste?

Am Wochenende tagte das Bündnis »Wir zahlen nicht für Eure Krise« / Christina Kaindl aus Berlin ist Mitbegründerin des bundesweiten Anti-Krisen-Bündnisses
 ND: Sie haben am vergangenen Samstag eine bundesweite Aktionsberatung in Wiesbaden durchgeführt. Was war der Inhalt dieser Konferenz?
Kaindl: An dem Treffen haben mehr als 80 Personen teilgenommen. Es gab Referate zu den ökonomischen Aspekten der Krise und zur Stimmung in der Bevölkerung. Ein weiterer Schwerpunkt war die Vorbereitung der beiden bundesweiten Anti-Krisen-Demonstrationen, die am 12. Juni in Stuttgart und Berlin stattfinden werden.

Unter welchem Motto werden die stehen?
Wir haben uns darauf verständigt, das Motto »Wir zahlen nicht für Eure Krise«, unter dem bereits die bisherigen Demos standen, beizubehalten. Der Untertitel wird lauten: »Gemeinsam gegen Erwerbslosigkeit, Kopfpauschale und Bildungsabbau«. Damit wollen wir uns auf die Bildungsproteste beziehen, die Anfang Juni geplant sind. Auch der Protest gegen die geplante Kopfpauschale soll in die Mobilisierung zu den Demonstrationen einfließen. Wie schon im vergangenen Jahr werden auch zum 12. Juni regionale Bündnisse mit eigenen Aufrufen mobilisieren. So heißt das Motto des Berliner Bündnisses »Die Krise heißt Kapitalismus«.

Ist angesichts der vielen Meldungen von einem Ende der Wirtschaftskrise eine Anti-Krisendemo nicht anachronistisch?
Die Probleme der Kapitalverwertung, die zu der Krise geführt haben, sind nicht gelöst; die Regulation der Finanzmärkte ist unterblieben. Auf den Wirtschaftsseiten mancher Zeitungen wird vor neuen Spekulationsblasen gewarnt. Bernd Riexinger von ver.di Stuttgart hat sich auf der Konferenz ausführlich mit den ökonomischen Hintergründen der Krise auseinandergesetzt und beschrieben, dass auch in den Belegschaften die Unruhe wächst. Die Probleme von Erwerbslosigkeit, Kurzarbeit und Sozialabbau brauchen Widerstand von unten.

Aber hat sich nicht ein großer Teil der Bevölkerung mit den von der Bundesregierung favorisierten Maßnahmen wie der Kurzarbeit abgefunden?
Mit diesen Maßnahmen wurde das Problem nur verschoben, aber nicht gelöst. In Zukunft können Firmenzusammenbrüche, die mit Entlassungen verbunden sind, nicht mehr ausgeschlossen werden. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist ja in vielen Umfragen belegt. Verlängerung der Kurzarbeit geht für die Betroffenen auch mit der Befürchtung einher, nie wieder das frühere Lohnniveau erreichen zu können.

Eine weitere Folge der Krise ist die immense Verschuldung der Kommunen. Mehreren Städten im Ruhrgebiet droht die Insolvenz. Sie können dann keinen eigenen Haushalt mehr beschließen. Gebührenerhöhungen und Schließungen von städtischen Einrichtungen drohen ebenso wie weitere Privatisierungen. Das wird die Spaltung in diejenigen, die sich die privatisierten Dienstleistungen leisten können, und diejenigen, die es nicht können, verschärfen.

Muss nicht trotzdem damit gerechnet werden, dass die Demonstrationen eher klein werden?
Ich bin nach der Aktionskonferenz wieder optimistischer. Die Demonstrationen stehen ja auch im Zusammenhang mit den Klimaprotesten am 5. Juni in Bonn und den Bildungsprotesten am 9. Juni. In Süddeutschland haben sich viele Gewerkschafter gegen eine Verschiebung der Proteste auf den Herbst mit den Worten gewandt, wie lange wir noch warten sollen. In den nächsten Wochen wird viel von der Mobilisierung vor Ort abhängen. Demnächst wird es Mobilisierungsmaterial und eine Autobusbörse auf der zentralen Homepage kapitalismuskrise.org geben.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/169530.warum-noch-krisen-proteste.html

Fragen: Peter Nowak

Freibrief für Luftschlag in Afghanistan

Bundesanwaltschaft stellt Verfahren gegen Oberst Klein ein: „Bombenabwurf zulässig“

Die für den Luftangriff auf Kundus am 4. September 2009 verantwortlichen deutschen Militärs werden juristisch in Deutschland nicht zur Verantwortung gezogen. Die Generalbundesanwaltschaft hat die Einstellung der Verfahren gegen Oberst Klein und Hauptfeldwebel Wilhelm beschlossen. In einer gestern veröffentlichten Pressemitteilung betont die Bundesanwaltschaft, dass die Hintergründe des tödlichen Luftschlags, der eine noch unbekannte Zahl von toten Zivilisten forderte, einer umfassenden strafrechtlichen Prüfung unterzogen worden seien. Da ein Großteil des verwendeten Tatsachenmaterials als geheime Verschlusssache eingestuft wurde, bleibt auch ein Teil der Gründe für die Einstellung des Verfahrens der Öffentlichkeit nicht zugänglich. In den veröffentlichten Punkten kommt die Bundesanwaltschaft zu dem Schluss, dass die Soldaten der Bundeswehr im Rahmen des ISAF-Einsatzes reguläre Kombattanten sind: „Eine Strafbarkeit scheidet daher aus, soweit völkerrechtlich zulässige Kampfhandlungen vorliegen.“ Zudem wird festgestellt: „Der Abwurf von Bomben auf Ziele, in deren unmittelbarer Nähe sich Menschen aufhalten, ist auch nach den Vorschriften des deutschen Strafgesetzbuchs bei Geltung des Konfliktvölkerrechts immer dann gerechtfertigt und damit straflos, wenn der militärische Angriff völkerrechtlich zulässig ist.“ Soweit die Getöteten zu den Aufständischen gehörten, war der Angriff auf sie nach Ansicht der Juristen berechtigt. Eine Bekämpfung durch Bodentruppen sei wegen der damit verbundenen Gefährdung der eigenen Truppen nicht zumutbar gewesen. Da die Militärs nach Ansicht der Generalbundesanwalt vor dem Angriffsbefehl keinen Hinweis auf Zivilisten vor Ort hatten, können sie deswegen auch nicht juristisch zur Verantwortung gezogen werden. Die Entscheidung der Bundesanwaltschaft dehnt in einem Zusatz die straflosen militärischen Angriffsmöglichkeiten noch weiter aus: „Selbst wenn man mit zivilen Opfern einer Militäraktion rechnen muss, ist ein Bombenabwurf nur völkerrechtlich unzulässig, wenn es sich um einen ‚unterschiedslosen‘ Angriff handelt, bei dem der zu erwartende zivile Schaden in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Erfolg steht. Dies war hier nicht der Fall.“ Die Menschenrechtsorganisation European Center for Constitutional and Human Rights will gegen die Einstellung des Verfahrens rechtlich vorgehen. „Die vorschnelle Einstellung zeugt nun leider von derselben Mentalität, Menschenrechtsverletzungen immer nur bei anderen wahrzunehmen und zu kritisieren“, moniert ECCHR-Mitglied Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/147468

Peter Nowak

Protest gegen die Kopfpauschale

Nadja Rakowitz vom Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte über die geplante Gesundheitsreform und die Ökonomisierung des Gesundheitswesens
Noch ist sich die Regierungskoalition nicht einig über den Umfang und das Tempo die Umgestaltung des Gesundheitssystems. Ein Grund dürfte auch in dem Protesten liegen, die sich in Teilen der Bevölkerung schon jetzt dagegen zu artikulieren beginnen. So berichtete eine Sprecherin des Online-Kampagnendienst Campact, dass deren Unterschriftenaktion gegen die Kopfpauschale auf große Resonanz gestoßen sei. Auch der DGB will in den nächsten Wochen mit einer Kampagne gegen die Kopfpauschale beginnen.
   

Allerdings warnen gesundheitspolitische Organisationen vor einer Verengung der Proteste auf den Kampf gegen die Kopfpauschale So betont Ole Baumann vom Berliner Büro für medizinische Flüchtlingshilfe, das sich um die gesundheitliche Versorgung von Menschen ohne Papiere kümmert, dass es heute schon eine Drei- oder Vierklassenmedizin gäbe, weil Menschen ohne Papier aus der Versorgung herausfallen. Demgegenüber fordert die Initiative eine Gesundheitsversorgung für alle in Deutschland lebenden Menschen, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus. Die Vorsitzende der Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung Pro Familia Gisela Notz plädiert dafür, die Forderung nach kostenfreiem Zugang zu Verhütungsmitteln in die Kampagne einzubeziehen, weil vor allem Frauen mit geringen Einkommen aus finanziellen Gründen bei der Familienplanung eingeschränkt seien.

Auch Nadja Rakowitz, Geschäftsführerin des Vereins demokratischer Ärztinnen und Ärzte und Autorin der Zeitschrift express, begründet im Telepolis-Gespräch mit Peter Nowak, warum der Protest gegen die Gesundheitsreform nicht auf die Kopfpauschale begrenzt bleiben sollte.
 Könnte die Bewegung gegen die Kopfpauschale der Bundesregierung Dimension wie die Proteste gegen Hartz IV annehmen?

Nadja Rakowitz: Die Proteste könnten sogar noch größer werden. Denn von Hartz IV fühlten sich viele Menschen nicht betroffen, und kümmerten sich deswegen nicht darum. Doch von der Kopfpauschale und anderen Formen der Gesundheitsreform sind viele Menschen betroffen. Das könnte mehr Potenzial zum Widerstand haben.

 Aber rücken nicht auch Politiker der großen Koalition schon längst von der Kopfpauschale a la FDP ab?

Nadja Rakowitz: Sicherlich, es ist noch nicht klar, wer sich in der Koalition durchsetzt. Es gibt hier vor allem Differenzen zwischen der CSU und der FDP, während sich die CDU weitgehend aus der Auseinandersetzung heraushält – so scheint es. Es wird nun vor allem vor der für die Bundesregierung wichtigen Landtagswahl in NRW verstärkt betont, dass es einen abrupten Systemwechsel in der Gesundheitspolitik nicht geben soll. Dabei liegt der Schwerpunkt auf abrupt. Doch auch eine stufenweise Hinführung zur Kopfpauschale ist abzulehnen, weil sie ebenfalls dazu beiträgt, dass das Gesundheitssystem unsozialer wird. Zudem sind wir bereits Zeugen der Einführung einer kleinen Kopfpauschale, weil verschiedene Krankenkassen bereits einen pauschalen Zusatzbeitrag von ihren Mitgliedern erheben.

 Ist es da überhaupt sinnvoll, sich auf die Kopfpauschale zu kaprizieren?

Nadja Rakowitz: Es ist sicherlich das Projekt, gegen das sich der größte Widerstand entfalten wird. Aber eine Bewegung gegen die Kopfpauschale reicht sicher nicht aus. Es muss darum gehen, den Fokus der Kritik auf die Unterwerfung der Gesundheitspolitik unter Kapitalinteressen zu richten.

 Wäre da nicht die Attac und anderen sozialen Gruppen schon länger propagierte Parole „Gesundheit ist keine Ware“ ein geeignetes Motto?

Nadja Rakowitz: Sicherlich kann diese Parole dabei helfen, ein größeres Bündnis zu schmieden. Noch ist es in großen Teilen der Bevölkerung weitgehend Konsens, dass Gesundheit keine Ware werden darf. Doch aus einer emanzipatorischen Perspektive kann es nicht ausreichen, nur bestimmte Refugien, wie Gesundheit und Bildung, aus der Kapitalverwertung herauszuhalten, was auf die Dauer auch kaum gelingen kann. Vielmehr müssten wir die Frage stellen, warum andere Teile der Gesellschaft, beispielsweise die Lohnarbeit, weiter unter den Zwängen der Ökonomie stehen sollen. Außerdem wird die Parole „Gesundheit ist keine Ware“ auch schon von ganz konservativen Organisationen aufgegriffen, weil sie ihr Pfründe retten wollen. Man muss also deutlicher machen, was man damit meint.

 Ist denn nicht Gesundheit in unserer Gesellschaft jetzt schon eine Ware?

Nadja Rakowitz: Nein, noch nicht flächendeckend. Zum Beispiel in öffentlichen Krankenhäusern herrscht bisher noch keine Notwendigkeit, kapitalistische Profite zu machen. Sie standen bis Anfang der 2000er Jahre nicht in kapitalistischer Konkurrenz zueinander, sondern waren Teil eines Krankenhausplans der öffentlichen Hand und mussten sich nicht auf den Markt bewähren. Durch die Konkurrenz untereinander und mit den privaten Krankenhäusern müssen heute aber auch öffentliche Krankenhäuser wirtschaften, als ob sie Unternehmen wären.

Bis heute zirkuliert auch ein großer Teil des Geldes im Gesundheitswesen zwischen Körperschaften öffentlichen Rechts und öffentlichen Einrichtungen und ist nur sehr beschränkt Teil der Kapitalakkumulation. Daher kann man sehr wohl sagen, dass das Gesundheitswesen nicht vollständig in das Kapitalverhältnis einbezogen war. Das bedeutet allerdings keineswegs, dass das Krankenhaus unberührt vom Kapitalverhältnis war. Im ambulanten Sektor ermöglichte die rot-grüne Gesundheitsreform im Jahr 2003 die Gründung von medizinischen Versorgungszentren (MVZ). Wenn diese von Konzernen wie z.B. Rhön oder Asklepios übernommen werden, sind auch hier die Anreize verstärkt, medizinischen Entscheidungen betriebswirtschaftlichen Kriterien unterzuordnen

 Gab es nicht auch schon bei den vorigen Bundesregierungen Bestrebungen, die Ökonomisierung des Gesundheitswesens zu fördern?

Nadja Rakowitz: Diese Bestrebungen gehen bis Mitte der 90er Jahre zurück. Unter der Ägide des im Kabinett Kohl amtierenden Bundesgesundheitsministers Horst Seehofer wurden schon Weichen gestellt, als z.B. die Konkurrenz der Gesetzlichen Krankenkassen eingeführt wurde. Den größten Beitrag zur Ökonomisierung des Gesundheitswesens leistete allerdings die Politik der rot-grünen Bundesregierung. Sie ist unter anderem für die Einführung der Praxisgebühr und die einseitige Erhöhung des Arbeitnehmeranteils um 0,9 Prozentpunkte bei der Finanzierung des Gesundheitssystems verantwortlich. Damit wurde das Prinzip der paritätischen Finanzierung im Gesundheitswesen aufgegeben.

 Warum gibt es in der letzten Zeit verstärkte Bestrebungen, das Gesundheitswesen unter das Kapitalverhältnis zu subsumieren?

Nadja Rakowitz: Viele Gesundheitsökonomen erwarten, dass die Wirtschaftskrise den Trend zur Ökonomisierung des Gesundheitswesens beschleunigen wird, weil das anlagensuchende Geldkapitel im Gesundheitsmarkt noch Möglichkeiten der Verwertung sieht. Die politischen Rezepte des Doktor Rösler aber auch anderer Politiker wollen hier die Rahmenbedingungen schaffen.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32469/1.html

Interview:  Peter Nowak